Papstfilm von Wim Wenders: Franziskus: Politisch mutig – theologisch sehr konservativ

Anlässlich des Films „Ein Mann seines Wortes“

Einige Hinweise von Christian Modehn

In Berlin wird für den neuen Film von Wenders auf Plakaten mit einem riesigen Porträt von Papst Franziskus mit der Unterzeile geworben: „Die Welt braucht Hoffnung“. Es wird sich zeigen, auch in diesen Hinweisen, ob Papst Franziskus der Welt tatsächlich umfassend Hoffnung geben kann…

Papst Franziskus gilt für viele Menschen – auch außerhalb des Katholizismus – in gewisser Hinsicht als eine Art „Lichtgestalt“: Also als ein „authentischer“ Staatschef. Denn dies ist ein Papst als geistliches Oberhaupt der Kirche ja auch, er ist immer gleichzeitig auch oberster (nicht vom Volk, nicht von den Vatikan-Bürgern gewählter!) Chef des Staates Vatikanstadt mit entsprechenden internationalen Auftritten. Dafür ein Beispiel: Bis heute hat der Staat Vatikanstadt die Menschenrechtserklärung der Uno NICHT unterschrieben. Das nur als kritischen Dämpfer, um allen Enthusiasmus angesichts von Papst Franziskus ein bisschen aus der Sphäre der Heiligsprechung herauszuholen. Wer ständig Menschenrechte anderswo fordert, könnte ja die Menschenrechtserklärung unterschreiben als Papst, könnte man denken…

Aber Papst Franziskus bleibt trotzdem mit seiner Kritik am Kapitalismus im Vergleich mit vielen anderen Klerikern im Vatikan als Staatschef doch bemerkenswert: Gerade in einer Welt, in der demokratische Politiker nur noch an einer Hand abgezählt werden können. Da freut man sich fast über einen kritischen nichtdemokratischen Staatschef, den Papst! In einer Zeit, in der ein Politologe, Prof. Stephen Eric Bronner, Rutgers University USA, Mister Trump, im ganzen sehr treffend, unter dem Stichwort „Gangsterpolitik“ beschreibt. So in der hervorragenden Zeitschrift „LETTRE international“, Heft 121 vom Juni 2018, Seite 172f.

Da gilt dann Papst Franziskus als eine Art personifizierter Lichtblick, was seine explizite und praktische Solidarität zugunsten der Armen, der Flüchtlinge, der Unterdrückten und Ausgebeuteten in Afrika, Asien, Lateinamerika angeht. Sein Plädoyer für mehr Barmherzigkeit ist lobenswert, wobei manche sagen: Gerechtigkeit wäre zunächst einmal die Basis und deswegen dringender. Die Hungernden wollen nicht – mal zwischendurch – barmherzig behandelt werden, sondern endlich gerecht! Das geht um die Veränderung der Klassenstrukturen…Dass er den konfessions verschiedenen Ehepaaren keine freie Entscheidung lassen will in der Wahl von katholischer Kommunion oder evangelischem Abendmahl, ist natürlich der größte Widerspruch zu allem Barmherzigkeitsgerede von Papst Franziskus. Dass er es sich anmaßt, Frauen in Not die Abtreibung zu verbieten, ist gar nicht barmherzig. Und so weiter und so weiter..

Trotzdem: Solch ein Papst weckt Zuversicht und Hoffnung, dass die Humanität in den „obersten Spitzen“ der Führer dieser Welt nicht ganz verschwindet, selbst wenn immer gefragt werden muss: Warum ist der Vatikan immer noch, auch unter Papst Franziskus, so reich, so opulent ausgestattet mit so unsäglich vielen bestens versorgten Klerikern vor allem in Rom? Wo sind die Verzichtsleistungen des Papst – Staates auf die Milliarden Euro wertvollen Immobilien im Kirchenbesitz allein in Rom: Und da wagen es diese Herren noch, um Spenden zu betteln… Also: Trotz aller so anrührenden Fußwaschungen von Gefangenen und Obdachlosen durch den Papst und trotz aller Solidarität mit den Flüchtlingen, etwa auf Lampedusa: Diese Kirche ist in Italien, ist in Europa, in den USA (falls die Bistümer dort nicht schon längst pleite sind wegen der hohen Zahlungen an die vielen Opfer pädophiler Verbrechen durch Priester)… diese katholische Kirche steht also de facto und mit klarem Verstande gesehen eben überhaupt nicht an der Seite der Armen: „Ich wünsche mir eine Kirche für die Armen“ sagte Papst Franziskus bei seiner Wahl, dieser Wunsch ist Wunsch geblieben: Er selbst wohnt zwar seit Beginn seiner Regierung in einer einem Apartment des Hauses „Santa Marta“, also nicht im Palazzo, wie Benedikt XVI….Dieser Umzug ist wohl das entscheidende Symbol des Reformwillens von Papst Franziskus. Kardinäle bewohnen ungeniert 300 Quadratmeter Wohnungen, wie Kardinal Bertone usw….

Nur: Diesem Ortswechsel des Papstes, dies ist mehr als ein Umzug, folgt kein Bischof, kein Kardinal nach: Falls jemand weiß, dass die deutschen Kardinäle oder Erzbischöfe etwa in 3 Zimmer – Mietswohnungen der Neubauviertel von Köln oder München Bamberg usw…. umgezogen sind, bitte bei mir melden. Falls jemand weiß, dass die Ordensgemeinschaften, auch die Abteien und Stifte, endlich einmal ihre Finanzen, ihre Immobilien, Waldbesitzungen etc. freilegen, wo sie doch so viel von Armut reden, bitte bei mir melden!

Wenn ich also auf einige zentrale kritische Aspekte zu Papst Franziskus hinweise – jeder Mensch muss sich selbst und andere kritisch betrachten – dann folge ich selbstverständlich nicht der gehässigen Kritik der äußerst konservativen klerikalen Clique der sich allwissend gebenden Kardinäle, Bischöfe und Theologen, die sich schlechterdings keinen Wandel, keine lebendige Veränderung in der römischen Kirche vorstellen können. Sie wollen einfach nur Papst Franziskus fertig machen, weil er eben weltpolitisch betrachtet etwas aus dem Rahmen üblicher Kleriker – Mentalität fällt. Diese ultrakonservativen Herren, die immer von ewigen Grundsätzen sprechen, interpretieren diese Grundsätze selbstverständlich absolut autoritär, ohne Diskussion, exklusiv, für ewig… so sind nun einmal autoritäre, undemokratische Systeme. Solche Systeme nannte der große Psychologe Erich Fromm treffend nekrophil.

Es gibt selbstverständlich eine aus der progressiven Theologie und Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie kommende Kritik am Papsttum und auch an Papst Franziskus. Trotz des allseits gerühmten Filmes von Wim Wenders.

Die entscheidende Erkenntnis: Der Vatikan und die gesamte Leitung der römischen Kirche ist ein autoritäres System, in der die „normalen Gläubigen“, die Laien, nur Belangloses sagen dürfen, aber niemals auch nur ansatzweise Wichtiges mitentscheiden. Frauen schon gar nicht, sie sind Hilfstruppen in der Männerkirche. Und das Schlimmste ist jetzt: Diese Degradierung der Frauen, ihr Ausschluss vom Priesteramt soll nun auf ewig so bleiben: Niemals wird es ein Priestertum der Frauen geben, wie der neue Chef der Glaubenskongregation Kardinal Ladaria SJ kürzlich meinte, er steht natürlich auf der Seite des lieben Gottes, weiß alles, entscheidet alles. Die Frauen werden aus diesem theologischen Wahn eines Kardinals ihre Konsequenzen ziehen.

Und es ist bezeichnend für die Situation in einer Diktatur, die Wahrheiten willkürlich auferlegt, dass in der Kirchenzeitung „Tag des Herrn“, vom 10. Juni 2018, Seite 2, die Redakteurin Susanne Haverkamp resigniert zu dem Verbot des Frauenpriestertums schreibt: Wenigstens „die Gedanken sind frei“. Was für eine Schande, solches schreiben zu müssen. Frauen denken nur noch insgeheim ans Priestertum der Frauen, glauben aber nicht daran, dies noch in den nächsten 300 Jahren zu erleben. Wie oft wurde einst in undemokratischen Zuständen gesagt: Wenigstens die Gedanken sind noch frei. Was für ein erbärmliches Bekenntnis einer theologisch gebildeten Katholikin zum miserablen Zustand der römischen Kirche: Diese Entscheidung des obersten Chefs der einstigen Inquisitionsbehörde Kardinal Luis Ladria SJ jetzt geschah selbstverständlich in Absprache mit Papst Franziskus. Wer daran denkt, möge bitte eher von einer Heiligsprechung von Papst Franziskus Abstand nehmen, aus Gründen einer progressiven Theologie, die lebendig ist und nicht versteinert und tot wie die in Rom.

Theologisch ist dieser Papst Franziskus also nach wie vor konservativ, den alten und angeblich ewigen Wahrheiten verpflichtet. Die Liste dieser konservativen Denkmuster auch bei Franziskus ist ultra lang. Das Zölibatsgesetz könnte er als Papst sofort aufheben, das ist seine rechtliche Kompetenz, tut er aber nicht. Hingegen verehrt er die Jungfrau von Fatima, die einst den Hirtenkindern in Portugal leibhaftig erschien…Franziskus schätzt den selbst von anderen Päpsten scheinheilig genannten Kapuziner Pater Pio, der mit seinen angeblichen Wundmalen Jesu an seinem Leib einen blühenden Handel trieb; Papst Franziskus praktiziert nach wie vor den Ablass, als hätte es das Reformationsgedenken 2017 nicht gegeben; in seinen Morgenansprachen im Haus Santa Martha spricht er ständig von der Präsenz des Teufels, Teufelsaustreibungen werden selbstverständlich immer mehr praktiziert usw. Die Versöhnung mit den Traditionalisten und Pius – Brüdern von Erzbischof Lefèbvre geht voran, indem man deren reaktionäre Theologie schrittweise anerkennt…Diese Liste sehr zweifelhafter theologischer Praktiken auch unter Franziskus und von ihm so gewollt könnte endlos verlängert werden…

Da könnte man sagen: Ja, aber das will Franziskus doch selbst gar nicht. Das alles lässt er nur zu, um die vielen reaktionären Kleriker im Vatikan und anderswo etwas ruhig zu stellen: Aber wenn das so ist, dann bestätigt diese Situation nur den Zustand der römischen Kirche. Die nach außen hin hoch beachtliche humane Geste von Franziskus im Umgang mit Gefangenen, Armen, Flüchtlingen usw. geschieht auch deswegen, damit die KatholikInnen noch in dieser Kirche bleiben. Der Film von Wim Wenders ist dafür eine willkommene Hilfe. Vielleicht.

Wim Wenders war nicht in der Lage, das so unglaublich zwiespältige theologische Profil von Papst Franziskus zu zeigen. Sein Film zeigt insofern nur den “halben“, den nach außen hin so sympathischen Franziskus! Man möchte heulen, wenn man ihn so segnend, streichelnd, volksnah, solidarisch sieht. Und sollte auch heulen, wenn man seine theologischen Positionen denkt, siehe oben…

PS.: Dabei wäre es auch eigentlich einmal an der Zeit, nach dem Verhalten von Pater Bergoglio SJ, dem späteren Papst Franziskus, und dem späteren Erzbischof Bergoglio von Buenos Aires im Umfeld der brutalen, sich katholisch nennenden Militärdiktatur in Argentinien umfassend zu forschen. Die seriöse umfassend – kritische Debatte darüber „wurde verstummt“, unterbrochen, abgebrochen… Aber solche Forschungen machen einen nicht beliebt, machen zu viel Arbeit den deutschen Filmemachern und Journalisten.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

“Staat ohne Gott”: Über die Bedeutung der Religionen in der Demokratie

Inspirationen und Fragen zu einem neuen Buch von Horst Dreier

Ein Hinweis von Christian Modehn

Um alle Irritationen von vornherein zu vermeiden: Das neue Buch von Horst Dreier, Rechtsphilosoph, Staats – und Verwaltungsrechter an der Würzburger Universität, ist kein Plädoyer für eine gottlose Gesellschaft, auch keine Werbung für den Atheismus – aber auch keine Werbung für einen religiösen Glauben. Sondern eine umfassende Reflexion über die eigentlich selbstverständliche Tatsache, von der alle modernen Demokratien bestimmt sind: Dass sie als demokratische Staaten zur Begründung ihrer eigenen Autorität, Kraft und Macht sich gerade nicht auf einen Gott beziehen. Sie sind insofern „demokratische Staaten ohne Gott“. Sie sind nicht gegen Gott und auch nicht für „ihn“. Und das ist gut so fürs Leben der unterschiedlich Frommen und Nichtfrommen in einer pluralen Demokratie. Inzwischen wird diese Position, eigentlich wohl die Mehrheitsposition, allerdings bestritten: Etwa durch den Rechtswissenschaftler Ulrich Haltern, der behauptet, wie Dreier schreibt, „Souveränität sei unhintergehbar religiöser Natur“ ( S.152). Dreier hält hingegen daran fest: „Die Säkularität des modernen Staates besteht in dem Verzicht auf Transzendenz als Begründungsressource“ (59). Konkret heißt dies: Die säkulare Demokratie mischt sich nicht in die inneren Angelegenheiten der verschiedenen Glaubensrichtungen ein und verzichtet auf ein Votum in religiösen und weltanschaulichen Fragen (59). Dieser Staat räumt umfassende Religionsfreiheit ein, er distanziert sich von Religionen, ohne dabei in einer Art atheistischen Staatsideologie Religionen zu verfolgen oder minderwertig zu betrachten.

Der gott – lose Staat ist also selbst nicht mehr – wie einst – konfessionell geprägt, er lebt nicht (mehr) von Gottes oder damit zusammenhängend der Kirchen Gnaden, sondern aus den Bürgern, dem Volk, als dem Souverän. Nur der Staat, der sich selbst jeglicher Entscheidung zur Frage nach Gott enthält, kann ein friedliches Miteinander in der pluralistischen Gesellschaft gewährleisten. Soweit ein Hinweis auf die fundamentale Erkenntnis, die Horst Dreier leider nicht in aktuelle Bezüge zur Islam- Debatte stellt.

Und dieser demokratische Staat in Deutschland versteht sich „säkular“, eben nicht unter der Leitung einer Kirche. „Säkularisierung2 ist dabei der ständig verwendete Begriff in den privaten und öffentlichen Debatten. Schon im 1. Kapitel (von insgesamt 6 Kapiteln) erläutert Dreier in vorbildlicher Klarheit die vielfachen Bedeutungen des Wortes Säkularisierung, eines Topos, der „inflationär geworden ist“ (34). Der Autor verweist etwa auf die (historischen) Auseinandersetzungen, die mit der Durchsetzung dieses Begriffes und der gemeinten Realität verbunden waren und wohl noch sind. Wenn man daran denkt, dass die Weltlichkeit der Welt eben DAS Kennzeichen der Moderne ist, wird man sich um so mehr fragen: Ist diese neuzeitliche Moderne von einem kirchlichen Standpunkt aus betrachtet als solche wertvoll, bietet sie Neues im Laufe der Geschichte Europas? Diese Frage des Philosophen Hans Blumenberg (siehe „Die Legitimität der Neuzeit“) erörtert Dreier ausführlich: Die Säkularisierung in der europäischen Moderne zehrt nicht von Vorlagen des christlichen Mittelalters, „sie trägt ihre Legitimität in sich selbst“(41). Das heißt: Die Moderne, die Neuzeit, ist für Blumenberg auch ohne das Christentum verständlich (45), ohne den Rückgriff auf Heiliges und Mythos (46).

Unter den vielen Anregungen und Fragen, die das Buch bietet, nur ein weiterer Hinweis. Horst Dreier bezieht sich am Ende des 1. Kapitels auch auf sozialwissenschaftliche Dimensionen der Säkularisierung. Dass die Kirchen in Deutschland Mitglieder verlieren, ist bekannt. Interessant ist nur die vielfältige Interpretation dieser „Entkirchlichung“ in Religionssoziologie und Theologie: In welcher Weise sind die Christen, die aus der Kirche austreten, noch spirituell bewegt und interessiert? Sind sie etwa gottlos, sind sie zu Vertretern einer gottlosen, „säkularistischen“ Moderne geworden? Dreier diskutiert dieses Thema als Nicht – Theologe, wobei er meines Erachtens sehr stark den entsprechenden Deutungen des Religionssoziologen Detlef Pollack folgt: Und der hält nicht so viel von der Möglichkeit einer „unsichtbaren Religion“ (Thomas Luckmann und andere). Dabei wäre es doch gerade spannend, den Bezug auf (allgemein) Göttliches, also absolut Zentrales im Leben sogenannter Atheisten auch in Ostdeutschland zu untersuchen. Im Zusammenhang einer persönlich gelebten absoluten Vorliebe etwa für Sport…Schon Walter Benjamin sprach ja von „Kapitalismus als Religion“. An der Stelle hätte ich mir eine breitere Diskussion gewünscht, die vielleicht zu der Erkenntnis kommt: So total ist die Säkularisierung, etwa im Osten Deutschlands, doch nicht. Es ist auch Schuld der Kirchen, die in diesem Milieu einfach nur ihre alten Sprüche und Weisheiten und Gottesdienstformen unverändert nach der Wende 1989 fortsetzen. Die veraltete Sprache interessiert ja auch im Westen fast niemanden mehr… Jedenfalls gilt meiner Meinung nach inmitten der Säkularisierung: Der Bezug auf eine absolut wichtige Wirklichkeit hat sich nur geändert, es ist eben nicht mehr der „christliche dreieinige Gott“…sondern die Freizeit, der Sport, die Familie, die Liebe zur Natur, und dies sicher auch: die oft stillschweigende, sehr individuelle, gemeinschaftlich leider nicht geteilte Verehrung eines sehr persönlichen Geheimnisses im Leben usw. Dieser Gott hat viele sich wandelnde Gesichter… Dem geht die Theologie jedenfalls nicht nach, leider. Aber das ist ein anderes Thema…

Ein weiterer Mangel der insgesamt hoch interessanten, leicht lesbaren Studie von Horst Dreier: Er beschränkt seine Ausführungen sehr deutlich auf Deutschland, auch wenn am Rande immer mal kurz Frankreich erwähnt wird als ein Symbol für „laizistische Ansätze“ ( 61), die er dann als Tendenz versteht, „die Religion aus der Öffentlichkeit zu verdrängen“. Dreier kennt wohl einen „moderaten Laizismus“ etwa in Québec, der in seiner Sicht von dem offenbar heftigeren, abzulehnenden französischen Laizismus verschieden ist (Fußnote 100, Seite 118).

Es ist der in meiner Sicht oft übliche Fehler deutscher Autoren, dass sie die Kirche – Staat – Beziehung in Frankreich etwa seit 1905 (gesetzliche Trennung von Staat und Kirchen) als eher für die Religionen feindliche Haltung des Staates interpretieren. Wer hingegen die heutige Rechtslage betrachtet, muss feststellen: Die Religionen (Judentum, Buddhismus, Islam, Protestanten, Orthodoxe, Katholiken) werden alles andere als staatlich schikaniert und bedrängt. Nur eine kulturpolitische Realität im „laizistischen“ Frankreich: Im staatlichen Fernsehprogramm „FRANCE 2“ gibt es an jedem Sonntag von 8.30 bis 12.00 eigene, von den Religionen selbst bestimmte Sendeplätze mit Features und Gottesdienstübertragungen, alle Religionen haben da nacheinander ihren Platz. Der bekannte und allseits geschätzte Politologe Alfred Grosser (Paris) bedauert nur zurecht, dass bei diesem umfassenden TV Programm aller Religionen die „rationalistische, atheistische Philosophie nicht berücksichtigt wird“ (S. 179 in Grosser, “Wie anders ist Frankreich?“ C.H. Beck Verlag, 2005). Wenigstens das Kapitel dieses Grosser Buches sollte allmählich jeder Theologe usw. lesen, der immer noch von atheistischem „Laizismus“ in Frankreich schwadroniert. Die deutschen Kirchenoberen sind auch gegen diesen angeblichen Laizismus, weil in Frankreich ein katholischer Bischof ca. 1.200 Euro Monatsgehalt bekommt, aus Spenden, weil es keine Kirchensteer in Frankreich gibt; ein deutscher Bischof hingegen mindestens 10.000 Euro monatlich, aber das am Rande. Ist die Kirchensteuer in Deutschland wirklich etwas Heiliges? Es ist wohl so!

Für die französischen Bischöfe ist Kirchensteuer kein Ideal, sie unterstützten ausdrücklich die laicité der französischen Republik, diese laicité ist, noch einmal, nicht identisch mit dem bei deutschen Wissenschaftlern üblichen Kampfbegriff „Laizismus“. Man studiere nur, wie die zahlreichen katholischen Privatschulen vom Staat mit finanziert werden, wie es Militärseelsorge gibt, wie der Staat kleinere Tageszeitungen, wie die katholische Tageszeitung La Croix. Manchmal möchte man sogar meinen, der französische Staat überschreitet seine gsetzlichen Grenzen, wenn er unentwegt auch jetzt dafür sorgen will, dass die vielfältigen muslimischen Verbände eine einheitliche Organisation (nach dem Vorbild der Kirchen!) schaffen.

Die Inhalte der französischen laicité in Frankreich hätten auch weiter diskutiert werden können, wenn es um die Frage geht: Sollte die demokratische Republik angesichts der Gefahren, die ihr jetzt von Rechtsradikalen drohen (die diese Demokratie abschaffen wollen), nicht in aller Deutlichkeit ihre eigenen demokratischen, republikanischen Werte nach außen darstellen, vermitteln, ich möchte sagen: propagieren und verteidigen? Um Schlimmstes zu verhindern, nämlich die Abschaffung der Demokratie durch die Wählerstimmen einer Mehrheit? Ist die Demokratie wirklich schutzlos? Ich meine, zumindest am Ursprung der Trennung von Staat und Kirchen in Frankreich gab es die Idee mit konkreten Vorschlägen, diese Republik inhaltlich zu verteidigen, etwa in den Schulen des Staates usw. Angesichts der neuen Bedrohung des Demokratie durch rechtsradikale Kräfte, populistische Parteien usw., ist es dringend nötig, dass sich die Demokratie nicht darauf beschränkt, nur das freie Spiel aller Kräfte zu ermöglichen. Diese Frage wird auch nicht umfassend in dem Buch diskutiert, leider. Angedeutet wird das Problem: Was denn einen Staat „im Innersten zusammenhält“ (208). Das Thema „Zivilreligion“ wird nur kurz erwähnt und als Möglichkeit pauschal abgewiesen (209).

Damit wird das Thema von Ernst – Wolfgang Böckenförde relevant, dessen (rätselhafter, aphoristischer) Spruch (von 1964, publiziert 1967): „Der freiheitliche, demokratische Staat lebt von Voraussetzungen die er selbst nicht garantieren kann“ (zit. S. 189) allmählich fast formelhaft auch heute permanent zitiert wird. Horst Dreier bietet dazu eine umfassende Analyse, etwa, dass diesen Gedanken in ähnlicher Form der Philosoph Joachim Ritter schon vorher geäußert hat (S. 195). Interessant ist, dass Dreier zeigt: Böckenförde hat selbst auch später kaum präzise sagen können, wie denn diese (geistigen) Voraussetzungen aktiviert werden können, um den demokratischen Staat in seinem (Über)Leben zu stützen…Auch Rawl und Habermas haben sich mit dem Thema „herumgeschlagen“. Dreier selbst betont am Schluss: „Ohne die Grundrechtsaktivität der Bürger, ohne anhaltendes politisches und gesellschaftliches Engagement, ohne die Fähigkeit zum friedlichen Austrag von Konfliten wird eine freiheitliche demokratische Ordnung auf Dauer nicht bestehen könne, das scheint mir sicher“ (214). Dreier vertraut auf die geistige Kraft der Diskussion, des wohlgeordneten Dissens, wie er schreibt. Bloß was tun, wenn der Dissens so groß geworden ist, dass viele Akteure etwa in der AFD, bei le Pen etc. nicht mehr erreichbar sind? Da wäre weiter zu forschen und aller praktische Nachdruck eben auf die „Grundrechtsaktivität der Bürger“ zu setzen als Überlebenshilfe der Demokratie.

Sehr erhellend sind die Ausführungen zur viel diskutierten Frage nach dem Gottesbezug in der Präambel der bundesdeutschen Verfassung. Da ist von einem „Gott“ die Rede, nicht von dem konfessionell geprägten christlichen dreifaltigen Gott wie etwa in Irland. Für Historiker ist interessant das Kapitel über die Verfassungsgeschichte der Religionsfreiheit in Deutschland….

Bedauerlich bleibt, wie schon gesagt, die hohe abstrakte Distanz zu aktuellen und dringendsten Fragen, etwa zum Islam, zur Zunahme des Rassismus und Antisemitismus. Der Umgang mit dem abstrakten Begriff „der Staat“ bei Dreier ist auch problematisch: Denn der Staat das sind immer historisch –kulturell bestimmte Bürger. Aber welche Bürger prägen den Staat, machen die Gesetze. Da hätte ein Bezug gerade jetzt im Jahr des Gedenkens an Karl Marx sehr gut getan, dass es eben doch die führenden Klassen sind, also auch die Eigentümer, die den Staat und seine Gesetze bestimmen! Ob Deutschland ein Klassenstaat ist, wäre doch die Frage, die manche Forscher zurecht mit einem großen „leider“ Ja, positiv, beantworten müssen. Man denke nur an aktuelle Beispiele, an den staatlichen Umgang mit Autoproduzenten, der ständigen staatlich verfügten Reduzierung der Hartz IV Leistungen, der Abschreckung von Flüchtlingen durch entsprechende Aufnahme-Heime, der förmlichen „Heiligsprechung“ „des“ Eigentums usw. Dieser Staat ist er noch ein Sozialstaat? Das wäre doch eine Frage für Horst Dreier, die er leider überhaupt nicht berühren will. Aber sie muss diskutiert werden.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Horst Dreier, Staat ohne Gott. Religion in der säkularen Moderne. C.H.Beck Verlag, München, 2018, 256 Seiten, 26,95 EURO

Berliner Realismus: Über das unsoziale Berlin um 1925. Eine Ausstellung im Bröhanmuseum

Eine Ausstellung im Berliner Bröhan Museum, die man nicht versäumen sollte.

Ein Hinweis von Christian Modehn 2018

Ergänzung am 28.8.2024: Im Bröhan Museum in Berlin (-Charlottenburg) findet bis zum 1. Sept. 2024 wieder eine Ausstellung einiger wichtiger Arbeiten von Hans Baluschek statt. Wer diese Ausstellung nicht mehr besuchen kann, sollte sich in jedem Fall das wichtige Begleitbuch zu dieser Ausstellung besorgen mit dem Titel “Geheimcodes. Hans Baluscheks Malerei NEU LESEN!” (hg. von Tobias Hoffmann und Fabian Reifferscheidt.) Das Buch ist über das Bröhan Museum zu beziehen. Es umfasst 136 Seiten, (16 €) , mit etlichen Wiedergaben von Baluschek Gemälden und vor allem: Es bietet weiterführende Bild – Interpretationen: Baluschek ist eben mehr als “nur” ein sozialkritischer realistischer Maler…Das Bröhan Museum sorgt dafür, dass Baluschek allmählich immer “bekannter wird”…

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1.

Bis zum 17. Juni 2018 haben alle an der Berliner „sozialen (Un-)Kultur“ Interessierten noch eine Chance, die sie nicht verpassen sollten: Das schöne Bröhan Museum in Charlottenburg, Schloßstr.1a., bietet bis zum 17. Juni noch die – ohne Übertreibung – hervorragende Ausstellung “Berliner Realismus“ in den zwanziger Jahren, also in den angeblich goldenen Zwanzigern, die für so viele, wohl die meisten Berliner, lebensmäßig und sozial gesehen eher düstere Jahre des Elends, der Ausgrenzung, waren. Jahre, in denen sich Rechtsradikale immer mehr breit machten und die Demokratie auslöschten.

2.

Zwischen den beiden Weltkriegen also wird das Berliner Armuts – Leben dargestellt, von Künstlern, die angeblich alle schon von Kennern tausendmal „besichtigt“ wurden; aber diese Arbeiten müssen immer wieder neu entdeckt werden: Um der eigenen Erweiterung und Sprengung des Horizonts willen. George Grosz also, Käthe Kollwitz, Otto Dix, Hans Baluschek und auch Heinrich Zille sind da vertreten und mit anderen Künstlern in etwa 200 Exponaten zu studieren! An die asoziale Schmäh Kaiser Wilhelm des Zweiten wird erinnert, der sozialkritische Kunst dumm und arrogant „Rinnsteinkunst“ nannte: Damit wird schon das Feld eröffnet, das Feld des Gegeneinanders von wenigen herrschenden, sich abkapselnden Etablierten und den allzu vielen, minderwertig genannten, den „Arbeitskräften“, den Proletariern, Armen, Bettelnden, Hungernden in einer Stadt, die vor Luxus und Dekadenz auch damals -in Mitte, Wilmersdorf etc.  – nur so strotzte. Wie heute. Nebenbei: Wie kommt es, dass auf diese WILHELM Kaiser (“Rinnsteinkunst”) immer noch dem Titel nach eine zentrale evangelische Kirche in Berlin benannt ist, selbst wenn sie heute oft nur neutralisiert und fast schon schamhaft “Gedächtniskirche” heißt. Aber wem gilt das Gedächtnis? Wohl kaum den arm Gemachten damals und heute. War denn Kaiser Wilhelm (1.) ein so vorbildlich Heiliger, dass man heute noch ihm zu Ehren eine Kirche benennen muss? Aber das ist ein anderes Thema. Ich empfinde jedenfalls diesen offiziellen Titel dieser Kirche heute als theologische Schande. Hoffentlich bin ich nicht der einzige… Es ist eine theologische und spirituelle Ignoranz, an diesem Titel dieser Kirche immer noch festzuhalten! Denn Kaiser Wilhelm der Erste war alles andere als ein Friedensfreund und ein Kämpfer gegen Kolonialismus und Rassismus.

3.

Eine philosophische und deswegen gar nicht überflüssige Frage im Zusammenhang der Ausstellung: Waren die Armen damals ärmer als die Armen heute? Geht es also den Armen in Deutschland, in Berlin, heute besser als den Armen im Jahr 1925? Diese philosophische Frage drängt sich förmlich auf: Man könnte ja sagen, die Armen heute haben doch ihr Hartz IV, schlimmstensfalls ihre Suppenküchen und Kleiderkammern, sie haben ihre (engen) Wohnungen sehr fern ab von der City. Aber sie hungern nicht, meistens. Der Sozialstaat kümmert sich und überlässt den Ehrenamtlichen die soziale praktische Hilfe. Und die Kirchen (die Freiwilligen) machen da gern mit der Entlastung des eigentlich geforderten “Sozial – Staates”…Die Kirchen helfen also mit,  dass der Staat so bleibt wie er ist…Sozial? (Nebenbei: Stadtentwicklungssenatorin Kathrin Lompscher teilte Anfang Juni 2018 in einer Studie mit: “Berlin ist für die Studie in 447 Gebiete aufgeteilt. Für etwa zehn Prozent(44 Gebiete) ergibt sich im Untersuchungszeitraum ein sehr niedriger sozialer Status. Sie gelten als “Gebiete mit besonderem Aufmerksamkeitsbedarf und sollen in der Stadtentwicklungsplanung besonders berücksichtigt werden. Überraschend ist dabei, dass lediglich vier der 44 genannten Gebiete mit besonderem Aufmerksamkeitsbedarf im Osten Berlins liegen. Quelle: Audio: Inforadio RBB | 07.06.2018 | Sebastian Schöbel)

4.

Noch einmal: Der Vergleich damals – heute muss sich auf die unterschiedlichen Lebensverhältnisse und die sozialen, ökonomischen Bedingungen beziehen: Da sind die heutigen Armen auch aktuell vergleichsweise gegenüber den “Wohlhabenden heute” sehr benachteiligt. Denn es ginge ja prinzipiell auch anders in einer sozialen Sozialpolitik in diesem an sich ultra reichen Land. Die Armen (und ihre Kinder) könnten heute prinzipiell bessere Lebenschancen haben, wenn die Politiker es nur möchten….Und so sind die heutigen Armen, beim Respekt der historischen Differenz zum Berlin von 1925, letztlich „genauso“ arm wie die Armen damals, die Kollwitz, Baluschek und andere in ihren Werken darstellten. Mit anderen Worten: Es ist bei einem reflektierten Vergleich kein Fortschritt zu sehen hinsichtlich der Armut damals und heute.

5.

Und das ist  wichtig: Man darf die Ausstellung nicht also verlassen in der frohgemuten Überzeugung: Gott sei Dank sind die heutigen Armen nicht mehr so arm wie die Armen damals. Die heutigen Armen bräuchten so wenig wie die damaligen Armen arm sein, wenn es eine gerechte Sozialordnung in einer Demokratie gäbe. Die gibt es aber weder heute noch damals. Nur mit dem Unterschied, dass uns die heutigen Künstler und Maler Kollwitz, Dix und Grosz einfach fehlen, sie sind nicht da: Oder kann mir jemand einen prominenten und teuer gekauften Maler nennen, der Armut und Arme und Klassenkampf in Berlin und Deutschland heute darstellt? Bitte melden, falls dies der Fall ist. Die meisten “teuren” und deswegen angesehenen Künstler, was nicht auf ihre Qualität schließen lässt, malen anderes, etwa Farbwogen und Farbwellen, Kleckse und verschlüsselte Symbole, um es mal etwas durchaus polemisch – zugespitzt zu sagen: Auch zu solchen Gedanken führt wie von selbst die Ausstellung im Bröhan Museum.

5.

Was mir immer auffällt: Natürlich kann eine Kunstausstellung nicht auch eine literarische, philosophische oder theologische Ausstellung sein, die auch diese Aspekte kulturellen Lebens mit berücksichtigt. Aber weiter führend wäre es doch, wenn dies gerade an dem Thema sichtbar geworden wäre: Was taten eigentlich die Kirchen mit den Armen und für die Armen in Berlin damals? Nach meiner Kenntnis recht wenig, abgesehen von Sonderorganisationen wie der “Stadtmission” oder dem einzigartigen katholischen Pfarrer Dr. Carl Sonnenschein. Ihn schätzte Elsa Lasker Schüler oder Kurt Tucholsky! Warum erwähnt man das nicht zur Vervollständigung wenigstens am Beispiel zweier Kunstwerke, Fotos etc. Immerhin hatte der junge evangelische Theologe Paul Tillich eine Sensibilität  für die materielle Armut der Armen in Berlin….Aber das Ausblenden dieses Themas (Religionen, Kirchen, Philosophien) fällt mir immer mehr auf. Das Ausblenden des explizit Religiösen oder Philosophischen ist, sorry,  sicher auch Ausdruck der Mentalität der „Macher“: Bei diesen explizit „religiösen“ Sachen sei ohnehin nichts zu „holen“, meinen sie. Aber diese Überzeugung, aus Unkenntnis und Vorurteil, ist falsch!

Die Kirchen jedenfalls waren wohl selbst in den Arbeiterbezirken eher bürgerlich, eher fürsorglich, nicht sozialkritisch mit Armen beschäftigt. Man schreibe einmal die Geschichten der Kirchengemeinden in Wedding, Friedrichshain oder Neukölln, wäre spannend. Macht leider auch niemand…

6.

Von der Philosophie in Berlin damals in dieser Hinsicht  (!) wollen wir lieber schweigen: Mir ist kein prominenter Philosoph der Berliner Universität bekannt, der Armut als Thema einer sozialkritischen Theorie gemacht hätte. Der immer noch so verehrte, bald “selig gesprochene” (d.h. Katholiken dürfen ihn dann im Himmel um Beistand bitten!) katholische Theologe und Religions-Philosoph Romano Guardini redete an der Uni Unter den Linden lieber feinsinnig über Rilke als über den “Charme” der dunklen krankmachen Hinterhöfe… Und Marxisten waren damals eher nur in den Parteien zu finden. Da hat sich heute einiges verändert, man denke an das weite vielfältige Umfeld der „Frankfurter Schule“. Vielleicht gibt es also doch einen ganz kleinen Fortschritt…Vielleicht auch mal in der Berliner Welt der Ausstellungsmacher…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Neokatechumenale Katholiken jubilieren in Berlin am 9. und 10. Juni 2018: Sie bekehren seit 40 Jahren die Hauptstadt

Ein Hinweis von Christian Modehn

Wer den Zustand der römisch – katholischen Kirche, auch in Berlin, philosophisch und theologisch verstehen will, muss sich mit den immer mächtiger werdenden so genannten „neuen, weltweit tätigen geistlichen Gemeinschaften“ befassen, zu denen vorwiegend Laien gehören, die aber selbstverständlich immer brav unter Führung des Klerus leben dürfen. Dazu gehören etwa das Opus Dei, die katholischen Charismatiker (wie Emmanuel, Chemin Neuf etc.), die Legionäre Christi mit ihrem Regnum Christi oder eben auch die Neokatechumenalen. Sie können mit tausenden von Mitgliedern weltweit aufwarten, sie haben 20.000 „Ortsgruppen“, etwa 100 eigene Priesterseminare weltweit usw.

Kurz gesagt bedeutet ihr Titel: Alle Katholiken brauchen eigentlich eine neue („neo“) Katechese, also eine neue und bessere Glaubensunterweisung. Und die kann unter Leitung dieser Organisation Jahre dauern, ehe man alle Feinheiten des offiziellen römischen Katechismus (auswendig) gelernt und vielleicht auch verstanden hat. „Unsere Theologie ist der Katechismus“, sagte mir in einem Interview voller Stolz ein Neokatechumenaler: Also Theologie wird bei diesen, eher dann theologisch gesehen schlichten, Gemütern gleichgesetzt mit der offziellen, total eindeutigen Lehre des dickleibigen Katechismus. Einpauken und sich religiös bestimmen lassen, ist also das Motto. Soviel nur zur Begriffserklärung.

Nun wird also im katholischen Berlin wieder mal gejubelt und Gott gedankt: 40 Jahre sind die Neokatechumenalen in Berlins katholischer Kirche tätig. Da werden am 9. und am 10. Juni 2018 Pontifikal-Ämter gefeiert mit Kardinälen;  Kardinal Cordes aus Rom wird dabei sein, der eng mit dieser am theologisch rechten Rande angesiedelten Gruppe seit Jahren verbandelt ist.  Auch einer der Gründer dieser inzwischen international mächtigen Organisation kommt nach Berlin, KIKO Argüello; er führt seine eigene Komposition auf, „Das Leiden der Unschuldigen – im Gedenken an die Shoa“. Damit soll die Nähe des Neokatechumenalen Wegs mit „dem“ Judentum deutlich werden. Diese Beziehung Neokatechumenale und Judentum wird in der interessierten Öffentlichkeit kaum beachtet: Denn die Liebe zu den „jüdischen Wurzeln“ ist in diesen Kreisen sehr hoch, wird aber in katholische Zusammenhänge eingespannt:

Für den Religions-Spezialisten Sandro Magister „ist diese Gruppe sicherlich die am meisten pro-Israel eingestellte Gruppe innerhalb der neuen geistlichen Gemeinschaften“ (in: Bernhard Sven Anuth, Der neokatechumenale Weg, Echter Verlag 2006, Seite 225). Ausdrücklich wird dann auch auf die Nähe der Neokatechumenalen zu der ultra-orthodoxen jüdischen Bewegung der Lubavitch verwiesen, ebd. Jedenfalls haben die Neokatechumenalen ein riesiges, monströs wirkendes Zentrum (auf 30.000 Quadratmetern Grundstückfläche) als „domus Galilaeae“ auf dem Berg der Seligpreisungen in Israel mit viel materiellem Aufwand errichtet: „Bereits die Errichtung der Domus Galiaeae wurde in Zusammenhang mit Endzeitprophetien gebracht, laut denen der Neokatechumenale Weg die Wiederkunft des Herrn auf dem Berg der Seligpreisungen erwarte. Ein ausgedehnter symbolisch aufgeladenen Gebäudekomplex ganz eigener Art, der Außenstehenden schwer entzifferbar ist.“ (Quelle: ebd.) Offenbar wird dort die Wiederkunft Jesu Christi erwartet. Jedenfalls soll jeder Neokatechumenale einmal in seinem Leben diesen Berg mit seinem eleganten monströsen Zentrum besuchen, berichtet Anuth (S. 225).

Viele Katholiken in Berlin, aber nicht nur dort, haben angesichts des 40 jährigen Bestehens der Neokatechumalen in Berlin (in anderen Ländern sind sie seit 50 Jahren tätig) keinen Grund zur Freude: Sie haben aufdringliche neokatechumenale Missionare erlebt, haben erlebt, wie in ihren Gemeinden Spaltungen geschahen zwischen den besseren „Neos“ und den eher noch „unentwickelten“ normalen Gemeindemitgliedern. 36 Priester der Neokatechumenalen wurden bisher für ihre Arbeit in der Erzdiözese Berlin ausgebildet, so dass man sagen kann: Fast alle noch nicht ganz alten Priester sind „Neos“ mit dem entsprechenden theologischen Horizont. Nichts aber auch gar nichts ist von diesen Priestern in einer größeren öffentlichkeit zu vernehmen, zu politischen Fragen, zu Fragen der globalen Gerechtigkeit, zur Ökologie ist viom Neokatechumenat nichts zu vernehmen. Alles dreht sich nur um die totale Glaubensvermittlung.

Es ist dieser Klerikalismus, der etlichen Katholiken an den Neos überhaupt nicht gefällt: Anstatt Laientheologen und Laientheologinnen die Leitung einer (priesterlosen) Pfarrgemeinde zu übergeben, werden konservativ denkende, treu-römische junge Priester unters Volk gebracht. Der Klerikalismus soll unter allen Umständen absolut überleben. “Priester zuerst”, heißt das Motto, das man nationalistisch gefärbt aus anderen Kreisen kennt. Man höre sich in den Gemeinden um, wie viel Abwehr und Entsetzen über diese jungen neokatechumenalen Priester besteht und bestand. Ich habe als Journalist damals mit Mühe Intervies machen müssen, es waren Leidensgeschichten, die mir von sehr seriösen engagierten Katholiken vorgetragen wurden. Viele haben sich dann frustriert zwar, aber für die eigene seelische Gesundheit klugerweise von den neokatechumenal geprägten Gemeinden (und darüber hinaus wohl von dieser Kirche) getrennt usw…

Ich habe seit ca. 15 Jahren für ARD Sender über die Neokatechumenalen berichtet und vieles auch auf meiner Website publiziert; diese 5 Beiträge finden viele Zugriffe! Auch mit O Tönen Neo – geschädigter Pfarrer oder offizieller Propagandisten, wie dem heutigen Weihbischof Puff in Köln, usw. Klicken Sie hier.

Es wird also in Berlin gejubelt. Aber wie üblich im katholischen Milieu fehlt jede selbstkritische Information schon im Vorfeld. Erzbischöfliche Pressestellen bieten nun  einmal als missionarische Verlautbarungsorte keine Hintergrundinformationen. Journalismus in Abhängkeit von der Kirche verkommt zur Verlautbarung des offiziell Genehmigten. Und viele Zeitungs-Leser, die nichts anderes lesen als die nachgedruckten Pressemitteilungen, glauben dann, wie wunderbar doch alles in der Kirche läuft. Dabei wird die Kirche insgesamt neo-katechumenal, opus dei abhängig, charismatisch etc.. Einen „normalen“ katholischen Glauben gibt es nicht mehr, alles ist irgendwie zusätzlich mit Sonderlehren usw. übertüncht…Das wären Themen für Theologen an den Universitäten…

Es wird auch in der offiziellen Presseaussendung zu den Berliner Jubelfeiern verschwiegen, dass Papst Franziskus mehrfach diese machtvolle Organisation kritisiert hat: So etwa am 5. Mai 2018 sagte er diesen Herren und Damen, die sich überall als Missionare, also als Verbreiter des in Rom verfassten Katechismus, einmischen und breitmachen: “Love the cultures and traditions of peoples, without imposing pre-established models. Do not start from theories and fixed mindsets, but from concrete situations: it will thus be the spirit who shapes the proclamation according to his times and his ways. And the Church will grow in his image: united in the diversity of peoples, gifts and charisms, the pope said at the event“.

Der Papst dachte wohl auch an den mit den Neokatechumalen verbundenen Erzbischof Anthony Sablan Apuron von der Insel Guam, der wegen sexueller Aggressionen an Kindern angeklagt wird und vom Papst suspendiert wurde. Wie in vielen anderen Teilen der Welt haben sich die wenigen noch kritisch – progressiv verbliebenen Katholiken auch von Guam explizit gegen die Neokatechumenalen gewandt und den Bischöfen in der Nachbarschaft geschrieben: “We strongly suggest that you do not allow this heretical sect to enter your diocese. They have caused so much division within our Archdiocese of Agana, pitting family members against each other, when some members of a family join the NeoCathWay, while other members continue to practice their Catholic faith in the way their parents and grandparents have raised them. Dieses Urteil von Katholiken kehrt immer wieder in einer aufmerksamen Lektüre: Die Neokatechumenalen sind eine häretische Sekte…

Quelle:https://eu.guampdn.com/story/news/2017/03/25/guam-group-warns-other-islands-neocatechumenal-way/99295048/)

In Frankreich untersucht ein Psychotherapeut die sektierisch – zerstörerischen Tendenzen in der Organisation der Neokatechumenalen, siehe: http://www.psychologue-clinicien.com/sectaire.htm

Überall gibt es Proteste gegen diese Neos und sogar Selbsthilfe Gruppen auch für Aussteiger; in Spanien gibt es viel beachtete Organisationen mit eigenen websites, die das Sektiererische der Neokatechumenalen in der spanisch sprechenden Welt freilegen:

http://laverdaddeloskikos.blogspot.de/

und: http://caminoneocatecumenalsecta.blogspot.de/

Für einen kritischen Beobachter, der Journalist und Theologe ist, bleibt das Urteil: Diese Jubelfeier in Berlin hat etwas Verlogenes, sie preist eine Gruppe, die nur deswegen von vielen Bischöfen (manchmal wohl stillschweigend) respektiert wird, weil sie Kleriker stellt und keine kritische Theologie zulässt. Die Kirche setzt also auf diese engstirnigen dogmatischen Kreise, und sie setzt dabei zumindest in Europa auf ihren Weg ins Getto, mag die Kirche finanziell jetzt noch stark sein.

Und die Juden sollten sich überlegen, wenn man als Außenstehender das sagen darf, ob sie bei den Neokatechumenalen wirklich Christen finden, die den eigenen Weg jüdischen Lebens außerhalb jeglicher Missionsabsicht schätzen und diese Ablehnung jeglicher Judenmission auch öffentlich sagen. Man frage also KIKO in Berlin: Sind die absolut und explizit auch öffentlich gegen die Mission von Juden? Wir wollen es hoffen!

Papst Franziskus sagte am 5. Mai 2018 zu den Neokatechumenalen: „Nur eine Kirche, die von Macht und Geld gelöst ist, die von allen Formen des Triumphalismus und des Klerikalismus frei ist, bezeugt auf glaubwürdige Weise, dass Christus den Menschen befreit.“

Gar nicht so “nebenbei”: Über die Finanzen der Neos wäre eigens zu reden, etwa über den immer wieder erwähnten Druck und  Zwang zum sehr großzügigen Spenden unter den Mitgliedern….

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Damit die Endzeit anbrechen kann: Auch Guatemala und Paraguay eröffnen ihre Botschaften in Jerusalem

Ein Hinweis von Christian Modehn am 22.5. 2018

Damit sich die US Behören in ihrer neuen Botschaft in Jerusalem nicht so isoliert fühlen, könnte man denken, haben ein paar Tage später freundlicherweise die Präsidenten von Guatemala und Paraguay ebenfalls ihre Botschaften in der „heiligen Stadt“ eröffnet.

Diese politische Aktion muss nicht nur einem üblichen Kalkül entsprechen, dass die USA und auch Israel den beiden lateinamerikanischen Staaten finanziell und militärisch weiterhin sehr beistehen. Und, was dazu gehört, helfen, oppositionelle Gruppen auszuschalten.

Klar ist, dass der Präsident von Guatemala, Jimmy Morales, ein bekennender Evangelikaler ist, 41 % der Guatemalteken nennen sich evangelisch. Einst war das Land nominell katholisch mit starker Präsenz indigener Religionen… Die politischen Verhältnisse in Guatemala sind bekanntermaßen verheerend schlecht. Nur ein Zitat aus dem Bericht von Amnesty International: „Menschenrechtsverteidiger wurden auch 2016 weiterhin bedroht, stigmatisiert, eingeschüchtert und angegriffen. Laut Angaben der Menschenrechtsorganisation UDEFEGUA (Unidad de Protección a Defensoras y Defensores de Derechos Humanos Guatemala) wurden 14 Menschenrechtsverteidiger getötet. Besonders Menschenrechtsverteidiger, die sich für den Umweltschutz engagierten, waren von Angriffen bedroht. Menschenrechtsverteidiger, die sich für Landrechte, indigene Territorien und Umweltschutz einsetzten, waren mit Verleumdungen und Versuchen konfrontiert, sie als Straftäter zu brandmarken. Quelle: AI https://www.amnesty.de/jahresbericht/2017/guatemala. Auch der frühere Präsident Efrain Rios Montt und Massenmörder (er wurde verurteilt, dann aber wurde das Urteil wie so oft üblich dort wieder aufgehoben) war ein Evangeikaler, befreundet mit den einschlägigen US Pastoren Pat Robertson und Jerry Falwell.

Auch der Präsident Paraguays Horacio Cortes ist ein alter Freund Israels, die Evangelikalen in Paraguay haben mehrfach ausdrücklich die Bürger aufgefordert, für diesen frommen Präsidenten zu beten. Im August 2018 endet seine Amtszeit… Israel leistet dank der Vermittlung von Cortes in Paraguay Militärhilfe usw.

Aber interessanter ist: Diese Evangelikalen, geprägt von Pastoren in den USA, denken in wirren Begriffen, die sie dem Buch der Apokalypse des Johannes entnehmen. Das Katastrophale ist nur: Diese frommen Politiker setzen diese wirren Bilder und Begriffe in politisches Handeln um. Sie glauben: Die definitive Entscheidungsschlacht, die letztlich das endgültige Reich der Herrschaft Christi befördert, findet im Ort Armageddon statt. In der konfusen „Theologie“ der Evangelikalen kann diese definitive blutige Entscheidungsschlacht aber nur stattfinden, wenn Israel zu einem biblischen Großreich wiederhergestellt ist. Diese Evangelikalen brauchen also für ihren eigenen Christus – Glauben den Staat Israel als starken Staat. Sie verschweigen aber dabei, dass die Juden im Falle des Endsieges nur als bekehrte (zum Christentum konvertierte) Juden eine Chance zum Überleben haben. Alle anderen Juden wandern diesem Wahn entsprechend in die Hölle. Die nationalistischen Juden in Israel sollten sich also nicht zu früh freuen über alle Umzüge von Botschaften und der von Evangelikalen dick aufgetragenen „Liebe“ zu Israel.

Zwei Dinge sind vor allem skandalös:

Dass dieses wirre Buch Apokalypse des Johannes immer noch zum Corpus des Neuen Testaments gehört. Einige liberale Theologen, ich auch, plädieren dafür: Raus mit diesem wirren Text, den man nur mit 10 umfangreichen Kommentaren verstehen kann. Diese Mühe machen sich die Evangelikalen bekanntlich nicht, sie lesen die Bibel wortwörtlich, wie einen Zeitungsbericht. Die „Tugend“ der Dummheit ist dort groß geschrieben.

Skandalös ist auch, dass im Rahmen der diplomatischen Umzüge jetzt nach Jerusalem meines Wissens gar nicht ausführlich genug auf den biblischen Background bei Herrn Trump und seiner so ergebenen evangelikalen Wählerschar aufmerksam gemach wurde. Das ist politische Theologie, die da umgesetzt wird, auch sein alter Berater, der Katholik, Steve Bannon, denkt in diesen Wahnbegriffen.

Diese sich religiös und ultra fromm nennenden Leute gefährden die Welt, sie bereiten Kriege vor, welche kritisch gebildeten Christen sind noch bereit, für die Vernunft zu kämpfen? Wer greift diese verblendeten evangelikalen und charismatischen und oft auch pfingstlerischen Leute noch argumentativ an? Wer geht vor gegen Trump und Co.?

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Magnus Hirschfeld: 150. Geburtstag: Homosexualität ist normal.

Am 14. Mai vor 150 Jahren wurde der Sexualwissenschaftler und Gründer eine homosexuellen “Bewegung” Magnus Hirschfeld geboren. Er war ein Aufklärer, ein Wissenschaftler und Arzt, der einen kulturellen “Durchbruch” schaffte, auch wenn es weltweit immer noch sehr viele Staaten gibt, die Homosexuelle ausgrenzen, verfolgen und töten.

Ich möchte aus diesem Anlass, aus dem Gedenken an Magnus Hirschfeld, auf meine Beiträge hinweisen, die hier publiziert wurden zu dem nach wie vor aktuellen Thema: “Der § 175 besteht in der römisch – katholischen Kirche noch immer”.

Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Konservative Mönche in einer konfessionslosen Gesellschaft: Das neue Zisterzienser Kloster in Neuzelle, Brandenburg

Die Mönche von Neuzelle wurden ausgebildet in einer extrem konservativen Theologie. Am 2. September 2018 eröffnen  sie offiziell ihr “Priorat”

Hinweise von Christian Modehn

Theologisch Gebildete kennen genau den Unterschied: Die katholische Kirche kann sich in einer für sie fremden und befremdlichen Kultur und Gesellschaft unterschiedlich verhalten: Sie kann sich “inkulturieren”, also Rücksicht nehmen auf die umgebende Kultur, indem sie selbst beispielsweise die eigentümliche Lebenswelt der Menschen dort versteht und achtet, also die Überzeugungen der Menschen auch als Angebot, theologisch von ihnen zu lernen, wahrnimmt; auch die Gottesdienste und Messen so gestaltet, dass die Konfessionslosen etwas verstehen und sich nicht in  eine ferne mittelalterliche Welt versetzt fühlen.

Diese Lernbereitschaft von der umgebenden Kultur pflegten etwa die Jesuiten in China, im 16. Jahrhundert; diese Lernbereitschaft lebt etwa der große tschechische Theologe Prof. Tomas Halik in Prag heute.

Ich bin der begründeten Überzeugung: Die sich jetzt in Neuzelle etablierenden Zisterzienser Mönche aus dem sehr reichen Stammkloster Heiligenkreuz bei Wien verpflanzen nur ihr nach angeblich ewigen Regeln bestimmtes Klosterleben ins säkulare Umfeld Brandenburgs.. Solche Theologen haben die Meinung: Sollen doch die Leute in unsere ferne Glaubenswelt förmlich springen, sollen sie alle ihre säkulare und demokratische Kultur vergessen und ablegen, wenn sie Katholisch werden wollen. Denn sonst würden wohl die 6 Mönche nicht 8 mal am Tag, von morgens bis abends, ihr Chorgebet, oft in lateinischer Sprache halten.  Sollen die Leute doch morgens um 6 in die kalte Kirche kommen und uns lateinische Psalmen singen hören… Dies ist ein konfrontatives Verhalten! Diese Haltung nennen heutige Theologen arrogant. Denkbar wäre doch: Die Mönche lehren die Menschen zur Stille zu finden, zu meditieren, ein paar Verse aus der Bibel oder anderen großen Weisheitsbüchern zu verstehen. Nein, solche Brücken des Dialogs werden offenbar nicht geschlagen. Die Mönche bleiben streng mittelalterlich, nach dem lebensfeindichen Motto: “Immer dasselbe,  keine Wandlung, sondern Stillstand”.

Veränderungen gibt es für diese geistlichen Herren nur im materiellen Sinne: Jetzt wollen sie sogar ein neues Klostergebäude am Rande des alten Klosterkomplexes bauen. Das Geld sei da, meint der Bischof von Görlitz.  Es sollte aber doch besser ausgegeben werden für Jugendzentren in dieser einsamen Gegend, für Gesprächsräume in vielen Städtchen und Dörfern, um dem rechtsradikalen Unfug Einhalt zu gebieten. Das wäre ein Dienst der Kirche an der Gesellschaft. Aber nein,  die Kirche investiert nicht in das lebendige Leben der Menschen dort. Sie baut den Mönchen , 6 oder vielleicht auch mal 8, ein neues schönes modernes Zuhause. Haben diese Mönche als Mönche nicht auch das übliche Armutsgelübde ausgeprochen oder haben sie es “abgelegt”, im doppelten Wortsinn. Wahrscheinlich.

Sind es Geschichten aus dem Wienerwald, die bald im brandenburgischen Ort Neuzelle erzählt werden? Wenn schon, dann bitte umfassend! Denn bisher haben sich die Medien, die offiziell kirchlichen sowieso, nicht die Mühe gemacht, das „Heimatkloster“ der neuen Mönche von Neuzelle kritisch zu untersuchen. Denn das Heimatkloster Heiligenkreuz bei Wien (in der unmittelbaren Nachbarschaft: das bekannte Mayerling mit Erinnerungen an Kronprinz Rudolf und seine Geliebte Mary) mit seiner philosophisch – theologischen Hochschule kann, theologisch betrachtet und das ist immer wissenschaftlich – kritische Betrachtung -, kaum als Beispiel für eine die heutige Gesellschaft und Kirche inspirierende Institution gelten.

Zusammenfassend gesagt: Es ist der Geist von vorgestern, der in dieser Bildungsstätte für Priester und Mönche herrscht, selbst wenn oder gerade weil sich diese Hochschule mit dem Titel „Benedikt XVI.“ schmückt. Aber die Theologie des EX- Papstes Josef Ratzinger ist ja bekanntlich auch nicht ein Inbegriff der Moderne. Ob dieser Geist von vorgestern den Brandenburgern rund um Neuzelle schließlich hilfreich ist für ihre Lebensgestaltung mit allen Problemen der Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit, AFD – Bindungen usw…. wird sich zeigen.

Fest steht jedenfalls: Am 20. August 2018 werden 6 Mönche des Zisterzienser Klosters Heiligenkreuz nach Neuzelle entsandt. Sie sollen ein leer stehendes barockes Kloster in atheistischer Umgebung neu beleben. Missionieren? Dies sicher auch. Wer wird sich darüber freuen, vielleicht über die eher folkloristisch und touristisch bedeutende Anwesenheit von 6 Mönchen auf mittelalterlichen Grund und Boden in einer barocken Kirche? Man wird sehen.

Sehr volkstümlich geben sich die Mönche aus dem Wiener Wald, wenn sie z.B. Motorräder segnen. Die teuren Zweiräder brauchen doch den Segen Gottes, damit sie dröhnend durch die Städte donnern. Technische Geräte also werden, wie so oft, offiziell kirchlich mit Weihwasser und Weihrauch, mit großem Tam Tam, gesegnet. Aber nicht aber alle Menschen, etwa homosexuelle Paare. Ausgrenzungen sind katholischerseits üblich. Dabei nennt sie sich katholisch, d.h. allumfassend. Ist sie aber de facto nicht…

Und damit sind wir bei einem der Dozenten, die an dieser Hochschule Jahre lang ihr moraltheologisches Wissen verbreiteten, nämlich Weihbischof Andreas Laun aus Salzburg. Er wandte sich kürzlich wieder gegen die Ehe von Homosexuellen: Der Segen für katholische Homosexuelle –Paare, so sagte der Heilgenkreuzer Theologe, „ist ein Segen für die Sünde. So, wie man auch kein KZ segnen darf“.

Inzwischen ist Bischof Laun altersbedingt (75 Jahre) als Dozent aus Heiligenkreuz ehrenvoll verabschiedet worden. Aber immerhin: Sein Denken hat die jungen und älteren Mönche dort geprägt. Überhaupt: Was hat eigentlich ein Amtsträger, ein Bischof, als Dozent an einer theologischen Hochschule zu suchen?

Damit sind wir bei der besonderen Konzeption von Theologie, wie sie in Heiligenkreuz betrieben wird. Es ist die Theologie, die dem großen Förderer dieser Hochschule, Papst Benedikt XVI., so wunderbar gefällt: Es ist, so wörtlich, „die kniende Theologie“, die im Gebet auf kritische Erkenntnis hofft. Ist der Titel der Hochschule „Benedikt XVI“ eine Art vorweggenommene Heiligsprechung? Oder ein implizites Nein Zu Papst Franziskus? Vielleicht! Natürlich war Ratzinger dort schon öfter zu Gast und als Papst hat er auch nicht nur kurz vorbeigeschaut.

Überhaupt scheint die Akzeptanz für Papst Franziskus in Heiligenkreuz alles andere als ausgeprägt zu sein: Gastprofessor Thomas Stark (aus St. Pölten), ein Philosoph, hatte kürzlich ein Papier unterzeichnet, das Papst Franziskus tatsächlich der Irrlehre, der Häresie, überführen wollte… Die Leitung der Kloster Hochschule Heiligenkreuz hat sich von ihrem Dozenten Stark dann distanziert, Beobachter nannten die Distanz eher halbherzig. https://diepresse.com/home/panorama/religion/5306834/Heiligenkreuz-distanziert-sich-von-Papstkritik

Schon früher fühlten sich an der Hochschule extrem – konservative Dozenten wohl, wie Robert Prantner (der FPÖ nahe stehend) und Ferdinand Holböck, die beide mit dem obskuren katholischen Engelwerk verbunden waren, das Engelwerk, gegründet von der Seherin Gabriele Bitterlich und ihrem „Kreuzorden“. Diese esoterische „Sekte“, sagen kritische theologische Beobachter, wurde dann selbst Papst Johannes Paul II. zu spinös: Das Engelwerk musste sich nach außen hin theologisch erneuern. Aber in Heiligenkreuz haben eben Engel – Werk – Leute künftige Priester ausgebildet…

Ein prominenter Erz-Konservativer unter den Dozenten von Heiligenkreuz ist Robert Prantner, er lehrte seit 1982 in der dortigen Hochschule Ethik, und dies bis 1998! In dem Jahr löste er heftige Debatten aus wegen seiner Behauptung von antisemitischen Ritualmordlegenden. Er war Anhänger des kirchlich verboteten, antisemitischen Anderl-von Rinn Kultes.

Der theologisch gebildete Insider konservativer katholischer Bewegungen, David Berger, hat in seinem Buch „Der heilige Schein“ (2010) darauf hingewiesen, dass selbst der Klu-Klux-Klan und der mit ihm verbundene „Stormfront“ sich auf Prantners antisemitischen Schwachsinn berufen. Immerhin hat der Ethik-Professor Prantner viele Zisterzienser Mönche ausbilden dürfen….(S. 97)  2002 erhielt Prantner das österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst, 1. Klasse, 1999 wurde er mit dem Stern des Päpstlichen Ritterordens des heiligen Gregors des Gr. ausgezeichnet. Welch ein „ausgezeichneter“ antisemitischer Denker im Zisterzienserstift Heiligenkreuz…

Wir können hier nur an die Fülle der objektiven Einschätzungen durch Journalisten und Theologen in Österreich erinnern. Das Magazin PROFIL schrieb zum Beispiel: „Die Heiligenkreuzer müssen sich die Einschätzungen ,konservativ, traditionalistisch und ,theologisch konventionell schon gefallen lassen. Ich weiß auch gar nicht, was sie dagegen haben“, so Pfarrer Helmut Schüller, der Sprecher der „Pfarrerinitiative“: Die Forderungen der Kirchenreformer – Abschaffung des Zölibats, Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene, Zulassung von Frauen zum Priesteramt und Stärkung der Laien – gelten in Heiligenkreuz als frevelhaftes Minderheitenprogramm“. Hingegen sagt Pater Karl Wallner vom Kloster Heiligenkreuz: „Wir wollen eine lebendige Kirche mit Freude am Glauben. Es ist nur eine kleine Gruppe, die derzeit ihren Kirchenfrust auslebt. Quelle: https://www.profil.at/oesterreich/wie-stift-heiligenkreuz-think-tank-369997

Aber bei der allgemeinen Rolle rückwärts in der römischen Kirche erstaunt es nicht, dass die Hochschule (sie besteht in irgendeiner Form seit mehr als 200 Jahren) sehr viele Studenten, meist Kandidaten fürs Priestertum, aus allen Teilen der deutschsprachigen Welt anzieht. Und dort werden Theologen und Philosophen dann zu Dozenten ernannt, die – mit Verlaub gesagt – an staatlichen Fakultäten nicht eine allzu steile Karriere machen könnten.

Jetzt sollte in Heiligenkreuz ein neuer wissenschaftlicher Start gewagt: Durch die Herausgabe eines Jahrbuches mit dem Titel: „Europa eine Seele geben“. Die Spezialistin für den katholischen Religionsphilosophen Romano Guardini, Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz, bezeichnenderweise auch sie eine Dozentin in Heiligenkreuz, hat das Jahrbuch mit-herausgegeben. Zu den Autoren dieses Buches gehören u.a. Kardinal Gerhard Ludwig Müller, nicht gerade ein Freund von Papst Franziskus und der von Papst Benedikt hoch geschätzte Sekretär, Erzbischof Georg Gänswein….Sie alle vertreten die „kniende Theologie“… Zu den Dozenten dort gehört auch der Multimillionär Dr.Dr. Peter Werner Maria Löw, er gilt in der Klosterhochschule als Honorarprofessor für Wirtschaftsphilosophie: Wikipedia berichtet über ihn: „Nach Recherchen des Manager Magazins gehörte Peter Löw im Jahr 2016 zu den 500 reichsten Deutschen (Rang 331)“.[2] (gelesen am 10.5.2018)“. Und die TAZ hat über Löw recherchiert: „Zu Multimillionären sind Löw und Vorderwülbecke mit anderen Geschäften geworden: Sie sanieren marode Unternehmen, kaufen Firmen unter Wert und veräußern sie mit sattem Gewinn – oft, nachdem sie sie verschlankt haben. Teutonia etwa. 2004 erwarb die Beteiligungsgesellschaft Arques, gegründet von Löw und Vorderwülbecke, den Kinderwagenhersteller für 100.000 Euro. Nach drei Jahren stießen sie ihn für mehr als zehn Millionen Euro ab. Eine sehr hohe Rendite, für Löw ein „normales Geschäft“. Der Oberleutnant der Reserve, Doktor in Jura und Neuerer Geschichte, besitzt mehrere Hundert Millionen Euro. Mit dem nur wenige Monate älteren Vorderwülbecke freundet sich Löw in den 80er-Jahren während des Jurastudiums in Freiburg an. Sie besuchen eine Elite-Uni im französischen Fontainebleau. 1992 gründen sie ihre erste Sanierungsholding. In den folgenden 20 Jahren erwerben und verkaufen sie mehr als 200 Unternehmen. (Quelle: http://www.taz.de/!476282/, gelesen am 10.5.2018).

Von diesem Dozenten Dr. Dr. Löw können die Mönche also lernen, was soziale Marktwirtschaft bedeutet und christliche Solidarität mit den Armen… Eine Übersicht zu den Dozenten in Heiligenkreuzz siehe: http://www.hochschule-heiligenkreuz.at/institute/lehrende/

Neu hinzugekommen zum Lehrbetrieb in Heiligenkreuz ist ein Institut für die „Theologie des Leibes“, es geht also auch um die Verteidigung der alten katholischen Sexualmoral und der einzig möglichen üblichen Hetero – Ehe, wie es der liebe Gott der Ultrafrommen vorschreibt. Dozent in diesem Leibes – Institut ist etwa der Priester Josef Spindelböck, der einst ein Vertrauter von Bischof Kurt Krenn war (auch er war ein Freund von Jörg Haider, FPÖ), Spindelböck wurde dann als Verehrer des heiligen Josefs, des ja gar nicht leiblichen Vaters Jesu, so die offizielle Theologie, Mitglied der Priestergemeinschaft „Vom heiligen Josef“… Das Institut zur Erforschung des Leibes in Heiligenkreuz ist wiederum verbunden mit dem theologischen Institut in Trumau, Gaming, auch diese Hochschule ist dem sehr konservativen Geist verpflichtet. Man sieht: Die konservative katholische Theologie zieht sich immer mehr in kircheneigene Institute zurück und meidet die staatlichen Universitäten. In privaten Hochschulen kann man halt in Ruhe das Alte unbehelligt pflegen…

“Vertreter der Uni Wien zweifelten ihrerseits wiederholt die wissenschaftlichen Standards der Heiligenkreuzer Hochschule massiv an“. (PROFIL 28.11.2013)

Man denke auch an die Worte des vorherigen Abtes Graf Henckel-Donnersmarck (er leitete das Kloster Heiligenkreuz von 1999 bis 2011): „In seinem Abschiedsinterview in der „Presse“ zeigte der Abt 2011 zumindest Neigung zu rückwärts gewandten Formulierungen: „Der Europäer hat sich durch Verhütung, Abtreibung, Ehescheidung, Gleichberechtigung anderer sexueller Lebensformen tatsächlich in einen Suizid gestürzt“ (PROFIL 28.11.2013).

Es sind also wohl alles andere als mit dem modernen Geist vertraute Mönche, die bald in Neuzelle leben werde. Haben Sie Interesse am partnerschaftlichen, lernbereiten (!) Dialog mit den vielen Atheisten und Skeptikern dort? Haben sie ökumenische Interessen, die über freundliche Worte hinausgehen?

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin