Der neue Roman von Julian Barnes „Elizabeth Finch“
Ein Hinweis von Christian Modehn.
Eine neue religionsphilosophische und theologische Debatte steht bevor: Die Diskussionen werden sich – wie manchmal schon zuvor – mit dem Rühmen des Polytheismus (Heidentum) befassen und der schon üblichen Verurteilung „des“ Monotheismus, also auch der christlichen Kirchen.
1.
Julian Barnes, weltweit bekannter englischer Autor und Essayist, hat einen neuen Roman publiziert: “Elizabeth Finch“ ist der Titel. Auf Französisch liegt der Roman schon seit dem 1. September. Deswegen hat „Le Monde“ Barnes in London besucht, einen langen Artikel veröffentlicht mit wichtigen Zitaten von Barnes (veröffentlicht am 26. August 2022, S. 12, in der Beilage „Le Monde des Livres“.) Der Roman “Elisabeth Finch” von Julian Barnes liegt nun (Mitte November 2022) auch auf Deutsch vor.
2.
Barnes zeigt sich in dem Beitrag als leidenschaftlicher Verteidiger des Polytheismus, für ihn identisch mit dem Heidentum. Und konsequenterweise als leidenschaftlicher Gegner „des“ Monotheismus. Das Christentum erwähnt er ausdrücklich, er denkt aber wohl auch an die beiden anderen monotheistischen Religionen, das Judentum und das Islam. Aber es ist wohl auch die Verachtung der gegenwärtigen Kirchen (auch der Kirche in England), die ihn zur Verurteilung des Monotheismus motiviert.
3.
Im Roman ist die Protagonistin, Elizabeth Finch, eine Kulturwissenschaftlerin, eine explizite Verehrerin des römischen Kaisers Julian Apostata: Er wandte sich als Christ wieder dem alten römischen und griechischen Glauben des Polytheismus bzw. dem Heidentum zu und wollte die sich herausbildende Vormachtstellung des Christentums zurückdrängen. Er lebte von 331 bis 363, als Kaiser regierte er von 360 bis 363, er starb am Tigris, damals im persischen Reich, im Kampf gegen das Sassanidenreich.
Die Begeisterung der Professorin Finch für den „abtrünnigen“ („Apostat“) Kaiser Julian wird von ihrem Schüler Neil erzählt. Er erinnert sich, wie Elizabeth Finch davon öffentlich sprach, wie der Monotheismus (gemeint ist das Christentum) eine Katastrophe für die Menschheit war, wie der Monotheismus als „Herrschaft und Korruption zur Auszehrung des europäischen Geistes führte“. Auch dies: Dass Julian Apostata moralisch viel höher stand als die ganze Reihe der Päpste. Und dass mit dem Ende des Heidentums, mit seinem Propagandisten Kaiser Julian, die Lebensfreude aus Europa verschwand…
4.
Sehr verwunderlich ist, dass Julian Barnes in dem Interview mit „Le Monde“ selbst sehr heftig Partei ergreift für den Polytheismus und das Heidentum. Zu Beginn gesteht Barnes: „Ich bin überhaupt nicht religiös, alle Religionen sind Fiktionen. Aber ich glaube, unter allen Religionen sind diejenigen, die sich auf den Polytheismus gründen, am besten erfolgreich“. Kaiser Julian Apostat habe mit seiner Toleranz gegenüber allen bestehenden, also heidnischen Religionen, so wörtlich, einen „Supermarkt der Religionen“ erfunden. Das findet Barnes gut, deutet das als Toleranz, laut „Le Monde“.
Das ist der Gipfel der Phantasie: Wenn Kaiser Julian Apostata länger gelebt hätte, dann hätte unsere Welt eine andere, eine bessere Richtung genommen. Julian hätte dann, so der Wunsch des Autors Barnes, das Christentum marginalisiert. Christliche Priester hätten nur noch „eine bescheidene Rolle gespielt neben den Heiden und Druiden, den Anbetern der Bäume usw.“ Dann „träumt“ (so wörtlich) sich der weltbekannte Autor Barnes laut „Le Monde“ in eine heidnische Welt, in der es dann aufgrund der angeblichen Toleranz des Heidentums keine Kriege gegeben hätte, eine bessere Förderung der Wissenschaft ebenso, behauptet Barnes. Und vor allem hätten die Menschen in einer Hoffnung gelebt, die sich ganz ausschließlich aufs irdische Dasein bezieht und nicht, so wörtlich, dem „absurden himmlischen Disneyland im Jenseits nach dem Tod“ geglaubt.
Julian Barnes erinnert sich in dem Gespräch mit Le Monde an die Romanschriftstellerin Anita Brookner (1928-2016), sie hätte so hübsch gesagt: „Monotheismus. Monomanie. Monogamie. Monotonie: Nichts Gutes im menschlichen Zusammenhang beginnt mit der Vorsilbe MONO“.
5.
Die Auseinandersetzung mit diesen Lobeshymnen auf Kaiser Julian Apostata und die angeblich enormen menschlichen und wissenschaftlichen Vorzüge des Heidentums, des Polytheismus, muss ausführlich geführt werden.
Es ist bekannt, dass der Polytheismus auch in philosophischen Kreisen ein gutes Ansehen genießt, man denke an an den Philosophen Odo Marquard, der 1978 einen vielbeachteten Vortrag hielt „Lob des Polytheismus“ (in: „Abschied vom Prinzipiellen“, Reclam, 1981, S. 91 -116). Man denke an die Vordenker der „Neuen Rechten“, etwa an den Franzosen Alain de Benoît, der auf Deutsch 1982 sein Buch „Heidesein. Zu einem neuen Anfang. Eine europäische Glaubensperspektive“ veröffentlichte (Graber Verlag in Tübingen). Zuvor war schon in dem genannten Verlag der Sammelband „Das unvergängliche Erbe“ erschienen, mit dem bezeichnenden Untertitel „Alternativen zum Prinzip der Gleichheit“ (herausgegeben von Pierre Krebs). Damit wurde schon im Untertitel angedeutet: Der zu überwindende Monotheismus, etwa das Christentum, setze stark auf das Prinzip der prinzipiellen rechtlichen Gleichheit aller Menschen. Und das wollen die genannten Herren rund um Alain de Botton nun gar nicht. Antisemitismus und Heidentum/Polytheismus gehören oft zusammen…
6.
Auch das gilt: Der Monotheismus kann selbstverständlich nicht pauschal verteidigt werden. Monotheistisch-fromme Menschen, etwa Christen, Theologen, Päpste usw .haben im Laufe der Kirchengeschichte ihre Haltung bewiesen: „Wir besitzen die absolute Wahrheit, und wir drängen diese unsere absolute Wahrheit allen anderen auf, durch Kolonialismus, Mission, Bekehrung“. Da hat sich also die Überzeugung durchgesetzt, subjektiv etwas Wahres erkannt zu haben, total auf objektive Welt, in die Gesellschaft, die Staaten übertragen. Und die Kirchen als Institutionen haben die nur für den einzelnen Menschen privat mögliche absolute Wahrheit ins Objektive, ins Allgemeine, als allgemeine Lehre, übertragen. Und dann begann die Katastrophe des Kolonialismus usw.
7.
Es muss hier nicht ausführlich besprochen werden, dass selbstverständlich innerhalb des Monotheismus, also der Kirchen, einzelne und Gruppen lebten und leben, die den Respekt der universalen Menschenrechte über ihre subjektive Glaubensform stellen. Man denke an Franz von Assisi oder auch an den Verteidiger der Indigenas, Pater Bartolome de las Casas.
Eine pauschale Verurteilung des Monotheismus, wie sie Julian Barnes versucht, ist schlicht und einfach historisch falsch. Genauso, wie es auch falsch ist, den Polytheismus pauschal gut und prächtig zu finden. Tatsache ist, dass heidnische Religionen, man denke an die Azteken, in ihrer rituellen Praxis nicht gerade ein Inbegriff der Menschlichkeit und Sanftheit waren. Ob der polytheistische Hinduimsus pauschal so menschenfreundlich ist, bleibt angesichts der jetzigen Hindu-Nationalisten sehr fraglich. Und ob die germanischen heidnischen Stämme einst nun große wissenschaftliche Leistungen hervorgebracht hätten, wie Barnes hofft, ist auch fraglich.
Und kann man heute gar nicht davon davon absehen, dass viele Soziologen und Politologen von den neuen Göttern des Kapitalismus und Neoliberalismus sprechen, Götter, die das permanente Wachstum gebieten und die Herrschaft der „Alternativlosigkeit“ predigen. Diese neuen materiellen Götter des polytheistischen Kapitalismus haben bei vielen jedenfalls keine gute Presse. Gott sei Dank, oder den Göttern sein Dank!
8.
Allein differenzierendes Argumentieren hilft bei dem Thema weiter und eine genau Kenntnis der Geschichte des spätrömischen Reiches, als es um das Zusammenleben von Heiden und Christen (und Juden) ging. Dazu gibt es vorzügliche historische Studien von bedeutenden Historikern, ich nenne nur den Engländer E.R. Dodds, Gräzist in Oxford, von ihm liegt auf Deutsch u.a.vor: „Heiden und Christen in einem Zeitalter der Angst“ (Suhrkamp, 1985).
9.
Es wäre im einzelnen zu zeigen, dass die universal geltenden Menschenrechte erst im Zusammenhang des Monotheismus möglich wurden. Die Menschenrechte sind ein Produkt der philosophischen Aufklärung, aber diese lebte von dem Gedanken, dass es ein oberstes Prinzip (manche nannten es noch Gott, die Deisten) geben muss als schöpferische Kraft fürs Entstehen aller Menschen. Über diese oberste schöpferische Kraft (Monotheistisch) sind also alle Menschen über die eine gemeinsame Herkunft miteinander verbunden, als Brüder und Schwestern.
10.
Es muss weiter untersucht werden, wie sich vor allem im Katholizismus eine offiziell nicht eingestandene polytheistische Tradition entwickelt hat, man müsste also ernsthaft über den Marienkult reden als Form der Verehrung einer weiblichen Gottheit; man müsste über den Kult der Engel sprechen, heute sehr beliebt, nicht nur bei den geschätzten 20 Engelbüchern von Pater Anselm Grün, sondern auch bei „kirchenfernen“ Leuten. Man müsste sprechen die Heiligenkulte, die Reliquienkulte, die Segnungen von Bäumen und Autos und Handys und Tieren im Katholizismus. Und vor allem: Allen Ernstes müsste endlich gezeigt werden, wie polytheistische Inhalte im Glauben an die Trinität enthalten sind, der Theologe Edward Schilleeeckx hat drauf hingewiesen. Für Kirchenchefs ein peinliches Thema!
11.
Man ist aber insgesamt sehr erstaunt, wie ein „weltbekannter“ Autor wie Julian Barnes (40 Bücher, übersetzt in 30 Sprachen und vielfach mit Preisen überschüttet) sich derart fürs Heidentum heute einsetzen kann.
Aber Religionsphilosophen können auch dankbar sein, dass durch die ziemlich oberflächlichen Behauptungen und „Träume“, wie Barnes selbst sagt, das Thema „Wie böse ist denn nun =der= Monotheismus“ gründlicher diskutiert wird. Und deutlich werden muss auch: Alle rechtsextremen Kreise heute wie damals schmücken sich gern mit heidnischen Ideologien oder Versatzstücken von Edda und Wotan usw. Und sie sind oft Antisemiten!
Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.