Beschneidung – Eine kritische Frage

Beschneidung – Eine kritische Frage

Von Christian Modehn

Ein Hinweis vorweg, veröffentlicht am 5. Jui 2012:

Uns freut es, dass im Tagesspiegel vom 5. Juli 2012 auf Seite 8 ein vernünftiger und sehr lesenswerter Beitag von Georg Ehrmann, dem Vorsitzenden der Deutschen Kinderhilfe, publiziert wurde. Der Beitrag zeigt, dass der Religionsphilosophische Salon mit seinem Kommentar (vom 28.6.) in der Frage nicht allein steht. “Eine schmerzhafte und belastende Operation” ist der Titel des Kommentars, dem wir auch weite Verbreitung in religiösen Kreisen wünschen, die uralte Traditionen unbedingt für etwas Göttliches halten und höher einschätzen als Menschenrechte.

Am 12. Juli 2012 weisen wir darauf hin, dass in “DIE ZEIT” an diesem Tag auf Seite 54 ein sehr lesenswerter Beitrag  des Strafrechtlers Prof. em. Rolf Dietrich Herzberg gedruckt ist, als Antwort auf die polemischen Ausführungen des Philosophen Robert Spaemann eine Woche zuvor. Herzberg schreibt u.a.: “Was die Kölner Richter verurteilen, ist allein die empathielose Bagatellisierung dessen, was man wehrlosen Kindern antut, und die darin liegende Mißachtung des Grundrechts auf körperliche Unversehrheit”. Herzberg zitiert außerdem den integrationspolitischen Sprecher der Grünen, Memet Kilic, der u.a. auf den Tatbestand einer merkwürdigen “multireligiösen Ökumene” in diesem Fall hinweist:” …bei mir kommt der Verdacht auf, sie (= die Vertreter von Judentum, Kirchen und Islam) verteidigten ihren eigenen Machtbereich. Die Glaubensgemeinschaften, die auf den Stammvater Abraham zurückgehen, fordern zum Gebrauch der Vernunft auf. Das heißt: Neue Einsichten erlauben es, alte Praktiken zu ändern”. Genau dies ist die begründete Meinung des religionsphilosophischen Salons. PS.: Leider ist der wichtige Beitrag von Rolf Dieitrich Herzberg nicht im Internet (bis jetzt) lesbar…

Am 14. 7. weisen wir hin auf einen neuen Link, eine weitere Marginalie,  zum Thema Beschneidung im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon. Dann verweisen wir auf ein Interview (20.7.2012) mit dem  protestantischen Theologen Prof. Wilhelm Gräb, Humboldt Universität zu Berlin.

Am 28. Juni haben wir einen Kommentar publiziert, nach einigen Diskussionen im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon, der sich auf das sogen. „Kölner Beschneidungsurteil“ bezieht. Aufgrund einiger Anfragen wollen wir noch einmal betonen, dass unser Kommentar lediglich anregen will, über den Zusammenhang von religiösen Traditionen und dem, was aufgeklärte Vernunft meint, nachzudenken. Selbst wenn man heute von einer Pluralität von „Vernunft“ ausgeht, bleibt doch die Frage, wie bestimmte Traditionen zur Vernunft in Beziehung gesetzt werden können. Das gilt nicht nur für die Beschneidungsproblematik. Die Frage, in welcher Weise sich religiöse Traditionen heute vernünftig ins Gespräch bringen lassen und wie diese Traditionen heute noch ohne weiteres gelten können, ist nach wie vor der Diskussion wert, gerade wenn diese religiösen Traditionen, mit Verweisen auf Heilige Schriften, als Rechtfertigung von Macht und Verfügung über andere Menschen verwendet werden.

Der Religionsphilosophische Salon kann die plötzlich aufgetretene Debatte über die religiös motivierte Beschneidung nicht ignorieren. Denn dabei handelt es um einen Konflikt zwischen religiösen Traditionen und Ansprüchen der Menschenrechte, also der allen zugänglichen und immer wieder neu zu debattierenden Vernunft.

Selbstverständlich muss eine Demokratie religiöse Traditionen respektieren und zulassen, dass diese sich auch rituell Ausdruck verschaffen in religiösen Räumen.

Es muss aber in einer Demokratie immer gefragt werden: Sind bestimmte religiöse Traditionen und Überzeugungen möglicherweise auch Ausdruck einer fundamentalistischen Haltung: Ist die Beschneidung von Knaben – so alt und vielleicht auch ehrwürdig diese Tradition auch sein mag – tatsächlich in Religionen noch vertretbar, die wirklich im Heute leben wollen, also durchaus argumentativ religiöse Bräuche verdeutlichen wollen? Oder will man gar nicht im Heute leben und lieber argumentationsfern einfach alte Bräuche fortsetzen, weil man glaubt, sie stifteten Identität? Kann Religion – im allgemeinen gesagt – bestehen, die argumentationsfern Bräuche heilig findet, bloß weil sie uralt sind? Also: Welche vernünftigen, allen zugänglich zu machenden Argumente sprechen für die Beschneidung der Babies und Jungen?  Wir sehen kein Argument. Es ist, wie so oft im religiösen Feld, immer nur dieselbe Antwort: Es ist halt lange, lange … Tradition.

Das wäre ohne weiteres zu respektieren, wenn mit dieser langen  Tradition nicht über andere Menschen verfügt würde: Über Kinder wird bestimmt, sie können die Entscheidung ihrer Eltern nicht mehr rückgängig machen, Beschneidung bleibt auf ewig Beschneidung.

Da stoßen sich tatsächlich Vorstellungen von der unantastbaren Würde des Menschen, also Menschenrechte, mit der langen religiösen Tradition. Gegen die doch bisher kaum ein Beschnittener aufbegehrt hat, wie zu hören ist. Also sind alle Beschnittenen als Beschnitte rundum glücklich? Wer will das wissen?  Wurde jemals danach gefragt? Wurde jemals dokumentiert, wie viele alte Männer mit ihrem Messer auf den Dörfern die Kinder und Jungs verletzten? Wer hat das alles dokumentiert an Grausamkeit?

Die Debatte darüber jetzt ist also durchaus sinnvoll, weil sie nach der Vernunft religiöser Traditionen fragt. Und da werden weitere Fragen berührt: Etwa im Katholizismus: Dort beruft sich das Papsttum gern  zur Rechtfertigung der eigenen Macht auf das Wort, das im Neuen Testament Jesus zugeschrieben wird: „Du bist Petrus der Fels“, soll Jesus gesagt haben, offenbar den künftigen Vatikan vor Augen, „und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen“.  Erstens wollte und konnte Jesus von Nazareth – vom ganz nahen Kommen des Gottesreiches überzeugt – keine Kirche bauen. Und außerdem: Er sagte – wenn überhaupt – dieses Wort zum Fischer Petrus. Aber benutzt wird dieses Wort bis heute, um das Papsttum und den Vatikan zu rechtfertigen. Darf man das Ideologie statt Theologie nennen?

Was hat das mit der Beschneidung zu tun? Sehr viel: In beiden Fällen handelt es sich um das Festhalten an sehr alten religiösen Traditionen und Überlieferungen. Um Ideologien. Die aber – so scheint uns – vor der kritischen Vernunft kein Bestand mehr haben.  Vor wem oder was sollten denn auch religiöse Traditionen Bestand haben, wenn nicht vor der Vernunft?  Oder will man prinzipiell Religion als unvernünftig etablieren? Wer das tut, und das tun heute viele, wird zum Totengräber des Religiösen, weil sich das Religiöse jeglicher Argumentation entzieht..

Wobei es im Falle des Streites um die Beschneidung so enden wird: Eine Einschränkung oder gar ein Verbot der Beschneidung sei politisch und praktisch nicht durchsetzbar. Also: Ende der Debatte um des so genannten lieben Friedens willens… Schließlich haben sich die Leiter und Führer der Juden, Muslime und Katholiken zusammengeschlossen: Sie verteidigen gemeinsam die langen, langen Traditionen. Wenn eine Tradition fällt, fallen auch andere. Deswegen ist interreligiöse Einheit angesagt.

copyright:christian modehn, berlin.

 

 

 

 

“Die Gestalt des Windes” – Eine Ausstellung von Bingyi in Berlin

“Die Gestalt des Windes” –  Zu einem Galerie – Besuch des Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salons am 15. 6. 2012

Die Ausstellung „Die Gestalt des Windes –  In den Fuchun Bergen“ der Künstlerin Bingyi (New York – Beijing) erleben die TeilnehmerInnen unseres Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salons als eine Zusammenfügung moderner Malweise und klassischer chinesischer Landschaftsmalerei. Modern ist diese ungewöhnliche Arbeit, weil sie als „action painting“ entstanden ist. Die Künstlerin gestaltet ihr Werk – zusammen mit einem Assistenten – in einigen Stunden; sie arbeitet mit dem freien Spiel von Wasser, Asche, Wind (Luft), ja sie tanzt dabei auf dem Papier in weißem Gewand, wie uns die Kuratorin der Ausstellung, Frau Zhang Jue, berichtet. Klassisch ist die Dimension dieser 160 Meter langen Arbeit, die an der Kuppel der St. Johannes Evangelist Kirche in Mitte befestigt ist, weil an der Dreiheit von „Himmel – Erde – Mensch“ festgehalten wird. Der Raum der (evangelischen Kultur – ) Kirche reicht leider nicht aus, um tatsächlich die ganze 160 Meter lange Arbeit auszurollen. Dieses “fragmentarische Zeigen” kann man aber wohl durchaus als Teil der Kunst selbst verstehen. Die Verwendung von Asche ist nur ein Hinweis, dass mit der Vergänglichkeit (des einst benutzten, nun zu Asche gewordenen Papiers) gearbeitet wird, aber aus dem Vergänglichen und Toten entsteht wieder ein Werk, das zur Meditation anregt und durch die Inspirationen Leben weckt  und den Geist wach macht. Eines Tages aber wird diese Kunst aber auch vergangen und verschwunden sein, sie wird wieder verwendet zu neuem Werk. Kunst und philosophische Meditation fügen sich zur Einheit.

Die Arbeit von Bingyi wurde von der Galerie WiE der Öffentlichkeit präsentiert, hinter dem Kürzel WiE verbirgt sich West Information East, damit wird ausgedrückt, dass die Galerie in der Heidestr. in Berlin – Mitte dem Kulturaustausch verpflichtet ist, so werden etwa auch Konzerte von der Galerie WiE organisiert. Gegründet hat diese wichtige Kulturinitiative Frau Cheng Yang.

Der Besuch der Ausstellung „Die Gestalt des Windes“ in der evangelischen Johannes Kirche ist für uns ein Impuls, noch deutlicher auch den philosophischen Blick nach China zu richten. Wir hoffen auf eine gemeinsame Veranstaltung, die sich etwa mit dem Thema der „Mitte“ in klassischen chinesischen Denken  (etwa bei Konfuzius) und  der europäischen Philosophie (etwa bei Hegel) befasst. Interessant zu hören und zu lesen ist es schon, wie sehr auch chinesische Künstler Berlin als einen kreativen „Umschlagplatz“ für interkulturelle Begegnungen erleben. Wir weisen gern auf die Zeitschrift YISHU hin, die im Jahr 2002 als Englisch – sprachiges Magazin für zeitgenössische chinesische Kunst in Kanada gegründet wurde.

Die Ausstellung ist noch bis zum 8. Juli 2012 von Diestang bis Sonntag von 12 Uhr bis 20 Uhr zu sehen, der Eintritt ist frei. Deutsch sprachige Führungen sind von Donnerstag bis Samstag um 15 Uhr. Am 22.6. udn 23. 6.wird ein Konzert geboten unter dem Titel “Eine Reise der Seele”. Der Ort: Auguststr. 90, 10117 Berlin.

Tugenden und Laster: Eine philosophische Revue

Müßiggang ist aller Liebe Anfang

Wenn Tugenden zu Lastern werden – und umgekehrt.   Christian Modehn im Gespräch mit dem Philosophen Martin Seel

Wollen Sie an einer philosophischen Revue teilnehmen? Dabei können Sie ganz schön erschüttert werden. Denn im Laufe der Revue werden Tugenden zu Lastern und umgekehrt. Der Philosoph Martin Seel (Universität Frankfurt am Main) zeigt überzeugend, wie fließend die Übergänge sind zwischen gutem und bösem Verhalten. »111 Tugenden – 111 Laster« heißt sein neuestes Buch. Es stellt keineswegs 111 Tugenden den 111 Lastern gegenüber. Vielmehr sind die 111 menschlichen Charakterbilder in sich doppeldeutig: Eine Tugend kann zum Laster werden und ein Laster zur Tugend.

Herr Seel, verwischen Sie in Ihrem Buch nicht das klare Bild, das bisher ein tugendhaftes beziehungsweise ein verabscheuungswürdiges, ein lasterhaftes Leben auszeichnete?

Martin Seel: Auch nach der Lektüre meines Buches bleibt es dabei, dass Tugenden ein gutes und gerechtes Leben fördern und Laster ein solches Leben behindern und im Extremfall zerstören. Jedoch führt das Buch vor, dass in den meisten der menschlichen Charaktereigenschaften, die wir auf den ersten Blick als Laster verbuchen, durchaus auch Energien der Tugend stecken und entsprechend, dass in den menschlichen Tugenden häufig auch Kräfte des Lasters wirksam sind. Das heißt: Tugenden sind heikle Balancen, die oft nur mit Mühe gehalten werden können – aber die Mühe ist es wert.

Zum Beispiel: Warum kann das hoch gelobte Mitgefühl auch lasterhaft, also schädlich sein, für den Mitfühlenden wie für die Betroffenen?

Martin Seel: Wir alle kennen das Phänomen des falschen Mitleids. Aber auch dort, wo wir nicht nur ein geheucheltes, sondern ein echtes Mitgefühl für die Lage anderer Personen aufbringen, kann es vorkommen, dass wir die anderen durch unsere Empathie erdrücken: Wir glauben, besser als diese selbst zu wissen, wie es ihnen ergeht, und maßen uns an, deren Leben in unsere Hand zu nehmen. Zugleich kann übersteigertes Mitgefühl auch denen schaden, die es zeigen. Dies geschieht, wenn sie vor lauter Anteilnahme das Gespür für ihr eigenes Wohlergehen verlieren, was ihnen früher oder später die Kraft und die Fähigkeit zu aufrichtiger Anteilnahme raubt.

Oder denken wir an die Tugend der Frömmigkeit. Warum kann sie ins Lasterhafte »umkippen«?

Martin Seel: Wie immer man Frömmigkeit im Einzelnen versteht, ob als eine religiöse Haltung oder auch nur eine Haltung der »Weltfrömmigkeit« (die von jener gar nicht immer so leicht zu unterscheiden ist) – ihre Formen kippen ins Lasterhafte um, wenn der Glaube der Frommen zu einem starren, dogmatischen und darum intoleranten Glauben wird, der keinen anderen neben sich duldet. Insofern ist aller Fanatismus fehlgeleitete Frömmigkeit.

Nehmen wir eine relativ milde Form des Lasters, etwa die Faulheit. Kann denn aus Faulheit eine tugendhafte Haltung werden?

Martin Seel: Aber sicher. Das ethische Lob der Faulheit ist ja durch die Jahrhunderte hinweg immer wieder gesungen worden. Nicht weil Faulheit in jeder Hinsicht wohltuend und sozialverträglich wäre, aber doch, weil in ihr manchmal ein Geist des Widerstands gegen falsche eigene Erwartungen und maßlose gesellschaftliche Zumutungen steckt, der durchaus heilsam sein kann. In der richtigen Dosis erweist sich Faulheit als eine Form des Müßiggangs. Und entgegen anderslautenden Gerüchten ist Müßiggang nicht aller Laster, sondern aller Liebe Anfang.

Könnte man es ethisch rechtfertigen: Wer nie untreu war, weiß nicht, was Treue ist? Also sollte man sich eine gewisse »Dosis« Untreue gönnen?

Martin Seel: Ich würde vorsichtiger sagen: Wer den Zweifel an der Treue nicht kennt, kennt den Sinn der Treue nicht. Der Zweifel, auf den es hier ankommt, betrifft die Frage, ob die Person oder Sache, der ich treu bin, es wirklich wert ist, dass ich es bin. Sich dies fragen zu können ist selbst ein Zeichen der Fähigkeit zur Treue.

Ein hundertprozentig heiliger Mensch ist also philosophisch gesehen nichts als ein frommer Wunsch?

Wenn wir mit der Figur des Heiligen, wie es in der Moralphilosophie und Moraltheologie immer wieder geschehen ist, das Ideal einer Person verbinden, die sich vollkommen sicher auf der Seite des Guten bewegt, weil diese den Widerstreit zwischen Pflicht und Neigung, zwischen Selbstsorge und Sorge für andere, zwischen den Forderungen des Tages und denen über den Tag hinaus (usw.) überhaupt nicht kennt, dann handelt es sich nicht einmal um einen frommen Wunsch, sondern einfach um eine unsinnige Vorstellung. Denn moralisch zu sein heißt gerade, den Widerstreit zwischen unterschiedlichen Anforderungen und Erwartungen ohne Bedauern anzunehmen – ohne den Irrglauben, man könne ein für alle Mal auf der richtigen Seite sein. Die wirklichen Menschen übrigens, die in religiösen Traditionen als »Heilige« verehrt werden, haben sich diesen Irrglauben kaum zuschulden kommen lassen.

Der Revolutionär Robespierre etwa wollte »nur tugendhaft« sein. Ist er gerade deswegen zum Massenmörder geworden?

Martin Seel: Unter anderem deswegen würde ich sagen. Moralischer Rigorismus ist gerade politisch gefährlich. Er verletzt das menschliche Maß eben dadurch, dass er sich einbildet, im Besitz der einzig wahren Deutung dieses Maßes zu sein. Auch hier gilt: Die reine Illusion ist immer eine Illusion der Reinheit.

Gibt es denn für Sie ein Laster, das niemals die Möglichkeit hat, sich positiv zur Tugend zu entwickeln?

Martin Seel: Ja, zumindest ein Laster bildet in meinem Buch eine Ausnahme von der Ambivalenz-Regel: die Grausamkeit. Grausam sind Personen oder Institutionen, die bereit sind oder es in Kauf nehmen, die leibliche und seelische Integrität von Personen ohne Rücksicht auf ihr Wohlergehen zu verletzen. In dieser Einstellung steckt nicht der geringste Keim einer Orientierung am Guten.

Es kommt in Ihrer Tugend-Philosophie darauf an, die Übergänge wahrzunehmen, wenn zum Beispiel aus der authentischen Freundlichkeit das Bloß-freundlich-Tun wird?

