Mehr Licht, mehr Aufklärung: Zur aktuellen Diskussion in Frankreich

Lumières, Aufklärung, heißt die Antwort: Zur Diskussion über den Wahl-Erfolg des FN (Le Pen) in Frankreich

Von Christian Modehn

„Ich meine, durch die Konzeption einer auf sich selbst bezogenen und in sich verschlossenen Nation und ihres Kultes einer starken Macht, steht die Partei Front National mehr Vichy nahe als den Ideen der Demokratie, die von der Philosophie der Aufklärung begründet sind. Denn Demokratie bedeutet zuerst: Humanistische und universale Prinzipien, die die Partei FN zurückweist. Wenn die Partei FN in Frankreich die Macht ergreifen würde, dann handelte es sich um ein anderes Frankreich!“ So der (heute in Tel Aviv lebende, in Przemysl geborene) Historiker Zeev Sternhell. Er erinnert in seinem neuen Buch „Histoire et Lumières. Changer le Monde par la Raison“ („Geschichte und  Aufklärung. Die Welt verändern durch die Vernunft“), erschienen bei Albin Michel, Paris, 2014, einmal mehr an die Wurzeln rechtsradikalen Denkens in Frankreich.  Sternhell ist ein Spezialist für die Geschichte Frankreich im 20. Jahrhunderts: Er betont, dass sich das Vichy Regime nur deswegen so schnell etablieren konnte und sich dann so erfolgreich durchsetzte, weil der Geist, l ésprit, vieler Franzosen schon längst antisemitisch verdorben war, vor allem auch vieler so genannter Intellektueller. „Sie waren auch vergiftet vom Hass auf die Demokratie“, so Julie Clarini in “Le Monde” vom 30.Mai 2014. Es gab in Frankreich immer schon einen lang dauernden Kampf gegen die Ideen der Aufklärung und der Philosophie Kants, gegen alles, was das Allgemeine des Menschen, aller Menschen betont, wie die Toleranz usw. Im Katholizismus Frankreichs denke man etwa an die immer noch starke Bewegung der Traditionalisten und die in allen größeren Städten vorhandenen Gemeinden der Piusbrüder. Sternhell meint: Diesen Kampf zugunsten der Aufklärung gelte es jetzt, angesichts der Erfolge des Front National bei den Europawahlen 2014,  neu zu beleben. Es geht um die Demokratie, so gebrechlich sie auch erscheint, so tief reformbedürftig sie auch ist…

Wir haben vor kurzem auf die äußerst einseitigen, eher pro-FN wirkenden Äußerungen des Philosophen Alain Finkielkraut hingewiesen.

Jetzt schlägt der Soziologe, Politologe und Historiker der „französischen Ideen“ Pierre-André Taguieff  in seinem neuesten Buch „ Du diable en politique. Réflexions sur l’antilepénisme ordinaire“  (Über den Tuefel in der Politik. Reflexionen über den  gewöhnlichen Anti – Lepenismus), erschienen 2014 in Paris, bei den CNRS Éditions, eine ungewöhnliche Variante vor, den FN und die Ideen der Familie Le Pen zu „bekämpfen“. Pierre André Taguieff meint, die Verteufelung dieser rechtsextremen Partei in der Öffentlichkeit, in den Medien usw., sollte endlich aufhören zugunsten einer gründlichen Auseinandersetzung. Dass die kritische Auseinandersetzung verstärkt werden muss, ist keine Frage. Aber für Taguieff soll sie die Voraussetzung haben, diese rechtsextreme Partei als eine Partei wie alle anderen, als eine normale Partei, zu verstehen, zu deuten, zu behandeln!  In einem Interview mit der (rechten) Tageszeitung „Le Figaro“ weist Taguieff auf die eher schlichte Erkenntnis hin, dass derjenige, der einen Verteufelnden (also die FN) seinerseits wieder verteufelt, also „die“  Medien, sich auf derselben Ebene wie der Verteufelnde bewegt. Aber haben denn „die“ Le Pen Kritiker die Partei FN immer nur verteufelt, diabolisiert, wie er sagt? Gab es und gibt es nicht gründliche Analysen zu all den Themen, die der FN propagiert, wie Ausländer-„Reduzierung“,  möglichst wenige Muslime in Frankreich, Ausstieg aus dem Euro, gegen die Technokraten, für die gute alte Familie, gegen die Homorechts usw. Wurde da vonseiten der Vernunft wirklich nur ihrerseits wieder „verteufelt“? Was soll überhaupt dieses Wort „verteufeln“ in einer laizistischen Gesellschaft wie in Frankreich, wo selbst die Katholiken kaum noch an den Teufel glauben? Ist es nicht ein gefährliches Spiel, den FN jetzt wie eine Partei neben vielen anderen Parteien betrachten zu wollen? „Völlig ent-diabolisiert, könnte der FN einen großen Teil seiner Attraktivität verlieren“, schreibt hoffend und erwartungsvoll der Politologe. Man stelle sich nur einmal vor, in der Öffentlichkeit würde Antisemitismus nicht mehr als Schande und Verbrechen bewertet, also in gewisser Weise diabolisiert, was wäre da gewonnen? Würden die Antisemiten sich eines besseren besinnen und dann hübsche Humanisten werden?

Uns scheint der Vorschlag des gelehrten Herrn Taguieff doch etwas zu kurz gedacht. Es klingt fast, wie Jean Birnbaum in Le Monde vom 30. Mai 2014 schreibt, als wolle Taguieff „den FN (und die Le Pen Clique) reinwaschen von der schlechten Reputation“.

Wir halten uns lieber an seriösere Studien zu dem durchaus bedrohlichen Phänomen FN und des Le Pen Clan, etwa an das Buch der Historikerin Valérie Igounet, „Le Front National de 1972 a nos jours”. Erschienen bei Seuil, im Juni 2014. Auf dieses Buch werden wir noch zurückkommen. Die Schlussfolgerung der Autorin nach einer Studie von 448 Seiten: „Die Partei Front National ist eine Partei der extremen Rechten, die niemals ihr Wesen verändert hat“.

Copyright: Religionsphilosophischer Salon Berlin

Das Spiel mit dem Feuer. Zu einem Buch von Alain Finkielkraut

Wenn ein Philosoph mit dem Feuer spielt

Ein Hinweis zu Alain Finkielkraut „L` Identité malheureuse“ (Stock 2013), Paris. 240 Seiten, 19,50€

Von Christian Modehn

Wenn die äußerst rechtslastige, manche Kenner sagen „rechtsextreme Partei“ Front National (FN) unter der Führung von Marine Le Pen bei den Europawahlen 2014 in Frankreich als sehr starke, wenn nicht als stärkste Partei hervorgeht, dann hat das viele Ursachen: die (auch intellektuellen) Schwächen der anderen Parteien, die „ungelösten“ sozialen Differenzen, die Arbeitslosigkeit usw.. Man hört schon förmlich die übliche „Litanei“ der nach der Niederlage etwas betroffen blickenden Politiker der demokratischen Parteien.

Nicht ganz unbeachtet sollte dabei die geistige Stimmung, die kulturelle „Wetterlage“, bleiben, die bekanntlich von geistigen Impulsen, auch von philosophischen Büchern mit –  bestimmt wird. Förderlich, wenn auch im einzelnen naturgemäß nicht exakt nachweisbar, für die Zustimmung zur rechtsextremen Partei FN könnte auch das neue Buch des Philosophen Alain Finkielkraut (geb 1949 in Paris) „L Identité malheureuse“ (Die unglückliche Identität) sein. „Le Monde“ berichtet am 11. 4. 2014, dass bisher 80.000 Exemplare verkauft wurden. Dieses Buch bewegt in Frankreich seit seinem Erscheinen im Herbst 2013 die Gemüter äußerst heftig.

Finkielkraut ist ein extrem viel beschäftiger, damit ein „typisch“ Pariserischer „Intellektueller“. Er ist als Philosophieprofessor an der „Ecole Polytechnique Paris“ vor allem Buchautor … und jetzt wieder einmal Dauergast im Fernsehen. Zudem leitet er eine beachtliche Sendung auf Radio „France Culture“ (sie heißt „Repliques“). Er nennt sich selbst laizistischer und atheistischer Jude, verteidigt den Staat Israel absolut (siehe Le Figaro, 21. 11. 2011), er ist auch regelmäßiger Mitarbeiter bei dem Privatsender „Radio Communauté Juive“ (RCJ). Nun also hat er ein weiteres Buch geschrieben, das genau die Stichworte in den Mittelpunkt stellt, die auch die Getreuen der äußerst rechtslastigen (und explizit „europa-feindlichen“, bei Putin sehr beliebten) Partei FN propagieren: Es ist die Angst um die französische „Identität“. Ihm geht es auch in diesem Buch, das viele zurecht wohl ein Pamphlet nennen, um den Niedergang der alten französische Identität, verursacht durch den Zustrom von Immigranten. Nur ein paar Zitate aus dem Buch: „Europa ist zum Einwanderungskontinent verkommen“. Die Franzosen (welche ? CM) fühlen sich wegen der Einwanderer fremd auf ihrem eigenen Boden“. „Wir sind der Andere des Anderen (also des Immigranten CM), Und hat dieser Andere (also die Franzosen) nicht das Recht zu sein und sein Sein zu bewahren?“ „Der Franzose muss die Auslöschung seines eigenen Gesichts verhindern“.

Bemerkenswert ist hier, dass da jemand schreibt, der, so wörtlich, meint, „bis zum Jahr 1972 sei Frankreich noch eine homogene Nation“ gewesen. Dabei vergisst Finkielkraut, dass 1972 in diesem Frankreich bereits Italiener, Spanier, Polen und Russen usw. lebten, und eben auch Askenazim, zu denen sich Finkielkraut rechnet. Und es lebten auch Franzosen aus Algerien in diesem offenbar so homogenen Frankreich. Die Tendenz von Finkielkraut ist klar: Er will unter allen Umständen auf die angeblichen Gefahren aufmerksam machen, die von den muslimischen Einwanderern aus Afrika verursacht werden.  Er will die „Autochthonen“, also die irgendwie schon lange in Frankreich lebenden Franzosen, retten; er empört sich, dass man heute das Wort Rasse nicht mehr unschuldig verwenden kann, er sieht den Niedergang der (alten) von ihm wie in einer Nostalgie geliebten französischen Kultur der Nähe und Treue verursacht durch … je wen wohl? Durch die Einwanderer aus Afrika in den Vorstädten.

Der französische Philosoph sieht nicht die politischen Fehler, die mit der Ausgrenzung dieser oft in Frankreich geborenen muslimischen Franzosen, begangen wurden. Die (christlichen ?) Herrschaften in Paris wollten besser unter sich bleiben, und haben deswegen die Armen, die „Afrikaner“ und andere Muslims in die hässlichen Vorstädte transportiert. Sie sind eine Last in der Sicht der Herrschaften in Paris.

Aber der für solche Fragen blinde Finkielkraut fürchtet, wie Frankreich zu einer „auberge espagnole“ wird, also zu einem primitivem Schuppen ohne Kultur, was dieses Wort bedeutet. „In dieser Situation wissen die Franzosen (aber welche? CM) nicht mehr , wo sie sind“.

Besonders auffällig ist, dass Alain Finkielkraut sich ohne Skrupel dem Denken und dem Vokabular von Renaud Camus anpasst, „für den Finkliekraut eine vehemente Leidenschaft hat“, wie „Le Monde“ am 23. 10. 2013 schreibt. „Denn dieser Schlossherr und Schriftsteller aus dem Gers wird nicht nur von seinem Freund und Protektor zitiert, er tritt wortwörtlich als dessen Buchredner auf“, heißt es weiter in „Le Monde“. Renaud Camus hat bekanntlich sich klar und deutlich bei Wahlen für die Chefin des Front National ausgesprochen. All das stört offensichtlich Alain Finkielkraut nicht.

Die weltweit geschätzte Historikerin Elisabeth Badinter versucht dieses irritierende Verhalten und Denken ihres Mitbürgers zu verstehen: “Finkielkraut teilt mit einer gewissen Anzahl von Intellektuellen diese Charakteristik: Geboren in jüdischen Familien, eingewandert nach Zentraleuropa; sie widmen dann Frankreich dermaßen eine Liebe, die man sich kaum vorstellen kann, auch einen tiefen Respekt vor den Gesetzen Frankreichs“ (so in Le Monde 1. Nov. 2013).

Die Frage bleibt, bei allem Verständnis für diese psychologischen Hinweise: Wie kann sich ein so „kluger Philosoph“ auf diese Ebene mit einem offensichtlich reaktionären Schriftsteller wie Renaud Camus begeben? Vor allem, dies wäre eine weitere Frage. Welche Bindungen bleiben da noch bei Finkielkraut an einen seiner Lieblingsphilosophen, an  Emmanuel Lévinas. In dem Buch „Die Weisheit der Liebe“ (1984) hatte Finkielkraut z.B. noch geschwärmt, wie „der andere“, auch „der Fremde“,  mich zu meinem wahren Dasein ruft und förmlich „zwingt“. Man lese etwa in der deutschen Ausgabe von 1987 (Hanser Verlag) die Sätze Finkielkrauts: “Die Moral ist eine Konversion im eigentlichen Sinne. Etwas Fremdes – das Antlitz des anderen Menschen – kommt und zwingt mich, meine Gleichgültigkeit aufzugeben. Ich werde durch den anderen … zu einer Verantwortung gerufen“ (S. 154. Im übrigen ist Finkielkraut auch Mitbegründer des Levinas Studienzentrums in Jerusalem!  Wie passt das alles zusammen? Was bleibt von einer geistigen, vor allem radikal ethischen Präsenz von Lévinas in diesem Pamphlet? Vielleicht gar nichts?

Das Pamphlet, viel gelesen, viel besprochen, ist wirksame, wenn auch kulturell nur indirekte Werbung für Madame Le Pen; sie schämt sich vielleicht etwas, öffentlich zuzugeben, nun einen sehr rührigen jüdischen Unterstützer und Maitre à penser zu haben.

Das Buch ist von tiefem Pessimismus geprägt. Finkielkraut sieht Frankreich als ein riesiges Getto, die heutige französische Kultur ist für ihn ein riesiger Friedhof toter Texte… Die Philosophin Elisabeth de Fontenay schreibt auf der website JDD: „Finkielkraut hört nicht den Gesichtspunkt, der sich ihm entgegenstellt. Er hält keinen Dialog mit dem anderen, der sich in ihm selbst befindet und auch außerhalb, im anderen. Er hält nur einen Dialog so, um sich dann ein Stück wegzunehmen, aber nicht um sein eigenes Denken zu verändern“.

Mit (nur) 16 von 28 Stimmen wurde Alain Finkielkraut am 10.4. 2014 zum Mitglied der berühmten “Academie Francaise” gewählt, man nennt die Mitglieder aufgrund ihres Renommees „Die Unsterblichen“. Hoffentlich bleibt das Buch “Identité Francaise” nicht unsterblich.

 

Copyright: Christan Modehn Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

 

Europa ohne Religionen. Zu einem neuen Europa-Atlas, hg. u.a. von der Böll-Stiftung

Europa ohne Religionen?

Zum neuen Europa Atlas, hg. von der Heinrich Böll Stiftung u.a.

Von Christian Modehn

Pünktlich zum „Europatag der Europäischen Union“ am 9. Mai 2014 ist ein interessanter „Europa-Atlas“ erschienen mit kurzen, prägnanten Informationen zum weiten Spektrum des Kontinents: Es  werden in 20 Kapiteln u.a. Informationen geboten zur Euro-Krise, zur zunehmenden Bedeutung der Europa-Gegner. Auch die Außen- und Sicherheitspolitik fehlt natürlich nicht, genauso wenig die (immer anschaulichen) Informationen zum Thema Frauen, Asyl, Energie, usw. Selbst der Eurovision-Song-Contest wird in eigenem Kapitel kritisch untersucht! Dabei freuen wir uns über den “Sieg” von Conchita Wurst aus Österreich im Eurovision Song Contest 2014, vor allem, weil dadurch erneut weitere Einsichten zur schönen Vielfalt sexueller Orientierungen angestoßen werden. Wir finden es zudem erstaunlich und überraschend, dass Conchita Wurst die meisten Stimmen aus den katholischen (!?) Ländern Italien, Spanien und Irland erhielt.

Trotzdem: Wir fragen uns im „Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin“: Wenn schon dieses merkwürdige Massenspektakel der globalen Unterhaltungsindustrie kritisch in dem Europa Atlas besprochen wird, vielleicht verstecken sich da tatsächlich auch spirituelle Dimensionen: Warum fehlt aber jegliche Information zu einem sehr viel wichtigeren europäischen Thema, das uns besonders interessiert: Wenn schon nichts dokumentiert wird über die Rolle der Philosophie und des Philosophie-Unterrichts in den verschiedenen europäischen Ländern: Warum kann man im Ernst darauf verzichten, wenigstens einige grundlegende Informationen zum Wandel der Bedeutung von Religionen in Europa zu bieten? Wir halten, offen gesagt, diesen Mangel an Informationen über den „Zustand“ der Kirchen, Religionen und Weltanschauungen in Europa für schlimm in einer ambitionierten Publikation.

Nur ein aktuelles Beispiel, das zeigt, wie das Thema Religionen in Europa voller Überraschungen steckt: Gerade jetzt erscheint (Anfang Mai 2014) in Italien eine große Studie über den „religiösen Analphabetismus in Italien“ (so der Titel aus dem Verlag il Mulino, Bologna)  in dem angeblich so „tief katholischen“ Land. Prof. Alberto Melloni und sein Team bringen alle Vorurteile ins Wanken, über die angebliche Vorbild Funktion des italienischen Katholizismus, etwa wenn ihre Umfragen zeigen: Jeder Fünfte Italiener ist überzeugt, dass Jesus von Nazareth selbst die Bibel verfasst hat, nur einer von hundert Italienern kann die Zehn Gebote vollständig aufzählen: Nebenbei: Ist diese Unkenntnis  der Zehn Gebote Wirkung oder Ursache für die heftige Bedeutung der Mafia und der Korruption in dem angeblich ur-katholischen Land. Die elementare Kenntnis des Christentums ist in Italien mangelhaft, trotz (oder wegen?) der allgegenwärtigen Bilder von Pater Pio und dem Heiligen Franz von Assisi oder der Heiligen Rita usw…

Schon dieses Beispiel zeigt, welche spannenden Themen dem Europa Atlas entgehen, wenn er das Thema Religionen in Europa ausblendet und vielleicht uneingestanden so tut, als wäre das Thema Religionen eigentlich für aufgeklärte Leute hierzulande nicht mehr relevant. Das Gegenteil ist der Fall!

Der „Religionsphilosophische Salon Berlin“ hat unsere Kritik der Böll Stiftung, die u.a. für den sonst ja empfehlenswerten Europa Atlas mit- verantwortlich ist,  mitgeteilt. Wir erhielten darauf hin diese Antwort, die wir vollständig dokumentieren:

„Ihre Frage zum Thema Religionen ist berechtigt. Der Atlas ist auf 20 Themenseiten beschränkt, so dass wir priorisieren und leider auf viele relevante und wichtige Themen verzichten mussten. Unsere Priorität lag im Hinblick auf die Europawahl auf der Frage, was Solidarität in Europa bedeutet und wie die EU in ausgesuchten Feldern Politik gestaltet. Dabei ging es uns vor allem um Europa als Friedensprojekt und Solidargemeinschaft. Mit dem Europa-Atlas wollen wir Kenntnisse vermitteln und Zusammenhänge verdeutlichen, wollen Europa anschaulich machen, vor allem aber wollen wir motivieren, sich für dieses historische Projekt zu engagieren.

Ich hoffe, sie haben Verständnis für diese Auswahl.

Beste Grüße, Christine Pütz

Heinrich-Böll-Stiftung e.V.

Dr. Christine Pütz, Referat Europäische Union/Nordamerika| Referentin Europäische Union“

Wir danken für die Antwort, auch wenn wir sie nicht „verstehen“, hoffen aber auf einen weiteren, neuen Atlas, der sich kritisch mit den Religionen (und Atheismen usw.) in Europa befasst. Eine utopische Hoffnung? Vielleicht. In Frankreich jedenfalls hat man den Mut zu solchen Publikationen…Deutschland verpasst da Wichtiges!

Der „Religionsphilosophische Salon Berlin“ wird jedenfalls mit seinen eher bescheidenen (auch in finanzieller Hinsicht als private Basisinitiative) versuchen, immer wieder und weiter über Religionen (und Philosophien) in Europa zu berichten. In Kürze folgt eine ausführliche Besprechung von „Rapporto sull’analfabetismo religioso in Italia“ (2014) A cura di Alberto Melloni, Il Molino, Bologna 2014.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Der oben genannte Europa-Atlas und die darin enthaltenen Grafiken stehen zum Download zur Verfügung: www.boell.de/europa-atlas

Er liegt zudem der Freitagausgabe der taz (9. Mai 2014) und der Maiausgabevon Le Monde diplomatique (10. Mai) bei.

Kapitalismus und Protestantismus. Anläßlich von Max Webers 150. Geburtstag

Kapitalismus und Protestantismus: Zum 150. Geburtstag des Soziologen Max Weber am 21. April 2014

Hinweise anlässlich der Neuerscheinung „Max Weber“ von Jürgen Kaube  (Rowohlt Verlag 2014)

Im Rahmen unserer religionsphilosophischen Interessen und Forschungen möchten wir empfehlend auf die ausführliche und anregende Studie von Jürgen Kaube „Max Weber. Ein Leben zwischen den Epochen“  hinweisen. Wir können hier nur auf einige Aspekte dieses Werkes aufmerksam machen, Aspekte, die zu einem differenziertem Studium der Thesen von Max Weber inspirieren können.

Im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin befassen wir uns seit Jahren mit der Frage, wie Mentalitäten, auch religiöse oder speziell kirchlich geprägte, Einfluss haben und bestimmend sein können für politisches, kulturelles und wirtschaftliches Handeln. Uns interessiert etwa innerhalb der Korruptionsforschung die Frage, wie stark volkstümliche, aber auch dogmatisch geprägte katholische Lehren und Bräuche die vor allem in romanischen Ländern (Italien, Lateinamerika) lange dauernde, weit verbreitete Korruption gefördert und zugelassen haben, bis hin zur kirchlich unterstützten Etablierung von Gewaltherrschaft durch Caudillos etwa in Lateinamerika, man denke etwa an die Diktatur von Leonidas Trujillo in der Dominikanischen Republik. Damit hängt  die grundlegende Frage zusammen, wie stark klassisches katholisches Fühlen und Denken etwa die Entwicklung von Demokratie und Republik behindert haben. Da ist das empirische historische Material sehr ergiebig. Und wenn der oberste Leiter des Katholizismus (der Papst) selbst demokratische Strukturen für seinen Staat (Vatikan) und seine Kirche ablehnt, und zwar mit Berufung auf göttliche Weisungen, dann sind für die Bildung von Mentalitäten sozusagen alle Türen geöffnet, auch für das eigene Land demokratische Strukturen  zu unterbinden und zu verbieten, zumindest nicht euphorisch zu fördern. Allerdings wird man wohl niemals monokausal religiöse Mentalitäten für die Struktur staatlicher Verfasstheiten geltend machen können, etwa am Beispiel des Zusammenhangs von Korruption und Katholizismus. Bei dem Thema müsste aber doch die prägende Bedeutung für die Mentalitäten, etwa die Rolle der Wallfahrtsorte (spezielle Wallfahrtsorte für die Mafia gibt es in Italien) und der Beichte usw. entwickelt werden. Das ist ein Forschungsthema unseres Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salons in der Beziehung von Katholizismus und (demokratischer, republikanischer) Mentalität. .

Zu Max Webers Entdeckungen der Beziehung von protestantischer Mentalität und kapitalistischer Wirtschaft: Deutlich ist, wie nuanciert Jürgen Kaube zu dem vielfach besprochenen Zusammenhang von „Kapitalismus und protestantischer Ethik“ Stellung nimmt. Die Arbeiten Webers zu dem Thema sind ja immer noch von hohem Interesse. Darum kann die Lektüre dieser Texte hilfreich sein für eine erste grundlegende Orientierung.

Max Weber, immer bemüht seine aktuelle Gesellschaft zu begreifen, interessiert sich vor allem für „die Mentalität, die den Konkurrenzkampf bejaht“  (S. 181),  und diese kapitalistische Mentalität hat es für ihn bereits geben, als die wirtschaftliche Organisationsform (Kapitalismus) noch gar nicht vorhanden war. Weber entdeckt also bestimmte religiös geprägte Menschen, für die „Selbstdisziplin“, „Berufsfleiß und Konsumverzicht“ der  entscheidend wichtige und gottgewollte Lebensmittelpunkt sind. Und diese Werteordnung findet er in dem von ihm so bezeichneten Puritanismus. „Weber verwendet die Bezeichnung Puritaner  einerseits freigiebig – nämlich für alle ethisch rigorosen Sekten, von den Täufern über die Pietisten bis zu den Methodisten“ (S. 182).  So wird auch Benjamin Francklin in die Reihe der Puritaner gestellt oder der „humanistische Mystiker“ Sebastian Franck.  Nebenbei: Wenn Weber den Begriff “Sekte” verwendet, denkt er an den heutigen Begriff “Gemeindekirche” oder “Freikirche”,

Ernüchternd ist die Einschätzung Kaubes:

Max Weber sehe den spirituellen Ursprung seines „herbeikonstruierten Puritanismus“ (S 182) in der (von diesen Kreisen betonten) Unmittelbarkeit des einzelnen Frommen zu Gott selbst. Von Weltlichem, also Irdischen, auch Kirchlich – Institutionellem,  kann in dieser protestantischen Sicht kein ewiges Heil, also keine Erlösung, kommen. Nur durch die eigenen frommen Anstrengungen, dies sind Gebote der persönlichen Gottesverbundenheit, genannt Askese, könne der Fromme spüren, ob Gott wohlgefällig ist. Harte Arbeit ist also erforderlich, meint Max Weber, bis zum Lebensende permanent geleistet, um Hoffnung zu haben, von Gott im Jenseits angenommen, also erlöst, zu werden. Wer seine Lebenszeit untätig vergeudet und faulenzt, verfehlt seine Unmittelbarkeit mit Gott. „In den Schriften des puritanischen Erbauungsschriftstellers und Moraltheologen Richard Baxter erkennt Weber eine Art Vorbereitungsprogramm für die Gestalt des künftigen Unternehmers: Reichtum als solcher ist diesem Typus ein Ärgernis, weil man so zur Untätigkeit verführt wird, es kommt auf Kapitalbildung an, also aufs Reinvestieren. (vgl. S. 184).

Den Winter 1901 – 1902 hat Weber in Rom verbracht,  dabei werden zwei Themen für ihn wichtig: Er erlebt die – ganz vorsichtig, etwas aufgeschlosssene Regierung von Papst Leo XIII. (seit 1878). Aber die Schatten der heftigen antimodernen Positionen und Polemiken seines Vorgängers Pius IX. sind noch spürbar: Und Katholiken haben diese geschlossene Getto- Mentalität selbst übernommen. Weber erinnert sich dabei an einen Satz des Zentrumspolitikers Hermann Mallinckrodt, “dass die Freiheit des Katholiken darin besteht, dem Papst gehorchen zu dürfen”. Diesen Satz bezeichnet Max Weber als eine These von universeller Geltung, “weil er das Prinzip der Anstaltsgnade, also die durch eine Organisation vermittelte Erlösung auf den Punkt bringe” (so Kaub, S. 140). Zweitens studiert Weber in Rom intensiv die Geschichte der katholischen Orden und Klöster, dabei wird deutlich, wie die Mönche in ihrem Leben der Bescheidenheit und Askese indirekt weltliche Macht schaffen und auch von ökonomischem Erfolg begünstigt werden: Der Konsumverzicht der Mönche führt zu Ersparnissen und Investitionen …und zum wirtschaftlichen Erfolg der Klöster. Diese Studien in Rom haben sicher inspirierend gewirkt für den 1905 veröffentlichten Aufsatz “Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus”.  Darin wird die These erläutert, der Protestantismus habe mit seinem Arbeitsethos das katholische Mönchtum noch übertroffen! (Kaube, S. 143). Ohne Askese kann es für Weber keine Kulturleistungen geben.

Gegen diese weithin bekannte Theorie Max Webers über den Begründungszusammenhang von protestantischem Glauben und Kapitalismus wurden und werden Einwände vorgebracht, Jürgen Kaube verweist auf Heinz Steinert „Max Webers unwiderlegliche Fehlkonstruktion“ (Frankfurt  M. 2010) und die Studien von Hartmut Lehmann, etwa „Webers Protestant Ethic“ (Cambridge 1993).

Kaube stellt die schon oft präsentierte Frage an Webers Konstruktion:  „War am Ende nicht den Protestanten das Kaufmannsdasein gemäß, sondern den Kaufleuten die protestantische Gesinnung?“ (S. 184). Der Autor nennt Webers Argumentationstechnik in dem Zusammenhang „atemberaubend“ (S. 184). Er spricht von einer „virtuosen Konstruktion“ (S. 185).

Diese These Webers hat ihren Ursprung in der Überzeugung, dass bestimmte Kreise des Protestantismus die Moderne, auch die moderne Wirtschaftsordnung, hervorgebracht haben, eine protestantische Religion als prägende Kraft der Moderne – das klang zu seiner Zeit wohl attraktiv. Hegel hatte ja noch in der Reformation Luthers den Ursprung der modernen Welt gesehen.

So auch Max Weber, darin mit seinem Kollegen und Freund Ernst Troeltsch eng verbunden. Die klare und nüchterne, hart zupackende und ökonomisch kreative Mentalität aber findet Weber gerade nicht im Luthertum, das er selbst „die schrecklichste Erscheinungsform der Schrecken“ nennt (S. 187).  Inspirierend für die moderne Wirtschaftsform, den Kapitalismus, hat für ihn hingegen nur der Puritanismus gewirkt.

Einen skeptischen Blick auf den Zustand seiner Gesellschaft hat Weber sich bewahrt: Er weiß genau, dass diese moderne Gesellschaft der Arbeitsteilung, der Zersplitterung des Lebens, alles andere als eine ideale Gesellschaft ist. Er sah, “aus dem Bürger einen Fachmenschen werden, der in einem  = stahlharten Gehäuse =  von gesellschaftlicher Abhängigkeit gefangen ist” (Detlef Clausen), seit die puritanische Moral keine prägende Kraft mehr hatte.

Auch zu dem vielzitierten Wort Webers von 1909 , “religiös absolut unmusikalisch zu sein” (immer wieder von Jürgen Habermas gebraucht) bietet Jürgen Kaube die Ergänzung Webers, er neige dazu, MUSIKALISCH religiös zu sein und der “Musik eine innerweltliche Erlösung vom Alltag zuzutrauen” (so Kaube, S 289 in seinen Hinweisen zu Webers Musiksoziologie). Inspirierend für weitere Studien sind Kaubes Hinweise zur “Wirtschaftsethik der Weltreligionen” (S. 336 ff.)

copyright:christian modehn, religionsphilosophischer salon berlin.

Ökumenische Verständigung: Schon im 17. Jahrhundert in Polen

Manfred Richter (Berlin) hat eine große Studie veröffentlicht über „Das Colloquium Charitativum von Thorn 1645“.

Ein Buchhinweis von Christian Modehn

Bisher ist es einer breiteren Öffentlichkeit kaum bekannt, dass in der polnischen Stadt Thorn im Jahr 1645 ein wohl bedachter Versuch gewagt wurde, eine gemeinsame theologische Basis zu finden für die zerstrittenen, sich bekämpfenden Protestanten und Katholiken. Man bedenke, dieses ökumenische Colloquium im Geist der Friedfertigkeit und des wechselseitigen Verstehens fand noch gegen Ende des „Dreißigjährigen Krieges“ statt. Polen erlebte damals – eine Ausnahme in Mitteleuropa – seine glanzvolle Zeit, eine Zeit des Friedens und der weitgehenden Toleranz unter den zerstrittenen Konfessionen.

Zum „Colloquium Charitativum“ hatte der polnische König Wladyslaw IV. eingeladen. Dabei war der Beitrag des Theologen und Pädagogen Johann Amos Comenius von ganz besonderer Bedeutung. Es ist das Verdient des Berliner Theologen Manfred Richter, dass er in einer ausführlichen Studie diese Zusammenhänge untersucht. Sein Buch hat den Titel  „Johann Adam Comenius und das Colloquium Charitativum von Thorn 1645“, Siedlce 2013, 545 Seiten.

Diese Studie bietet auch zahlreiche Informationen für philosophisch Interessierte, die sich für den Frieden unter den sich auf einen friedfertigen Gott berufenden Christen interessieren.

Manfred Richter zeigt auch kenntnisreich und sehr detalliert die Voraussetzungen und Vorbereitungen für dieses ungewöhnliche Kolloquium, das eben nicht dem damals üblichen konfessionalistischen Gezänk folgte. Comenius selbst, der große Theologe der böhmischen Brüder, bemühte sich eine über das Konfessionelle hinausgehende Vision des Christlichen zu entwickeln, die auf der Bibel wie auch auf der wahren katholischen Lehre (!) beruhte. Er erarbeitete eine Art ökumenische Theologie der gemeinsamen christlichen Grundlagen! Er forderte zudem, wie Manfred Richter berichtet, eine vere catholica philosophia, diese natürlich nicht im engen konfessionalistisch römischen Sinne zu verstehen!

Interessant sind auch für alle, die sich für die Theologie der in den Niederlanden entstandenen Kirche der Remonstranten interessieren, die Hinweise auf die Sozinianer in Polen. Sie waren zum eigentlichen Colloquium in Thorn dann leider doch nicht zugelassen (weil sie nicht die Trinität für eine zentrale Lehre hielten und zu humanistisch-rationalistisch dachten). Die Remonstranten in Friedrichstadt haben die Sozinianer damals unterstützt. Die Remonstranten selbst waren ja damals verfolgt (in Holland!), eben weil sie auf den freien Willen des Menschen auch im Glauben nicht verzichten wollten.

Für Manfred Richter ist diese große, reich dokumentierte Studie eine weitere Bestärkung, das eigene, langjährige und nicht nur in Berlin bekannte ökumenische Engagement fortzusetzen. Er kritisiert etwa den Begriff der offiziellen “Lutherdekade” (im Blick auf 2017) und wünscht sich viel dringender, weil theologisch viel treffender, eine Reformationsdekade: Denn alle Kirchen, aber auch alle Kirchen und Konfessionen bedürfen der Reformation.

Weitere Informationen auch über www.deutsche-comenius-gesellschaft.de

Wir sind gespannt, was Manfred Richter anlässlich des Jan Hus Jubiläums plant.

Johann Gottlieb Fichte: Vor 200 Jahren gestorben

Wir erinnern gern an Johann Gottlieb Fichte, anläßlich seines 200. Todestages. Und wir haben den Eindruck, dass Fichtes Denken noch längst nicht “angekommen” ist in der Gegenwart. Darum zwei Hinweise:

Dabei interessieren uns von der religionsphilosophischen Fragestellung Hinweise, die der Philosoph Kurt Flasch in seinem wichtigen Buch “Meister Eckart, Philosoph des Christentums” (2010) gegeben hat. Im 13. Kapitel seines Buches erinnert Kurt Flasch an die Bedeutung des Johannes-Evangeliums im Denken Fichtes (S. 199f), vor allem in dem Buch “Anweisung zum seligen Leben” (1806). Fichte sieht im Johannes-Evangelium einen fundamentalen Text, der neue Horizonte eröffnet für ein Selbstverständnis des Menschen. Fichte sieht – darin eins mit dem Autor des Johannes-Evangeliums – den Menschen als Wesen, das sich vor jedem verdinglichenden Selbstverständnis bewahren muss. Und da gibt es die Brücke zu Meister Eckart. Kurt Flasch schreibt:”Ich behaupte nicht, Fichte biete den Schlüssel zu Meister Eckart, aber es ist kein Nachteil, über sein Konzept von Mensch und Geist nachzudenken, bevor man über Eckart zu sprechen beginnt” (S. 200). Ausdrücklich warnt Kurt Flasch davor, den Menschen, das Ich, als eine Art “Seelending” zu denken, “dem Denken und Wollen anhaften”(ebd.). Gerade davor warnt aber auch Fichte in seinem Buch.

Dringend empfehlen wir auch die Lektüre des Buches “Der ganze Fichte” von Peter L. Oesterreich und Hartmut Traub. Das Buch ist (2007) im Kohlhammer Verlag in Stuttgart erschienen,es hat 366 Seiten.
Schon früher hatten wir im “Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin” auf Fichte aufmerksam gemacht. Zur Lektüre dieses “Impulses” klicken Sie bitte hier.

Das Buch “Der ganze Fichte” ist wichtig, weil
– es versucht, die transzendentalphilosophischen Wissenschaftslehren mit den “populären” Philosophischen Schriften Fichtes zu vermitteln.
– es darauf hinweist, dass Fichte an einer “Philosophie der Philosophie” interessiert war und dabei auch die “Person des Gelehrten” als Ort dieses Philosophierens einführte.
– auch bislang eher unbekannte Eigenheiten Fichtes deutlich macht, etwa sein Interesse an Rhetorik,ja selbst an Predigt.
– weil es zeigt, wie sich Fichte gegen – konfessionalistische – Dogmatismen und Ideologien wehrte.
– weil es zeigt, dass die Wissenschaftslehre von 1804 wohl als der Mittelpunkt des Fichteschen Denkens anzusehen ist.
– weil es an die enge, kritische Verbindung mit Friedrich Heinrich Jacobi erinnert.
– weil es daran erinnert, dass Fichte leider eine Gesamtidee seiner Philosophie nicht mehr selbst darstellen konnte…
Diese Beispiele zeigen, dass auch für anfänglich Interessierte das Buch lesenswert ist.

Albert Camus wird 100: Zwei neue Bücher

Albert Camus wird 100: Zwei neue Bücher
Von Christian Modehn

Siehe auch einen Beitrag in der empfehlenswerten Zeitschrift PUBLIK FORUM, zur Lektüre klicken Sie bitte hier.

Das Interesse an Albert Camus wird hoffentlich noch über seinen Geburtstag am 7. November hinausreichen. Natürlich steht an erster Stelle die Lektüre seiner Werke, sie liegen auf Deutsch – zum Teil in Neuübersetzungen ! – vor, zudem sind sie preiswert im Rowohlt Verlag publiziert.
Leider sind unseres Erachtenes wichtigste einführende Arbeiten nicht auf Deutsch zugänglich. Wegen Camus Französisch lernen, das wäre ja auch ein sinnvolles Lebensprojekt.
An erster Stelle muss das “Dictionnaire Albert Camus” erwähnt werden, das unter der Leitung von Jeanyves Guérin bei Robert Lafffont, Paris, erschienen ist. Es liegt seit 2009 als preiswerte Taschenbuchausgabe vor und ist zum Preis von 30 Euro nahezu ein Geschenk. Das Buch umfasst 974 Seiten und ist, als Dictionnaire eben ein Camus – Lexikon von A bis Z, mit einem Personenregister, einer Bibilographie und Filmographie, auch ausführliche biographische Daten fehlen nicht. An dem Lexikon haben nach unserer Zählung 65 PhilosophINNen und PhilologINNen mitgearbeitet, darunter auch die deutsche Camus Forscherin Brigitte Sändig, Potsdam, sie hat ja die empfehlenswerte Camus Monographie (bei Rowohlt) geschrieben.
Gerade religionsphilosophisch Interessierte werden in dem Dictionnaire gründlich informiert (und auf weitere Literatur verwiesen, immer wieder übrigens auch auf den deutschen Philosophen und Camus Spezialisten Heinz Robert Schlette.) Die religinsphilosophisch relevanten Artikel beginnen bei Absolu, gehen weiter über Absurde, Atheisme, Bonheur, Cain, Dieu, Eglise usw… Interessant auch ein eigener Beitrag “Réception Chrétienne”, wo deutlich wird, dass Camus mit Mauriac, Marcel, Jan Marie Domenach diskutierte, mit Bernanos war er befreundet. Die großen katholischen Zeitschriften in Paris haben sich mit ihm befasst, mit den wenigen Theologen der Résistance war Camus ebenfalls freundschaftlich verbunden. Von den Dominikaner – Patres in Paris wurde Camus zu einem Gespräch ins Kloster eingeladen. Die eigene Spiritualität von Camus wird in den Stichworten Nature, Nemesis, Soleil, Solidarité usw. deutlich. Man wünscht sich dringend eine Übersetzung dieses Buches.
Bescheidener, doch nicht weniger inspirierend ist das Sonderheft der Reihe “Une vie, une Oeuvre” der Tageszeitung Le Monde, das vor kurzem über Albert Camus erschienen ist. “la révolte et la liberté” ist der Titel. Das Vorwort von Bernard – Henri Lévy verdient kritische Beachtung, vor allem seine Ausführungen über Camus “Ja und das Nein zur Natur” (S. 13 f.). Das Heft hat 122 Seiten, es enthält viele Fotos, Daten, Textauszüge, Literaturangaben usw. und kostet nur 7,90 Euro.
Christian Modehn