Krzysztof Charamsa, Theologe und Kaplan seiner Heiligkeit, legt das schwule Leben im Vatikan etwas frei

Krzysztof Charamsa, Priester und führender Mitarbeiter in der vatikanischen Glaubenskongregation, über Leben, Lieben und Lust der Glaubenswächter.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 3. 5. 2017

Der italienische Untertitel des jetzt auch auf Deutsch erschienenen Buches von Krzysztof Charamsa „Der erste Stein“ ist noch treffender: „Ich, ein schwuler Priester, und meine Rebellion gegen die Scheinheiligkeit (Heuchelei) der Kirche“. Das Buch ist tatsächlich Ausdruck einer Rebellion, des Aufstandes, der Erhebung, der Revolte. Ob diese tatsächlich ausgelöst wird, hängt auch davon ab, wie viele Theologen, Priester, Ordensleute und Bischöfe dieses Buch lesen und daraus Konsequen ziehen. Vielleicht sollten die Verlage dieses Buch jedem Bischof als Geschenk zu Pfingsten zusenden…

Auf Deutsch ist der Untertitel eher zurückhaltend „Der erste Stein“. Mit dem Untertitel „Als homosexueller Priester gegen die Heuchelei der katholischen Kirche“. Das Buch ist Ende April 2017 bei C. Bertelmann erschienen.

Es ist auch für die Interessenten des Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salons wichtig, weil Religionskritik ein ständiges Thema bleibt. Das Buch ist keineswegs eine bloß aufgeregte, Neugier weckende „Skandalstory“. Es bietet vielmehr die Möglichkeit, durch die Erkenntnisse eines Insiders hinter die (tatsächlich auch im materiellen Sinne vorhandenen) Festungsmauern des Vatikans zu blicken.

Dieses Buch ist ein Dokument, das diese Mauern zwar nicht einreißen wird, aber doch etwas ins Wanken bringen könnte. Es ist wichtig für alle, die die innere Verfasstheit der klerikalen Mitarbeiter an der Spitze der römischen Kirche, also in der Glaubensbehörde, verstehen wollen. Mindestens jeder zweite Priester ist homosexuell, so betont das Buch, aber kaum einer lebt das offen, verzichtet also auf seine persönliche Identität. Das gilt auch für die Kirchenzentrale. Sie wird von Männern geführt, die „scheinheilig“ sind, wie der Buchtitel sagt. Das gerade im Jahr des Reformationsgedenkens 2017 freizulegen, als seit 1517 durch den Mönch Martin Luther die Welt des zölibatären Klerus wenigstens für die evangelischen Kirchen abgeschafft wurde, ist von besonderem Reiz. Das Buch zeigt einmal mehr die jetzt auch wieder allgemeine Erkenntnis, wie wenig sich das System und die Lehren der römischen Kirche tatsächlich durch Luther, auch nur entfernt, „berühren“ oder gar verändern lassen. Alles katholische Rede von ökumenischen Fortschritten heute ist angesichts dieser Dokumente doch sehr marginal

In jedem Fall: Das Buch von Krzysztof Charamsa ist ein durchaus historisch zu nennendes Dokument. Wer einen Vergleich will: Es ist so, als würde eines der führenden Mitglieder an der Spitze einer Parteizentrale das innere Leben, etwa die Korruption und die Verlogenheit dieser Parteizentrale freilegen. Das passiert weltweit selten, weil die Karriere wichtiger ist als das Zeugnis der Wahrheit.

Krzysztof Charamsa jedenfalls hat auf seine glänzende Karriere in der römischen Glaubensbehörde verzichtet. Immerhin hatte er den Ehrentitel Monsignore erhalten und durfte sich als „Kaplan seiner Heiligkeit“ ansprechen lassen.

Das Buch zeigt, dass im Reich des Papstes Scheinheiligkeit stärker ist als die nach außen hin gezeigte Heiligkeit.

Charamsas im engeren Sinne historisch-theologischen Publikationen in italienischer Sprache von 2002 bis 2014 sind eher von einem traditionellen theologischen Konzept, etwa den Interpretationen des mittelalterlichen Thomas von Aquin, geprägt. Er ist als Konservativer, vom Katholizismus Begeisterter, zum Rebellen geworden. Es gab den Bruch, das Nicht mehr Aushalten können der ständigen Verlogenheit, das ihn zum radikalen Abstandnehmen vom System führte: Krzysztof Charamsa hat sich in aller Öffentlichkeit am 3. Oktober 2015 in Rom als schwuler Priester, als Monsignore, als Theologiedozent und führender Mitarbeiter in der Glaubensbehörde, deren Chef der Deutsche Kardinal Müller ist, geoutet und sich zu seinem Partner bekannt. Selbstverständlich wurde er danach von dem zuständigen polnischen Bischof aller seiner Ämter entbunden und als Priester suspendiert, d.h. er darf in der Sicht Roms keine priesterlichen Funktionen mehr ausüben.

Das Buch bietet viele Erkenntnisse zum Zustand der katholischen Kirche, diese Erekenntnisse können hier natürlich nicht in der gebotenen Ausführlichkeit besprochen werden. chließlich soll eine Buchkritik nicht die Lektüre ersetzen, dass die Lektüre empfohlen wird, ist klar.

Es bietet eine Biographie des aus Polen stammenden Autors.

Es berichtet über den Zustand der katholischen Kirche in Polen nach der Wende, über die maßlose hysterische Verehrung des polnischen Papstes, den Kult um seine Denkmäler usw. „Der polnische Klerus besteht aus ideologischen Manipulatoren“ (Seite 53).

Interessant und kaum zu glauben ist der Zustand der offenbar miserable Zustand der Priesterseminare in Polen, nicht nur das schlechte Essen, vor allem das schlimme Niveau der dort gelehrten bzw. eingepaukten Theologie. “Die theologischen Hochschulen, Priesterseminare also, sind große Kasernen , „in denen die Rekruten eines Heeres gedrillt wurden, das im Dienst einer restriktiven Ideologie stand“ (S. 72). Nebenbei: Diese Priester werden nach ganz Europa geschickt, um den im Westen aussterbenden Klerus zu ersetzen…

Überhaupt die Theologie, das wäre ein eigenes Thema: Man erlebt einmal mehr, dass diese dort in den Seminaren Kirchen- Lehre offenbar nur mit Mühe noch Wissenschaft zu nennen ist.

Das Buch zeigt, wie die vielen homosexuellen Priester im Vatikan sich permanent selbst verleugnen und sogar zu expliziten Feinden der Schwulen werden, bloß um nicht aufzufallen und korrekt zu erscheinen. Diese Freilegung des Lügen-Systems, in das der einzelne homosexuelle Priester und Theologe gezwungen wird, ist wohl psychologisch und religionsphilosophisch am bedenklichsten. Theologen, die sich selbst ständig belügen und keine (sexuelle) Identität haben dürfen, kontrollieren als Mitarbeiter der Glaubensbehörde jene Theologen, denen man vorwirft, gegenüber dem Lehramt zu lügen, Irrlehren zu verbreiten. Lügner kontrollieren also so genannte Lügner. Denn die angeblichen „Ketzer“ sind ja nur solche, die kreativ die Theologie etwas voranbringen wollen. Und dann verfolgt werden.

In dem Buch nennt der Autor seine Behörde, die Glaubenskongregation oft „Inquisitionsbehörde“.

Über Papst Franziskus wird oft voller Zustimmung gesprochen. Nur glaubt der Autor nicht, dass der Papst sich gegen die Macht des vatikanischen Apparates durchsetzen kann. Er berichtet, dass bei einem Kongress über die Ehe (gemeint war der Kamf gegen die Homoehe) der Papst sogar eine Rede abgelesen hat, die die konservativen Veranstalter ihm „aufgesetzt hatten“ (S. 175).

Insgesamt zeigt das Buch lang und breit, dass die Mitarbeiter der Glaubenskongregation permanent und ständig vom Thema Homosexualität wie getrieben sind, als gäbe es nichts anderes in dieser Kirche und dieser Welt. In dieser Fixiertheit zeigt sich einmal das narzisstische Verhalten dieser Kleriker. Sie kennen nur sich und die Verleugnung ihrer Identität, um Karriere zu machen, vielleicht einmal Bischof zu werden etc…

Bitter böse ist etwa ein Text, wie ein Gebet, von Krzysztof Charamsa formuliert auf Seite 177: „Gott, segne den Papst und seine Kirche. Aber Gott, halte sie fern von uns. Seine Leute (also der Klerus) können der Menschheit nicht länger den rechten Weg weisen….

An anderer Stelle ein ähnlicher Gedanke: „Das starre System der Kirche muss zerstört werden, damit sie wieder zu einer Kirche der Menschen werden kann, wie ich einer bin“ (S. 280).

Mein Coming out habe ich „der Kirche mit aller Macht ins Gesicht geschrieen“ (280). Mit diesem Buch will Krzysztof Charamsa „nur einen ersten Stein legen, einen Grundstein zu einem Leben in Freiheit“ (259). Zusammenfassend: Charamsa hat „ das Reich der Lüge hinter sich gelassen“ (Seite 281)

Fragen zum Buch:

Bei einer weiteren Auflage des Buches würde ich mir wünschen, dass Krzysztof Charamsa erklärt, warum er das Pontifikat von Papst Benedikt XVI. das „schwulste Pontifikat der Neuzeit“ (S. 165) nennt, sicher weil der deutsche Papst die alten hübschen Gewänder und roten Schuhchen wieder aus der Mottenkiste hervorholte und den Pomp liebte. Sicher auch, dass seine Texte gegen Homosexuelle vor Menschenrechts-Gerichten hätten verhandelt werden müssen. Aber warum mag Charamsa diesen Papst? Warum sagt er kein Wort zu den nun einmal überall kursierenden Erzählungen, von Zeugen belegt, Ratzinger sei selbst „betroffen“, also schwul. Das ist überhaupt nicht schlimm. Schlimm ist die Verleugnung dieser Identität, die zur Verfolgung derer führt, die eben nicht so verklemmt sind wie man selbst!

Bei einer weiteren Auflage des Buches würde ich mir wünschen, dass ausführlicher auf seine Tätigkeit als Dozent in der Universität des Ordens Legionäre Christi in Rom eingeht. Eine Seite zu dem Thema ist zu wenig über diesen immer noch einflussreichen Orden, der jetzt überlebt, ohne seinen Gründer auch nur nennen zu dürfen, nämlich den pädophilen Verbrecher Pater Marcial Maciel. Ein Orden, der förmlich vor Geld stinkt, wie mexikanische Journalisten dokumentieren. Es ist für die Unabhängkeit der Wissenschaft eigentlich ein Skandal, wenn Leute aus der Glaubensbehörde auch noch als Theologiedozenten in der Uni der genannten Legionäre Christi wie auch der Jesuiten-Universität Gregoriana tätig sind. was ist das für ein Niveau? Offenbar findet man diesen Niedergang freier wissenschaftlicher Forschung in Rom normal. Wie wäre es also, dem vatikanischen Vorbild folgend, wenn Beamte des BND Vorlesungen zur Sicherheitspolitik an der Uni halten? Oder der Innenminister als Professor einer Uni die innere Ordnung Deutschlands lehren würde…

Interessant wäre es, wenn man erfahren könnte, wie viel der so gefragte Theologe und Prälat Charamsa als ein hoher Funktionär in der Glaubensbehörde monatlich verdient hat. Woher kommt das Geld für alle diese klerikalen Diener des Systems? Denn die privaten Reisen, von denen die Rede ist, sind ja selbst mit Billigfliegern nicht ganz gratis. Und wie und wo wohnte er als Kaplan seiner Heiligkeit? Vielleicht Seite an Seite mit Kardinal Müller? Da kann man doch Klartext reden!

Dass der Autor keine Namen der offenbar scharenweise homosexuellen Priester in der Glaubenskongregation ist ein bisschen verständlich, man will sich kostspielige Prozesse ersparen. Aber einige Namen betroffener Prälaten usw. sind ja auf anderem Wege doch schon in die Öffentlichkeit gelangt. Warum diese enorme Angst?

Merkwürdig kurz fällt auch der Hinweis auf das reaktionäre polnisch-katholische Rundfunk/Fernsehimperium MARYJA aus. Mich würde interessieren, warum scheitern alle Versuche, den Gründer dieser Propaganda-Maschine, Pater Rydzyk vom Redemptoristenorden, aus dem Verkehr zu ziehen?

Auch über die theologische Fakultät in Lugano (Schweiz) hätte man gern mehr erfahren, an der Krzysztof Charamsa einige Jahre studierte. Diese Fakultät gilt als Zentrum sehr konservativer religiöser Gemeinschaften, wie dem Neokatechumenat. Auch Professoren dieser Lehranstalt, wie Manfred Hauke, er war Assistent bei dem Traditionalisten Prof. Ziegenaus in Augsburg, gehören dem sehr konservativen Flügel an.

Trotz dieser offenen und natürlich vom Autor gewünschten kritischen Fragen (das ist ja demokratische Kultur) ist das Buch durchaus ein historisches Dokument. Zum ersten Mal in der Kirchengeschichte gibt es ein „coming out“ eines prominenten „Kaplans seiner Heiligkeit“. Die traurige Geschichte der Homosexuellen, über die wir so wenig wissen, weil alle Zeugnisse immer vernichtet wurden, bekommt durch das Buch eine neue, durchaus befreiende Bedeutung.

Wird der Apparat der Kirche so dumm sein, und dieses Buch übersehen? Ignorieren? Polemisch belächeln? Schon möglich. Die Macht des Apparates ist leider immer noch gewaltig und gewalttätig. Wie viele Menschen, wie viele Homosexuelle, sind durch die perversen Verurteilungen aus Rom in ihrem Leben irritiert und zerstört worden? Wer spricht von den vielen Opfern? Wann finden Bußgottesdienste der (selbst schwulen) Kardinäle in Rom statt, in denen sie sich heftig entschuldigen, für alles Leid, das sie und ihre Vorgänger homosexuellen Menschen angetan haben und antun. Die Festpredigt sollte dann der Priester Krzysztof Charamsa halten. All das wird in diesem Jahrhundert nicht mehr passieren. Die Mauern des Vatikans sind “ewig”, und die Insassen dieses geistigen (leiblichen) Gefängnisses sind noch stolz auf diese „Ewigkeit“…

Copyright: Christian Modehn . Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

 

 

Benedikt der Sechszehnte wird neunzig: Der konservative „EX-Papst“ im Hintergrund.

Joseph Ratzinger, Benedikt XVI., wird am 16. April 2017 90 Jahre alt

Hinweise von Christian Modehn

Der Chefredakteur der Zeitschrift „Stimmen der Zeit“ (München), der Jesuiten Theologe Andreas Batlogg, hat nach dem Erscheinen des Interviewbuches mit Joseph Ratzinger (Ex-Papst Benedikt XVI.) recht mutig im Deutschlandfunk (9.9.2016) gesagt: Das neue gemeinsame Buch mit Peter Seewald „Letzte Gespräche“ (erschienen im September 2016) „dürfte es eigentlich nicht geben“. Es sei stillos, wenn Ratzinger den gegenwärtigen wirklichen und wirkenden Papst Franziskus „in diesem Buch kommentiere“. So werde der Eindruck geweckt, Joseph Ratzinger sei doch noch irgendwie als Papst tätig… Dabei hatte er versprochen, nach seiner Abdankung (am 28.2.2013) zu schweigen. Aber wer einige Meter vom tatsächlichen Papst entfernt wohnt und nicht etwa im bayerischen „Gnaden“-Ort Altötting, der beobachtet alles, hört alles und redet auch mal wieder, um seine bekannten, mindestens sehr konservativ zu nennenden theologischen Meinungen zu verbreiten.

Pater Batlogg sagte in der Ra­dio­sen­dung: „Ich denke Benedikt ist sich treu geblieben. Er ist sich treu geblieben, ich bin da (in dem Buch, CM) Feindbildern und Klischees begegnet, die ich aus den 70er Jahren kenne… Ich merke, da hat er Feindbilder, die er über Jahrzehnte behalten hat, und jetzt, wo er wieder viel fitter ist als bei seinem Rücktritt im Februar 2013, da kommen diese Dinge wieder. Ich denke er schadet sich damit selbst“.

Wohl wahr… Aber diese Worte des EX – Papstes helfen auch all den vielen Prälaten, Kardinälen und reaktionären “neuen” geistlichen Gemeinschaften usw., die ihm, dem Benedikt, verbunden sind und förmlich darauf warten, dass der „alte Geist, der Ratzinger- Geist“, wieder herrscht. Solches freut doch den munteren Ex-Papst. Noch nie wurde wohl von Konservativen bzw. reaktionären Katholiken das Verschwinden eines Papstes so ersehnt wie das Ende von Papst Franziskus. Es gibt bekanntlich Bücher katholischer Journalisten, die den Hass auf Papst Franziskus dokumentieren, wie etwa „Les ennemis du Pape“ (Bayard Presse, Paris, 2016. „Die Feinde des Papstes”. Mit dem tatsächlichen Untertitel: “Über jene, die seinen Tod wollen“; Autor ist der sehr katholische Journalist Nello Scavo. Es werden bald Studien erscheinen, warum wohl Papst Franziskus bei Begegnungen mit ihm Wohlgesinnten immer wieder diese förmlich anflehte: “Betet für mich“. Diese permanente Häufung von Gebets-Wünschen lässt auch Böses ahnen…

Nun wird Joseph Ratzinger am 16. April 2017 90 Jahre alt. Uns interessiert nicht so sehr, ob irgendwelche lieben Domspatzen oder Altöttinger Liebfrauen-Brüder ihn beehren werden und bayerische Schweine-Schmankerl mitbringen.

Wir entsprechen nur den Nachfragen einiger LeserInnen dieser Website: Sie baten darum, noch einmal einige zentrale Texte aus unseren Forschungen zu Ratzinger zugänglich zu machen. Dabei ist für mich keine Vollständigkeit erreichbar. Etwa die Themen “Unterdrückung der Kenntnis und der Bestrafung sexueller Täter in der Zeit von Ratzingers Tätigkeit als oberster Glaubenschef in Rom” werden nicht erwähnt, das haben andere schon getan. Im Rahmen unserer Forschungen zu dem entsprechend belasteten Orden der „Legionäre Christi“ wurde hingegen oft von Ratzinger/Benedikt XVI. gesprochen.

Tatsache ist und die ist wichtig für die Geschichte der katholischen Religion: Unter Benedikt XVI. wurde die traditionelle Kirche, ganz auf den zölibatären Klerus fixiert, weiter gestärkt. Mit all den katastrophalen Folgen durch Priestermangel in den europäischen und nordamerikanischen Gemeinden. Tatsache ist weiter, dass dieser Papst die evangelischen Kirchen nie als Kirchen anerkannt hat. Hingegen schwadronierte Benedikt XVI. von einer Versöhnung mit den, Verzeihung, theologisch weithin verkalkten und oft korrupten orthodoxen Staatskirchen. Wer will mit Putin-Patriarchen und Bischöfen schon „eins“ werden und im uralten, dort üblichen Kirchenslawisch Gesänge schmettern?

Es werden hier also nur einige Beispiele, seit 1968, und einige Grundhaltungen des Theologen Ratzinger aufgezeigt, die er als Papst nicht aufgeben wollte und konnte. Ratzinger hatte ja bekanntlich seine private Theologie als DIE Theologie des Katholizismus vertreten und mit Gewalt verteidigt und durchgesetzt. Ihn inspirierte völlig der Kirchenvater Augustinus (gestorben 430) und eben nicht Karl Rahner oder Hans Küng.

Zu einem längeren biographischen Hinweis zur politischen Rechtslastigkeit Ratzingers seit 1968 klicken Sie hier.

Zum Widerspruch Benedikts gegen Formen des so genannten Relativismus klicken Sie hier.

Zu seiner Ehelehre und der Zurückweisung jeglicher Homo-Ehe klicken Sie hier.

Zu dem merkwürdigen Phänomen der ins Idolatrie abgleitenden Papsthymnen bei seinem Besuch in Mexiko klicken Sie hier.

