Über ein neues Buch von Jürgen Manemann
Ein Hinweis von Christian Modehn am 23.8.2024
1.
Das ist unser philosophischer Ausgangspunkt:
Philosophie ist Ausdruck des Philosophierens des einzelnen und der Gruppen. Und Philosophieren ist das Geschehen des kritischen Denkens und Reflektierens, ist also der lebendige Geist, die lebendige Vernunft… Und Denken und Reflektieren ist nicht nur die Praxis weniger Philosophieprofessoren. Sondern: Jeder Mensch denkt immer schon auf seine Art, entwickelt seine Werte etc. und kommt, dem eigenen Nachdenken entsprechend, zu Entscheidungen. Diese sind dann sichtbare „Gestalten“ des sich objektivierenden Geistes (greifbar in der Literatur, Kunst, usw. aber auch der Politik und Ökonomie usw.). Unsere Welt ist Objektivierung des Geistes (bzw. Ungeistes, wenn man an die totalen Egoisten, Nationalisten und andere politisch Verwirrte denkt).
2.
Philosophie als Philosophieren ist in jedem zuerst und vor allem eine bestimmte, sich aber wandelnde Lebensform. An den Universitäten werden diese unterschiedlichen Lebensformen philosophisch (in Texten objektiviert) studiert. Jeder philosophische Text ist Ausdruck einer bestimmten Lebensform des Autors.
3.
Also: Lebensformen sind für die Philosophien das erste: Das haben die griechischen Philosophen (in der Stoa, der Schule Epikurs, Platons usw.) nicht gelehrt, sondern gelebt, man lese die entsprechenden Studien von Pierre Hadot. LINK.
4.
Philosophie als Philosophieren als eine konkrete Lebensform präsentiert auch der Philosoph und Theologe Prof. Jürgen Manemann (Hannover). Er ist kein Philosoph im ruhigen Elfenbeinturm. Er mischt sich ein und ist aktiv politisch, umweltpolitisch tätig. Sein Engagement steht in Verbindung mit der Leitung des „Forschungsinstitutes für Philosophie Hannover“ (fiph). LINK
Das Forschungsinstitut verdient angesichts der Vielfalt seiner Angebote mehr Aufmerksamkeit…“Weiterdenken“ ist das Motto des 1988 gegründeten philosophischen Instituts, das regelmäßig auch Diskussions – Veranstaltungen für weite Kreise anbietet.
5.
Jürgen Manemmann ist politische sehr präzise engagiert in der internationalen Umwelt Bewegung mit dem Titel „Extinction Rebellion“ LINK,
In seinem Institut in Hannover werden auch von Jürgen Manemann Veranstaltungen zum Thema „Extinction Rebellion“ organisiert. LINK
6.
Wir wollen hier nur kurz auf das neue Buch „Rettende Umweltphilosophie“ von Jürgen Mannesmann empfehlend hinweisen. Das Buch mit ausführlichen Verweisen auf weitere Studien hat den treffenden Untertitel: „Von der Notwendigkeit einer aktivistischen Philosophie“. Denn das ist die Grundüberzeugung: Umweltphilosophie, wenn sie denn noch einen Beitrag leisten kann, Natur, Bäume etc., Tiere, Menschen, Umwelt angesichts der bewiesenen Probleme vor dem Verschwinden zu retten, kann nur „aktivistisch” sein,. Sie muss mehr als bloß hin und wieder aktiv sein, sondern sie muss sich im Sinne der „Aktivisten“ äußern, also derer, die ihr Leben einsetzen für die Rettung der Umwelt. Die an Demos dabei sind, sich blockierend auf Straßen setzen, etwas riskieren, sich selbst das Leben nicht einfach machen… um der Rettung der Umwelt willen.
7.
Philosophisch entwickelt Jürgen Manemann seine Erkenntnisse aus mit Hinweisen etwa auf das Denken Albert Schweitzers: Von ihm inspiriert, gilt es unbedingt festzuhalten: Der Schutz des einzelnen Lebewesens steht vor dem herrschaftlichen Anspruch des Kapitalismus, um des Profits willen ein paar Tiere oder tausend Bäume zugunsten des technischen Fortschritts zu opfern. Die vernünftige Maxime heißt: „Wir dürfen nicht alles tun, was wir Menschen technisch können; wir müssen uns immer so entscheiden, dass alles Tun sinnvoll ist für die Bewahrung der Umwelt…Jürgen Manemann wehrt sich aus aktuellem Anlass auch gegen den Ökofaschismus, der die gesamte Lebenswelt – auch die der Menschen – aufspaltet in die Kategorie des Lebenswerten und des Lebensunwerten, also der technisch – politisch gesehen Überflüssigen, „was weg kann“…
8.
In dem Buch werden auch praktische Übungen der Achtsamkeit und Kontemplation (S. 132) erwähnt, sie können das Engagement stützen und fördern. Sie sind Formen der Besinnung und des Nachdenkens, dabei wird entdeckt: Demokratie ist nicht zuerst eine Welt von vielen Behörden und Institutionen, Demokratie ist kein Riesen – Apparat, kein Dschungel umeinsehbarer Gesetze, sondern zuerst eine Lebensform, die durch die Phantasie und den Gestaltungswillen der einzelnen lebendig bleibt und vor Starrheit bewahrt wird. Protest, Widerspruch, Aktionen machen das demokratische Leben aus.
9.
Am interessantesten sind für einige wohl die Hinweise zu den Formen des „Aktivismus“ zugunsten der Rettung der Umwelt. Es geht darum, dass jeder und jede lernen muss, „Handlungsblockaden“ zu überwinden.Sie verfestigen sich, wenn man der schon üblichen ideologischen Einrede folgt: Die begrenzten Möglichkeiten der Rettung der Umwelt seien ohne Alternative… man könne also nichts Grundlegendes mehr verändern (S.139). Wer so denkt, tötet seinen kritischen Geist…
10.
Jürgen Manemann tritt ausdrücklich für den zivilen Ungehorsam ein, wenn es darum geht, die Umwelt vor der systematischen Vernichtung zu retten. „Aktionen des zivilen Ungehorsams dienen in erster Linie der politischen Sensibilisierung. Als `Whirlwind` – Aktionen unterbrechen sie das Weiter – So für einen Moment.“ (S. 108). Um aber wirksam zu sein, ist das „Community organizing“ wichtig, dadurch wird „Menschen geholfen, sich produktiv zu politisieren“ (ebd.). Wenn Menschen wie üblich behaupten, keine Zeit fürs politische (Umwelt -) Engagement zu haben, dann besteht die „Aufgabe darin, die Menschen davon zu überzeugen, das SIE als Menschen doch wichtig sind: Die Menschen wissen nämlich, dass sie für gewöhnlich es nicht sind“. (s. 110). Weil sie als Menschen wichtig sind, gilt es, dass sie selbst alles daran setzen, ein ethisch wertvolles Leben zu erreichen… Im Community Organizing entstehen Beziehungen und Netzwerke unter den Menschen, sie machen aus den vereinzelten Individuen GefährtInnen eines gemeinsamen Projekts. So werden Menschen zu GenossInnen, GefährtInnen, sie sind nicht länger KonkurrentInnen.“ Wichtig erscheint mir eine Fußnote (Nr. 26, S. 107), da werden Dorothee Sölle und Fulbert Steffensky aus ihrem Buch „Wider den Luxus der Hoffnungslosigkeit“ zitiert: „Wenn wir den raschen unmittelbaren Erfolg zum Kriterium machen, dann geraten wir in einen Allmachtswahn, der gerade die Quelle von Ohnmacht und Resignation wird.“
11.
Angesichts der zunehmenden Akzeptanz rechtsextremer und faschistischer Parteien jetzt wieder in Deutschland muss natürlich gefragt werden: Was unterscheidet eine vernünftige Form des gewaltfreien Widerstandes von den heftigen physischen und genauso verletzenden, geistig tötenden verbalen Attacken der Rechtsextremen und Nazis?
Diese Rechtsextremen haben als Projekt einen Zustand von Gesellschaft und Staat, in dem einige wenige Führer das absolute Sagen haben, deswegen kämpfen die ideologisch Verblendeten, um von der Last ihrer eigenen Freiheit, ihres eigenen Nachdenkens, endlich befreit zu sein. Um aufzuhören, FREIE Menschen zu sein.
Ganz anders die demokratisch gebundenen Menschen des gewaltfreien Widerstandes: Sie wollen die bessere Demokratie, die besseren Formen des Widerspruchs, des Dialogs, der Vielfalt.
Man denke also bloß nicht, Widerstand und Widerspruch gegen bestimmte Verirrungen des Staates seien immer dasselbe, egal, von wem sie geäußert werden.
12.
Das Buch „Rettende Umwelt-Philosophie“ zeigt, wie Philosophen heute eine neue Dimension des Philosophierens erschließen. „Aktivistisch“ im Sinne von Jürgen Manemann waren Philosophen doch öfter schon, man denke an die kluge Religionskritik von Voltaire und ohne heftige Leidenschaft fürs Vernünftige konnte selbst der zurückhaltende Immanuel Kant nicht leben und denken. Aktivismus ist Ausdruck der ethischen Einsicht: Es herrscht große Not und ich als Philosoph muss auf meine Weise helfend, rettend, eingreifen. Hoffend. Und das ist etwas anderes als “optimistisch”!
Jürgen Manemann, Rettende Umweltphilosophie. Von der Notwendigkeit einer aktivistischen Philosophie“. 162 Seiten, Transcript Verlag, 2023, 19,50€.
Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin