Schweigen spricht. Eine philosophische Meditation.

Ein Hinweis von Christian Modehn

1.
Philosophisch meditieren bedeutet: In der Stille eine bestimmte Form unseres Lebens im Denken zu analysieren, vielfältige Dimensionen einer bestimmten Frage zu ordnen, um zu einem tieferen Verständnis zu kommen. Damit befreien wir uns durch eigenes Denken von Üblichkeiten (Zwängen) des Alltags. Philosophieren leistet dadurch einen Beitrag zur Lebensorientierung. Das ist ihr erster Zweck. Ihn zu pflegen in dieser ver—rückten Welt, ist dringend.

2.
Schweigen wird oft noch durch Worte eingeleitet: Zum Beispiel: „Ich bin sprachlos“. Oder auch nur: „Sprachlos!“. Ein Wort, das man oft auf Todesanzeigen lesen kann.

3.
Was ist gemeint, wenn ich sage: „Mir fehlen die Worte“: „Ich kann keine Begriffe finden, die das Ereignis ausdrücken und in ein Gespräch führen können“. „Das Ereignis fällt – momentan – aus dem Horizont meines begrifflichen Denkens. Das Ereignis ist größer als mein Verstehen und Denken“.

4.
Ich verstumme also, gewissermaßen aus Unfähigkeit, in dieser Situation noch verbal zu sprechen: In der Literatur und in Alltagserfahrungen, wie in Krankheit oder im Krieg, gibt es viele Beispiele von Menschen, die für lange Zeit verstummen. Sie machen sich noch die Mühe des Überlebens, aber sie sagen kein Wort mehr. Aber ihr bloßes verstummtes Dasein spricht, hat Bedeutungen…

5.
Schweigen spricht: Das heißt: Die Haltung des Schweigens wird von anderen nicht nur wahrgenommen, sondern gedeutet, etwa: bedauert oder als Arroganz zurückgewiesen. Schweigen ist für den Schweigenden immer ein Tun des Sich – Äußerns. Schweigen ist eine Äußerung ohne Worte. Der Schweigende schreibt noch, er geht spazieren, er pflegt seinen Garten, er meditiert..

6.
Beide Möglichkeiten des Sich-Äüßerns, das verbale Sprechen wie das Schweigen, sind immer mehrdeutig: Der verbal Sprechende kann Lügen verbreiten, der Schweigende kann die Haltung seines schweigsamen Erschüttertseins nur vorspielen. Der viel Redende kann viel Unsinn sprechen. Der in Gesprächsrunden nur dasitzende Schweigende kann Nachdenklichkeit oder intellektuelle Überlegenheit nur vortäuschen. Das „authentische“ verbale Sprechen und Schweigen zeigt sich als solches erst im Rückblick. Kommunikation ist immer ein Risiko der Wahrheit.

7.
Schweigen bleibt also eine Form des Sprechens, also des Sich – Äußerns, und es steht auf einer Ebene mit dem verbalen Sprechen. Verbales Sprechen und Schweigen sind gleich viel wert.

8.
Und vor allem: Verbales Sprechen und Schweigen sind miteinander verbunden. Schweigen hat seinen Ort in der Stille, in der Ruhe, in der Einsamkeit.
Deswegen wird im Schweigen reflektiert, nicht nur über das eigene Leben und die Welt im ganzen, sondern auch über die Qualität der sprachlichen Rede, der eigenen wie der Rede der anderen.

9.
Schweigen im zeitlich begrenzten Rückzug in die Stille macht die dann folgende eigene Rede erst wertvoll. Um über das Wetter zu plaudern, braucht es nicht den Rückzug in die Stille des Schweigens. Wer aber sich selbst mitteilen will, wer versucht, Aspekte der Welterfahrung oder der Kunst oder des Lebens und Liebens auszusagen, muss vorher die Stille des Schweigens erlebt haben. Gibt es noch ein Gespür dafür, dass sich einige Menschen, Dichter, Künstler, Philosophen, Mystiker, Musiker, “aus der Erfahrung des Schweigens” äußern, sprechen?

10.
Die permanenten verbalen Äußerungen von Politikern zu „allem Möglichen“ werden deswegen so schnell vergessen, weil sie eher der Welt des Geredes als der Welt der reflektierten Argumente angehören. Demokratische Politiker plaudern zu viel und erklären zu wenig die Bedingungen des Lebens in der Demokratie. Rechtsextreme Politiker und Diktatoren lügen permanent, finden aber Dumme, die den Blödsinn glauben.
Viele der ständigen Talkshows sind oft nur Shows von Journalisten und Politikern, denen es eher um ihr Ego und ihre Karriere geht als um die Erschließung von Wahrheiten, auch von unbequemen Wahrheiten. Diese werden aus taktischen Gründen der Karriere oft verschwiegen.

11.
Ein philosophischer Vorschlag: Es sollte überhaupt nicht als peinlich gelten, wenn sich TeilnehmerInnen von Gesprächsrunden Momente des Schweigens erlauben. Also Momente, in denen möglicherweise besser nachgedacht werden kann als in dem permanenten Gerede und polemischen Aufeinander-Einreden.
Das gemeinsame Schweigen sollte jeder und jede aushalten und als Chance wahrnehmen, wieder ins eigene kritische Denken zu finden. Nichts ist störender, wenn einzelne die Stille der Pause durch verlegenes Gequatsche überbrücken wollen.

12.
Schweigeminuten, von Regierungen manchmal verordnet, heißen oft auch „Gedenkminuten“. Die Verbundenheit von Schweigen und Denken wird da einmal mehr betont, wenn auch diese offiziellen Schweigeminuten meist nur oberflächlich als „Pflichtübungen“ hingenommen werden.

13.
Aber es ist für eine Philosophie als Form der Lebensgestaltung alles andere als oberflächlich oder sogar albern, auch „Schweigeminuten“ als spirituelle Praxis den einzelnen anzuempfehlen. Aus fünf Minuten Schweigen kann dann auch eine Viertelstunde werden, in denen der einzelne in Stille dasitzt und schweigt, die vielen Gedanken vertreibt und vielleicht nur einen wichtigen Gedanken bedenkt, etwa als Beitrag für ein künftiges Gespräch.
Ohne konkrete Vorschläge bleibt alles Philosophieren als Lebenshaltung abstrakt…Ganz andere Vorschläge sind aber für Menschen notwendig, die lange Zeit allein leben und oft tagelang mit niemandem sprechen können. Wir leben in einer Gesellschaft, in der die einen permanent reden, um nicht zu sagen quatschen (vor allem über die so genannten sozialen Netzwerke) und viele andere, die ins Verstummen abgedrängt sind, die Alten, die Kranken, die Flüchtlinge in ihren Notunterkünften….

14.
Schweigt Gott?

Diese Frage sollte in einem „religionsphilosophischen Salon“ nicht fehlen. Eine schwierige Frage. Wir meinen: Gott als Gott, also der Ewige, der Absolute, wie auch immer man die klassischen Gottes -„Namen“ wählt, kann gar nicht sprechen und auch nicht schweigen. Er ist weder ein Ding noch ein Mensch. Einige fromme Menschen fühlten sich aber berufen, ihre religiöse Lebenserfahrung in Büchern, Bibel, Koran, niederzuschreiben und diese ihre Texte dann als Gottes Wort auszugeben.
Aber es kann gar nicht Gott als Gott sein, der da in diesen Büchern, in diesen Texten spricht. Es sind religiöse Menschen, die da ihre immer diskutablen religiösen oder moralischen Überzeugungen mitteilen. Und ihre Äußerungen für Gottes Wort halten und so “verkaufen”. Die Macht des Klerus in allen Religionen bedient sich dieser Behauptung, “Gottes Wort” als solches zu besitzen. So entsteht in allen Religionen gewalttätiger Fundamentalismus.

15.
Wenn überhaupt eine „absolute“, eine von Menschen nicht manipulierbare Wirklichkeit  wahrnehmbar ist im Leben, also „spricht“, dann nur im Gewissen eines jeden. Dort zeigt sich ein absoluter Anruf, der vom Menschen nur mit innerer Gewalt „abzuschalten“ ist.

Was hört da jeder Mensch?: „Handle so, dass die Maxime deines Handelns auch allgemeines Gesetz für alle Menschen werden kann.“
Diese einfache , schwache „Sprache“ eines Absoluten im Gewissen ist machtlos, sie überlässt sich der freien Antwort der Menschen. Und die Menschen überhören oft diese „Sprache“, ziehen das alltägliche Gerede und Geplapper vor – so meinen sie, ihren Egoismus als Grundoption ihres Lebens am besten kaschieren zu können. Das Gewissen verstummt dann irgendwann und die Unvernunft beginnt ihre – auch politische – Herrschaft.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

Wohin führt die Stille? Eine philosophische Meditation

Wohin führt uns die Stille?
Eine „philosophische Meditation“
Von Christian Modehn

Stille ist eine Wirklichkeit, sie ist räumlich und zeitlich.

Wir erleben Stille immer in einem Raum, einem Umfeld, an einem Ort.
Auch wenn wir die Augen von dem Ort abwenden und schließen, erleben wir einen stillen Raum in uns selbst, wenn wir denn auf unsere eigene Stille selbst achten, diese Stille reflektieren.

Stille erleben heißt still werden. Wir „gehen“ immer in die Stille. Das heißt: In eine stille Zeit eintreten. Diese Zeit kennt keine lineare Zeitstruktur.
Es entsteht reine Gegenwart. Der Bezug zur Vergangenheit schwindet, Zukunft hat keine Relevanz.

Stille ist Gegenwart, Präsenz.

Was ist aber Stille? Keine Rede, kein aktives Tun, keine geräuschvolle Bewegung.
Nur die Natur ist noch vernehmbar oder der ferne Lärm des Geschehens, auf den wir keinen Einfluss haben.
In dieser Welt gibt es keine absolute Stille. Selbst der leere Raum, „abgeschottet“, hat noch den Klang der Stille.

Die Stille ist also für die Lebenden keine „Totenstille“.

Stille entsteht im Zur – Ruhe – Kommen, zu dem einen Entscheidenden kommen: Den eigenen Atem wahrnehmen; ihn hören, vielleicht als das einzige Lebenszeichen in der Stille.

Stille ist Zeit des Atmens.

Also Zeit der „ewigen“ Wiederkehr des Einatmens und Ausatmens.

Dies ist der Vollzug des Lebendigen.

Dies ist kein bewusstloser Vorgang.

Im Vollzug des Atmens ist fraglos Bewusstsein, ist Selbst – Bewusstsein, also Sich Wissen.
„Versinken“ in die Stille mag es geben, aber in der Rückkehr ins selbstbewusste Leben erinnern wir uns dann an das „Versunkensein“, können darüber sprechen. Also ist im Versunkensein in die Stille immer auch Selbst – Bewusstsein, „schlummernd – aktiv“.

Sich der Stille bewusst stellen heißt: Sich der eigenen „Tiefe“ innewerden, die im Lärm des Alltags verdeckt ist.

Die eigene Tiefe wird entdeckt, wenn ich mich als Gesetztsein wahrnehme. Ich bin nicht aus mir.

Ich bin gesetzt.

Was setzt mich?
Das, was mich gesetzt hat, lässt mich atmen; „will“ offenbar, dass ich bewusst lebe.
Das, was mich setzt, ist also „lebenswillig“, stiftet Leben.

Ein dermaßen Leben – Setzendes kann selber nur Lebendiges sein. Will Lebendiges weitergeben.

Dieses mich und andere und die Welt Setzende, Gründende, selbst aber schweigt.

Das Gründende ist selbst Stille und wird nur in der Stille als solches wahr – genommen.

Die Stille ist das „Wesen“ , die „innere Kraft“, des Setzenden.

Im Stillwerden „erreiche“ ich das Setzende.
Stille ist wie die „Sprache“ zwischen dem Setzenden (Gründenden) und mir.

Das Setzende, das Schöpferische, hat mich über die Stille an sich gezogen, sich mir gezeigt, als Nähe.

Ich bin mit dem Schöpferischen verbunden – über die gemeinsame Stille.

Ich habe diese schöpferische Stille in mir als „Tat“ des Schöpferischen.

Die Stille spricht also.

Meine Kraft still zu werden, ist die Kraft des Schöpferischen in mir; es gibt mir seine ureigene Lebendigkeit weiter als Stille in mir, wie es mir auch das Atmen und das Bewusstsein gibt.

Diese innere Stille wird in der bewusst gesuchten Alltagsstille lebendig. Es ist die Existenz- Stille. Sie hat in verschiedenen Lebensphasen ein eigenes Gesicht. Sie ist kulturell vielfältig, kennt nicht nur „einen“ Ausdruck, ist nicht dogmatisch.

Die philosophische Meditation eröffnet also Spiritualität:

Ich komme also aus dem Schöpferisch – Lebendigen, das selbst Stille ist.

Ich gehe im Tod in das Stille.

Ist dann Totenstille als Nichts?

Oder ist es Einkehr in die ewig schöpferische und alles gründende lebendige Stille?

Copyright: Christian Modehn 20.8.2011