Die “Legionäre Christi” halten ihr “Generalkapitel” in Rom. Von den Opfern sexuellen Mißbrauchs wird geschwiegen.

Die “Legionäre Christi” halten ihr “Generalkapitel” in Rom. Von den Opfern sexuellen Mißbrauchs wird geschwiegen.
Von Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Eine aktuelle Ergänzung, veröffentlicht am 28.6.2014:

Ende Juni 2014 wurde in der Presse dokumentiert, dass die Krise im Orden der Legionäre Christi keineswegs überwunden ist, wie manche Beobachter nach dem „Generalkapitel“ im Januar 2014 vermuteten. Es wurde von der Katholischen Presseagentur Wien mitgeteilt: „Der Vatikan begleitet den Erneuerungsprozess der “Legionäre Christi” mit einem so genannten externen Assistenten. Der (neu gewählte) Generaldirektor (so nennt sich dieser Ordensobere immer noch offiziell! CM) der Ordensgemeinschaft, Eduardo Robles Gil, teilte am Montag, 23.6. 2014, auf der Website der “Legionäre” mit, ein noch nicht näher benannter Beauftragter des Vatikan werde den Neuaufbau der Gemeinschaft “unterstützen”.

Das heißt wohl im Klartext: Der Vatikan, allen voran vielleicht Papst Franziskus selbst, betrachtet den Orden mit dem Milliardenvermögen, den vielen jungen Priestern und den einflussreichen Bildungszentren immer noch voller Skepsis.

Interessant und bedeutend ist, dass der mexikanische Kardinal Juan Sandoval Iniguez Anfang Januar 2014 den Ordensgründer Pater Marcial Maciel, so wörtlich, einen Psychopathen und Schizophren öffentlich nannte (KNA 11. 1. 2014): Sandoval sagte, er habe bereits als Student in den späten 50er Jahren in Rom von Eskapaden Maciels erfahren. (Aber offenbar nichts dagegen getan, CM) Der Kardinal sagt: «Kann jemand (also Pater Marcial Maciel) 50 Jahre, ein halbes Jahrhundert lang, ein Doppel- oder Dreifachleben führen? Nein», so Sandoval. Nur mit einer gespaltenen Persönlichkeit könne man «ein Leben als Heiliger, ein anderes als Ehemann, ein weiteres als Homosexueller, als großer Macher und als stiller Mensch führen». Der 80-jährige Kardinal äußerte sich anlässlich einer Vorstellung seiner Autobiografie.

Indem man nun von relativ hoher Seite Pater Maciel in die Ecke der Psychopathen schieben will, bleibt die Frage offen: Warum haben seine vielen engen Mitarbeiter im Orden und im Regnum Christi diese Pathologie nicht über alle die Jahre erkannt? Warum haben sie treu gehorcht, ließen sich (sexuell) benutzen und dienten ihm? Warum wagten sie nicht, diese Geisteskrankheit ihres Hochverehrten öffentlich zu machen, um ihren allseits geliebten, heilig mäßig genanten Vater zu heilen? Warum haben sich Kardinäle und selbst Papst Johannes Paul II. Jahre lang mit diesem Psychopathen und Schizophrenen gern umgeben? Ließen sich von ihm beraten und auf Reisen auf engstem gemeinsamen Raum begleiten (wie bei den Mexikoreisen des polnischen Papstes)? Warum war der Psychopath gern gesehenes Mitglied der Bischofssynoden in Rrom? Warum wurde dieser Psychopath von Papst Johannes Paul noch offiziell in Rom als “Vorbild der Jugend” gepriesen? Warum wurde offenbar die Heiligsprechung der lieben Maciel Mutter vorbereitet? Haben sie diese psychische Krankheit Maciel gern übersehen, weil sie wussten: In diesem Orden des Psychopathen gibt es viele so dringend gebrauchte, stramme, gut aussehende dogmatisch-saubere junge Priester? Welche Rolle spielte dabei das große Geld der Legionäre, die ja gern Kardinäle im Vatikan großzügig beschenkten und in ihren römischen Instituten Priester aus aller Welt streng dogmatisch korrekt ausbilde(te)n? Erst kürzlich fand in der Legionäre-Christi-Universität zu Rom ein Kongreß wieder über den Exorzismus statt. Selbstverständlich wurde die Teufelsaustreibung anno Domini 2014 verteidigt und für korrekt befinden…. Drückte man also, noch einmal, alle kritischen Augen zu angesichts dieses machtvollen Ordens des Psychopathen? Darf man fragen, ob ein solches ignorantes Verhalten der kardinäel etc. sehr weit entfernt ist vom Verhalten der Mafia, die jetzt Papst Franziskus exkommuniziert?

………Jetzt folgt der ursprüngliche Beitrag………

Wir weisen darauf hin, dass Pater Klaus Mertes SJ in seinem neuesten, sehr empfehlenswerten Buch “Verlorenes Vertrauen” (Herder Verlag) kurz auf den besonderen “Fall” des Gründers der Legionäre Christi wenigstens kurz eingeht. Weitere Hinweise dazu am Ende dieses Beitrags.

Der „Religionsphilosophische Salon Berlin“ hat sich seit 2007 mit dem römisch-katholischen Orden der „Legionäre Christi“ befasst und seitdem einige Texte dazu publiziert. (Zur Lektüre klicken Sie hier) Religionskritik ist zentrales Thema von Philosophie und Theologie. Der machtvolle und einflussreiche Orden „Legionäre Christi“ hat uns interessiert, um die Machtverhältnisse in der Kirche zu untersuchen; um zu fragen, wie es gelingt, dass ein einzelner Mann, der Legionärs-Gründer, also der aus Mexiko stammende Pater Marcial Maciel, zu einem der einflussreichsten, mächtigsten und finanzstärksten Mitglieder der römischen-vatikanischen Bürokratie emporsteigen konnte. Und warum er von Papst Johannes Paul II. sehr hoch geschätzt, wenn nicht verehrt wurde: „Pater Maciel ist ein Vorbild der Jugend“, sagte der Papst… Er ignorierte dabei, dass Pater Maciel über Jahrzehnte Jungen und junge Männer, vor allem innerhalb seines Ordens, sexuell missbrauchte; die Opfer hatten dies dem Papst geschrieben, wurden aber nicht ernst genommen. Zudem war Pater Maciel mit einigen sehr wohlhabenden Frauen liiert, auch aus finanziellen Interessen; mit seinen Geliebten hatte er Kinder, die er seinerseits wieder missbrauchte, so berichten die eigenen Söhne. Von seinem Jahre langen Drogenkonsum als Ordensoberer wollten die Päpste seit Pius XII. nichts mehr wissen. Mitte der neunzehnhundertfünziger Jahre war er deswegen als Ordensoberer kurzzeitig suspendiert… Kehrte dann aber an die oberste Leitung seines Ordens zurück .. bis zum Jahr 2006. Er war also Ordensoberer seit der Gründung der Legionäre 1941, als 65 Jahre, das ist schon kirchenrechtlich gesehen ein außergewöhnliches Privileg, das nur durch heftige Kumpanei in den vatikanischen Behörden zu erklären ist, so kompetente Kritiker.
Über die Absetzung Marcial Maciels als Chef des Ordens durch Papst Benedikt XVI. und seinen Tod 2008 sowie über die päpstliche Untersuchung dieses Ordens durch eine päpstliche Kommission ist auf dieser website berichtet worden.
Diese Informationen wurden von sehr vielen LeserInnen als Information genutzt und geschätzt, zumal im deutschsprachigen Raum sonst fast keine kritischen und umfassenden Informationen zu dem Thema vorliegen, und wenn, dann haben sich die Autoren bei uns heftig bedient, um es milde auszudrücken. Offenbar wagt es auch niemand unter den Theologieprofessoren und Historikern, dieses Thema umfassend aufzugreifen. Selbst Filmemachern ist das Thema wohl zu heiß und zu gefährlich.
Natürlich kann man fragen: Gibt es (religions-) philosophisch gesehen nicht dringendere Themen? Sicher, die gibt es in großer Zahl. Etwa die Frage nach dem guten Leben, und, philosophisch gesehen, nach den Möglichkeiten der Erkenntnis, auch des Geheimnisses, das wir Leben nennen, ist für die meisten sehr viel dringender. Auch die Frage: Wie wir als Menschen der westlichen Welt moralisch bestehen können angesichts des Hungersterbens von vielen Millionen Menschen jährlich usw., und wir alle das ganz genau wissen, um nur von dieser einen Katastrophe der Menschheit zu sprechen. Diese Fragen wagt kein Kirchenfürst als das allerdringlichste aller dringlichen Themen auf die Tagesordnung der Kirchen sagen wir für ein Jahr zu setzen, und dabei alle theologisch-feinsinnigen Debatten auf Eis zu legen. Andererseits: Sehr viele Menschen haben unter Marcial Maciel und seinen ebenfalls pädophilen Mitbrüdern gelitten und wurden seelisch zerstört. Das darf auf keinen Fall vergessen werden. Darum muss von den Legionären gesprochen werden.
Der Orden der „Legionäre Christi“ hält seit dem 8. Januar 2014 in Rom sein „Generalkapitel“ ab mit 61 Delegierten des Ordens. Die spanische Tageszeitung El Mundo schreibt dieser Tage, 50 % der Delegierten dieser außerordentlichen Ordensversammlung gehören zur „alten Garde“, also den Getreuen des Gründers. (Quelle: http://www.elmundo.es/internacional/2014/01/08/52cd808e268e3e672e8b457f.html).
Die Ordensversammlung in Rom, so die offizielle Prognose, wird mindestens bis Mitte Februar 2014 dauern. Es soll eine neue Leitung gewählt werden, vor allem soll der Orden eine neue Konstitution, also eine neue Ordensregel, erhalten, die alte Ordensregel (obwohl erst von Papst Johannes Paul II. im November 2004 approbiert) sei viel zu diffus und den Weisungen für die Zeit nach dem 2. Vatikanischen Konzil nicht angepasst, sagte der provisorische, von Papst Benedikt XVI. eingesetzte Interim – Ordensobere Kardinal de Paolis (78) jetzt in einem Interview mit Radio – Vatikan. Wie konnte dieser Fehler passieren? War Papst Johannes Paul II. über dieses von ihm genannte „Vorbild der Jugend“ total falsch informiert? Wer im Vatikan hatte Interesse an er Verbreitung von „Falschinformationen“? In kritischen Kreisen fällt in dem Zusammenhang immer der Name Kardinal Sodano, einem alten Freund Maciels…
Der jetzige päpstliche Delegat, Kardinal de Paolis,, wurde vor kurzem von keinem Geringeren als Pater Federico Lombardi SJ, dem Pressesprecher des Papstes, für Radio Vatikan befragt. Ein auch journalistisch bemerkenswerter Vorgang…
In diesem Interview vom 8. Januar 2014, das nicht auf Deutsch vorliegt, ist u.a., kurz gefasst, interessant:
Der Name des Ordensgründers Pater Marcial Maciel wird überhaupt nicht mehr genannt. Dies entspricht dem Befehl des Papstes (Benedikt), auch alle Bilder des zuvor noch hoch verehrten Paters Maciel aus den Legionärs Häusern zu entfernen. Beobachter vergleichen diese faktische „Ausradierung“ des Ordensgründers mit einer Art Entstalinisierung. Aber insgeheim lebt der Geist des „Ausradierten“ natürlich fort. So sollen manche Legionärs Kreise noch voller Verehrung das Grab ihres „Vaters“ in seiner mexikanischen Heimat besuchen und entsprechende Fotos ehrfurchtsvoll verbreiten, sie glauben, es hätte ein ungerechter Krieg gegen Maciel stattgefunden, so berichtet die angesehene Wochenzeitung National Catholic Reporter Anfang Januar 2014, Quelle: Quelle: http://ncronline.org/news/accountability/former-legion-followers-criticize-oversight-order
Es wird jetzt vonseiten des päpstlichen Sonderbeauftraften für den Orden, Kardinal de Paolis, nicht vom „Charisma“ des Ordens gesprochen. Denn ein Charisma eines Ordens (etwa bei den Franziskanern das Vorbild des heiligen Franziskus von Assisi) bezieht sich immer auf die hervorragende Spiritualität des Gründers. Der aber hat im Fall der Legionäre „Untaten“ vollbracht, war also ein Verbrecher, wie Benedikt XVI. deutlich genug öffentlich sagte. Wenn also kein positives Charisma da ist, dann schlägt Kardinal de Paolis vor: Man spreche von Patrimonio, von Erbe, des Ordens. Patrimonio meint ja auf Spanisch auch Besitzstand. Und da hat der Orden ja wirklich sehr viel zu bieten, wir berichteten darüber. Die mexikanische kritische Presse hat erst im Januar 2014 erneut das weltweit verzweigte Milliardenvermögen des Ordens (in US Dollar) aufgelistet. Quelle: http://www.m-x.com.mx/2013-06-09/la-mafia-financiera-de-los-legionarios-de-cristo-int/
Wenn also der Orden der Legionäre keine, vom Gründer her stammende besondere und religiös herausragende Spiritualität hat, sollte er dann nicht besser aufgelöst werden? Auch dazu melden sich einige zu Wort, es sind vor allem prominente ehemalige Legionäre, die das fordern, wie der Ex – Legionär, der jetzige Diözesanpriester Felix Alarcon (Madrid), der viele Jahre ein engster Mitarbeiter Maciels in der Ordenszentrale in Rom war. (Quelle: http://sociedad.elpais.com/sociedad/2014/01/08/actualidad/1389214965_028153.html)
Felix Alarcon, einer der besten kritischen Kenner des Ordens, er tritt übrigens für die Aufösung des Ordens der Legionäre Christi ein, er verwendet dafür den spanischen Begriff „eliminicaion“, also „Auslöschung“. Die EX – Mitglieder des Ordens sollten sich in den Bistümern melden und dort nach entsprechender Prüfung arbeiten… Quelle:http://www.periodistadigital.com/religion/mundo/2013/12/20/felix-alarcon-la-legion-tal-como-la-entendiamos-deberia-ser-eliminada-religion-iglesia-maciel-abusos-sacerdote-papa-vaticano.shtml
Besonders bemerkenswert ist es, dass Kardinal de Paolis in dem Interview kein Wort über die Opfer der Verbrechen Pater Maciels sagt. Er redet nur im ganz allgemeinen von Schuld und von Gewissenserforschung, aber ohne jeden Anhalt auf die Tatsachen der Verbrechen und das Leiden der Opfer. Verschwiegen wird auch, dass auch etliche andere Priester dieses Ordens in pädophile Aktivitäten verwickelt sind und waren; das hat sogar der Sprecher des Ordens, Benjamin Clariond, im Dezember 2013 öffentlich zugegeben. Er sprach von 35 betroffenen Priestern. Quelle: http://www.informador.com.mx/internacional/2013/501164/6/legionarios-de-cristo-aclaran-denuncias-por-abusos.htm
In dem Interview für Radio Vatikan ist von diesem weit verbreiteten pädophilen Treiben in einem Orden mit insgesamt nur ca 900 Priestern (!) keine Rede.
Insgesamt zeigen die jüngsten offiziellen Interviews und Texte: Die Opfer stehen überhaupt nicht im Mittelpunkt des Interesses. Es geht dem Orden und dem Vatikan jetzt einzig darum, möglichst weißgewaschen, weiterzumachen. Von Wiedergutmachungen für die Opfer ist bis jetzt keine Rede.
Am 3. November 2013 hat der zweite Mann im Orden, der Generalvikar Pater Sylvester Heeremann, in einem Interview mit Radio Vatikan davon gesprochen, dass inzwischen – durch die Gespräche mit dem vatikanischen Delegaten und seinen Mitarbeitern – ein „echter Kulturwandel“ im Orden stattfinde. Dabei ist interessant, dass Pater Heeremann die bisherige „Kultur“ des Ordens in einem übertriebenem Aktivismus sieht, geprägt von einem Denken in Effizienz, d.h. (materieller) Erfolg galt als höchste Tugend. Tatsächlich ist die Anzahl der Schulen, Universitäten und Seminare des Ordens beträchtlich. Und tatsächlich haben sie viele hervorragende Kenner der Wirtschaft und ihrer Konzerne in ihrem Orden, wie etwa den Mexikaner Pater Luiz Garza Medina, einst war er viele Jahre Finanzspezialist in der Ordensleitung in Rom, jetzt ist er Ordensoberer in den USA. Die Legionäre, so der Gesamteindruck vieler Beobachter, haben offiziell die Armut gelobt, sie setzen alles daran, sehr viele Spenden zu sammeln, auch bei den Armen, um Stiftungen und Banken weltweit zu gründen…Dazu siehe: http://www.m-x.com.mx/2013-06-09/la-mafia-financiera-de-los-legionarios-de-cristo-int/
Um noch einmal auf die bisherige (?) „Kultur“ der Legionäre zurück zu kommen: Sie waren also Effizienz – Fanatiker, sie waren sozusagen die Spitze der Technokratie innerhalb der Kirche, ein Club, der ganz dem Zeitgeist erlegen war (und ist ?). Darüber hat bisher noch niemand ausführlicher geschrieben: Technokraten in der Kirche, wäre ein hübsches Thema auch für Papst Franziskus. Er hat sich übrigens vorbehalten, die neue Ordensregel dann irgendwann im Februar 2014 zu lesen. Es gibt keinen Zweifel bis jetzt, dass der Orden irgendwie fortbesteht.
Nicht nur deswegen ist die Frage dringend: Warum hat der Papst, warum hat der Vatikan, solch ein großes Interesse, dass der Orden der Legionäre Christi (bezeichnenderweise mit einem offiziell so auch genannten „Generaldirektor“ an der Spitze) in der Kirche weiter besteht? Denn daran lässt auch der päpstliche Delegat Kardinal de Paolis keinen Zweifel! Es ist – so vermuten einige – , vor allem eben doch das massenhafte Geld, über das der Orden verfügt, das so viel vatikanisches Wohlwollen heute vorherrscht. Und es sind auch die vielen jungen Priester, die der Orden immer noch für die eigenen Institutionen zur Verfügung stellt. In einer Kirche, die äußerst klerikal orientiert ist und vor allem Interesse hat, viele junge Priester zu haben, hat solch ein Orden eben große offizielle Sympathien; mag sein Ordensgründer auch über kein religiöses Charisma verfügen … und, wie Benedikt XVI. klar öffentlich sagte, eigentlich verbrecherisch gelebt haben.

Dieser Beitrag hat auf einer prominenten us-amerikanischen website Interesse gefunden, zur Lektüre klicken Sie hier.

Zur Stellungnahme von Pater Klaus Mertes SJ in seinem empfehlenswerten Buch “Verlorenes Vertrauen” zu Marcial Maciel, Seite 89 ff. einige zusammenfassende Hinweise:
Pater Mertes nennt Marcial Maciel einen “Missbrauchstäter besonders großen Ausmaßes” (S 89).
Er erwähnt, dass Papst Benedikt XVI. das im Legionärs Orden übliche Zusatzgelübde der so genannten “Nächstenliebe” abschaffte, weil dieses Gelübde nichts anderes bedeutete, als dass die Mitglieder über alle Zustände und Mißstände im Orden (also auch über die Verbrechen Maciels) zum Schweigen verpflichtet waren, nichts sollte nach außen dringen. Pater Mertes schreibt treffend: “Dies ist ein eklatanter Missbrauch von Macht und ein zynischer Umgang mit dem Wort =Nächstenliebe=”. (S. 90). Die Nächstenliebe bestand also darin, alle Aktionen des viel geliebten “Vaters”, also des – so der offizielle kirchliche Titel: “Generaldirektors” Maciel – zu verstehen und zu verzeihen.
Wir haben im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon auch früher schon diese Frage aufgeworfen: Wie konnte die römische Bürokratie (in Sachen Lehre und Dogma) dieses Gelübde überhaupt “genehmigen”? Pater Mertes nennt dieses Phänomen, dass die Kirchenleitung gar nicht mehr das Mißbräuchliche in geistlichen Gemeinschaften und Orden erkennt, “eine Versektung der Kirche” (S 90), d.h. die Kirche im ganzen nimmt sektiererische Züge an. Pater Mertes weist wieder treffend darauf hin, dass sich diese Gruppen, wie die Legionäre Christi, als Elite und Avantgarde verstanden haben und verstehen, sie würden sich “als künftige Führungselite sehen. Inzwischen sind viele von ihnen schon in kirchlichen Führungspositionen angekommen” (S. 90).
Tatsächlich hat am 15. November 2013 Papst Franziskus einen Legionär Christi, Pater Fernando Vergez Alzaga, zum Bischof geweiht und ihn anschliend zum Generalsekretär des Vatikanstaats ernannt. Quelle: http://katholisch-informiert.ch/2013/11/papst-weiht-generalsekretaer-des-vatikanstaats-zum-bischof/
Ob der Vatikan für diese hohe Aufgabe tatsächlich unbedingt einen “Legionär Christi” braucht, (wer hat möglicherweise den Papst dazu gedrängt?), ist naturgemäß völlig unbekannt. Ausgerechnet ein Legionär ist nun “für die Seelsorge unter den dort tätigen Mitarbeitern zuständig”, so die Pressemeldung.

Inzwischen ist in Paris ein Bericht eines EX Legionärs (Christi) erschienen, in dem angesehenen Verlag Flammarion: Der Titel:
“Moi, ancien légionnaire du Christ, 7 ans dans une secte au cœur de l’Eglise” (“Ich, ehemaliger Legionär Christi, 7 Jahre in einer Sekte im Herzen der Kirche”) Der Autor: Xavier Léger, en collaboration avec Bernard Nicolas, Editions Flammarion, 352 pages ; 21 euros

Zum Schluß weisen wir auf die unseres Erachtens erste (freie) literarische Auseinandersetzung mit Marcial Maciel hin (einen großen Spielfilm oder Krimi gibt es bis jetzt noch nicht): José Manuel Ruiz Marcos, “La Orden maldita” (2007).

Copyright: Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Philos. Salon über Peter Bieri

Es gibt erfreulicherweise schon so viele schriftliche Anmeldungen, die wir natürlich alle beachten, so dass wir diesmal um Verständnis bitten: Der Salon am 19.4. ist jetzt (15.4) ausgebucht.

Am 19. April um 19 Uhr haben wir unseren nächsten Salonabend. Diesmal sind Gäste aus Amsterdam dabei, von der dortigen Gemeinde der freisinnig – liberalen protestantischen Kirche der Remonstranten “Vrijburg”.  Bitte klicken auf “Remonstranten Vrijburg”, um zu sehen, wie lebendig eine freisinnige protestanische Gemeinde sein kann, davon können wir in Berlin und Deutschland erst mal nur träumen….

Die Amsterdamer Gäste haben in ihrem Salon in Amsterdam das Buch von Peter Bieri “Wie wollen wir leben?” gelesen, wir wollen gemeinsam über das 3. Kapitel “Wie entsteht kulturelle Identität?” sprechen.

Aufgrund des begrenzten Platzangebotes in der Galerie Fantom können wir diesmal nur Anmeldungen  von Interessierten berücksichtigen, die tatsächlich fest entschlossen sind, am 19. April um 19 Uhr in der Hektorstr. 9 dabei zu sein. Ein interessanter Abend sei versprochen… Bitte um Anmeldung:christian.modehn@berlin.de         Um einen finanz. Beitrag von  5 Euro wird gebeten.

Poesie vor dem Unendlichen. Eine Ra­dio­sen­dung

Am Sonntag, 7.4.2013, sendet der NDR (INFO -Programm) meinen Beitrag zum Thema Bittgebete, das Thema ist auch religionsphilosophisch relevant. Geht es doch um die Frage, ob Menschen, wenn sie Transzendenz erleben, auch zur Sprache finden im Blick auf den Ewigen.

Die Sendung wird auf NDR Info um 6.05 für Frühausfsteher ausgestrahlt und um 17.05 wiederholt.

Aus dem Pressetext: „Bittet, so wird euch gegeben“, forderte
Jesus seine Jünger auf. Darauf vertrauen
auch gläubige Menschen, wenn sie sich
mit ihren Sorgen an Gott wenden. Doch
welchen Sinn hat es, um göttlichen Rat
und Beistand zu bitten? „Wer betet,
Gottes Reich des Friedens möge
kommen, weckt in sich die Sehnsucht
nach Frieden“, schreibt der Kirchenvater
Augustinus. Heutige Theologen sind
überzeugt: Im Beten und Bitten erkennt
der Mensch, wer er ist und welche Ziele
ihm wichtig sind. Bittgebete können zur
spirituellen Poesie werden. Sie wecken
die Achtsamkeit. „Das Gebet ändert nicht
Gott, aber es verändert den Betenden“,
sagt der protestantische Philosoph Sören
Kierkegaard. Bittende und Betende
hoffen, trotz aller
Abgründe von einem
göttlichen Grund getragen zu sein.

Kein Gott mehr in Frankreich? Eine Ra­dio­sen­dung

Neueste Umfragen weisen auf den tiefgreifenden religiösen Umbruch in Frankreich hin. In einer Ra­dio­sen­dung im Saarländischen Runkfunk, Programm SR2, am Sonntag, 3. März um 20.04 bis 20.30,  wird auf diese aktuelle Thematik hingewiesen, es wird gefragt: Wie reagieren die Kirchen in Frankreich, wenn die Anzahl der Christen immer kleiner wird, also die sogen. “Alteste Tochter der römischen Kirche” immer gebrechlicher wird. Auf die protestantische, theologisch liberale Gemeinde” L Oratoire du Louvre in Paris” wird genauso hingewiesen wie auf den progressiven Theologen Pater  Jossua aus dem Dominikaner Orden in Paris sowie auf die katholische Gemeinde St. Merri in Paris. Auf das neue Buch von Pater Gérard Bénéteau “Tagebuch eines Stadtpfarrers” (Kirche St. Eustache, Paris) wird ebenfalls gewürdigt.

Eine Ra­dio­sen­dung von Christian Modehn

Auf das Papsttum verzichten

Auf das Papsttum verzichten

Von Christian Modehn

Der Amtsverzicht Papst Benedikt XVI. sollte zu tieferen und durchaus radikalen ( wörtlich bedeutet “radikal”  auf die Wurzeln des Evangeliums Jesu von Nazareth bezogenen) Entscheidungen führen. Es sollte jetzt die theologisch gesicherte Erkenntnis auch praktisch und kirchenpolitisch respektiert werden: Der Spruch aus dem Matthäusevangelium “Du bis Petrus der Fels, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen” (Mt 16, 18) stammt nicht von Jesus von Nazareth selbst. Jesus von Nazareth dachte gar nicht an eine Kirchengründung, schon gar nicht an ein Papsttum: Das ist heute allgemeine gesicherte theologische Erkenntnis. Nur fundamentalistische Bibellektüre (etwa in Rom) ignoriert das aus Gründen des Machterhalts. Und weiter hat der Spruch bei Mt. nur den Sinn, dass sich die spätere Gemeinde, die den Spruch “erfand”, sich ihrer langfristig gesicherten Existenz sozusagen jesuanisch versichern wollte.

Wer die lange Geschichte der Bischöfe von Rom, die sich dann Päpste nannten, betrachtet, etwa die durchgehende Korruptheit der Männer auf dem “Stuhle Petri” (die Medici usw) seit dem 14. Jahrhundert bis weit über die Zeiten Luthers hinaus, vorher die Machtgelüste in Zeiten des “Exils von Avignon”, später die Ignoranz der Päüste seit dem 19. Jahrhundert allem Modernen, allen Menschenrechten, gegenüber… der fragt sich ohnehin: Was ist wirklich “schlimm”, wenn diese so belastete Form des Papsttum, auch heute  immer noch barocker Prägung, (siehe “letzte absolute Monarchie auf Erden”) nun  aufs “Weitermachen” verzichtet. Es sollte doch wenigstens einmal diskutiert werden: Ist ein Katholizismus ohne Papsttum nicht nur möglich, sondern – aus spirituellen wie politischen Gründen- nötig. Diese Diskussion findet kaum statt, die TheologInnen an den Universitäten sind sich dafür zu fein. Sie spekulieren lieber mit dem medialen Mainstream: Na, wer wird denn der nächste Papst? Wäre nicht endlich eine umfangreiche Studie fällig: “Für einen Katholizismus ohne Papsttum”. Natürlich mit Beteiligung von Protestanten, die noch einmal wieder holen könnten: “Martin Luthers Papstkritik bleibt nach wie gültig”. Aber nein, statt dessen drehen sich die sogen. kritischen Katholiken im Kreise und fordern die ewigen Verbesserungen des Katholizismus. Warum sagt niemand: Das Papsttum selbst  – als absolute Monarchie nach eigenem Bekenntnis gelebt – ist ein Irrweg?

Das ist der Hintergrund des folgenden allzu knappen Beitrags, der auf der website von PUBLIK FORUM am 16. 2. 2013 erschienen ist, wir empfehlen bei der Gelegenheit erneut diese unabhängige Zeitschrift zur Lektüre und zum (Probe-) Abonnement. Zur Lektüre des aktuellen Beitrags “Der nächste Papst sei der letzte” klicken Sie bitte HIER.

 

Benedikt XVI. – oberster Lehrmeister des Politischen

Papst Benedikt XVI. als oberster Lehrmeister des Politischen

Von Christian Modehn

Wir haben im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon im Rahmen der philosophisch notwendigen Kritik der Religionen und Kirchen auf die politischen Ansprüche der Päpste, besonders Benedikt XVI., immer wieder hingewiesen und diese andauernden heftigen päpstlichen Weisungen gegenüber Staat und Gesellschaft dokumentiert und erläutert. Das neue Buch von Marco Politi, einem der renommiertesten „Vatikanologen“ mit dem Titel „Benedikt. Krise eines Pontifikats“ (Rotbuch Verlag, Berlin, Dezember 2012) bietet auch zu dem Thema wichtige Hinweise. Marco Politi, Journalist bei „La Repubblica“ und „Il Fatto Qutidiano“, bestätigt unsere eigenen bisherigen Dokumentationen. Wir weisen nur auf einige zentrale Aussagen aus dem 14. Kapitel („Der Prediger und die Wüste“) seines – sehr umfangreichen, sehr präzisen empfehlenswerten – Buches hin.

Benedikt XVI. ist davon überzeugt, dass er als Papst, d.h. als Stellvertreter Christi auf Erden und als Nachfolger Petri, die Vollmacht hat, die gesamte Politik weltweit zu belehren, „was die nicht verhandelbaren Prinzipien (der Politik) sind“. Das klingt zunächst interessant, könnte man doch denken, dass sich der Papst zu einem leidenschaftlichen Verteidiger der Menschenrechte (zu denen auch die Gewissensfreiheit gehört) aufschwingt und sich sozusagen an vorderster Front gegen Diskriminierung und Ungleichbehandlung bestimmter Menschen usw. aufstellt.  Aber Marco Politi belehrt uns eines besseren: Der Papst duldet als individuelle Freiheit nur den freien Ausdruck des „gebildeten christlichen Gewissens“ (S. 465), also des Gewissens, das sich von der christlichen Lehre prägen lässt. Aber wer verbreitet die authentische christliche Lehre? Es ist einzig der Papst als das oberste Lehramt. Gewissensfreiheit gibt es also nur für die päpstlich geprägten Gewissen. Noch als Chef der obersten Glaubensbehörde veröffentliche Joseph Ratzinger im Jahr 2002 eine „lehrmäßige Note“, also einen alle Katholiken orientierenden, wenn nicht bindenden Text zum Verhalten der Gläubigen in der Politik. Darin heißt es, ich zitiere aus dem Buch von Marco Politi (464 f.): “Es ist keinem Gläubigen gestattet, sich auf das Prinzip des Pluralismus und der Autonomie der Laien in der Politik zu berufen, um Lösungen zu begünstigen, die den Schutz der grundlegenden ethischen Forderungen für das Gemeinwohl der Gesellschaft kompromittieren oder schwächen“. Übersetzt könnte man sagen: „Liebe Politiker, hört auf Rom, den Vatikan, wenn ihr politische Entscheidungen trefft“. In den USA wurden tatsächlich in den letzten Jahren katholische Politiker exkommuniziert, die allzu sehr dem eigenen und nicht dem päpstlichen Gewissen folgten, etwa in Fragen des Schwangerschaftsabbruches. Ultramontanismus nannte man im 19. Jahrhundert diese entfremdende Denkungsart: „Zuerst der Papst, dann mein Gewissen“.

So wird also die faktische Autonomie und die faktische Gewissensfreiheit der (politisch handelnden) Katholiken zurückgewiesen. Katholiken müssen die „grundlegenden ethischen Forderungen“  über ihren persönlichen Gewissensspruch stellen. Der Bischof von Rom ist nicht nur ein spiritueller Lehrer, er ist als Nachfolger des heiligen Petrus auch der einzig berufene Interpret des Naturrechts. Denn dort sind die „grundlegenden ethischen Forderungen“ konkretisiert. Der Papst müsste sich konsequenterweise eigentlich auch des Titels „Oberster Naturrechtslehrer“ bedienen. Immer ist von Naturrecht in päpstlichen Stellungnahmen zu lesen, sehr selten von Menschenrechten: Warum das so ist? Menschenrechte entwickeln sich, sind mit dem Leben verbunden, sind um soziale Dimensionen etwa zu ergänzen. Hingegen ist „das“ Naturrecht im päpstlichen Sinne, auch in der konkreten inhaltlichen Prägung,  etwas UNWANDELBARES und EWIGES, es ist etwas Starres und Unhistorisches. Denn das Naturrecht geht letztlich, so wörtlich „auf den Schöpfer zurück“ (S: 485). Mit „Schöpfer“ ist der Gott gemeint, so, wie ihn die klassische vatikanische Theologie deutet: Als unwandelbarer Herr und Meister von moralischen Prinzipien. „Mit dieser Formulierung wird ein gleichberechtigter Dialog mit Atheisten und Agnostikern ein gewagtes, wenn nicht unmögliches Unterfangen“, so Politi (S. 485). Und was können Buddhisten und Hinduisten mit diesem Gott der Katholiken anfangen, der das Naturrecht erlässt und aus päpstlichen Munde universal für alle und immer und ewig verbreitet? Auch diese (rhetorische) Frage stellt Politi.

Der Papst und der Vatikan haben, das ist evident, mit ihrer total objektivistischen und unhistorischen Naturrechtslehre den Anschluss verloren an die moderne Philosophie (seit Kant): Diese entwickelt ethische Orientierung und Normen einzig aus der autonomen, kritischen Vernunft …  und eben nicht aus theologisch fixierten Überzeugungen … Diese Ignoranz gegenüber dem lebendigen Wandel führt sicher sehr viele nachdenkliche Menschen zur Distanz von dieser eher versteinert erscheinenden Kirchen -, d.h. Naturrechtslehre.

Mit dieser rigiden und ahistorischen (selbst theologisch längst umstrittenen) Ideologie will der Papst seine Urangst überwinden, die panische Angst vor dem Relativismus. Nichts ist für Benedikt schlimmer, als wenn relativistisch, d.h. mit historischem und hermeneutischen Wissen die vorgeblich ewigen vatikanischen Lehren befragt werden. Dann könnte man ja auch bestimmte Bibelsprüche relativistisch deuten, etwa die Begründung des Papsttums oder den Ausschluß der Frauen vom Priesteramt, dann aber würde sozusagen das ganze vatikanische System zusammenbrechen. Aus ureigenen, auf Machterhalt bedachten Motiven muss der Papst also Verfechter des rigiden, ahistorischen Naturrechts bleiben. Relativismus würde seine eigene Existenz als Papst und seines Hofes (=curia) gefährden.

Marco Politi weist zu recht darauf hin, dass nur von dieser völlig in sich abgeschlossenen Naturrechts – Ideologie aus der Kampf des Papstes gegen den ethischen Pluralismus der Moderne zu verstehen ist. Die von konservativ bis fundamentalistisch geprägten Katholiken heiß bekämpfte und äußerst polemisch attackierte so genannte Homoehe (jetzt etwa in aller Schärfe in Frankreich) ist nur ein Beleg dafür, zu welcher Mobilisierung diese uralte Naturrechts – Ideologie in der Lage ist. Die Homoehe, so der pauschale Vorwurf, würde „die“ Familie destabilisieren. Um dieser Naturrechts – Ideologie willen hat der Vatikan übrigens auch über viele Jahre zu Berlusconi gehalten. Dem Papst und seinen Mitarbeitern war das private Leben wie das politisch wie ökonomisch verantwortungslose Verhalten Berlusconis schlicht egal. Warum? Weil Berlusconi den italienischen Bischöfen und dem Vatikan signalisierte: “Von meiner Seite hat der Vatikan nichts zu befürchten“ (S. 463). Damit meinte er: Die Finanzierung katholischer Schulen durch den Staat und die Steuerprivilegien der katholischen Kirche bleiben unter Berlusconi erhalten. ABER, das ist entscheidend, Berlusconi verspricht, gegen die Homoehe vorzugehen, gegen das Gesetz über Patientenverfügungen usw. Kardinal Bertone, die so genannte Nummer 2 im Vatikan, freute sich deswegen auch zu betonen, wie der Vatikan Berlusconi „zu Dank verpflichtet ist, weil diese Regierung im Rahmen befriedeter Beziehungen stets die Interessen der Kirche (!) berücksichtigt hat“ (s. 463). Der Vatikan löste sich aus der ultra- freundschaftlichen Beziehung mit dem Katholiken Berlusconi erst im Herbst 2011: Da hatte dieser unsägliche Machtpolitiker insgesamt und nahezu überall jegliche Akzeptanz verloren. Auffällig ist: Der Vatikan unterstützt selbst auch heute höchst umstrittene und belastete, wenn nicht kriminelle Politiker, wenn sie denn nur „die Interessen der Kirche berücksichtigen“, wie Kardinal Bertone so präzise sagt.

Die Debatte um den Einfluss der rigiden Naturrechtslehre à la Vatikan bzw. Ratzinger wird aktuell noch einmal deutlich in der Ansprache des Papstes anlässlich der Weihnachtswünsche für die Kurie am 21. Dezember 2012, wir beziehen uns hier auf den französischen Text, den „La Croix“ (Paris) druckte. Darin nimmt Benedikt XVI. direkt Bezug auf eine Abhandlung des Groß- Rabbiners von Frankreich, Gilles Bernheim. Der Papst sucht sich sozusagen ökumenischen Beistand von  prominenter orthodoxer jüdischer Seite: Wer würde es da schon wagen zu widersprechen? In schärfsten Worten polemisiert er – darin mit dem Großrabbiner einer Meinung – gegen die Auflösung „der Familie“ durch die Homoehe und die Gender Philosophie, die er übrigens bei Simone de Beauvoir festmacht. Der Papst ist sich, als angeblich so brillanter und so viel gerühmter hoch gebildeter Theologe, nicht zu schade, die  biblische Schöpfungsgeschichte wortwörtlich normativ zu deuten: „Als Mann und Frau schuf er (Gott) die Menschen (Gen. 1, 27) heißt es da: Aus diesem beschreibenden Faktum wird beim Papst gefolgert: Nur Mann und Frau können eine Familie bilden. Nur in dieser Dualität, so Benedikt und Bernheim, sei „der“ Mensch authentisch. „Die (Hetero) Familie“, so wörtlich Benedikt und Bernheim, „ist eine Realität, die schon im voraus durch die Schöpfung etabliert wurde“. Die Heteroehe ist sozusagen eine Idee Gottes, die mit der Schöpfung ad aeternum verbunden ist. Konsequent heißt es weiter: Wer diese Tatsachen der Schöpfung leugnet, „der leugnet auch Gott selbst – und der Mensch wird degradiert“. Wer die Homofamilie lebt oder befürwortet, wird in dieser Sicht förmlich zum Unmenschen. „Nur wer Gott verteidigt, verteidigt das menschliche Sein“, heißt es in der „friedlichen“ Weihnachtsansprache an den päpstlichen Hof. Merkwürdig ist, wie stark diese Form der starren Bibelinterpretation und des objektivistischen Naturrechts jegliche Bezugnahme etwa auf die Jesus – Gestalt verschwinden lässt.

Schon lange nicht mehr waren derartig maßlose Worte anlässlich einer fundamentalistischen Bibellektüre aus päpstlichem Mund zu hören. Der Vatikan, so prachtvoll barock er sich auch mit allem Pomp und Glorienschein geben mag, ist längst ein Getto geworden, das sich in starren Prinzipen einmauert und kein Interesse hat an einem Dialog, der Streit und Auseinandersetzung ist unter gleichberechtigten Partnern. „Die Stimme der Wahrheit hat immer recht…“, sie braucht keinen wirklichen Dialog. Zeichen der Ermunterung und Symbole der Hoffnung für diese so vielfältige, pluralistische Menschheit sind vom Papst trotz so vieler Worte, Weisungen und Mahnungen kaum mehr zu erwarten. Das ist die – manchen noch traurig stimmende Weihnachtsbotschaft, die dieser Tage im Vatikan verbreitet wird. Neu ist dies für einige dies vielleicht noch deprimierende Botschaft nicht. Die Schärfe des Tons wundert sogar die Freunde des religionsphilosophischen Salons. Katholische Medien sprechen bezeichnenderweise von einem aktuellen „Kulturkampf“, etwa in Frankreich anlässlich der heftigsten Debatten um die Homoehe (vgl. Christ in der Gegenwart, Heft 52, 2012, Seite 578). Kulturkampf aber ist nichts als Krieg, ausgelöst durch eine rigide Haltung des Papstes, die in der Moderne nur das Böse sehen will. Der Papst meint allen Ernstes, diese Moderne sei gottverlassen und der (heilige) Geist habe sie verlassen. Kann eine Vorstellung von Gott eigentlich noch kleinlicher werden?

Marco Politi, „Benedikt. Krise eines Pontifikats“. Rotbuch Verlag Berlin, 2012, 539 Seiten, 19, 99 Euro. Wir empfehlen dieses preiswerte Buch dringend.

copyright: christian modehn