Jean-Luc Nancy: „Das Christentum hat sich von mir abgewandt. Aber die wahre Mystik blieb mir“

Der Philosoph Jean-Luc Nancy ist gestorben

Ein Hinweis von Christian Modehn

Der französische Philosoph Jean-Luc Nancy ist am 23.8.2021 im Alter von 81 Jahren gestorben, er war viele Jahre Professor in Straßburg, er ist einer der wichtigsten Philosophen unserer Gegenwart.  Sein philosophisches und literarisches Werk ist äußerst lebendig und umfangreich, mehr als 100, zum Teil viel beachtete Bücher hat Nancy publiziert. Er war auch mehrfach in Berlin zu Vorträgen und Debatten. Etliche längere Interviews auf Deutsch sind in der sehr empfehlenswerten Zeitschrift „Lettre International“ erschienen….

Dieser Hinweis ist natürlich keine „Gesamtwürdigung“ seines Werkes.  Es ist sehr komplex und zudem für „schnelle Lektüre“ ungeeignet…Das sollte aber niemanden hindern, Nancy zu studieren. Hier werden nur einige Stellungnahmen Nancys genannt werden, die in der Pariser Tageszeitung „La Croix“ kürzlich veröffentlicht wurden. Die ausgewählten Stellungnahmen beziehen sich vor allem auf das immer deutliche religiöse bzw. auch religionsphilosophische Interesse von Jean-Luc Nancy. Und das passt gut in den Schwerpunkt unseres philosophischen Salons.

1. Zur christlichen Biographie Nancys:

Im Alter von etwa 28 Jahren trennt sich Nancy vom christlichen Glauben und der katholischen Kirche, er war in der Gemeinschaft J.E.C., „Jeunesse Etudiante Chrétienne“, in der „Christlichen studierenden Jugend“, einer Organisation der katholischen Kirche, aktiv engagiert und interessiert“. (Zur J.E.C. gehörten viele Intellektuelle und Politiker, wie Francois Mitterrand, René Rémond, Georges Montaron und andere. Die J.E.C. besteht bis heute, als progressive, linke katholische Organisation). Jean-Luc Nancy: „Die Zugehörigkeit zum Christentum war für mich absolut untrennbar mit einer politischen und sozialen Vision. Wir waren in der JEC sehr engagiert zugunsten der Demokratisierung des Unterrichts und der Ausbildung. Ich war Christ, ganz und gar. Aber ich muss sagen: Das Christentum hat sich von mir abgewandt, wie von einer ganzen Generation. Denn im Jahr 1957 kritisierten die französischen Bischöfe die progressive Haltung der J.E.C. Das war für mich wie ein Donnerschlag und so befreite ich mich von der Kirche, die mir als eine Gestalt des Konservativen und der Macht erschien. Diese Loslösung von der Kirche war möglich, weil ich die Philosophen Hegel, Heidegger und Derrida entdeckte. Diese Philosophen sagten mir nicht: Ich bringe dir das Heil. Aber sie ließen mich lebendig sein“.

Aber es bleibt für Nancy nach dem Abschied vom Christentum: „Etwa die Interpretation der Bibel. Ich sah, dass man förmlich bis ins Unendliche den Sinn eines Textes entdecken kann“.

2. Das andere Herz

Nancy hat oft davon gesprochen, dass ihm 1992 ein Herz transplantiert wurde, darüber hat er 2000 ein Buch geschrieben mit dem Titel „L Intrus“, „Der Eindringling“. Er wendet sich an den Menschen, der, ohne es zu wissen, ihm sein zweites Herz gegeben hat.

3. Gemeinschaft leben und Gemeinschaft denken

Ein Mittelpunkt der Philosophie Nancys steht sicher die Reflexion über die Gemeinschaft der Menschen, auch die Gleichheit der Menschen, sowie ihre Krankheiten, aktuell von ihm reflektiert das Corona-Virus. Dazu das Buch „Un trop humain virus“ 2020, erschienen in den Editions Bayard Paris. In dem Interview mit „La Croix“ spricht er über das Gesundsein heute.  „Wir leben in einer Gesellschaft, in der die Gesundheit ein wesentliches Gut ist, aber auch ein Recht. Jeder kann es fordern. Trotzdem: Die Gesundheit ist nicht die Wahrheit der Existenz…Heute ist die Gesundheit zu einer Art Selbstzweck geworden. Wozu  sollen wir denn bei guter Gesundheit sein? Für welche Ziele leben wir? Das ist nicht mehr klar.“

4. Der kulturelle Bruch

„Seit der Verkündigung des Todes Gottes durch Nietzsche sind wir in eine Epoche der Unsicherheit eingetreten. Ich denke oft an den Satz von Jean-Christophe Bailly, einem überzeugten Atheisten, der in seinem Buch „Adieu“ geschrieben hat: Der Atheismus war nicht imstande, seine eigene Wüste zu bewässern. Ich glaube, diese Diagnose ist völlig korrekt. Die moderne Zivilisation hat nichts vorgeschlagen, um die Gestalt des Gottes zu ersetzen, die ausgelöscht wurde. Ich habe die Gewissheit, dass es eine neue spirituelle Revolution geben wird, dass die Zeit dafür gekommen ist, aber das kann vielleicht noch 300 Jahre dauern.“

5. „Wir sind Kinder Gottes“?

Nancy fragt sich, was denn letztlich die Gleichheit der Menschen heute legitimieren und beweisen könnte. „Man muss anerkennen, dass wir es nicht wissen… Im Laufe unserer Geschichte wurde das Christentum wichtig…Man sagte: Man ist ein Kind Gottes, das legitimierte die Gleichheit. Aber außerhalb der Religion, wie kann man die Gleichheit denken“?

6. “Wir tappen im Dunkeln

„Aber was die Zukunft angeht, kann ich nichts voraussagen und vorschlagen. Ich tappe im Dunkeln. Trotzdem: Wenn man sich im Dunkeln befindet, ist man niemals gänzlich in der totalen Finsternis. Im „Schwarzen“ lebend, sieht man auf andere Weise, nicht durch die Augen, sondern durch andere Sinne, das hören, das tasten…

7. Was bleibt?

„Ich habe in der Philosophie Hegels so etwas wie die Wahrheit des Christentums gefunden!  Hegel ist jemand, der in der wahren Bewegung des Geistes bleibt, eines Geistes, der die Grenzen überschreitet. Wichtig ist für mich auch der Philosoph Meister Eckart. Er sagte: „Bitten wir Gott, dass er uns in der Freiheit erhält und dass wir von Gott frei werden“.  Bei der Mystik heute muss ich eine gewisse Erschöpfung feststellen, heute sind die großen Debatten über die Mystik förmlich banalisiert. Ein sehr großer Teil der Menschheit heute verlangt nach Religion, aber die Menschen begnügen sich mit groben und dummen Sprüchen, die ihnen vorgesetzt werden. Unerträglich, was man so an Predigten der Evangelikalen hört…

8. Was ist Philosophie?

“Die Philosophie ist die Arbeit des Denkens. Philosophie gehört nicht zur Ordnung eines Wissens. Sondern eher: Dazu kommen, Worte für das zu geben , was man lebt. Die Aufgabe des Denkens ist die (Wiederer)-Öffnung, das Erwachen, das Aufgreifen der dringenden Bitte um Sinn. Philosophieren beginnt da, wo der Sinn unterbrochen ist. Aber der Sinn ist nicht eine Art Lager an Bedeutungen, kein Lager der Antworten und der Erklärungen der Welt, die irgendwo niedergelegt sind und die man teilen sollte”. Nein! Das Teilen, das ist der Sinn.  (Philosophie Magazine, Paris, August 2021).

9. Und die Freude?

Die Philosophie von Nancy ist geprägt von der Freude, der Anwesenheit der Lebensfreude. „Aber Freude ist nicht Zufriedenheit. Sie ist ein Affekt des Geistes, man weiß sich über jede Zweckbestimmung Begrenzung und jede Ganzheit hinausgetragen. Was die Freude für einen Grund hat, vermag ich nicht zu sagen…in jedem Fall: Die Freude kommt immer von einem „anderswoher“ (d`ailleurs). Von anderen, nicht von mir. Von den großen Gedanken der Philosophen, der Worte der Poeten, der warmen Zuneigung der Personen, der Schönheit der Kunst und der Körper. Natürlich, diese Erfahrung der Freude ist nicht immer da. Aber wenn sie kommt, dann berührt das, dann ist das ergreifend“.

Copyright: Religionsphilosophischer Salon Berlin

Die 8. unerhörte Frage: Warum ist Verzichten heute die notwendige Lebensform für die Reichen?

Ein Hinweis von Christian Modehn.

Was bedeutet „unerhört“?
„Unerhört“ werden außerordentliche Themen genannt.
Als „unerhört“ gilt, wenn ein wahres Wort, ein vernünftiger Vorschlag, von anderen nicht gehört und nicht wahr-genommen wird, also un-erhört bleibt. Unerhörte Fragen müssen entfaltet , beschrieben werden, um ihre provokative Kraft zu bezeugen.

1.
Wie können Menschen als Bürger auf den 6. Bericht des Weltklima-Rates von August 2021 vernünftig reagieren? Es geht bei dem Thema bekanntlich nicht um Theorie, sondern um unser Erleben von Dürren und Starkregen, Überflutungen und monströsen Waldbränden, von einer rigorosen Hitzewelle im Süden Europas ganz zu schweigen.

Zunächst: Die zentrale Aussage heißt: Der Weltklimarat IPCC betont: Es wird immer schwieriger, die Erwärmung der Erde unter 2 Grad zu halten. Die Emissionen von Treibhausgasen müssen „sofort, jetzt, schnell, drastisch reduziert werden“. Es geht wirklich um das Überleben der Menschheit und um das Bewahren dessen, was der Mensch von der Natur noch übriggelassen hat. Darüber wurde seit dem berühmten Bericht des „Club of Rome“ „Grenzen des Wachstums (1972), vielfach palavert, aber relativ wenig ist geschehen.
Das Versprechen einer wirksamen Reduzierung der Treibhausgase durch demokratische Regierungen (wie in Deutschland zur Merkel-Zeit) waren eher leere Versprechen, Ankündigungen, Beruhigungspillen. Die damals genannten Klima-Ziele wurden nachweislich nicht erreicht. Die Lobby der Ignorierenden in der neoliberalen Wirtschaft hat sich durchgesetzt. Sind sie die wahren „Herren“? Bis jetzt ja.
Bei der Wahl am 26. 9.2021 sollte deswegen nur die Partei gewählt werden, die noch am deutlichsten begründet argumentiert und verspricht, sich gegen die irreversible Veränderung des Klimasystems noch einmal wirksam aufzulehnen…
2.
Die unerhörte 8. Frage gilt dem persönlichen Beitrag des einzelnen, des Bürgers. Was ist zu tun? Philosophisch, also vernünftig, steht fest: Es geht um die Wiederentdeckung dessen, was man Moral, auch politische Moral, nennt.
Ohne eine Neuorientierung des Selbst-Bewusstseins („Geistes“) eines jeden lassen sich die Kipppunkte, also die Momente irreversibler Veränderungen des Klimasystems, nicht verhindern. Die mögliche Katastrophe haben Menschen gemacht, gemacht wegen der totalen Fixierung auf das Dogma „Wirtschaftswachstum“. Es ist wahrscheinlich das einzige verbliebene wirksame Glaubensbekenntnis der Reichen in den reichen Ländern und der mit ihnen verbundenen Reichen in den armen Ländern.
Es geht philosophisch gesehen also um die Frage: Welche Tugend als Lebensform muss jetzt Denken und Handeln der der Reichen leiten? Es wäre obszön, den Hungernden in Madagaskar, Tschad oder Haiti usw. das Verzichten zu empfehlen. Oder den prekär lebenden Armen in Europa und den USA…
3.
Es geht also philosophisch gesehen um das nicht gerade sehr beliebte Wort Moral und dabei um das noch unbeliebtere Wort Verzichten. Aber vielleicht beginnen beide Begriffe zu glänzen, wenn man sich die Mühe macht, sie näher zu betrachten.
So sehr der gelegentliche Verzicht auf ein Rinder-Steak ein kurzfristig gutes Gewissen erzeugt, es geht wahrlich nicht um gut gemeinte Symbolhandlungen, es geht um die Einübung eines neuen Bewusstseins, das auch politische und ökonomische Verbesserungen gestaltet. Und dies kann nur gelingen mit dem Verzicht auf die alten ökonomischen Dogmen des bisherigen Systems.
4.
Von vornherein steht philosophisch fest: Tugend ist alles andere als etwas Verstaubtes. Man denke an die breite philosophische Literatur zur Tugend-Forschung, etwa an das wichtige, übrigens leicht nachvollziehbare empfehlenswerte Buch des Philosophen Martin Seel “111 Tugenden – 111 Laster“ (2011). Gelebte Tugenden sind die Bedingung für humane Lebensformen. Und: Tugenden sind bereits in unserem Leben „vorhanden“, wir leben sie bereits, selbst wenn sie nicht als solche von vielen benannt werden: Das gilt sogar für ein „populäres“ Beispiel: Man denke daran, dass manche Dickleibige die Tugend des Fastens (für viel Geld) in speziellen Kliniken praktizieren. Sie wollen auf Körperfülle verzichten, um besser auszusehen oder gesünder zu leben. Die Tugend des Verzichts wird also von den Reichen in den reichen Ländern und den Reichen in den armen Ländern nicht nur akzeptiert, sondern sogar geschätzt. Auf wie viele Millionen Dollar ihres Privateigentums verzichten etwa reiche US-AmerikanerInnen oder BrasilianerInnen, um das Fettabsaugen zu finanzieren oder die teuren Schönheitsoperationen? Wie gern verzichten die männlichen Fußballfans, um, selbst bei knapper Kasse, eine teure Karte im Stadion zu „ergattern“ anstatt zum Beispiel ein gutes Buch zu kaufen oder mit der Familie einen gemeinsamen Ausflug zu machen.
5.
Abgesehen von diesen alltäglichen Beispielen: Verzichten hätte alle Chancen, DIE Tugend als vernünftige Lebensform in der Gegenwart werden, um in letzter Stunde, möchte man sagen, noch die Kipppunkte zu verhindern, die zu einer irreversiblen Veränderung des Welt-Klima-Systems führen.
Es ist wichtig, bei der Reflexion aufs Verzichten als Tugend auch auf die Sprachgeschichte dieses Wortes zu achten. Verzichten bedeutet: Etwas nicht länger noch beanspruchen; nicht auf einer Sache bestehen. Einen Anspruch nicht länger geltend machen. Verzichten bedeutet: Sich lossagen, etwas aufgeben, sich von einer Angewohnheit verabschieden, etwas verlassen, aufgeben, weil der neue Ort des Lebens viel mehr Lebenssinn, und sagen wir das schwierige Wort, auch Glück, verheißt. (Diese sprachlichen Hinweise verdanke ich der Website dwds.de, Der deutsche Wortschatz)
6.
Verzichten als erfreuliches, gar nicht trauriges Abschiednehmen vom Krankmachenden und Tödlichen ist also neues Denken und auch Neues (!) Denken. Das kann bei dem einzelnen nur dann ohne eine dauerhafte Bewusstseinsspaltung gelingen, wenn diese Erkenntnis, also das neue Denken, gleichzeitig auch ins Handeln, zur politischen Praxis, führt. Und diese neue Praxis gelingt nur wirksam in Verbindung mit Gruppen (siehe als Beispiel German Watch: https://germanwatch.org/de/weitblick oder „Fridays for future“ oder „Extinction Rebellion“ etc…)
7.
Dabei hat man sich längst von dem Irrtum befreien, Verzicht sei nur Sache der frömmelnden Leute aus der Kirche(ngeschichte), die freitags kein Fleisch essen, sondern ordentlich beim Fisch zulangen. Die Mönche verzichteten in der Fastenzeit vor Ostern aufs üppige Essen, sie tranken dafür aber sehr gern selbstgebrautes Starkbier. Auch die unmenschliche Zumutung, auf Sexualität zu verzichten in der Unkultur des Zwangs-Zölibates katholischer Priester ist nicht gemeint. Verzichten wurde als eine Art persönliches Opfer kaschiert, das man aus Liebe zu Gott und der Kirche bringen muss. Aber Verzichten als erfreulicher Abschied von tödlichen Denkzwängen hat gar nichts mit einem „Sich aufopfern“ zu tun. „Weniger ist mehr“, dies wird so oft gedankenlos in banalen Situationen geplappert. „Weniger ist mehr“ ist das Leitwort von Verzichten als Abschiednehmen…
Man sieht schon, wie sehr ein heutiger Begriff des Verzichtes gegen die eher absurde Verzichts-Tradition christlicher Spiritualität argumentieren muss.
Verzichten heute bedeutet eine neue Chance für ein sinnvolles Leben im Miteinander der Menschen, die sich gegen die irreversiblen Veränderungen des Klimasystems wehren. Die gleichzeitig aber wissen, dass weitere zentrale Projekte realisiert werden müssen, etwa Respekt der Menschenrechte auch für die Armen, im eigenen Land und weltweit, also auch Umgestaltung der ökonomischen Strukturen, die es noch zulassen, dass eine winzige Minderheit von Milliardären über Unmengen von Eigentum verfügen: „Nach Zählung des Forbes-Magazins gab es im Jahr 2021 weltweit 2.755 Menschen mit einem Vermögen von mindestens einer Milliarde US-Dollar“. Das waren 660 mehr als 2020.
(Quelle: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/220002/umfrage/anzahl-der-dollar-milliardaere-weltweit/)
Und „DIE WELT“ berichtete schon 2018 eine Studie von OXFAM: „42 Milliardäre besitzen so viel wie die halbe Welt“., gemeint sind die Bewihner dieser Welt. Ich denke, wer diese Verhältnisse nicht obszön findet, hat nur ein geringes moralisches Bewusstsein. Verzichten sollen also zuerst die Milliardäre. Und man sollte nicht glauben, wenn diese Herren zehn oder hundert Millionen spenden, dann wäre dies eine „ganz tolle“ Leistung des Verzichtes…
Aber zu wirksamen Veränderungen dieser obszönen Eigentumsstruktur wird es unter den gegebenen politischen Verhältnissen in den Demokratien wohl kaum kommen. Denn: Eigentum ist den Demokraten und ihren Religionen heilig. So steht also die Tugend Verzicht geradezu hoffnungslos gegen das unumstößliche, auch religiös verbrämte Dogma „Eigentum ist heilig“.
8.
Die Menschheit lebt längst über ihre Verhältnisse, was die „Nutzung“ der Erde und der Natur angeht. Am 29. Juli 2021 war wieder einmal der sogenannte „Weltüberlastungstag“: Das bedeutet: Die Ressourcen der Erde waren an diesem Tag für das restliche Jahr 2021 (also für fünf Monate) de facto aufgebraucht: Eigentlich hätte unter der Rücksicht das Jahr 2021 zu Ende gehen müssen… Diese Tatsache aber war den TV-Nachrichten kaum 30 Sekunden wert, sie wurde sozusagen als „Vermischtes“ behandelt wie etwa der Tod eines zweitklassigen Filmstars… Am 29. Juli 2021 haben die Menschen (und das sind hier wieder vorwiegend die Reichen) mehr von der vorhandenen Natur verbraucht als die Ökosysteme der Erde in diesem Jahr noch erneuern können. Wir tun also ab August 2021 so, als hätten wir fast 2 Erden zur Verfügung, um unseren jetzigen Bedarf an Ressourcen zu befriedigen… Diese Überlastung der Welt durch extremen Konsum ist die Kehrseite der Unfähigkeit, Verzichten als politische Haltung zu praktizieren. Aus ökologischen Gründen und klimatologischen Gründen wäre eine Umkehr der Konsumhaltung, also Verzicht, als Form eines bescheidenen und solidarischen Lebensstils dringend geboten. Die grundlegende Idee der Gleichheit aller Menschen käme dann zur Geltung.
Aber was sagen rechtslastige Politiker, die dem Dogma des Neoliberalismus und des Wirtschaftswachstums absolut verpflichtet sind, wie der FDP – Chef Christian Lindner: „Ich will nicht verzichten, und ich will auch nicht, dass andere verzichten müssen. Ich will durch Technik erreichen, dass die Menschen frei leben, sich frei bewegen können.“ (Zit.: LINK https://www.deutschlandfunk.de/politik-und-verzicht-weniger-konsum-als-antwort-auf-. die.724.de.html?dram:article_id=464406)
„Frei leben“ ist das verschlüsselte ideologische Wort für das freie (egoistische) Leben der wenigen Reichen, die unter Freiheit ihren totalen Konsum verstehen…Es ist manchmal befremdlich, dass die Konsum-und Wachstumsideologie der neoliberalen Herren so selten als Gefährdung für die Menschheit und für das Fortbestehen der Welt eingeschätzt wird.
9.
Wie stehen die Chancen, dass sich Verzicht als die neue Lebensform durchsetzt? Wer ehrlich ist wird sagen: Die Chancen sind – realistisch betrachtet – sehr gering, bei den politischen Verhältnissen heute … und der bekannten Abwehr von Neuem und Richtigen unter so vielen Leuten, die nur das Heute sehen und denen die Zukunft ihrer eigenen Kinder und Enkelkinder offenbar egal ist. Das teure Fleisch, das man isst, ist meistens ungesund; die teure Luxusyacht ist überflüssig angesichts des Klimawandels; das „SUV“ Auto ist etwas völlig Verrücktes auf den engen Straßen der Großstädte, um nur davon zu sprechen. Aber an dieses verrückte Leben klammert man sich., man kann sich von diesem Lebensstil nicht verabschieden.
Ist dies die herrschende „Lebens-Philosophie“: Es ist alles langweilig, gleichgültig, es ist alles nichts, es ist nichtig, das Alles-Haben verdeckt nur diesen Zustand.
Der herrschende Nihilismus ist der größte Feind der Tugend, des sinnvollen Lebens, des Verzichts. Eher soll die Welt untergehen, als dass wir verzichten, das ist die herrschende Ideologie unserer Welt, vorwiegend. Eine Haltung, die keine moralisch-politischen Maßstäbe kennt. Politiker sprechen nicht von dieser Situation, sie sind selbst Teil dieser Welt und wollen vor allem bei Wahlen gewinnen, mit Stimmen von vielen ahnungslosen Bürgern.
10.
Eigentlich könnte man noch denken, die Kirchen wären die Orte, wo ein neuer Lebensstil eingeübt werden könnte. Aber die Kirchen sind zu sehr mit sich selbst befasst, mit ihren internen Struktur- Reförmchen und ihrem endlosen Kampf gegen sexuellen Missbrauch durch Priester oder sie bemühen sich die Tatsache zu kaschieren, dass der katholische, angeblich zölibatäre Klerus sehr bald in Europa ausgestorben sein wird. Das sind aber mit Verlaub gesagt angesichts der genannten globalen Herausforderungen der Menschheit doch wirklich nur Themen, die nur Insider interessieren. Das ist die Situation: Die breite kritische und gebildete Öffentlichkeit erwartet von den Kirchen keinen effektiven und spürbaren Beitrag zum Thema Klimawandel, auch wenn Päpste manchmal einschlägige Texte publizieren. Aber die Vielfliegerei der Bischöfe und Prälaten aus aller Welt nach Rom, zum Papst und zur zentralen Kirchenbürokratie hat ja nur wegen der Pandemie etwas abgenommen. Und der Bildungsauftrag der Kirchen in dieser Sache? Die Katholiken feiern stur und unbewegt ihre immer selben Messen, anstatt die Chance zu nützen, in ihren Sonntagsversammlungen sich mit den Menschen auszutauschen und zu verabreden über Möglichkeiten gemeinsamen Handels angesichts der genannten Katastrophen. Ja, auch dies, auch öfter mal auf die übliche, ewig gleiche Messe zu verzichten, gerade, um das religiöse Denken auch politisch zu weiten…
11.
Wer die Hoffnung auf eine Abwehr des genannten „Kipppunktes“ noch als seine Lebenspraxis bewahren will, wende sich also an politisch wache und wirksamere Organisationen…Und studiere weiter die Erkenntnisse zum wirksamen Klimaschutz, die allerorten dargestellt und auf Demos, etwa von „fridays für future“, geradezu berechtigterweise eingehämmert werden.
12.
Eine gerechte Gesellschaftsordnung, die den Namen verdient, wird ohne Auseinandersetzungen mit dem Thema Enteignungen nicht auskommen, auch die wirksame Vermögenssteuer muss diskutiert und realisiert werden sowie der dringenden Aufforderung von Politikern an die Milliardäre, um der Humanität willen auf einen Teil ihrer Milliarden zu verzichten … zugunsten der Abschaffung von Hunger und Seuchen in Afrika und zugunsten einer Gesundheitspflege und Ausbildung für alle Menschen. Das werden die Milliardäre und die multi-Millionäre nicht tun, das ist sehr wahrscheinlich. Und sie wissen dabei genau, dass sie sich mit ihrem egoistischen Wahn außerhalb jener Menschheit bewegen, die Gerechtigkeit als wesentliches und unverzichtbares Kennzeichen des Menschlichen, geltend für jeden Menschen begreift.
Trotzdem bleibt uns nichts anderes, als die Hoffnung zu pflegen, die Hoffnung, dass die Welt nicht völlig „umkippt“.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Die 6. “unerhörte Frage“: Sind Menschen bloß noch “andere Tiere”?

Von Christian Modehn.

Was bedeutet „unerhört“?
„Unerhört“ werden außerordentliche Themen genannt.
Als „unerhört“ gilt, wenn ein wahres Wort, ein vernünftiger Vorschlag, von anderen nicht gehört und nicht wahr-genommen wird, also un-erhört bleibt. Unerhörte Fragen müssen entfaltet , beschrieben werden, um ihre provokative Kraft zu bezeugen.

Ein Motto: “Denn wahrlich, der Mensch ist dem Leibe nach dem Tiere verwandt; ist er aber nicht dem Geiste nach Gott verwandt, so bleibt der Mensch ein gemeines und unedles Geschöpf. Ebenfalls wird die Seelengröße und der Glaube an die Veredlung des menschlichen Wesens zerstört” (so der Philosoph Francis Bacon, in: “Essays”, Leipzig, 4. Aufl., 1979,S. 68).

Und weiterer Hinweis zu Beginn: Diese unerhörte Frage wäre gar nicht formuliert worden, hätte nicht der australische Philosoph Singer das Thema seit langer Zeit mit aller Bravour nach vorn gebracht, so dass viele seine Thesen nachplappern. Singer hat, das ist bekannt, moralisch gesehen abartige Vorstellungen von dem Unwert bestimmter (etwa behinderter) Menschen und dem angeblichen Wert bestimmter Affen oder Schweine. Sein gefährliches Denken “geht mit der Negation der universalen Gültigkeit der Menschenrechte für Menschen einher” (Andreas Speit, Verqueres Denken, Berlin 2021, S. 210). Dieses Urteil zugunsten der universalen Menschenethik gilt, selbst wenn Singers Werk zur “Animal Liberation” manche Veganer als ihre neue Bibel betrachten. Und den Tierschutz wichtiger nehmen als den Schutz eines jeden menschlichen Wesens.

Warum sprechen heute so viele Menschen, auch Philosophen, salopp „Von Menschen und anderen Tieren“? Oder wie der „berühmte Philosoph“, Prof. Markus Gabriel sagt: “Wir als Tiere“ (S. 116, in „Zwischen Gut und Böse”, Hamburg 2021). An die unsinnigen Thesen von Peter Singer habe ich gerade oben erinnert.
Es könnnen zahllose weitere Beispiele genannt werden, wie es Mode ist, die Menschen als andere Tier zu bezeichnen, d.h. den Menschen als Menschen abzuwerten. Das ist wohl auch ein politischer Trend? Etwa Thilo Hagendorff in seinem Buch:”Was sich am Fleisch entscheidet”(Büchner -Verlag):”Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Emotionen usw. bei Tieren macht deutlich, dass nicht-menschliche den menschlichen Tieren ähnlich sind“. Und bei Sloterdijk kann man Entsprechendes finden, etwa in seiner Preisrede anläßlich der Übergabe des Helmuth Plessner Preises: “Der Mensch als Tier, dem etwas fehlt“, fasst der Tagesspiegel Sloterdijks Position zusammen. Und er selbst sagt in dem Vortrag nach bekannter Manier sich nicht festlegend und schwankend:”Der Mensch ist eine Randexistenz der Tierwelt”.

1.
So sehr ich selbstverständlich weiß, dass Menschen innerhalb der Evolution entstanden sind und dass Menschen auch animalische (d.h. oft: brutale) Tendenzen haben. Und ich weiß auch: Hundefreunde tun alles für ihren „Liebsten“ und meinen zu sehen, wie er sich freut, anhänglich ist usw. Aber ist das Hunde – Verhalten Ausdruck ihrer vermuteten Freiheit oder gar Liebe? Gewiss nicht, es ist Ausdruck für die Dressur, die seinem Hunde-Wesen entspricht…
Mir scheint es sehr problematisch zu sein, immer wieder, sich den Naturwissenschaften offenbar anbiedernd, von „Menschen und anderen Tieren“ zu sprechen oder bekenntnismäßig zu sagen „Wir als Tiere“.
Welche Interessen stehen dahinter, den Menschen als Tier zu bezeichnen, ihn in die Tierwelt (des Unvernünftigen, vielleicht Dressierten) einzuordnen?
Polemisch gefragt: Wie viele Mücken haben Konzerte komponiert, wie viele Hyänen haben Romane geschrieben, wie viele Löwen gastronomische Leistungen vollbracht, wie viele Eulenhaben von Mystik gesprochen?
Könnte man den Freunden der Behauptung „Menschen und andere Tiere“ eine Freude machen, wenn man ihren Satz einfach umdreht und sagt: “Tiere und andere Menschen“? Oder sogar: „Tiere sind doch auch (nur) Menschen“. Vielleicht stimmen sie dem zu. Manche sind, so sagte meine Mutter, im Blick auf in Hunde verliebte Hundefreunde: „Diese Leute sind auf den Hund gekommen“. Sie können einem vielleicht leidtun, weil sie keine Menschen gefunden haben, die sie lieben können.
2.
Ich verstehe den philosophischen Kontext im Hintergrund dieser modischen Thesen, es ist die Abwehr von einer rein aufs Geistige zielende Definition des Menschen. Bloß weil die Menschen als Geistwesen/Vernunftwesen de facto so viel Unsinn und Verbrechen begangen haben und begehen, gibt es trotzdem keinen Grund, dem Menschen innerhalb der Natur und der Evolution eine besondere Stellung abzusprechen, die durch Geist und Vernunft als „typische Unterscheidung“ gekennzeichnet ist. Oder wollen wir einem unfähigen und trägen Politiker die Entschuldigung abnehmen: „Ich war eben beim Schutz der Umwelt oder beim kritischen Umgang mit Lobbyisten einfach nur faul wie ein Schwein“?
Wenn ich mich also gegen diese Thesen wehre, will ich nicht wieder die totale Herrscherrolle des Menschen bzw. des Mannes herausstellen. Ich will nur an die Erkenntnis erinnern: Ein Tier hat als Tier keine Vernunft und damit auch keine Freiheit. Das diskriminiert die Tiere ganz und gar nicht, es ist eine artgerechte Beschreibung ihres tierischen Wesens. Wir sollten unsere lieben Tiere (lieb sind alle, siehe Haie) nicht als mögliche Vernunftwesen überfordern. T. Viele Tiere behandeln wir als Fleischfresser nach wie vor brutal wie Sachobjekte in der üblichen Massentierhaltung. Wenn man das bedenkt, ist diese Rede von „Wir als Tiere“ nichts als modisches, ein bisschen modische Geschwätz.
3.
Reden wir also vom Menschen als dem Wesen der Freiheit, der Mensch, der noch die Klimakatstrophe etwas einschränken kann oder der das Massensterben in den Hungerregionen überwinden könnte, wenn er nur will. Tiere würden nicht einmal auf solche Gedanken kommen…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

60 Jahre Berliner Mauer am 13. August…Und Mauern entstehen allerorten.

Ein Hinweis zum „Mauerbau-Jubiläum” am 13. August 2021.
Von Christian Modehn

1.
„Fast alle haben heute die Absicht, Mauern zu errichten“. Wenn Walter Ulbricht (SED) noch lebte, würde er seine altbekannte Lüge „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“ (mitgeteilt am 15.6.1961, also knapp zwei Monate vor dem Bau der Berliner Mauer) verändern. Und ausnahmsweise kritisch und richtig sagen: “Fast alle haben heute die Absicht, Mauern zu errichten“. Und Ulbricht hätte ausnahmsweise recht!
2.
Ohne Ironie: Dieser Satz ist der nüchterne Befund derer, die auf die sozialen Verhältnisse in ihrem eigenen Land schauen wie auf die soziale Ungleichheit weltweit oder speziell auf die unüberwindlichen Abgrenzungen, was Berufswahl und Karriere für Arme angeht oder auch, was die Wohnverhältnisse betrifft. In zentralen Lagen deutscher Städte, wie München, Frankfurt, Berlin, Hamburg kann kein „Normalverdienender“ mehr wohnen und leben. Ganze Innenstadt-Bezirke errichten immer höhere (unsichtbare) Mauern in den Städten. Und die demokratischen Regierungen sehen dem machtlos zu, sehen zu, wie es Massen von Vertriebenen gibt, vertrieben von international agierenden Spekulanten. Mauern unter den „gleichen Bürgern“ werden errichtet.
3.
„Gated communities“ („geschlossene Wohnanlagen“) sind jetzt nicht mehr nur die mit Mauern und Wachpersonal behüteten Wohnquartiere der Millionäre und Millionäre in Californien oder Brasilien, gated communties sind schon längst auf andere, nicht sofort erkennbare Art bestimmend, etwa für die größten Teile der Innenstädte von London, Amsterdam und Paris (durchschnittlicher Preis für einen Quadratmeter Eigentumswohnung etwa in der Nähe des Pariser Rathauses, also im 4. Arrondissement, ca. 14.000 Euro).
4.
Unsere Welt ist heute nicht nur von Grenzen, oft für viele nicht passierbar, durchzogen, sondern von Mauern: Das sind jene materiellen oder virtuellen massiven Abwehrsysteme, um in einer sozial gespaltenen Welt die „anderen“, die „Störenden“, die „Benachteiligten“ von den Reichen auszuschließen. Bestes Beispiel ist die Abwehr von Flüchtlingen im Mittelmeer. Um Walter Ulbrichts Wort zu variieren: Da hat die ganze EU-Mauern errichtet, mit abwehrenden Wächtern, die sogar bereit sind, Flüchtlinge ertrinken zu lassen. Grenztruppen also, bekannt aus der DDR. Auf diesem Ulbricht – Niveau ist Europa (E.U.) wieder angekommen. Und selbst die heftigsten und störrischsten „Grenzer“, wie Herr Orban in Ungarn, können ungestört antihuman walten und empfangen dickes Geld von der E.U.
Das heißt ja nicht, dass es keine Grenzen geben sollte, aber sie sollten keine unüberwindbaren Mauern sein, sondern durchlässig, vor allem für Hilfesuchende. Wie viele Menschenleben hätten gerettet werden können, wenn die europäischen und amerikanischen Staaten bedrohte Juden ab 1933 aufgenommen hätten. Walter Benjamin hätte noch glückliche Jahre erlebt…
5.
Also bitte kein Jubel am 13. August 2021 mit dem Motto: Die Mauer ist weg. Ja, die Berliner Mauer ist als materielle Gegebenheit fast ganz verschwunden, aber wo sind die Mauern heute? Da ist die Liste, siehe oben schon begonnen, endlos lang.
7.
Ich nenne nur die „Mauer in den Köpfen“, wie ein Bonmot sagt, also den Beton im Kopf, der kritisches Nachdenken im einzelnen Menschen verhindert. Wer hat der Beton in die meisten Köpfe gesteckt? Es waren und es sind die Macher von menschenfeindlichen Ideologien, von Rassismus, Antisemitismus, Homophobie, Antifeminismus, die Feinde der Demokratie und der universal geltenden Menschenrechte und so weiter. Sie sind die Mauer-Bauer in den Köpfen. Weil die Köpfe so vieler leer waren oder keine Widerstandsreserven gegen den Wahn hatten, konnten sie von ideologischen Machthabern gefüllt werden. Wer wohl diese ideologischen Machthaber sind? Sie agieren oft eher anonym, hinter den Kulissen der angeblich hilflosen Regierungen, also etwa die Neoliberalen, jeder und jede kann weitere ideologische Beton-Mischer und Mauer-Bauer finden…
8.
In unserer Sicht ist es besonders tragisch, dass die christliche Religion, die vom Kern ihrer Botschaft Nächstenliebe predigt und leben will, also alles gegen Mauern haben sollte, dass diese Religion selbst Mauern baut. Das gilt für viele fundamentalistische Kirchen, wie für viele Evangelikale und Pfingstkirchen, das gilt für den immer noch dogmatisch erstarrten offiziellen Katholizismus. Der Vatikan ist bekanntlich von hohen und meterdicken Mauern umgeben. Ein Symbol! Vom Betongeist islamistischer Fundamentalisten wäre zu sprechen oder dem der Ultra-Orthodoxen in der russischen Putin -Kirche oder in Israel oder im Hinduismus usw…
9.
Religionen als Institutionen sind Mauer-Institutionen, sie lieben die Mauern, die streng bewachten Grenzen, in denen es nur Freunde oder Feinde gibt.
10.
Wer kann Mauern einreißen: Der kritische Geist der reflektierenden Vernunft im einzelnen. Und die einzelnen können sich zum spirituellen und politischen Überleben Organisationen und Gruppen suchen, die dem Wahn der Mauern Widerstand leisten und versuchen ,diese einzureißen…
11.
Eine Anregung:
Die Gruppen des kritischen Katholizismus (mit ihrem „Synodalen Weg“ jetzt) werden an den „Mauern des Vatikans“ selbstverständlich wieder scheitern, wie so viele ähnliche Projekte zuvor … und sich dann auf die Suche nach ihrer verlorenen Lebens-Zeit begeben.
Wie wäre es, wenn diese Katholiken sich von dem Modell der Aktionen des „Zentrums für politische Schönheit“ (Berlin) inspirieren ließen. Sie könnten in einer wohl geplanten Aktion an vielen Stellen die hohen Mauern des Vatikan-Staates erklimmen und schließlich hoffentlich unbemerkt überwinden. Die Reformer landen förmlich auf den Schreibtischen der Prälaten und Kardinäle… Das wäre ein politisch-theologischer Symbolakt, der mehr gedanklich bewirken könnte und langfristig im Gedächtnis bliebe als die ewigen, aber hoffnungslosen Debatten über die Reform der eingemauerten römischen Kirche.

Zur Vertiefung: Hohe Mauern sperren den Vatikan ein, das Zentrum der römisch-katholischen Kirche LINK

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Armin Laschet, ein katholischer Politiker und Opus-Dei-Versteher…

Ein Hinweis von Christian Modehn, veröffentlicht am 6.2.2021.

Am 12.9.2021 diese Ergänzung zu den unanständigen und würdelosen Äußerungen Laschets auf dem CSU Parteitag: LINK:

Am 12.8.2021 diese Ergänzung:

Die SPD hat in einem Wahl-Spot auf die spirituellen-politischen Hintergründe von Laschets engstem Mitareiter Nathanel Liminski hingewiesen (Belege dafür weiter unten).
Dieser Hinweis auf religions-politische Verflechtungen Liminskis mit äußerst konservativen katholischen Bewegungen löste einen heftigen Druck katholischerseits (auch vom ZK der Katholiken) auf diesen SPD Wahl-Spot aus. Der Werbespot wurde von der SPD gehorsam zurückgezogen. Man will es sich nicht mit dem katholischen “Volk” nicht verderben.
Dieser Rückzug der SPD erstaunt. Man stelle sich vor, wie dankbar auch die katholische Öffentlichkeit gewesen wäre, hätte man bei einem der engsten Mitarbeiter eines muslimischen Politikers in Deutschland Verbindungen zu fundamentalistischen muslimischen Kreisen nach gewiesen. Alle wären dankbar über so viel Aufklärung gewesen.
Nur im Fall eines führenden katholischen Politikers und Opus Dei Verstehers verhält es sich anders. Hätte doch der Herr Liminski öffentlich erklären können, dass er jetzt ganz und gar nicht mit den reaktionär-katholischen Kreisen zu tun hat. Hat er aber nicht gemacht. Also, Schlussfolgerung, steht er Herr Limiinski diesen Kreisen immer noch sehr nahe.

Am 15.7.2021 diese Ergänzung: Uns freut es sehr, dass unser kritischer Hinweis zum Kanzlerkandidaten der CDU, Armin Laschet, verfasst Anfang Februar 2021, viele tausend Klicker und hoffentlich Leser gefunden hat. Und wir hoffen, dass auf diese Weise ein kleiner Beitrag geleistet wird, dass Deutschland und der Welt Armin Laschet als Kanzler erspart bleibt!
Dass Laschet jetzt mit seinen Sprüchen (“Leistung muss sich lohnen”) immer mehr ins FDP-Milieu abdriftet, macht unser Thema noch aktueller: Denn offenbar hat der Katholik und Opus-Dei-Freund Laschet mit katholischer Soziallehre nicht allzu viel im Sinn, trotz seines großen Helfers und Beraters, des “strammen” konservativen Katholiken Nathanael Liminski.

Der Pressedienst queer.de berichtet am 12.7.2021 über eine denkwürdige Zusammenarbeit von Ministerpräsident Laschet mit dem de facto homophoben und ausländerfeindlichen Verein “DEMO FÜR ALLE”, der nun offensichtlich auf Betreiben des katholischen Poltikers Laschet und seines engsten Mitarbeiters Nathanel Liminski in den Rundfunkrat des WDR gehieft wurde. Liminski stammt aus einer Familie mit 10 Kindern, für die sich der Verein explizit einsetzt. Interessant ist, dass der katholische Politologe Manfred Spieker in diesem Verein “DEMO FÜR ALLE” führend aktiv ist … und Spieker ist zudem Mitglied des Opus Dei und Autor der katholischen Monatszeitschrift “Herder-Korrespondenz”. LINK
Kenner wissen natürlich, dass der Titel “Demo für alle” dem Vorbild des reaktionären Flügels im französischen Katholizismus folgt. Dort gabe es 2013 Demonstrationen gegen das Gesetz “Ehe für alle”, diese Demos, genderfeindlich und homophob und klerikal, hieß “Manif pour tous”, die “Demo für alle.”

1.
Für Armin Laschet, den CDU Vorsitzenden, ist „C“ wohl eher ein „K“ im Sinne von „Katholisch“, und zwar deutlich konservativ katholisch. Doppel „K“, KKDU also. Wir werden sehen, falls Laschet denn Kanzler wird, was nicht auszuschließen ist, welche Minister er einstellt, etwas liberale und etwas links Denkende werden es sicher nicht sein. Dafür wird schon sein engster Mitarbeiter sorgen, Nathanael Liminksi, jetzt noch in Düsseldorf. Er gehört zum sehr konservativen, man möchte sagen militanten Flügel im deutschen Katholizismus und der CDU. Dies muss wohl so sein, bei dem überaus katholisch-eifrigen Vater Jürgen Liminski, der ganz offen dem Geheimclub „Opus Dei“ angehört und für die sehr rechtslastige Zeitung „Junge Freiheit“ über Catholica schreibt oder die reaktionäre Kirchenzeitung “DER FELS”. Es wird sich zeigen, ob Nathanael Liminski dann seinem Vater folgt und die „Neue Rechte“ unter Laschet als Kanzler durchsetzt…

2.
Dass Armin Laschet aus einem tiefen katholischen Milieu in Aachen stammt, ist bei vielen Bürgern eher „im allgemeinen“ etwas bekannt.

3.
Es lohnt sich aber für alle Interessierten, zum Thema „Der Katholik Armin Laschet“ Details zu studieren, freizulegen und öffentlich zu machen. Hier nur ein erster Ansatz, der von Journalisten fortgesetzt werden sollte, die noch ein Interesse an Recherche und Investigation bewahrt haben.

4.
Der „Religionsphilosophische Salon“ muss sich mit diesem Thema („Laschet“) befassen, weil Religionskritik zweifelsfrei zum Kern der Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie gehört.Und Religionskritik muss immer auch bezogen sein auf aktuelle Ereignisse, genau dann, wenn ein mit dem sehr konservativen katholischen Milieu verbundener Politiker, wie Herr Laschet, immer mächtiger wird…

5.
Armin Laschet wurde 1961 in der Nähe von Aachen als Sohn eines Steigers geboren. Über den Katholizismus von Laschets Jugend schreibt „Die Welt“: „Forscht man in der frühen Lebenswelt Laschets nach, meint man schnell, sich in einem Roman von Heinrich Böll zu befinden: überlebensgroß die Kirche, überlebensgroß die Herren Honoratioren, viel Klüngel, viel Chuzpe und Schlitzohrigkeit. Sowie jede Menge Doppelmoral“. (Beitrag von Thomas Schmidt am 30.1.2021, https://www.welt.de/debatte/kommentare/article225280253/Armin-Laschet-rheinischer-Katholik-und-sanfter-Reformer.html

Armin Laschet heiratet Susanne Malangré, ihr Vater ist Heinz Malangré. Laschets Schwiegervater arbeitet u.a. als geschäftsführender Gesellschafter im katholischem „Einhard-Verlag“. Für ihn wird Laschet tätig. Der Verlag besteht bis heute, er gibt u.a. die katholische Kirchenzeitung fürs Bistum Aachen heraus.
Heinz Malangré, Laschets Schwiegervater, war u.a.auch Vorsitzender des „Diözesanrates im Bistum Aachen“, er förderte Sozialprojekte im so genannten „Heiligen Land“ und wurde durch Kardinal Jaeger, Paderborn, innerhalb des von Laien wie Priestern geprägten „Ritterorden vom Heiligen Grab zu Jerusalem“, zum „Großkreuzritter“ ernannt.
Zu Kardinal Jaeger und dem „Ritterorden“ ist wichtig zu wissen: Jaeger leitete im November 1954 die erste Zusammenkunft aller deutschsprachigen „Statthaltereien“ der Grabesritter in Oberwald/St. Gallen. Während einer “Investiturfeierfeier“ sagte der Kardinal: „Die Spielregeln der Demokratie haben das Denken weithin verbogen.“ Es brauche „eine religiöse Führerschaft, die sich den ewigen Wahrheiten verschrieben hat.“ In der Abendländischen Aktion, die der konservativen “Abendländischen Bewegung“ nahestand, hatte Jaeger als Mitglied des Kuratoriums eine maßgebliche Funktion. (Quelle: https.//de.wikipedia.org.wiki/Lorenz_Jaeger. Zur Nazi- Vergangenheit des Kardinals und Kreuzritters hat Peter Bürger publiziert.)

6.
Schwiegervater Heinz ist der Bruder von Kurt Malangré, Rechtsanwalt, der von 1973 bis 1989 (!) Bürgermeister in Aachen war. Und, das ist entscheidend: Von Kurt Malangré gibt das Opus Dei Deutschland in seltener Offenheit zu: Der Oberbürgermeister war seit 1955 (!) hochrangiges Mitglied des Opus Dei. Mit salbungsvollen Worten erinnert das Opus Dei an ihr prominentes Mitglied Kurt Malangré, der die Ehre hatte, sogar noch den inzwischen heilig gesprochenen Gründer dieses Geheimclubs, den „Vater“, Josefmaria Escrivá, persönlich zu sprechen. Und der gab fromme Wünsche, man sage Floskeln, weiter an die damals leidende Gattin Malangrés…
LINK https://opusdei.org/de-de/article/kurt-malangre-ist-mit-84-jahren-verstorben/

7.
Der weltweit agierende Opus Dei Geheimbund (ca. 80.000 Mitglieder) mit seiner reaktionären Theologie sowie das „Ritterliche“ der Ritterorden spielen eine Rolle in der Spiritualität des Herrn Laschet.
Anläßlich des Rücktritts Benedikt XVI. vom Papstamt betonte er: „Die Schriften von Papst Benedikt XVI. würden für die Grundsatzprogrammberatung in der CDU NRWs ein “wichtige Begleiter” sein. (Quelle: WDR https://www1.wdr.de/dossiers/religion/christentum/papstruecktritt100.html).
Das heißt im Klartext: Zum Grundsatzprogramm der CDU soll ein Papst mitreden, „Ultramontanismus“ nannte man das früher. Man stelle sich vor, Muslime in Deutschland würden sagen, ihre politische Haltung richten sie nach einem Mullah oder einem hochkarätigen Imam. Ein Aufschrei würde beginnen … auch in der CDU.

8.
Über den „Fall“ Woelki schweigt NRWs Ministerpräsident Laschet, bis jetzt, diplomatisch klug, um nicht die konservativen klerikalen Katholiken und CDU Wähler in NRW zu verschrecken. (Stand 6.2.2021) „Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) will sich in die Rücktrittsdebatte um den Kardinal Woelki nicht einmischen. Das sei keine Frage, die der Staat beantworten könne,“ sagte Laschet am Dienstag vor Journalisten in Düsseldorf.“ (Quelle
https://www.katholisch.de/artikel/28098-laschet-vorwuerfe-gegen-kardinal-woelki-innerkirchlich-klaeren)
Diese Zurückhaltung des Ministerpräsidenten Laschet von NRW (Düsseldorf „gehört“ zum Erzbistum Köln) ist ein gewisser Widerspruch: Denn Laschet weiß als informierter Katholik, dass doch auch ein „Laie“ sich zum Wohl der Kirche äußern darf, um das Wohl der Kirche geht es doch auch im „Fall“ Woelki.
In vielen anderen „Fällen“ folgen katholische CDU Politiker gern den Weisungen der Kirche, etwa im Falle von Pro Life oder der „Homoehe“. Warum schweigt Laschet zu Woelki? Hat dies etwas mit dem Schweigen des Opus Dei zu Woelkis „Fall“ zu tun, das Opus Dei hat bekanntlich seine Deutschland-Zentrale in Köln. Oder hängt es mit dem beratenden Einfluss seines engsten Mitarbeiters in der Staatskanzlei in Düsseldorf zu tun, mit Nathanael Liminski, der dem rechten Spektrum des Katholizismus eng verbunden ist.

9.
Über Nathanael Liminski wird wohl in den nächsten Monaten viel zu sprechen sein, wenn denn Laschet Kanzler werden sollte. Ihm wird wohl sicher ein anderer Job als der des Verkehrsministers angeboten werden… Es gibt bereits jetzt einige kritische journalistische Untersuchungen zu Nathanael Liminski, dem Sohn des schon erwähnten Opus-Dei-Mitglieds und „Junge Freiheit“ Autors Jürgen Liminski. (Ein Liminiski Artikel vom 12. Mai 2020: https://jungefreiheit.de/debatte/kommentar/2020/der-gute-ruf-2/)

Also zu Nathanael Liminski, einem der 10 Kinder (sic!) einer “im guten alten Sinne”, “vorbildlichen” katholischen Familie: Das einzige Buch, das von Nathanael Liminski vorliegt, hat den Titel „Generation Benedikt“, es ist nach den katholischen „Weltjugendtagen“ im Jahr 2007 erschienen, als werbender Impuls, dass junge Leute den Weisungen von Papst Benedikt XVI. doch folgen mögen…

Auch die SPD interessiert sich für Nathanel Liminski:
„Der NRW Landesverband „SPDqueer“ macht sich Sorgen um den Einfluss eines homophoben Beraters auf den neuen CDU-Bundesparteichef Armin Laschet. Der 35-jährige Ministerialbeamte Nathanael Liminski, der als Leiter der NRW-Staatskanzlei als wichtigster Akteur im Hintergrund. Liminski
war in der Vergangenheit immer wieder durch radikalreligiöse und homophobe Äußerungen aufgefallen. So hatte er etwa 2007 gegenüber dem “Spiegel” gesagt: “Ich kenne viele Homosexuelle, und einige tun mir leid. Der Staat muss schon aus reiner Selbsterhaltung die natürliche Form der Ehe und Familie fördern….Mit seiner Nähe zu Nathanael Liminski begibt sich Armin Laschet in einen gefährlichen Einfluss der erzkonservativen und fundamental-christlichen Rechten. Diese ist ein aktiver Teil einer frauenfeindlichen, homophoben und rückwärtsgewandten Rollback-Bewegung”, erklärte Fabian Spies, der NRW-Landeschef von SPDqueer. …Spies äußerte die Befürchtung, dass Liminskis Einfluss noch steigen werde, je mehr Laschet in der Bundespolitik eine Rolle spiele….Im Kampf um die Ehe für alle stand Laschet stets auf der Seite der Reaktionären – und beugte dabei auch die Wahrheit: So behauptete er etwa als NRW-Oppositionsführer wiederholt, dass es im Grundgesetz ein verstecktes Ehe-Verbot für Schwule und Lesben gebe und Deutschland daher am diskriminierenden Ehe-Recht festhalten müsse. Auf Druck der Laschet-CDU weigerte sich das schwarz-gelbe Nordrhein-Westfalen 2017, dem Gesetz zur Ehe für alle zuzustimmen. Quelle: https://www.queer.de/detail.php?article_id=38055 Vom 2.2.2021)
Siehe auch: https://www.katholisch.de/artikel/28492-nathanael-liminski-von-der-generation-benedikt-zu-armin-laschet

10.
Nathanael Liminski wird wegen seiner absolut diskreten Art, immer im Hintergrund, aber einflussreich, eine große Zukunft vorausgesagt. Wenn er älter wird, könnte er als Opus-Dei-Freund und Erzkatholik bald die Geschicke der Bundesrepublik in Richtung eines katholischen klerikalen Staates führen, falls dann nach all den Affären um Priester und Woelkis überhaupt noch Katholiken auffindbar sein sollten.
„An Laschets Kabinettstisch in Düsseldorf ist Liminski der einzige, der gerne unsichtbar bleibt. Obwohl das achte von zehn Kindern eines ehemaligen Deutschlandfunk-Redakteurs druckreif spricht, schlagfertig ist und gewitzt, lässt er sich ungern zitieren. Unserer Redaktion stand er für dieses Porträt zwar für ein Hintergrundgespräch zur Verfügung. Aus dem Gespräch durften wir jedoch keinen einzigen Satz verwenden.(Rheinische Post, 4.9.2018)…„Keinen einzigen Satz verwenden“…. Diese Maxime kennen wir aus einer Pressekonferenz Kardinal Woelkis im Februar 2021…

11.
Die Frage ist: Hätte es wirklich keinen anderen als Nathanael Liminski für das hohe Amt in Düsseldorf gegeben? Wenn das so ist, dann sehe ich darin nur ein Beispiel dafür, wie wenige freie Intellektuelle in der CDU überhaupt noch „vorhanden“ sind.Offenbar ist bei Laschet der Wille da, einen Opus-Dei-affinen engsten Mitarbeiter zu haben, er selbst kennt sich ja schon bei den “Grabesrittern”, familiär bedingt, gut aus…

12.
Bleibt zu hoffen, dass der Politik in Deutschland ein Erzkatholik Nathanael Liminski erspart bleibt. Klerikalistische Politik brauchen wir nicht, schon gar nicht eine vom Opus-Dei ferngesteuerte Politik.
Dies ist selbstverständlich eine Meinungsäußerung.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Edgar Morin: Sechs Bücher von ihm in deutscher Sprache!

Edgar Morin: Seine Bücher auf Deutsch (Stand Juli 2021)

Der Friedensforscher Werner Wintersteiner, Österreich, korrigiert zurecht meine Mitteilung, es gebe nur drei Bücher in deutscher Sprache von Edgar Morin: (Zum Beitrag von Christian Modehn: LINK)

Auf Deutsch sind tatsächlich von Edgar Morin erschienen (immer noch viel zu wenige!)
– Das Rätsel des Humanen (Le paradigme perdu), München: Piper
– Heimatland Erde (Terre Patrie), Wien: Promedia
– Die sieben Fundamente des Wissens … (Les sept savoirs), Hamburg: Krämer
– Der Weg (La voie), Hamburg: Krämer
– Die Natur der Natur / Die Methode (La méthode), Wien: Turia + Kant
– Für ein Denken des Südens. Berlin:Matthes und Seitz 2014.

Ich empfehle auch das Interview, das Constantin von Barloewen mit Edgar Morin führte, in LETTRE INTERNATIONAL, Heft 121, Sommer 2018, Seite 57 bis 62. Der Titel “Vom Verfall der Zukunft. Es geht darum, dass dieses Ende zu einem neuen Anfang führt”.

Siehe auch die Kampagne “Heimatland Erde” des österreichischen Friedensforschungsinstituts ASPR in Stadtschlaining, in deren Rahmen auch eine Würdigung Morins erschienen ist: https://www.aspr.ac.at/fileadmin/Downloads/Presse/Kommentare/Kommentar_ASPR_WW-Edgar-Morin_08-07-2020.pdf

Werner Wintersteiner hat sein neues Buch Edgar Morin zum 100er gewidmet: Werner Wintersteiner: Die Welt neu denken lernen – Plädoyer für eine planetare Politik. Lehren aus Corona und anderen existentiellen Krisen. Bielefeld: transcript 2021. Print 27.- €,

PDF open access: https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-5635-0/die-welt-neu-denken-lernen-plaedoyer-fuer-eine-planetare-politik/

Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Marcel Proust zum 150. Geburtstag: Auf der Suche nach meiner verlorenen Zeit.

Für eine “Suche nach der verlorenen Zukunft”. Anlässlich des 150. Geburtstag von Marcel Proust (am 10.Juli 2021)
Ein Hinweis von Christian Modehn

