Der Klerus ist etwas ganz Besonderes: „Kleider machen Priester“

Ein Hinweis von Christian Modehn … Zur Absonderung des Klerus durch die “Soutane”

1.

Der katholische Klerus ist eine von den übrigen Mitgliedern der Kirche herausgehobene Gruppe. Das wissen wir seit langer Zeit. Diese Erkenntnis wird verstärkt durch die Freilegung des sexuellen Missbrauchs durch Kleriker: Bischöfe haben die klerikalen Täter geschützt und vor den staatlichen Gerichten bewahrt. Warum? Weil die klerikalen Täter Kleriker sind. Und aufgrund ihres Standes eine Sonderrolle spielen in dieser Kirche und ihren Gesetzen. Kleriker stehen an der Spitze der Hierarchie und verdienen deshalb privilegiert zu werden: So leb(t)en sie förmlich in einem rechtsfreien Raum, der nur von der Eigenwilligkeit des Kirchenrechts bestimmt wird. Dieses Kirchen-Recht ist ja ein Werk, das die Kleriker ohne jede auswärtige Kontrolle oder Mitarbeit für sich selbst geschaffen haben.
Es wird Zeit, die Sonderstellung des Klerus auch in ihrer besonderen Kleidung im Alltag herauszustellen. Dabei sind nicht die Gewänder gemeint, die der Klerus für die rituellen Feiern, etwa der Messe, in der ganzen bunten Pracht verwendet. Man denke bitte bei unserem Thema NICHT an die roten Schuhchen von Papst Benedikt XVI.
Es geht also um die „Kleidung des Klerus im Alltag“, dies ist ein spannendes, meines Wissens leider kaum bearbeitetes historisches oder theologisches Thema, zumindest in Deutschland. Es dient der Aufklärung über den ungebrochenen Sonderstatus des Klerus bis heute. Und die immer deutlicher werdende Bevorzugung der Priesterkleidung (Soutane) auch in der Öffentlichkeit heute ist ein eindringliches Zeichen für die kirchliche Ablehnung des Weltlichen, der Moderne im ganzen: “Wir Kleriker demonstrieren mit der aus Vorzeiten stammenden Kleidung der Soutane unseren Abstand zur laizistischen modernen Welt”. Der französische Theologe und Priester im Dominikanerorden Christian Duquoc schreibt entsprechend 1985: “Das Grundübel, das all dem zugrunde liegt,(für die allgemeinen Probleme des Klerus), besteht in der Trennung des Priesters vom Volk. Der Klerus lebt und erlebt diese Trennung wie eine ekelerregende Krankheit: Sie ist schimpflich und ungerecht”(in: “Die Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils”, Patmos Vl. Düsseldorf, 1986, S. 374).

2.

Das Thema ist also mehrfach aktuell: Die konservativen Klerus – Gemeinschaften verlangen seit Jahren schon wieder, dass ihre Mitglieder die Soutane oder die Ordensgewänder immer auch in der Öffentlichkeit tragen, selbst in Frankreich ist das üblich. Während etwa ältere, eher liberal gesinnte Welt – und Ordenspriester im grauen Anzug mit Krawatte in der Öffentlichkeit auftreten, oft mit einem kleinen Kreuz am Revers, sehnen sich förmlich die jüngeren Priester nach dem Talar oder dem Ordensgewand. Sie wollen herausgehoben sein, sie wollen auffallen, als „ehrwürdige Brüder“ etc. angesprochen und besonders behandelt werden. Ich erinnere mich noch ein Gespräch mit dem damaligen Bischof von Amiens, Jacques Noyer: Er trug um 1998 einen Anzug und eine Krawatte. Keinen Talar! Unvorstellbar heute! Das Gespräch war von großer Nähe und Freundlichkeit geprägt, man möchte sagen, man konnte mit ihm auf „Augenhöhe“ sprechen. Es ist natürlich klar, dass die von den jeweiligen Vorgesetzten und „Oberen“ festgelegte Kleidergesetzgebung auch ein Schutz sein soll für die jungen Priester, wenn nicht gar eine Art Zwang: Die Priester sollen sich in der Öffentlichkeit nicht an zu „weltliche“, gar verrufene Orte begeben: Welcher Bettelmönch würde in Paris als solcher gekleidet in ein feines Restaurant gehen oder in einem Kino sich einen Film mit allerhand Sex-Szenen ansehen? Jedenfalls haben die Oberen zu ihren Priestern so viel (Miss)trauen, dass sie diese in erkennbar klerikale Gewänder zwängen. Die „Legionäre Christi“ sieht man in Rom immer nur in „Kohorten“, in Soutanen gekleidet, durch Rom eilen, ebenso die vielen jungen sehr konservativen Priester aus dem „Neokatechumenat“ oder die ebnso sehr konservativen Kleriker des Instituts „Christus König und Hoherpriester“ etc.. Es gibt bekanntlich Bilder, auf denen junge Priester Fußball spielen in Soutane oder gar in Polen etwa mit der Soutane Ski fahren…
Dabei ist klar, dass selbst diese konservativen Priester über weltliche Kleidung verfügen: Man denke daran, in welchen prächtigen Anzügen sich der Generalobere des katholischen Ordens „Legionäre Christi“, Pater Marcial Maciel, mit seinen Liebhaberinnen, meist älteren sehr reichen Damen traf. Dazu gibt es hübsche Fotos. Er gab sich bei seinen von Finanzinteressen gesteuerten Liebesbekundungen als „Manager“ aus etc. Und dieser weltliche konservative Klerikale ist alles andere als eine Ausnahme. Klar ist auch: Die Kleriker ziehen ihre Soutane auch gern aus, etwa wenn es zum sexuellen Missbrauch kommt: Da lassen sie selbst ihre klerikalen Gewänder in der Sakristei, neben der Kirche, fallen, wie etwa der australische Kardinal Pell: Er forderte in der Sakristei die Knaben zum Oralverkehr auf. Allerdings, wie er im Prozess kürzlich vor seiner Verurteilung betonte, nur sechs Minuten lang…Und der Ordenschef, im Orden nur „Generaldirektor“ genannt, Pater Marcial Maciel, empfing seine Knaben aus den Schulen oder dem Noviziat gern bereits ausgezogen im Bett und dort um bestimmte Massagen bittend. Das berichteten Betroffene und Opfer des obersten Ordenschefs schon um 1985 dem Vatikan, der darauf selbstverständlich gar nicht reagierte! (Wer sich für Details interessiert, lese das Buch „Marcial Maciel, Historia de un Crimnal“, von Carmen Aristegui, Grijalbo Verlag, 2010, etwa den Beitrag des damals 12 jährigen Maciel-Opfers Alberto Athié, in dem Buch Seite 48).
Jedenfalls zeigen schon die wenigen Beispiele, die endlos verlängert werden könnten: „Der Habit macht noch keinen Mönch“.

3.

Ich will hier nur an einige Forschungsergebnisse erinnern, die der Historiker und Kirchenrechter Louis Trichet in seiner Studie „Le Costume du Clergé“ (Paris 1986) vorgelegt hat. Dieses Buch verdient immer noch viel Beachtung, wenn es um ein Verstehen der exklusiven Sonderrolle des Klerus geht. Trichet bezieht sich fast ausschließlich auf Frankreich und dabei auch fast nur auf die Kleidung des Weltklerus. Die Studie basiert vor allem auf ausführlichen Recherchen zum Kirchenrecht zu dem Thema.
Im ersten Teil wird deutlich, dass in den Jahrhunderten vom 300 bis etwa 400 sich der Klerus wie die allgemeine Bevölkerung kleidete.
Vom 6. Bis zum 7. Jahrhundert setzt die Tendenz ein, den Klerus schon durch die Kleidung herauszuheben.
Klar ist, dass in den kleinen Gemeinden in den ersten Jahrzehnten, nach Jesu Tod, die Gemeindeleiter, die Presbyter, sich NICHT von den anderen Gläubigen durch ihre Kleidung unterschieden. Unvorstellbar sich den –angeblich – ersten „Papst“, also den Fischer und Analphabten Petrus, mit einer Soutane zu denken. „Wir Kleriker müssen uns nicht durch unsere Kleidung, sondern durch unseren Lebenswandel unterscheiden“, schrieb Papst Coelistin I. noch im Jahr 428.
Der zweite Teil des Buches bezieht sich auf die Zeit von 1050 bis 1589: Der „ordo“, der Stand des Klerikers, unterscheidet sich von nun an von den anderen Ständen in der Kirche und dem Staat. Das bedeutet noch nicht, dass eine eigene „Klerus“ – Mode etabliert wird, sondern dass nur Empfehlungen von Papst und Bischöfen gelten, bestimmte auffällige Farben (besonders verboten sind die Farben rot und grün) der Kleidung zu meiden. Das Konzil von Milano verfügt dann als einzig gültige Farbe das Schwarze. Aber es gibt schon viele offizielle Regelungen zur klerikalen Kleiderordnung. Damit haben sich die Bischöfe und die Kirchenversammlungen lang und breit befasst.

Der dritte Teil des Buches gilt der Zeit von 1589 bis 1984. Jetzt wird die schwarze Soutane (sotana, in der italienischen Volkssprache, eine Bezeichnung für Unterwäsche für Männer wie für Frauen!) für Priester in der Öffentlichkeit verpflichtend. Das verfügte Papst Sixtus V.: Die Soutane ist ein langes, den Erdboden fast berührendes Gewand. Papst Sixtus V. lehrte explizit, die Priester gehörten ganz dem Herren (Christus) und deswegen müssten sie sich vom Rest des Gottesvolkes, der Kirche, durch eine besondere Kleidung unterscheiden. Wer die Soutane als Priester nicht trägt, dem werden strenge Strafen angedroht (S. 159). Mit der Tonsur wurde dann auch die Soutane überreicht. Die Würde des Priesters wurde die äußerliche Gewandung unterstrichen, wenn nicht gar erst erzeugt. Es war eine Welt des Misstrauens, dass man dem Priester ein nach außen hin moralisches Leben ohne die besondere Soutane nicht zutraute. “Wer die Kleidung des Klerus nicht trägt, hat nicht den Geist Gottes“, so etwa eine Bestimmung aus dem Bistum Alet in Südfrankreich (S. 156).
Die Französische Revolution schaffte –im Rahmen der égalité – das spezielle Klerus-Gewand ab, so wurde in der „Assemblée constituante“ entschieden: Die Priester mussten sich „a la francaise“ kleiden (S. 167). Diese Entscheidung wurde von der nachfolgenden Restauration wieder aufgehoben, und der Klerus musste sich wieder in die Soutane hüllen. Wer damals für die Priesterausbildung zuständig war, wie Pater Olier oder der heilige Vinzens von Paul, sprach sogar von der „heiligen Soutane! Die von Vinzenz von Paul ausgebildeten Priester wurden förmlich gezwungen, die Soutane zu tragen (S. 153).
Gegen den allgemeinen Zwang, diese (immer auch feminin wirkende) Soutane zu tragen, protestierten einige Priester, wie etwa Abbé Maret um 1840. Später wurde Abbé Maret Dekan der theologischen Fakultät der Sorbonne. Er schrieb: „Die Soutane ist nicht zu ertragen! Nicht wegen des Straßenschmutzes und der Beleidigungen, die die Soutane bei der kritischen Bevölkerung hervorruft. Diese Kleidung isoliert den Priester, trennt ihn von der Bevölkerung, sie ist eines der größten Übel der modernen Zeiten“ (S. 11, auch S.180 ). Aber Maret setzte sich – natürlich – nicht durch.

4.

Erst Mitte der 1960 Jahre wird offiziell vom Papst der so genannte „Clergyman-Anzug“ erlaubt, also der Anzug mit dem weißen römischen Colar und dem obligaten Kreuz am Revers des Sakkos. Die französischen Arbeiterpriester in den neunzehnhundertfünfziger Jahren waren wie ihre Kollegen gekleidet.
Nebenbei: Es gab und gibt auch Frauenorden, die ihren Schwestern die zivile Kleidung gestatten, aber das ist ein anderes Thema. Heute erlauben Frauen – Ordensgemeinschaften, die theologisch progressiv nennen kann, ihren Schwestern die zivile Kleidung.

Louis Trichet fasst seine Studien zusammen: „Als sich der Klerus zu einer bestimmten Zeit anders als die Laien kleidete, hat er sich wie die „anderen“ sozialen Kategorien verhalten: Denn der Klerus war nun ein organisierter „Corpus“, verschiedenen von den anderen. Die Entscheidung für die Soutane wurde die Regel, sie ist ein „Unfall“ der Geschichte, der von der Institution Kirche erzeugt wurde. (S. 214).

Literaturhinweis: Louis Trichet, Le Costume du Clergé. 243 Seiten, Paris 1986, Editions du Cerf. Das Buch ist antiquarisch für ca. 44 Euro zu haben.

Copyright: Christian Modehn Religionsphilosophischer Salon Berlin

ERGÄNZUNG: Junge Priester wollen durch ihre Soutane “identifizierbar sein”, berichtet die katholische Tageszeizung La Croix (Paris) am 21.12. 2023:

Près des trois quarts des séminaristes en France envisagent de porter la soutane. C’est l’un des enseignements de l’enquête « Qui seront les prêtres de demain ? », commandée par La Croix : 73 % des 434 répondants affirment vouloir porter cet habit ecclésiastique, dont 48 % « habituellement ».
De l’italien sottana, le mot « soutane » désigne l’habit porté sous les vêtements liturgiques des célébrants. Selon la définition de la Conférence des évêques de France (CEF), c’est un « vêtement long, boutonné sur le devant, porté par les ecclésiastiques », dont la couleur « dépend de l’état du clerc qui la porte : noire pour le clergé, violette pour les évêques, rouge pour les cardinaux, blanche pour le pape». À l’origine destiné à différencier les ecclésiastiques des fidèles, le port de cet habit a été réformé au gré des conciles.
Habit « bienséant »
Le port de la soutane se généralise après le concile de Trente (1542-1545), qui mentionne la nécessité pour les ecclésiastiques de porter un « habit bienséant ». La soutane est même un temps rendue obligatoire dans certains diocèses en France, avant d’être brièvement interdite en 1792, au cours de la Révolution. Elle est de nouveau autorisée, conscrite aux lieux de culte, lors du concordat, en 1801.
« Ce n’est qu’au XIXe siècle que la soutane devient un habit du quotidien, porté toute la journée par les clercs, y compris dans la rue, et non plus uniquement dans le cadre de cérémonies », précisait en 2022 l’historien Alain Rauwel, membre du Centre d’études en sciences sociales du religieux, au Monde.

À partir du concile Vatican II, la soutane devient facultative. En juin 1962, l’archevêque de Paris, Mgr Maurice Feltin, autorise les prêtres de son diocèse à porter la tenue dite de « clergyman », du terme anglican, composée d’une chemise et d’un pantalon, de couleur grise ou noire, et du col romain. Les autres évêques lui emboîtent le pas la même année.
Retour de la soutane
Depuis quelques années, la soutane fait son retour, notamment parmi les séminaristes, comme en témoignent les chiffres de l’enquête publiée par La Croix ce jeudi 21 décembre. Il n’existe toutefois pas de prescription particulière concernant son port au séminaire, un sujet qui fait régulièrement débat en France.
Début juin 2022, l’archevêque de Toulouse, Mgr Guy de Kerimel, avait interdit à tous les séminaristes de son diocèse de porter la soutane. « Le port de la soutane n’est pas permis au séminaire, c’est la loi en vigueur. Je demande donc à ce que cette loi s’applique hors du séminaire dans le diocèse de Toulouse, y compris pour les diacres », enjoignait-il dans une lettre leur étant adressée.
Selon l’article 284 du code de droit canonique, le clergé doit porter « un habit ecclésiastique convenable selon les règles établies par la Conférence des évêques et les coutumes légitimes des lieux ». Le Directoire pour le ministère et la vie des prêtres, dans son édition de 2013, publiée par la Congrégation pour le clergé, estimait que la soutane était « particulièrement indiquée » car « elle distingue les prêtres des laïcs et fait mieux comprendre le caractère sacré de leur ministère ». « Porter un habit clérical est, en outre, une sauvegarde pour la pauvreté et la chasteté », précisait aussi le document. Ces deux textes s’appliquent toutefois aux « clercs » et aux « prêtres », les séminaristes en formation étant des laïcs jusqu’au diaconat.

La communauté Saint-Martin, dont le séminaire compte le plus de candidats au sacerdoce en France, encourage toutefois le port de l’habit long dès la quatrième année de formation, avançant l’argument selon lequel il permettrait aux futurs prêtres d’être identifiables. « Qui reconnaîtrait le Saint-Père sans sa soutane blanche ? Même chez ceux qui se sont éloignés de l’Église, bien souvent, la soutane est restée dans les mentalités et continue d’identifier “le curé” ! », précise le site Internet de la communauté. « Dans une société de plus en plus sécularisée, plaide la communauté Saint-Martin, la soutane joue son rôle de signe qu’il existe une autre réalité. Habit inhabituel, elle incite à se poser des questions et à entrer en contact. »

“Vom Menschsein und der Religion”: Ein neues Buch von Wilhelm Gräb

WEITER DENKEN: Drei Fragen an Prof. Wilhelm Gräb
Die Fragen stellte Christian Modehn


Ihr neues Buch „Vom Menschen und der Religion“ vermittelt eine zentrale Er-kenntnis von einer geradezu universalen Bedeutung: Jeder Mensch befasst sich auf seine Art mit der Sinnfrage, mit der Frage nach dem Sinn des eigenen Le-bens und „des Ganzen“. Und diese Sinnfrage, so schreiben Sie immer wieder in dem Buch, sollte auch der Mittelpunkt der Theologie, der christlichen Theolo-gie, sein. Das ist eine ungewöhnliche, über alles Kirchliche hinaus in die Weite des Menschlichen führende Aussage. Warum ist gerade diese in meiner Sicht „universale Basis-Theologie“, unter den Bedingungen der „Säkularisierung“ jetzt so entscheidend für Sie
?

Dass wir die Zukunft nicht bestehen und die drängenden ökonomischen und vor allem ökologischen Probleme einer stetig wachsenden Weltbevölkerung ohne weitere Fortschritte in Wissenschaft und Technik nicht werden lösen können, scheint allen klar. Auch die Kunst und die Künste gehören selbstverständlich zu den entscheidenden Möglichkeiten, die wir Menschen haben, um unsere kreati-ven Fähigkeiten in die Gestaltung einer lebensdienlichen und entwicklungsoffe-nen Welt einzubringen. Nur die Religion, die doch seit den Anfängen der Menschheitsgeschichte nicht nur die Basis von Wissenschaft und Kunst war, sondern auch sich mit diesen fortschreitend entfaltet hat, erscheint vielen heute als entbehrlich. Sie wird mit den institutionalisierten Religionen und mit den Glaubens- und Morallehren der Kirchen identifiziert. Es wird die gefährliche politische Macht, die die ihre Repräsentanten durch die Berufung auf göttliche Autorität gewinnen können, angeprangert.
Viel zu wenig gesehen wird jedoch, dass die Zukunftsfragen einer das Überleben der Menschheit sichernden nachhaltigen Entwicklung eine alles entschei-dende religiöse Dimension bei sich haben. Was das Leben jedes einzelnen letzt-lich trägt, der Glaube an den Sinn des Ganzen, das hält auch die Anstrengungen in Wissenschaft und Technik, Politik, Recht und Bildung in Gang. Gerade dort, wo die Probleme immer drängender werden und globale Fehlentwicklungen, in die wir durch kollektives Versagen hineingeraten sind und die das Zutrauen in die Kräfte lebensdienlicher Zukunftsgestaltung rauben, ist das trotzige Dennoch eines religiösen Glaubens, der Inspiration, Kreativität und Gemeinsinn freisetzen sowie einen hoffungsvollen Lebensmut stärken kann, wichtiger denn je.
Doch dass Religion diese Bedeutung für unser Menschsein hat, dass sie es ist, die uns die Möglichkeiten entdecken lässt, mit denen wir über uns hinauswach-sen, weil sie größer sind als wir selbst um sie und uns in ihnen wissen, ist kaum im Blick. Die Religion ist kein öffentliches Thema in den so dringenden Debat-ten darüber, wie wir leben wollen, wie wir leben sollen, noch gar, was recht ei-gentlich ins Zentrum der Religion gehört, wie wir mit der offenkundigen Tatsa-che zurecht kommen können, dass wir des Insgesamt der Bedingungen unseres Daseins nicht mächtig sind, wir das Gelingen unserer noch so guten Absichten letztlich nie in der Hand haben.
Religion wird als Angelegenheit lediglich der hierzulande offensichtlich immer weniger werdenden „Gläubigen“, der Kirchen- und Religionsangehörigen aufge-fasst. Die anderen, die „Säkularen“, Konfessionslosen, Freigeister, Humanisten, Agnostiker geht sie nicht an. Doch in Wahrheit ist es so, dass wir alle in unserer Vorstellungkraft sehr viel ärmer werden, wenn wir das Bewusstsein von den Grenzen, die unserer Erkenntnis und unserm Wissen gesetzt sind, verkümmern lassen und die Möglichkeiten einer transzendenzoffenen, spirituellen Weltsicht und Sinneinstellung verspielen.
Deshalb habe ich dieses Buch geschrieben, weil ich meine, dass es dringend an der Zeit ist, in der Religion, wir können auch sagen: Religiosität bzw. Spirituali-tät, eine Haltung dem Leben gegenüber zu sehen, aus der immer wieder neu In-spiration, Mut, Trost und Gemeinsinn erwachsen. Es verdankt sich dieses Reli-gionsverständnis den entscheidenden Impulsen protestantischer (Kultur-)-Theologie, wie sie von Friedrich Schleiermacher über Ernst Troeltsch bis zu Paul Tillich gesetzt wurden.
Ich habe der Rekonstruktion der Gegenwartsbedeutung dieser Theologietraditi-on in meinem Buch breiten Raum gegeben, stelle mich selbst in diese Tradition und führe sie fort, um – heute nun in transreligiöser und transkultureller Absicht – zu diesem anderen Reden über die Religion beizutragen. Religiös zu sein, ist eine der besten Möglichkeiten, die wir Menschen haben, um einen verlässlichen Halt in unserem je individuellen Leben zu haben und dann auch den enormen Herausforderungen begegnen zu können, vor die wir uns im Zeitalter der ökolo-gischen Lebensgefahr gestellt sehen.


Nun gibt es die bunte Vielfalt von Religionen. Diese aber sind nicht immer und nicht automatisch konstruktiv im Sinne der Menschlichkeit und des Respekts der universalen Menschenrechte. Welches Kriterium haben Sie, um humane Religi-onen von den de facto ins Inhumane abgleitenden Religionen, „Sekten“, Ideolo-gien, zu unterscheiden?

Die Religion, von der ich spreche, ist, um mit Johann Gottlieb Herder zu reden, „in aller Menschen Herz nur eine“. Sie gehört zu unserem vernunftbegabten Menschsein. Zu ihr können alle finden, die einiger Selbstachtung fähig sind. Dann merken sie, dass die schon von den Theologen der Aufklärung als „Ange-legenheit des Menschen“ entdeckte Religion eine transzendenzoffene Sinnein-stellung ist, die aus dem tröstlichen Gefühl einer Gründung unseres Ichs im Göttlichen erwächst.
Mit dem Glauben an Heilige Schriften, kirchliche Dogmen, gar einem Gehorsam religiösen Führern gegenüber hat diese Religion der Humanität, wie ich sie nen-ne, nichts zu tun. Das heißt aber nicht, dass diese Religion der Humanität nicht auch in den Religionen, wie sie als mehr oder weniger verfasste Institutionen, mit ihren Traditionen, ihren Lehren und Ritualen, Symbolen und Lebensregeln existieren, gefunden und praktiziert werden kann. Genau dies dürfte vielmehr weithin der Fall sein, schon deshalb, weil eine gesellschaftliche Kommunikation über diese Religion der Humanität noch nicht entwickelt ist. Das Anregungspo-tential, das die Heiligen Texte der Religionen, ihre Kunstschätze, ihre Theolo-gien und ethischen Reflexionen in sich bergen, ist außerdem immens. Es wäre töricht, wenn die Religion der Humanität, die ich in meinem Buch auch als eine transversalen Religion der Menschenwürde und Menschrechte beschrieben habe, ihre Inspiration nicht auch aus Quellen der großen geschichtlichen Religionen schöpfen würde.
Dennoch ist das Verhältnis der Religion der Humanität zu den religiösen Insti-tutionen, Traditionen und Gemeinschaften ein durchaus kritisches. Ich argumen-tiere entschieden gegen jede Vorweggeltung eines kirchlichen und religionsinsti-tutionellen Autoritätsanspruchs. Es ist nicht schon deshalb etwas heilig und den gläubigen Gehorsam gebietend, weil ein Klerus sich auf höhere Offenbarung, geheiligte Traditionen und göttliche Einsetzung beruft. Ob eine Religion bzw. Elemente in ihr gut oder schlecht sind, entscheidet sich daran, ob dort unsere menschliche Fähigkeit, aus freier Einsicht „glauben“ zu können gefördert wird, oder auf blinden Glaubensgehorsam verpflichtet werden.
Glauben zu können, will dann als Realisierung einer unserer besten menschli-chen Möglichkeiten verstanden sein. Wer aus freier Einsicht glaubt, tut dies im Wissen um die Unverfügbarkeit der Zukunft wie unseres Daseins überhaupt, ein Wissen, das in Glauben übergeht und das den Kern im Grunde jeder Religion darstellt.


Wichtig ist für sie der „Lebensglaube“, also die Gewissheit, dass mein und unser Leben „im letzten“ einen Sinn hat. Diesen Lebensglauben können, so sagen Sie, auch Kunst, Literatur, Film und Musik vermitteln. Aber warum, wie Sie dann schreiben (S. 318), „befriedigen diese dann doch nicht unsere Sinnbedürfnisse“?
Dieser Lebensglauben, der ein unbedingtes Vertrauen in den Sinn des Ganzen ist, muss immer wieder dem Wissen um die Unbegreiflichkeit dieses Sinns ab-gerungen werden. Sonst wäre es ja kein Glauben, kein grundloses, ins Wagende hinein sich vollziehendes Grundsinnvertrauen. Das eben macht den Unterschied wahren religiösen Glaubens von Ideologien und totalitären religiösen Lehren aus. Doch wer schafft das, so zu glauben?

Letztlich ist dieses sich auf der Grenze bewegende und das menschliche Maß wahrende Glauben, zu dem die Religion der Humanität ermutigt, eine unmögliche menschliche Möglichkeit. Das hat vernünftig Theologie seit jeher dadurch zum Ausdruck gebracht, dass sie vom Glauben als Gottesgeschenk sprach, als Tat Gottes, mit der dieser den Glauben in uns hervorbringt. Viele religiöse Den-ker sprechen zudem vom Glauben als einem Widerfahrnis, zu dem wir uns nicht entschließen können, sondern das an uns geschieht, so freilich, dass es nur dann für uns wirksam wird, wenn wir es annehmen und uns bewusst dazu verhalten.
Was ich an der von Ihnen zitierten Stelle von der Kunst und den Künsten sage, gilt insofern auch von der Religion. Auch sie befriedigt nicht unsere Sinnbe-dürfnisse, jedenfalls nicht so wie das gemeinhin verstanden wird, als hielte sie eine friedigende Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens bereit. So ist es gerade nicht. Dennoch erweckt die traditionelle Religion oft genau diesen Anschein, als habe sie sie verbindliche Antworten auf die großen Fragen nach dem Woher und Wohin unseres Daseins. Anders die Kunst. Ich sehe ihren Vor-zug und das, was sie für die Religion bedeutet, genau darin, wie ich an anderer Stelle sage, dass „sie die Wunde des Sinns offenhält“.
Gerhard Richter sagt es so: „Die Kunst ist die reine Verwirklichung der Religiosität, der Glaubensfähigkeit, Sehnsucht nach ,Gott‘. […] Die Fähigkeit zu glauben ist unsere erheblichste Eigenschaft, und sie wird nur durch die Kunst ange-messen verwirklicht. Wenn wir dagegen unser Glaubensbedürfnis in einer Ideo-logie stillen, richten wir nur Unheil an.“ (Notizen 1988)
Und früher schon notierte Richter, der einer der bedeutendsten Bildermacher unserer Zeit ist: „Die Kunst ist nicht Religionsersatz, sondern Religion (im Sinne des Wortes, ,Rückbindung’, ,Bindung’ an das nicht Erkennbare, Übervernünftige, Über-Seiende). Das heißt nicht, dass die Kunst der Kirche ähnlich wurde und ihre Funktion übernahm (die Erziehung, Bildung, Deutung und Sinngebung). Sondern weil die Kirche als Mittel, Transzendenz erfahrbar zu machen und Religion zu verwirklichen, nicht mehr ausreicht, ist die Kunst, als veränder-tes Mittel, einzige Vollzieherin der Religion, das heißt Religion selbst.“ (Notizen 1964-65)
Kunst ist Religion und Religion ist Kunst, ohne dass wir eine Kunstreligion erfinden müssten. Die für die Erfahrung der Kunst offene Religion ist die Religion, die zu uns unruhigen Menschen passt, weil sie unser Verlangen nach dem Vollkommenen wachhält. Sie befriedigt nicht unsere Sinnbedürfnisse, sondern hält unsere Sehnsucht nach Sinn wach – nach einem Sinn, der endlich verstanden werden kann, so dass wir vielleicht das Gefühl bekommen, doch in diese Welt zu passen, obwohl wir nie ganz in ihr zuhause sind.

Hinweis auf die Neuerscheinung: Wilhelm Gräb, Vom Menschsein und der Religion. Eine praktische Kulturtheologie. 2019.
https://www.mohrsiebeck.com/buch/vom-menschsein-und-der-religion-9783161565649

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin und Prof. Wilhelm Gräb, Berlin

Brauchen wir ein “Fest der Beschneidung Jesu” im Kampf gegen den Antisemitismus?

Ein Hinweis von Christian Modehn

Die Beilage der Wochenzeitung DIE ZEIT mit dem Titel „Christ und Welt“ bietet in der Ausgabe vom 1. Januar 2018, Seite 1 und 2, ein Plädoyer für die Wiedereinführung des “Festes der Beschneidung des Herrn” (Jesus)  am 1. Januar unter DIESEM Titel. Die Forderung wird damit begründet: Wenn wieder in der ganzen Kirche die Beschneidung des Juden Jesus gefeiert würde, könnte dies den zunehmenden Antisemitismus weltweit zurückdrängen. Soll das ernst gemeint sein? Ein katholischer Beschneidungsfeiertag als Beitrag zum Kampf gegen den Antisemitismus?

Ich muss gestehen, ich empfinde diesen Beitrag eher als Satire. Denn wie kann man heute im Ernst meinen, ein solches Fest unter diesem Namen könnte den Antisemitismus eindämmen?

Antisemitismus wird überwunden durch umfassende Bildung aller; durch Begegnungen mit Menschen jüdischen Glaubens; durch Erinnerung an den von Deutschen begangenen Massenmord an Juden; durch Widerstand gegen neofaschistische und rechtspopulistische Parteien und Gruppen; durch eine vernünftige Erklärung, was die hebräische Bibel bedeutet; durch gesetzliche Regelungen, die Antisemiten wirksam bestrafen; durch das Schuldeingeständnis der Kirchen, mit-schuldig zu sein an dem Jahrhunderte dauernden tödlichen Antisemitismus  etc…

Aber doch bitte nicht durch Messen am 1. Januar, als dem neuen Festtag der Beschneidung des Herrn, also in Messen mit frommen Worten vor wenigen Gottesdienstbesuchern einen Tag nach Silvester…

Das ist doch lächerlich.

Der Kampf gegen den Antisemitismus auch in katholischen Kreisen muss doch wohl wirksamer gestaltet werden.

Das weiß der Autor wohl auch, trotzdem werden 2 lange schöne Druckseiten für ein in meiner Sicht satirisches Plädoyer verwendet. Diese Druckseiten hätte man mit wichtigeren Themen „füllen“ können, etwa mit einer Auseinandersetzung über das irritierende Motto des Weltjugendtages in Panama und den Einfluss des Opus Dei dabei oder mit einer klaren und endlich einmal objektiven Analysen auch zur spirituellen Gestalt von Rosa Luxemburg, um einmal Beispiele aus dem aktuellen Umfeld des Januar 2019 zu nennen…

Wenn schon wieder ein Fest der Beschneidung am 1. Januar, dann bitte auch mit Einbeziehung der muslimischen Mitbürger, die ja auch heute noch fleißig (und schmerzhaft) beschneiden, leider. Sozusagen als interreligiöses Beschneidungsfest, um einmal die Satire fortzuführen.

Gott sei Dank sagt der Autor selbst, dass Paulus absolut zurecht betonte: Für Christen aus den „heidnischen Völkern“ gibt es keine Beschneidung. Von daher löst sich der Vorschlag wieder in Wohlgefallen auf. Nebenbei: Vielleicht finden sich einige Katholiken, die sich aus Solidarität mit Juden und Muslims ehrenhalber beschneiden lassen…Vielleicht in einer gemeinsamen Beschneidungsfeier im Vatikan?

Die Satire will ich zu Ihrer Ermunterung gern fortführen:

Also: Das Fest „Mariä Lichtmess“ am 2. Februar sollte wieder den uralten Titel „Maria Reinigung“ erhalten. Auch dieser Titel wurde ja mit gutem Grund im Rahmen der Reformen des 2. Vatikanischen Konzils abgeschafft…. Nun sollte man allen Frauen, so die Satire,  doch wieder zeigen, dass Geburt etc. doch etwas „Schmutziges“ etc. ist. Das Fest unter dem alten „Reinigungstitel“ wäre vielleicht auch ein Beitrag gegen den Feminismus usw. Passt ja heute für die Fundamentalisten…

Und vor allem: das „Fest der unschuldigen Kinder“ am 28.12. sollte aktuell als internationaler katholischer Trauertag der Erinnerung an die vielen Opfer sexuellen Missbrauchs durch Priester gestaltet werden. Und das wäre schon kein satirischer Vorschlag mehr…

Der Phantasie zur Aktualisierung der katholischen Feste sind keine Grenzen gesetzt: Das Fest des heiligen Pater Pio könnte etwa als Gedenktag aller Priester gefeiert werden, die wie Pater Pio (Kapuziner) dumm und seelisch sehr angeschlagen waren (und sind), aber dann doch glaubhaft machten, Wunder wirken zu können und sich deswegen blutige Hände verschafften. Und das Volk, das an Gott nicht glauben kann, glaubt wenigstens an den Heiligen Scharlatan Pater Pio mit den Stigmata. Immerhin hat diese Scharlatanerie dem Kapuzinerorden und seinem Wohnort viel Geld eingebracht.

Vielleicht sollte auch das “Fest des heiligen Josefs des Arbeiters” am 1. Mai wieder stärker doch das eigentlich Handwerkliche des heiligen Josefs akzentuieren: Selbst kleine Handwerksbetriebe bleiben unter dem Segen Gottes mit einem göttlichen Kind (Jesus).

Ich hatte übrigens zusammen mit dem protestantischen Theologie Professor Wilhelm Gräb, Berlin, das angekündigte Verbot der Beschneidungen (von Jungen) in Deutschland im Sommer 2012 damals verteidigt. Weil Menschenrechte nun einmal in unserem allgemeinen demokratischen Rechtsempfinden ÜBER religiösen Traditionen stehen und stehen müssen. Wo kämen wir denn hin, wenn auch die Scharia oder das katholische Kirchenrecht in demokratischen Staaten Geltung hätten? (Das katholische Kirchenrecht hat diese Geltung ja manchmal immer noch aufgrund der Konkordate…) Leider haben die obersten Gerichte aus welchen (auch ungenannten) Gründen auch immer dieses Verbot der Beschneidung nicht eingesehen. Trotzdem gilt weiter: Menschenrechte sind wichtiger als religiöse Sondertraditionen, die sich fromme Menschen vor langer Zeit einmal ausgedacht haben…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Thomas Merton gegen die abgehobenen “engelgleichen” Kleriker

Ein Hinweis von Christian Modehn

Der bekannte spirituelle „Meister“ und Trappistenmönch Thomas Merton (USA) kritisierte 1965 die abgehobene Welt des „engelgleichen Klerus“… Vielleicht braucht ein Bischof, ein Theologe, im Rahmen der Debatten um den sexuellen Missbrauch durch Priester, ein sehr treffendes Zitat von einem Mönch, der auch ein guter Kenner der klerikalen Psychologie war.

“Der Begriff Trennung von der Welt, in den wir im Kloster haben, erweist sich allzu leicht als eine vollständige Illusion. Als die Illusion, dass wir durch die Tatsache, Gelübde abzulegen, zu einer besonderen Art von Wesen werden, zu Pseudo-Engeln, zu „geistlichen Menschen“, Menschen des inneren Lebens oder was immer dergleichen“.

Siehe: Thomas Merton, Zeiten der Stille. Herder Verlag, 1992, S. 80. Eine Übersetzung – von Bernardin Schellenberger – aus dem Buch von Merton: „Conjectures of a Guilty Bystander“, 1965

“Religion, zum Teufel!” Das neue KURSBUCH

Das neue „Kursbuch“ (Heft 196) über Religionen

Ein Hinweis von Christian Modehn

Das „Kursbuch“, bekanntlich nach vierjähriger Pause 2012 noch einmal „auferstanden“, wird herausgegeben von dem Soziologen Armin Nassehi und dem Publizisten Peter Felixberger. Sie haben nun 13 Autoren eingeladen, zu den heutigen Erscheinungen der Religionen, vor allem des Christentums und des Islams, mehr Licht, mehr Aufklärung zu bringen. Provozierend vieldeutig der Titel: „Religion, zum Teufel!“

Es ist ja nicht so einfach, zu der allgemeinen und weit diskutierten Überzeugung Neues zu sagen, dass die Religionen nun doch wieder der reflektierenden Bemühung wert sind. Weil sie immer noch und immer stärker in vielen Regionen der Welt existieren. Denn von der einstigen These einer definitiven Säkularisierung sind selbst skeptische, agnostische Geister nicht (mehr) überzeugt.

Da freue ich mich sehr über eine für katholische theologische Verhältnisse ungewöhnlich deutliche und kritische (freilich nicht immer leicht lesbare) Analyse des Salzburger Theologen Gregor Maria Hoff. Er zeigt die – bisher kaum formulierten – Konsequenzen auf, die sich aus dem sexuellen Missbrauch durch katholische Priester weltweit ergeben: Das machtvoll durchgesetzte Verständnis des Priesteramtes als überlegen, höher stehend, gegenüber der „Masse der Gläubigen“ und der demokratischen Rechtsprechung, hat den sexuellen Missbrauch im Klerus begünstigt. Die geschlossene Welt des sich sakral erhobenen Klerus wollte auch diese Untaten unter sich aushandeln und dem Täter vergeben, sozusagen in bewusster Verachtung weltlicher, demokratischer Gesetzlichkeit. Wenn die Verbrechen der Priester besprochen wurden, dann in der Haltung etwa der Bischöfe: Die gesamte Kirche leidet wegen der Untaten. An die Opfer wurde dabei kaum gedacht. Hauptsache: Die Institution Kirche steht „sauber“ (nach außen) da. Die Konsequenz für Hoff ist klar: Die gesamte Plausibilität der gesamten Institution der katholischen Kirche „erodiert“ (S. 38). Das heißt: Die Überwindung des weltweiten sexuellen Missbrauchs kann nur ein vollständiger Umbau, eine Reformation, nicht bloß eine Reform, der römischen Kirche sein. Also: Überwindung der klerikalen Sonderwelt der bevorzugten „Hochwürden“, der Priester. Es ist selbst dem größten Optimisten klar, dass zu dieser Kirchenreformation der gut etablierte und finanziell zumindest in Europa bestens ausgestattete Klerus nicht bereit ist. Reformation wäre Machtverzicht, aber diesen will der herrschende Klerus nicht. Vielleicht aber stirbt er bald in Europa aus, das ist eine wahrscheinlich soziologische Prognose, die im Kursbuch leider nicht dokumentiert wird. Allein schon wegen dieses Beitrags von Gregor Maria Hoff lohnt sich der Kauf, die Lektüre, die Diskussion in Gruppen, des neuen Kursbuches. Es weist in dem Falle tatsächlich „den Kurs“. Die Bischöfe werden diesem Kurs(buch) wohl kaum folgen. Wäre ja ein Ding, wenn bei der nächsten Bischofskonferenz in Fulda alle Bischöfe mit dem Kursbuch in der Hand in den Dom einziehen…

Ich will auch den Beitrag der Freiburger Islamwissenschaftlerin Johanna Pink dringend empfehlen. Sie zeigt, dass der Koran keineswegs der einzige Bezugspunkt im Denken und Handeln der Muslims ist. Eindeutig ist der Koran nicht, er öffnet den Weg in vielfältige Interpretationen. Auch „außerkoranische Normen“ müssen etwa herangezogen werden, wenn Einzelfragen in Rechtsverhältnissen gelöst werden sollen (S. 134). Die Rolle der Hadithe als Interpretationshilfen des Korans haben „den“ Islam entscheidend mitgeprägt. Diese gewisse Relativierung des Korans wird nicht gern gehört, in fundamentalistischen islamistischen Kreisen nicht, (etwa in Saudi-Arabien), und auch nicht in christlich geprägten Gruppen, die gern „den“ Islam und „den“ Koran vor Augen haben wollen, um sich der Auseinandersetzungen mit den vielen Interpretations-Formen des Islams zu entziehen. Wer also heute als Bürger in Deutschland auf der Höhe der intellektuellen Klarheit sein will, übe sich ein in differenzierendes Denken im Blick auf die vielen Formen des Islams. Freilich gab es gegen Ende des 19. Jahrhunderts Tendenzen in islamischen Staaten, die sich gegen den inneren Pluralismus im Islam wehrten, um dadurch gegenüber dem Westen einheitliche Stärke zu demonstrieren (S. 140).

Noch eine etwas ausführlichere Leseempfehlung: Die Leipziger Soziologin Monika Wohlrab – Sahr untersucht seit Jahren die Formen der Säkularität etwa im Osten Deutschlands. Nun geht sie der weiterreichenden, viel diskutierten Frage nach, ob Säkularität, also auch die Trennung von Geistlich und Weltlich, und dann bis hin zu Formen der Religionsfreiheit und des Atheismus, nur in westlichen Gesellschaften Tatsachen sind oder eben auch in muslimischen Gesellschaften. Diese lehnen ja oft Säkularität als Trennung von Geistlich und Weltlich ab. Monika Wohlrab – Sahr zeigt detailliert, dass tatsächlich etwa auch in islamisch beherrschten Ländern und Kulturen ein gewisser Sinn fürs Säkulare vorhanden ist. Sie weist etwa auf die Funktionsunterscheidungen zwischen Kalifat und Sultanat hhin (S. 163). Differenzierungen zwischen weltlich und geistlich(religiös) gab es auch im vormodernen Japan (S. 165). Es geht also darum, wenigstens Elemente des Vergleichbaren freizulegen, des Vergleichbaren von geistlich und weltlich in der westlichen Kultur mit den nicht- westlichen Kulturen und Religionen. Damit wird gezeigt: Die Zielvorstellung auch von weltlich argumentierenden Rechtssystemen und Menschenrechten ist auch in den nichtwestlichen Kulturen und Religionen angelegt und sicher weiter zu fördern, um der Menschen und der Menschenrechte willen. Dies zu fordern ist alles andere als kolonialistisches Herrschenwollen. Die Menschenrechte sind zwar in Europa „entstanden“, aber der europäische Herkunftsort begrenzter Art hat keine Bedeutung für die universale Geltung der Menschenrechte. Nebenbei: Yoga und Formen der Zenmeditation, zwar in Asien entstanden, werden mit Begeisterung im Westen als „allgemein menschlich“ selbstverständlich praktiziert…

PS.: Ich würde mir wünschen, dass das KURSBUCH häufiger Themen der Religionen und Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phien aufgreift. Warum nicht einmal ein KURSBUCH herausgeben über die Vielfalt der wieder aktuellen und häufigen religiösen, politischen, ökonomische, “allgemein-menschlichen” KONVERSIONEN?

Kursbuch 196: „Religion zum Teufel!“ 191 Seiten. Erschienen im Dezember 2018. 19 Euro. Im Buchhandel zu haben. Siehe auch: www.kursbuch.online

Copyright: Christian Modehn , Religionsphilosophischer Salon Berlin

Von Schleiermacher heute lernen. Ein Hinweis von Prof. Wilhelm Gräb

Von Prof. Wilhelm Gräb, Berlin, November 2018  – anlässlich des 250. Geburtstages von Friedrich Schleiermacher

Veröffentlicht im Interview „Religion gefährlich und unentbehrlich“

Friedrich Schleiermacher wird von Theologen und Kirchenleitungen gern der „Kirchenvater des 19. Jahrhunderts“ genannt. Es gibt jetzt sogar eine Sonderbriefmarke zu Ehren seines 250.Geburtstages. Als diese im Berliner Dom vor kurzem der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, ist auch wieder an diesen angeblichen „Kirchenvater des 19. Jahrhunderts“ erinnert worden. Doch er wurde dies leider nicht und auch heute müsste sich in unseren Kirchen erst noch enorm viel ändern, bevor Schleiermacher seine Ideen zu einer Kirche, die in die moderne Zeit passt, auch nur einigermaßen verwirklicht sähe.

Gewiss, Schleiermacher ist seiner Zeit selbst auch Kompromisse mit der dem landesherrlichen Kirchenregiment unterstehenden preußischen Kirche eingegangen. Aber er hat sich doch mit dem König, Friedrich Wilhelm III., aufs heftigste angelegt als dieser im sog. Agendenstreit auch noch über die gottesdienstlichen Ordnungen bestimmen wollte. Schleiermachers Ideal war eine sich von unten, durch die Selbsttätigkeit der Gemeinden aufbauende Kirche, die radikale Trennung von Thron und Altar, Kirche und Staat. Er wollte eine christliche Gemeinde, die ihre Angelegenheiten selbst regelt, weil sie durch die Mitbeteiligung aller an einer Verständigung über die alle gleichermaßen betreffenden Belange des Lebens zusammengehalten wird. Die Religion gehörte für ihn essentiell zum Menschsein, weil ihm das Bewusstsein der Gottesbeziehung zugleich der Grund menschlicher Freiheit war. Den religiösen Glauben verstand er als eine unerschöpfliche Quelle der Lebenskraft, als Grund einer allen Menschen mitgegebenen Befähigung zu Autonomie, zur Selbstbestimmung in den religiösen wie in allen anderen Dingen des Daseins.

In seinen „Reden über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern“ (1799), 10 Jahre nach der französischen Revolution, entwickelte Schleiermacher sein bis heute inspirierendes Kirchenideal. Er sprach von der Kirche als einer „vollkommenen Republik“, in der alle wechselseitig aufeinander wirken, Geben und Nehmen allen gleichermaßen eigen, die Unterscheidung zwischen Priestern und Laien aufgehoben ist. Eine Kirche, die dennoch nicht nur ein frommer Zirkel ist, sich nicht aus der Welt zurückzieht, sondern die „Anschauung des Universums“ betreibt, die Suche nach dem Sinn des Ganzen und unseres eigens Dasein zu ihrer Sache macht.

Es braucht Orte und Gelegenheiten in der Gesellschaft, wo wir uns über die existentiellen Fragen des eigenen Lebens und wie über das, was die Gesellschaft im Innersten zusammenhält, verständigen können. Dass die Kirche ein solcher Ort in der Gesellschaft sein könnte, das war Schleiermachers Traum. Ich meine seine Impulse sind aktueller denn je!

copyright: Wilhelm Gräb, Berlin.

 

Wird der Katholizismus rechtsextrem vergiftet ?

Ein Hinweis von Christian Modehn

Immer mehr aktuelle Ereignisse zeigen: Der gegenwärtige Katholizismus wird weltweit von rechtsextremen Führern und damit von rechtsextremen Ideologien durchsetzt. Das wird nicht umfassend genug wahrgenommen, weil das kritische Interesse in der Kirche wie der Öffentlichkeit – zurecht ! – auf die weltweiten Verbrechen des sexuellen Missbrauches durch Priester usw. fixiert ist. Aber es gibt viel mehr Gefährliches…

Leider gibt es seit Jahrzehnten auch rechtsextreme Gruppen in evangelischen bzw. evangelikalen und pfingstlerischen Kreisen. In den USA gehören fundamentalistisch Bibelgläubige zu den leidenschaftlichsten Anhängern des großen Lügen-Propagandisten Trump. In Brasilien haben jetzt auch dort politisch (und in den Medien) einflussreiche Evangelikale den allgemein so bezeichneten Neofaschisten Bolsonaro zum Präsidenten gewählt. Ich habe nirgendwo gehört, dass sich etwa deutsche Evangelikale oder Freikirchler von ihren brasilianischen Freunden distanziert haben. Die katholischen Bischöfe Brasiliens sahen sich außerstande, in einem gemeinsamen Wort ausdrücklich vor der Wahl Bolsonaros zu warnen. Sie zeigten sich zögerlich – sympathisch – neutral, unterstützten also indirekt die Wahl Bolsonaros.

Ergänzung am 15. November 2018 von Christian Modehn: Evangelikale – eine politische Schande für die USA und Brasilien

1.Sehr viele Europäer wussten es schon, nun bestätigen es „Nachwahlbefragungen“ erneut: So genannte praktizierende Christen, vor allem Evangelikale, haben bei den US Kongresswahlen 2018 mehrheitlich (61 %) für Trump und die Republikaner gestimmt.

Aber was heißt „praktizierend“? Sonntags an den Gottesdiensten teilnehmen; pro life Aktionen mit absolutem Eifer unterstützen; den Pastoren viel Geld spenden; die Bibeltexte wortwörtlich lesen, also fern von jeglicher theologischer Kritik. Die sehr konservative website kath.net hat das (am 9.Nov. 2018) berichtet: Atheisten und Christen, die eher selten oder nie Gottesdienste besuchen, haben Demokraten gewählt. Dabei können diese Menschen wohl noch zwischen Götzen, Führern, und Gott unterscheiden… Und sie praktizieren an der politischen Basis oft die Menschenrechte, den Schutz der Flüchtlinge usw. Eine Praxis, die dem Denken Jesu von Nazareth zweifelsfrei sehr nahe steht…Vom Tempel/Gottesdienst-Besuch hielt Jesus von Nazareth bekanntlich nicht  viel… Empathie, Nachdenken, Solidarität waren ihm wichtiger… Bei den US-Katholiken hat jeder Zweite für die Republikaner (Trump) gestimmt…

2.Mit dem Wahn und dem offenkundigen intellektuellen, politischen und theologischen Niveauverlust der Evangelikalen in Brasilien werden sich hoffentlich sehr bald auch in Deutschland Religionswissenschaftler und Soziologen befassen. In Brasilien sind die Evangelikalen die leidenschaftlichsten Unterstützer des neuen Präsidenten Bolsonaro. Darauf habe ich schon mehrfach hingewiesen. Nun wird es im „Tagesspiegel“ durch Philipp Lichterbeck, Rio de Janeiro, erneut bewiesen (am 15. November 2018). Die unflätigen Reden Bolsonaros werden dokumentiert, seine Hasstiraden, seine Politik der Ausgrenzung und Menschenverachtung, oder, wie Beobachter treffend sagen, sein „Neofaschusmus“. „Die Pastoren der konservativen evangelikalen Kirchen beten inbrünstig für Bolsonaro“, so Lichterbeck.

Wann können wir berichten: Die deutschen Evangelikalen (die Evangelikalen in den USA können es ja nicht wegen ihrer Bindung an Bolsonaros Vorbild Trump) distanzieren sich also wenigstens deutsche Evangelikale und Pfingstler explizit von ihren „Glaubensbrüdern“ in Brasilien?

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Der Religionsphilosophische Salon Berlin befasst sich auch zentral mit der Kritik der Religionen und Konfessionen.

Von daher unser Interesse an dem Thema, das ich hier nur für den katholischen Bereich andeuten will. Dies als Aufforderung, wahrzunehmen, was heute katholische Kirchenführer politisch äußern. Etwa zum Ende des 1. Weltkrieges, zur AFD, zur Partei Marine Le Pens, zur FPÖ, zu Italiens Neofaschisten oder Polens Katholiken, besonders zu dem rechtsextrem-katholischen Radiosender Maryja unter dem Redemptoristen Pater Rydzyk, der immer noch seine nationalistischen und antisemitischen Beiträge senden darf, ohne dass etwa Rom diesen rechtsradikalen Priester zum Schweigen bringt. Auch die anhaltende Bemühung um Versöhnung Roms mit den katholischen Traditionalisten der Bewegung Lefèbvre, die gerade in Frankreich oft rechtsextrem orientiert sind, gehört hierher.

Darum der erste und entscheidende Gesamteindruck: Die katholische Kirchenführung duldet rechtsextreme Positionen innerhalb der Kirche sehr viel mehr als – vergleichsweise – linksextreme Positionen. Beide Extreme sind falsch. Aber für den Katholizismus sind spätestens seit den Konkordaten mit Mussolini und Hitler Rechtsextreme bzw. Faschisten irgendwie sympathischer als etwa Kommunisten. Von den widerwärtigen Polemiken etwa Papst Gregor XVI. gegen die Menschenrechte einmal ganz abgesehen….

Diese Bevorzugung des Faschismus sah man auch in der politischen Haltung des polnischen Papstes etwa gegenüber den faschistischen Diktaturen in Chile, Argentinien, Brasilien usw. Und in dem Zerstören angeblich linksextremer Positionen in „der“ Befreiungstheologie durch die Glaubensbehörde unter Ratzinger.

Die römische Kirche hat stets den Rechtsextremen mehr verziehen als den Linksextremen. Aber diese Blindheit der Kirche muss ausführlicher studiert werden. Das liegt daran, dass die Rechtsradikalen und Faschisten eher noch von „Gott“ sprechen als die Kommunisten etwa. Die wollen, so die katholische Kirchenführer, eine antigöttliche Gegenwelt, ein gottloses „Reich Gottes“ aufbauen… Das bloße Gerede von Gott durch Faschisten und Rechtsradikale finden offenbar viele Bischöfe, Prälaten usw. also sympathisch. Man denke an Spanien, an Franco, usw… Dies gilt bis heute.

Im Focus der aktuellen Aufmerksamkeit sollte der us –amerikanische Katholik Steve Bannon stehen. Bannon ist politisch Interessierten bekannt, er war (und ist im Hintergrund?) der Chefstratege von Mister Trump, verbandelt mit US – Milliardär Robert Mercer. Ich habe 2017 schon ein rhetorische Frage gestellt: Sollt der Papst Bannon, wie Mafiabosse bereits auch, exkommunizieren? Denn Bannon ist bekennender Katholik und bemüht sich nun in zahlreichen Treffen in Europa, ein rechtsradikales Netzwerk der rechtsextremen Parteien Europas zu festigen, dieses Netzwerk heißt „The Movement“. Damit will er Einfluss nehmen auf die Europawahl 2019.

In Rom/Vatikan hat sich der rechtsextreme Katholik Bannon etablieren können. Er ist eng mit dem offiziell katholischen Institut „Dignitatis Humanae“ in Rom verbunden. Dieses Institut nennt sich unbescheiden „Denkfabrik“, zum Beirat gehören unter anderen die bekannten sehr konservativen (und Franziskus – feindlichen) Kardinäle des päpstlichen Hofes (curia) Peter Turkson, Robert Sarah und der deutsche Reaktionär Kardinal Walter Brandmüller. Dazu gehört auch der Feind des Papstes, Erzbischof Viganò.

Nun haben diese Herren ein neues Tagungshaus ausbauen können, das wunderschöne, herrlich gelegene ehemalige Karthäuserkloster „Certosa di Trisulti“. Steve Bannon hält – auch per Videoschaltung – dort Vorträge. Der Journalist Thomas Migge (Rom) berichtete im Deutschlandfunk am 25.10. 2018 über dieses rechtsextreme katholische Studienzentrum und er nennt in dem Zusammenhang auch den Priester Don Curzio Nitoglia aus den Traditionalistenkreisen: Er ist davon überzeugt, berichtet Migge, dass das „christliche Europa“ bedroht sei, von den, so der Geistliche, islamischen „Horden“ aus Afrika und von „gottlosen Kapitalisten“ und Juden aus den USA. Don Nitoglia: „Die USA gründen sich auf drei Ideen: das Freimaurertum, den Judaismus und einen liberalistischen Protestantismus. Dann sind da noch die Hochfinanz, die Banken und eben die Juden. Diese Kräfte sind die Feinde der römisch-katholischen Kirche. Sie wollen sie zerstören. Das haben sie schon mehrfach versucht: erst mit dem Proletariat in Russland, dann mit der Studentenbewegung und jetzt versuchen sie es mit den Horden aus Afrika, die das zerstören wollen, was noch vom christlichen Europa übrig geblieben ist.“ Bannon, so wird berichtet, hat sich bereit erklärt, in diesem l ehemaligen Karthäuser – Kloster als rechtsextremem Think – Tank Vorträge zu halten. Mit Italiens Innminister Salvini ist Bannon befreundet…

Befreundet ist Steve Bannon auch mit der Regensburger Prinzessin Gloria von Thun und Taxis und auch mit deren Freund Kardinal Gerhard Ludwig Müller, dem einstigen Bischof von Regensburg und abgesetzten Chef der obersten Glaubensbehörde im Vatikan. Diese drei haben sich, laut Spiegel, getroffen. Die Prinzessin begrüßte, so ist zu hören, die Initiative Bannons, die rechten, gemeint sind die rechtsextremen Parteien in Europa zu bündeln. Dadurch werde der Wahlkampf zur Europa Wahl „spannender und farbiger“. Die Nähe der Frau Thurn und Taxis zur AFD ist bekannt: „Im September 2018 hatte Gloria von Thurn und Taxis zusammen mit der rechtspopulistischen AfD und dem konservativen Bündnis „Ehe-Familie-Leben“ in Regensburg demonstriert. Das Bündnis kritisierte unter anderem den in seinen Augen zu frühen Sexualkundeunterricht von Kindern. Hunderte Regensburger hielten dagegen und traten für „Vielfalt statt Einfalt“ ein“, so die Mittelbayerische Zeitung am 20. Oktober 2018. Kardinal Müller nützt offenbar nun alle Möglichkeiten, gegen Papst Franziskus zu agieren und seine politische Haltung und Sympathie offen zu legen. Denn er weiß genau, wer Bannon ist, als er sich mit ihm traf. Geradezu lachhaft ist in dem Zusammenhang die oft von Müller selbst oft dokumentierte Freundschaft mit dem greisen Befreiungstheologen aus Peru, Gustavo Gutierrez. Kann Müller gleichzeitig Freund von Bannon und Gutierrez sein?

Mit der AFD Stiftung arbeitet auch der ziemlich bekannte, einst bloß als konservativ bekannte Dominikaner Theologe Prof. Wolfgang Ockenfels zusammen, dieser offenbar in Freundschaft wiederum verbunden mit dem einst äußerst kirchenkritischen schwulen Aktivisten, nun aber reaktionär orientierten Laien-Theologen David Berger, der seit langer Zeit mit Kreisen im Dominikanerorden verbandelt ist. Auch David Berger arbeitet mit in der AFD Stiftung zusammen. Es ist absehbar, dass alsbald ein katholischer Arbeitskreis innerhalb der AFD gegründet wird?

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin