Theologisch denken mit Marx. Über die lebendige Befreiungstheologie

Hinweise zu unserem religionsphilosophischen Salon am 26.5. 2017

Von Christian Modehn

Ein Vorwort: In unserem religionsphilosophischen Salon am 26.5. 2017 haben wir anlässlich des gleichzeitig stattfindenden Kirchentages in Berlin einige zentrale Aussagen des (jungen) Marx zur Religion diskutiert. Vor allem die bekannte Aussage von Marx: „Religion ist Opium des Volkes“. Uns leitet dabei die ganz normale philosophische Überzeugung, dass natürlich etliche philosophische Fragen und Provokationen von Marx auch heute unser Denken anregen und möglicherweise korrigieren können. So etwa die Frage: Wie ist auch theologische Denken und auch kirchliche Handeln von der nun einmal zweifelsfrei vorhandenen Situation der Klassengegensätze in den Staaten und Kulturen Europas z.B. bestimmt? Gibt es überhaupt noch ein Bewusstsein dafür, dass Theologie und kirchliches Handeln etwa in Europa und den USA nicht nur Weiterlesen ⇘

Der erste Lutheraner in den Niederlanden: Der Augustiner Hendrik van Zutphen

Der erste Lutheraner in den Niederlanden: Der Augustiner Hendrik van Zutphen, später der „Bremer Reformator“ genannt.

Von Christian Modehn am 4.5.2017. (Dieser Beitrag erschien am 28. April 2017 in kürzerer Form in der Zeitschrift Publik – Forum).

Über die Bedeutung und Wirkung des Augustinermönches Martin Luther für seine usprüngliche spirituelle “Familie”, also die Mitglieder seines Ordens (O.E.S.A. ist die damalige lateinische Abkürzung, also Augustiner-Eremiten, wie der Orden mit dem Zusatz „Eremiten“ bis ca. 1970 noch hieß) ist meines Wissens insgesamt, auch in diesem Jahr des Reformations – und Luther-Gedenkens sehr wenig publiziert worden. Dabei macht schon diese sehr kleine Studie zu den Niederlanden und den dortigen Augustinern deutlich, dass der Einfluss des Reformators und Augustiners Luther schon sehr früh sehr für den AugustinerOrden bedeutend war.

In den Niederlanden hatten sich die Lehren Martin Luthers schon 1518 herumgesprochen. Seine Schriften wurden 1519 in Antwerpen und Leiden veröffentlicht. Schon im gleichen Jahr befahl Kaiser Karl V., „alle lutherischen Bücher in den Niederlanden zu verbrennen“. Es waren vor allem Augustiner, die sich nicht einschüchtern ließen und sehr früh, von ihrem Mitbruder in Wittenberg inspiriert, mit der Reform kirchlichen Lebens begannen. Ein Zentrum war das Kloster in Dordrecht (bei Rotterdam) mit ihrem Prior Hendrik van Zutphen, der den Ordensnamen Pater Johannes hatte. 1489 in Zutphen geboren, wurde er schon 1516 Leiter des Klosters. Er setzte sich sofort für die Wiederherstellung der strengen Ordenszucht ein. Der katholischen Stadtverwaltung missfielen seine „evangelischen“ Predigten, sie vertrieb ihn und vier weitere Mönche. Sie fanden 1519 Zuflucht in Antwerpen: Aber selbst dort, der eher liberalen Stadt, wurden große Gruppen reformgesinnter Augustiner verhaftet. Hendrik van Zutphen konnte nach Wittenberg fliehen, in eine Stadt, die er schon kannte: Er hatte dort schon von 1508 bis 1512 studiert und Luther kennen gelernt.

Hendrik erlebte nun, wie sich Luther der päpstlichen Androhung des Bannes widersetzte und das päpstliche Schreiben, die „Bulle“, öffentlich verbrannte: So kam es zum definitiven Bruch mit Rom. Hendrik studierte in dieser turbulenten Zeit vor allem die Theologie des Römerbriefes, sein Studium schloss er mit dem Lizenziat ab. In „73 Thesen“ entwickelte er 1521 seine eigene Theologie: Er wandte sich etwa gegen die „stille Privatmesse“, die man für Geld zum Heil der Seelen bestellen konnte. Für ihn galt: „Die Eucharistiefeier kann niemals als ein neues unblutiges Opfer Christi verstanden werden. Die Messe ist vielmehr eine zeichenhafte Mahlzeit von Glaube und Liebe“.

Luther müssen diese Thesen gefallen haben: Er ließ Hendrik von der Wartburg aus grüßen. Als Hendrik hörte, dass in den Niederlanden immer mehr Evangelische verfolgt werden, kehrte er zur Unterstützung nach Antwerpen zurück. Dort wurde er als Prediger vom Volk gefeiert: Aber die katholische Obrigkeit wollte keine religiöse Vielfalt dulden: Sie ließ die Augustiner verhaften. Hendrik wurde allerdings in höchster Not vom empörten Volk befreit. Seine Mitbrüder Johannes van Esschen und Hendrik Vos werden 1523 auf dem Scheiterhaufen in Brüssel verbrannt. Hendrik gelangte über Enkhuizen und seine Heimatstadt Zutphen nach Bremen: Dort traf er Bekannte aus Studienzeiten in Wittenberg. Seine Predigten in der St. Ansgarii Kapelle fanden viel Zuspruch, sogar die Zustimmung des Stadtrates, aber den Widerspruch des Klerus. Hendrik wurde „zum Bremer Reformator“. Dort setzte er sich für Jacobus Probst ein, den Prior des Antwerpener Augustiner Klosters: Er hatte geheiratet und suchte nun in Bremen eine neue Stelle.

Unter allen Orden waren die Augustiner am deutlichsten von der Reformbewegung Luthers betroffen. Allein in Deutschland sind 69 von 160 Augustinerklöstern aufgelöst worden. (Weitere aktuelle Hinweise zu dem Aspekt, am Ende des Beitrags).

Hendrik van Zutphen war im Oktober 1524 aus dem Orden ausgetreten. Aber „er wolle niemals vom Evangelium schweigen… solange, bis ich den Lauf dieses Lebens vollendet habe.“ Darum folgte er im November 1524 einer Einladung, in Meldorf, Dithmarschen, zu predigen. Das Volk war wiederum begeistert, aber der dortige Klerus, vor allem der Dominikaner Pater Augustinus Torneborch, sorgte schon im Dezember 1524 für seine Verhaftung: Hendrik wurde nach Heide geschleppt, dort erst halb totgeschlagen, dann ins Feuer geworfen: Weil der Körper aber nur etwas verkohlte, wurden Kopf, Hände, Füße abgeschnitten und der Rumpf unter Spottgesängen verscharrt. Am 10.Dezember 1524 wurde das Leben des ersten niederländischen Lutheraners und „Bremer Reformators“ beendet.

Luther war entsetzt, als er davon hörte. Er verfasste die Erinnerungsschrift „Historie von Bruder Heinrich von Zutphens Märtyrtode“.

Im ganzen gesehen konnte sich die lutherische Reformation in Holland nicht durchsetzen. Luther selbst hatte 1530 den Evangelischen dort empfohlen, entweder in aller Stille außerhalb der Öffentlichkeit Gottesdienste zu feiern oder zu jenen Fürsten auszuwandern, die reformfreundlich sind. „Dieser Standpunkt schließt ganz an seine Neigung an, Unterstützung bei der Obrigkeit zu suchen. Das niederländische Volk mochte das nicht. Es wandte sich eher der radikalen Bewegung der Wiedertäufer zu und dann dem militanten Calvinismus“, so der Historiker Johan Decavele.

In den Niederlanden selbst gilt als der erste, also dort getötete, lutherische Märtyrer Jan de Bakker, am 15.9.1525 wurde er verbrannt. Und, interessanterweise möchte man fast sagen, gab es eine lutherische Märtyrerin, Wendelmoet Claesdochter, sie wurde am 20. November 1527 von Katholiken verbrannt.

Nebenbei: Wer diese Geschichte konfessionell bedingter Grausamkeit, etwa im 16. Jahrhundert, bedenkt, kommt schnell zu Vergleichen der Brutalität und des Sich – Abschlachtens, die sich heute Sunniten und Schiiten antun. Man bedenke nur: Noch vor 70 Jahren haben sich Katholiken und Protestanten in Deutschland verachtet und ignoriert und bekämpft. Die ökumenische Bewegung unter den Christen gilt es auch als Friedensbewegung zu interpretieren. Gibt es eigentlich eine ökumenische Bewegung unter den verfeindeten muslimischen Konfessionen?

Ein aktueller Hinweis:

Wie stark die Mentalität des Augustinerordens davon bestimmt ist, dass in katholischer Sicht der Ketzer und Kirchengründer und Kritiker des Mönchswesens Martin Luther einmal zum Orden gehörte, ist eine offene Frage. Tatsache ist, dass der Augustinerorden seitdem nicht gerade besonders theologisch Mutige hervorgebracht hat, von den Augustinern in den Niederlanden vielleicht abgesehen. Offenbar wollte der Orden nicht beim Papst „auffallen“, mutig war hingegen der Augustiner Gregory Baum (geboren 1923 in Berlin): Er hat als Theologe das Zweite Vatikanische Konzil geprägt. Aber Gregory Baum hat später den Augustinerorden verlassen und das Priesteramt aufgegeben. Im französischen Augustinerorden, den Assumptionisten, gab es in den achtziger Jahren Professor Daniel Olivier, er war ein großer Luther-Spezialist, in meiner Erinnerung an persönliche Begegnungen war er förmlich ein Lutheraner geworden. Entsprechend groß war die Rezeption seines Denkens in der katholischen Kirche. Solche intimen Luther-Kenner wie Pater Olivier hat der Augustinerorden (OSA) nie hervorgebracht. Wie überhaupt alle Orden im Reformationsgedenken 2017 schweigen zu der Frage: Wie kann man heute trotz Luther noch Mönch und Nonne sein. Da ist absolut nichts zu vernehmen.

 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

 

Krzysztof Charamsa, Theologe und Kaplan seiner Heiligkeit, legt das schwule Leben im Vatikan etwas frei

Krzysztof Charamsa, Priester und führender Mitarbeiter in der vatikanischen Glaubenskongregation, über Leben, Lieben und Lust der Glaubenswächter.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 3. 5. 2017

Der italienische Untertitel des jetzt auch auf Deutsch erschienenen Buches von Krzysztof Charamsa „Der erste Stein“ ist noch treffender: „Ich, ein schwuler Priester, und meine Rebellion gegen die Scheinheiligkeit (Heuchelei) der Kirche“. Das Buch ist tatsächlich Ausdruck einer Rebellion, des Aufstandes, der Erhebung, der Revolte. Ob diese tatsächlich ausgelöst wird, hängt auch davon ab, wie viele Theologen, Priester, Ordensleute und Bischöfe dieses Buch lesen und daraus Konsequen ziehen. Vielleicht sollten die Verlage dieses Buch jedem Bischof als Geschenk zu Pfingsten zusenden…

Auf Deutsch ist der Untertitel eher zurückhaltend „Der erste Stein“. Mit dem Untertitel „Als homosexueller Priester gegen die Heuchelei der katholischen Kirche“. Das Buch ist Ende April 2017 bei C. Bertelmann erschienen.

Es ist auch für die Interessenten des Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salons wichtig, weil Religionskritik ein ständiges Thema bleibt. Das Buch ist keineswegs eine bloß aufgeregte, Neugier weckende „Skandalstory“. Es bietet vielmehr die Möglichkeit, durch die Erkenntnisse eines Insiders hinter die (tatsächlich auch im materiellen Sinne vorhandenen) Festungsmauern des Vatikans zu blicken.

Dieses Buch ist ein Dokument, das diese Mauern zwar nicht einreißen wird, aber doch etwas ins Wanken bringen könnte. Es ist wichtig für alle, die die innere Verfasstheit der klerikalen Mitarbeiter an der Spitze der römischen Kirche, also in der Glaubensbehörde, verstehen wollen. Mindestens jeder zweite Priester ist homosexuell, so betont das Buch, aber kaum einer lebt das offen, verzichtet also auf seine persönliche Identität. Das gilt auch für die Kirchenzentrale. Sie wird von Männern geführt, die „scheinheilig“ sind, wie der Buchtitel sagt. Das gerade im Jahr des Reformationsgedenkens 2017 freizulegen, als seit 1517 durch den Mönch Martin Luther die Welt des zölibatären Klerus wenigstens für die evangelischen Kirchen abgeschafft wurde, ist von besonderem Reiz. Das Buch zeigt einmal mehr die jetzt auch wieder allgemeine Erkenntnis, wie wenig sich das System und die Lehren der römischen Kirche tatsächlich durch Luther, auch nur entfernt, „berühren“ oder gar verändern lassen. Alles katholische Rede von ökumenischen Fortschritten heute ist angesichts dieser Dokumente doch sehr marginal

In jedem Fall: Das Buch von Krzysztof Charamsa ist ein durchaus historisch zu nennendes Dokument. Wer einen Vergleich will: Es ist so, als würde eines der führenden Mitglieder an der Spitze einer Parteizentrale das innere Leben, etwa die Korruption und die Verlogenheit dieser Parteizentrale freilegen. Das passiert weltweit selten, weil die Karriere wichtiger ist als das Zeugnis der Wahrheit.

Krzysztof Charamsa jedenfalls hat auf seine glänzende Karriere in der römischen Glaubensbehörde verzichtet. Immerhin hatte er den Ehrentitel Monsignore erhalten und durfte sich als „Kaplan seiner Heiligkeit“ ansprechen lassen.

Das Buch zeigt, dass im Reich des Papstes Scheinheiligkeit stärker ist als die nach außen hin gezeigte Heiligkeit.

Charamsas im engeren Sinne historisch-theologischen Publikationen in italienischer Sprache von 2002 bis 2014 sind eher von einem traditionellen theologischen Konzept, etwa den Interpretationen des mittelalterlichen Thomas von Aquin, geprägt. Er ist als Konservativer, vom Katholizismus Begeisterter, zum Rebellen geworden. Es gab den Bruch, das Nicht mehr Aushalten können der ständigen Verlogenheit, das ihn zum radikalen Abstandnehmen vom System führte: Krzysztof Charamsa hat sich in aller Öffentlichkeit am 3. Oktober 2015 in Rom als schwuler Priester, als Monsignore, als Theologiedozent und führender Mitarbeiter in der Glaubensbehörde, deren Chef der Deutsche Kardinal Müller ist, geoutet und sich zu seinem Partner bekannt. Selbstverständlich wurde er danach von dem zuständigen polnischen Bischof aller seiner Ämter entbunden und als Priester suspendiert, d.h. er darf in der Sicht Roms keine priesterlichen Funktionen mehr ausüben.

Das Buch bietet viele Erkenntnisse zum Zustand der katholischen Kirche, diese Erekenntnisse können hier natürlich nicht in der gebotenen Ausführlichkeit besprochen werden. chließlich soll eine Buchkritik nicht die Lektüre ersetzen, dass die Lektüre empfohlen wird, ist klar.

Es bietet eine Biographie des aus Polen stammenden Autors.

Es berichtet über den Zustand der katholischen Kirche in Polen nach der Wende, über die maßlose hysterische Verehrung des polnischen Papstes, den Kult um seine Denkmäler usw. „Der polnische Klerus besteht aus ideologischen Manipulatoren“ (Seite 53).

Interessant und kaum zu glauben ist der Zustand der offenbar miserable Zustand der Priesterseminare in Polen, nicht nur das schlechte Essen, vor allem das schlimme Niveau der dort gelehrten bzw. eingepaukten Theologie. “Die theologischen Hochschulen, Priesterseminare also, sind große Kasernen , „in denen die Rekruten eines Heeres gedrillt wurden, das im Dienst einer restriktiven Ideologie stand“ (S. 72). Nebenbei: Diese Priester werden nach ganz Europa geschickt, um den im Westen aussterbenden Klerus zu ersetzen…

Überhaupt die Theologie, das wäre ein eigenes Thema: Man erlebt einmal mehr, dass diese dort in den Seminaren Kirchen- Lehre offenbar nur mit Mühe noch Wissenschaft zu nennen ist.

Das Buch zeigt, wie die vielen homosexuellen Priester im Vatikan sich permanent selbst verleugnen und sogar zu expliziten Feinden der Schwulen werden, bloß um nicht aufzufallen und korrekt zu erscheinen. Diese Freilegung des Lügen-Systems, in das der einzelne homosexuelle Priester und Theologe gezwungen wird, ist wohl psychologisch und religionsphilosophisch am bedenklichsten. Theologen, die sich selbst ständig belügen und keine (sexuelle) Identität haben dürfen, kontrollieren als Mitarbeiter der Glaubensbehörde jene Theologen, denen man vorwirft, gegenüber dem Lehramt zu lügen, Irrlehren zu verbreiten. Lügner kontrollieren also so genannte Lügner. Denn die angeblichen „Ketzer“ sind ja nur solche, die kreativ die Theologie etwas voranbringen wollen. Und dann verfolgt werden.

In dem Buch nennt der Autor seine Behörde, die Glaubenskongregation oft „Inquisitionsbehörde“.

Über Papst Franziskus wird oft voller Zustimmung gesprochen. Nur glaubt der Autor nicht, dass der Papst sich gegen die Macht des vatikanischen Apparates durchsetzen kann. Er berichtet, dass bei einem Kongress über die Ehe (gemeint war der Kamf gegen die Homoehe) der Papst sogar eine Rede abgelesen hat, die die konservativen Veranstalter ihm „aufgesetzt hatten“ (S. 175).

Insgesamt zeigt das Buch lang und breit, dass die Mitarbeiter der Glaubenskongregation permanent und ständig vom Thema Homosexualität wie getrieben sind, als gäbe es nichts anderes in dieser Kirche und dieser Welt. In dieser Fixiertheit zeigt sich einmal das narzisstische Verhalten dieser Kleriker. Sie kennen nur sich und die Verleugnung ihrer Identität, um Karriere zu machen, vielleicht einmal Bischof zu werden etc…

Bitter böse ist etwa ein Text, wie ein Gebet, von Krzysztof Charamsa formuliert auf Seite 177: „Gott, segne den Papst und seine Kirche. Aber Gott, halte sie fern von uns. Seine Leute (also der Klerus) können der Menschheit nicht länger den rechten Weg weisen….

An anderer Stelle ein ähnlicher Gedanke: „Das starre System der Kirche muss zerstört werden, damit sie wieder zu einer Kirche der Menschen werden kann, wie ich einer bin“ (S. 280).

Mein Coming out habe ich „der Kirche mit aller Macht ins Gesicht geschrieen“ (280). Mit diesem Buch will Krzysztof Charamsa „nur einen ersten Stein legen, einen Grundstein zu einem Leben in Freiheit“ (259). Zusammenfassend: Charamsa hat „ das Reich der Lüge hinter sich gelassen“ (Seite 281)

Fragen zum Buch:

Bei einer weiteren Auflage des Buches würde ich mir wünschen, dass Krzysztof Charamsa erklärt, warum er das Pontifikat von Papst Benedikt XVI. das „schwulste Pontifikat der Neuzeit“ (S. 165) nennt, sicher weil der deutsche Papst die alten hübschen Gewänder und roten Schuhchen wieder aus der Mottenkiste hervorholte und den Pomp liebte. Sicher auch, dass seine Texte gegen Homosexuelle vor Menschenrechts-Gerichten hätten verhandelt werden müssen. Aber warum mag Charamsa diesen Papst? Warum sagt er kein Wort zu den nun einmal überall kursierenden Erzählungen, von Zeugen belegt, Ratzinger sei selbst „betroffen“, also schwul. Das ist überhaupt nicht schlimm. Schlimm ist die Verleugnung dieser Identität, die zur Verfolgung derer führt, die eben nicht so verklemmt sind wie man selbst!

Bei einer weiteren Auflage des Buches würde ich mir wünschen, dass ausführlicher auf seine Tätigkeit als Dozent in der Universität des Ordens Legionäre Christi in Rom eingeht. Eine Seite zu dem Thema ist zu wenig über diesen immer noch einflussreichen Orden, der jetzt überlebt, ohne seinen Gründer auch nur nennen zu dürfen, nämlich den pädophilen Verbrecher Pater Marcial Maciel. Ein Orden, der förmlich vor Geld stinkt, wie mexikanische Journalisten dokumentieren. Es ist für die Unabhängkeit der Wissenschaft eigentlich ein Skandal, wenn Leute aus der Glaubensbehörde auch noch als Theologiedozenten in der Uni der genannten Legionäre Christi wie auch der Jesuiten-Universität Gregoriana tätig sind. was ist das für ein Niveau? Offenbar findet man diesen Niedergang freier wissenschaftlicher Forschung in Rom normal. Wie wäre es also, dem vatikanischen Vorbild folgend, wenn Beamte des BND Vorlesungen zur Sicherheitspolitik an der Uni halten? Oder der Innenminister als Professor einer Uni die innere Ordnung Deutschlands lehren würde…

Interessant wäre es, wenn man erfahren könnte, wie viel der so gefragte Theologe und Prälat Charamsa als ein hoher Funktionär in der Glaubensbehörde monatlich verdient hat. Woher kommt das Geld für alle diese klerikalen Diener des Systems? Denn die privaten Reisen, von denen die Rede ist, sind ja selbst mit Billigfliegern nicht ganz gratis. Und wie und wo wohnte er als Kaplan seiner Heiligkeit? Vielleicht Seite an Seite mit Kardinal Müller? Da kann man doch Klartext reden!

Dass der Autor keine Namen der offenbar scharenweise homosexuellen Priester in der Glaubenskongregation ist ein bisschen verständlich, man will sich kostspielige Prozesse ersparen. Aber einige Namen betroffener Prälaten usw. sind ja auf anderem Wege doch schon in die Öffentlichkeit gelangt. Warum diese enorme Angst?

Merkwürdig kurz fällt auch der Hinweis auf das reaktionäre polnisch-katholische Rundfunk/Fernsehimperium MARYJA aus. Mich würde interessieren, warum scheitern alle Versuche, den Gründer dieser Propaganda-Maschine, Pater Rydzyk vom Redemptoristenorden, aus dem Verkehr zu ziehen?

Auch über die theologische Fakultät in Lugano (Schweiz) hätte man gern mehr erfahren, an der Krzysztof Charamsa einige Jahre studierte. Diese Fakultät gilt als Zentrum sehr konservativer religiöser Gemeinschaften, wie dem Neokatechumenat. Auch Professoren dieser Lehranstalt, wie Manfred Hauke, er war Assistent bei dem Traditionalisten Prof. Ziegenaus in Augsburg, gehören dem sehr konservativen Flügel an.

Trotz dieser offenen und natürlich vom Autor gewünschten kritischen Fragen (das ist ja demokratische Kultur) ist das Buch durchaus ein historisches Dokument. Zum ersten Mal in der Kirchengeschichte gibt es ein „coming out“ eines prominenten „Kaplans seiner Heiligkeit“. Die traurige Geschichte der Homosexuellen, über die wir so wenig wissen, weil alle Zeugnisse immer vernichtet wurden, bekommt durch das Buch eine neue, durchaus befreiende Bedeutung.

Wird der Apparat der Kirche so dumm sein, und dieses Buch übersehen? Ignorieren? Polemisch belächeln? Schon möglich. Die Macht des Apparates ist leider immer noch gewaltig und gewalttätig. Wie viele Menschen, wie viele Homosexuelle, sind durch die perversen Verurteilungen aus Rom in ihrem Leben irritiert und zerstört worden? Wer spricht von den vielen Opfern? Wann finden Bußgottesdienste der (selbst schwulen) Kardinäle in Rom statt, in denen sie sich heftig entschuldigen, für alles Leid, das sie und ihre Vorgänger homosexuellen Menschen angetan haben und antun. Die Festpredigt sollte dann der Priester Krzysztof Charamsa halten. All das wird in diesem Jahrhundert nicht mehr passieren. Die Mauern des Vatikans sind “ewig”, und die Insassen dieses geistigen (leiblichen) Gefängnisses sind noch stolz auf diese „Ewigkeit“…

Copyright: Christian Modehn . Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

 

 

Kein Nein zu Marine Le Pen: Frankreichs Bischöfe sind neutral vor dem 2.Wahlgang

Kein Nein zu Marine Le Pen: Frankreichs Bischöfe sind neutral vor dem 2. Wahlgang am 7.5.2017.

Aktualisierung dieses Beitrags am 2. 5. 2017:  Die katholische Tageszeitung „La Croix“ meldet am 1.5. 2017, dass etwa 10 französische Bischöfe als Individuen ihre Meinung zum 2.Wahlgang am 7. Mai veröffentlicht haben. Damit wird das allgemeine neutrale Verhalten der Bischofskonferenz, weiter unten beschrieben, individuell überwunden. Der Hintergrund ist sicher, dass die eher neutrale, um nicht zu sagen angstbesetzte Stellungnahme der Bischofskonferenz doch einigen Bischöfen nicht ausreichte. Eigentlich mutig in diesem Kreis, der wenig Respekt hat vor individuellen Positionen.“La Croix“ weist ausdrücklich darauf hin, dass ein einziger Bischof den Namen Macron zitiert. Sonst sind die meisten Stellungnahmen ohne namentlichen Bezug, nur 2 nennen Madame Le Pen.  Auch dies ist typisch für Bischöfe im Umgang mit Politikern… Die denken wohl, sollen die Leser doch ein bisschen rätseln oder so was. Man stelle sich nur vor, Politiker würden die Bischöfe nicht beim Namen nennen, sondern mysteriös sagen: „Ein Ober-Hirte im Burgundischen, der bekannt ist für seinen Luxus oder ein anderer Oberhirte an der Cote d Azur, der so stark gegen Homosexuellen eingenommen ist…“ Aber lassen wir diese doch sehr bezeichnenden Spekulationen. Lediglich Bischof Wintzer von Poitiers nennt Madame Le Pen beim Namen, auch Bischof Moutel von Saint Brieuc hat keine Angst, die rechtsextreme Kandidatin beim Namen zu nenne. Nur Bischof Blanquart von Orléans nennt Macron beim Namen.

Da sind einzelne Laien-Organisationen mutiger: Dreißig katholische Organisationen, darunter Secours Catholique, als die Caritas, weisen Le Pen ausdrücklich zurück! Das Sozialforschungszentrum der Jesuiten in Paris (CERAS) sagt sogar treffend, „die Partei Front National macht ein Abgleiten ins Totalitäre möglich…“

Hingegen machen sich jetzt auch vermehrt katholische Le Pen Sympathisanten öffentlich bemerkbar, sie nennen sich etwa diskret-versteckt „Collectif Antioche“; auf dem schon bekannten rechtslastigen Blog „Salon beige“ sprechen sie sich anonym für Madame Le Pen aus. Immerhin noch ein gutes Zeichen, dass sich katholische Priester, denn die sind auch im „Collectif Antioche“ vertreten, noch schämen, für die rechtsradikale Partei öffentlich einzutreten und besser ihren Namen – dann doch angstvoll – zu verschweigen. Nach dem 7. Mai outen sie sich vielleicht, je nach dem…

Copyright: Christian Modehn

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Ein Hinweis von Christian Modehn am 29.4.2017.    (Zum Wahlverhalten der Katholiken und der anderen Religionen im 1. Wahlgang, klicken Sie hier.)

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Die französische Bischofskonferenz hat am 23. April 2017 eine Erklärung veröffentlicht. Sie soll der Unterscheidung der (katholischen) Geister vor dem 2. Wahlgang am 7. Mai 2017 dienen.

Mehrere Aspekte des insgesamt recht kurzen Textes, er umfasst bloß 4.400 Zeichen (incl. Leerzeichen), müssen eigens hervorgehoben werden.

1. Die Bischöfe geben keine direkte (namentliche) Empfehlung für einen der beiden Präsidentschaftskandidaten. Weder Macron noch Le Pen werden überhaupt genannt. So wirkt der Text abgehoben und überzeitlich.

Mein Kommentar: Ist dies Ausdruck für bischöfliche Diplomatie? Sind etwa die Bischöfe gleich mit beiden Kandidaten unzufrieden? Weil ihr geliebter konservativer Katholik Francois Fillon (und Betrüger) nicht in die Zweier-Auswahl kam? So wird es sein. Die französischen Katholiken haben sozusagen ihren „Übervater“ verloren und sind ohne Orientierung.

2. Die Bischöfe wollen auch in diesem Text (angesichts der möglichem Wahl einer rechtsextremen Präsidenten) die modern wirkende Position vertreten: Möge jeder Katholik doch selbst entscheiden.

Mein Kommentar: Diese Haltung gilt, wenn zwei demokratische Kandidaten zur Auswahl stehen, nicht aber in Zeiten rechtsextremer Bedrohung. Denn es ist nicht garantiert, dass Macron gewählt wird. Man stelle sich vor, einer der beiden Kandidaten wäre nicht vom Front National, sondern explizit von der Kommunistischen Partei: Was würden die Bischöfe warnen und toben vor diesem widerwärtigen Atheisten und Extremisten. Nicht so bei einer rechtsradikalen Kandidatin Le Pen, die sich ja bekanntlich nach außen oft so moderat und so modern gibt. Fallen die Bischöfe auf dieses Schauspiel von Le Pen rein? Sie wissen ja, dass Madame Le Pen die Gemeinde der katholischen Traditionalisten und Pius-Brüder St. Nicolas de Chardonnet, Paris, als ihre Pfarrgemeinde ansieht. Trotzdem sind die Bischöfe nicht entschieden gegen Le Pen. Denn sie wissen, dass so viele Katholiken in den „normalen“ Gemeinden längst FN Anhänger sind. Die will man doch nicht verprellen…Denn die Schar der so genannten praktizierenden Katholiken tendiert systematisch und beweisbar gegen Null.

3. Die Bischöfe nennen dennoch ein paar Begriffe, die den Katholiken bei der Wahl zu denken geben sollen, ohne dabei eine explizite Wahlempfehlung zu sein:

Sie nennen, wie so oft bei bischöflichen Stellungnahmen weltweit, ganz allgemein und abstrakt den „Respekt des Gemeinwohls, auch die Realisierung der Brüderlichkeit, die Aufmerksamkeit für die ganz Schwachen, die Würde der menschlichen Person und die Subsidiarität“ (welcher (junge) Franzose kennt diesen Begriff ?, das als Kommentar am Rande).

Mein Kommentar: Mit diesen Begriffen als Wahlkriterium ist tatsächlich jede Partei wählbar. Welche wäre schon gegen die Hilfe für Schwache? Ich vermute, dass selbst der Diktator in Nordkorea vom Respekt dieser Prinzipien schwadronieren könnte.

4. Deutlicher und damit schon implizit parteilicher werden die Bischöfe, wenn sie als Kriterium auch den Respekt für die Schwachen und eigentlich für alle Menschen eintreten und zwar „von Beginn ihres Lebens bis zum natürlichen Ende ihres Lebens“.

Mein Kommentar: Mit dieser Position ist keiner der beiden Kandidaten wählbar, denn selbst Madame Le Pen will die Abtreibung nicht ganz verbieten. Sie ist hingegen gegen aktive Sterbehilfe, darüber wird in Frankreich heftig diskutiert. Dies abwägend, läuft der Bischofstext auf eine Wahlempfehlung für Madame Le Pen hinaus. Nebenbei: Wo bitte gibt es in Frankreich noch das „natürliche Ende des Lebens“? Vielleicht auf einigen Dörfern oder in einigen Klöstern. Aber: Wird etwa in den Kliniken nicht längst „passive Sterbehilfe“ geleistet?

5.Die nicht ausgesprochene, aber indirekt dennoch mitgeteilte Wahlempfehlung der Bischöfe gilt Madame Le Pen. Das muss gesagt werden! Dies wird besonders in der Abwehr der so genannten Homo-Ehe durch die Bischöfe sichtbar. Sie sprechen verschwommen von „liens de filiation“, einem Begriff, den der FN und Madame Le Pen häufig verwenden. Sie wollen, wörtlich übersetzt, die „Verbindungen der Abstammung“, also die „Kindes-Verhältnisse“, also ganz auf die heterosexuelle Beziehung setzen. Also eine Adoption von Kindern in Homo-Ehen usw. ausschließen.

Ausdrücklich sagen die Bischöfe wieder die allseits bekannten Sprüche: „Es gilt die Familie zu unterstützen“. Und danach folgt die Beschreibung von „der“ Familie als dem „tissu nourricier“, also etwa: als dem „Züchtungs – Ernährungs – Netz“,wörtlich übersetzt, was für ein Wort! Mit dieser umständlichen Formulierung wollen die Bischöfe vermeiden, explizit von Homo-Ehe zu sprechen und sogar von der in katholischen Kreisen doch nennbaren Hetero-Ehe. Aber: Auch in dem Punkt bleiben die Bischöfe nebulös, um nicht zu sagen verlogen. Sie haben Angst, Klartext zu sprechen!

6. Als eine weitere versteckte, aber sehr deutliche Werbung für Madame Le Pen kann die Äußerung der Bischöfe angesehen werden, wenn sie vom europäischen Projekt sprechen. „Diese Anhänglichkeit an das europäische Projekt setzt voraus, mehr die historische und kulturelle Tatsache der Nationen (sic!) zu respektieren, die den europäischen Kontinent bilden“. Franzosen und Europäer sollen also wieder mehr die Nationen und dann doch wohl den Nationalismus pflegen. Was für ein Wahnsinn, wenn man weiß, dass Nationalismus IMMER zu Kriegen führt. Die Bischöfe drehen an dem Punkt also durch, oder sie biedern sich inndirekt Madame Le Pen an. Diesen Satz zur Nation hätten sie nicht sagen sollen, in einer Situation, wo wir eher den Kosmopolitismus pflegen und fördern.

7. Dieser bischöfliche Text de facto ist also eine Schande. Er ist Ausdruck von Mutlosigkeit, hinter der sich aber – aufgrund der immer so absolut wichtig genommenen sexualmoralischen und individual-ethischen Fragen (Sterben!) – eine Sympathie für Le Pen verbirgt. Wenn das so ist, wäre dies eine Katastrophe, über die man nach der Wahl weiter sprechen muss. Aber die französischen Bischöfe waren ja bekanntlich schon im 2. Weltkrieg begeisterte Anhänger von Marschall Pétain und nur ganz wenige Bischöfe waren im Widerstand aktiv.

Es würde zu weit führen, die unglaubliche Arroganz der Bischöfe theologisch ausführlicher zu betrachten: Sie nennen ihr bischöfliches Papier als Lehre „der Kirche“. Bischöfe nennen sich wieder „die Kirche“. Diese uralte Theologie glaubte man – vielleicht zu naiv – längst überwunden… Dann meinen die Bischöfe, „die Kirche“ sei „dépositaire du message de l Evangile“, also „Verwalter und Mitwisser der Botschaft des Evangeliums“. Das Evangelium als „Depot“, aus dem die Bischöfe satzweise je nah Bedarf ein paar Stückchen herausschneiden: Das ist Tätigkeit der Bischofskonferenz. Benedikt XVI. sprach übrigens immer von Glaubensgütern wie in einem Depot…

8. Dieser bischöfliche Text ist Ausdruck der völligen Ermattung und Müdigkeit der französischen Kirche. Ihr Ruf in der Öffentlichkeit war noch nie so schlecht. Kardinal Barbarin, Lyon, hat pädophile Verbrechen von Priestern verschleiert, „um der klerikalen (Amts-) Kirche keinen Schaden zuzufügen“, wie es heißt. Das hat zu recht für Empörung gesorgt. Kardinal Barbarin ist trotzdem nicht zurückgetreten. Bischof Gaschignard (Aire et Dax) ist kürzlich zurückgetreten, weil von ihm sexuelle Übergriffe an Minderjährigen schon in Toulouse bekannt wurden. Die Bischöfe von Bayonne und Fréjus (eine Hochburg des FN!) stehen ideologisch dem FN nahe, theologisch würde man sie ultra-reaktionär nennen, wenn es dieses Prädikat gibt. Die Bischofskonferenz ist in sich selbst (politisch) gespalten, auch ein bisschen FN darf dort sein…

Hinzukommt natürlich, dass die französische Kirche personell, von der Anzahl der Priester her gesehen, de facto am Ende ist. In vielen Bistümern kann man die Zahl der französischen Priester, die noch nicht 65 Jahre alt sind, an einer Hand abzählen, etwa in Moulins, Sens, Cahors, Verdun usw…. Einer von zehn noch arbeitsfähigen Priestern kommt inzwischen aus dem Ausland, sehr oft aus Afrika. So wird das klerikale System aufrechterhalten. Auf die Idee, dass Laien Gemeinden leiten und Eucharistie feiern, kommt niemand. Das Magazin „Le Point“ berichtet: „Selon le Guide 2014 de l’Eglise catholique de France, elle compte 1.620 prêtres “venus d’ailleurs”, dont 916 Africains et 314 Européens (dont une moitié de Polonais)“: Nach dem Buch „Führer der katholischen Kirche von Frankreich im Jahr 2014“ gibt es in dieser französischen Kirche 1.620 Priester, die von aus dem Ausland stammen, darunter 916 Afrikaner und 314 Europäer, von denen die Hälfte aus Polen stammt“.

9. Etwas Kritik gibt es auch in Frankreich am diesem Bischofs-Papier: „In Stunden großer Gefahr für die Demokratie muss Klartext gesprochen werden“, meint der katholische Schriftsteller und Journalist Jean- Francois Bouthors. Er hat in „Le Monde“ (vom 28. April) die Bischöfe angeklagt: Sie seien feige, sie sehen nicht die große Gefahr, die eine Wahl von Madame Le Pen zur Präsidentin bedeutet. „Es ist jetzt Zeit für die Bischöfe, klar zu reden, laut und stark. Man muss also sagen: Alles, was auf irgendeine Weise Marine Le Pen stärken kann und damit das Lager der Verteidiger der Demokratie und des europäischen Projekts schwächen kann, ist nicht akzeptabel“. Solche Stimmen sind öffentlich selten zu vernehmen.

10. Man erinnert sich jetzt an einen merkwürdigen Vorgang, dass der zweifellos nette alte Priester, Père Hamel, von Saint Etienne de Rouvray (Rouen), wie in einem Schnellverfahren selig gesprochen werden soll. Der 85 Jahre alte Priester wurde am 26. 7. 2016, bei einer Messfeier von radikalen Islamisten am Altar gelyncht. So entsetzlich und widerwärtig diese Tat ist: Wird mit der Seligsprechung dieses freundlichen uralten Pfarrers nicht ein polemischer Akzent gegen „die“ Muslime gesetzt? Und ist irgendwie jeder Priester, der ermordet wird, ein Seliger oder ein Heiliger? Warum aber sind dann die großartigen Jesuiten und Befreiungstheologen (unter ihnen Pater Ellacuria SJ) aus El Salvador dann nicht längst heilig gesprochen worden? Sie wurden am 16. November 1989 von rechtsextremen Mörderbanden hingeschlachtet, die Mörder wurden in den USA ausgebildet und von einigen Bischöfen in El Salvador unterstützt. Soll etwa der selige Priester Märtyrer, Père Hamel, ein Zeuge sein für die Sanftheit „der“ Christen gegen die Brutalität „der“ Muslime? Ein problematischer Gedanke. Mit erscheint diese so forcierte französische Seligsprechung sehr auf die religionspolitische Situation in Frankreich bezogen zu sein.

11. Die heftige Abwehr von Madame Le Pen und ihres FN bedeutet ja nicht, dass ich absolut für Macron einstehe. Aber er ist ein Demokrat, auch wenn er vielleicht problematische ökonomische Vorstellungen hat. Aber er ist kein versteckter Rassist. Mit Macron kann die Demokratie grundsätzlich noch erneuert werden. Mit Madame Le Pen ist es aus mit der Demokratie. Und mit Europa. Dann beginnt die Nostalgie des alten und veralteten autoritären Frankreich Realität zu werden.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Der Text der Bischofskonferenz: http://www.eglise.catholique.fr/espace-presse/communiques-de-presse/438036-elections-presidentielles-leglise-redit-son-role-et-rappelle-ses-fondamentaux/ Gelesen am 29.4. 2017

 

 

Der § 175 in der römisch-katholischen Kirche.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 28.4.2017

1. Zum Anlass dieser Überlegungen:

Am Freitag, den 28. April 2017, soll nun, man glaubt es kaum, ein Gesetz im Deutschen Bundestag verhandelt werden, das einer damals in der Bundesrepublik Deutschland verfemten und vergessenen Minderheit etwas Gerechtigkeit und bescheidene finanzielle „Wiedergutmachung“ bringen soll: Dem SPD Minister Heiko Maas sei Dank, aber auch den politisch Aktiven (Schwulen), die dieses Thema vor dem Vergessen bewahrten.

Es geht um Männer, die in der Nazi-Zeit als Untermenschen in KZs gesteckt wurden. Sie haben dann aber unter den nach wie vor weiter bestehenden Nazi-Gesetzen (von 1935) noch in der Bundesrepublik leiden müssen. Ca. 64.000 homosexuelle Männer wurden zwischen 1949 und 1994 noch verfolgt, diffamiert, ausgegrenzt, als Untermenschen angesehen… Erst 1969 begann die demokratisch-freiheitliche Regierung, sich vom unsäglichen Nazi- § 175 zu befreien. Solange war Nazi-Gesetzgebung eben normal!

Als normale Menschen mit allen Rechten werden homosexuelle Männer (und Frauen) bis heute selbst in Deutschland noch nicht angesehen: Sie haben etwa, im Unterschied zu den Niederlanden oder Spanien, kein Recht, eine Ehe zu schließen und Kinder zu adoptieren, also Familie zu sein. Und so viele Bürger regen sich auch hier nicht auf, wenn Homosexuelle auf den Straßen Gewaltattacken ausgesetzt sind. Das ist längst Alltag, so groß ist die Toleranz gegenüber Rechtsextremen längst!

Also: Nazi – Gesetze haben in der BRD fortbestanden … und die Opfer haben bis heute keine öffentliche Aufmerksamkeit gefunden oder gar Entschädigung erhalten. Warum? Weil in einem autoritären BRD Staat auch die BRD Richter fast immer ehemalige Nazis waren.

Nun also soll es eine gewisse Form der Gerechtigkeit für die Männer, die in der frühen Bundesrepublik verfolgt wurden. Ihre bewegende Geschichte sollte man etwa im Tagesspiegel vom 27. 4. 2017, Seite 3, nachlesen…

2.

Was uns im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon viel mehr noch interessiert ist: Dieser Anti-Homo-Wahn besteht jetzt, besteht heute; diese Ausgrenzung, dieser Zwang, die anderen, die homosexuellen Menschen, zu verfolgen und zu töten. Dies gilt für fundamentalistisch-muslimisch geprägte Staaten, die noch nicht erkannt haben, dass der Koran eine zeitgebundene und historisch relative, also poetische Aussage frommer Leute ist. Die Liste der Staaten, die Homosexuelle verfolgen und ermorden, ist auch heute lang. Die Solidarität mit diesen Menschen hält sich nach meinem Eindruck in der westlichen Welt sehr in Grenzen. Die lieben Tanten und Onkels am Straßenrand deutscher Städte winken dem bunten und schrillen CSD – Festival im Sommer zu, kommen aber nicht auf den Gedanken, bei Amnesty International für krepierende Homosexuelle in Iran, Saudi-Arabien usw.usw. einzutreten…Man nennt dieses ignorante Verhalten heute die „feucht-fröhliche Form der repressiven Toleranz“.

3.

Der religionsphilosophische Salon interessiert sich auch aufgrund verschiedener biografischer Erfahrungen des Gründers dieser Basis- Initiative besonders für die Verfolgung bzw. Verachtung und Ausgrenzung homosexueller Menschen in den Kirchen, vor allem der römischen Kirche.

Die evidente Tatsache ist: Die römische Kirche ist eine homofeindliche Welt-Organisation. Noch heute. Sie spricht von der Akzeptanz „des anderen“ in zahllosen Dokumenten und theologischen Dissertationen, aber dies ist nur Theorie, nichts Ernstgemeintes, man könnte sagen: Ideologie.

Das ist ein evidentes Faktum, um es zugespitzt zu sagen. Und mir tun alle leid, die innerhalb der römischen Kirche gegen dieses Faktum anrennen und treuherzig „Reformen“ erwarten. Das ist Masochismus, den man aufgeben sollte – etwa zugunsten dringender Forschung und vor allem: eines befreiten Lebens.

Die Verfolgung homosexueller Männer in der römischen Kirche gilt für alle Männer die als Priester und Ordensleute in dieser Welt-Organisation mitarbeiten möchten. (Ich freue mich, dass offenbar die vielen lesbischen katholischen Nonnen in Ruhe gelassen werden, der Vatikan braucht ja auch Frauen nicht so dringend, da ist es ihm egal, ob da viele Lesben in den Klöstern sind, man möchte fast zynisch sagen: Gott sei Dank lässt die Inquisition die Lesben in Ruhe.)

Zu den Männern: Sie dürfen nur Priester oder hauptberufliche Laientheologen (etwa Pastoralreferenten) werden, wenn sie sich selbst als Homosexuelle verstecken und verleugnen und als Zeichen der Treue zur Hierarchie laut gegen Homosexuelle öffentlich sprechen.

Dieses Sich Verstecken ist eine Form systematischen geistigen Selbstmordes. Können solche geschädigten Männer Seelsorger sein?

Viele begehen aus Karrieregründen diesen geistigen Selbstmord und verstecken sich, gelegentliche Sex-Abenteuer, die bitte niemand sieht, eingeschlossen.

Die eher kranken Typen, möchte man beschreibend sagen, die man im Klerus allenthalben findet und fand, sind eben seelisch irritiert und, sorry,  kaputt, weil sie auf Dauer, lebenslänglich, zur absoluten Verlogenheit verpflichtet sind. So wird das klerikale System, und das römisch- katholische System ist absolut klerikal, zum Lügensystem. Lüge wird zur Angewohnheit, auch in finanziellen Belangen, man denke an den zerrütteten Zustand der Vatikan-Finanzen, an die Paläste, in denen die Diener des Herrn (oder der Herren), Kardinäle genannt, leben. Lüge bestimmt förmlich den vatikanischen Alltag. Man denke an den Gründer des Ordens der Legionäre Christi, Pater Marcial Maciel, den man den Großmeister der Lüge nennen kann. Wir haben im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon über ihn berichtet, den selbst Papst Benedikt XVI. wegen der pädophilen Untaten einen Verbrecher nannte. Mit diesem Gründer vor Augen besteht der Orden der Legionäre Christi nach wie vor.

Wer dieses Lügen-System mit dem Verlust des Selbst nicht mitmachen will und noch jung genug ist, andere berufliche Perspektiven sich zu erarbeiten, der verlässt diesen verlogenen Club. Dieser Schritt ermöglicht Freiheit und Selbstsein.

4.

Ich habe in einem früheren Beitrag, klicken Sie hier, ansatzweise einige wenige Elemente genannt, wie stark sich Homosexuelle dann doch in der römischen Hierarchie festsetzten und Karriere machten. Ich habe einige Namen Verstorbenen genannt. Sie lebten unter der einen Bedingung: Immer gegen Homosexuelle predigen … und sie möglicherweise schädigen.

5.

Es wird oft gesagt, Papst Franziskus sei ein bisschen aufgeschlossener in der Akzeptanz von Homosexuellen im allgemeinen und homosexuellen Klerikern im Besonderen. Man sagt dann: Papst Franziskus könne sich nur nicht durchsetzen, weil die afrikanischen Katholiken (und ihre Bischöfe) und viele in Asien eben homo-feindlich seien. Diese Katholiken folgen dabei auch den Missionspredigten der Europäer, die ihnen im 19. Und 20. Jahrhundert der Lehre getreu einredeten: Homosexualität ist Sünde. Diese Lehre wird ja noch im offiziellen Katechismus der Katholischen Kirche (1993) verbreitet. Man sagt also dann: Papst Franziskus will doch die angebliche Einheit der einen römischen Kirche nicht aufs Spiel setzen.

Tatsache ist: Dieses Argument ist eine Ausrede. Wenn ein Papst wirklich etwas als für ihn richtig erkannt hat, setzt er dies auch durch. Und selbst wenn sich eine afrikanisch-katholische-antihomo Kirche von Rom abspaltet: Was wäre dann so schlimm? Die viel beschworene Einheit der römischen Kirche ist ja ohnehin nur eine Behauptung und, schon wieder, eine Lüge. Sollen die katholischen Afrikaner doch antihomo bleiben und sehen, wie sie damit zurecht kommen. Für Europa wäre diese Spaltung ein Signal für einen progressiven, vernünftigen Aufbruch. Die viel beschworene Einheit in der ganzen Weltkirche (1,3 Milliarden Mitglieder) besteht ohnehin nicht.

Natürlich kann man das Insistieren auf der Normalität der Homosexualität durch Europäer gleich wieder als europäische Überheblichkeit (als neuen Kolonialismus) kritisieren. Aber es ist eine Tatsache: Bestimmte Erkenntnisse zur Menschenwürde aller Menschen haben nichts mit regionalen, europäischen Herkünften zu tun. Die Gleichberechtigung homosexueller Menschen ist ein Fakt, ebenso die Tatsache: Homosexualität ist eine normale Variante des sexuellen Lebens. Da ist es egal, ob diese Erkenntnis einmal in Frankreich oder in Sri Lanka oder Burundi entstanden ist. Sie ist wahr, unabhängig von der Herkunft und sie ist trotzdem universal gültig.

Wenn also der § 175 heute noch fortbesteht in Europa, dann in der weltweiten römischen Kirche. Wer spricht noch darüber? Wer klagt die Kirche wegen der Verletzung der Menschenrechte an? Diese Kirche zwingt zum Verleugnen und verhängt Berufsverbote für Männer, die sich outen und bestraft immer noch jene, die oft als Priester oder Bischöfe sich outen, dann bestraft werden und ins oft ärmliche bürgerliche Leben zurückkehren.

6.

Ein großer Skandal ist, dass die deutsche Rechtssprechung den absurden Sondergesetzen der römischen Kirche folgt, und eben Entlassungen von homosexuellen Priestern und Laien-Theologen normal und rechtlich in Ordnung findet, wenn diese die „Sünde“ begehen, sich zu outen oder mit dem Partner eine feste Verbindung einzugehen.

7.

Nebenbei: Mich persönlich freut es, dass es eine undogmatische und freisinnige protestantische Kirche gibt, die sozusagen völlig normal homosexuelle Menschen als solche, aber eben als normale Menschen wie alle anderen, als Mitglieder oder als Pastoren willkommen heißt, und die, wenn gewünscht, nun schon seit 1987 auch eine Ehe-Segnung vollzieht. Es sind die Remonstranten in Holland.

Zur Lektüre wird empfohlen: Krzysztof Charamsa, Der erste Stein. Als homosexueller Priester gegen die Heuchelei der katholischen Kirche. Bertelsmann Verlag, 2017.

Copyright: Christian Modehn, Berlin.

 

Benedikt der Sechszehnte wird neunzig: Der konservative „EX-Papst“ im Hintergrund.

Joseph Ratzinger, Benedikt XVI., wird am 16. April 2017 90 Jahre alt

Hinweise von Christian Modehn

Der Chefredakteur der Zeitschrift „Stimmen der Zeit“ (München), der Jesuiten Theologe Andreas Batlogg, hat nach dem Erscheinen des Interviewbuches mit Joseph Ratzinger (Ex-Papst Benedikt XVI.) recht mutig im Deutschlandfunk (9.9.2016) gesagt: Das neue gemeinsame Buch mit Peter Seewald „Letzte Gespräche“ (erschienen im September 2016) „dürfte es eigentlich nicht geben“. Es sei stillos, wenn Ratzinger den gegenwärtigen wirklichen und wirkenden Papst Franziskus „in diesem Buch kommentiere“. So werde der Eindruck geweckt, Joseph Ratzinger sei doch noch irgendwie als Papst tätig… Dabei hatte er versprochen, nach seiner Abdankung (am 28.2.2013) zu schweigen. Aber wer einige Meter vom tatsächlichen Papst entfernt wohnt und nicht etwa im bayerischen „Gnaden“-Ort Altötting, der beobachtet alles, hört alles und redet auch mal wieder, um seine bekannten, mindestens sehr konservativ zu nennenden theologischen Meinungen zu verbreiten.

Pater Batlogg sagte in der Ra­dio­sen­dung: „Ich denke Benedikt ist sich treu geblieben. Er ist sich treu geblieben, ich bin da (in dem Buch, CM) Feindbildern und Klischees begegnet, die ich aus den 70er Jahren kenne… Ich merke, da hat er Feindbilder, die er über Jahrzehnte behalten hat, und jetzt, wo er wieder viel fitter ist als bei seinem Rücktritt im Februar 2013, da kommen diese Dinge wieder. Ich denke er schadet sich damit selbst“.

Wohl wahr… Aber diese Worte des EX – Papstes helfen auch all den vielen Prälaten, Kardinälen und reaktionären “neuen” geistlichen Gemeinschaften usw., die ihm, dem Benedikt, verbunden sind und förmlich darauf warten, dass der „alte Geist, der Ratzinger- Geist“, wieder herrscht. Solches freut doch den munteren Ex-Papst. Noch nie wurde wohl von Konservativen bzw. reaktionären Katholiken das Verschwinden eines Papstes so ersehnt wie das Ende von Papst Franziskus. Es gibt bekanntlich Bücher katholischer Journalisten, die den Hass auf Papst Franziskus dokumentieren, wie etwa „Les ennemis du Pape“ (Bayard Presse, Paris, 2016. „Die Feinde des Papstes”. Mit dem tatsächlichen Untertitel: “Über jene, die seinen Tod wollen“; Autor ist der sehr katholische Journalist Nello Scavo. Es werden bald Studien erscheinen, warum wohl Papst Franziskus bei Begegnungen mit ihm Wohlgesinnten immer wieder diese förmlich anflehte: “Betet für mich“. Diese permanente Häufung von Gebets-Wünschen lässt auch Böses ahnen…

Nun wird Joseph Ratzinger am 16. April 2017 90 Jahre alt. Uns interessiert nicht so sehr, ob irgendwelche lieben Domspatzen oder Altöttinger Liebfrauen-Brüder ihn beehren werden und bayerische Schweine-Schmankerl mitbringen.

Wir entsprechen nur den Nachfragen einiger LeserInnen dieser Website: Sie baten darum, noch einmal einige zentrale Texte aus unseren Forschungen zu Ratzinger zugänglich zu machen. Dabei ist für mich keine Vollständigkeit erreichbar. Etwa die Themen “Unterdrückung der Kenntnis und der Bestrafung sexueller Täter in der Zeit von Ratzingers Tätigkeit als oberster Glaubenschef in Rom” werden nicht erwähnt, das haben andere schon getan. Im Rahmen unserer Forschungen zu dem entsprechend belasteten Orden der „Legionäre Christi“ wurde hingegen oft von Ratzinger/Benedikt XVI. gesprochen.

Tatsache ist und die ist wichtig für die Geschichte der katholischen Religion: Unter Benedikt XVI. wurde die traditionelle Kirche, ganz auf den zölibatären Klerus fixiert, weiter gestärkt. Mit all den katastrophalen Folgen durch Priestermangel in den europäischen und nordamerikanischen Gemeinden. Tatsache ist weiter, dass dieser Papst die evangelischen Kirchen nie als Kirchen anerkannt hat. Hingegen schwadronierte Benedikt XVI. von einer Versöhnung mit den, Verzeihung, theologisch weithin verkalkten und oft korrupten orthodoxen Staatskirchen. Wer will mit Putin-Patriarchen und Bischöfen schon „eins“ werden und im uralten, dort üblichen Kirchenslawisch Gesänge schmettern?

Es werden hier also nur einige Beispiele, seit 1968, und einige Grundhaltungen des Theologen Ratzinger aufgezeigt, die er als Papst nicht aufgeben wollte und konnte. Ratzinger hatte ja bekanntlich seine private Theologie als DIE Theologie des Katholizismus vertreten und mit Gewalt verteidigt und durchgesetzt. Ihn inspirierte völlig der Kirchenvater Augustinus (gestorben 430) und eben nicht Karl Rahner oder Hans Küng.

Zu einem längeren biographischen Hinweis zur politischen Rechtslastigkeit Ratzingers seit 1968 klicken Sie hier.

Zum Widerspruch Benedikts gegen Formen des so genannten Relativismus klicken Sie hier.

Zu seiner Ehelehre und der Zurückweisung jeglicher Homo-Ehe klicken Sie hier.

Zu dem merkwürdigen Phänomen der ins Idolatrie abgleitenden Papsthymnen bei seinem Besuch in Mexiko klicken Sie hier.

Die Versöhnung mit den reaktionären Pius-Brüdern (gegründet von Erzbischof Marcel Lefèbvre) ist sicher eine der schwer wiegendsten Entscheidungen Benedikt XVI., sie zeigt wohl auch seine versteckten und unausgesprochenen Sympathien für diese angeblich so treu ergebenen katholischen Kreise… Über die so gütigen, verständnisvollen Bemühungen Ratzingers/Benedikt XVI., mit diesen auch politisch reaktionären, oft dem FN nahe stehenden traditionalistischen Kreisen (in Frankreich) zu einer Versöhnung zu kommen, wird in dem Bericht zur politischen Rechtslastigkeit Ratzingers gesprochen. Besonders die Affäre um den FN –Freund Abt Calvet von Le Barroux ist unvergessen: Dieses traditionalistische Benediktinerkloster versöhnte sich mit dem Papst, durfte aber die eigene reaktionäre Theologie und Politik ungebrochen fortsetzen. Calvet war ein Freund des Pétain Anhängers und Nazis Paul Touvier….Der Abt zeigte sich verständnisvoll für die Brandstifter, die das Kino “St. Michel” in Paris 1988 anzündeten, als dort der Scorsese Film „La dernière tentation de Jésus“ gezeigt wurde. Die Brandstifter machten übrigens ihre Exerzitien in seinem Kloster. Diese Versöhnung mit Le Barroux und weiteren reaktionären Klöstern ist eine der ganz dunklen Seiten in der Theologie und Kirchenpolitik Ratzingers. Über sie wird kaum noch gesprochen. Die Versöhnung mit dem Papst wurde im Kloster “Le Barroux” übrigens groß gefeiert, Kardinal Mayer OSB reiste aus Rom eigens an und feierte die Messe mit vielen rechtsextremen Frommen, wie etwa Bernard Anthony vom FN und dem Chefredakteur der FN Zeitung „Présent“ Jean Madiran. Ratzinger jedenfalls meinte unschuldig und nach außen naiv: „Die traditionalistische Messe auf Latein (d.h. der Priester spricht still seine Texte vor sich hin, mit dem Rücken zum schweigenden, bzw. den Rosenkranz betenden Volk,CM) ist ein Bollwerk für den Glauben“ (Viele Details sind nachzulesen in der wichtigen Studie „Des Intégristes très intégrés“ in: Les Dossiers du Canard, “Les Cathocrates”, Paris 1990, Seite 20 f.).

Zu Abt Dom Gérard einige Hinweise sogar auf Englisch vom Kloster selbst: https://www.barroux.org/en/nos-fondateurs-articles/dom-gerard-en.html

Ein eigenes Thema wäre: Wie betreibt Papst Franziskus die weitere Versöhnung mit den Pius-Brüdern? Manche kundigen Beobachter sagen: Die Versöhnung steht bevor. Warum wohl? Weil diese Piusbrüder eben viele junge Priester haben. Die sind ja absoluter Mittelpunkt im katholischen Denken! „Der Klerus muss herrschen“. Das ist die selten besprochene, aber tatsächlich wichtigste Botschaft des Vatikans im Reformationsgedenken 2017.

Copyright: Christian Modehn Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

 

Das neue Buch von Jörg Lauster: „Der ewige Protest. Reformation als Prinzip“.

Ein interessantes Exempel: Die „Liberale Theologie“ und Martin Luther:

Ein Hinweis von Christian Modehn, veröffentlicht am 20.3. 2017

Das Buch ist vom Format her klein, vom Inhalt her groß. Denn es bietet einige entscheidende und für viele sicher neue Anregungen, Luther und das Reformationsgedenken 2017, aus einer bisher kaum beachteten theologischen (nicht so sehr historischen) Perspektive zu sehen bzw. zu kritisieren. Jörg Lauster, Theologie – Professor an der Uni in München, ist der liberalen protestantischen Theologie explizit verpflichtet, einer Perspektive also, die auch für unseren Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin wichtig ist. Die zahlreichen regelmäßigen Interviews auf unserer website mit dem ebenfalls „liberalen Theologen“ Prof. Wilhelm Gräb, Humboldt Uni Berlin, sind dafür nur ein deutlicher Beleg, siehe etwa das Interview über die theologischen Grenzen des Kirchentages 2017, klicken Sie hier.

Jörg Lauster geht zurecht davon aus: „Luther war ein Kind einer uns sehr fernen und darum fremden Zeit…. Deswegen ist “Reformation Licht, aber auch Schatten“ (31).

Nur eine „denkende Frömmigkeit und Mut zum Gestaltwandel“ helfen weiter. Das sind keine frommen Sprüche, sondern sie führen zu konkreten Einsichten: Gültig ist der Impuls Luthers: Die Kirche als Institution darf niemals im Mittelpunkt des Glaubens des einzelnen stehen. „Christentum ist mehr als seine kirchlich sichtbaren Erscheinungsformen“ (35). Auch eine gewisse Deskralisierung der religiösen Welterfahrung kann als Folge der Reformation gedeutet werden. Das kritische Denken und die Errungenschaften der Philosophie der Aufklärung gehören wesentlich zum Leben liberal-protestantischen Glaubens. Nur kurz spricht Jörg Lauster ein Problem an, wenn er sagt: „Der Neuprotestantismus weiss sich ebenso der Aufklärung UND der Reomantik verpflichtet, um die Idee eines modernen Christentums realisieren zu können. Wie Aufklärung UND Romantik zusammengehen können, sollte in einer 2. Auflage näher erklärt werden.

Bedauerlich bleibt Luthers Abwehr des Humanismus (und der Philosophie, muss man ergänzen). So bleibt die lutherische Reformation „in ihrem Aufbruch auf halbem Wege stehen“ (29).

Leitend ist für Lauster die Erkenntnis: Die Reformation darf nicht (nur) als ein historisches Ereignis gedeutet werden. Reformation ist vielmehr „ein dem Christentum innewohnendes Prinzip eines ewigen Protests, der im 16. Jahrhundert zu seiner sichtbarsten Gestalt gelangte“ (34).

Von da aus ergibt sich eine Fülle von Vorschlägen für die Reformation der gegenwärtigen Kirchen. Bedauert wird ihr „Anstalts-Charakter“ (37), die Fixierung auf den Selbsterhalt der Kirchen. Der liberale Theologe weiß, dass es andere Formen des Christentums geben muss als die vertrauten und traditionellen (71), das dogmatische Katechismus – Christentum wird zurückgewiesen zugunsten der Achtsamkeit auf die je eigenen religiösen Erfahrungen. Lauster kritisiert eine gewisse Banalisierung des evangelischen Glaubens und der Kuschel-Gottesdienste; er bedauert den Mangel an umfassend kritischer theologischer Reflexion (78 f). Sehr richtig, aber leider wohl unrealistisch, ist sein Vorschlag: “Man könnte 2017 in einem feierlichen Akt den Namenstitel “lutherisch” aus der Kirchenbezeichnung streichen. Es ist dies einer der wenigen Fälle, in denen eine christliche Kirche den Namen eines Menschen trägt. ein eklatanter Widerspruch in sich selbst“ (83).

Ich meine: Viel wäre schon gewonnnen, wenn wenigstens endlich die unsäglichen Namen evangelischer Kirchengebäude verschwinden würden, wir haben schon dringend gebeten, den Namen „Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche“ oder „Kaiser Friedrich Gedächtniskirche“ (beide in Berlin) abzuschaffen, selbst auf die Gefahr hin, dass dann eine Häufung von Bonhoeffer – oder Martin Luther King – Kirchen entstände, warum nicht auch einige Oscar – Romero – Kirchen? Die Katholiken in Deutschland wagen solch einen Titel doch nicht, sollen die Protestanten doch vorangehen. Jörg Lauster hat das richtige Gespür, dass irgendetwas Symbolisch – Spektakuläres doch am 31. 10. 2017 passieren müsste: Ein Verzicht auf Kaiser Namen für Kirchen wäre das allermindeste. Wird aber auch nicht passieren, weil die beharrenden bürokratischen Kräfte zu viel Macht und zu wenig Mut haben.

Das neue Buch von Jörg Lauster sollte schnellstens in vielen Gesprächskreisen diskutiert werden. Vielleicht bietet der Verlag Mengenrabatte an? Ich wollte nur etwas die Lust an der Lektüre dieses außergewöhnlichen Buches wecken….

Bei einer zweiten Auflage würde ich mir noch die Auseinandersetzung mit der Frage wünschen: Wie kann eine liberal-theologische Deutung der Reformation auch das theologische Denken von Thomas Müntzer, dem Erzfeind Luthers, noch ausführlicher (als auf Seite 20 bzw. 28) einbeziehen? Wie also die Gott-Unmittelbarkeit des einzelnen mit der Forderung nach sozialer Gerechtigkeit und politischer Freiheit für die Ärmsten vermittelt werden kann; wie also „liberale Theologie“ und lateinamerikanische Befreiungstheologie möglicherweise nur zwei Seiten einer und derselben Thematik sind. Auch das Thema Menschenrechte könnte dann ausführlicher angesprochen werden.

Jörg Lauster, “Der ewige Protest. Reformation als Prinzip”. Claudius-Verlag, München, 2016, 142 Seiten, 12 Euro.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.