1.
Den Titel des großen Romans von Marcel Proust kann man auch frei variieren, vielleicht ein bisschen spielerisch, sicher aber provozierend. „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ wurde in den Jahren 1906 bis 1922 verfasst, wobei die drei letzten Roman – Teile erst nach dem Tode Prousts (1922) veröffentlicht wurden. Die aktuelle Titel – Variante – für eine philosophische Meditation etwa – könnte heißen: „Auf der Suche nach meiner verlorenen Zeit“. Oder: „Auf der Suche nach deiner bzw. unserer verlorenen Zeit“.
Meine, deine, unsere gelebte Vergangenheit könnte befragt werden: Ist sie „verloren“?
2.
Das Thema verwickelt uns in eine Reflexion über unsere Lebenszeit und über die Zeit „im allgemeinen“, in die wir unabwerfbar, sozusagen absolut, hineingestellt oder hineingeworfen sind.
Der Gebundenheit an die Zeit entkommt niemand. Aber diese Zeit wird vom Menschen immer auf irgendeine Art gestaltet, geformt. Zeit wird von Menschen „verbracht“. Selbst in der Langeweile können wir, entgegen einer populären Behauptung, die Zeit nicht „totschlagen“. Zeit verschwindet nicht.
„Autonom“ bzw. selbstbestimmt sind wir der Zeit gegenüber nur, weil wir die als „unabwerfbar“ verfügte, heteronom uns gegebene Zeit dann aber doch kraft unserer Freiheit, d.h. der Vernunft, für uns konkret gestalten können. So wird Zeit zu meiner, unserer Zeit, also Lebenszeit. Aber immer bleibt die Zeit „im allgemeinen“ auch diese nie endgültig zu definierende Gegebenheit – Verfügtheit in unserer Existenz. Aber es ist die menschliche Vernunft, die die Zeit als Dimension der Vernunft selbst und des Geistes wahrnimmt.
3..
Marcel Prousts Titel kann man als Aufforderung verstehen, bestimmte Momente unserer Vergangenheit zu suchen, nach ihr zu fragen und zu forschen. Denn Proust zeigt am Beispiel seines Ich-Erzählers, dass Momente unserer eigenen Lebenszeit verloren gegangen sind, nicht mehr präsent sind im Gedächtnis. Und selbst wenn wir sie in der Erinnerung dann wiederfinden, weil sie sich wenigstens als ein Moment zeigen und als Augenblick aufblitzen, können sie dann noch das gegenwärtige Leben prägen, korrigieren, bestimmen? Oder ist selbst auch die wieder entdeckte vergangene Zeit eine verlorene Zeit, verloren im Sinne von nicht mehr relevant, nicht mehr gültig? Sozusagen „passé“? Denn in diesen wieder erweckten Momenten unserer Vergangenheit sind immer auch andere und anderes „involviert“, und diese sind in weitem Rückblick meist passé, untergangen. Die Suche nach der verlorenen Zeit offenbart dann doch, dass Lebenszeit verloren ist.
4.
Für Marcel Proust gibt es nicht nur die aus einer vernünftigen Entscheidung entspringende Suche nach der eigenen Vergangenheit. Diese Suche ist freie Tat, absichtlich gesetzt, sagt Proust. Und sie kann Taten und Ereignisse und Namen aus dem Abstand auch wissenschaftlich fixieren. Dabei sollte aber nie vergessen werden, dass diese vernünftigen, in freier Entscheidung entstandenen Erinnerungen in der politischen Kultur absolut wichtig sind. Sie eher zweitrangig zu nennen, widerspricht jeder humanen Erinnerungskultur. Man denke nur an die absolute politische Verpflichtung, auch in immer größerem zeitlichen Abstand an den Holocaust zu erinnern
Aber: Viel wichtiger und hilfreicher ist für Proust in seinem Roman die unwillkürlich geschehende Suche nach der verlorenen Zeit, diese Suche geschieht von selbst und führt zu einer sich plötzlich einstellenden Erinnerung.
5.
Die von Proust hoch geschätzte „unfreiwillige Erinnerung“ (mémoire involontaire) wird dem Menschen förmlich geschenkt, wenn er die Botschaften seiner Sinne beachtet und sich von den Erfahrungen mit dem Sinnen überraschen lässt. Der Gesichtssinn (die Augen) spielt dabei für Proust keine große Rolle. Viel wichtiger sind ihm das Hören, vor allem das Schmecken und Riechen auch von Gegenständen: Im Umgang mit den Dingen kann dann unfreiwillig und wie von selbst als ein „Blitz“ eine Verbindung zu einem Moment der eigenen Vergangenheit erscheinen. Bekannt ist das so oft zitierte Beispiel aus dem ersten Roman(teil) seiner „Suche nach der verlorenen Zeit“. Der Protagonist Marcel (der Roman ist ja keineswegs eine Art Autobiographie Prousts!) erlebt, als er an einem Wintertag das Gebäck „Madelaine“ in eine Teetasse tunkt, eine ihn tief berührende und glücklich stimmende Erinnerung an die Kindheit bei Tante Léonie in Combray/Illiers.
„In der Sekunde nun, als dieser mit dem Kuchengeschmack gemischte Schluck Tee meinen Gaumen berührte, zuckte ich zusammen und war wie gebannt durch etwas Ungewöhnliches, das sich in mir vollzog. Ein unerhörtes Glücksgefühl, das ganz für sich allein bestand und dessen Grund mir unbekannt blieb, hatte mich durchströmt. Mit einem Schlage waren mir die Wechselfälle des Lebens gleichgültig, seine Katastrophen zu harmlosen Missgeschicken, seine Kürze zu einem bloßen Trug unsrer Sinne geworden; es vollzog sich damit in mir, was sonst die Liebe vermag, gleichzeitig aber fühlte ich mich von einer köstlichen Substanz erfüllt: oder diese Substanz war vielmehr nicht in mir, sondern ich war sie selbst. Ich hatte aufgehört mich mittelmäßig, zufallsbedingt, sterblich zu fühlen. Woher strömte diese mächtige Freude mir zu“? (Zu diesem Zitat, siehe: „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“; 10 Bde. Frankfurt am Main 1979, Bd. 1, S. 63–67).
6.
Die unfreiwillige Erinnerung erleben selbstverständlich alle. Vielleicht wird die Erinnerung an diese Form der Erinnerung verdrängt oder in ihrer Bedeutung nicht wahrgenommen. Dass sie sich überhaupt einstellt, dafür gibt es keine „machbare“ Voraussetzung. Hilfreich könnte sein: Wohl eher in einer stressfreien Situation können uns unsere Sinne zu Erinnerungen an frühere Momente, etwa der Kindheit, führen. Ein persönliches Beispiel: Ich höre in meiner Wohnung regelmäßig den Klang der Glocken, morgens um acht, mittags und abends um sechs. Aus dem üblichen „überhörenden Hören“ aus Gewohnheit wurde ich kürzlich herausgerissen: Ich fühlte mich einmal in ruhiger Stimmung, auf dem Sofa liegend, durch die Glocke versetzt in einen Moment meiner Kindheit: Ich spiele im Garten, höre aus der Ferne, mittags um zwölf, die Glocke unserer Kirchengemeinde. Meine Mutter schaut aus dem Fenster, ruft mich, ich laufe zu ihr. Wir berühren uns voller Liebe und beginnen, wie vom Geist bewegt, zu beten, wie öfter schon früher, ein „Vater Unser“ und ein „Ave Maria“. Dieser Augenblick meiner Kindheit, dessen Datum mir die Erinnerung natürlich nicht mitteilte, was auch bedeutungslos wäre, wurde mir im Abstand vieler Jahre präsent. Ein durchaus heilsamer, beruhigender Moment, eine Form des Behütetseins von irgendwoher stellte sich ein. Ich spielte dann nach dem Gebet weiter, der Tag hatte eine Unterbrechung gefunden, es gab eine erneute Nähe zur Mutter und, so würde ich heute sagen, ein Innewerden der spirituellen, vielleicht der göttlichen Dimension im Menschen.
Marcel Proust nennt im Roman manche dieser geschenkten Erinnerungen „glücklich“. Ich denke, wir sollten dieses unwillkürliche Suchen nach der Vergangenheit ernst nehmen. Können wir es vielleicht pflegen, üben, einüben, vorbereiten, selbst wenn diese unwillkürliche Erinnerung, wie Proust vermutet, Geschenk bleibt?
7..
Die „verlorene Zeit“ ist ein mehrdeutiges Wort: Wie viele Bedeutungen hat „verloren“? Zeit kann als begrenzte Zeiteinheit, etwa als eine ferne Reise, tatsächlich im Bewusstsein der Erinnerung “verloren“ gehen. Und wer sagt, er hätte den Inhalt eines gelesenen Buch aus dem Gedächtnis „verloren“, hat wahrscheinlich die Erwartung oder Hoffnung, dass der Inhalt nicht verloren ist, sondern ihm wieder präsent wird. Es muss aber wohl auch damit gerechnet werden, dass Menschen sagen: Diese meine bestimmten Lebensjahre waren verlorene Zeiten, verlorene Jahre, im Sinne einer letztlich störenden, wenn nicht zerstörenden Wirkung auf das eigene Leben. Diese eigenen verlorenen Lebenszeiten können aber in der Therapie mit dem Lebensganzen wieder verbunden werden, in Form einer Versöhnung mit sich selbst. Eine andere Frage ist, wie die Gesellschaft, die Proust ausführlich schildert, ihrerseits so weit verloren ist, dass sie nahezu hoffnungslos und sinnlos dahinlebt… dies würde für die Künstlergestalten im Roman nicht gelten…
8.
Proust sucht die verlorene Zeit in der Vergangenheit. Diese Suche ist üblich. Ich behaupte aber: Es gibt tendenziell auch verlorene Zeiten in der Zukunft. Das mag paradox klingen, weil ja Zukunft per definitionem noch nicht als gestaltete Ganzheit vorliegt. Gemeint sind die verdrängten und unterlassenen , „verlorenen“ Projekte zugunsten einer guten Zukunft, etwa die Idee einer Welt ohne Atomwaffen, ohne Krieg oder auch nur eine Welt, die ohne die ungerechte Spaltung in wenige Milliardäre und viele sehr Arme und Hungernde gestaltet wird. Wir haben von heute aus zurückblickend viele „verlorene Zukünfte“ wahrzunehmen, also die übersehenen und verdrängten Chancen, Besseres zu tun; die Nachlässigkeiten, den Egoismus. Den Gedanken wird man denken können, wenn nicht bald denken müssen: Wir haben unsere gute Zukunft für diese Welt, die Natur und alle ihre Menschen de facto schon verloren. Wir haben uns unsere Zukunft aus eigener freier Entscheidung sozusagen „vermasselt“. Wer wagt dies zu sagen? Wer noch diese verlorene Zeit im Sinne der verlorenen, durch Menschentat ignorierten guten Zukunftszeit sucht, wird sich an sich selbst erinnern, an die Politik, die neoliberale Unordnung usw. Und wird er sich schuldig fühlen?
9.
Marcel Proust hat in seinem großen Roman diese ethischen, normativen Bewertungen nicht ausgesprochen, darauf hat die Romanistin, Prof. Barbara Vinken (München) in einem Interview, veröffentlich in der „ZEIT“ am 8. Juli 2021 (Seite 52f.) hingewiesen, „Dieses Gefühl von Verbot und Überschreitung habe ich bei Proust nie. Dort herrscht eine interessante Zensurlosigkeit…Ist es nicht beunruhigend, dass es gar kein Über-Ich zu geben scheint?“ (dort S. 53). Darf man sagen, dass Proust nicht nur eine gewissenlose Gesellschaft der Aristokratie und des Adels beschreibt, eine Gesellschaft, die in den Untergang hinein feiert. Sondern auch, dass er als Berichterstatter dem „ohne Über-Ich“ sozusagen hilflos zuschaut. Und was soll man daraus schließen, dass dieser 4000 (viertausend) Seiten lange Roman offenbar doch von vielen gelesen wird? Ist es das Studium der untergehenden dekadenten Gesellschaft damals interessiert, vielleicht mit einem Blick auf eine untergehende dekadente neokapitalistische Gesellschaft im Westen wie in der arabischen Welt? Das Massensterben von Verhungernden in Afrika r ist uns nur noch 30 Sekunden in den Nachrichten wert, Bilder aus der Ferne, die nicht berühren und bewegen. Danach wird in 3 Stunden dem allerhöchsten aller Götter, dem Fußball, die Ehre erwiesen, um nur ein Beispiel für dekadent erscheinende „Kulturen“ der Demokratien zu nennen.
10.
So sehr also der 4000 Seiten – Roman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ zu denken gibt, so sollten doch auch seine philosophischen und speziell ethischen Grenzen besprochen werden. Solches zu sagen hat gar nichts mit Prüderie zu tun. Eine dieser Begrenzungen ist die totale Fixierung des Erzählers auf Vergangenheit, auf Erinnerung. Insofern fehlt dem großen Roman doch sehr viel. Und es wäre zu fragen, warum gerade anlässlich des 150. Geburtstages von Proust dessen lustvoll-quälerisch-kritischer Blick auf Vergangenes so beliebt ist. Entspricht diese Liebe zu Vergangenem vielleicht der Angst, dass sich unsere „Suche nach einer verlorenen Zukunft nicht mehr lohnt? Dies würde der eher skeptischen, manche sagen der nihilistischen Grundhaltung Prousts entsprechen.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Eine aktuelle Anmerkung zur katholischen Gemeinde in Illiers/Combray bei Chartres:
Dieses Städtchen spielt in „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ von Marcel Proust eine gewisse Rolle. Wer den versteinerten Katholizismus des 19. Jahrhunderts heute noch sucht, hätte am 4. Juli 2020 in der dortigen Pfarrkirche „Saint Jacques“ fündig werden können: Dort hat der römisch-katholische Bischof von Kopenhagen (sic), der Pole Czeslaw Kozon, sechs Diakone zu Priestern geweiht, sie gehören der bekannten, traditionalistisch orientierten, aber mit Rom „versöhnten“ Bruderschaft „Institut du Bon Pasteur“ an, der „Bruderschaft vom Guten Hirten“. Die beiden Gründer – Priester vom „Guten-Hirten“ gehörten zuerst zur traditionalistischen Gemeinschaft „Pius X.“, von Erzbischof Marcel Lefèbvre gegründet. Aber diese beiden Priester haben Papst Benedikt überzeugen können, dass sie nun doch wieder treu zum Papst stehen… ihre reaktionäre Theologie mussten sie dabei nicht aufgeben. Die Priester „vom guten Hirten“ haben international „Nachwuchs“…
In dem Ort des Proust-Romans, in Villiers bzw. Combray, wurde nun 2020 bei der Priesterweihe die total klerikale Kirche von damals reanimiert, so wie sie der getaufte Katholik Marcel Proust noch erlebte, mit viel Weihrauch und lateinischen Messen und viel jungem hübschen Klerus in alten feinen Mess-Gewändern. Siehe: https://www.institutdubonpasteur.org/2020/07/04/photos-des-ordres-majeurs-2020/