Die 7. „unerhörte Frage“: Haben politische Einsichten eines Philosophen des 17. Jahrhunderts eine aktuelle Bedeutung?

Das Motto von Francis Bacon: „Aberglaube (und Verschwörungstheorien) sind verheerend für den Staat“.

Ein Hinweis von Christian Modehn.

Was bedeutet „unerhört“?
„Unerhört“ werden außerordentliche Themen genannt.
Als „unerhört“ gilt, wenn ein wahres Wort, ein vernünftiger Vorschlag, von anderen nicht gehört und nicht wahr-genommen wird, also un-erhört bleibt. Unerhörte Fragen müssen entfaltet , beschrieben werden, um ihre provokative Kraft zu bezeugen.

1.
„Der Aberglaube bringt Verstand, Philosophie, natürliches Gefühl, Recht und Achtung auf den guten Namen zum Schweigen“. Dadurch verhindert der Aberglaube ein menschenwürdiges Leben. „Aberglaube beherrscht dann allein und unumschränkt die menschlichen Gemüter“. Der Philosoph Francis Bacon, (1561-1626), bekannt vor allem als Philosoph der Natur und der Empirie, hat vor den Verirrungen des Aberglaubens gewarnt, den er, aus seiner Sicht damals, als viel verhängnisvoller deutete für das menschliche Zusammenleben als den Atheismus.
2.
Unter Aberglauben verstand Bacon vor allem einen wahnhaften religiösen Glauben, aber auch verrückte Ideologien, die man heute Verschwörungstheorien nennt. Im 15. seiner „Essays“ (von 1625) spricht er über „Aufstände und öffentliche Unruhen“, dabei betont er, dass „Schmähschriften und zügellose Reden“ sowie „Gerüchte“ zu den öffentlichen Unruhen führen“, also in seiner Sicht zum Chaos (in: Essays, Leipzig, 1979, S. 55). Gerüchte als Verschwörungstheorien deutet bereits der römische Dichter Vergil (70 vor Chr. -19 nach Chr.) als „Vorläufer kommender Aufstände“, betont Bacon. „Aufrührerische Tumulte und aufrührerische Gerüchte lassen sich gar nicht unterscheiden“. (S.56).
Erstaunlicherweise empfiehlt Bacon nicht eine „allzu strenge Unterdrückung“ der Gerüchte; er wehrt sich gegen allzu häufiges Agieren, die das Ziel hat, den inneren sozialen Frieden zu bewahren. Bacon meint hingegen, wenn man sich zu intensiv um die Unterdrückung der Gerüchte bemüht, „sind diese Gerüchte von erstaunlich langer Lebensdauer“ (S. 56).
In die Gegenwart übersetzt: Das allzu häufige Sprechen, zum Beispiel über die AFD, die Reichsbürger etc. stärkt wohl eher noch das „Ansehen“ dieser rechtsextremen Kreise. Die AFD ist eine Partei, für die sich nur ca. 10 Prozent der Wähler entscheiden, da ist übermäßiges Reden mit denen nicht so hilfreich, was aber auch nicht heißt, dass Fakten freigelegt werden müssen.
3.
Bacon nennt Beispiele übler Verschwörungstheorien, er erinnert etwa an den berühmten Religionsphilosophen Plutarch, (45 – 125 n. Chr.) Von ihm behaupteten Verschwörungstheoretiker damals, er verzehre seine Kinder gleich nach der Geburt. (Francis Bacon, Essays, Leipzig, 1979, S. 70). Nebenbei: Plutarch hat eine Studie über den Aberglauben veröffentlicht…
Interessant ist, dass Francis Bacon neben anderen eine Ursache für den Aberglauben (und Verschwörungstheorien) nennt: “Es sind schließlich barbarische, namentlich mit Elend und Ungemacht verbundene Zeitalter“ (Ebd., S .71).
Und man glaubt förmlich Verbindungen zur Gegenwart der verbrecherischen Verschwörungstheorien (und der entsprechenden Praktiken!) zu lesen, wenn Bacon schreibt: „Der Aberglaube (auch die Verschwörungstheorien) hat den Sturz manches Staates herbeigeführt, weil er eine neue Urkraft darstellt, die verheerend den ganzen Staatskörper überfällt. Beim Aberglauben gibt das Volk den Ton an, und in diesem Punkte folgen Weise den Toren nach, und in verkehrter Reihenfolge passen sich die Vernunftgründe hinterher der Praxis an“ (Ebd. S.70).
4.
In dem leider nicht vollendeten Essay „Über Gerüchte“ (S. 244ff.) schreibt er: „Jedenfalls ist nicht zu leugnen, dass Rebellen und aufrührerische Gerüchte und Schmähreden zueinander gehören wie Brüder und Schwestern“ (S. 244). „Das Gerücht verfügt über eine solche Macht, dass kaum eine bedeutende Handlung vor sich geht, woran es nicht einen großen Anteil hat, zumal im Kriege“ (S. 245)
5.
Bacon war zu seiner Zeit sicher ein getreuer Anhänger des Absolutismus, seine Warnungen vor Aberglauben, Verschwörungstheorien und Gerüchten müssen in dem Zusammenhang gesehen werden. Aber er „lehnt jede königliche Diktatur und Tyrannei ab. Auch der König sei dem Ganzen verpflichtet und dürfe nicht das Gleichgewicht im Staate durch willkürliche Maßnahmen stören“ (S. 261, in dem Beitrag von Walter Apelt). Für Bacon gibt es also keine fürstliche „Allgewalt“.
6.
Weil Bacon eine universale humane Ordnung vor Augen hatte, sind seine Warnungen vor der Macht des Aberglaubens, der Gerüchte und Verschwörungstheorien durchaus auch heute ernst zu nehmen.

Die „Essays“ von Francis Bacon gibt es in deutscher Sprache in unterschiedlichen Verlagen.Ich zitiere nach der vollständigen Ausgabe der „Dietrichschen Verlagsbuchhandlung“ in Leipzig, 4. Aufl., 1979, das Buch, in feiner Ausstattung, gebunden, 284 Seiten, hatte den erstaunlichen Preis von 6,15 DDR-Mark.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin