Ein Hinweis von Christian Modehn: Wie die katholische Kirche ihrer politisch – konservativen Helden gedenkt und sie „seligspricht“.
1.
Am Samstag – Nachmittag des 29. Mai 2021 zogen etwa 300 fromme Katholiken durch die Straßen im Osten von Paris. Sie nannten ihre Demonstration eine Prozession bzw. Pilgerfahrt. Sie wollten, von einigen Priestern angeführt, ganz offiziell wie zum Gottesdienst in Messgewändern gekleidet, der „Märtyrer der Commune“ gedenken. Vom Erzbistum unterstützt, erwiesen sie auf diese Weise öffentlich den Klerikern die Ehre und Verehrung, die Ende Mai 1871 während der Pariser Commune von den Communarden erschossen wurden. Und ihr öffentliches Gedenken nannten sie „Wallfahrt“, veranstaltetet auf den Straßen, die auch die Märtyrer zu ihrer Erschießung gehen mussten.
Die Teilnehmer an der „Wallfahrt“ hatten sich spirituell darauf vorbereitet, wie sie berichten, ihr theologischer Leiter kam wohl aus der Pfarrei, die sich „Notre Dame des Otages“ im 20. Arrondissement nennt, also „Unsere Liebe Frau der Geiseln“. Diese Gemeinde wurde 1936 errichtet, die Basilika „Sacre Coeur de Montmarte“ stand da schon längst, sie war und ist ein machtvolles Symbol des Protestes gegen die Pariser Commune, deswegen wurde sie errichtet. Genau in der Umgebung von Montmartre begann die Commune…und auf dem Friedhof Père Lachaise im Norden von Paris endete sie.
Die aktuellen Wallfahrer behaupteten, keinerlei politische Interessen zu haben. Alles sei eine fromme Wallfahrt, absichtslos spirituell. Wer die lange Erklärung der Wallfahrer liest, publiziert in der katholischen Tageszeitung La Croix (Paris) vom 3. Juni 2021 spürt, wie sich dort die traditionelle Frömmigkeit äußert: Die Kirche wird dabei „die Zeugin DER Wahrheit“ genannt, die Kirche kann also die Wahrheit über die Commune sagen, und nicht etwa Historiker. Und diese Katholiken wollen „die Liebe Christi in die Straßen tragen“. Das gelang dann doch nicht, weil die Wallfahrer gestört und attackiert wurden. Doch zunächst einige Fakten:
2.
Es waren ca. 10 Kleriker, die in der „Blutigen Woche“, während der definitiven Niederschlagung der Commune, erschossen wurden. Die Communarden hatten zuvor gefordert, dass einer der ihren, der sozialistische Politiker Louis Auguste Blanqui, von der reaktionären Regierung in Versailles festgehalten, nun freigelassen werden sollte. Im Austausch wollten die Communarden ihre Geiseln, die Kleriker, frei lassen, darunter auch den Pariser Erzbischof Darboy. Aber der Machthaber in Versailles, Adolphe Thiers, lehnte ab, gut kalkulierend, dass nun die erzürnten Communarden sich entschließen, ihre Geiseln, die Kleriker, zu erschießen: Weil das geschah, hatte Thiers nun endlich allen Grund, gegen die „Vernichter der Kirche“ vorzugehen. Und zwar mit blutiger Gewalt, mindestens 20.000 Bürger wurden in der „blutigen Woche“ von den Regierungstruppen umgebracht. Da sollte man einen Zahlenvergleich wagen: 20 von den Communarden ermordete Kleriker – Geiseln stehen den etwa 20.000 Communarden und demokratisch gesinnten Bürger in der Commune gegenüber, die von den offiziellen Truppen der Regierung zum Teil bestialisch ermordet wurden, von einer Regierung, die sich konservativ, katholisch und monarchistisch verstand. Und die von der Kirchenführung und dem Klerus völlig unterstützt wurde.
3.
Die frommen „Pilger“ in Paris am 29. Mai 2021 wurden bei ihrer angeblich nur spirituell gemeinten Wallfahrt, völlig überraschend, auf den Straßen mit Flaschen beworfen und mit Schlägen attackiert. Und zwar von Linksextremen, „Antifas“ (Antifaschisten) und Anarchisten, wie die katholischen Veranstalter sagen und die Presse betont, etwa auch die katholische Tageszeitung „La Croix“ oder der konservative „Figaro“. Der Historiker Etienne Fouilloux nannte diese ungewöhnlichen Aggressionen gegen eine katholische Demonstration, die offiziell auch polizeilich angemeldet war, „ein Wiedererstarken des Antiklerikalismus“. Der Pariser Erzbischof Aupetit will wegen dieser Gewalt gegen Katholiken die Gerichte bemühen.
4.
Einige kritische Katholiken wollten angesichts der Gewalt vermitteln, sie publizierten ihre Erkenntnisse zu der so genannten Prozession bzw. der „Pilgerfahrt“ durch die Pariser Straßen. Sie nannten diese offizielle kirchliche Unternehmung „eine spirituelle und politische Verirrung“ („aberration“). Es ist klar, dass auch diese Katholiken jegliche Gewaltanwendung gegen die „Pilger“ ablehnen. Aber diese wenigen kritisch reflektierenden Katholiken wehren sich gegen die Vorstellung: Die ermordeten Katholiken wären die „Guten“ (und Heiligmäßigen), die Communarden hingegen die Atheisten und Mörder. „Die katholischen Geiseln wurden getötet, nicht etwa, wegen ihres christlichen Glaubens. Sondern weil die Communarden meinten, sie gehörten politisch zu den Feinden der Ideale der Commune“. Die Getöteten waren also nicht automatisch Märtyrer, wie die Katholiken der Prozession bzw. der Pilgerfahrt durch Paris am 29.5.2021 meinen. Es waren nur Bürger, die letztlich der demokratischen Commune gegenüber politisch feindlich eingestellt waren, „es gab eine Verteufelung der Commune durch den Klerus damals“.
Wenn sich also heute Katholiken in Frankreich (laut und vernehmlich für die ganze Presse) für die sogenannten „Märtyrer“ von 1871 einsetzen, grenzen sie sich ab von einer objektiveren Einschätzung der Leistungen und der Ideale der Commune. „So wird von den Katholiken auch heute „verschwiegen, dass viele Tausend Communarden von der sich katholisch nennenden Regierung in Versailles umgebracht wurden. Das politische Modell der Commune , radikal demokratisch und egalitär, entspricht in mancher Hinsicht den fundamentalen Begriffen der Soziallehre der Kirche“, schreiben die 15 kritischen Katholiken. Siehe dazu die Tageszeitung La Croix am 2.6.2021.
Diese Erkenntnis bedeutet für die katholischen Kritiker der politisch – spirituellen „Wallfahrt“ andererseits auch keine Idealisierung der Commune…. Zu den Unterzeichnern gehört der Jesuitenpater Maurice Joyeux, der Journalist Paul Piccarreta, der Soziologe Pierre-Louis Choquet…
5.
Nun wird immer häufiger berichtet, dass vor allem ein Priester offiziell „seliggesprochen“ werden soll, der von den Communarden erschossen wurde: Père Henri Planchat (geboren 1823) wurde am 26. Mai 1981 von Mitgliedern der Pariser Commune erschossen. Nun soll er „seliggesprochen“ werden, er also darf dann wie ein Heiliger verehrt und um himmlischen Beistand gebeten werden. So lehrt es nun einmal der Wunder- und Heiligen-Glaube der Kirche.
Planchat hat als Pfarrer im Armen – Viertel rund um die Rue des Charonne den Armen beigestanden, obwohl er, so wird betont, eigentlich einem reichen bürgerlichen Milieu entstammte. Eine Ausnahme damals. Er hat sich über die Communarden nie polemisch geäußert, andere Priester hingegen damals nannten die Communarden „wilde Tiere“. „Er hat also nachweislich niemals voller Hass auf die Commune gesprochen“, betonen die Priester, die jetzt die Seligsprechung des Armen – Paters betreiben. Um 1990 wurde in Rom der „Prozess der Seligsprechung“ unternommen, begonnen hatte er schon 1896. Er soll als Märtyrer verehrt werden, weil bei seiner Anrufung im Himmel jetzt schon „Wunder“ geschehen sind.
Planchat wurde schon im März 1871 von einigen Communarden mit Gewalt bedrängt und dann am 6. April verhaftet, weil er sich als Priester eher ungewöhnlich damals um das Wohl der Armen kümmerte? Oder waren die Hilfsangebote des Pfarrers „zu spirituell“ in der Sicht der Communarden?
6.
Es darf nicht verschwiegen werden, dass am gleichen Tag, am 29.5.2021, eine andere Demonstration durch die Boulevards von Paris zog: 100 verschiedene linke Organisationen hatten zur Demonstration aufgerufen zur Erinnerung an die Pariser Commune. Und 15.000 (!) TeilnehmerInnen waren dabei, behaupten die Veranstalter des „Vereins Freunde der Pariser Commune“. Und sie betonen: Über deren große Demonstration hätten nur die Tageszeitungen L Humanité und Libération berichtet, während die spirituell – politische „Wallfahrt“ der 300 Katholiken von den Medien ausführlich gewürdigt wurde.
7.
Man darf in dem Zusammenhang auch nicht vergessen: Die katholische Kirche hat vorbildliche Helden, Selige und Heilige, wie sie sagt, fast immer in Kreisen der politisch Konservativen, auch der Reaktionären gesucht und gefunden: Es waren eben hierarchie-/kirchentreue Leute, von den Dogmen völlig überzeugt und dem Klerus ergeben. Das wird etwa deutlich, wenn man die riesigen Zahlen der Selig – und Heiliggesprochenen aus dem Spanischen Bürgerkrieg unter dem katholischen General Franco betrachtet. Märtyrer des Spanischen Bürgerkrieges waren in katholischer Sicht, wobei die Zahlen nie so klar sind, 12 Bischöfe, 4184 Priester und Priesterseminaristen, 2365 Ordensmänner und 283 Ordensfrauen, dazu Tausende Laien starben nach den offiziellen Zahlen der katholischen Kirche im Spanischen Bürgerkrieg 1936/1937. 969 der Katholiken, die als Laien und Priester und Ordensleute umgekommen sind, wurden später von den Päpsten Johannes Paul II. und Benedikt XVI. seliggesprochen. Sie können als „Märtyrer für den Glauben“ verehrt werden. Tatsache ist, dass auch deren Glauben eng verbunden war mit den rechten politischen Positionen. Sie wurden von der damaligen noch rechtmäßig bestehenden republikanischen Regierung als politische Gegner ermordet.
Republikanische, linke Priester und katholische Laien hingegen wurden später von den Faschisten Francos getötet. Von ihnen spricht kaum jemand.
Schließlich gab es dann noch ein gutes Einvernehmen zwischen der Kirche und dem Franco-Staat: Der Vatikan erkannte bereits im August 1938 – also noch während des Bürgerkrieges – die Putschisten um General Franco als Führer Spaniens an!
Papst Franziskus verfügte, schon gleich nach seiner Wahl zum Papst, dass am 13. Oktober 2013 über 500 weitere „Märtyrer“ des spanischen Bürgerkrieges in Tarragona selig gesprochen wurden. Dieses Ereignis war, was die Zahlen angeht, die größte Seligsprechung in der katholischen Kirche.
Wikipedia schreibt in dem Beitrag über „Seligsprechung spanischer Bürgerkriegsopfer“: „Kritiker bezeichnen die Auswahl der berücksichtigten Bürgerkriegsopfer als willkürlich. Katholische Geistliche, die von den Milizen Francisco Francos wegen ihres Widerstands gegen die Anweisungen der Amtskirche, welche das Vorgehen der Faschisten als „Kreuzzug“ legitimierte, ermordet wurden, seien nicht seliggesprochen worden“.
Linke Katholiken werden eher sehr selten selig oder heiliggesprochen, dies gilt wohl sich für demokratische “Helden” der Pariser Commune…Linke Katholiken wurden und werden sowieso zu Lebzeiten verdächtigt und degradiert, siehe die Befreiungstheologen in Lateinamerika. Erzbischof Oscar Romero von El Salvador ist wohl der einzige linke Kleriker, der, viele Jahre nach seiner Ermordung 1980 durch rechtsextreme, sich katholisch nennende Militärs, nach langen mühsamen Debatten, vom Vatikan selig- und dann heiliggesprochen wurde. Aber: Erzbischof Helder Camara aus Brasilien, ein Linker, vom Volk seit Jahren als Heiliger längst verehrt, ist bis heute nicht heiliggesprochen…
Bei dem reaktionären Gründer des internationalen Geheim-Clubs „Opus Dei“ ging es bekanntlich ganz schnell mit der Heiligsprechung…So wollte es unbedingt Papst Wojtyla.
8.
Nebenbei:
Papst Pius XII. sagte 1939 in einer Radioansprache: „Die von Gott auserwählte spanische Nation (unter Franco) hat den zum materialistischen Atheismus Bekehrten (also den Republikanern) gezeigt, was die Werte der Religion sind“. Meinte der Papst mit den “Werten” das Abschlachten der Linken und Republikaner durch die katholischen Leute von Franco?
Später wurde Staatschef Franco – als Laie – zum „Protokanonikus“ der römischen Basilika Santa Maria Maggiore ernannt. Die Bindungen zwischen Faschismus und Vatikan haben also sehr früh begonnen: „Hauptsache katholisch und klerikal – was sonst ein Politiker tut ist egal“, war offensichtlich nachweisbar das Leitprinzip im Vatikan in Zeiten des größten Feindes, des teuflischen Bolschewismus. Faschismus war dagegen „halb so schlimm“ in vatikanischer Sicht. Siehe den vatikanischen Umgang mit Mussolini und Hitler…
(Quelle El Pais, 2. Juli 2007, Beitrag von Juan G. Bedoya.
Zu den spanischen Märtyrern siehe auch: https://www.heiligenlexikon.de/Literatur/Maertyrer_Spanischer_Buergerkrieg.html
Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin