Kunst im Kapitalismus: Sie “beschenkt” Milliardäre mit Transzendenzerfahrungen

Ein religionsphilosophisches Projekt: Ein Hinweis von Christian Modehn

Kapitalismus ist viel mehr als eine Wirtschaftsform. Kapitalismus ist die umfassende Welt, die alles bestimmende totale Lebensform, egal, ob diese Welt der einzelne nun bejaht oder nicht. Er muss darin (über)leben. Noch. Das ist eine Art von Terror: Kapitalismus macht auch alles Wahre zur Ware. Alle Werte zum Berechenbaren und Verfügbaren. Das ist bekannt und hinlänglich oft beschrieben und kritisiert worden. Leider haben alle diese Kritiken fast keine Wirkungen.

Auch Kunst, die heute so genannte groß gemachte Kunst der vom Kunst – Markt groß gemachten Künstler, ist Weiterlesen ⇘

Widerstand der Vernunft: Eine Philosophin sagt Nein zu Trump

Eine neue Publikation von Susan Neiman

Ein Hinweis von Christian Modehn

„PhilosophInnen schweigen zur Niederlage der Vernunft, die mit dem Beginn der Herrschaft von Donald Trump noch offenkundiger wird“. Dieser Vorwurf ist nicht mehr ganz berechtigt. Denn die US – amerikanische Philosophin Prof. Susan Neiman hat gerade jetzt, Anfang Juni 2017, ihr Manifest „Widerstand der Vernunft“ veröffentlicht. Darin zeigt sie, sehr deutlich auf tatsächliche Fakten bezogen (solche ein Wort „tatsächliche Fakten“ muss man jetzt bilden angesichts der von Herrschern gewünschten post-faktischen Fakten!): Die Vernunft, die philosophische, die es ebenso tatsächlich faktisch gibt gegen alle Einwürfe postmoderner Beliebigkeiten, vermag die Gefahren des permanenten politischen Geschwätzes Weiterlesen ⇘

Theologisch denken mit Marx. Über die lebendige Befreiungstheologie

Hinweise zu unserem religionsphilosophischen Salon am 26.5. 2017

Von Christian Modehn

Ein Vorwort: In unserem religionsphilosophischen Salon am 26.5. 2017 haben wir anlässlich des gleichzeitig stattfindenden Kirchentages in Berlin einige zentrale Aussagen des (jungen) Marx zur Religion diskutiert. Vor allem die bekannte Aussage von Marx: „Religion ist Opium des Volkes“. Uns leitet dabei die ganz normale philosophische Überzeugung, dass natürlich etliche philosophische Fragen und Provokationen von Marx auch heute unser Denken anregen und möglicherweise korrigieren können. So etwa die Frage: Wie ist auch theologische Denken und auch kirchliche Handeln von der nun einmal zweifelsfrei vorhandenen Situation der Klassengegensätze in den Staaten und Kulturen Europas z.B. bestimmt? Gibt es überhaupt noch ein Bewusstsein dafür, dass Theologie und kirchliches Handeln etwa in Europa und den USA nicht nur Weiterlesen ⇘

„Die Liebe ist bedroht“: Zum Philosophie Magazin Juni/Juli 2017.

Hinweise von Christian Modehn am 28. 5. 2017

Philosophie bezieht sich immer in gewisser Hinsicht auf das ganze Leben, die ganze Wirklichkeit. Alles kann – unter bestimmter Rücksicht – Thema der Philosophie sein. Das ist Chance und Problem für eine Zeitschrift, die alle zwei Monate als Magazin – lesefreundlich und mit Fotos ausgestattet – auf 98 Seiten Philosophie unters Volks bringen will und die Praxis der Philosophie, eben das Philosophieren (grundsätzliches Reflektieren), als Lebensform möglicherweise, vorschlägt.

Die Herausforderung für explizit an Philosophie Interessierte ist immer die: Sind die Beiträge dicht dran an „den“ Philosophien oder könnten sie genauso gut in einem explizit sozialwissenschaftlichen oder psychologischen Magazin stehen?

Diesmal also, bei aller Sympathie für das „Philosophie Magazin“, der Hinweis angesichts der Ausgabe Juni-Juli 2017. Ich habe z.B. nichts gegen Reportagen, die auf die schwierige (auch dramatische gesundheitspolitische) Situation privater und öffentlicher Toiletten in Indien hinweisen. Aber muss der „Kampf um den stillen Ort“ in Indien wirklich auf 7 Seiten in einem der Philosophie verpflichteten Magazin ausgebreitet werden? Das kann sich der französische Kooperationspartner „Philosophie Magazine“ (Paris) vielleicht leisten, weil dieses Blatt monatlich erscheint. Aus diesem französischen Heft stammt der Beitrag in der deutschen Ausgabe. Wenn schon die Kooperation mit Paris besteht: Warum bietet PHILO MAG keinen Beitrag über den doch philosophisch sehr Interessierten französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron: Warum keinen Bericht über die sehr angesehene Kulturzeitschrift ESPRIT (gegründet von Emmanuel Mounier, bekanntlich ein Philosoph)? Bei ESPRIT  arbeitete Macron mit! Oder: Warum nicht auch ein Text, förmlich zur Begleitung des Beuys Films, der jetzt im Juni 2017 gezeigt wird? Ein Philosophie Magazin sollte meines Erachtens aktuelle (Kultur)-Ereignisse unmittelbar vertiefen. Habe ich schon Beiträge zu einer Philosophie der Musik oder einen religionsphilosophischen Beitrag zur Säkularisierungsthese gelesen, gerade jetzt hört man angesichts des Kirchentages in Berlin: Diese Stadt sei gottlos? Was heißt das? Welche Götter verehren denn die angeblich Gottlosen? Sind die Gläubigen nicht auch in gewisser Hinsicht gottlos?

Trotz dieser Hinweise: Auch das Juni-Juli Heft 2017 verdient wieder Aufmerksamkeit: Dass der eher kommunistisch orientierte Philosoph Alain Badiou sehr viel Philosophisches, also aus der Liebe zur Weisheit gesprochen, zur LIEBE im allgemeinen sagen kann, mag einige überraschen. Mich überrascht nicht, dass Badiou sagt, dass “die Liebe im Kapitalismus bedroht ist”. Erstaunlicher ist seine Aussage, dass wir „durch die Liebe zum Absoluten gelangen“. Dann aber muss er als – braver Marxist ? – sofort gleich betonen: „Es geht nicht um ein Absolutes im christlichen Sinn“. Was wäre denn das Absolute im offenbar für ihn nur einförmig denkbaren „christlichen Sinn“? Ist denn die Weisheitserkenntnis der Bibel: „Gott ist die Liebe“, für Philosophen so undenkbar oder gar so peinlich in einer „kritischen Umgebung“, dass man sich philosophisch dieses Themas nicht annehmen kann?

Es sind wie schon oft vor allem die Interviews, die das Philosophie Magazin lesenswert machen. Hervorragend das Gespräch mit der Schriftstellerin Silvia Bovenschen und dem Philosophen Alexander García Düttmann, wo man spürt: Da sprechen Menschen ehrlich, reflektiert wie persönlich. Wahrhaftig. Das bewegt, nicht nur zum weiteren Nachdenken! Auch zur Debatte über das Werk des Ethnologen Claude Lévi-Strauss lädt das Heft ein, und zwar im Umfeld der aktuellen Debatte über die „Barbaren“ und damit über den Kulturrelativismus. Wolfram Eilenberger berichtet über das – schon oft  – dargestellte Liebesverhältnis von Hannah Arendt und Martin Heidegger. Ich würde mir wünschen, dass in einem zweiten Teil das – wieder einmal heftige – Buch von Emmanuel Faye diskutiert wird, das kürzlich in Paris erschien: „Extermination Nazi und Déstruction de la pensée“. Darin wird behauptet, Hannah Arendts Denken habe sich, noch nach 1945 von ihrem alten Liebhaber (und dann sehr bekannten NSDAP-Mitglied) Martin Heidegger philosophisch beeinflussen und bestimmen lassen. Das so jetzt wieder allseits so hoch gelobte Werk von Hannah Arendt käme dann ein bisschen sehr ins Wanken. Da wären Diskussionen „spannend“.

 

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“Wir sind zuerst Menschen. Danach Untertanen”: Zum 200. Geburtstag des Philosophen Henry D.Thoreau

Am 12. Juli 1817 wurde der ungewöhnliche Philosoph und Autor, der Amerikaner Henry David Thoreau (in Concord, Massachussetts) geboren. In seiner Heimat, den USA, gibt es bis heute eine breite Thoreau-Forschung und durchaus eine Thoreau-Begeisterung. Sein Buch “Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat” sollte Pflichtlektüre in allen Schulen aller Staaten werden. Aber auch die anderen Texte verdienen unsere Aufmerksamkeit, einiges Neue, wie die Tagebücher, erscheint u.a. im Verlag Matthes und Seitz, Berlin. Wir werden weitere Hinweise publizieren, besonders zu der religionsphilosophischen Bewegung der “Transzendentalisten”, der Thoreau nahe stand…

Thoreau wurde in der Pop – und Hippiebewegung zu einer Symbolfigur des “Aussteigers” aus dem kommerziell beherrschten Alltag. Tatsächlich sind seine Essays “Walden” sicher besonders inspirierend für die Suche nach einem alternativen, von Gleichberechtigung der Menschen geprägten Leben. In “Walden” teilt Thoreau seine Lebens – “Experimente” (er liebte dieses Wort) am “Walden” – Teich mitteilt: Selbstgenügsamkeit und Entschiedenheit für das wirklich Wichtige im Leben, das Sein als harmonisches, friedliches Leben, sind zentrale Themen von “Walden”. Ohne das Buch “Walden” und ohne sein (sehr umfangreiches) Tagebuch ist es wohl schwer, ein tieferes Verstehen der Natur zu erwerben: Die Texte Thoreaus sind von einer poetischen Dimension; sie sind bestimmt von der eher kontemplativen Naturbetrachtung und der gleichzeitigen Bemühung um wissenschaftliche Natur – Erkenntnis. Die Bewahrung der Natur ist für ihn untrennbar mit der umfassenden Emanzipation der Menschen verbunden. Der Kampf etwa um die reine Qualität des Wassers ist für Thoreau genau so wichtig wie der Widerstand gegen einen Staat, der im Krieg die Steuergelder ausgibt oder an der Sklaverei festhält.

Besonders aktuell ist heute, angesichts des Trump – Regimes zum Beispiel, sein knapper Text “Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat”. Ungehorsam ist für Thoreau immer dann entscheidend, wenn das Gewissen den Gehorsam gegenüber staatlichen Gesetzen und Verfügungen verbietet. Es ist das individuelle Bewusstsein von Moral, das im gesellschaftlichen Leben ausschlaggebend ist. Damit wird nicht jeglicher egoistischer Willkür die Tür geöffnet. Es geht um die Prüfung: Was ist gut für die Menschheit, was ist gut und menschlich fördernd für den Staat. Wie kann ich ethisch gut als Mensch bestehen… Gandhi hat Thoreau gelesen, seine Gedanken inspirierten ihn im gewaltfreien Widerstand. “Ich mache mir das Vergnügen, mir einen Staat vorzustellen, der es sich leisten kann, zu allen Menschen gerecht zu sein, und der das Individuum achtungsvoll als Nachbarn behandelt… ” schreibt Thoreau am Ende seines Essays “Über die Pflich zum Ungehorsam gegen den Staat”.

Eine neue Thoreau- Biographie: Frank Schäfer, “Henry David Thoreau, Waldgänger und Rebell”. Suhrkamp Verlag, 2017.  Die Thoreau-Gesellschaft in den USA.

copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

Marx und die Religionskritik: Wie (noch) von Gott sprechen?

Hinweise von Christian Modehn am 26.5.2017

1. Die zentrale These:

Gott ist ein Produkt, ein von Menschen Gemachtes. Gott hat also keine eigene, selbständige Wirklichkeit und Lebendigkeit. Gott ist als Menschengeschöpf also manipulierbar. Der Glaube an diesen Gott führt den Menschen in himmlische, illusorische Welten; der Glaube an Gott ist also für die Emanzipation der Menschen verwerflich. Und eben auch von Menschen abzuschaffen. Ein Leben ohne Gott ist möglich und sogar wünschenswert. Dies ist der Kern der bis heute in weiten Kreisen geglaubten (!) atheistischen Haltung im Sinne von Marx. Und Marx geht über Feuerbach hinaus, indem er die inhaltliche Gestalt der Religion (auch Moral, Theorien) in Verflochtenheit, Gebundenheit und Abhängigkeit von der gegebenen Gesellschaft und ihrer Praxis sieht. Diese Position (sie geht über Feuerbach bereits hinaus) erreicht Marx in der Schrift: „Die Deutsche Ideologie“, verfasst 1845-46. „Das Bewusstsein kann nie etwas Anderes sein als das bewusste Sein, und das Sein der Menschen ist ihr wirklicher Lebensprozess“. Im „Kapital“ Von Marx gehört Religion in die Logik der verkehrten kapitalistischen Welt.

2. Zur Kritik:

Die Beziehung zu Gott als Religion, als gelebte Frömmigkeit, ist tatsächlich immer zwiespältig. Religion kann von den einzelnen gebraucht werden als Beruhigung, Opium, als Flucht aus der Wirklichkeit. Als Phantasterei, in der man sich selbst gefällt („mein persönliches Wundererlebnis“, „mein Heiliger“ usw.) Religion kann krank machen.

Religion wird von den Herrschenden in Politik, Ökonomie und religiösen Institutionen gebraucht und mißbraucht, um die eigene (klerikale) Herrschaft zu stabilisieren, indem sie den Untertanen sagen: Diese Gesellschaftsordnung usw. ist von Gott gewollt: „Ihr schuldet uns, den Herrschenden, von Gott selbst befohlen (in Bibel, Koran usw.), absoluten Gehorsam. Religion stabilisiert Unrechtssysteme. Das sind unleugbare Tatsachen. Insofern verdanken „wir“ Marx viel, dass er auf diese Zusammenhänge leidenschaftlich aufmerksam machte.

3. ABER: Religion als Beziehung zu Gott, verstanden im Bild des Unendendlichen, alles Gründenden, als schöpferische Kraft des Lebendigen, des aus Resignation Befreienden, Unterwürfigkeit Überwindenden, letztlich als kaum zuberührenden Geheimnisses, ist ebenso eine (eher selten vorkommende, aber reale) Möglichkeit des religiösen Menschen. Diese doppelte Gestalt der (christlichen, katholischen) Religion hat der kritische Marxist Antonio Gramsci (1891 – 1937) herausgearbeitet. Gramsci entdeckte die utopischen Momente IN der konkreten Religion. Marx denkt Religion noch zu wenig differenziert.

4. Man kann für eine vernünftig begründete Religion angesichts von Marx und Feierbach auf zwei Ebenen argumentieren:  Indem man für eine nicht—parteigebundene, also selbstkritische Philosophie des Geistes rekurriert. Sie ist trotz aller zweifelsfrei vorhandenen Klassenkämpfe gestern und heute gültig! Denn auch Marx selbst kann auf die Formulierung von Idealen der künftigen Gesellschaft nicht verzichten, also dann doch nicht auf Philosophie verzichten. Die Reflexion auf das selbstbewusste geistige Leben des Menschen findet also offenbar immer statt. Die Implikationen dieses selbstbewussten geistigen Lebens freizulegen ist dann Thema der Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie.

Es geht also um die Frage: Ist die befreiende Religion als ausdrückliche Gestaltung der Beziehung zu einer selbständigen, von Menschen nicht manipulierbaren göttlichen Wirklichkeit, etwas, das sich im menschlichen Leben, im menschlichen Geist, der Vernunft, selbst zeigt? Nur wenn dies der Fall ist, wenn das Göttliche also eine unabwerfbare Wirklichkeit im Menschen ist, hat Religion Sinn, verstanden als nicht schädliche, negativ wirkende, bloß beruhigende und deswegen antiemanzipatorische, nicht-opiumhafte Wirklichkeit.

5. Zur Begründung eines religiösen Glaubens “trotz” Marx/Feuerbach:

Die in 4. angedeutete Möglichkeit einer vernünftig vertretbaren und lebbaren Beziehung zu Gott (Glauben) hat Argumente, zum Beispiel:

Im ethischen Bereich: Die im Gewissen (bei gesunden Menschen) sich zeigende Aufforderung, gut zu sein, ist etwas vom Menschen selbst Unabwerfbares. Es kann durch lange Praxis des Negativen (Verbrechen) zwar fast still gelegt werden. Wobei der Verbrecher selbst noch meint, zumindest für sich selbst egoistisch Gutes zu tun.

Im Umgang mit Wahrheit: Wahrhaftig zu sein ist eine vom Menschen nicht manipulierbare Forderung des ebenfalls niemals total „abzustellenden“ Gewissens, auch wenn dieser sich selbst zeigende Gewissensspruch oft ignoriert wird. Selbst der größte Lügner behauptet für sich und für andere, nach außen, die Wahrheit zu sagen.

Im Umgang mit Schönheit: Selbst der größte Kitsch wird von Kitsch-Gebrauchern noch als schön erlebt, das Massenprodukt „Der röhrende Hirsch“ wird von vielen als schön erlebt…

Mit anderen Worten: In unserem Geist sind wir verwiesen auf apriorische, d.h. schon vor aller Praxis vorgegebene Strukturen, die auf etwas Absolutes verweisen. Diese nicht abzuwerfenden Bindungen an Gutsein, Wahrhaftigsein und den Sinn für Schönes sind formale Bestimmungen, sie sind konkret – historisch aber immer wieder neu inhaltlich gefüllt. Darin zeigt sich eine inhaltliche Relativität bei einer formalen Unbedingtheit. Im menschlichen Geist spielt sich mehr ab als banale manipulierbare Alltäglichkeit. Der menschliche Geist als solcher hat dann offenbar bei allen Menschen, die Geist haben, Dimensionen von etwas Absolutem. Das zeigt nur: Der Geist des Menschen ist mehr als das manipulierbare Etwas eines klugen Tiers.

Im alltäglichen Leben setzen wir immer wieder in der Lebenspraxis Sinn, wir gehen davon aus, dass die nächsten Aktionen unseres Lebens sinnvoll sind, in diesen einzelnen Sinn-Schritten und einzelnen Sinn-Bejahungen wird immer ein größer, letzter Sinn mit-bejaht.

In der Frage nach der „letzten“ Herkunft des Menschen und der Welt werden wir auf etwas Gründendes, Alles Gründendes verwiesen: Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr Nichts? Diese Frage kann kein Physiker und kein Neurowissenschaftler, auch kein Richard Dowkins beantworten.

6. Diese Beispiele aus der Existenz-Erfahrung zum Absoluten sind Spuren, die unsere Verbindung mit etwas über den endlichen Menschen Hinausweisendes deutlich machen. Sie sind, weil es sich eben um nicht-alltägliche, banale Strukturen handelt, eben nur in einer über das banale Denken (der Zweckrationalität etwa) hinausgehenden meditativen Denkhaltung wahr-zunehmen. Diese über das Alltägliche hinausgehende Wirklichkeit wird in verschiedenen Kulturen selbstverständlich verschieden benannt. Es kommt nur darauf an, in der endlichen Welt Spuren zu entdecken, die das Verschlossensein in Endliches sprengen.

Dieses Transzendieren ist die elementare Form religiösen Lebens, es äußert sich auch im künstlerischen Erleben und etwa in der erotischen und sich anderen hingebenden, solidarischen Praxis.

7. Aber diese hier angedeutete Spur zum Absoluten IN uns ist als religiöse Haltung etwas Einfaches, Elementares, in wenigen Worten, oft in Poesie, oft in Musik und Kunst und Eros, Aussagbares. Alle aufgeblähte Dogmatik ist dieser Erfahrung zuwider. Diese aufgeblähte Dogmatik lieben aufgeblähte Kleriker als religiöse Herrscher.

Im Transzendieren kann sich eine Lebendigkeit und eigene Kreativität zeigen, also alles andere ist als beruhigendes und letztlich tötendes Opium.

Diese elementare Form der Beziehung zu einer göttlichen Wirklichkeit gilt es zu bedenken. Die vielen Dogmen der vielen großen Kirchen stören eher diese elementare religiöse Beziehung.

8. Die existentiell tragende religiöse Beziehung zu einem gründenden absoluten Geheimnis, das die hilflose Sprache nun Gott nennt, kann der einzelne meditativ erschließen und für sich als Höhepunkt „feiern“.

Besser aber ist der Austausch mit anderen über diese Lebenserfahrungen in kleinen Gruppen, manchmal auch Gemeinden. Aber für viele religiöse Mensche vernichten die großen Kirchen mit ihren vielen Liedern (banaler Art oft) und ihrem liturgischen Pomp und ihrer klerikalen Machtstruktur diese Erfahrungen, die sich in der vernünftigen Reflexion erschließen. Es gibt leider nur wenige christliche Kirchen, die diese beschriebene Haltung der Offenheit, auch im Dogmatischen und Moralischen, selbstverständlich leben. Dazu gehört die niederländische Kirche der Remonstranten.

Wenn es darum geht: An welche religiösen Traditionen kann ich mich halten, ist die Vernunft das Kriterium. Nicht etwa eine andere religiöse Tradition.

9. Wenn Marx zurecht die Verwirklichung des menschlichen Lebens in der Praxis sieht, vor allem in der gesellschaftlichen Praxis, die die Entfremdungen überwindet und den unterdrückten Massen Lebenschancen und Gleichberechtigung erwirkt, dann ist dies eine politische Form der Nächstenliebe.

In dieser Praxis der Nächstenliebe kommen religiöse und nichtreligiöse Menschen zusammen. Sie finden im gemeinsamen Tun eine humane Basis der Praxis und finden eine neue Nähe der bisher nur ideologisch getrennt Lebenden. Für diese gemeinsame Praxis Glaubender und Nicht – Religöser gibt es im Alltag zahlreiche Beispiele.

10. Marx, der Religion abschaffen wollte, erlebte bei jenen, die den Marxismus in der Sowjetunion und den Ostblock-Staaten angeblich verwirklichten, neue Formen des Religiösen: Die angeblich heilige, d.h. immer Recht habende Partei (KP), die Parteifeste, die Lieder, die kommunistischen Liturgien (Parteitage und die Floskeln…). D.h. auch der Kommunismus, der religionslos sein wollte, wurde wie von selbst auch (säkular) religiös. D.h. die religiöse Dimension im Menschen wurde umgeleitet, sie ist eben nicht klein zu kriegen. Die Idee des Kommunismus ist damit nicht obsolet geworden! So wie auch die Bergpredigt Jesu von Nazareth nicht deswegen obsolet und ungültig ist, weil die Kirchen(führungen) diese Weisungen niemals ins praktische Leben einbezogen haben.

 

Copyright: Christian Modehn, Berlin, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

 

Der erste Lutheraner in den Niederlanden: Der Augustiner Hendrik van Zutphen

Der erste Lutheraner in den Niederlanden: Der Augustiner Hendrik van Zutphen, später der „Bremer Reformator“ genannt.

Von Christian Modehn am 4.5.2017. (Dieser Beitrag erschien am 28. April 2017 in kürzerer Form in der Zeitschrift Publik – Forum).

Über die Bedeutung und Wirkung des Augustinermönches Martin Luther für seine usprüngliche spirituelle “Familie”, also die Mitglieder seines Ordens (O.E.S.A. ist die damalige lateinische Abkürzung, also Augustiner-Eremiten, wie der Orden mit dem Zusatz „Eremiten“ bis ca. 1970 noch hieß) ist meines Wissens insgesamt, auch in diesem Jahr des Reformations – und Luther-Gedenkens sehr wenig publiziert worden. Dabei macht schon diese sehr kleine Studie zu den Niederlanden und den dortigen Augustinern deutlich, dass der Einfluss des Reformators und Augustiners Luther schon sehr früh sehr für den AugustinerOrden bedeutend war.

In den Niederlanden hatten sich die Lehren Martin Luthers schon 1518 herumgesprochen. Seine Schriften wurden 1519 in Antwerpen und Leiden veröffentlicht. Schon im gleichen Jahr befahl Kaiser Karl V., „alle lutherischen Bücher in den Niederlanden zu verbrennen“. Es waren vor allem Augustiner, die sich nicht einschüchtern ließen und sehr früh, von ihrem Mitbruder in Wittenberg inspiriert, mit der Reform kirchlichen Lebens begannen. Ein Zentrum war das Kloster in Dordrecht (bei Rotterdam) mit ihrem Prior Hendrik van Zutphen, der den Ordensnamen Pater Johannes hatte. 1489 in Zutphen geboren, wurde er schon 1516 Leiter des Klosters. Er setzte sich sofort für die Wiederherstellung der strengen Ordenszucht ein. Der katholischen Stadtverwaltung missfielen seine „evangelischen“ Predigten, sie vertrieb ihn und vier weitere Mönche. Sie fanden 1519 Zuflucht in Antwerpen: Aber selbst dort, der eher liberalen Stadt, wurden große Gruppen reformgesinnter Augustiner verhaftet. Hendrik van Zutphen konnte nach Wittenberg fliehen, in eine Stadt, die er schon kannte: Er hatte dort schon von 1508 bis 1512 studiert und Luther kennen gelernt.

Hendrik erlebte nun, wie sich Luther der päpstlichen Androhung des Bannes widersetzte und das päpstliche Schreiben, die „Bulle“, öffentlich verbrannte: So kam es zum definitiven Bruch mit Rom. Hendrik studierte in dieser turbulenten Zeit vor allem die Theologie des Römerbriefes, sein Studium schloss er mit dem Lizenziat ab. In „73 Thesen“ entwickelte er 1521 seine eigene Theologie: Er wandte sich etwa gegen die „stille Privatmesse“, die man für Geld zum Heil der Seelen bestellen konnte. Für ihn galt: „Die Eucharistiefeier kann niemals als ein neues unblutiges Opfer Christi verstanden werden. Die Messe ist vielmehr eine zeichenhafte Mahlzeit von Glaube und Liebe“.

Luther müssen diese Thesen gefallen haben: Er ließ Hendrik von der Wartburg aus grüßen. Als Hendrik hörte, dass in den Niederlanden immer mehr Evangelische verfolgt werden, kehrte er zur Unterstützung nach Antwerpen zurück. Dort wurde er als Prediger vom Volk gefeiert: Aber die katholische Obrigkeit wollte keine religiöse Vielfalt dulden: Sie ließ die Augustiner verhaften. Hendrik wurde allerdings in höchster Not vom empörten Volk befreit. Seine Mitbrüder Johannes van Esschen und Hendrik Vos werden 1523 auf dem Scheiterhaufen in Brüssel verbrannt. Hendrik gelangte über Enkhuizen und seine Heimatstadt Zutphen nach Bremen: Dort traf er Bekannte aus Studienzeiten in Wittenberg. Seine Predigten in der St. Ansgarii Kapelle fanden viel Zuspruch, sogar die Zustimmung des Stadtrates, aber den Widerspruch des Klerus. Hendrik wurde „zum Bremer Reformator“. Dort setzte er sich für Jacobus Probst ein, den Prior des Antwerpener Augustiner Klosters: Er hatte geheiratet und suchte nun in Bremen eine neue Stelle.

Unter allen Orden waren die Augustiner am deutlichsten von der Reformbewegung Luthers betroffen. Allein in Deutschland sind 69 von 160 Augustinerklöstern aufgelöst worden. (Weitere aktuelle Hinweise zu dem Aspekt, am Ende des Beitrags).

Hendrik van Zutphen war im Oktober 1524 aus dem Orden ausgetreten. Aber „er wolle niemals vom Evangelium schweigen… solange, bis ich den Lauf dieses Lebens vollendet habe.“ Darum folgte er im November 1524 einer Einladung, in Meldorf, Dithmarschen, zu predigen. Das Volk war wiederum begeistert, aber der dortige Klerus, vor allem der Dominikaner Pater Augustinus Torneborch, sorgte schon im Dezember 1524 für seine Verhaftung: Hendrik wurde nach Heide geschleppt, dort erst halb totgeschlagen, dann ins Feuer geworfen: Weil der Körper aber nur etwas verkohlte, wurden Kopf, Hände, Füße abgeschnitten und der Rumpf unter Spottgesängen verscharrt. Am 10.Dezember 1524 wurde das Leben des ersten niederländischen Lutheraners und „Bremer Reformators“ beendet.

Luther war entsetzt, als er davon hörte. Er verfasste die Erinnerungsschrift „Historie von Bruder Heinrich von Zutphens Märtyrtode“.

Im ganzen gesehen konnte sich die lutherische Reformation in Holland nicht durchsetzen. Luther selbst hatte 1530 den Evangelischen dort empfohlen, entweder in aller Stille außerhalb der Öffentlichkeit Gottesdienste zu feiern oder zu jenen Fürsten auszuwandern, die reformfreundlich sind. „Dieser Standpunkt schließt ganz an seine Neigung an, Unterstützung bei der Obrigkeit zu suchen. Das niederländische Volk mochte das nicht. Es wandte sich eher der radikalen Bewegung der Wiedertäufer zu und dann dem militanten Calvinismus“, so der Historiker Johan Decavele.

In den Niederlanden selbst gilt als der erste, also dort getötete, lutherische Märtyrer Jan de Bakker, am 15.9.1525 wurde er verbrannt. Und, interessanterweise möchte man fast sagen, gab es eine lutherische Märtyrerin, Wendelmoet Claesdochter, sie wurde am 20. November 1527 von Katholiken verbrannt.

Nebenbei: Wer diese Geschichte konfessionell bedingter Grausamkeit, etwa im 16. Jahrhundert, bedenkt, kommt schnell zu Vergleichen der Brutalität und des Sich – Abschlachtens, die sich heute Sunniten und Schiiten antun. Man bedenke nur: Noch vor 70 Jahren haben sich Katholiken und Protestanten in Deutschland verachtet und ignoriert und bekämpft. Die ökumenische Bewegung unter den Christen gilt es auch als Friedensbewegung zu interpretieren. Gibt es eigentlich eine ökumenische Bewegung unter den verfeindeten muslimischen Konfessionen?

Ein aktueller Hinweis:

Wie stark die Mentalität des Augustinerordens davon bestimmt ist, dass in katholischer Sicht der Ketzer und Kirchengründer und Kritiker des Mönchswesens Martin Luther einmal zum Orden gehörte, ist eine offene Frage. Tatsache ist, dass der Augustinerorden seitdem nicht gerade besonders theologisch Mutige hervorgebracht hat, von den Augustinern in den Niederlanden vielleicht abgesehen. Offenbar wollte der Orden nicht beim Papst „auffallen“, mutig war hingegen der Augustiner Gregory Baum (geboren 1923 in Berlin): Er hat als Theologe das Zweite Vatikanische Konzil geprägt. Aber Gregory Baum hat später den Augustinerorden verlassen und das Priesteramt aufgegeben. Im französischen Augustinerorden, den Assumptionisten, gab es in den achtziger Jahren Professor Daniel Olivier, er war ein großer Luther-Spezialist, in meiner Erinnerung an persönliche Begegnungen war er förmlich ein Lutheraner geworden. Entsprechend groß war die Rezeption seines Denkens in der katholischen Kirche. Solche intimen Luther-Kenner wie Pater Olivier hat der Augustinerorden (OSA) nie hervorgebracht. Wie überhaupt alle Orden im Reformationsgedenken 2017 schweigen zu der Frage: Wie kann man heute trotz Luther noch Mönch und Nonne sein. Da ist absolut nichts zu vernehmen.

 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.