Religionsmonitor
Überwiegend religiös
Der „Religionsmonitor“ entdeckt Fromme, Spirituelle, „Hochreligiöse“
Von Christian Modehn
Kirchenführer in Deutschland atmen erleichtert auf: Etwa 70 Prozent der Bevölkerung wollen ihr Leben nicht auf ein gottloses Diesseits begrenzen: Sie nennen sich religiös. Kurz vor Weihnachten verbreitete die Bertelsmann Stiftung diese frohe Botschaft. In 21 Ländern aller Kontinente wurden im Sommer vergangenen Jahres 21.000 Menschen intensiv nach ihrer persönlichen religiösen Bindung gefragt. Jetzt wurden Ergebnisse dieses „Religionsmonitors“ im Rahmen eines großen „Medienspektakels“ veröffentlicht. Auch wenn Deutsche, so die Studie, längst nicht so religiös sind wie Nigerianer, Marokkaner oder US – Amerikaner: Erzbischof Werner Thissen von Hamburg freute sich bei der Präsentation des Monitors, dass Atheismus und Verweltlichung hierzulande nicht vorherrschen: „Gott war da und ist da und der Monitor hat ihn wiederentdeckt. Es wird Zeit, dass wir ihn hervor holen. 70 Prozent, die sich in Deutschland mit Gott beschäftigen, das ist enorm“. Auch Bischof Joachim Wanke aus dem thüringischen Erfurt ist erfreut, dass „Religion im Trend liegt“. Aber er hat den Monitor gründlicher gelesen: „Wir müssen feststellen“, so Bischof Wanke, „dass sich religiöses Leben vielfach abseits der Kirchen abspielt und es uns nicht gelungen ist, diese Menschen für das kirchliche Angebot zu interessieren“. Für die meisten Deutschen ist Religion nichts als „Hintergrundmusik im Leben“, wie der Soziologe Armin Nassehi kommentiert, Religion werde dann etwa bei Hochzeiten oder Todesfällen gern „eingespielt“, bleibe aber ohne prägende Bedeutung im Alltag. Vor allem: Sie wird ohne dauerhaften Kirchenbezug gestaltet. Es findet eine „Individualisierung des religiösen Erlebens und der religiösen Praxis statt“, so Nassehi. Es herrschen „individuelle Kombinationsmuster“ mit etwas Buddhismus, etwas Yoga usw. vor. 36 % der Katholiken und 30 % der Protestanten halten sich sogar auf hohen und mittlerem Niveau an pantheistische Konzepte, lehnen also den vom Dogma vorgegebenen personalen Gott zugunsten des „irgendwie“ göttlichen „Ein und Alles“ in der Welt ab. Vor allem im Westen Deutschlands aber spielt sich „ein großer Teil des religiösen Pluralismus unter dem Dach der großen Kirchen ab“, kommentiert der Sozialwissenschaftler Karl Gabriel. Es ist ein Verdienst des Religionsmonitors, die bunte Vielfalt religiöser Mentalitäten auch quantitativ anschaulich zu machen: Jedes 6. Kirchenmitglied bezeichnet sich als „nichtreligiös“, 11 % der Katholiken in Deutschland halten beispielsweise sehr viel von der Astrologie. Dass im Osten Deutschlands der Anteil der Religionslosen sehr hoch ist, wird erneut bestätigt: 68 % der Bevölkerung in den neuen Bundesländern sehen sich selbst als „religionslos“. Aber auch da ist auf Nuancen zu achten: 2 % der Konfessionslosen gelten als „hochreligiös“, also sehr religiös engagiert, und 31 % noch als „normal – religiös“, also irgendwie mit der Transzendenz und dem Göttlichen befasst.
Es ist sicher ein entscheidender Mangel des Religionsmonitors, dass kein historisches Vergleichsmaterial geboten wird. Dadurch entsteht der falsche Gesamteindruck, außer Russland seien alle untersuchten Länder „weitgehend religiös“. Noch vor 60 Jahren waren 90 Prozent der Deutschen Mitglieder einer der großen Kirche, heute sind es knapp über 60 Prozent. Im einst erzkatholischen Österreich gibt es heute laut Monitor „39 % wenig oder nicht religiöser Einwohner“. In Frankreich waren noch 1966 89 % der Bevölkerung katholisch, heute sind es 55 %. Zwei Drittel der jungen Leute nennen sich dort „atheistisch“. In Holland wurden in wenigen Jahren die Nichtkonfessionellen zur absoluten Mehrheit. Soll man denn wirklich jubeln, wenn sich etwa in Nigeria 92 % der Bevölkerung „hochreligiös“ nennen? Von den kriegerischen Auseinandersetzung zwischen den „hochreligiösen“ Muslims im Norden und den ebenso „hochreligiösen“ Christen im Süden wird immer wieder in der Presse berichtet, im Norden Nigerias wurde das islamische Recht, die Scharia, eingeführt. Und das himmelschreiende Elend der Massen in den Slums Nigerias kann wohl nur durch ein „hochreligiöses Verhalten“ kompensiert werden. Die Frage, inwieweit Religion „hoch religiös dosiert“ als Opium des Volkes wahrgenommen wird, haben die Bertelsmann – Forscher leider nicht gestellt. Ähnliche Zusammenhänge hätten für die gleichermaßen hochreligiösen wie menschenrechtsverachtenden Länder Guatemala (76 % Hochreligiöse) oder Indonesien ( 66 % Hochreligiöse) untersucht werden müssen. Was nützen so viele Fromme, wenn es an elementarer Menschlichkeit fehlt? Erzbischof Werner Thissen ließ sich angesichts der 62 % der Hochreligiösen in den USA zu dem Statement hinreißen: „In den USA war und ist es gesellschaftlich akzeptiert, sich zu seinem Glauben zu bekennen. Da haben wir in Deutschland eine Menge aufzuholen“. Dass sehr viele dieser hochreligiösen“ Christen dort Anhänger der Todesstrafe sind, wurde nicht beachtet. Ebenso wenig die naive Auslegung des biblischen Schöpfungsberichts, der Kreationismus: Rabbiner Jonah Sievers aus Braunschweig war einer der wenigen, der bei der Präsentation in Berlin vor einer naiven Freude über so viele Hochreligiöse warnte: „Ich würde mich nicht darüber freuen, wenn wir eine Religiosität bekommen, wo Kreationismus, also die Schöpfung der Welt in 7 Tagen, ein gesellschaftlich akzeptiertes Thema auf der politischen Tagesordnung ist. Den Teil der Religiosität aus den USA möchte ich nicht haben“.
Aber es gibt noch schwerwiegendere Bedenken:
In dem Buch „Religionsmonitor 2008“ wird nur ganz Rande mal von dem Theologen Matthias Petzoldt gefragt, ob nicht „breiter gestützte Befragungen“ sinnvoll seien: Mit anderen Worten: Kann man wirklich von „repräsentativen Befragungen“ sprechen, wenn in jedem Land jeweils nur 1000 Personen befragt werden, in dem 12 Millionen Einwohner zählenden Guatemala genauso wie in Indien mit 1, 1 Milliarden Bewohnern? 5.852. Und vor allem: Kann man so unterschiedlich geprägten religiösen Kulturen wie Thailand und Brasilien, Frankreich und Rußland, Deutschland und Indien einen und denselben Fragenkatalog vorlegen? Und vor allem: Wenn man noch christlich und kirchlich geprägte Menschen befragt, kann man darauf verzichten, in irgendeiner Weise die zentrale Bedeutung Jesu von Nazareth zu thematisieren? Oder nach der Einschätzung der Bergpredigt zu fragen, der radikalen Forderung nach Gottes- UND Nächstenliebe? Dann wäre der Religionsmonitor wohl politisch interessanter geworden.