Martin Seel: Überall in der menschlichen Lebensführung kommt es auf die feinen Unterschiede an – so auch hier. Wobei nicht einmal das bloße Freundlich-Tun ganz zu verachten ist, etwa, wenn wir an die »professionelle« Freundlichkeit von Schalterbeamten oder Kassiererinnen denken.

Sie wenden sich gegen die definitive Abgeschlossenheit einer bestimmten Lebenshaltung. Könnte man sagen: Sie wollen das Leben flüssiger machen? »So bin ich und so bleib ich auf ewig«: Dieser Spruch hat dann wenig Sinn?

Martin Seel: »Das Leben« flüssiger machen zu wollen wäre wohl allzu vermessen. Außerdem erscheint es den meisten von uns ohnehin als einerseits zu flüssig (und flüchtig) und andererseits zu festgelegt (und beengend). Der Prozess der Lebensführung aber kann so gestaltet werden, dass in ihm eine Offenheit für die Ungewissheiten und Instabilitäten des Lebensvollzugs zum Ausdruck kommt. Nur dank dieser Offenheit ist so etwas wie ein über einzelne glückliche Augenblicke hinaus gelingendes Leben möglich.

Sie nennen Ihr Buch »eine philosophische Revue«: Das heißt, die Leserinnen und Leser können mit der Lektüre irgendwo beginnen, zum Beispiel bei der »Coolness«. Dann werden sie lesen, dass Coolness durchaus eine Mischung aus Gleichmut, Lässigkeit und Gewitztheit ist. Aber dann schreiben Sie auch: Coolness, »diese wohltemperierte Leidenschaft, lässt sich auf Dauer im wirklichen Leben nicht durchhalten«. Hoffen Sie darauf, dass durch Erkenntnis eine neue Einstellung zur Coolness, vielleicht zum Leben insgesamt, gelingt?

Martin Seel: Das Argument an der Stelle, auf die Sie sich beziehen, besagt, dass ein Leben lang durchgehaltene Coolness zur bloßen Fassade verkommen müsste: »Nur brüchige Coolnes ist cool«, lautet deshalb in dieser Sache das paradoxe Fazit. Wer das akzeptiert, verleiht seiner Lebenseinstellung einen bestimmten Akzent. Die Sache der Tugenden und Laster ist aber zu komplex, als dass man im Nachdenken über eine von ihnen sogleich die ganze Einstellung zum Leben neu konfigurieren könnte. Dies aber kann man ohnehin durch Nachdenken allein gar nicht bewerkstelligen. Erfahrung und Übung, und mit ihnen Enttäuschung und Überraschung, sind die unumgänglichen Begleiter einer wirksamen ethischen Reflexion.

Meinen Sie also, dass philosophische Besinnung und Kritik einen therapeutischen Charakter haben kann?

Martin Seel: Ja, durchaus: vor allem deshalb, weil es sich um Selbsttherapie handelt, die ihre Basis in einsamer oder gemeinsamer Selbstverständigung hat.

Sind denn Tugenden aus Ihrer Sicht lernbar? Und wenn ja, wer sollte Tugenden lehren?

Martin Seel: Hier möchte ich paradox sagen: Sie sind lernbar, aber nicht lehrbar. Dies folgt aus dem, was ich eben gesagt habe: Die Ausbildung von Tugenden und auch Laster ist wesentlich eine Sache der individuellen Selbstformung, die im günstigen Fall von beständigen Lernprozessen begleitet wird. Das bedeutet freilich weder, dass man den eigenen Charakter insgesamt in Regie nehmen könnte, noch, dass man nicht auf die Hilfe und das Beispiel anderer angewiesen wäre. Dennoch bleibt der Gedanke eines Tugendlehrers ein hölzernes Eisen. Die Fähigkeit, im eigenen Handeln diverse Tugenden zu beweisen, hat nicht die Verfassung eines Expertenwissens, das in feinen Dosen an die Laien weitergegeben werden könnte. Denn es gibt hier weder Laien noch Experten. Wohl aber gibt es Menschen, die anderen durch Erziehung, Anleitung, Imagination und Animation auf die Sprünge helfen können, indem sie veranschaulichen oder vormachen, wie es trotz allem möglich ist, sich selbst und den anderen einigermaßen gerecht zu werden.

Sollten heute Philosophen bestimmte Tugenden in den Mittelpunkt stellen, wenn nicht fördern? Etwa Gerechtigkeit, Engagement, Solidarität?

Martin Seel: Dies sind wichtige und unbedingt zu stärkende soziale Tugenden, über denen aber auch die stärker individualethischen Tugenden nicht vergessen werden sollten, wie beispielsweise Humor, Selbstachtung und Selbstvertrauen. Denn ohne diese werden jene nicht umsichtig wirksam werden können. Außerdem ist zu beachten, dass gerade die primär sozialen Tugenden in einer Gesellschaft wie der unseren nicht allein individuelle, sondern zugleich institutionelle Werte bezeichnen: Ohne gerechte Institutionen beispielsweise bleibt das individuelle Bemühen um Gerechtigkeit immer auch ohnmächtig. Daher hat die Förderung von Tugenden von vornherein eine politische Dimension.

Wie können Philosophen die verschiedenen Formen der Gier, etwa in der Finanzwelt, analysieren und kritisieren?

Martin Seel: Gerade an diesem Beispiel zeigt sich die eben erwähnte politische Dimension der Rede von Tugenden und Lastern. Das Problem der Finanzmärkte und ihrer Regulierung liegt ja nicht in erster Linie an der persönlichen Gier der Akteure, die auf dem Parkett der Börsen zugange sind. Es liegt vor allem an den systembedingten Imperativen, denen die Finanzindustrie gehorcht, und ihrer Indifferenz gegenüber den Entwicklungen der Realwirtschaft. Hier gegenzusteuern – und damit auch die Spielräume individueller Gier zu verringern – ist eine eminent politische Aufgabe, die zudem nur im internationalen Maßstab angegangen werden kann.

Warum brauchen wir eine neue Tugendlehre? Reicht im Alltag nicht der kategorische Imperativ Immanuel Kants als Orientierung völlig aus, der mich mahnt, immer zu prüfen, ob meine Lebensmaxime allgemeines Gesetz für alle werden kann?

Martin Seel: Der kategorische Imperativ oder andere Formen eines Instrumentalisierungsverbots im Verhalten der Menschen untereinander reichen allein deshalb nicht aus, weil sie angesichts konkreter Situationen viel zu wenig aussagen können. Und weil sie nicht in der Lage sind, der Möglichkeit von normativen Konflikten gerecht zu werden. Eine moderne Tugendlehre erinnert demgegenüber an die praktische Auslegung allgemeiner moralischer und rechtlicher Grundsätze, wie sie in der Gestalt einer Pluralität von Tugenden und Lastern in unserem alltäglichen Leben wirksam ist – und dort auch immer wieder verhandelt wird. Denn das ist der Sinn der Tugenden: Denen, die sich um ihren Besitz bemühen, eine Deutung ihres Lebens zu geben, die es ihnen erlaubt, ihr Dasein in Selbstachtung und in mit anderen geteilter Selbstbestimmung zu vollbringen.

Buchhinweis: Martin Seel. 111 Tugenden, 111 Laster. Eine philosophische Revue.

S. Fischer. Frankfurt am Main. 288 Seiten. 18,95 €

Dieser Beitrag erschien zuerst im April 2012 in der empfehlenswerten Zeitschrift Publik Forum.

Hinweis am 2.1.2019: Über das neue (2018) Buch von Martin Seel “Nichtrechthabenwollen” klicken Sie hier.

Coypright: christian modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

 

 

Biophilie und Nekrophilie. Perspektiven von Erich Fromm

Biophilie und Nekrophilie

Perspektiven von  Erich Fromm

Anlässlich des „Religions –  philosophischen Salons“ am 20.4.12.

Von Hartmut Wiebus, Berlin

Der Beitrag von Hartmut Wiebus (Dipl. Päd.) führt in einigen systematischen Überlegungen hin zum Verständnis der grundlegenden Kategorien „biophil“ und „nekrophil“, die treffend die psychische und kulturelle/politische Situation unserer Zeit analysieren. CM.

Um den Hintergrund seines wissenschaftlichen Ansatzes zu verdeutlichen, möchte ich kurz die Lebensdaten sowie die Studiumsrichtungen und die beruflichen Tätigkeiten von Erich Fromm skizzieren:

Erich Fromm wurde am 23.März 1900 als einziges Kind orthodoxer jüdischer Eltern in Frankfurt am Main geboren.

Seine wissenschaftliche Laufbahn begann mit dem Studium der Fächer Psychologie, Philosophie und Soziologie in Frankfurt und Heidelberg. Nach seiner Promotion folgten noch weitere Studien in Psychiatrie und Psychologie an der Universität in München. Ein psychoanalytisches Training absolvierte er von 1926  – 1929 in München und Berlin. 1930 gründete er mit anderen das „Süddeutsche Institut für Psychoanalyse“ in Frankfurt am Main. Dort war er auch Mitglied und Dozent des Institutes für Sozialforschung der Universität, aus dem die „Frankfurter Schule“ hervorging. Die empirische Untersuchung über die autoritäre Charakterstruktur der deutschen Arbeiter und Angestellten vor Hitler (in der Weimarer Republik) war die bedeutendste Tätigkeit, die Fromm neben seiner psychoanalytischen Praxis und Lehre am Institut für Sozialforschung abschloss.  Wegen der Nationalsozialisten emigrierte Erich Fromm 1933 über die Schweiz, 1934 in die USA. Dort hielt er eine Reihe von Vorlesungen am Institut für Psychoanalytik in Chicago. Auch das Institut für Sozialforschung musste wegen der Nationalsozialisten an die Columbia Universität New York verlegt werden.

E. Fromm zog deswegen nach New York um. Ende der dreißiger Jahre nahm er seine Arbeit am „Institut für Sozialforschung“ neben seiner psychoanalytischen Praxis wieder auf. Bis 1949 arbeitete er im den USA an verschiedenen Instituten und Universitäten. In Mexiko übernahm er 1949 eine Professur an der Autonomen Nationalen Universität von Mexiko – Stadt und eröffnete dort eine Abteilung Psychoanalyse der Medical School. Hier lehrte er bis zu seiner Emeritierung im Jahr l965. Neben all dieser Lehrtätigkeiten betrieb er seine psychoanalytische Praxis  weiter (insgesamt über 45 Jahre), auch war er als Supervisor und Lehranalytiker tätig. Von l957 bis 1963 leitete er eine Feldforschung in Mexiko, die er mit Michael Maccoby 1970 unter dem Titel: „Psychoanalytische Charakterologie in Theorie und Praxis. Der Gesellschafts-Charakter eines mexikanischen Dorfes“ veröffentlichte.

Die Theorie vom Wesen des Menschen und der existentiellen Bedürfnisse

E. Fromms Definition des Wesen oder der Natur des Menschen geht vom Vergleich mit dem Tier aus. Das, was den Menschen vom Tier unterscheidet, ist das Bewusstsein seiner selbst, und dies ist die konstante Natur, die allen Menschen gemeinsam ist. Im Menschen ist die Einheit mit der Natur zerbrochen, in der sich das Tier noch befindet. Der Mensch ist sich seiner Vergangenheit und seiner Zukunft und damit auch seines Todes bewusst, also auch seiner Ohnmacht gegenüber seinem natürlichen Schicksal.

E. Fromm beschränkt sich aber nicht darauf, das Wesen des Menschen in diesem Konflikt zu sehen. Erst im Zusammenhang mit der Frage und dem Bedürfnis nach einer Antwort, die aus dem oben genannten „Zerbrechen der Einheit“ resultieren, ist das Wesen des Menschen ganz erfasst. Dieser Zusammenhang ist für E. Fromm die Ursache für die von ihm festgestellten existentiellen Bedürfnisse. Sie sind als psychische Bedürfnisse zu verstehen, deren Befriedigung für E. Fromm genauso lebensnotwendig sind wie die physiologischen Bedürfnisse (Hunger, Durst, Schlaf, Sexualtrieb). Es wurden von ihm 6 existentielle Bedürfnisse definiert:

1. Das Bedürfnis nach Bezogenheit

Dieses Bedürfnis ist bedingt durch das Abgeschnittensein von der primären oder so genannten instinktiven Einheit mit der Natur. „Der Mensch ist von der ursprünglichen Einheit mit Natur, welche die tierische Existenz kennzeichnet, weggerissen. Da er zugleich mit Vernunft und Vorstellungskraft begabt ist, kommen ihm seine Vereinsamung und sein Abgetrenntsein, seine Ohnmacht und sein Unwissen und die Zufälligkeit seiner Geburt und seines Todes zu Bewusstsein. Er könnte diesen Zustand nicht einen Augenblick ertragen, fände er nicht neue Bindungen an seine Mitmenschen, welche die einst von Instinkten gelenkten ersetzen“ (Der moderne Mensch und seine Zukunft, Frankfurt am Main, 1978, S.31(DmMusZ)

2. Das Bedürfnis nach Transzendenz

Dieses Bedürfnis betrifft den Erwerb der spezifisch menschlichen Qualität (Vernunft, Bewusstsein). Dadurch bedingt ist das Bedürfnis, die passive Kreatürlichkeit zu überwinden, also selbst die Rolle des Schöpfers zu übernehmen. „Transzendenz soll andeuten, dass der Mensch die egozentrische und narzisstische Bezogenheit aufheben kann, also die Gefangenschaft des eigenen Ichs überwinden kann“ (Anatomie der menschlichen Destruktivität, Reinbek bei Hamburg, 1978, S.260 Fußnote (AdmD)

3. Das Bedürfnis nach Verwurzelt – Sein

Dieses Bedürfnis ist bedingt durch den Verlust der Geborgenheit bei der Geburt und damit des Verwurzelt – Seins in der Natur.

„Nie sind wir frei von zwei einander widerstreitenden Strebungen: uns aus dem Mutterleib, aus der tierischen Form unserer Existenz zu einer humaneren Gestaltung unseres Dasein zu erheben, von der Gebundenheit zur Freiheit aufzusteigen – und der andern: in den Mutterschoß, zur Natur, zur Gewissheit und Sicherheit heimzukehren……. Hier liegt auch der Schlüssel zur humanistischen Psychoanalyse“ (DmMusZ, 28/29).

4. Das Bedürfnis nach einem Identitätserlebnis oder Einheitserlebnis

Dadurch, dass die Einheit mit der Natur zerbrochen ist, ist es für den Menschen unerträglich, „wenn er sich nicht ein Gefühl der Einheit in sich selbst und mit der natürlichen und menschlichen Welt außerhalb erstellen könnte.“ (AdmD, 262) Die Lösungsmöglichkeiten des Problems sind aber vielfältig, wobei die Determination durch sozioökonomischen Umstände den „Weg“ des Menschen entscheidend beeinflussen. Allerdings sieht E. Fromm  auch den subjektiven Freiraum des Einzelnen:

„Die Alternative, zwischen dem regressiven und dem progressiven Weg, Erlösung zu finden, ist nicht nur ein sozial-historische. Jeder einzelne Mensch ist mit derselben Alternative konfrontiert. Sein Spielraum an Freiheit, die regressive Lösung in einer Gesellschaft, die sich für sie entschieden hat, abzulehnen, ist bestimmt klein – doch er existiert. Aber große Anstrengung, klares Denken und die Anleitung durch die Lehren der großen Humanisten sind dabei unentbehrlich“ (AdmD, 264).

5. Das Bedürfnis nach Wirkmächtigkeit (Das Bestreben, etwas zu bewirken)

Aus der spezifischen Situation des Menschen entspringt das Gefühl der Ohnmacht. Dieser Zustand zwingt den Menschen, etwas zu tun bzw. zu wirken, um das Gefühl seiner Identität und seines eigenen Willen zu erhalten, um sich nicht nur als Objekt der Natur zu empfinden, der „physischen Gesetzen“ (DmMusZ, S.25) er unterworfen ist. In der Wirkmächtigkeit erlebt der Mensch sich nicht als Objekt, sondern als schöpferisches Subjekt.

6. Das Bedürfnis nach einen Rahmen der Orientierung und nach  einem Objekt der Hingabe

Analog zu seiner Wesensbestimmung hat E. Fromm hier ein Bedürfnis benannt, das den Menschen als intellektuelles Wesen fasst.

„Bewusstsein seiner selbst, Vernunft und Phantasie – jene neuen Eigenschaften des Menschen, die weit über die Fähigkeiten selbst der klügsten Tiere zum instrumentalen Denken hinausgehen – erfordern ein Bild von der Welt und ein Bild vom Platz des Menschen in dieser Welt, das strukturiert ist und einen inneren Zusammenhang besitzt. Der Mensch braucht eine Landkarte seiner natürlichen und sozialen Welt, ohne die er in Verwirrung geraten würde und unfähig wäre, zielgerichtet und konsequent zu handeln“ .(AdmD, S.259)

Der Charakter

Die Antworten auf diese existentiellen Bedürfnisse äußern sich als verschiedene Charakterzüge oder menschliche Leidenschaften. Sie resultieren aus der Charakterorientierung, weil sie im Charakter des Menschen integriert sind.

Für die unterschiedlichen Antworten auf die existentiellen Bedürfnisse werden von E. Fromm weitgehend die sozialen Verhältnisse verantwortlich gemacht. Natürlich berücksichtigt der Psychoanalytiker E. Fromm auch die ererbten Dispositionen, wie das Temperament und die vorgeburtliche Ereignisse und die Geburt selbst. Sie begünstigen aber für ihn lediglich eine bestimmte Charakterorientierung vor anderen.

Ferner übersieht E. Fromm auch nicht die physischen Bedürfnisse des Menschen. Für ihn sind sie die dem Menschen noch verbliebenen Instinkte, d.h. seine organischen Triebe wie Hunger, Durst, Schlaf und Sexualtrieb. E. Fromm hält ihre Befriedigung für lebenswichtig, denn sie liegen in der Beschaffenheit des menschlichen Körpers begründet. Die Intensität der physischen Bedürfnisse ist für ihn aber geringer als die der Charakterzüge:

„Das dramatische Element im menschlichen Leben wurzelt in den nichtbiologischen Leidenschaften und nicht in Hunger und Sexualität. Kaum jemand begeht Selbstmord, weil er in Bezug auf seine sexuellen Wünsche nicht auf seine Kosten kommt, aber viele nehmen sich das Leben, weil sie ihren Ehrgeiz oder ihren Hass nicht befriedigen konnten.“ (Sigmund Freuds Psychoanalyse – Größe und Grenzen, Stuttgart, 1979 ( Ps + Grenzen)

– Gesellschaftscharakter

Mit dem Gesellschaftscharakter erklärt E. Fromm die Übereinstimmung der psychischen Haltung der einzelnen Individuen einer Gesellschaft oder Kultur. Im Gegensatz zum individuellen Charakter, durch den sich die Menschen eines Kulturkreises unterscheiden, ist der Gesellschaftscharakter der gemeinsame Kern der Charakterstruktur aller Mitglieder einer Gesellschaft bzw. einer Kultur.

E. Fromm betont zwar  bei der Formung des Gesellschaftscharakters den dominierenden Einfluss der sozioökonomischen Verhältnisse, berücksichtigt aber auch die ideologischen Einflüsse durch Ideen und Ideale (religiöse, politische und philosophische Ideen), die in einer gewissen Wechselwirkung mit der sozioökonomischen Struktur einer Gesellschaft stehen.

Bei der Vermittlung auf den Individualcharakter spielt die Familie die entscheidende Rolle: „Die Familie ist das Medium, durch das die Gesellschaft bzw. die Klasse die ihr entsprechende, für sie spezifische Struktur dem Kind und damit dem Erwachsenen aufprägt; die Familie ist die psychologische Agentur der Gesellschaft.“ (Über Methoden und Aufgaben einer Analytischen Sozialpsychologie, GA I, S.42)

Um mit dem Dilemma fertig zu werden, das seiner Existenz mitgegeben ist, gibt es für den Menschen nur eine regressive oder progressive Lösung. Es existiert für E. Fromm aber kein angeborener Trieb zum Guten oder zum Bösen. ( Die Seele des Menschen, Stuttgart, 1979, S 121 (Seele)

Progressiv bedeutet bei E. Fromm soviel wie fortschreiten, dem Leben dienen. Progressiv entspricht seinen Begriffen produktiv und biophil. Regressiv entspricht seinen Begriffen nichtproduktiv, nekrophil, d.h., das Leben eleminieren, zur vormenschlichen Form der Existenz regredieren. (Sigmund Freuds Psychoanalyse – Größe und Grenzen. Stuttgart, 1979,S.152 (Ps u. Grenzen) Die biophile Antwort resultiert nach seiner Theorie aus der zerbrochenen Einheit des Menschen mit  der Natur, während die nekrophile Lösung in den historischen, von Menschen selbst geschaffenen soziologisch-ökonomischen Dichotomien begründet ist. Darum können sie auch vom Menschen selbst verändert werden.

„Gleichzeitig ist noch hinzuzufügen, dass, wenn ich sage, dass die gesellschaftlichen Umstände für die Entwicklung des Menschen verantwortlich sind, ich damit nicht unterstellen möchte, er sei das hilflose Objekt der äußeren Umstände. Die Umweltfaktoren fördern oder hindern die Entwicklung bestimmter Charakterzüge und bestimmen die Grenzen, innerhalb derer der Mensch handelt. Trotzdem sind des Menschern Vernunft und Wille sowohl individuell als auch sozial machtvolle Faktoren in seinem Entwicklungsprozess. Nicht die Geschichte macht den Menschen, der Mensch erschafft sich selbst im Prozess der Geschichte“ (,AdmD S.299)

Das Hauptanliegen E. Fromms ist diese Förderung der produktiven Kräfte, der lebensfördernden Leidenschaften: „In Wahrheit sind alle menschlichen Leidenschaften, die ´guten´ wie die ´schlechten´, nur als Versuch des Menschen zu verstehen, die banale Existenz der reinen Fristung des Lebens zu transzendieren. Wandel der Persönlichkeit ist nur dann möglich, wenn es ihm gelingt, sich zu einer neuen Art, dem Leben Sinn zu geben, zu ´bekehren´, indem er seine lebensfördernden Leidenschaften mobilisiert und auf diese Weise eine stärkere Vitalität und Integration erfährt, als er sie zuvor besaß.“ (AdmDA, S.26)

Die folgenden kurzen Beschreibungen der Grundformen des Charakters sind idealtypisch gefasst, obwohl der Charakter eines bestimmten Individuums meist eine Mischung einiger dieser Orientierungen darstellt, wobei allerdings eine Orientierung dominiert.

Ferner sind sie nach Assimilations- und Sozialisationsprozess unterschieden, also durch Aneignung und Assimilierung der Dinge und indem der einzelne Mensch sich zu den Menschen und zu sich selbst in Beziehung setzt.

Die Differenzierungen der Charakterorientierungen und die Zusammenfassung in biophil und nekrophil, sind das Resultat der Beobachtungen E. Fromms, in seiner psychoanalytischen Praxis (AdmD, 373, Seele, 7 u. Illusion, 16).

Die nekrophilen oder nicht-produktiven Charakterorientierungen im Assimilierungsprozess

Die durch unser Gesellschaftssystem bedingte Machtlosigkeit, Objekthaftigkeit und Ohnmacht des einzelnen, sind nach E. Fromm hauptsächlich verantwortlich für die regressiven Tendenzen der Menschen. Die Möglichkeit der Veränderung zu den produktiven Orientierungen hin ist demnach ein gesellschaftliches Problem.

Die rezeptive Orientierung

„Bei der rezeptiven Orientierung hat der Mensch das Empfinden, die „Quelle alles Guten“ läge außerhalb seines Selbst. Er glaubt das Wünschenswerte (gleichgültig, ob es sich um etwas Materielles handelt oder um Zuneigung, Liebe, Wissen und Vergnügen) nur von diesem außer ihm Liegenden empfangen zu können. (Psychoanalyse und Ethik, Frankfurt am Main l978 (Ethik, 77)

Mit der Marktorientierung vermischt, bildet sie den heute vorherrschenden Konsumcharakter.

Die ausbeuterische Orientierung

Parallel zur rezeptiven Orientierung wird auch hier die „Quelle alles Guten“ außerhalb des eigenen Selbst vermutet. Nur besteht hier nicht die Passivität, sondern die Aktivität in Form von Stehlen. An sich reißen, Wegnehmen, Ausbeuten ist für diese Orientierung symptomatisch. Das mangelnde Vertrauen auf die eigenen Fähigkeiten führt im geistigen Bereich zum Plagiat.

Zu den Orientierungen im Sozialisationsprozess besteht die größte Affinität zu den verschiedenen Formen des Sadismus.

Die Hamsterorientierung (hortende Orientierung oder auch analer Charakter)

Im Gegensatz zu den beiden vorhergehenden Orientierungen zeichnet sie sich durch große Distanz aus, die aus der Angst gegenüber der Umwelt resultiert. Nähe ist nur durch totales Beherrschen des anderen zu ertragen. Charakteristisch ist hier übertriebene Sauberkeit, Pünktlichkeit, sterile Ordnungsliebe. „Der hortende Mensch hat leicht das Gefühl, dass er eine begrenzte Menge an Kraft, Energie und geistiger Kapazität besitzt……….Für ihn besitzt Tod und Zerstörung mehr Realität als Leben und Wachstum“ (AdmD 332)

Die Marktorientierung

Diese Orientierung ist für E. Fromm die dominanteste Orientierung unserer Zeit. Sie ist ein Resultat unserer westlichen Industriegesellschaft, deren Markt auf Angebot und Nachfrage basiert. Nicht der Gebrauchswert einer Ware ist entscheidend, sondern das Verhältnis von Angebot und Nachfrage bestimmt den Wert der Ware.

Diese Regulation des Marktes beeinflusst stark die Persönlichkeitsstruktur des Menschen dieser Gesellschaft. „Ihr wirkliches Wesen besteht darin, dass kein spezifisches und ständiges Bezugssystem entwickelt wird, die Auswechselbarkeit der Haltung ist das einzige Beständige einer solchen Orientierung. Es werden nur diejenigen Eigenschaften entwickelt, die sich am besten verkaufen lassen.“ (Ethik, 92)  Im Sozialisationsprozess besteht die größte Affinität zum konformistischen Charakter.

Die nekrophil-destruktive Orientierung

Seit l964 (in „Seele“ und noch deutlicher 1973 in „AdmD“)  hat E. Fromm noch eine weitere Orientierung zu den Orientierungen von 1947 (in „Ethik“)  herausgearbeitet. Die Möglichkeit der atomaren Vernichtung der Menschheit und der daraus resultierenden Frage, wie der Mensch selbst diese grauenhafte Massenvernichtung erdenken konnte und das Problem, wie der Mensch im Namen des Fortschritts die Welt so verpestet, dass es „zweifelhaft geworden ist, ob die Erde in hundert Jahren  noch bewohnbar ist“ (AdmD, 394), waren wohl die wichtigsten Voraussetzungen, die E. Fromm zu der Formulierung der nekrophil – destruktiven Orientierung führten. „Dabei macht es kaum einen Unterschied, ob er das absichtlich tut oder nicht. Wenn er die drohende Gefahr nicht kennen würde, könnte man ihn vielleicht von der Verantwortung freisprechen. Aber es ist das nekrophile Element in seinem Charakter, das ihn hindert, aus dem was er weiß, die Konsequenz zu ziehen.“ (AdmD, 395)

Bei der nekrophil – destruktiven Orientierung im Assimilierungsprozess handelt es sich um eine „bösartige Form“ der Legierung von hortender bzw. Analer und der Markt-Orientierung.

In den Träumen von nekrophilen Klienten E. Fromms (AdmD, 376), erscheint neben der Freudschen Symbolik des Todes, wie Exkremente und verwesende Körper, häufig mächtige Maschinen und andere Materialien aus Metall und Glas.

Die nicht-produktiven Orientierungen im Sozialisationsprozess

Diese Orientierungen stellen die unterschiedliche Art und Weise der nichtproduktiven zwischenmenschlichen Beziehungen dar. Sie sind auch wieder idealtypisch gefasst.

E. Fromm unterscheidet zwei Gruppen der unproduktiven menschlichen Beziehungen, die eine ist durch Distanz und Zerstörungssucht gekennzeichnet und die andere ist die symbiotische Verbindung. Unter Symbiose versteht er den Verlust der eigenen Integrität durch eine abhängige Beziehung.

Die Orientierung der Distanz und Zerstörungssucht ist der Versuch, die Ohnmacht und Isoliertheit der spezifisch menschlichen Situation, durch Zerstörung des möglichen Bezugsobjektes aufzulösen.

Die symbiotischen Orientierungen

Der Masochismus

Passivität und Unterwerfung sind die dominierenden Kennzeichen dieser Orientierung.

„Die Macht jener Person, der man sich unterwirft, ist übersteigert, mag sie nun ein Mensch oder ein Gott sein. Sie ist alles, ich selbst bin nichts, abgesehen allein davon, dass ich ein Teil von ihr bin. Denn damit bin ich auch ein Teil ihrer Größe, ihrer Macht, ihrer Sicherheit. Der  Masochist hat selbst keine Entscheidungen zu treffen, hat kein Risiko auf sich zu nehmen, er ist niemals allein.“ (Die Kunst des Liebens, Frankfurt am Main l977, S. 38(Liebe)

Mit Rationalisierungen begründet der Masochist sein Verhalten gegenüber Kritikern und sich selbst. Abhängigkeit wird als Liebe, Minderwertigkeitsgefühle als vernünftige Einschätzung der Unterlegenheit und Leid als Schicksal erklärt.

Die Affinität dieser Orientierung zu der rezeptiven Orientierung im Assimilationsprozess ist durch die nach außen gerichtete Erwartungshaltung deutlich.

Unter der symbiotischen Beziehung des Masochismus und des Sadismus ist nicht primär als sexuelle Perversion zu verstehen. Das so bezeichnete sexuelle Verhalten ist nur eine der vielen Ausdrucksformen dieser Orientierung.

Der Sadismus

Während der Masochist sich selbst als Erweiterung eines anderen Wesens empfindet und formen lässt, dominiert der Sadist in der symbiotischen Beziehung als aktiver Teil, der ein anderes Wesen als Erweiterung seiner selbst einbezieht.

E. Fromm unterscheidet drei Arten des Sadismus:

1. die absolute Beherrschung des anderen,

2. die Ausbeutung Aushöhlung des anderen

3. das Quälen, Demütigen, Erniedrigen (körperlich, seelisch oder geistig)

Die erste und zweite Form des Sadismus hat eine Affinität zum ausbeuterischen Charakter im Assimilierungsprozess; während die dritte Form des Sadismus eine starke Affinität zum hortenden Charakter im Assimilierungsprozess besitzt. (AdmD S. 331)

Die Orientierungen der Distanz und Zerstörungssucht

– Die konformistische Orientierung

Die Entstehungsbedingungen dieser Orientierung sind in der Marktorientierung beschrieben, ihrem Pendant im Assimilierungsprozess. Die dort aufgeführte Wertkonzeption führt zu einer Persönlichkeit, die sich „anonymen Autoritäten“ des Marktes unterordnet. Diese Ausrichtung nach den anonymen Autoritäten führt zur total entfremdeten Persönlichkeit.

„Ich sollte tun, was jederman tut – also muss ich mich anpassen, nicht verschieden von den anderen sein, nicht auffallen; ich muss bereit und willens sein, mich zu wandeln, wenn das Schema sich wandelt ; ich darf nicht fragen, ob ich recht oder unrecht habe, sondern nur, ob ich angepasst bin, nicht eigenartig, nicht unterschieden von der Umwelt.“ (DmMusZ, S.138)

Die Gefahr der anonymen Autorität für die Entwicklung des Menschen bzw. des Wandelns der „offenen Autorität“ (Vater, Lehrer, Chef, Priester, Gott….) in die unsichtbare Autorität, liegt in deren unbewussten Verinnerlichung und dem daraus entstehenden Trugbild der Individualität. Diese Täuschung verhindert die kritische Auseinandersetzung oder Auflehnung gegenüber Verhältnisse, die für Entfremdung und Unterdrückung verantwortlich sind.

– Die nekrophil-destruktive Orientierung

Es handelt sich hier um die bösartige Form der sadistischen Orientierung, die auf Zerstörung abzielt.

Im Gegensatz zur sadistischen Orientierung, in der die Bezugsperson beherrscht und ausgebeutet, aber nicht zerstört wird, ist das Kennzeichen der nekrophil – destruktiven Orientierung, die totale Bezugslosigkeit dem Menschen, den Dingen und sich selbst gegenüber, die in der Faszination des Todes gipfelt.

„Aber selbst die Sadisten leben noch mit anderen; sie wollen sie zwar kontrollieren, aber nicht vernichten. Diejenigen, den selbst diese perverse Art der Bezogenheit abgeht, die noch narzisstischer und noch feindseliger sind, das sind die Nekrophilen. Ihr Ziel ist, alles Lebendige in tote Materie zu verwandeln; sie wollen alles und jeden zerstören, oft sogar sich selbst; ihr Feind ist das Leben selbst“ (AdmD 392)

Der Geist der Industriegesellschaft, wie er in der gleichnamigen Orientierung des Assimilationsprozesses beschrieben wurde, führt auch in der zwischenmenschlichen Beziehung zu dieser Leidenschaft der Zerstörung und der negativen Bezogenheit.

– Die narzisstische Orientierung

Ist die nekrophil – destruktive Orientierung aufgrund ihrer Zerstörungssucht die sozial gefährlichste, so ist die narzisstische die am meisten unbezogene Orientierung, die sich durch größte Distanz auszeichnet. In ihr wird nur die eigene Welt als real anerkannt, während die Umwelt verzerrt beurteilt wird. Da die Selbstüberschätzung der Kernpunkt dieser Orientierung ist, wird Kritik an der eigenen Person als feindselige Attacke aufgefasst.

„Wenn er die Welt ist, so gibt es keine Außenwelt, die ihm Angst einflößen kann; wenn er alles ist, so ist er nicht allein. Daher fühlt er sich in seiner ganzen Existenz bedroht, wenn sein Narzissmus verwundet wird.“ (Seele 75)

Die Wut kann zur Zerstörung des Kritikers führen, aber auch zur Depression, wenn durch die Kritik die Selbstaufblähung unhaltbar geworden ist. Die extremste Ausformung des Narzissmus ist die Psychose, in der keine Beziehung mehr zur äußeren Realität besteht, die durch die eigene Person ersetzt wurde.

– Gruppennarzissmus

E. Fromm sieht im Gruppennarzissmus die häufiger auftretende Form des Narzissmus beim Durchschnittsmenschen, bei dem die Entwicklung eines intensiven, auf die eigene Person bezogenen Narzissmus durch seine soziale Lage (z.B. geringer sozialer Prestige), eingeschränkt ist. „Er ist ein Nichts. Wenn er sich jedoch mit seiner Nation identifizieren oder wenn er seinen persönlichen Narzissmus auf die Nation übertragen kann, dann ist er alles.“  (Ps u. Grenzen,71)

Der Narzissmus der nationalen, politischen und religiösen Gruppen, ist für E. Fromm die Wurzel eines jeden Fanatismus. Durch die Identifikation mit der Gruppe, wird jede Kritik an diese Gemeinschaft, als persönlicher Angriff erlebt und dementsprechend bekämpft.

Die produktiven Orientierungen

Hier handelt es sich um die Beschreibung der Qualität des Fühlens und des Denkens, die bei den Menschen vorherrscht und nicht um einzelne Charaktere, wie bei den nicht-produktiven Orientierungen.

Eine kurze Zusammenfassung der Ausdrucksformen der produktiver Orientierung ist im folgenden Zitat enthalten.

„Im Bereich des Denkens drückt sich die produktive Orientierung in der richtigen Erfassung der Welt durch die Vernunft aus. Im Bereich des Handelns findet sich ihr Ausdruck in schöpferischer Tätigkeit, deren Prototyp Kunst und Handwerk sind. Im Bereich des Gefühlslebens ist die Liebe der Ausdruck der produktiven Orientierung als das Erlebnis des Einswerden mit einem andern, mit allen Menschen und mit der Natur unter Beibehaltung der Integrität und Unabhängigkeit.“ (DmMusZ, S,33)

Die Vernunft hat für E. Fromm im Gegensatz zum Verstand (Intelligenz) diese Aufgabe:

„Etwas zu wissen, zu verstehen, zu erfassen und den Menschen durch dieses Begreifen zu den Dingen in Beziehung zusetzen. Die Vernunft durchdringt das Außen der Dinge, um deren Wesen zu entdecken, ihre verdeckten Zusammenhänge, ihren tieferen Sinn.“ (Ethik, 117)

Liebe ist in erster Linie nicht Bindung an eine bestimmte Person; sie ist vielmehr eine Haltung, eine Orientierung des Charakters, die das Verhältnis einer Person zur Welt als Ganzes, nicht aber zu einen einzigen Objekt der Liebe bestimmt. Wenn ein Mensch nur eine einzige  andere Person liebt und seinen übrigen Mitmenschen gegenüber Gleichgültigkeit empfindet, ist seine Liebe nicht Liebe, sondern eine symbiotische Bindung oder gesteigerter Egoismus.“(Die Kunst des Liebens, Frankfurt am Main 1977, S. 69 (Liebe)

In seinen letzten Buch „Haben oder Sein,“ Stuttgart 1977, schuf  E. Fromm mit den beiden Modi des Habens und des Seins Abstraktionen zur Wertung menschlicher Wirklichkeit.

Sein Verständnis von Charakter, der für ihn jeden Ausdruck menschlicher Existenz bestimmt und der von eben diesen zwei entgegengesetzten Grundorientierungen des Habens und des Seins beherrscht wird, wobei die jeweilige dominierende Orientierung das Denken, Fühlen und Handeln des Menschen grundlegend prägt, ist das Ergebnis seiner sozialpsychologischen Erfahrung und Einsicht.

Die subjektive Möglichkeit, sich aus der Habenstruktur zu lösen, um dem Sein zu folgen, sieht E. Fromm nur gegeben, wenn wir „aufhören Sicherheit und Identität zu suchen, indem wir uns an das anklammern was wir haben, indem wir es besitzen, indem wir an unserem Ich und unserem Besitz festhalten.“(ebd. S. 91)

Da das Sein sich für ihn auf die Wirklichkeit bezieht im Gegensatz zum verfälschenden illusionären Bild, ist für ihn unbedingt vermehrte Einsicht in die Realität des eigenen Selbst, der anderen und unserer Umwelt erforderlich. Dabei muss uns bewusst sein, dass die Gesellschaftsstruktur und deren Werte und Normen weitgehend unsere Entscheidung zu einer der beiden Tendenzen bestimmt.

Aber wir sollten auch die Tatsache berücksichtigen, dass das Sein durch die Praxis wächst. Das heißt, dass Solidaritäts- und Kooperationsfähigkeit, Liebe, Vernunft, das künstlerische und intellektuelle Schaffen in der Praxis wachsen, allerdings nicht als losgelöste Verkehrsform einzelner Menschen, sondern nur auf dem Hintergrund des Bewusstseins, dass das durch die Habenorientierung determinierte Gegeneinander den Interessen aller Menschen widerspricht.

In der Diskussion im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon wurde auch auf die nekrophil/schädlichen Strukturen von religiösen Institutionen hingewiesen. Dazu folgt demnächst eine eigene Stellungnahme.

—-Empfehlend weisen wir ausdrücklich auf ein grundlegendes Buch des sehr angesehenen Kenners des Werkes von Erich Fromm hin, auf Rainer Funks Buch „Mut zum Menschen“.

 

—-Copyright: Hartmut Wiebus, Berlin.

Toulouse – Perspektiven einer Kulturstadt

Toulouse – Perspektiven einer lebendigen Kulturstadt

Von Christian Modehn

Toulouse – eine Stadt, in der rassistisch motivierte Verbrechen geschahen und Kinder an der jüdischen Schule Ozar – Athora erschossen wurden,

Toulouse eine Stadt, die noch immer unter dem Schock der Verbrechen leidet, verübt von einem Mörder, der auch Militärangehörige tötete.

Toulouse, das darf nicht vergessen werden, steht eigentlich glanzvoll da, wenn man nur einige Aspekte seiner Geschichte betrachtet:

Hier hat der junge Philosoph Vladmir Jankélevitch gewirkt, er wurde vom Vichy – Regime verfolgt, lehrte seine Philosophie aber trotz allem weiter in einigen Cafés von Toulouse.

In Toulouse hat Kardinal Saliège gelebt, der als einer der wenigen französischen Bischöfe öffentlich die Nazis und das mit ihnen verbandelte Vichy – Regime kritisierte.

In Toulouse fanden die Republikaner Spaniens Zuflucht, als sie von den Franco – Truppen verfolgt wurden.

In Toulouse hat André Malraux, Schriftsteller und Widerstandskämpfer, die Befreiung erwartet.

In Toulouse hat Jean Jaurès, Sozialist und Pazifist, als Journalist gearbeitet.

In Toulouse wurde die katholische Kirchenmusik grundlegend erneuert, mit den Kompositionen der „Messe tolosane“, vor allem durch den Musiker und Komponisten André Gouzes aus dem Dominikanerorden (der Orden wurde übrigens 1215 in Toulouse gegründet).

Toulouse – die Erinnerung an eine lebendige Stadt der Kultur und der Toleranz wird alles Leiden am Schrecken der Verbrechen überdauern.

 

Wir weisen gern auf das Buch von Stéphane Baumont hin:  Le Gout de Toulouse. 2006.

Aus einer Besprechung:

Ville d’un fleuve, la Garonne, entre Atlantique et Méditerranée ; capitale de l’aéronautique comme du rugby, ville de paradoxes et de singularités entre pastel et vent d’autan, tango et bel canto ; république des Capitouls et des temps de libération, Toulouse c’est aussi et d’abord, comme le souligne Marie-Louise Roubaud, «une couleur, le rouge ocre de la brique, un accent chantant, un esprit dérangeant qui résiste». Claude Nougaro lui a donné son hymne, «Ô mon païs, ô Toulouse», entre langue d’oc et catharisme. D’autres, écrivains, poètes, troubadours, journalistes, chroniqueurs, ont su décrire le génie du lieu, terre promise de cocagne et d’esthétique architecturale. Promenade en compagnie de Gustave Flaubert, Tristan Derème, José Cabanis, Jean Jaurès, Raymond Abellio, André Fraigneau, Renaud Camus, Kléber Haedens, Stendhal, Saint-Exupéry et bien d’autres.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Paulo Freire: Praxis der Befreiung

 

              Wichtige Erkenntnisse der PÄDAGOGIK DER BEFREIUNG von PAULO FREIRE (1921-1997)

              Von Hernán Silva-Santisteban Larco,  Religionsphilosophischer Salon am 23.3.2012

 

–  Einheit von Denken und Handeln

Der Mensch existiert nicht isoliert, er ist auf ein Du angewiesen und er ist auf seine Umwelt gerichtet (Freire, Pädagogik der Unterdrucken, S.117f). Mensch und Welt stehen in einem Wechselwirkungsverhältnis und beide sind so miteinander verwoben, dass sie niemals voneinander abgespaltet werden können (Bernhard, S. 181). Andererseits, der Mensch ist nicht endgültig und für immer festgelegt, vielmehr tendiert er dazu, in der Auseinandersetzung mit seiner Umwelt, seine Lebensbedingungen zu überschreiten und neue Möglichkeiten zu erproben (ebd., S.180). Der Mensch kann nicht anders, als zu handeln und durch sein Handeln sich selbst und die Welt umzuformen (Figueroa, S.33): der Mensch ist ein dauerhafter Entwurf von sich selbst in der Welt, er hat Willen zur Gestaltung. In dieser Hinsicht, in dem der Mensch nicht isoliert existiert, kann es auch kein isoliertes Denken geben, und in dem das menschliche Wesen sich wesentlich in der Handlung bestätigt, kann das Denken des Menschen über seine Welt von seinem Handeln in dieser Welt nicht abgetrennt werden (Bernhard, ebd.): die menschliche Handlung ist die unauflösliche Einheit zwischen meiner Aktion und meiner Reflexion über die Welt (Stückrath, S.18). Das Denken soll konkret werden und in der existenziellen Lebenswirklichkeit wurzeln und auf das Handeln wirken. Nur der Mensch ist fähig, dank seines Denkens, gegenüber der Welt eine Distanz einzunehmen und dadurch bewusst auf die Realität durch seine Handlung einzuwirken. Nur der Mensch, und das gilt für allen Menschen ohne kulturelle Unterschied, ist imstande, sich selbst zu transzendieren und zu verstehen, um sie zu verwandeln (Freire, Pädagogik der Unterdrucken, S.50).

– Der Mensch als kritischer Denker

An Anfang ist die Annährung des Menschen an die Welt, in der er sich befindet und in der er sich sucht, keine kritische Einstellung, sondern eine naive. Auf dieser ersten spontanen Ebene macht der Mensch eine unkritische passive Erfahrung der Wirklichkeit: dieser Prozess beschreibt eine „Bewusstwerdung“. In dem man diese erste spontane Ebene des Erfassens der Realität überwindet, gelangt das menschliche Denken auf eine kritische Ebene, in der die Realität sich „entschleiert“ in seiner wahrhaftigen Wesenheit, d.h., das Bewusstsein nimmt Besitz von der Realität. Das kritische Bewusstsein hinterfragt die Ursache der Umstände und „enthüllt“ die Wirklichkeit durch Auflösung von Bildern und Begriffe, durch die die Wirklichkeit verzerrt dargestellt wird. Dank dieser erworbenen kritischen Ebene verwandelt sich das Bewusstsein, als Entfaltung des Bewusstwerden, in eine „Bewusstseinsbildung“ (Stückrath, S.18f). Die Bewusstseinsbildung ist ein Lernvorgang, der nötig ist, um soziale, politische und wirtschaftliche Widersprüche zu begreifen, um Maßnahmen gegen die unterdrückerischen Verhältnisse der Wirklichkeit zu ergreifen (Dabisch, S.69f). Aus dieser Bewusstseinsbildung kann der Mensch kritisch und schöpferisch in seiner entschleierten Welt handeln. In diesem Sinne, Bewusstseinsbildung ist ein Prozess der „Erweckung“ und der Dynamisierung des Bewusstseins der Einzelnen. Gleichzeitig ist eine Veränderung der Mentalität, wozu eine genaue realistische Einsicht in die eigene Stellung in der Welt und in der Gesellschaft gehört (Dabisch, S.69f; Stückrath, S.18f). Dieses Prozess und diese Veränderung können alle Menschen auf der Welt erreichen und erleben, sogar die Analphabeten.

– Die Utopie als Quelle der Wirklichkeit

Darüber hinaus, diese Bewusstseinsbildung fordert uns auf, der Welt gegenüber eine utopische Haltung einzunehmen. Die Utopie ist in diesem Fall nicht das Unrealisierbare, sie ist eher eine dialektische Verbindung der kritischen Aufdeckung einer entmenschlichenden Struktur und die Ankündigung einer menschlichen solidarischen Struktur durch das schöpferische Denken. Die Utopie, als Veränderungsimpuls der Realität, setzt kritisches Erkennen voraus. Ich kann nicht etwas aufdecken, wenn ich nicht in die Realität eindringe, um sie kennenzulernen; ich kann nicht etwas ankündigen, wenn ich es nicht erkenne. Und nur durch Handeln, auf der Basis eines kritischen Denkens, kann sich eine Utopie in Realität verwandeln (Stückrath, S.19f). Der Mensch, als  historisches Wesen, ist berufen um die Rolle des Subjekt zu übernehmen um die Welt um ihm herum zu gestalten und erneut zu gestalten: er ist berufen um sein eigenes Leben in seine Hände zu nehmen als freier denkender schaffender Mensch, als „kulturschöpferisches Wesen“ (Edward Sapir)

– Der Mensch als Dialog-Wesen

Der Mensch ist auch auf Zwischenmenschliche Kommunikation angewiesen, ohne die er die Welt weder erschließen noch verändern kann. Der Mensch ist zum Dialog mit anderen Menschen bestimmt (Bernhard, S.180). In dem der Mensch dieäußere Welt und seine äußeren Lebensumstände Gegenstand seines Denkens und seines Bewusstseins machen kann, ist er in der Lage, sich selbst und seine Welt im Dialog mit anderen zu verstehen, zu gestalten und zu verändern (Bernhard, S.181). Der Dialog ist, in diesem Fall, ein Akt des Erkennens und einer kritischen Annährung an die Realität (Stückrath, S.18). Der Anreiz zu Bewusstseinsbildung geht von einem interpersonalen Dialog aus. Durch diesen Dialog als Begegnung mit anderen Menschen wird und kann jeder Mensch entdecken, was Mensch sein bedeutet (Dabisch, S.70). Erkenntnis und Selbsterkenntnis erfolgt immer in Kommunikation, d. h., dass das „ich denke“ und dass das „wir denken“ bereichen sich miteinander. Wenn Kommunikation auf ununterbrochene wechselseitige Mitteilungen aufbaut, gibt es kein passives Subjekt in dem Dialogprozess, es gäbe nicht die Möglichkeit, das jemand in seinen Mitteilungen einen anderen zu „erdulden hat“  (Rosch, S.63f)

 

Bibliographie:

-Freire, Paulo, Pädagogik der Solidarität, Wuppertal, 1974;

-Freire, Paulo, Pädagogik der Unterdrückten, Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei  Hamburg, 1977;

-Freire, Paulo, Erziehung als Praxis der Freiheit, Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg, 1977;

-Bernhard, Armin, Pädagogisches Denken, Schneider Verlag Hohengehren GmbH, Baltmannsweiler, 2006;

-Dabisch, Joachim, Die Pädagogik Paulo Freires im Schulsystem, Verlag Breitenbach Publishers, Saarbrücken-Fort Lauderdale, 1987:

-Figueroa, Dimas, Paulo Freire zur Einführung, Junius Verlag GmbH, Hamburg, 1989;

-Rosch, Christoph, Die Erziehungskonzeption Paulo Freires, Verlag Peter Lang GmbH, Frankfurt am Mein, 1987;

-Stückrath-Taubert, Erika (Hg.), Erziehung zur Befreiung. Paulo Freire: Rezeption und Kritik, Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg, 1975  (zusammengestellt von H.S.)

Die Literatur über Paulo Freire ist nahezu “uferlos”. Wir weisen nur auf eine neuere Studie hin: Paulo Freire, Pädagogik der Autonomie.(Band III)
Hg. Peter Schreiner, Norbert Mette, Dirk Oesselmann, Dieter Kinkelbur. Waxmann: Münster 2008.
133 Seiten, ISBN 978-3-8309-1870-7
Band I: Paulo Freire, Unterdrückung und Befreiung

Band II: Paulo Freire, Bildung und Hoffnung   (C.M)

copyright: hernan silva-santisteban-larco.

Die Stoa und die digitale Welt: “Einfach abschalten”

Mit Seneca die Herrschaft der digitalen Welt einschränken

Von Christian Modehn

Er hat sich, wie viele Millionen anderer Menschen, ganz in die digitale Welt der „Bildschirme“ hineinbegeben und sich von ihr abhängig gemacht; jetzt lebt er mit der Familie den „Internet – Sabbat“, um sich aus der totalen Bindung an Laptops, Handys, E book- readers und Tablet PCs zu befreien. William Powers, Schriftsteller und Journalist  (u.a. The New York Times, The Atlantic) plädiert in seinem neuen Buch „Einfach abschalten“ (Goldmann Verlag 2011) dafür, gelegentlich Abstand zu nehmen von der digitalen Welt. Die permanent propagierte Verheißung, je mehr man vernetzt sei, um besser sei das Leben, hat sich für ihn als haltlos und gefährlich erwiesen. „Wenn wir so weitermachen wie bisher, wird der Preis dieses Lebens auf die Dauer die Vorteile übertreffen. Die Lösung liegt eher darin, sich eine neue Weltsicht anzueignen, durch die wir zu einer bedachteren, überlegteren Lebensweise kommen…Wann immer ich einen Zwischenraum zwischen mir und meinem Bildschirm eröffne, geschieht etwas Gutes“  (S. 287).

William Powers weiß genau, wovon er spricht: Die permanente Erreichbarkeit, das damit gegebene Dauer –Gerede/Geschreibe über Banales und allzu Privates, der dauernde Zwang, emails zu checken, am Wochenende, in jedem Hotel, bei jedem Urlaub, hat auch ihn eingeschränkt, sie hat ihm beinahe die Seele geraubt.  Jetzt weiß er: Die digitale Welt macht das Leben eindimensional, es bildet sich die Unfähigkeit, „unsere Gedanken zu verlangsamen und zu konzentrieren“ (S. 23). Der total digitale Mensch wird abhängig von Einreden von außen, von den Sprüchen der anderen, der Werbung, der Propaganda. Die Pflege und die Achtsamkeit auf die eigene, „nur meine“ innere Welt, das leibhaftige Interesse am anderen, an der Familie, deb Freunden,  geht verloren. „Das eigene Innenleben wird immer beliebiger, fremdbestimmt durch das, was andere sagen“ (S. 162).  William Powers berichtet, wie in Finnland sich Menschen bereits rituell  aus der Allmacht des Digitalen befreien, indem sie öffentlich den Handy- Weitwurf praktizieren, „eine symbolische geistige Befreiung vom unterdrückenden Joch ständiger Erreichbarkeit“ (S. 100).

Philosophen und philosophisch Interessierte nehmen es mit einer gewissen Genugtuung zur Kenntnis, dass der kompetente Nutzer der digitalen Welt und ihr nun heftiger Kritiker sich auf „therapeutische Ansätze“ von Philosophen beruft.  Etw auf Seneca, den Meister der stoischen Philosophie, er lebte vor 2000 Jahren. Seine Erkenntnisse hält Powers für aktuell und hilfreich. Er weist zurecht die dumme Klischeevorstellung zurück, die Stoa sei eine banale Lehre von der Duldsamkeit. Im Gegenteil, Powers zeigt, wie auch die Menschen in der antiken Welt auf ihre Weise bereits von Stress geplagt waren, von permanentem Lärm in den Großstädten, von den Herausforderungen, im weiten Römischen Reich zu reisen, Bücher zu kaufen, Briefe „in alle Welt“ zu schreiben. Der Philosoph Seneca wird sozusagen zu einem Zeitgenossen/Leidensgenossen von uns. „Eines seiner häufigsten Themen ist die Gefahr, anderen, der breiten Masse, zu erlauben, zu viel Einfluß auf das eigenen Denken auszuüben“. (s 161). Alles kommt darauf an, „in sich selbst zu ruhen, auf sein eigenes Gespür und auf die eigenen Gedanken zu vertrauen“. Die Ruhelosigkeit ist für Seneca eines der schlimmsten Übel. Und vor allem der Wahn, in einem tatsächlich immer (zu) kurzen Leben „alles“ erleben zu wollen. „Berechne deine Lebenszeit. So viel passt gar nicht hinein“, schreibt Seneca (S. 165). Oder das stressige Viel – Lesen sollte konkreter werden, wenn man sich für einen Tag einen wichtigen Satz als eine Art Weisheit des Tages aussucht und ihn dann meditierend bedenkt. (S. 166).

William Powers will nicht die digitale Welt in Grund und Boden verdammen. Sie ist und bleibt hilfreich, ist unverzichtbar. Aber alles kommt darauf an zu erkennen: Die digitale Welt ist nur EINE Welt von vielen anderen. Und es gibt wichtigere „Welten“: Nämlich “die Sorge um sich selbst”, wie der Philosoph Michel Foucault einmal sagte.

William Powers, Einfach abschalten. Goldmann Verlag 2011, 350 Seiten, 9,99 Euro.

copyright: christian modehn