Die Versöhnung mit den reaktionären Pius-Brüdern (gegründet von Erzbischof Marcel Lefèbvre) ist sicher eine der schwer wiegendsten Entscheidungen Benedikt XVI., sie zeigt wohl auch seine versteckten und unausgesprochenen Sympathien für diese angeblich so treu ergebenen katholischen Kreise… Über die so gütigen, verständnisvollen Bemühungen Ratzingers/Benedikt XVI., mit diesen auch politisch reaktionären, oft dem FN nahe stehenden traditionalistischen Kreisen (in Frankreich) zu einer Versöhnung zu kommen, wird in dem Bericht zur politischen Rechtslastigkeit Ratzingers gesprochen. Besonders die Affäre um den FN –Freund Abt Calvet von Le Barroux ist unvergessen: Dieses traditionalistische Benediktinerkloster versöhnte sich mit dem Papst, durfte aber die eigene reaktionäre Theologie und Politik ungebrochen fortsetzen. Calvet war ein Freund des Pétain Anhängers und Nazis Paul Touvier….Der Abt zeigte sich verständnisvoll für die Brandstifter, die das Kino “St. Michel” in Paris 1988 anzündeten, als dort der Scorsese Film „La dernière tentation de Jésus“ gezeigt wurde. Die Brandstifter machten übrigens ihre Exerzitien in seinem Kloster. Diese Versöhnung mit Le Barroux und weiteren reaktionären Klöstern ist eine der ganz dunklen Seiten in der Theologie und Kirchenpolitik Ratzingers. Über sie wird kaum noch gesprochen. Die Versöhnung mit dem Papst wurde im Kloster “Le Barroux” übrigens groß gefeiert, Kardinal Mayer OSB reiste aus Rom eigens an und feierte die Messe mit vielen rechtsextremen Frommen, wie etwa Bernard Anthony vom FN und dem Chefredakteur der FN Zeitung „Présent“ Jean Madiran. Ratzinger jedenfalls meinte unschuldig und nach außen naiv: „Die traditionalistische Messe auf Latein (d.h. der Priester spricht still seine Texte vor sich hin, mit dem Rücken zum schweigenden, bzw. den Rosenkranz betenden Volk,CM) ist ein Bollwerk für den Glauben“ (Viele Details sind nachzulesen in der wichtigen Studie „Des Intégristes très intégrés“ in: Les Dossiers du Canard, “Les Cathocrates”, Paris 1990, Seite 20 f.).

Zu Abt Dom Gérard einige Hinweise sogar auf Englisch vom Kloster selbst: https://www.barroux.org/en/nos-fondateurs-articles/dom-gerard-en.html

Ein eigenes Thema wäre: Wie betreibt Papst Franziskus die weitere Versöhnung mit den Pius-Brüdern? Manche kundigen Beobachter sagen: Die Versöhnung steht bevor. Warum wohl? Weil diese Piusbrüder eben viele junge Priester haben. Die sind ja absoluter Mittelpunkt im katholischen Denken! „Der Klerus muss herrschen“. Das ist die selten besprochene, aber tatsächlich wichtigste Botschaft des Vatikans im Reformationsgedenken 2017.

Copyright: Christian Modehn Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

 

Der Papst. Zu einem neuen Buch von Kardinal Gerhard Müller, Rom.

Ein Hinweis von Christian Modehn. Veröffentlicht am 16. Februar 2017

1.

Die Widmung Müllers gleich zu Beginn zeigt bereits die Richtung des auf über 600 Seiten ausgebreiteten Inhalts: Auf Latein geschrieben, wie es sich wohl für den obersten Glaubenswächter in Rom gehört, sagen schon die ersten beiden Zeilen sehr viel, von Chr. Modehn übersetzt:  „Der heiligen römischen Kirche, der Mutter und der Lehrmeisterin aller Kirchen…. widmet der Autor dieses Buch“.

2.

Die römische Kirche als Lehrmeisterin aller Kirchen … und der Papst dann als oberste Lehrer aller, dieses Worte, 2017 ausgesprochen, sind doch verstörend. Diese Behauptung ist eine schlechte Empfehlung für alle weiteren ökumenischen Bemühungen im Lutherjahr 2017: Rom als die „Mutter aller Kirchen“ muss doch von allen (auch abtrünnigen Söhnen) geliebt werden. Zurück zur Mutter-Brust könnte man denken… Der Kardinal in seinem Vatikan-Palast sieht „bislang unüberbrückbare dogmatische Gegensätzen zwischen Katholiken und Protestanten“ (S. 489), nämlich im Blick auf das Weihesakrament! Diese Gegensätze sehen viele Katholiken an der Basis sicher nicht mehr. Sie wollen darum endlich gemeinsam Abendmahl feiern mit Protestanten, siehe etwa das aktuelle und richtige Statement von Pater Klaus Mertes SJ, klicken Sie hier. Aber der hohe Herr im vatikanischen Palast insistiert auf der dogmatischen Überlegenheit des Katholizismus, also bestehen die unversöhnten Gegensätze fort.

3.

Wie sich katholischer Glaube zusammensetzt, dürfte auch für Protestanten interessant sein, Müller sagt: „Er ergibt sich aus der Heiligen Schrift, dem Glaubensbekenntnis, den Katechismen, den bisherigen Lehrentscheidungen der Kirche“ (S. 332). Für die Freunde der „liberalen wissenschaftlichen Theologie“ also der Hinweis meinerseits: Von Vernunft als Quelle eines humanen Glaubens ist da keine Rede… Aber wichtig ist der folgende Satz von Müller, der alle Korrektur, alle Zurücknahme früherer, jetzt aber im Denken vieler doch heute überholter Lehren betrifft: „Die schon entschiedenen Glaubensfragen können auch nicht mit dem Vorwand ihrer Weiterentwicklung ins Gegenteil verkehrt werden“ (332). So etwas nennt man wohl einen steinernen, leblosen Dogmatismus, dem jegliche Lebendigkeit und Wandelbarkeit durch das gelebte (religiöse) Leben und Erkennen abgeht. Warum? Um die eigene Macht- und Privilegien-Position unbedingt zu halten…

4.

Dieses umfangreiche Opus des Kardinals erscheint gleichzeitig mit einem Buch, das ein Mann verfasst hat, der Jahre lang als Junge von einem Kapuzinerpater in der Schweiz missbraucht wurde: Daniel Pittet ist der Name des Opfers. Der Priester, der immer wieder vergewaltigte und dann von einem Kloster zum anderen versetzt wurde, heißt Joel Allaz, er lebt in einem Kloster in der Schweiz. Für dieses Buch von Daniel Pittet, voller schlimmster Erinnerungen, hat Papst Franziskus ein Vorwort geschrieben! Das passiert ja nicht alle Tage: der Papst als Autor eines Vorwortes. Der Titel de Buches: Mon Père, je vous pardonne (éditions Philippe Rey). Für Müllers Werk über den Papst hingegen hat Papst Franziskus nichts geschrieben.

5.

Kardinal Müller schildert auf 90 Seiten gleich zu Beginn seine glanzvolle Karriere voller tiefer Gläubigkeit im „Dienst“ „der“ Kirche. In diesem biographischen Teil lobt der Kardinal Papst Benedikt XVI. in den höchsten Tönen, er konnte „auf eine bewundernswerte Kenntnis der Theologie- und Dogmengeschichte zurückgreifen“ (S. 95 usw.)…Das theologisch und exegetisch völlig veraltete und überholte dreibändige Werk Ratzingers über Jesus von Nazareth lobt Müller selbstverständlich:

Beide, Ratzinger und Müller, sind von demselben Geist: Sie verstehen die Aussagen des Neuen Testaments im Grunde wortwörtlich, die sie zur Verteidigung ihrer eigenen Position brauchen: Also: Jesus hat den armen Fischer Petrus als ersten Papst gewollt und bestellt. Jesus von Nazareth wollte eine Kirche gründen, die katholische Kirche, natürlich: Solche bibelwissenschaftlichen Behauptungen kann heute kein Theologiestudent mehr in einem Exegese-Seminar vertreten. Eminenz Müller tut es. Da wird eine fundamentalistische Bibeldeutung betrieben, passt dies zu einem einstigen Theologieprofessor (in München)? Soll man über den Satz Müller lachen oder weinen? Wenn er sagt: Jesus habe also den Apostel Simon (Petrus) zum Felsen gemacht, auf dem er seine Kirche aufbauen will: „Damit ist Jesus selbst der Urheber der Verfassung der Kirche“. Fehlt bloß noch, dass sich Jesus von Nazareth irgendwann bei einem Spaziergang durch Palästina, schon die Glaubenskongregation in Rom, einstmals das grausame Heilige Offizium und die Inquisitionsbehörde wünschte…Interessant wäre es, wenn der Satz aus dem Matthäus-Evangelium (23,8) mit der gleichen fundamentalistischen Energie im Vatikan interpretiert und vor allem gelebt würde, der Satz aus dem Munde Jesu an seine Jünger heißt: “Nennt euch nicht Meister”. Also, Ihr seid keine Meister, keine obersten Lehrer, keine Direktoren eines heiligen Offiziums…

6.

Während die Lobeshymnen auf Ratzinger recht lang ausfallen in der Biographie Müllers, sind die Worte zu Papst Franziskus eher karg. Und ich weiß nicht, ob Müller sich des Lobes, der Ironie oder des Zynismus bedient, wenn er die wenigen Zeilen im Kapitel “Meine Lebensgeschichte” zu Papst Franziskus wiederum auf Latein mit der Überschrift versieht: “Feliciter regnans“, also „glücklich“ bzw. auch „mit Erfolg regierend“. Man muss nur die Weihnachtsansprachen von Papst Franziskus vor der Kurie in Rom lesen, um zu sehen: Dieser Papst ist mit diesem seinem Hof (curia) höchst unzufrieden. Und mit den ultrakonservativen neuen Orden ist er ebenfalls nicht glücklich, geschweige denn mit dem Finanzgebahren des Vatikans. Dass er mit einer prunkvollen Palast-Wohnung nicht glücklich war, zeigt sein bescheidenes Leben in einer Art Hotel „Haus St. Marta“ usw. usw…

Das soziale Engagement des angeblich glücklich regierenden Papstes erwähnt Müller ausführlicher: Dass im Sozialen auch ein neues theologisches (!) Amtsverständnis sichtbar wird, sagt Müller nicht. Für ihn ist Papst Franziskus eine Art sozialer Prophet. „Der bessere Theologe bin ich, Müller“, denkt man dann wie automatisch.

7.

Durchgehend wird, beinahe für den philosophisch gebildeten Leser unerträglich, die feindselige Abwehr des Herrn Müller gegenüber der Aufklärung, dem “Freidenkertum” (was auch immer Müller darunter verstehen mag), dem liberalen Denken und dem Kulturprotestantismus ausgebreitet. Von „Selbstdenkertum der Moderne“ ist abfällig die Rede, was soll diese Bezeichnung? Würden mehr Menschen selbst denken und urteilen, würde es besser in der Welt und der Kirche aussehen. Dieser Theologe bejaht nicht die Aufklärung, die Trennung von Kirche und Staat und die Laizität. Wie sehr schätzt er eigentlich die Demokratie? Mit dem Philosophen und Politiker (und Berlusconi-Freund) Marcello Pera ist Müller der Meinung, dass die (in meiner Sicht ja bloß ansatzweise) “Versöhung von Christentum und Moderne” ein Fehler für die katholische Kirche ist (399).

8.

Müller betont einmal mehr seine Freundschaft mit dem Befreiungstheologen Gustavo Gutiérrez aus Peru. Müller betont, wie wichtig ihm die Befreiungstheologie wurde. Mit seiner Freundschaft zu Gutiérrez will er die Theologie der Befreiung spalten, in eine gute (moderat wie Gutierrez) und in eine böse, weil radikale auch Papst-kritische, repräsentiert in dem großen Leonardo Boff… Müller sagt, er habe auch in Peru Theologie doziert. Ob er dort Befreiungstheologie dozierte oder aus seinem Dogmatik-Handbuch aus Regensburg vorgelesen hat, wissen wir nicht so genau. In jedem Fall hat das Leben in der angeblich bitteren Armut Perus den Herrn Kardinal Müller nicht dazu bewogen, nun in Rom weiterhin explizit den Impulsen der Befreiungstheologie zu folgen. Oder seinen eigenen Wohn-Palast aufzugeben und etwa im Sinne der Befreiungstheologie arm in einem Hochhaus in der römischen Vorstadt zu wohnen. Nach einer jüngsten Veröffentlichung des Vatikan-Insiders, des Journalisten Gianluigi Nuzzi „bewohnt Müller laut internen Dokumenten eine knapp 300 Quadratmeter große Wohnung im Zentrum Roms. Sie ist dem Leiter der Glaubenskongregation vorbehalten und gehört dem Vatikan. Für viele dieser Wohnungen ist keine oder geringe Miete fällig“ (Wochenblatt Regenburg vom 30.12. 2015, Autor Christian Eckl).

Also: Nichts als Nebel, wenn die Freundschaft zu Pater Gustavo Gutierrez OP so deutlich gepriesen wird und sich Kardinal Müller als Freund der Armen und ihrer Theologie etablieren will, siehe dazu schon einige Hinweise zu Müller und seiner Freundschaft mit Gutiérrez vom 2.1. 2016, klicken Sie hier. .

9.

Man suche bitte im Register des Buches nach Namen, die zu dem Thema Papsttum von höchster wissenschaftlicher Bedeutung sind. Hans Küng sucht man vergeblich. Sein Name kommt nicht vor. Küng ist immer noch ein Verschmähter, zu klug für die Beamten im Vatikan. Er darf auch in Herrn Müllers Papstbuch nicht vorkommen. Küng hat bekanntermaßen das wichtige Buch „Unfehlbar“ geschrieben. Auch Hubert Wolf, Kirchenhistoriker, sucht man vergebens. Auch Leonardo Boff, den Befreiungstheologen. Hingegen kommt Lenin zweimal vor… Den Namen Benito Mussolini sucht man auch vergebens, er hat bekanntlich den Deal geführt, der zur Gründung des Staates Vatikanstadt führte. Nebenbei: Zur doppelten Rolle des Papstes als geistlicher Führer und als Staatschef habe ich bisher nichts gefunden in dem Buch von Müller. Auch den Namen Lorenzo Valla sucht man vergebens. Er hat schon im 15.Jahrhundert nachgewiesen, dass die so genannte Konstantinische Schenkung eine Fälschung ist. Aber der reaktionäre Papst-Verteidiger Joseph de Maistre hätte gut in die Reflexionen von Herrn Müller gepasst.

Auch die Literaturliste, offenbar die verwendete Literatur, ist dürftig. Hans Küng wird auch da nicht erwähnt. Hingegen Dietrich Bonhoeffer, den Müller manchmal zitiert, aber nicht dessen Überzeugung, man müsse als Christ heute so leben, als gäbe es Gott nicht usw…Der italienische Politiker Marcello Pera wird erwähnt mit seinem Buch über (bzw. gegen) den Relativismus. Pera stand und steht Berlusconi sehr nahe. Insgesamt ist das ein klägliches, sehr auf konservative Autoren gerichtetes Literaturverzeichnis. Man wird neugierig, wenn völlig entlegene Werke im Literaturverzeichnis auftauchen, etwa das Buch von Richard Baumann über den Papst, das in einem Verlag erschien, der sonst explizit traditionalistisches Schrifttum verbreitet. Baumann war hoch umstrittener Konvertit zum Katholizismus. Konservative Autoren als Literaturempfehlung im Verzeichnis, Remigius Bäumer, Louis Bouyer, Kardinal Walter Brandmüller, Heinrich Denifle, Ludwig Ott, Kardinal Leo Scheffczyk  usw…Manch ein Leser hätte förmlich Lust, Bücherpakete von aktuellen Theologen nach Rom zu senden…

10.

Man wird den Eindruck wieder einmal nicht los: Diese Art von offizieller, man möchte sagen, Vatikan-staatstragender Theologie erweckt Assoziationen an das Niveau der alten Parteihochschulen der SED und anderer kommunistischer Parteien: Da wird hier wie dort nur selbst-bezogen argumentiert; die offiziellen Texte werden nach offizieller Lesart bearbeitet und zitiert; Funktionäre zitieren sich gegenseitig, Parteibeschlüsse bzw. Bischofsbeschlüsse, Konzilienbeschlüsse, Ergebnisse bilateraler Arbeitsgruppen usw.  werden hin und her zitiert. Die „Argumente“ dienen dem Machterhalt der Institutionen und ihrer Profiteure. Von kritischem, wenigstens wachem Geist kein Spur. Dies ist das Elend der offiziellen katholischen Theologie.

Sie ist in unserem Beispiel keine unabhängige Wissenschaft. Sie kennt keinen Abstand zum privaten Glauben des Autors Müller, der oftmals esoterisch gefärbt ist. Wie anders als esoterisch, also nicht-theo-logisch, d.h. logos-mäßig, vernünftig argumentierend, kann man denn diesen Satz von Herrn Müller (S. 102) lesen zur Ehe-Theo-„logie“: „Die Ehe ist als Sakrament eine vollkommene Analogie der hingebenden Liebe Christi am Kreuz, durch die er sich die Kirche als Braut erworben hat… Weil Gott selbst (!) die christlichen Ehegatten aufgrund ihres freien Ja-Wortes miteinander verbunden hat, sind sie darum in Christus ein Fleisch geworden. Und darum ist die Ehe auch innerlich unauflösbar“ (S. 103). Nur einmal als Test: Man lese bitte diesen Satz jungen Leuten vor, vielleicht Eheleuten in einem Elendsviertel in Lima, Peru, oder in Berlin-Kreuzberg laut vor und überprüfe die Reaktionen…  Man sieht nur an diesem Beispiel, dass Müller mit seinem Papst-Buch auch die heute angeblich so furchtbar wichtigen Themen der Ehe-Theologie mitbehandeln will.

11.

Es ist ein Beleg für die abgehobene Sonderrolle in einer abgeschlossenen Sonderwelt im Vatikan, dass sich Kardinäle, so auch Herr Müller, mit dem eher zum Schmunzeln führenden Namen „Gerhard Kardinal Müller“ tatsächlich als Autor präsentieren… und bitte auch in ergebenen katholischen Kreisen so angeredet werden wollen. Und die Ergebenen tun das auch.  Ich hätte spaßeshalber Lust, meinen kurzen Beitrag so zu zeichnen: „Christian Journalist Modehn“. Geschrieben am Hochfest der heiligen Juliana von Nikomedien oder wahlweise am Hochfest des seligen Papstes Gregor X. Dies ist säkular gesprochen: Der 16. 2. 2017.

Noch etwas nebenbei: Kardinal Müller hat sein Opus, wie er auf Seite 16 im Vorwort schreibt, vollendet zu Rom, „am Hochfest der Cathedra Petri 2017“. Für alle nicht so einschlägig Gebildeten: Dieses Fest feiern die Kardinäle in Rom und anderswo am 22.Februar. Es heißt auf Deutsch: “Petri Stuhl-Feier”. Gefeiert wird der Sitz Petri! Verwunderlich ist: Das Vorwort wurde laut Datierung (22.2. 2017) von Herrn Müller geschrieben nach dem Erscheinen des gedruckten Werkes. Ich habe das Buch seit dem 14. 2. 2017 in den Händen. Ist da etwa ein Druckfehler passiert? Oder findet da eine Art klerikales Bedürfnis einen Ausdruck, dieses Buch an einem Papstfeiertag zum Druck abgegeben zu haben?

Das Buch “Der Papst. Sendung und Auftrag” ist am 14.2.2016 im Herder Verlag erschienen. Es wird weitere Debatten über den Zustand katholischer Theologie in Rom auslösen. Dieser Beitrag war eine erste kritische Ermunterung, in dieses voluminöse und verstörende Werk zu schauen…Wenn man sich die Zeit nehmen will, in die “Tiefen” einer reaktionären klerikalen Theologie einzudringen…Diese Theologie aber ist Ideologie: Sie sammelt nur Argumente zur Verteidigung der bestehenden Papstkirche…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Militärdiktatur in Argentinien und die Kirche: Ein verdrängtes Thema kehrt nun wieder

Ein Hinweis von Christian Modehn

33 Jahre nach dem Ende der Militärdiktatur in Argentinien (sie dauerte von 1976 bis 1983) sind am 25. August 2016 – endlich – einige der führenden Mörder und Folterer aus den herrschenden Militärkreisen in der argentinischen Stadt Cordoba verurteilt worden. General Luciano Benjamin Menéndez z.B. wurde in 54 Fällen von Mord, in 656 Fällen von Folter und in 257 Entführungen für schuldig gesprochen; er hatte damals den Titel „die Hyäne“: „Er tötete nach Lust und Laune“, schreibt die argentinische Journalistin Marta Platia in „der Freitag“ vom 1.9.2016, Seite 10 in ihrem ausführlichen Prozessbericht. Dieser Verbrecher hat einen Rekord an lebenslangen Haftstrafen „gesammelt“: Es sind 10 lebenslängliche Strafen und noch einmal zweimal 20 Jahre…Bereut hat er auch nach dem Prozess nicht und nichts. Preisgegeben hat er seine Informationen, etwa zur Lagerung der Ermordeten, auch nicht.

Der Religionsphilosophische Salon Berlin“ ist an der Verteidigung der Menschenwürde und der Menscherechte lebhaft interessiert und engagiert. Von unserem speziellen Interesse an Religionen und Kirchen soll nur darauf hingewiesen werden:

Die Diskussion über die Rolle der katholischen Kirche während der argentinischen Militärdiktatur wird nun hoffentlich auch in Europa, auch in Deutschland, wieder lebhafter und objektiver werden. Durch die Arbeiten der investigativen französischen Journalistin Marie-Monique Robin ist das Thema seit der Wahl Kardinal Bergolios zum Papst immer wieder kontrovers diskutiert worden, zur Lektüre des französischen Textes klicken Sie hier.

Deutlich wird einmal mehr, wie personell gut ausgestattet die Militär-Seelsorge unter den Diktatoren war, dazu haben inzwischen argentinische Historiker lange und offenbar vollständige Listen mit entsprechenden Beschreibungen der Details publiziert. Tatsache ist, dass viele Militär – und Polizeiseelsorger bei den Folterungen aktiv dabei waren. Erwähnt wird unter vielen anderen auch ein Jesuitenpater (Martin Gonzalez SJ) als Militärgeistlicher, der dieses Amt (von 1971 bis 1977), wie allgemein auch in anderen Orden üblich, nur mit Zustimmung seines damaligen Provinzials, Pater Bergoglio, ausüben durfte. Pater Bergoglio war Provinzialoberer seines Ordens von 1973 bis 1979, also zur Zeit der Militärdiktatur.

Die beiden jungen Historiker Lucas Bilbao und Ariel Lede Mendoza haben kürzlich eine umfangreiche Studie über den Militärbischof Victorio Bonamin aus dem Salesianerorden (Militärbischof von 1960 bis 1982!) veröffentlicht: „Bischof Bonamin hatte eine direkte Verbindung zu den Diktatoren und zu den Orten der Folter“, schreiben sie. Beide Autoren konnten die Tagebücher des Bischofs auswerten und entdeckten dort Rechtfertigungen der Folter und Lobeshymnen auf die Diktatur; auch in die Ermordung des (nahezu einzigen) oppositionellen Bischofs Enrique Angelelli (ermordet 1976) war Bonamin verwickelt. Für weitere Infos klicken Sie hier.

Eine gewaltige Aufgabe kommt da auf objektive, also auch der Kirche gegenüber kritische Historiker zu. Ob man es wagt, dabei einmal gründlich die Rolle von Pater Bergoglio bzw. Kardinal Bergoglio in Buenos Aires zu untersuchen, ist fraglich. An dieser Gestalt wagt niemand in dem argentinischen Zusammenhang – vielleicht aus der viel beschworenen Barmherzigkeit – Kritik zu üben. Wer trotzdem kritische Fragen stellt, wird als “Linker” oder so fertiggemacht.

Zunächst aber sollte wohl das Buch über den Militärbischof Bonamin übersetzt werden, es hat in Argentinien den treffenden Titel „Profeta del genocidio“ (Prophet des Völkermords), Verlag SUDAMERICANA, März 2016. Welche katholische Institution wäre dazu bereit, allein schon deswegen, weil Millionen DM-Spenden damals, auch zu Zeiten der Militärdiktatur, nach Argentiniens Kirche überwiesen wurden.

Das Buch ist auch wichtig, weil es den Einfluss reaktionärer katholischer Kreise aus Frankreich in Argentinien im Umfeld der Militärdiktatur zeigt. Die „Cité Catholique“ war dort heftig tätig. Die Autoren schreiben in dem Vorwort: „El libro básico del fundador de la organización, Jean Ousset, es El marxismo-leninismo. Se publicó en Francia en 1961 y su primera edición extranjera al año siguiente en Buenos Aires,18 con traducción y notas del coronel Juan Francisco Guevara, quien entonces era jefe de Inteligencia del Ejército. “El marxismo —dice Caggiano (Kardinal von Buenos Aires bis 1979) en el prólogo— nace de la negación de Cristo y de su Iglesia”.

Damit ist klar: Die rechtsextremlastigen Kleriker brauchten den Marxismus als Feindbild, um die eigene Aggression gegen jegliche Befreiungsbewegung zu begründen. Der Anti-Marxismus war förmlich das herrschende politische Glaubensbekenntnis in weiten Kreisen des maßgeblichen Klerus. Aber das ist ein anderes dringendes Thema, es berührt auch den Umgang Papst Pius XII. mit Hitlers Regime („es ist nicht ganz so schlimm wie der Kommunismus“, hieß es).

 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Kardinal Gerhard L. Müller in Rom: Er hat die Wahrheit. Er verteidigt sie kompromisslos. Zu einem Interview in “Die Zeit”.

Er hat die Wahrheit. Er verteidigt sie kompromisslos: Kardinal Gerhard Ludwig Müller, Vatikan.

Zu einem Interview in „Die Zeit“ mit Evelyn Finger vom 30. Dezember 2015, Seite 54.

Hinweise von Christian Modehn

Aktualisiert am 8.10.2016: Grundsätzliches zur Erinnerung: Lebendige Philosophie muss –wegen des Zustandes der Religionen heute – auch Religionskritik sein.

Ein Beispiel: Das Thema “Die politische Theologie” des obersten Glaubenschefs in Rom,Kardinal Müller, begegnet uns immer wieder. Diese Aspekte im Denken und Handeln Müllers werfen noch einmal ein Licht auf die von ihm so oft genannte Freundschaft mit dem peruanischen Befreiungstheologen Gustavo Gutierrez OP. Diese Freundschaft wird tausendmal beschworen. Sie bedeutet jedenfalls nicht, dass Müller irgendetwas von der Befreiungstheologie gelernt hat, wie die folgenden Informationen zeigen. Am 6. Oktober 2016 hat Kardinal Müller ausgerechnet bei einem Orden zur Eröffnung des Akademischen Jahres 2016/17 gesprochen, der als erklärter Feind der Befreiungstheologie in Lateinamerika gilt: Bei den Legionären Christi, in deren Universität Regina Angelorum in Rom. Über diese Ordensgemeinschaft haben wir auf dieser website Vieles berichtet, auch über den verbrecherischen Ordensgründer, Pater Marcial Maciel, einen Vertrauten des heiligen Papstes  Johannes Paul II.

Aktualisiert am 1.10.2016: “Die Botschaft der Hoffnung” wurde sinnvollerweise bei der Fürstin vorgestellt: Das neueste Buch (bei Herder erschienen) des obersten römischen Glaubenswächters Kardinal Gerhard Ludwig Müller erläuterten illustre Gäste wie Peter Gauweiler, Martin Mosebach und Henryk Broder in Müllers heimatlichem Gefilde, also in Regensburg. Georg Ratzinger, der berühmte “Bruder” und einst oberster Domspatz, war auch noch dabei. Fürstin Gloria von Thurn und Taxis, die Schloßherrin und Gastgeberin und Freundin des Herrn Kardinal, machte zur Begrüßung den gebotenen Hofknicks aus barocken Zeiten und küsste den anulus epicopi, also den Bischofsring, bevor sich der Hochadel und die Hochkirche und ihre feuilletonistischen Mitläufer den feinen Speisen hingaben. Ob sie dabei an die Armen in Peru dachten, gar an die letzten, von der römischen Glaubensbehörde nicht verfolgten Befreiungstheologen, ist nicht bekannt und in diesem erlesenen Rahmen eher unwahrscheinlich. Bekanntlich hat ja Kardinal Müller eine ganz intime Zuneigung zu den Armen in Peru, die er früher öfter besucht hat und dort Vorlesungen der klassischen europäischen Art den jungen Theologen dargeboten hat. Schon möglich, dass man etwas bei der Fürstin für die Armen in Peru gespendet hat, Spenden gehören sich ja so ein bißchen…(Weitere Informationen in “Christ und Welt” vom 22.9.2016, Seite 2,Beitrag von Patrick Schwarz)

Ergänzt am 2.3.2016: Inzwischen hat Pater Klaus Mertes SJ in einem Interview mit dem “Kölner Stadtanzeiger” (am 1.3.2016) den Rücktritt von Kardinal Gerhard Müller gefordert, wegen dessen offenkundiger  Verschleierungspraxis im Umgang mit  sogenannen pädophilen Tätern zu einer Zeit, als Müller Bischof in Regensburg war (Die Opfer: Etliche “Domspatzen”). Es bleibt abzuwarten, wie der oberste Chef der Glaubensbehörde mit dem berechtigten Hinweis von Pater Mertes umgehen wird.  Die entscheidende Passage aus dem Interview können Sie am Ende dieses Beitrags lesen. 

Das Interview mit Kardinal Gerhard Ludwig Müller in „Die Zeit“ offenbart die Denkweisen und damit auch die Art, mit Gläubigen umzugehen, die in der Glaubensbehörde im Vatikan heute gültig sind. Leider ist zu befürchten, dass sie nach dem Tod von Papst Franziskus verstärkt fortgeführt werden.

Es lohnt sich, aus dem Text in der „ZEIT“ einige Behauptungen Müllers der Deutlichkeit wegen herauszustellen. Sie offenbaren den geistigen, den theologischen Zustand des römischen Katholizismus im Vatikan. Sie zeigen, wie dort eine von mehreren theologischen Überzeugungen zu „der“ Lehre „des“ Katholizismus hochgespielt werden, ungeachtet jeglicher theologischer Sensibilität für andere, bessere und wissenschaftlichere Formen des Denkens. Müllers Theologie soll als katholische Welt-Theologie gelten.

Zum Titel des Beitrags: Ein Zitat von Kardinal Müller: „Die Kirche ist kein Philosophenclub“.

Ich meine: Wäre die römische Kirche wenigstens annährend auch so etwas wie ein Philosophenclub, würden die Fragen und die Fraglichkeit, das Suchen und das Zweifeln, also die elementare Lebendigkeit des Geistes und der Vernunft, nicht unterdrückt werden wie in einem vatikanischen Club, der sich der absoluten Wahrheit total gewiss ist und diese Gewissheit einem einzelnen Herrn, dem Kardial Müller, zu schützen anvertraut hat. Ohne Fragen gibt es kein geistiges Leben! Das wussten schon die antiken Philosophen. Es gab frühchristliche Theologen, die die Kirche zurecht als “philosophische Schule“ verstanden. Man denke an Clemens von Alexandrien. Und man lese nur die Bücher des großen Philosophen und Philosophiehistorikers Pierre Hadot.

Kardinal Müller muss sich von Amts wegen, so wörtlich in „Die Zeit“, um die „Delikte gegen den Glauben oder die Heiligkeit der Sakramente kümmern“.

Ich frage: Was heißt das nette, das caritative Wort „kümmern“? Bis heute werden katholische Theologen von Müllers Behörde, besonders gern auch Theologinnen, angeklagt wegen Irrlehren… Dann aber ohne offenen, menschenwürdigen Prozess, sie werden abgesetzt und ins Abseits gedrängt. Das bedeutet also „kümmern“. Müller spricht von „Delikten“ gegen den Glauben und gegen die Sakramente. Ich meine: Delikte begehen Verbrecher. Sind denn jene Theologen Verbrecher, die gegen die totalitäre Sprachgewalt der Dogmatik rebellieren? Sind sie Verbrecher, weil sie wissen, dass diese römische Dogmatik in ihren Formulierungen schon fast steinzeitmäßig veraltet ist?

Wie kommt eigentlich jemand dazu, sich als absoluter Herr „der“ Wahrheit aufzuführen?

Irritierend ist ferner, dass Müller davon spricht, für beide Päpste, also Benedikt XVI. und Franziskus, „die Arbeit zu koordinieren“, das Wort koordinieren wird im Präsenz, als Gegenwart, verwendet. Das heißt: Müller koordiniert auch noch die Arbeit des pensionierten Papstes Benedikt XVI., den – geografisch gesehen – Nachbarn von Franziskus im Vatikan. Welche dogmatischen Fragen werden zwischen den Freunden Müller und Ratzinger besprochen?

Die 20.000 Euro, die vatikanische Ermittler, keineswegs also Polizisten Italiens, in Müllers Büro in einer Wiener – Würstchen-Büchse kürzlich entdeckten, werden von Müller als „Fantasterei der Yellowpress“ abgetan. Interessant, wie der oberste vatikanische Wahrheitshüter (der gegen „Delikte“ vorgeht) mit Wahrheit umgeht, wenn sie ihn bzw. sein Büro selbst betrifft. „Die Fahnder hätten daraufhin im Schreibtisch von Müllers Verwaltungsleiter Monsignore Mauro Ugolini 20 000 Euro Bargeld gefunden, versteckt hinter einer alten Dose Wiener Würstchen. Das Geld sei beschlagnahmt, der Verwaltungsleiter vorübergehend suspendiert worden“. So die SZ am 9.Dezember 2015. „Vatikansprecher Federico Lombardi wies allerdings eine Verwicklung Müllers zurück. Lombardi erklärte am Mittwoch, es seien vor einiger Zeit “einige Unregelmäßigkeiten” in der Verwaltung der Glaubenskongregation festgestellt worden“, so die „Rheinische Post“ am 9.Dezember 2015. Als Chef der Büros ist dann aber Müller doch mit-betroffen, verantwortlich für solche Delikte. Aber offenbar zählen im Vatikan dogmatische Delikte mehr als finanzielle. Sind SZ und “Rheinische Post” „Yellowpresses“? Dann ist der „Osservatore Romano“ Super-Yellow.

Kardinal Müller identifizert sich als Chef der Glaubenskongregation, einst die Heilige Inquisition“, offenbar völlig mit dieser Behörde: „Als wir im Jahre 1542 entstanden…“ Mit „Wir“ meint Müller die Heilige Inquisition, heute Glaubenskongregation genannt. Er reiht sich gern ein in diese grausige Tradition.

Schwerwiegender und für alle ökumenischen Initiativen bedrückend ist die Aussage des Glaubenshüters Müllers in “Die Zeit“: „Volle Einheit der Kirche ist nach katholischem Verständnis nur mit dem Bischof von Rom als Nachfolger Petri möglich“. Also: Die protestantischen Kirchen müssen den Papst anerkennen. Welchen Sinn hat dann noch die Ökumene als Weg zur Anerkennung der verschiedenen Kirchen in ihrer Verschiedenheit? Welchen Sinn hat dann noch die Einladung des Papstes nach Wittenberg anlässlich der Reformationsfeiern 2017? Wann werden das die Manager des Protestantismus in Deutschland begreifen? Offenbar denkt Müller genauso wie Ratzinger, der sich auch als Kardinal schon die Einheit der getrennten Kirchen nur vorstellen konnte, wenn alle Kirchen den Papst anerkennen.

„Der” Glaube wird von Müller verteidigt: Die Lektüre der Bibel durch die Vatikan-Behörden gilt als die einzige mögliche. Für den Theologieprofessor, der Müller einmal war an staatlichen Fakultäten (die, von Steuergeldern bezahlt, eigentlich der kritischen Forschung dienen sollten), gilt: Es gibt nur „das objektive“ vorgegebene Wort Gottes, wie eine Art feste Gesteinsmasse, die ewig unveränderlich im Vatikan ruht und nur angeschaut werden muss, um ewige Antworten zu bekommen. Diese objektivistische Sicht „des“ „Wortes Gottes“ ist ein Hohn auf alle theologische Forschung der letzten Jahrzehnte.

Dem entspricht, wenn Müller sagt, dass „Jesus der einzige Retter der Welt ist“. Wie wenig ist eigentlich der Theologe Müller von den Erkenntnissen moderner Theologen weltweit berührt, die Gott nicht so klein-römisch machen wollen, dass er nur in Jesus Christus die Welt retten will? Kann man Glaubenschef einer Weltkirche sein, ohne die Vielfalt der Theologien heute auch annähernd zu kennen? Das sind die Tatsachen, gegen selbst die progressiven Katholiken nichts, aber auch gar nichts bewirken können. Sie stehen dem System absolut rechtlos gegenüber. Wie Luther, damals.

Die hymnenähnlich Preisung der Hetero-Ehe durch Kardinal Müller ist etwas zum Schmunzeln: „Die Begegnung von Mann und Frau als höchste Verwirklichungsform des Schöpferwillens“ usw., Sprüche, die man schon tausendmal gehört in Rom und bischöflichen Residenzen hat. Die Frage ist nur: Warum verzichtet Gerhard Ludwig Müller persönlich auf diese höchste Verwirklichungsform, wo doch dann, nach den Gesetzen der Logik, der Zölibat etwas Zweitklassiges gegenüber dieser höchsten Verwirklichungsform ist? Warum wählt Herr Müller das Zweitklassige, den Zölibat, den doch eigentlich Paulus für etwas Besonderes hielt? Warum lässt er, warum lässt nicht auch der Papst, verheiratete Männer als Priester zu, die, so heißt es, die höchste Verwirklichungsform des Schöpferwillens in der Hetero-Ehe leben? Es ist der Wille, die klerikale Macht der “Zölibatären” unter allen Umständen zu verteidigen und bewahren. Diese Überzeugung wurde seit dem Mittelalter grundgelegt. Sie ist die Basis des römischen Systems.

Zur Freundschaft Kardinal Müllers mit dem prominenten Befreiungstheologen, Gustavo Gutierrez aus Peru: Über diese Freundschaft ist eigentlich bisher wenig in der theologischen Literatur geschrieben worden.

Müller präsentiert sich gern, offenbar von Gutiérrez inspiriert, als Förderer der (armen) Gemeinden in Peru. Und Müller verdient Respekt, wenn er, wie er berichtet, als Theologieprofessor damals über 15 mal in Peru „pastoral“ tätig war. Es ist erstaunlich, dass Müller in seinem Buch „Armut. Die Herausforderung für den Glauben“ (München 2014) betont, wie prägend die Begegnungen mit dem Befreiungstheologen Gustavo Gutiérrez seit 1988 für ihn gewesen sein sollen. Da spielte sich für ihn, den europäischen Theologen, wörtlich „eine Umkehrung des Denkens“ ab. Gemeint ist dabei ausdrücklich, dass in der Befreiungstheologie drei „Schritte“ entscheidend sind: Nämlich zuerst das Sehen, unvoreingenommen als Wahrnehmung der Wirklichkeit. Diese umfassende Wahrnehmung wirkt sich dann (zweitens) auch aufs theologische Urteilen aus, will man denn wirklich und wahrhaftig zeitbezogen, „sehend“ und „wahrnehmend“ theologisch argumentieren. Und aus dieser zeitbezogenen, die heutige soziale, kulturelle und politische Realität wahrnehmenden Haltung folgt dann (drittens) das Handeln, das Handeln der Kirchen, der Gemeinden, bezogen auf die wahrgenommene Realität. (Siehe dazu in dem genannten Buch die Seite 35 f.)

Es muss bezweifelt werden, dass Müller als Chef der Glaubensbehörde diesen ersten, alles entscheidenden Schritt des Sehens, der Wahrnehmung der Menschen, auch heute leistet. Dass er also die vielfältigen Situationen der Menschen (etwa im Blick auf die Vielfalt der zu respektierenden Formen der Liebe und Ehe) überhaupt als solche wahr-nehmen kann und will. Das muss auch nach der Lektüre des Zeit-Interviews bezweifelt werden. Mit anderen Worten: Was Müller angeblich in Peru seit 1988 gelernt haben will, hat keine sichtbaren Auswirkungen auf seine Stellungnahmen als römischer Glaubens-Chef. Da wird viel frommer Nebel verbreitet, die Gläubigen sollen staunen über ihren Kardinal Müller…

In seinem politischen Denken wurde Müller, wohl durch die Erfahrungen unter den Armen in Peru, zu einer deutlichen Kritik am Kapitalismus geführt, davon spricht er in einem Interview mit dem Magazin „alle Welt“ von Missio Österreich (siehe: https://www.missio.at/fileadmin/media_data/xx/sonstiges/Presse/Kardinal_Mueller/interview_kardinal_mueller_alle_welt.pdf).   Darin sagt Müller im Blick auf den Kampf der Armen, also der von den USA und Europa arm gemachten Klassen in Lateinamerika: „Der Klassenkampf entspringt aus dieser Konfliktsituation, aus der Kluft zwischen Arm und Reich. Dass große Teile der Gesellschaft so elend sind, hängt auch damit zusammen, dass die Besitzenden und politisch Mächtigen ihre Macht und ihren Besitz zur Selbstbereicherung ausnützen. So entstehen Hass- und Neidkomplexe oder die Abwehrhaltung der Reichen gegenüber den Armen. Sowohl die Struktur wie die Mentalität müssen hier verändert werden, damit ein Solidaritätsbewusstsein entstehen kann“.

Auffällig ist, dass im Zeit-Interview davon keine Rede ist. Müller gibt sich völlig unpolitisch. Interessanter noch ist, dass eine Glaubensbehörde, die sich als Hüterin „der“ Wahrheit sieht, eine Tatsache nicht wahrnimmt: Sie selbst steht aufseiten der herrschenden westlichen kapitalistischen Gesellschaft. Diese offizielle römische Theologie lässt z.B. die Pluralität indischen, japanischen, afrikanischen katholischen Theologie und Liturgien nicht gelten, sie zeigt sich darin als Teil der herrschenden „wahren“ westlichen Kultur. Indem Müllers Behörde sich als Hort „der“ Wahrheit definiert, also der europäischen Wahrheit, und sich, so wörtlich, um Delikte gegen den Glauben kümmert, verbleibt sie selbst, diese Behörde, befangen im europäischen Machtdenken. Man hat den Eindruck, dass die von Kardinal Müller viel beschworene Freundschaft mit dem Gründer der Befreiungstheologie, Gustavo Gutierrez, etwas „Abgespaltenes“ bleibt. Es fehlt bei Müller auch der Mut, Kardinal Juan Luis Cipriani, offen zugegeben Opus-Dei-Mitglied, und reaktionärer Erzbischof von Lima, auch nur zu erwähnen, das ist bezeichnend: Cipriani ist und war es, der dem Müller-Freund Gutiérrez das Leben sehr schwer gemacht hat. Manche sagen, seinetwegen habe sich Gutierrez in hohem Alter in den Dominikanorden als Mitglied „geflüchtet“.

Gustavo Gutiérrez hat sich merkwürdigerweise bis jetzt gar nicht, für mich bis jetzt nicht auffindbar, zur Freundschaft mit Müller geäußert. Wer entsprechende Freundschaftsbekenntnisse von Gutierrez findet, möge sich bitte melden.

Nachtrag am 21. 1. 2016: Nun wurde mir berichtet, dass sich Gutiérrez kurz und knapp zu Müller, so wörtlich, “als einem guten, als einem sehr guten Freund” geäußert hat, klicken Sie hier. Wer die wenigen Zeilen liest, stellt fest: Die Äußerungen von Gutiérrez zu dieser Freundschaft sind sehr allgemein, eigentlich nichts-sagend. Gutierrez erläutert nicht, in welcher Weise sich denn nun Müller für ihn und darüberhinaus für die in Peru hoch bedrohte Befreiungsthologie einsetzt oder eingesetzt hat. Man hat den Eindruck, dass Gutiérrez den Schutz durch “Freund” Kardinal Müller immer noch braucht, wahrscheinlich hat er eine furchtbare Angst vor dem maßlos konservativen Kardinal von Lima, Cipriani, erklärtermaßen Opus Dei-Mitglied. Ich halte diese Freundschaftsbekundung von Gutiérrez für eine Taktik; falls das nicht der Fall ist, sondern echte tiefe Sympathie von “Herz zu Herz”, von einem armen peruanischen Mönch und einem bestens ausgestatteten Kurien-Kardinal, dann weiß Gutiérrez nicht oder will nicht wissen, was sein Freund Herr Müller alles so “Hübsches” in Regensburg als Bischof mit der “Basis” gemacht hat.  Ich finde, Gutierrez spricht in dem “Freundschafts-Interview” höchst moderat, wenn nicht ängstlich, er entschließt sich sogar zu einer für einen kritischen Theologen seltsamen Aussage: “pero la teología no es sinónimo de la doctrina cristiana, simplemente es una manera de tratar sobre ella”. Er meint also, dass die “christliche Lehre”, wie sie im Vatikan vertreten wird, nicht ihrerseits selbst eine Variante von Theologie ist. Wenn also Rom und Müller “die” christliche Lehre vertreten und lehren in der Sicht von Gutiérrez, dann kann doch Müller nur happy sein über diesen peruanischen Befreiungs-Freund.

Nebenbei:Die Süd-Anden Region in Peru ist kirchlich fest in reaktionärer Hand (“Sodalitium”, Opus Dei, Neokatechumenale), der Dialog mit den indigenen Religionen ist durch diese Gruppen sehr bedroht. Dagegen konnte (und wollte) der Freund des Peruaners Gutiérrez, also Kardinal Müller, offenbar nichts tun. Nicht thematisiert wird auch von Gutiérrez, welche Theologie denn Freund Müller im Priesterseminar von Cuzco bei seinen “Gastauftritten” dort gelehrt hat? Die Befreiungstheologie oder die in den hübschen Studierstuben von München und Regensburg niedergeschriebene und publizierte mehrbändige Dogmatik? Alles spricht dafür, dass dort die alte europäische Schulbuchweisheit verbreitet wurde!

Soweit ein Exkurs in die aktuelle Religionskritik, bedingt durch den Zustand der Religionen. Dieser Zustand wird sich wahrscheinlich alsbald nicht bessern. Darum wird Religionskritik dringend nötig bleiben. Und sie wird viel zu selten betrieben.

Noch zwei Ergänzungen:

1. Über die Wohnung Kardinal Müllers in Rom berichtete der Journalist Gianluigi Nuzzi:

“Müller beteuert, er lebe in Rom bescheiden, so wie seine Eltern, die aus Mainz-Finten stammen – bis auf die Bibliothek, die ein Uni-Professor eben habe. Wer allerdings die jüngste Veröffentlichung des Vatikan-Insiders Gianluigi Nuzzi liest, kann daran durchaus zweifeln. Demnach bewohnt Müller laut internen Dokumenten eine knapp 300 Quadratmeter große Wohnung im Zentrum Roms. Sie ist dem Leiter der Glaubenskongregation vorbehalten und gehört dem Vatikan. Für viele dieser Wohnungen ist keine oder geringe Miete fällig.  Quelle: http://www.wochenblatt.de/nachrichten/regensburg/regionales/Nach-Wuerstchendosen-Affaere-im-Vatikan-Lebt-Kardinal-Mueller-auf-300-Quadratmetern-;art1172,344162vom 30.12.2015

In dem von Müller und Gutiérrez gemeinsam herausgegebenen Buch “Armut – Die Herausforderung für den Glauben” (2014!, siehe hinweise weiter oben) heißt es in einem Text, den, soweit ersichtlich, Josef Sayer offenbar verfasst hat: Dass Müller in den Anden wochenlang arm lebte, so dass dies “zu einem äußerst einfachen, elementaren Lebensstil anleitet” (Seite 103). Eben auch in Rom…

2.Über die Umgangsformen Müllers mit kritischen Laien im Bistum Regenburg, das Müller von 2002-2012 leitete, siehe z.B. die Auseinandersetzung mit dem Laien-Vertreter Johannes Grabmeier: http://www.sueddeutsche.de/muenchen/katholische-kirche-gespaltenes-bistum-regensburg-1.930270      vom 19. Mai 2010

Aus dem KÖLNER STADTANZEIGER am 1. 3. 2016: Müller soll zurücktreten, fordert Pater Klaus Mertes SJ.

Strafe müsse weh tun, haben Sie mit Blick auf die Höhe der Opferentschädigung gefordert.

MERTES: Die Strafe muss den Tätern, aber auch ihren Beschützern und der dahinter stehenden Institution weh tun. Das ist bei den Entschädigungen bis heute nicht der Fall. Aber Geld ist nicht alles, und darum gilt  auch für die disziplinarischen Folgen: Sie dürfen nicht auf die Täter im engeren Sinn beschränkt bleiben.

Sondern?

MERTES: Bischöfe, die an Vertuschungen beteiligt waren, sollten ihr Amt verlieren oder zurücktreten. Aber stattdessen klettert ein Bischof Müller, der in Regensburg an höchster Stelle vertuscht und  vernebelt hat,  mir nichts dir nichts auf der römischen Karriereleiter nach oben.

Gerhard Ludwig Müller ist heute Präfekt der Glaubenskongregation und wird demnächst Kardinal.

MERTES: Da sitzt er als Nummer drei im Vatikan und fabuliert immer noch ständig von irgendwelchen „böswilligen Pressekampagnen“ gegen die katholische Kirche. Von Reue keine Spur, und erst recht nicht von der Bereitschaft, sich auf Strukturprobleme der Kirche im Zusammenhang mit Missbrauch einzulassen. Müller macht einfach weiter, als wäre nichts gewesen. Er tut so, als hätte es da halt ein paar böse Kleriker gegeben, aber sonst wäre in der Kirche alles in Ordnung und könnte so bleiben, wie es immer war.  Ich halte das für unerträglich. Unerträglich vor allem auch für die Opfer. Wie will dieser Mann ausgerechnet als Chef der Behörde, die ja nicht zuletzt für das Thema Missbrauch zuständig ist, eigentlich je wieder glaubwürdig sein

Copyright: Christian Modehn Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

 

Milliardären wird der Ablass gewährt. Neues zum katholischen Orden “Legionäre Christi”

Milliardären wird der Ablass gewährt. Neues zum katholischen Orden “Legionäre Christi”

Hinweise von Christian Modehn am 2.12.2015

Der Religionsphilosophische Salon arbeitet von seinem philosophischen Anspruch der Aufklärung und der Religionskritik seit einigen Jahren auch kritisch über die katholische Ordensgemeinschaft “Legionäre Christi” und über die mit ihm verbundene Bewegung für Laien „Regnum Christi“. Einige wichtige neue Entwicklungen haben in der deutschen Öffentlichkeit bisher (2.12.2015) wenig Aufmerksamkeit gefunden. CM.

1.

Der katholische Orden „Legionäre Christi“ wird erneut – diesmal aber noch gründlicher und umfassender recherchiert – „ein Finanzimperium“ genannt. Sein Gesamtvermögen beträgt jetzt 43.600 Millionen Dollar. Die Ordensgemeinschaft (1941 gegründet, von dem mexikanischen Marcial Maciel, damals im jugendlichen Alter von 21 Jahren) zählt heute 950 Priester als Mitglieder, hinzukommen ca. 700 junge Männer in der Ausbildung, die man nicht als „vollständige Mitglieder“, also in „ewigen Gelübden“, bezeichnen kann. Mit anderen Worten: 950 Männer, die als Ordensleute wie alle anderen katholischen Ordensleute sonst auch „Armut“ als Gelübde gelobt haben, sind Multi-Milliardäre. Diese Fakten werden reich belegt von dem mehrfach ausgezeichneten mexikanischen Recherche-Journalisten Raul Olmos in seinem neuesten Buch (erschienen am 13. November 2015) „ Una mafia empresarial disfrazada de congregación“, „Ein Mafia-Unternehmen, das sich als religiöse Kongregation verkleidet“. Das Buch ist im Verlag Grijalbo (Madrid und Barcelona) erschienen. Es zeigt das weite Netz der Verbindungen des Ordens zu den Zentren politischer, ökonomischer und kultureller (Medien-) Macht. Hunderte von „Gesellschaften“, „Stiftungen“, „Vereinen“ und Privaten – Hochschulen gehören den Legionären Christi. Zur Ersparnis von Steuern halten sich die Ordensbrüder auch gern in so genannten Steuer-Paradiesen auf. Diese Fakten werden von Raúl Olmos ausführlich beschrieben.

Die schon populär “Milliardäre Christi” genannten Priester können also hübsche Feierlichkeiten ausrichten zum 75. Geburtstag ihres Ordens bzw. Finanzimperiums im Jahr 2016 und können wie üblich ihre zahlreichen Gönner, auch im Vatikan, reich beschenken. Der Orden wie auch das Finanzimperium wurden aufgebaut von dem Mexikaner, Pater Marcial Maciel, der 2006 (als 86 Jähriger) von allen seinen Funktionen der seit 1941 dauernden (!) Ordensleitung befreit wurde, und zwar auf Druck von Papst Benedikt XVI. Papst Benedikt hatte zudem 2010 das Leben des Ordensgründers von einer katholischen Priestergruppe untersuchen lassen, und kam zu dem Schluss:“ „Es ist ein Leben, das jenseits des Moralischen liegt, ein abenteuerliches, vertanes, verdrehtes Leben“. Mit anderen Worten: Der notorische pädophile (vornehm ausgedrückt) Täter Pater Maciel ist in der Sprache der Justiz ein Verbrecher. Er hat zudem viele Millionärswitwen um deren Vermögen erleichtert, weil er sich als charmanter Liebhaber ausgab usw… Aber den (staatlichen) Gerichten wurde der Verbrecher vom Vatikan, wie üblich, nicht übergegeben. Papst Benedikt bat den Ordensgründer im Jahr 2006 nur, Maciel möge sich zur Buße still und schweigend dort zurückziehen… Gestorben ist Maciel nicht als stiller Büßer in seinem römischen Kloster, sondern wie auf der Flucht, im warmen Florida. All das wurde auch von uns dokumentiert, ebenso die vatikanischen „Untersuchungen“ über den Orden insgesamt, nach dem Tod Maciels. Eigentlich hätten die „Untersuchungen“ von 2010 zur Auflösung des Ordens führen müssen. Das forderten viele prominente Katholiken. Denn welcher Orden soll in alle Zukunft einen Verbrecher als Gründer haben, der zudem einst, überall sichtbar, wie ein Heiliger verehrt wurde, obwohl dessen weit reichende finanziellen, sexuellen und drogenabhängigen Aktivitäten allen Mitglieder und vielen Prälaten in Rom bekannt waren. Nur die zahlreichen ehemaligen Mitglieder, die Missbrauchs-Opfer, meldeten sich im Vatikan seit 1989, (!), aber man hörte sie nicht. NICHTS wurde von amtlicher vatikanischer Seite gegen Maciel unternommen, auch nicht von Kardinal Ratzinger damals als Chef der Glaubenskongregation. Maciel hatte tatsächlich zu viele Freunde unter den Kardinälen, und selbst der polnische Papst pries den Verbrecher offiziell und lautstark explizit „als Vorbild der Jugend….“ Die Reisen von Papst Johannes Paul II. wurden immer von dem kundigen Mexikaner Pater Maciel begleitet. Ob die Reise von Papst Franziskus nach Mexiko in 2016 auch wieder von den Legionären betreut wird?  Aber der Orden wurde eben nicht aufgelöst. Er besteht weiter, wenn auch die Begeisterung junger Männer für diesen Orden etwas gebremst ist: Seit 2008 ist die Zahl der Mitglieder in Ausbildung befindlichen Mitglieder von 1.081 auf 693 zurückgegangen, berichtet El Pais. Aber die Geldquellen scheinen trotzdem bestens zu fließen, siehe oben.

2.

Diese Mitglieder dieses Milliardärsordens haben jetzt von Papst Franziskus die Zusage erhalten, in dem nun begonnen Jahr der Gnade den vollkommenen Ablass zu gewinnen. Damit entspricht Papst Franziskus dem Wunsch von Pater Eduardo Robles Gil, dem gegenwärtigen Ordensoberen, der sich, wie für ein Imperium eben passend, wie auch schon sein Vorgänger Pater Maciel, „Generaldirektor“ nennt. Der vollkommene Ablass wird den Mitgliedern der Milliardäre Christi gewährt, “wenn sie ihre Gelübde erneuern, also auch das Armutsgelübde, wenn sie beten, wenn sie sich den Werken der Spiritualität widmen und die christliche Lehre verbreiten“, heißt es in dem päpstlichen Indulgenz – (Ablass) – Schreiben.

Erstaunt ist man abermals, dass der Ablass, DAS Thema Martin Luthers, 2 Jahre vor dem Reformationsgedenken 2017, wieder und wieder selbst von apst Franziskus aufgewärmt wird. Kann man angesichts dieser Vorlieben diesen Papst im Ernst „progressiv“ nennen? Wohl kaum, meinen wir. Will man so für eine neue Ökumene mit den Protestanten sorgen? Warum spricht kein prominenter Protestant von dem aufgewärmten Ablass-Wahn des Katholizismus? Das Heilige Jahr mit Pilger/Touristen-“Strömen” nach Rom hat gerade begonnen. Aber das ist ein anderes Thema.

Die sexuellen Missbrauchsopfer des vom Papst Benedikt so genannten Verbrechers Pater Maciel sehen in dieser überflüssigen Ablass- Gewähr eine Art Anerkennung und Reinwaschung des Ordens. Denn im Jahr der Gnade kann doch eigentlich jeder Katholik, eben auch ein Legionär, sowieso bei Respekt der Vorschriften den Ablass gewinnen. Warum also diese Sonder-Gewähr eines Ablasses für diesen Orden? Besteht ein Grund für den Papst, sich mit dem Orden gut zu stellen?

3.

Viele Beobachter fragen sich erneut bei dieser Entscheidung, wie widersprüchlich eigentlich die theologische Linie des so vielfach gerühmten Papstes Franziskus ist. Wie sehr steht er offenbar unter Druck einer vatikanischen Mafia, dass er diesem “Club”, den Legionären, diese außergewöhnliche Gnade explizit gewähren muss? Kann Papst Franziskus nur noch im Vatikan wohl auch physisch überleben, wenn er auch den umstrittensten Orden, theologisch zudem extrem konservativ, also den Legionären Christi, sein Wohlwollen zeigt? Die Indulgenz-Ablass-Entscheidung des Papstes von Ende Oktober 2015 wirft auch ein Licht auf die dunklen Verhältnisse in den Palästen des Vatikans. Herrschen dort, wieder einmal, vor-reformatorische Zustände? In jedem Fall sind die neuesten Entwicklungen/Erkenntnisse ein interessanter Beitrag zu dem offiziell propagierten “Jahr der Orden 2015”.

4.

Eine Einschätzung des Ordens “Legionäre Christi”, der bekanntermaßen in Mexiko besonders mächtig ist, von dem mexikanischen Religionswissenschafter Elio Masferrer, mitgeteilt in der spanischen Tageszeitung El Pais vom29. Oktober 2015, siehe: http://internacional.elpais.com/internacional/2015/10/28/mexico/1446071736_323939.html

Zu Elio Masferrer: http://www.revistaacademica.com/consejo.asp

Zuerst der spanische Text aus El Pais: “Elio Masferrer, presidente de la Asociación Latinoamericana para el Estudio de las Religiones y profesor e investigador emérito de la Escuela Nacional de Antropología e Historia. “[La Orden] es uno de los problemas más graves del catolicismo. Maciel fue un impresentable, un criminal, y es el paradigma de una Iglesia corrupta, alejada de los feligreses”.

Die Übersetzung ins Deutsche: “Elio Masferrer, Präsident der lateinamerikanischen Vereinigung zum Studium der Religionen und Professor (und Forscher emeritus) de „Nationalen Schule der Anthropologie und Geschichte, sagt in der spanischen tageszeitung El Pais vom 29. Okrober 2015: „ Der Orden der Legionäre Christi ist eines der schwersten Probleme des Katholizismus. Maciel (der Gründer) ist ein „nicht gesellschafäftsfähiger“, d.h : eigentlich ein öffentlich gar nicht vorzeigbarer Mensch gewesen, er war ein krimineller und er ist das Modell einer korrupten Kirche, weit entfernt von den treuen Gläubigen (eigentlich: Pfarrkindern)”.

5.

Die Millionärsfamilie Oriol (Madrid) will ihr Landgut von den Legionären Christi zurückhaben.

Die einflussreiche Unternehmer-Familie Oriol fordert vor Gericht die Rückgabe einer Millionenerbschaft an die Legionäre Christi von diesem Orden zurück. Es handelt sich um die Rückgabe des Landsitzes Cerro del Coto, eines Landgut (9,7 Hektar groß), am Rande von Madrid, im reichsten Viertel der Stadt, in Majadahonda. Besonders interessant ist, dass dieser Prozess der Rückgabe eines Geschenks an den Orden von drei ehemaligen Priestern der Legionäre Christi und einer Frau, die als „geweihte Frau“ dieser Gemeinschaft angehörte, verlangt wird, gerade jetzt, nach den bekannt gewordenen Skandalen des Gründers, Pater Maciel. Diese 4 Personen sind Geschwister, sie gehören zur Familie Oriol, die als eine der besonders begüterten Familien Spaniens gilt. 4 Kinder aus ein und der selben Familie bei den Legionären, und alle 4 treten aus dem Orden aus! Dabei hatte die ultrareiche Familie Oriol dem jungen Pater Marcial Maciel geholfen, als er von Mexiko aus in Spanien Fuß fasste … Daran wird deutlich, dass schon um 1945, als Maciel von Spanien aus nach Rom zog, die reichsten Leute auf ihn „hereinfielen“. Maciel ist von Anfang an planmäßig vorgegangen und sich nur um die Reichsten gekümmert. Sozialarbeit war ein Alibi, sagen Beobachter.

Ob es rechtlich möglich ist, eine Schenkung wieder rückgängig zu machen, ist sehr die Frage. Das Beispiel zeigt nur, in welchen höchsten Finanzkreisen sich die Legionäre Christi immer schon bewegen und wie es ihnen gelingt, z.B. prächtige Ländereien als Erbschaften zu “übernehmen”…

Ein Zitat aus der angesehenen Tageszeitung El Pais, Madrid:

„Promotores de Iberdrola y del tren Talgo, los Oriol encarnan a una de las principales riquezas latifundistas españolas. La fortuna de los cinco hermanos Oriol Muñoz superaría los 30 millones de euros, según el periodista de EL PAÍS Jesús Rodríguez, autor de La Confesión (Debate, 2011). De ese dinero, la familia habría entregado 16 millones al movimiento de Maciel durante tres décadas. Su patrimonio se completa con la finca de 957 hectáreas Los Peñones en Hornachuelos (Córdoba) valorada en 14 millones que gestiona la Fundación San Miguel. Y las inversiones inmobiliarias administradas por Javier Oriol, uno de los cinco hijos de Íñigo María de Oriol que no perteneció a la legión. Según el libro de Rodríguez, la orden urdió una campaña “de acoso y derribo” en 2004 para que los Oriol entregaran a Maciel el resto de una fortuna que suma 25 millones. Esta donación se habría frustrado tras destaparse que Maciel (1920-2008) fue un depredador sexual de seminaristas“.

Eine Zusammenfassung auf Deutsch: Die Familie Oriol ist in Iberdrola und im Unternehmen des Express-Zuges Talgo finanziell beteiligt; die 5 Geschwister haben ein Vermögen größer als 30 Millionen Euro; während drei Jahrzehnten hat die Familie Oriol dem Pater Maciel 16 Millionen Euro geschenkt; nach einer journalistischen Recherche zettelten die Legionäre Christi 2004 sogar eine Kampagne voller Belästigungen an, mit dem Ziel, dass die Familie Oriol noch mal eine Summe von 25 Millionen Euro den Legionären übergab…

 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon.