Wenn die Kirchen zu viele Kirchen haben

„Leben statt Leere“: Zu einem neuen Buch (2025) über den Umgang mit „überflüssigen“ Kirchengebäuden

Hinweise von Christian Modehn am 30.9.2025

1.
Seit 1990 wurden in Deutschland 514 evangelische Kirchengebäude aufgegeben, davon wurden 128 abgerissen; bei den Katholiken wurden 603 „Gotteshäuser“ seit 1990 aufgegeben, davon 173 abgerissen. Quelle:„Plus- Minus“, Magazin der ARD/Das Erste am 24.9.2025.
Gerade der Abriss von Kirchengebäuden kann als Symbol verstanden werden für das stetige Verschwinden der Kirchen in Deutschland und Europa. Ob damit auch der christliche Glaube langsam aber „sicher“ verschwindet, ist eine andere Frage. Und: An irgendeinen Gott (vielleicht Götzen) glauben wohl die meisten, weil sie Menschen sind und immer irgendwie „gläubig“ sind, aber das ist Philosophie…

2. Immer weniger Kirchenmitglieder
Weil immer mehr Kirchenmitglieder in Deutschland aus der Kirche austreten, haben die Gemeinden und Landeskirchen bzw. die Bistümer wegen der ausbleibenden Kirchensteuern kein Geld (und kein bezahltes Personal) für den Erhalt ihrer vielen Kirchengebäude. 23.000 Kirchengebäude (oft mit Gemeinderäumen und Wohnungen) besitzt die Evangelische Kirche noch in Deutschland, 24.000 Kirchengebäude (oft mit Gemeinderäumen und Wohnungen) die katholische Kirche. Zu den großen Kirchen gehören (2024) 39 Millionen Mitglieder, für das Jahr 2060 werden schätzungsweise noch 23 Millionen Bewohner Deutschlands Kirchenmitglieder sein. Dass die Bewohner Deutschlands mehrheitlich in Zukunft wieder Kirchenmitglieder werden: Daran glauben wohl selbst die frömmsten Bischöfe nicht. Da ist also Eile angesagt, wollen die Kirchen Schließung, Verkauf, „Mischnutzung“ oder Abriss von Gotteshäusern mit den jeweiligen Kommunen sinnvoll und das heißt immer auch mit finanziellem Gewinn gestalten. PS: Über die vielen, z. T.”überflüssigen”, z.T. hübsch renovierten Dorfkirchen in Brandenburg habe ich 2020 einen provozierenden Beitrag verfasst. LINK

3. Könnten Kardinäle, Bischöfe, Pfarrer auf einen kleinen Teil ihres Gehaltes verzichten?
Man könnte denken: Zur Finanzierung des Erhalts wenigstens einiger, von den Gläubigen als sehr wichtiger angesehener bestehender Kirchen – Gebäude könnten auch die Kürzungen der Gehälter von Pfarrern, Oberkirchenräten, Erzpriestern und Bischöfen und Kardinälen beitragen, dies wäre ein schlichter solidarischer, aber öffentlich wirksamer Effekt. Kardinal Marx von München hat immerhin Ende Dezember 2020 tatsächlich 500.000 Euro aus seinem Privatvermögen (sic!) für „Betroffene des sexuellen Missbrauchs“ in seine Stiftung eingezahlt. Quelle: LINK
Kardinal Marx erhält – aus Staatsleistungen Bayerns – ein Monatsgehalt von etwa 13.600 €. Kardinal Woelki in Köln erhält ein Monatsgehalt von 13.800 €, ziemlich unbescheiden, wenn man bedenkt, dass sein Verhalten im Zusammenhang von sexuellem Missbrauch ein Hauptgrund war und ist für die große Austritts-„Welle“ im Erzbistum Köln…Quelle: LINK
Ein evangelischer Pfarrer verdient in Deutschland heute durchschnittlich 5.300€ brutto im Monat. Ähnliche Gehälter erhalten katholische Pfarrer, auch bei ihnen gilt: Oft mit freier Dienstwohnung…

4. Kirchen verkaufen und umwandeln: Alles andere als ein Nebenthema
Der vielfältige mögliche Umgang mit „überflüssig“ gewordenen, also nicht mehr klassisch für Gottesdienste/Messen zu nutzenden Kirchen bzw. Gotteshäusern ist alles andere als ein kulturelles „Nebenthema“. Diese Frage gehört ins Zentrum der Debatten über die Umbrüche der Religionen und Kirchen in Europa heute. Man beachte immer dabei: Für Protestanten sind Kirchengebäude eben nur Gebäude genutzt für Gottesdienste usw., aber eben nicht wie bei Katholiken eher verehrungswürdige „Gotteshäuser“…
Über eine umfangreiche Foto – Dokumentation von verfallenen, allmählich nur noch als Ruinen wahrnehmbaren Kirchengebäuden in einigen Ländern Europas habe ich im Jahr 2020 eine Rezension geschrieben. LINK
Dabei wird deutlich: In Frankreich wurden schon im 19.Jahrhundert viele Gotteshäuser von der Kirche aufgegeben, weil einfach die Gläubigen nicht mehr gläubig waren und die Messe nicht mehr besuchten, man sehe sich dazu etwa im Département Yonne oder in anderen Gegenden Burgunds oder des Limousin (Guéret!) um…

5. Ästhetisches – religiöses Erleben angesichts von (umgewandelten) Kirchen
Heute gilt in Deutschland die allgemeine ästhetische Überzeugung: Kirchengebäude in unseren Städten und Dörfern als Ruinen wahrzunehmen, ist nicht förderlich für einen guten Gesamteindruck und nicht inspirierend für einen letzten Rest spirituell – christlicher Stimmung unter den Bürgern. Ein schönes Kirchengebäude in einer grauen Stadtlandschaft oder in einem sonst langweiligen Dorf in Brandenburg empfinden selbst Atheisten noch als ästhetische Bereicherung. Und selbst die Kirchenleitungen sind überzeugt: Wenn bei umgewandelten Kirchengebäuden wenigstens nach außen hin eine „christliche Aura“ durch die erhaltenen Kirchen – Fassaden, Außenmauern, bunten Fenster und den Glockenturm (mit noch immer läutenden Glocken), dann sind solche Umwandlungen ein Erfolg. Der protestantische Theologen und EKD – Kulturbeauftragte Johann Hinrich Claussen definiert den klassischen Begriff für Gottesdienst, und dies ist der Begriff Liturgie, in einem sehr weiten Sinne: Er meint, Liturgie sei als Dienst auch im allgemeinen Menschlichen zu verstehen, nicht nur als explizite Gottes – Dienst – Veranstaltung (richtig „klassisch“). So kann seiner Meinung nach eine umgewandelte Kirche, etwa als Bibliothek, noch einen guten humanen Dienst leisten, also irgendwie dem Begriff Liturgie gerecht werden (Seite 118ff.) Claussen meint zudem sehr gewagt: „Wer an dem Kirchenbau vorbeigeht, entwickelt nicht selten so etwas wie alltägliche Liturgie. Man schaut hoch auf den Turm und seine Uhr, nimmt einen Glockenschlag wahr, lässt die Architektur für einen Augenblick auf sich wirken, erinnert sich kurz an hier Erlebtes, es kann sich dabei so etwas wie eine `Religion der Religionslosen?(Robert Musil) ereignen.“ (Seite 119). Ob sich dieses weltliche punktuelle und kurzfristige irgendwie spirituelle Liturgie – Erlebnis auch im Angesicht einer umgebauten Kirche sich ereignet, ist eine offene Frage: Zudem: Dieses kurze, irgendwie noch christlich geprägte Erleben angesichts eines umgewandelten Kirchengebäudes gilt sicher nur für Menschen, die diese Kirche einst von innen gesehen haben und vielleicht an einem Gottesdienst teilgenommen haben, aber diese alten Menschen sterben leider aus…

6. Zum Gottesdienst eine umgewandelte Kirche mieten
Das ziemlich umfangreiche neue Buch mit dem sehr provozierenden Titel „Leben statt Leere. Überlegungen und Anregungen zum Umgang mit unseren Kirchen“ ist auch deswegen wichtig, weil zu den AutorInnen keineswegs nur TheologInnen gehören, sondern vor allem SpezialistInnen für Baukultur und Stadtentwicklung, für Baudenkmäler, Fachleute fürs Stiftungswesen oder Gedenkstätten usw. Die 28 Essays handeln also von rechtlichen Problemen bei der „Nutzungserweiterung“ der Kirchen, beschreiben die Vielfalt neuer „Nutzungen“ der einst nur religiösen Kirchengebäude. Die gemeinsame Nutzung durch eine Kirchengemeinde wie auch durch „weltliche“ neue Nutzer scheint mir besonders wichtig zu sein. Nebenbei: In Amsterdam etwa mieten arm gewordene Kirchengemeinden am Sonntag ihre einstige Kirche für zwei Stunden, die sonst in ein Museum bzw. ein Kulturzentrum ist. In dem genannten Buch ist vor allem der Beitrag von Leona Lynen sehr inspirierend, wenn man konkrete, schon realisierte, vielleicht erfolgreiche Projekte kennenlernen will.

7. Die noch aktiven Kirchen sind meist leer
Der Titel des Buches „Leben statt Leere“ ist sehr provokativ: Er kann nämlich suggerieren: Einst, als die Kirchengebäude noch für Gottesdienste/Messen genutzt wurden, herrschte eigentlich Leere: Das ist sogar richtig, wenn man sich die Statistiken der Teilnahme am evangelischen Gottesdienst in einigen Städten und Dörfern anschaut: Da sitzen sonntags um 10 Uhr in vielen Gemeinden Berlins, Leipzigs, Hamburgs usw. nur einige wenige, ziemlich weit voneinander, in den Bänken. 3,3% der Protestanten in Deutschland setzen sich sonntags um 10 in die Kirche. Es gibt in Brandenburgs Dörfern beheizbare „Winterkirchen“ innerhalb der großen Kirchen. „Winterkirchen“ sind die Zimmerchen gleich am Eingang: Die dort aufgestellten 20 Stühle sind treffender Ausdruck der erwarteten TeilnehmerInnen von „Sonntags um 10 oder 11“. An der katholischen Sonntags – Messe nehmen im Erzbistum Berlin etwa noch etwa 8,5 % der Gläubigen teil. Aber auch hier gilt, zumindest in Berlin: Nach den Gottesdiensten werden die Kirchen verschlossen, weil auch kein „Freiwilliger“ mehr da ist, der „aufpasst“ und mögliche Diebe vertreibt. So stehen die großen Kirchen während der Woche also leer herum, die tatsächliche „Nutzungszeit” beträgt wahrscheinlich nur etwa 4 Stunden pro Woche, wenn man Orgelkonzerte, Taufen oder Trauungen zu den Gottesdiensten mitzählt. Gäbe es nicht die immer noch sehr gut „besuchten“ Heilig – Abend Gottesdienste, sähe die Jahres – Statistik zum Gottesdienstbesuch sehr düster aus.
Darum ist der Titel „Leben statt Leer“ treffend: Die vorhandenen Kirchengebäude stehen wirklich fast immer leer herum. Und selbst tagsüber offen gehaltene Kirchen stehen zu Zeiten leer, wo sie eigentlich genutzt werden könnten: Hier in Berlin – Schöneberg, wo ich lebe, sitzen sehr viele junge Leute an jedem Sommerabend auf Grünanlagen vor der Apostel -Paulus – Kirche, sie trinken und plaudern und lachen, eine Art kleine Oase. Die Kirche, schließt um 18 Uhr. Aber dann beginnt erst das turbulente Leben im unmittelbaren Umfeld der Kirche… In Paris habe ich einst so genannte „Nacht-Kirchen“ – offen meist am langen Wochenende- kennengelernt und für die ARD dokumentiert, wie die Kirchen St. Gervais, St. Severin, St.Leu usw… Sie waren bis über Mitternacht hinaus offen. Heute zwingt der „Vandalismus“ in den Kirchen zu früher Schließung… Vielleicht sind die Kirchen sogar ein ganz kleines Bißchen froh, weil sie heute keine ehrenamtlichen MitarbeiterInnen, „Aufsicht“, mehr haben. Damals waren die Gemeindepfarrer in ihren Nachtkirchen anwesend.

8. Viele schöne Fotos umgewandelter Kirchen
Das Buch „Leben statt Leere. Überlegungen und Anregungen zum Umgang mit alten Kirchen“ enthält auf 240 Seiten 28 Essays. Genauso wichtig aber ist: Das neue „Leben“ der Kirchen wird auf mindestens 60 ganzseitigen Farbfotos so anmutig und so schön präsentiert, dass man eigentlich denken kann: Prima, dass diese Kirchen nun keine expliziten Gotteshäuser mehr sind. Die umgebauten Kirchen sind jetzt sehr lebendige Häuser, etwa prächtige Buchhandlungen oder angenehme Kindergärten oder hübsche Theater oder gar nicht so bescheidene Kleiderkammern für Arme, auch die Jugendherbergen sind beachtlich, erstaunlich, dass einige Kirchenfenster und dezent erhaltenen Kreuze den Früstücksraum schmücken. Man möchte also meinen: Endlich haben diese einst grauen, selbst sonntags fast leeren und während der Woche fast immer verschlossenen Kirchen/Gotteshäuser eine sympathische, so menschliche, durchaus progressive Ausstattung erhalten… Und man wird Theologen fragen, ob sie diese Entwicklung ebenfalls sympathisch und entzückend finden können und – normativ betrachtet – finden dürfen.

9. Wer oder was ist schuld an den Kirchenschließungen?
Wer stellt eigentlich noch in kirchlichen und theologischen Kreisen die provozierende, aber sehr berechtigte Frage: Wer oder was ist eigentlich schuld daran, dass so viele Kirchen „überflüssig“ geworden sind? Soweit ich sehe, wird dieses Thema in dem Buch bedauerlicherweise nicht bearbeitet. Wer nach einer Antwort sucht: Man wird doch theologisch nicht im allgemeinen „die“ Säkularisierung oder „die“ Moderne dafür verantwortlich machen, dass nun so viele Kirchengebäude für die Kirchen selbst überflüssig geworden sind. Denn Tatsache ist: Beide Kirchen hatten und haben immer Jahresetats von vielen Milliarden Euro aus Kirchensteuereinnahmen. Der katholische Theologe Konstantin Manthey nennt in seinem Beitrag die Zahl von „fast zwei Millionen Kirchenangestellten“ heute (S. 125). Darf man fragen, was haben diese meist gut bezahlten Damen und Herren falsch gemacht, dass es zu einem solchen stetigen Kirchenaustritt von Millionen getaufter Christen kommen konnte und kann?

10. Die alte Dogmenwelt und die unverständlichen Gebete/Gesänge
Was würde ein sehr großes Wirtschaftsunternehmen tun, wenn es einen so miserablen „Erfolg“ erzielen würde wie die Kirchen, die Millionen Mitglieder verlieren, obwohl die finanzielle Ausstattung wirklich bestens war (und bis jetzt noch immer ist)? Aber der Rücktritt von Bischöfen oder EKD – Synodalen würde in dem Zusammenhang nicht mehr als richtiges Symbol eines „Schuldbekenntnisses“ sein. Aber die eigentliche „Schuld“ an der Misere der Kirchen ins Deutschland und Europa weist auf anderes, über das öffentlich, auch in der Theologie, kaum gesprochen wird: Es ist die nicht anders als aufgeblasen zu nennende uralte dogmatische Glaubenswelt der Kirchen; es sind die meist sehr altertümlichen Kirchen – Lieder und – Gesänge: Bezeichnenderweise haben die Katholische Bischöfe der Niederlande und Deutschlands fast all Lieder des niederländischen Theologen Huub Oosterhuis als Mess-Gesänge verboten. Diese Lieder sind aber wohl die einzigem, die ein denkender Christ heute noch singen kann.. Schuld sind auch die intellektuell kaum nachvollziehbaren Gebete und Fürbitten; die erstarrten Liturgien/Messen oder das „Trallala“ mancher Kindergottesdienste, all das hat den Abschied so vieler hundert tausend kritischer und denkender Menschen aus den Kirchen beschleunigt.
Wer hat als Teilnehmer der Messe nicht schon oft den Eindruck gehabt: Das ist doch alles immer der selbe Ritus, dieses reglementierte Auf und Ab von Hinknien, Aufstehen, Sitzen, standardisiert antworten auf standardisierte Aufforderungen und Gebete des Priesters. Und dann auch dies noch: Das Sprechen eher sinnloser Texte: Etwa vor dem Empfang der Kommunion (!) müssen die Gläubigen diese Worte sprechen: „Herr ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach“… Wo bitte ist denn „mein Dach“, unter dem ich die Kommunion nun erhalte und verzehre…. Antiquierte Redeweisen in den Messen bis heute: „Der Herr sei mit euch.“ „Und mit deinem Geiste…“ Wer sagt denn so was, muss Kirchensprache derart aus der Zeit fallen? Das ertragen die Leute einfach nicht mehr. Tausend Beispiele wären möglich, aber schon diese Hinweise zeigen: Sie haben sehr wohl mit den leeren Kirchen zu tun, mit den sich ständig leerenden Kirchen besser gesagt.
Das fehlt leider in dem Buch „Leben statt Leere“: Die ausgearbeitete selbstkritische Erkenntnis: Die Kirchen sind selbst schuld, dass sie jetzt auf ihren vielen überflüssig gewordenen Kirchengebäuden sitzen und diese dann abstoßen müssen.

11. Die fixierten Holzbänke aus den Kirchen endlich entfernen!
Ein weiterer Grund für die Leere der Kirchen, für die Abweisung kirchlicher Angeboten den alten Gotteshäusern: Diese Kirchen sind als Treffpunkte der Gemeinde schon von der Anordnung der Sitzgelegenheiten eine Katastrophe: Alle schauen nach vorn, meist auch nach oben, zum Altar, zu den unersetzlichen Priestern oder dem evangelischen Pfarrer, der manchmal noch in die Höhen der Kanzel zur 30 Minuten Predigt klettert. Und „alle“ schauen in die Höhe der Wahrheit … Noch wichtiger: Es sind diese wirklich widerlichen, fest verankerten Holzbänke, die nicht das geringste Gefühl von Kommunikation oder Wohlfühlen aufkommen lassen. Ich wage die These: Hätten die Gemeinden spätestens vor 50 Jahren die fest verankerten Holzbänke aus den Kirchen rausgeworfen und durch Stühle bzw. Sessel oder Polster oder bequeme Sofas ersetzt, Sachen also, die man auch in einen Kreis hätte stellen können zum Gottesdienst, dann hätte sich Kirche als sympathischer, einladender freundlicher Raum einer Gemeinde, einer „großen Familie“, bewiesen. Warum soll man das für die Menschen oft ungemütliche, weil kritisch – störende Evangelium Jesu von Nazareth nicht auf gemütlichen Stühlen verstehen können?

12. Die Kirchenführung zerstört die Idee „Kirchengemeinde in der Nachbarschaft“
Wenn sich die Kirchen jetzt und in naher Zukunft von vielen Kirchengebäuden trennen müssen, dann wird für die noch Interessierten – und das sind oft ältere Menschen – die bequeme Erreichbarkeit von Kirchen und Gemeindezentren fast unmöglich gemacht, es sei denn man nimmt lange Busfahrten in Kauf, um noch eine Kirche zu finden, in der die Messe gefeiert wird. Die gute und bequeme Erreichbarkeit von Kirchen und Gemeindezentren ist HEUTE um so dringender, wenn man an die vielfach dokumentierte Einsamkeit sehr vieler Menschen gerade in den großen Städten denkt: Wenn es denn offene, d.h.freundliche, wenig dogmatische Gemeinden gäbe, dann wären diese Gemeinden von hohem Wert gerade für „das seelisch wie politisch Beste einer Stadt“, nämlich die Pflege des Miteinanders. Aber alles wird gerade jetzt von den Kirchen selbst zerstört: Im Erzbistum Berlin etwa gilt das Konzept mit dem höchst fragwürdigen Motto: „Wo der Glaube Raum gewinnt“: Das bedeutet in Wahrheit: „Liebe (ältere, einsame) Gläubige gewöhnt euch an große weite Räume, wenn ihr noch eine katholische Kirche oder ein Gemeindehaus sucht. Kirchliche Nachbarschaft ist ab sofort ausgeschlossen.“
So sehr man auch in umgewandelten Kirchen und deren Bücherstuben oder Cafés oder Kleiderkammern über den Sinn des Lebens beiläufig reden kann: Eigentlich sollten Kirchengemeinden Orte der qualifizierten, freien und offenen Sinnsuche sein, der Frage nach dem Sinn des Lebens, Liebens und Arbeitens, der ungerechten Gesellschaft und der Klimakatastrophe, der Frage nach dem Sinn von Leiden, Sterben und Tod. Sicher haben die Kirchengemeinden gar nicht mehr dieses qualifizierte Person für Gespräche über diese auch therapeutischen Fragen… , insofern ist wohl realistisch, wenn die Kirchen mangels qualifizierten Personals ihre Kirchen verkaufen und „umwandeln“.

13.
Obwohl die vielfältigen Formen der Umwandlung von „überflüssigen“ Kirchen beide großen Konfessionen betrifft, beziehen sich in dem Buch, soweit ich sehe, nur drei katholische AutorInnen auf entsprechende Erfahrungen und Einsichten ihrer Kirche. Dabei ist klar: An einer ökumenischen Zusammenarbeit bei Verkauf und Umwandlung der Kirchen via Internet oder Ebay mangelt es immer noch, berichtete kürzlich (September 2025) das genannte „Plus- Minus“ Magazin der ARD.

14. Erzbischöfe in Berlin setzen auf teure Repräsentativ -Kirchen.
Wir wollen hier nur auf den Beitrag des katholischen Theologen und Kunsthistorikers Konstantin Manthey, Berlin, hinweisen. Er spricht erstaunlich kritisch über das Verhalten der Kirchen, also auch der katholischen Kirche, zu unserem Thema, er spricht von „Schockstarre“ und von der Obsession der „Besitzstandswahrung“.
Sehr wichtig ist der Hinweis Mantheys: Es werden in Berlin keine neuen Kirchen oder wenigstens kleine Gemeindezentren gebaut in Berlins 23 (sic) neuen Stadtquartieren mit vielen tausend Bewohnern: „Nirgendwo ist dort bisher ein kirchlicher Ort vorgesehen, ein christlicher Raum für Zusammensein und ähnliches…“ (S. 127).

15.
Ist wirklich kein Geld da, um wenigstens einige kleine religiöse oder theologische Salons anzumieten als Treffpunkte für religiös Interessierte, die es ja sicher auch in den neuen Stadtquartieren geben wird?
Tatsache ist: Geld haben die Kirchen heute noch sehr reichlich, das lässt sich etwa am Beispiel des Erzbistums Berlin: Das wird allerdings von Konstantin Manthey nicht dokumentiert: Die Rede muss also sein über die vielen Millionen Euro, die für die – eigentlich unnötige – Total- Renovierung der St. Hedwigskathedrale ausgegeben wurden: „Mit 44,2 Millionen Euro wurden die 2016 prognostizierten Gesamtkosten für den Umbau der Bischofskirche nur um rund 4 Millionen Euro überschritten“, heißt es im Erzbistum. Konkret: Zwölf Millionen Euro kamen vom Bund und acht Millionen Euro vom Land Berlin für den Umbau der Kathedrale, 28 Millionen Euro muss also die Kirche selbst bezahlen. Und zum Neubau des Bischofshauses und eines Kirchenzentrums, direkt neben der Kathedrale, „Bernhard Lichtenberg Haus“ genannt: „Hier waren zu Beginn 17 Millionen Euro veranschlagt worden, inzwischen rechnet das Erzbistum jedoch mit nahezu verdoppelten Kosten von 33,8 Millionen Euro – für die das Hauptstadtbistum zudem allein aufkommen muss.“ Quelle: LINK.

Schon 2024 hatte der “Tagesspiegel”  nachgewiesen: In Berlin ist der Bodenbesitz aller religiösen Gemeinschaften laut Liegenschaftsplan  mit 1.206 Hektar anzugeben. Das sind 1,3% der Stadtfläche, der evangelischen und katholischen Kirche gehört der größte Teil der Liegenschaften, wie der “Tagesspiegel” erneut am 1.10.2025, Seite 4 im Berlin – Heft berichtet. 1.206 Hektar sind etwa 12 Quadratkilometer im Besitz der Religionen, der Kirchen. Der Vatikan-Staaat hat 0,44 Quadratkilometer Fläche, der Berliner Bezirk Schöneberg 12,2 Quadtratkilometer.

16. In den Wohnbezirken verschwinden katholische Gemeinden
Die angeblich arme katholische Kirche Berlin setzt also auf Repräsentativ-Bauten in der Innenstadt, interessant für Touristen vor allem, die „Unter den Linden“ flankieren oder zum Humboldt – Forum eilen… Um an das nötige Geld zu kommen, werden von den Erzbischöfen Berlins Gemeindezentren und Kirchen in den dicht bewohnten Bezirken aufgegeben oder verkauft, wie etwa nun die Gemeinde mit großer Kirche im „Katharinenstft” (mit einem Kloster der Herz – Jesu – Priester) in Prenzlauer Berg.Über den Verkauf des Katharinenstiftes, auf einem „Filetgrundstück“, hat der Journalist Patrick Pohl am 14.7.2025 auf seiner website berichtet. Oder: Die St. Albertus Magnus Kirche im bevölkerungsreichen Wilmersdorf: „Die 61 Jahre alte St. Albertus-Magnus Kirche in Wilmersdorf/Halensee wurde schon im November 2023 geschlossen, von einer neuen Nutzung ist noch immer nichts zu sehen, Quelle: „Tagesspiegel“ am 8.9.2025. Alsbald wird wohl die St. Kamillus Kirche in Charlottenburg mit einem integrierten „Altenheim“ verkauft.
Mit anderen Worten: Die Kirchenleitung nimmt den Menschen die nahe Erreichbarkeit ihrer altvertrauten Gotteshäuser und Gemeindezentren zugunsten von Millionen teuren Renovierungen und Neubauten von Repräsentativgebäuden. Die Kirche will offenbar noch groß und mächtig und modern nach außen erscheinen…
Wie viele Kirchen ließen Berlins katholische Bischöfe schon abreißen oder verkaufen? Wir nennen nur: St. Raphael in Gatow, Bezirk Spandau), St. Agnes in Kreuzberg., St. Johannes Capistran Tempelhof. Erstaunlich, dass der in der Katholischen Akademie Berlin angestellte Theologe Konstantin Manthey von all den genannten Zusammenhängen keine Silbe verliert.

Auch im Bistum Dresden – Meißen setzen die Kirchenoberen auf repräsentative Bauten: Ca. 19.000 Katholiken sind zwischen 2014 und 2024 dort aus der Kirche ausgetreten, die Zahl der Katholiken im Bistum Sachsens beträgt noch 128.000. Trotzdem die Kirchenführung baut für 49 Millionen Euro einen riesigen kirchlichen Verwaltungsneubau in Dresden, Eröffnung 2025. LINK 

Nebenbei: Es gibt inzwischen bei wikipedia einen eigenen Beitrag über die vielen „profanierten Kirchen“ im Erzbistum Berlin: LINK

17. Wann werden in Deutschland Kirchen in Moscheen umgewandelt?
Eine eigentlich dringende Frage wird überhaupt nicht öffentlich erörtert, weder in dem genannten Buch noch in anderen Publikationen oder etwa in Akademieveranstaltungen. Die Frage ist: Warum werden leerstehende Kirchen nicht muslimischen Vereinen zum Umbau als Moschee angeboten? Man könnte auch denken. Warum nicht auch jüdischen Gemeinden zum Umbau in eine Synagoge. Aber für Neubauten von Synagogen ist ja gut gesorgt.
Warum also keine zu Moscheen umgewandelten Kirchen? Man muss als Antwort nicht lange spekulieren: Weil Muslime in Deutschland immer noch unter einem ungerechten Generalverdacht des Radikalen stehen. Weil „der Islam nicht zu Deutschland gehört”, wie einzelne CSU Politiker (wie Horst Seehofer, 2018 und zuvor schon der CDU Ministerpräsident Sachsens Stanislaw Tillich schon im Januar 2015 in einem Interview mit „Die Welt“) sagten: LINK https://religionsphilosophischer-salon.de/6160_der-islam-gehoert-nicht-zu-deutschland-wenn-das-logische-denken-versagt_denkbar
Diese pauschalen und dummen Sprüche „Der Islam gehört nicht zu Europa“ war und ist wohl die beste Werbung einiger CDU CSU Politiker für die AFD…

18. In Amsterdam: Von der St. Ignatius Kirche zur Moschee
Ich kenne nur ein Beispiel dafür, dass tatsächlich einmal eine katholische Kirche in eine Moschee verwandelt wurde. Das hat sich im toleranten Amsterdam ereignet: 1971 haben die Jesuiten an der Rozengracht 150, ganz in der Nähe des Anne – Frank – Hauses, ihre St. Ignatiuskirche aufgegeben müssen: Dann geschah ein interessantes Intermezzo: Die Kirche wurde kurzfristig in einen Teppich-Laden umgewandelt und erst danach, im Jahr 1981, von der Islamischen Stiftung Fatih (Islamitische Stichting Nederland Fatih Amsterdam) erworben und als Moschee eingerichtet. Ein unmittelbarer Übergang von Kirche zu Moschee war selbst in Holland wohl „zu viel des Guten“. Dabei reden doch viele christliche Theologen eigentlich ständig von der Gemeinschaft der drei monotheistischen Religionen, aber man belässt es lieber im unverbindlichen akademischen Milieu. Seit 1981 trägt die auch von außen noch wahrnehmbar ehemalige Kirche also offiziell den Namen „Fatih-Moschee“. Die Leistung der Moschee dort hat mir selbstverständlich Filmaufnahmen für meine Dokumentation fürs Erste über die Religionen in Amsterdam gestattet. LINK

19. Kirchen werden den Buddhisten oder Humanisten überlassen.
Wenn es den Kirchen ernst ist mit einem umfassenden ökumenischen und interreligiösen Dialog: Warum bieten sie ihre überflüssigen Gotteshäuser nicht auch Buddhisten an, warum nicht auch dem „Humanistischen Verband“, der ja bekanntlich gute Sozialarbeit leistet? Aber schon diese unsere Frage werden „kirchenleitende Herrschaften“ als utopisch zurückweisen. Nebenbei: Wie viele Kirchen wurden an fundamentalistische „freie charismatische Gemeinden“ verkauft? Diese sind bekanntlich in ihrer Lehre gefährlich, “nur” für die seelische Gesundheit der “Gläubigen”??? Man schaue sich heute diese machtvollen, z. T gewalttätigen fundamentalistisch – evangelikalen Kreise in den USA des Mister Trump an….

Zur weiteren Information siehe auch die website Aktion Kirchenabriss: https://www.moderne-regional.de/listing-category/hashtag-kirchenabriss/

Das genannte Buch „Leben statt Leere. Überlegungen und Anregungen zum Umgang mit unseren Kirchen“ wurde u.a von Klaus -Martin Bresgott und Johann Hinrich Claussen herausgegeben. Das Buch ist über Kulturbüro der EKD zu beziehen: Kulturbüro des Rates der EKD, Auguststraße 80, D-10117 Berlin, https://ekd-kultur.de/. kultur@ekd.de

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de

 

 

Caspar David Friedrich: Seine Spiritualität und … warum er Kirchen als Ruinen malte.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 1.7.2023.

Siehe unten, Nr. 14, eine aktuelle Ergänzung, publiziert am 8.3.2024

Siehe auch unsere aktuelle Buchempfehlung vom 5.8.2024: LINK

Caspar David Friedrich: Klosterfriedhof im Schnee
Caspar David Friedrich: Klosterfriedhof im Schnee

Das Thema ist alles andere als abwegig in Zeiten des konfessionellen und religiösen Umbruchs nicht nur in Deutschland. In West – und Süd- Europa verlassen Millionen Christen, vor allem Katholiken, Mitglieder ihre Kirchen. Zurückbleiben nicht mehr genutzte Kirchen-Gebäude, vielleicht Ruinen.
Der Maler Caspar David Friedrich (1774-1840) hat in seinem umfangreichen Werk auch einige bedeutende Gemälde geschaffen, die Kirchen und Klöster als Ruinen zeigen. Diesem Thema gilt es, mit einigen Hinweisen nachzugehen. Bei Caspar David Friedrich gibt es eine gewisse Trauer über den ruinösen Zustand der Kirchen. Heute hingegen werden verlassene Kirchen und verfallene „Gotteshäuser“ kaum noch „betrauert“, sondern als (finanzielle) Last empfunden. Und selbst wenn man sich , wie in Brandenburg, um verfallene Dorfkirchen kümmert und etliche restauriert, weiß die Kirchenleitung nach der umfassenden Sanierung oft nicht, wozu man diese hübsch gewordenen Kirchlein denn nun eigentlich nutzen soll. Denn Kirchen-Gläubige gibt es in (den Dörfern) Brandenburg(s) fast nicht mehr. Und für eine ausschließlich „kulturelle Nutzung“, also „Säkularisierung“, fehlt oft der Mut. Zum Beispiel: Brandenburg: LINK.   Ein hochinteressanter Bild-Band über verfallene Kirchen in Europa: LINK

1.
Caspar David Friedrich wird bald im Mittelpunkt kultureller Aufmerksamkeit stehen. Sein „Gedenktag“ bzw. „Feiertag“ naht: Der 250. Geburtstag. Am 5.9. 1774 wurde Friedrich in Greifswald geboren, angesichts der hohen Beliebtheit des Malers werden wir zweifellos mit einer Fülle von Ausstellungen und Publikationen „bedient“ werden.
Manche Motive seiner Gemälde haben sich so tief bei vielen eingeprägt, dass sie etwa im Erleben verdorrter, erstorbener Eichen im Winter diese nur noch mit der „Brille“ Caspar David Friedrichs sehen und deuten können… Ein tolle Rezeptionsgeschichte…
Schon jetzt, im Vorfeld der „kulturellen Erregung zugunsten von „C.D.F.“, ein Hinweis auf ein Thema, das wesentlich ist in Friedrichs Denken und Schaffen: Die verfallenen Kirchen und Klöster, die Ruinen also, die er oft auch in eine eisigen Winterlandschaft stellt. Die Ruine ist bei Friedrich mehr als ein Zitat der Vergangenheit, mehr als ein Thema der Architekturgeschichte.

2.
Man möchte – religionsphilosophisch – empfehlen, die Ruinen – Gemälde Friedrichs in Ruhe zu betrachten, sie zu studieren. Sie geben zu denken – über den ruinierten Zustand der Kirchen damals wie heute. Wo sind die Auswege? In der Natur-Erfahrung?
Für diese Bildbetrachtungen – zumal für jene, die noch nicht mit Friedrichs Arbeiten vertraut sind – , ist der Band „“Friedrich“ von Norbert Wolf aus dem Taschen-Verlag (96 Seiten) empfehlenswert.

3.
Der Philosoph Prof. em. Manfred Frank (Tübingen) hat sich in einem Aufsatz mit den Bildern Caspar David Friedrichs auseinandergesetzt, die Kirchen und Klöster als Ruinen zeigen. Der Titel: „ Religionslose Kathedralen im `ewigen Winter` der Moderne.“ Manfred Frank ist ein Spezialist der philosophischen Entwicklung der Frühromantik als „Denkraum“ (1789 – 1796). Auch deswegen hat er seinem Aufsatz (bzw. Vortrag in Hamburg 2008) den zusätzlichen Untertitel gegeben „Caspar David Friedrich im frühromantischen Kontext“. Es lohnt sich, etwas ausführlicher den Erkenntnissen Manfred Franks zu folgen.

4.
Caspar David Friedrich hat die Gemälde und den Geist der damals beliebten „Nazarener“ (und Lukas-Brüder) heftig kritisiert „und mit beißendem Spott überzogen“ (S. 113). Friedrich empfindet es unpassend, wie die Nazarener „frömmeln“ mit „ihrer nicht mehr zumutbaren infantilen Scheinheiligkeit“ (S. 117). Mehr noch: Diese Nazarener instrumentalisieren die Religion „zum Einschläfern des gesunden Menschenverstandes“ (S. 118). In seinen „Bekenntnissen“ schreibt Friedrich: „Man lästert die gesunde Vernunft und belügt sich und andere, als glaube man das Unglaublichste, und das nennt man echte Religiosität“ (zit. S.119).

5.
Etliche Gemälde Friedrichs zeigen das, was viele damals schon (wie heute auch) nicht wahrhaben woll(t)en, den ruinierten Zustand des kirchlichen Glaubens. Nebenbei: Es sind ja bei religiösen Themen nicht immer explizit christliche Motive, die Friedrich malt, man denke an die „Hünengräber“ oder an den „Junotempel von Agrigent“. Sind sie nur Zufallsprodukte künstlerischer Vielfalt oder Hinweise auf eine Spiritualität außerhalb des Christentums?
Aber es gilt wohl die Erkenntnis: „An der Religiosität und christlichen Überzeugung Caspar David Friedrichs ist sowenig ein Zweifel angebracht wie an seinem sogenannten Patriotismus“ (S. 114). Und dieser Patriotismus galt den Idealen der Freiheitskriege, in Verehrung für Stein, Görres, Arndt … Friedrich also ein progressiver politischer Denker…

6.
Darauf kommt es an: Friedrich stellt „den Glaubwürdigkeitsverlust der übersinnlichen Welt, eine Entzauberung des Himmels“ dar (S. 122).„Einige von Friedrichs Bildern zeigen Endphasen einer solchen Desillusionierung: Im Packeis gescheiterte Expeditionsschiffe, im Frost ziellos sich verlierende Wege, ruinierte Kirchen in Schnee und Eis inmitten entlaubter Wälder, Mönche beim Begraben ihrer Toten in kaltstarrenden Böden“ (S. 122).

7.

Manfred Frank meint in einer rhetorischen Frage: „Kommt hier nicht eher Trauerarbeit zum Ausdruck“. Trauerarbeit also, die „an dem wunderbar strahlenden, aber grenzenlos leeren Himmel (sky, nicht heaven) fühlbar macht, was sie (diese Kirchen etc.) einer Menschheit einst bedeuteten, die darauf ihre Hoffnung setzte“ (S. 122). Es ist also ein Verlust der Erfahrung des Heiligen festzustellen und künstlerisch auszudrücken.

8.

Kunst und Dichtung können den Verlust des Heiligen wachhalten, betont der Philosoph Manfred Frank. Es diese Überzeugung, die auch Caspar David Friedrich teilt. In der Frühromantik gilt, dass menschliches Selbstsein „einem transzendenten Grunde sich verdankt, der sich nicht in die Immanenz des Bewusstsein auflösen lasse“ (S. 131). „Hölderlin spricht von einem Sein, das wir nicht erkennen, das wir aber als Fundament unseres Selbstwissens in Anspruch nehmen müssen, sofern wir Selbstwissen für eine Tatsache des Bewusstseins halten“ (S 128 f.).
Das heißt: Die Nichterkennbarkeit des Absoluten, die Nicht – Durchschaubarkeit des Absoluten, das Nicht – Umgreifen des Absoluten durch den Menschen… ist also die zentrale Überzeugung der Frühromantik.

9.

Und diese Überzeugung gilt auch für Friedrich: „Der Sache nach ist er ein Künstler, ja auch ein Denker, der Absolutes als ein ebenso Unaufgebbares wie Unerreichbares anzielt“ (S. 132).
Manfred Frank weist darauf hin, dass Friedrich mit Schleiermacher am 12. September 1810 ein Gespräch zu den Thema führte, „vermutlich gerade über diesen Gegenstand: die Darstellung des Undarstellbaren und die absolute Abhängigkeit des Menschen von Gott – wobei zu bemerken ist, dass Schleiermacher auf den in unserem Sprachgebiet zur Bezeichnung des Woher unseres Abhängigkeitsgefühls eingebürgerten Ausdruck (Gott) NICHT besteht…Das Gespräch mit Schleiermacher fand im Umfeld der Arbeiten Friedrich am „Mönch am Meer“ und „Abtei im Eichwald“ statt, die er Schleiermacher fast vollendet vorstellen konnte“ (S. 133 f.)

10.

Caspar David Friedrich hielt an der Religion fest, auch am Christentum, aber inhaltlich gedacht als eine Utopie, weil „die alte Kirche ruiniert, funktionsuntüchtig, in lebensfeindlichem Eis angesiedelt“ ist (S. 143). Wo wird diese Utopie sichtbar? Sie kann nur geahnt werden in der Auseinandersetzung mit dem Vorhandenen. Im Gemälde „Abtei im Eichwald“ überrascht die „wunderbar erlöschende Glut eines grenzenlos weit und leer gewordenen Himmels daran, dass es einmal eine Menschheit gab, die auf ihn ihre Hoffnung gesetzt hatten nun, im Zeitalter der allgemein gewordenen Entfremdung des Menschen vom Menschen keinen Ersatz mehr dafür weiß“ (S. 147).
Und Manfred Frank schlägt vor, einige Gedichtzeilen Friedrichs auf das Gemälde „Abtei im Eichwald“ zu beziehen. Es zeigt auch einige Mönche, wie sie zu der Ruine laufen, die tot wirkenden Bäume im Winter vor Augen. Caspar David Friedrich schreibt:

„Ja, ich sehe durch der Bäume Schimmer
Schwache Hoffnung, matten Schimmer
Weh mir, weh: es sind die Trümmer
Längst vergangener Herrlichkeit“
(S.149 in Frank, zit. in Friedrich, „Bekenntnisse“, S. 58, Leipzig 1924)

11.

Auswege für eine Spiritualität der Zukunft sieht Friedrich – das wird in vielen seiner Arbeiten deutlich – in der stillen Betrachtung der Natur in der Landschaft. Sie wird förmlich als „eine noch unverbrauchte Bildgattung für christliche Gedanken tragfähig gemacht“, wie Werner Hoffmann in seinem Ausstellungskatalog zu Caspar David Friedrich in der Kunsthalle Hamburg 1983 schreibt.
Die Hochachtung Friedrichs für die Natur der Landschaft ist unübersehbar. Nur im achtsamen Erleben der Landschaft, der Natur, des Mondes, kann ein neues persönliches lebendiges religiöses Gefühl entstehen. Man betrachte die Gemälde „Gebirgige Flusslandschaft“, „Meer mit aufgehender Sonne“, “Mondaufgang am Meer“, Elbschiff im Frühnebel“, „Ziehende Wolken“, „Mann und Frau in Betrachtung des Mondes“ usw… Die überlieferten christlichen und kirchlichen Symbole sind verschwunden, haben sich überlebt. Wirksam ist für Friedrich nun das subjektive religiöse Erleben des Künstlers in der und mit der Landschaft, der Natur…Er stellt seine eigenen Einsichten in seinen Werken dar – ganz anders als die Nazarener, nämlich unabhängig von jeglicher kirchlicher Verwendung oder Propaganda.

12.

Friedrichs Arbeiten können auch heute ein Impuls für den einzelnen sein, die eigene Spiritualität zu entdecken – in der Natur, im Stillwerden, in der Betrachten, im Rückzug… Und heute ist entscheidend die Trauer über die von Menschen zerstörte, mißhandelte, kommerzialisierte nur noch so genannte Natur.

13.

Wird eine von der Kunst bewegteTrauer zu einer politischen-ökologischen Neuorientierung förmlich in letzter Minute führen? Man kann nur auf einen Übergang von ästhetischer Erfahrung zur politischen Aktion hoffen. Selbstverständlich oder üblich ist dieser Übergang allerdings nicht. Auch die Kirchen haben mit ihrer „absoluten – göttlichen Botschaft“ diesen Übergang zum politischen und ökologischen Handeln wirkungsvoll nicht geleistet. Oder hat sich etwa in der sogenannten christlichen und kirchlichen Welt die Naturmystik und der Natur“schutz“ à la Franz von Assisi politisch – ökologisch durchgesetzt?

14.

Weitere aktuelle Hinweise zur Spiritualität Caspar David Friedrichs und seinen “Kirchen als Ruinen” (veröffentlicht am 8.3.2024).

Die „Biografie über Caspar David Friedrich“, die Boris von Brauchitsch im Insel Verlag 2024 veröffentlicht, ergänzt und korrigiert unsere Hinweise zu einer gewissen Vorliebe Friedrichs für Kirchengebäude als Ruinen.

Von Brauchitsch zeigt: Caspar David Friedrich hat sich auch als Innenarchitekt bemüht, im Jahr 1818 bei der Gestaltung der Marienkirche in Stralsund konstruktive Vorschläge zu machen. Friedrich wollte unbedingt „formlosen Hausputz“ und „Überladungen“ im Innern der Kirche vermeiden (S. 184). Mit einem einzigen Blick sollten die in die Kirche Eintretenden sogleich das Ganze überschauen. Nur auf die Weise dieses Erlebens seien alle Kirchenbesucher wirklich als gleichwertige Menschen und gleichwertige Christen respektiert. „Alle sollen ebenbürtig sein, die sich in der Kirche versammeln“ (vgl. S. 184). Darin äußert sich der politische, den Freiheitsideen verpflichtete Caspar David Friedrich: „Der Reiche muss wenigstens an diesem Ort fühlen, dass er nicht mehr als der Arme ist. Und er Arme müßte den sichtbaren Trost haben, dass wir vor Gott alle gleich sind“ (S. 184). Nun ja, sehr revolutionär konnte diese Idee dann doch nicht sein, denn der Arme sollte ja nur den sichtbaren „Trost“ (sic) der Gleichheit aller Glaubenden und aller Menschen erleben.
Diese insgesamt konstruktiven Vorschläge Friedrichs wurden natürlich im Rahmen der Abhängigkeit der Kirche vom Staat damals abgelehnt.

Auch dies ist interessant:
Friedrich hatte weiterhin Interesse an der Gestaltung eines „idealen Ortes für die religiöse Andacht“ (S. 186), also für den Kirchenbau. Er dachte etwa an einen ovalen, überschaubaren Kirchenraum, „dem ebenfalls ein ovaler Platz vorgelagert ist“ (ebd.). „Dem Innenraum sollte somit ein gleichwertiger ovaler Außenraum zugeordnet sein, also dem Kulturraum ein Naturraum.“ (ebd.) „Umstehende Baumreihen verwandeln ihnen eine Art künstlicher Lichtung“ (ebd.).
Caspar David Friedrich als Architekt und Innenarchitekt muss also noch entdeckt werden? Wahrscheinlich.

In der wichtigen und empfehlenswerten Studie des ungarischen Literaturwissenschaftlers und philosophischen Autors László Földényi “Caspar David Friedrich” (Verlag Matthes und Seitz, Berlin 2024) äußert sich Földényi zu unserem Thema “Kirchen als Ruinen im Werk Friedrichs”. Földényi erinnert etwa an die Darstellung der Greifswalder Jacobikirche als Ruine, er schreibt: „Über die Kritik an der herrschenden Religion bzw. über die Vision einer kommenden Religion hinaus wird in diesen Bildern die Bemühung spürbar, glauben zu wollen. Dieses unbestimmte Begehren erträgt feste Bindungen jedoch nur schwer, keinerlei Kirche vermag es restlos aufzunehmen. Das unendliche Begehren, von dem Friedrichs Malerei grundlegend determiniert ist, stellt aber die Existenz gottes nicht so sehr in Frage wie gerade diese Gotteshäuser: Sie sind ästhetische Krypten, die nicht Glauben, sondern Tod ausstrahlen.“ (S. 123)

Ein kurzer Hinweis auf eine Interpretation des Werkes C.D.Friedrichs durch Johann Hinrich Claussen. Ergänzt am 24.8.2024:

Johann Hinrich Claussen hat als Theologe und Pastor den Titel “Kulturbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland.” Er ist auch Autor zahlreicher Bücher. Jetzt erschien von ihm “Eine Geschichte der chrstlichen Kunst.” Mit dem Ober – Titel “Gottesbilder”. Ch.H.Beck Verlag, 2024.

In dem Buch erwähnt Claussen auch Caspar David Friedrich (S. 229 – 233). Er zeichnet knapp dessen religiöses, theologisches Profil : “Friedrich verstand sich als frommen wie avancierten Protestanten, der eine Umformung des christlichen Glaubens ins Bild setzen wollte. In ihr verbanden sich Kritik und Konstruktion…Er löste sich von alten Glaubensbildern, um dem für ihn Wesentlichen eine neue Gestalt zu geben. In der Landschaftsmalerei konnte er auf zeitgemäße Weise religiöse Empfindungen darstellen und hervorrufen… Das Alte muss untergehen, damit Neues werden kann” (S. 232 und 233).

 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin