Das Erdbeben und die Philosophie. Sind religionsphilosophische Hinweise etwa zynisch?

Ein Hinweis von Christian Modehn. Die 10. “Unerhörte Frage”.

Was bedeutet „unerhört“?
„Unerhört“ werden außerordentliche Themen genannt.
Als „unerhört“ gilt, wenn ein wahres Wort, ein vernünftiger Vorschlag, von anderen nicht gehört und nicht wahr-genommen wird, also un-erhört bleibt. Unerhörte Fragen müssen entfaltet, beschrieben werden, um ihre provokative Kraft zu bezeugen.

1.

Das Erdbeben in der Türkei und Syrien vom 6. Februar 2023 ist zuallererst eine Herausforderung, ein Appell, eine Verpflichtung, schnell und umfassend den leidenden Menschen zu helfen.

Das Erdbeben in der Türkei und Syrien ist eine der ganz erschreckenden, großen Erdbeben – Katastrophen der Geschichte.

Es erinnert an das heute immer noch zitierte Erdbeben von Lissabon am 1.11. 1755, das so heftig war, dass die Erschütterungen viele hundert Kilometer von Lissabon entfernt deutlich spürbar waren.

Das Erdbeben von Lissabon 1755 hat tiefe Erschütterungen auch unter damaligen Philosophen ausgelöst, vor allem die Arbeiten Voltaires sind vom Erdbeben in Lissabon bestimmt.

Es wurde damals die Frage gestellt: Wie kann Gott diese Katastrophe zulassen? Ist er noch der gute Gott, der gute Schöpfer dieser Welt?

Wird diese Frage auch angesichts der Erdbeben – Katastrophe in der Türkei und Syrien 2023 gestellt? Interessiert sie die Menschen, wird sie von Philosophen und Theologen reflektiert werden?

Das ist möglich und wahrscheinlich, trotz aller Säkularisierung des Denkens im allgemeinen. Wie dieses konkrete Ereignis im islamischen – theologischen Kontext diskutiert wird? Das bleibt abzuwarten (geschrieben am 8.2.2023, CM).

Aber entscheidend ist, bevor man in unkritische, sich bloß “metaphysisch” nennende Fantasien abschweift: Es muss genau festgestellt werden, in welchem nachweisbaren Umfang menschliches Versagen, also auch das Versagen von Politikern, für den Tod so vieler Menschen wegen des Erdbebens verantwortlich ist. Das Erdbeben  in der Türkei vom 6. Februar 2023 ist nicht nur “Schicksal”.

2.

Wer sich religionsphilosophisch mit diesem Thema befasst, muss also zuerst die politischen Kontexte analysieren, bevor philosophische Reflexionen interessant sein können:

Also: Was hat die türkische Regierung ignoriert an Warnungen kompetenter türkischer Geologen?  „Hüseyin Alan leitet die Kammer der Ingenieur-Geologen in der Türkei. Er hatte Behörden und sogar das Präsidialamt erst kürzlich vor Erdbeben in der Region gewarnt, die es jetzt getroffen hat – doch keine Antwort erhalten.“ (Der SPIEGEL, 7.2.2023).

Wurden die Häuser in dem Erdbeben gefährdeten Gebiet in der Türkei entsprechend sicher gebaut, was ja prinzipiell möglich ist? Die türkischen Geologen und Ingenieure und kritischen Politiker sagen: Nein.

Es gab Dutzende Beben in den vergangenen 20 Jahren in der Türkei. Viele tausend Menschen kamen ums Leben. Es ist nachweislich (und wohl bewusst) versäumt worden, alle Häuser und Neubauten erdebensicher zu bauen.  Staatspräsident Recep Erdogan lügt also, wenn er jetzt sagt: “Diese Dinge (Erdbeben) geschehen einfach, das ist ist Schicksal” (Tagesspiegel, 11.2.2023, Seite 8). Erdbeben als Erdbeben werden Menschen nicht verhindern können, insofern ist Erdbeben AUCH “ein bißchen” Schicksal; aber die Ausmaße des Leidens der Menschen in Erdbebengebieten können eingeschränkt, wenn nicht verhindert werden. Bleibt zu hoffen, dass die Menschen in der Türkei sich jetzt, förmlich im Leiden “aufgewacht”, von Erdogan befreien können.

Erst wer menschliche Fehler und Versäumnisse angesichts dieser (und anderer) Katastrophe(n) festgestellt und bewiesen hat, kann zur religionsphilosophischen Frage kommen:
„Warum hat Gott als der Schöpfer der Welt diese Katastrophe nicht verhindert und zugelassen?“

Diese Frage wird nur diejenigen bewegen, die einen „Schöpfer“ der Welt noch im Denken annehmen können.

Wer sich in seinem Denken einmal darauf einlässt, kommt zu einigen Einsichten: Und die erscheinen etwas abstrakt, sie sind vorsichtige Hinweise, die gar nicht zynisch gemeint sind. Auch wenn diese Frage die Grenzen des Erkennbaren berührt, können doch einige Hinweise weiteres Nachdenken fördern:

Wenn Gott die Welt erschaffen hat, dann hat er die Welt als Welt erschaffen. Welt ist dann als endliche, begrenzte, fehlerhafte Welt zu verstehen. Wäre die Welt vollkommen, fehlerfrei, nicht-endlich, dann wäre sie förmlich eine göttliche Wirklichkeit neben dem „schöpferischen Gott“. Und die klassische Metaphysik sagt dazu: Wenn Gott wirklich als Gott gedacht ist, dann kann er neben sich nicht noch einen weiteren Gott, also eine göttliche und perfekte Welt neben sich haben. In einer als Gott gedachten perfekten Welt gäbe es dann auch keinen Tod mehr. Der Mensch wäre selbst ein ewiges Wesen, würde er dann noch (ewige?) Nachkommen zeugen und gebären usw.? Die philosophische Spekulation erreicht jetzt förmlich absurd wirkende Dimensionen. Bescheidenheit ist also auch philosophisch gefordert. Diese ist aber etwas anderes als der prinzipielle Denk – Verzicht, überhaupt das Erdbeben mit einem schöpferischen Gott oder göttlichen Wesen in Verbindung zu bringen.

Die klassische Metaphysik beharrt also auf der Erkenntnis: Die Welt ist endlich, fehlerhaft, begrenzt. Die Menschen sind dem Geschehen einer nicht immer voll kontrollierbaren Natur ausgesetzt, wie etwa dem Erdbeben. Es kann ja prinzipiell sein, dass eines Tages die verheerenden Erdbeben stark eingeschränkt werden können, durch Forschung, Voraussage, und kompetente Politiker…

3.

Trösten diese Gedanken der unvollkommenen Schöpfung die betroffenen Opfer? Zunächst ist ihre Wut auf die korrupten “Politiker” in der Türkei und den Diktator in Syrien am größten. Aber solange die Überlebenden und Leidenden noch die Hoffnung und den Überlebensmut bewahren und aus ihm heraus das „Danach“ gestalten, ist doch eine geistvolle inspirierende Kraft in ihnen lebendig und wirksam. Sie werden sich hoffentlich für demokratische Politiker in ihren Ländern einsetzen können, mit Hilfe der wenigen auf dieser noch Welt noch verbliebenen Demokratien! Die heldenden Demokraten werden gleichsam auch zu Boten der Hoffnung, um es einmal etwas pathetisch, aber treffend zu sagen.

Philosophen und Metaphysiker nennen diese geistvolle und inspirierende Überlebenskraft der Hoffnung eine Art „Funken“ der Ewigkeit, der in den Menschen (als den „Geschöpfen eines Ewigen, Göttlichen…) lebt. Und hoffentlich niemals zum Verschwinden zu bringen, niemals zu töten, ist.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

Willkommen im Religions-Philosophischen Salon Berlin

Der Religionsphilosophische Salon Berlin ist seit 2007 eine Initiative von Christian Johannes Modehn und Hartmut Wiebus.

Gründer und Initiatoren des „Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin“ sind:

Christian Modehn,  1948 in Berlin – Friedrichshagen geboren, nach dem Abitur am Goethe -Gymnasium in Berlin – Wilmersdorf, Studium der katholischen Theologie (Staatsexamen nach 6 Jahren Studium in München, St. Augustin bei Bonn bzw. Universität San Anselmo, Rom) und Philosophie (Magister Artium in München, über Hegel). Christian Modehn arbeitet seit 1973  als freier Journalist über die Themen Religionen, Kirchen und Philosophien, für Fernseh- und Radiosender der ARD, sowie für die Zeitschrift PUBLIK – FORUM, sowie früher auch für “Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt” (Hamburg), “Informations Catholiques Internationales” (Paris), “de bazuin” (Utrecht)  usw.. Zur Information über einige meiner Hörfunksendungen und Fernsehdokumentationen klicken Sie bitte  hier.

Hartmut Wiebus, 1944 in Seehausen/Altmark geboren, hat in Berlin (F.U.) Pädagogik (Diplomarbeit über Erich Fromm) und Psychologie studiert, und vor allem als evangelischer Klinikseelsorger gearbeitet.

…………

Seit Beginn der Corona-Pandemie im März 2020 gab es keine öffentlichen Salon – Veranstaltungen (“Präsenz-Veranstaltungen”) mehr, sondern nur Debatten in kleinerem Kreis; hingegen werden oft neue Beiträge als Hinweise zur Debatte auf unserer Website publiziert.

Warum ein religionsphilosophischer Salon?

1.

Der Titel und die „Sache“ „philosophischer Salon“ sind alles andere als verstaubt. Das Interesse an philosophischen Gesprächen und Debatten in überschaubarem Kreis, in angenehmer Atmosphäre (also in einem „Salon“), ist evident.
(Frontal-) Vorträge – etwa in Akademien – vor zahlreichem, weithin bloß zuhörendem Publikum sind oft Ausdruck autoritären Belehrens. Ein Salon ist ein freundlicher Ort des Dialogs.

2.

In unserem religionsphilosophischen Salon soll das Philosophieren geübt werden, also das selbstkritische, systematische Nachdenken. Das Thema Religion wird auch in den heutigen Philosophien ernst genommen. Philosophische Religionskritik hat nicht mehr Sinn zu beweisen, dass Religion bedeutungslos ist, im Gegenteil: Philosophische Religionskritik zeigt, welche Form einer vernünftigen Religion bzw. Spiritualität heute zur Lebensgestaltung gehören kann. Und welche Gestalten von Religion/Kirchen/”Sekten” alles andere als einen befreienden Charakter haben. Der Klerikalismus herrscht ungebrochen in der katholischen Kirche und den orthodoxen Kirchen; im weiten Feld des Evangelischen nimmt die Herrschaft der fundamentalistischen evangelikalen Kirchen ständig. freisinnige, vernünftige christliche Kirchen sind leider marginal (vgl. die Remonstranten). 

3.

Unser religionsphilosophischer Salon ist wichtig angesichts des tiefgreifenden religiösen Umbruchs in Deutschland /Europa. Die Bindung an die Kirchen lässt bekanntlich immer mehr nach. Die so genannte Säkularisierung nimmt zu. Aber Säkularisierung bedeutet gerade nicht automatisch Zunahme des Atheismus. Religionsphilosophische Salons können die Themen der Religionen und das subjektive Bewegtsein durch religiöse Fragen angesichts der Kirchenkrise vernünftig weiterführen, in der Freiheit des Geistes… über den Klerikalismus oder den vielfältigen religiösen Fundamentalismus hinaus.

4.

Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie gibt es nur im Plural, die (Religions-)Philosophien in Afrika, Asien und Lateinamerika dürfen nicht länger als „zweitrangig“ behandelt werden. In welcher Weise Religion dort zum „Opium“ wird angesichts des Elends so vieler Menschen, ist eine besonders relevante Frage, auch angesichts der Zunahme christlicher und muslimischer Fundamentalismen. Dringend wird die Frage: Inwieweit ist philosophisches Denken Europas eng mit dem kolonialen Denken verbunden?

5.

Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phien bieten also in ihren vielfältigen Entwürfen unterschiedliche Hinweise zur Fähigkeit der Menschen, ihre engen Grenzen zu überschreiten und sich dem im Denken zu nähern, was die Tradition Gott oder Transzendenz nennt. Dabei treten diese unterschiedlichen Entwürfe in einen lernbereiten Dialog. In unserem religionsphilosophischen Salon gibt es z.B.ein starkes Interesse am (Zen-) Buddhismus.

6.

Uns ist es wichtig uns zu zeigen, dass Menschen im philosophischen Bedenken ihrer tieferen Lebenserfahrungen das Endliche überschreiten können und sollen und das Göttliche, das Transzendente erreichen können. Das Göttliche als das Gründende und Ewige zeigt sich dabei im Denken als bereits anwesend. Es ist sozusagen unthematisch gegenwärtig im Geist des Menschen.
Wenn der Mensch nach dem Göttlichen fragt, hat er also notwendigerweise „immer schon“ ein gewisses Vorverständnis vom Göttlichen. Dieses „Vorwissen“ gilt, nebenbei, für alles Fragen und Suchen.

7.

Insofern ist Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie auch eine subjektive Form der Lebensgestaltung, d.h. eine bestimmte Weise zu denken und zu handeln.
Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie kennt keine Dogmen, sicher ist nur das eine Dogma: Umfassend selbstkritisch zu denken und alle Grenzen zu prüfen, in die wir uns selbst einsperren oder in die wir durch andere, etwa durch politische Propaganda, durch Konsum und Werbung im Neoliberalismus, eingeschlossen werden. In dieser Offenheit, Grenzen zu überschreiten, zeigt sich die Lebendigkeit der Religions -Philosophie. Philosophieren ist etwas Lebendiges, im Unterschied zu vielen klerikalen Konfessionen ist sie nichts Erstarrtes voller Verbotsschilder

8.

Diese „Entdeckungsreisen“ der Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phien können angestoßen werden durch explizit philosophische Texte, aber auch durch Poesie und Literatur, Kunst und Musik, durch eine Phänomenologie des alltäglichen Lebens, durch die politische Analyse der vielfachen Formen von Unterdrückung, Rassismus, Fundamentalismus. Mit anderen Worten: Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie findet eigentlich in allen Lebensbereichen statt, kann sich von allen „Produkten des Geistes“ (Hegel) bewegen lassen. Wer die Gesprächsthemen anschaut, die wir seit 2007 in den meist monatlichen Veranstaltungen („Salon-Abende“) in den Mittelpunkt stellen, wird von der großen Vielfalt überrascht sein. Bisher fanden ca. 100 Salon-Gespräche statt.

9.

Wo hat unser religionsphilosophischer Salon seinen Ort? Als Raum eignet sich nicht nur eine große Wohnung oder der Nebenraum eines Cafés, sondern auch eine Kunst – Galerie. In den vergangenen 7 Jahren fanden wir in der Galerie „Fantom“ in Charlottenburg freundliche Aufnahme. Zuvor in verschiedenen Cafés. Kirchliche Räume, Gemeinderäume etwa, sind für uns keine offenen und öffentlichen Räume. Sie sind meist nicht sehr „inspirierend“, d.h. sie sind „ungemütlich“, also keine Salons, sondern eher Amtsstuben.

10.

In unserem religionsphilosophischen Salon sind selbstverständlich Menschen aller Kulturen, aller Weltanschauungen und Philosophien und Religionen willkommen. Unser Salon ist insofern hoffentlich ein praktisches Exempel, dass es in einer Metropole – wie Berlin – Orte geben kann, die auch immer vorhandenen „Gettos“ überwinden.

11.

Unser religionsphilosophischer Salon sollte auch ein Ort freundschaftlicher Begegnung und menschlicher Nähe. Darum haben wir in jedem Jahr im Sommer Tagesausflüge gestaltet, mit jeweils 10 – 12 TeilnehmerInnen: Etwa nach Erkner (Gerhart Hauptmann Haus), Karlshorst (das deutsch-russische Museum), Jüterbog als Ort der Reformation, das ehem. Kloster Chorin, Frohnau (Buddhistisches Haus), Lübars… Außerdem gestalteten wir kleine Feiern in privatem Rahmen anlässlich von Weihnachten. Auch ein Kreis, der sich mehrfach schon traf, um Gedichte zu lesen und zu meditieren, hat sich aus dem Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon entwickelt. Aber alle diese Initiativen waren (und sind wohl) mühsam, u.a. auch deswegen, weil letztlich die ganze Organisation von den beiden Initiatoren – ehrnemtlich selbstverständlich – geleistet wurde und wird.

12.

Anlässlich der „Welttage der Philosophie“, in jedem Jahr im November von der UNESCO vorgeschlagen, haben wir größere Veranstaltungen mit über 60 TeilnehmerInnen im Berliner AFRIKA Haus gestaltet, etwa mit dem Theologen Prof. Wilhelm Gräb, dem Theologen Michael Bongardt. Der Berliner Philosoph Jürgen Große hat in unserem Salon über Emil Cioran gesprochen, der Philosoph Peter Bieri diskutierte im Salon über sein Buch „Wie wollen wir leben?“, die Politologin Barbara Muraca stellte ihr Buch „Gut leben“ vor, Thomas Fatheuer von der Heinrich – Böll- Stiftung vertiefte das Thema; der evangelische Pfarrer Edgar Dusdal (Karlshorst) berichtete über seine Erfahrungen in der DDR; der Theologe der niederländischen Kirche der Remonstranten, Prof. Johan Goud (Den Haag), war zweimal bei uns zur Diskussion, öfter dabei waren Dik Mook und Margriet Dijkmans – van Gunst aus Amsterdam…

Am 25.1.2023 notiert: Eine traurige Nachricht, ein großer Verlust für eine moderne “liberale Theologie”: Prof. Wilhelm Gräb, Prof. em. für praktische Theologie an der Humboldt-Universität Berlin,  ist am 23. Januar 2023 in Berlin nach langer Krankheit gestorben. Der Religionsphilosophische Salon Berlin verdankt ihm viele wichtige Anregungen und dankt nochmals auf diese Weise für insgesamt 65 Beiträge und Interviews, die Wilhelm Gräb in mehr als zehn Jahren für diese website gab. LINK.

Ich darf sagen, wir haben einen Freund verloren, der als ein Theologe der heutigen Moderne ungewöhnliche, aber richtige Perspektiven zeigte in seiner großen Aufgeschlossenheit und Freundlichkeit. Für ihn war die religiöse Glaubensform eines jeden Menschen wichtiger als die fixierenden, dogmatischen Lehren der Kirche. Diese theologische Freiheit, alle dogmatische Engstirnigkeit, allen Fundamentalismus auch in der evangelischen Kirche zu überwinden, “beiseite zu tun”, wie Wilhelm gern sagte, ist in ihrem radikalen Mut schon ziemlich einmalig. Ob diese Vorschläge und Ansätze zu einer Reformationen der Kirchen noch ernstgenommen werden, gerade in dieser “Kirchenkrise” ist eine offene Frage… Über seine Verdienste in der Forschung zu Schleiermacher wird später zu berichten sein.

Interessant in dem Zusammenhang das Interview, das uns Wilhelm Gräb 2012 zum Thema TOD und Sterben gab: LINK 

Zur theologischen Besinnung empfehle ich auch unser Interview mit Wilhelm Gräb “Der Gott der Liebe”. LINK:

Über vierzig viel beachtete Interviews mit dem protestantischen Theologen Prof. Wilhelm Gräb (Berlin, Humboldt – Universität) sind auf unserer Website publiziert. LINK.

Die Bilanz, vorläufig, Ende Juni 2022, formuliert: Einige wenige Interessenten außerhalb von Berlin haben die Idee des religionsphilosophischen Salons aufgegriffen. Aber wir können nicht sagen, dass etwa im kirchlichen Bereich, evangelisch wie katholisch, die Idee des freien und undogmatischen und offenen Salon-Gesprächs außerhalb der üblichen kirchlichen Räume (!), also in Café oder Galerien,  aufgegriffen und realisiert wurde. Das ist ein Faktum: Je mehr Christen aus den Kirchen austreten, um so ängstlicher und dogmatischer werden die Kirchen(führer), also auch ihre Pfarrer usw. Der Weg der Kirche in ein kulturelles Getto scheint vorgezeichnet zu sein, zumindest für die katholische Kirche. Tatsächlich haben sich über all die Jahre sehr sehr wenige “Vertreter” der großen Kirchen für unsere Initiative überhaupt interessiert. So konnten wir auch in jeder Hinsicht frei arbeiten!

Hinweis zu unseren Themen:
Eine Übersicht unserer Themen im Salon von Februar 2020 bis 2015 finden Sie hier. Die Themen von 2009 bis 2015 werden demnächst dokumentiert. Genauso wichtig wie die Salonabende sind auch die religionsphilosophischen und religionskritischen Hinweise Christian Modehn, publiziert auf der Website www.religionsphilosophischer-salon.de , bisher sind dort ca.1.300 Beiträge als „Hinweise“ veröffentlicht, mehr als eine Million vierhundertausend „Klicker“ gab es bisher (Stand 27.6.2022).

Der geplante religionsphilosophische Salon am 27.3.2020 über Hegel musste leider wegen der Corona – Pandemie ausfallen. Wir hoffen, dass noch einmal Salon – Gespräche stattfinden können. Sicher auch über Hegel.
Dass die Veranstaltung über Hegel anlässlich seines 250. Todestagesausfallen musste, ist aber besonders zu bedauern. Einige einführende Hinweise zur Philosophie Hegels hatte ich für den 27.3. 2020 vorbereitet, klicken Sie hier. Nach wie vor empfehle ich das große „Hegel-Handbuch“ von Walter Jaeschke, J.B. Metzler Verlag, 3. Auflage, 540 Seiten, nur 24, 90Euro.

Unser letztes Salongespräch fand am Freitag, den 14.Februar 2020 , wie immer um 19 Uhr statt, über das Thema: “Das Kalte Herz”. Mehr als ein Märchen (von Wilhelm Hauff). „Das kalte Herz“ offenbart die “imperiale Lebensweise”. 22 TeilnehmerInnen waren dabei. Leider mussten wir – wie öfter schon – acht Interessierten absagen, weil der Raum eben klein ist und nur eine Gruppe eine Gesprächssituation ermöglicht. Aber das große Interesse, ohne jede öffentliche Werbung, allein im Internet, und ohne jede Finanzierung von außen, ist schon bemerkenswert. Für einige vertiefende Hinweise zur imperialen Lebensweise: Beachten Sie diesen LINK.

PS: Der religionsphilosophische Salon Berlin erhält von keiner Seite finanzielle Zuwendungen oder Unterstützung. Wir sind unabhängig und frei. Alle Arbeit für den Salon, also Organisation und die Impuls-Referate und die Moderation, leisten wir ehrenamtlich. Von den TeilnehmerInnen eines Salon-Abends werden lediglich 5 Euro erbeten … für die Raummiete in der Galerie Fantom.

Wir haben unsere philosophischen, religionsphilosophischen und theologischen Gespräche im Salon als Ausdruck der Spiritualität der freisinnigen protestantischen Remonstranten – Kirche (in Holland) verstanden. Dabei haben wir, ebenfalls der offenen, freisinnigen Theologie der Remonstranten entsprehend, keine Werbung für diese protestantische Kirche “betrieben”. 

Copyright: Christian Modehn und Hartmut Wiebus.

AFD und Katholiken: Pater Wolfgang Ockenfels in der AFD-nahen Stiftung Desiderius Erasmus.

Ein Hinweis von Christian Modehn.

Am 7.2.2023 veröffentlicht:

Anläßlich des Bestehens der rechtsradikalen Partei AFD wird gelegentlich auch von “Katholiken im Umfeld der AFD” gesprochen. Eine zentrale Figur ist dabei der em. Prof. für katholische Soziallehre Pater Wolfgang Ockenfeks aus dem Dominikanerorden.  Er ist auch Chefredakteur der Zeitschrift “Die Neue Ordnung”, eine Art “Sammelbecken” sehr konservativer katholischer Theologen, Bischöfe, Wissenschaftler, Journalisten.

Am 21.10.21 veröffentlicht:

Die AFD nahe Stiftung Erasmus könnte bald, vom demokratischen Staat finanziell gefördert, “aufblühen”. Bis zu 70 Millionen Euro könnte dieser AFD-Club dann aus Steuermitteln erhalten. Der Bundestag könnte diese Förderung einer äußerst rechtslastigen, manche sagen zurecht rechtsextremen Partei noch verhindern…
Wir haben schon Ende Juli 2018 darauf hingewiesen, dass zum Kuratorium der AFD nahen Stiftung auch ein sehr konservativer Dominikanerpater gehört, Wolfgang Ockenfels. Dem Provinzial der Dominikaner in Köln war diese Tatache kurzfristig mal peinlich, deswegen gab er eine offizielle Erklärung heraus, die dann kurze Zeit danach öffentlich nicht mehr zugänglich ist. Wer hat da Druck ausgeübt?
Und außerdem: Pater Ockenfels hat sich schon im Dezember 2014, kurz nach der Annexion der Krim durch Putin, als Putin-Freund und Putin-Verteidiger offenbart. Das passt gut zu seiner Nähe zur AFD.

Am 25. 7.2018 veröffentlicht:

Die AFD setzt sich in christlichen Kreisen immer mehr durch: Ein Thema auch für den Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon in Berlin, er weiß sich der Philosophie des demokratischen Rechtsstaates, der Menschenrechte und damit der allseitigen Religionskritik verpflichtet.
1.
Jetzt ist es nicht mehr unwahrscheinlich, dass es demnächst einen „Arbeitskreis von Theologen in der AFD“ geben könnte, selbstverständlich ökumenisch vereint. In der Lutherischen Kirche Sachsens (etwa in Bautzen) würde man sicher fündig werden; im Katholizismus hat nun der in konservativen Kreisen ohnehin umtriebige Theologe und Dominikanerpater Prof. Wolfgang Ockenfels ein Zeichen gesetzt: Er gehört zum „Kuratorium“ der AFD „nahen“(wie man vornehm sagt) „Stiftung Desiderius Erasmus“.
Dabei dauern die Verbindungen von Ockenfels zur AFD schön länger: Etwa im März 2017 sprach er über „Gewalt und Religion“ auf einer Tagung der AFD von Baden-Württemberg: Den Koran sollte man lesen, meinte er. Den Koran zu lesen hielt er dann aber für eine „grauenhafte Zumutung“, so berichteten sehr rechtslastige websites pünktlich zum Vortrag! Anfang 2017 betonte  Ockenfels: „Meiner persönlichen, nicht maßgebenden Meinung nach ist es – nach gründlicher Lektüre des AfD-Programms – nicht unchristlich, dieser Partei anzugehören oder sie zu wählen.“ (Quelle: Rolf Seydewitz: „Kirchen stehen ziemlich blamiert da“. In: Trierischer Volksfreund. 12. Januar 2017, abgerufen am 17. Juli 2018 (Interview).
Die schon lange andauernden Verbindungen von Ockenfels mit der rechtslastigen Wochenzeitung “Junge Freiheit” sind bekannt. Seit einigen Monaten ist Pater Ockenfels Kolumnist der “Jungen Freiheit”, so etwa zum “Heiligung statt Heilung” vom 6.4.2021. LINK

2.
Ockenfels jedenfalls kann aufgrund seiner weitreichenden vielfältigen Kontakte vor allem im rechts-konservativen katholischen Milieu nun seine AFD Affinität auch werbend in seinen Kreisen zur Sprache bringen: Er ist emeritierter Professor für Christliche Soziallehre an der theologischen Fakultät der Universität Trier (dort seit 1985, er hat also viele Religionslehrer usw. ausgebildet); er ist (Stand 2018) geistlicher Beirat im „Bund katholischer Unternehmer“; Beiratsmitglied der Akademie des deutschen Handwerks/Schloß Raesfeld; Präsident der Internationalen Stiftung Humanum (Lugano), Referent beim sehr konservativen „Forum deutscher Katholiken;” häufiger Mitarbeiter des sehr reaktionären katholischen Blattes „Der Fels“; Chefredakteur der Zeitschrift „Die Neue Ordnung“. Zur Redaktion gehören auch zwei andere Dominikaner, der eine, Pater Wolfgang Spindler, hat etwa kürzlich „Gedichte für und über Carl Schmitt“ in der Carl Schmitt Gesellschaft herausgegeben. Carl Schmitt war ja bekanntlich der „Kronjurist der Nazis“… Autor der „Neuen Ordnung“ von Pater Ockenfels ist auch der heftige Gegner/Feind von Papst Franziskus, Kardinal Walter Brandmüller.

3.
Am 24. Juli 2018 hat nun auch der für Pater Ockenfels zuständige Provinzialobere des Dominikanerordens in Köln, Pater Peter L. Kreutzwald, eine Stellungnahme publiziert.
Um es vorweg zu sagen: Diese Stellungnahme entspricht nicht der Bedeutung, dass nun ein katholischer Theologieprofessor sich in einer AFD Organisation engagiert. Diese Tatsache ist eine schlimme Wende, sie führt hin zur “Normalisierung” dieser AFD Partei und ihres Umfeldes sowie ihrer bekannten Connections mit rechtsextremen Parteien in Europa.
Im ersten Teil seiner Stellungnahme erwähnt Pater Kreutzwald die im Dominikanerorden offenbar übliche Pluralität: Man liebt dort die „kontroverse Diskussion“. Und angesichts dieser damit angedeuteten Toleranz im Dominikanerorden wird dann auch die „Haltung“ von Pater Ockenfels, also seine Sympathie für die AFD, als „persönliche Einzelmeinung“ förmlich abgewertet. Aber: „Diese persönliche Einzelmeinung“ wird „von der Provinzleitung nicht geteilt“. Immerhin, dies wird gesagt. Ob nun kontroverse Debatten, offenbar in dem Orden üblich, nun auch mit Pater Ockenfels geführt werden, auch öffentlich, wird vom Provinzial nicht einmal angedeutet. Wie toll wäre es doch, einmal einen kritischen Dialog unter Dominikanern, die nennen sich ja offiziell „Predigerbrüder, über das Thema öffentlich zu erleben.
Diese äußerst knappe allgemeine Abgrenzung des Ordensoberen bedeutet letztlich: Ein Ordensoberer ist gegenüber dem politischen Engagement eines zudem einflussreichen Ordensmitglieds machtlos; der Ordensobere zeigt hilflos, nicht mehr als die offizielle Ablehnung dieser Privatmeinung eines einzelnen Mitglieds im Orden mitzuteilen. Man könnte sich im Fall dieser gravierenden AFD Unterstützung ja auch denken: Dass der Ordensobere entscheidet, die Ordensmitgliedschaft des Betreffenden „ruhen“ zu lassen, solange dessen AFD Aktivitäten fortgesetzt werden.
Hingegen suggeriert der Kölner Ordensobere an der Stelle seiner knappen Stellungnahme, als wäre diese persönliche Einzelmeinung von Ockenfels nur von so geringer Bedeutung wie etwa eine absolute Vorliebe fürs vegetarische Essen oder für anstrengende Bergwanderungen. Mit anderen Worten: Der Ordensobere spielt in diesem ersten Absatz die AFD von Pater Ockenfels herunter. Damit wird indirekt für andere das Zeichen gesetzt: Wenn schon ein Dominikaner Theologe sich AFD nah engagiert, warum kann ich als katholischer Laie dies nicht auch? „Also los, wählen wir AFD“, sagen sich praktizierende Katholiken, die nachweislich oft noch sehr autoritätshörig sind.
Im zweiten, etwas längeren Teil der „Stellungnahme“ von Pater Kreutzwald wird dann ohne jeden ausdrücklichen Bezug zur AFD – Mitarbeit des Dominikaners Ockenfels nur Allgemeines zur politischen Situation Deutschland und Europas gesagt: Die AFD wird von dem Provinzial durchaus als „rechtsgerichtete Partei“ bewertet. Dass “rechtsgerichtet“ sehr milde klingt, ist klar! Kreutzwald gibt zu, diese Partei argumentiere mit „vereinfachender Polemik“ bis hin zu offener Feindseligkeit. Die Frage stellt der Provinzial an dieser Stelle nicht: Darf ein Theologe, darf ein Christ, sich zu dieser offenen Feindseligkeit (die die AFD nachweislich inszeniert) bekennen?
Zum Schluss erinnert der Obere an den Anspruch des Dominikanerordens, des Predigerordens, „in einer vernünftigen Sprache differenziert und ausgewogen die gegenwärtigen Herausforderungen ins Wort zu bringen“. DER TEXT von Pater Kreutzwald war kurze Zeit erreichbar über: http://www.dominikaner.de/  Am 21-10-2021: Diese Information des Provinzials ist schon seit längerer Zeit nicht mehr auf der website des Ordens auffindbar. Der “Fall Ockenfels” Ist wohl zu peinlich für die Ordensleitung?

4.

Auch der katholische Theologe David Berger (2010 Autor des heftig antiklerikalen Erfolgs-Buches „Der heilige Schein. Als schwuler Theologe in der katholischen Kirche“) gehörte kurze Zeit zum Kuratorium dieser AFD-Organisation. David Berger ist ein Kenner des Werkes des mittelalterlichen Theologen und Dominikaners Thomas von Aquin, deswegen hat er enge Verbindungen zu einzelnen Dominikanern in Berlin und in Rom (dazu in dem genannten Buch S. 128 ff.). Er hat sich vom konservativen katholischen Theologen erst zum heftigen Kirchenkritiker und Gay-Aktivisten nun wieder zum AFD nahen Theologen (zurück-?) “entwickelt”. Eine interessante “Karriere” in der AFD…Die allerdings im Juni 2019 ein Ende fand: David Berger ist aus dem Kuratorium der AFD Stiftung ausgeschieden…

Bemerkenswert jedenfalls ist die nach außen hin gezeigte Toleranz von Ockenfels gegenüber dem offen homosexuell lebenden, einstigen Chefredekteur des Gay – Magazins „Männer“ im schwulen Bruno Gmünder Verlag in Berlin: Gegenüber seinem damaligen Co-Beirat David Berger in der AFD Stiftung zeigte sich Ockenfels sehr tolerant: Er hielt den nun AFD affinen (ehemaligen ?) Gay-Aktivisten und Gay-Publizisten David Berger für einen „sehr anregenden, kompetenten Gesprächspartner“. Dabei ist diese tolerante Aussage von Ockenfels hoch erstaunlich: Sie steht wohl ganz im Dienste der gemeinsamen AFD-Verbundenheit: Denn Ockenfels hat sonst gegen alle „moderne“ Moral (der „68 er-Bewegung“) gewettert, gegen Feminismus und Gender-Forschung etwa. Gegen die so genannte „Homoehe“ argumentierte Ockenfels in einem von Norbert Geis (CSU – Hardliner) herausgegebenen Buch mit dem Titel „Homoehe“, er verfasste den Beitrag “Staatliche Prämierung der Unfruchtbarkeit“ (gemeint sind „die Homos“). AFD Homos sind jetzt – dank David Bergers Liebe zur AFD – offenbar nicht mehr so „unfruchtbar“. Inzwischen gehört Berger nicht mehr dem beirat der AFD nahen Stiftung an, CM, 7.2.2023)

5.

Pater Ockenfels, ein PUTIN-Freund:
Pater Ockenfels zeigt sich Putin – Freund und Putin – Verteidiger, und darin ist er auf der Linie der AFD. Man denke auch an Gaulands frühe Verteidigung der Annexion der Krim durch Putin… (Siehe unten, Fußnote 1)
Am 3. Dezember 2014, also wenige Monate nach der Annexion der Krim durch Putin (im März 2014 ), schrieb Pater Ockenfels in der sehr konservativen katholischen website kath.net :
„Aber die neuen Schaleks (das sind Journalisten im Werk von Karl Kraus, CM) beiderlei Geschlechts bevölkern zur Anheizung des neuen Konflikts unsere Medien, die ihren Haß auf den Teufel Wladimir Putin kaum noch zügeln können: Er sei sowieso krank, er habe Krebs, und überdies sei er paranoid, wie Herr Doktor Andreas Schockenhoff MdB per Ferndiagnose herausfand, statt sich als Christdemokrat einmal zu völkerrechtlichen Regeln, die für alle und reziprok gelten (sollten) und über die einseitige Interessen- und Machtpolitik hinausgehen, nachdenklich zu äußern. Die heute bei uns vorherrschenden antirussischen und antichristlichen Affekte werden freilich nicht vom Volksverhetzungsparagraphen erfaßt“.  Kath.net 3.Dezember 2014.

Fußnote 1: „Schon 2014, die AfD war erst wenige Monate alt, war Alexander Gauland zu Gast in der russischen Botschaft. ­Gauland, damals noch Landeschef in Brandenburg, ist heute Vorsitzender der Partei. Kurz nach dem Besuch trat er mit dem Kreml-Lobbyisten ­Wladimir Jakunin bei der Konferenz „Frieden mit Russland“ des rechtsextremen ­Magazins Compact auf. Er reiste nach Sankt Petersburg, traf einen nationa­listischen Oligarchen und diskutierte mit dem radikal antiliberalen Philosophen Alexander Dugin, den das US-Magazin Foreign Affairs „Putins Hirn“ taufte.
Und so ging es weiter: AfD-Politiker reisten zu Konferenzen in die Ost­ukraine, wanzten sich an die Putin-Jugend ran, trafen sich in Moskau mit der Kremlpartei oder der Stadtregierung… Quelle: TAZ: https://taz.de/Russland-und-die-AfD/!5579084/

Fußnote 2:
Der Dominikaner Pater Ockenfels ist ständiger Mitarbeiter der äußerst rechtslastigen website “kath.net”, seine Texte: https://kath.net/suche.php?suche=Ockenfels

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Gott und die Demokratie. Ein neues Buch des Philosophen Otfried Höffe

Ein Hinweis von Christian Modehn

1.
Bei einem Buch eines Philosophen ist oft schon der Titel eine Einladung zum Weiterdenken. Professor Otfried Höffe, Prof. em. der Universität Tübingen, gibt seinem neuesten Buch den Titel „Ist Gott demokratisch?“ Wer Gott in einem allgemeinen Sinn deutet, ihn als den höchsten Herrscher der Welt versteht, wird diesen Gott naturgemäß nicht als demokratisch qualifizieren. Gott herrscht. Die Menschen sind seine gehorsamen Kinder. Wer den Titel weiter bedenkt, wird sich fragen: Welcher immer schon konfessionell geprägte Gott könnte denn überhaupt demokratisch sein? Der Gott der Christen etwa? Und da entsteht die weitere Frage: Der Gott der Katholiken mit dem obersten Herrn, dem „Heiligen Vater“, in Rom? Oder eher der Demokratie-affine Gott der Kirchen des immer noch vorhandenen liberalen Protestantismus? Ist der Gott Jahwe im jüdischen Glauben demokratisch, weckt er z.B. aktuell demokratisches Bewusstsein, wenn man an ultra-orthodoxe Gläubige und ihre Minister im heutigen Israel denkt? Welcher Gott welcher muslimischen Tradition könnte denn demokratie-freundlich oder auch demokratie-feindlich gesinnt sein? Zwischen menschenfreundlichen Aleviten und den tödlichen schiitischen Herrschern im Iran ist doch ein Unterschied…

2.
Fragen über Fragen also schon angesichts dieses (ver)störenden Buch-Titels. Der Untertitel ist etwas präziser und weckt vielleicht Lust auf die Lektüre: „Zum Verhältnis von Demokratie und Religion“. Aber wieder stellen sich sogleich Fragen angesichts des Untertitels: Welche Demokratie ist denn gemeint? Die liberale und rechtsstaatliche Demokratie, die demokratische Demokratie sozusagen, jene Staatsform, die die Menschenrechte umfassend lebt? Gibt es diese demokratische Demokratie heute überhaupt? Oder gibt es nur noch die sich noch liberal nennende, aber auch schon korrupte Demokratie? Wie steht es mit den sich unverschämt explizit „illiberal” nennenden Regierungsformen, wie steht es so genannten Volks-Demokratien und von China oder Nord-Korea ganz zu schweigen. Die dortigen Diktatoren werden wie Götter verehrt… Und „die“ Demokratie will Otfried Höffe in Beziehung setzen zu „der“ Religion. Bloß zu welcher Religion denn, es gibt doch zweifelsfrei Religion nur im Plural und es gibt Ideologien, die sich wie Religionen verhalten, man denke an den Kommunismus, etwa den Stalinismus, den viele kluge Beobachter als eine Form von Religion und Götter-Verehrung verstehen. Und sprach nicht Walter Benjamin von der „Religion des Kapitalismus“? Ist der Gott der Konsumentenwelt nicht die „Ware“ oder das wirtschaftliche Wachstum? Kann man im Ernst auf diese Themen verzichten? Im Buch von Höffe werden diese Themen nicht angesprochen.

3.
Otfried Höffe, der Autor des genannten Buches, ist einer der bekanntesten und international geschätzten Philosophen besonders zu Fragen der philosophischen Ethik und der politischen Philosophie. Die Liste seiner Publikationen ist sehr lang und vielfältig, auch zur Geschichte der Philosophie. Dieses Buch nennt der gelehrte Philosoph immer wieder selbst „Essay“, und in dem Sinne sollte der Leser es betrachten: Es sind tatsächlich 12 kleine Essays, philosophische Betrachtungen zum Verhältnis „Religion(en) und staatliche Ordnung“. Die Essays dieses Buches sind eine Anregung für Menschen, die sich vielleicht zum ersten Mal etwas gründlicher mit dem Thema auseinandersetzen wollen. Die Hinweise zu Kant etwa wird man Gewinn lesen, auch die kritische Auseinandersetzung mit Jürgen Habermas ist wichtig, ebenso die Ausführungen zu William James, Charles Taylor und Hans Joas. Interessant sind die Hinweise auf volkstümliche Redensarten in Deutschland, die immer wieder, von den Sprechern meist unbewusst, Gott oder den Teufel ins Spiel bringen (S. 116 f). Ob man von „Restbeständen“ (s. 116) einer Religion sprechen kann, wenn man jemand schreit „Mein Gott!“, ist eine offene Frage.

4.
Diese im Buch versammelten Essays bieten leider keine präzisen Quellenangaben. Und manche Aussagen sind schlicht falsch, etwa wenn Otfried Höffe das Christentum „ein Reformjudentum“ (S. 38) nennt. „Reformjudentum“ ist eine Strömung im Judentum seit dem 19. Jahrhundert. Jesus von Nazareth war sicher kein „Reformjude“, vielleicht eher ein radikaler jüdischer Religionskritiker der damaligen jüdischen Religion und ihrer Herrscher… Falsch ist es auch, wenn Höffe behauptet, im „Freidenkerverband“ seien, so wörtlich, „freikirchliche Bewegungen organisiert“. Der heute noch bestehende zahlenmäßig eher unbedeutende, oft DKP-nahe Freidenkerverband (dieser hat fast nichts mehr mit dem bedeutenden „Humanistischen Verband“ -HVD- gemeinsam) war einst, zu Beginn des 20.Jahrhundert ein Ort für frei-religiöse Gemeinschaften, diese aber sind etwas anderes als „freikirchliche Bewegungen“, dazu gehören etwa die Baptisten oder Methodisten…(zit. auf Seite 223).

5.
Auch manche eher philosophisch gemeinte Behauptungen irritieren: „Der Monotheismus vertritt den in philosophischer, vermutlich auch in theologischer Hinsicht allein sachgerechten Gottesbegriff. Eine Gewaltbereitschaft zeichnet sich dabei nicht im entferntesten ab“ (S. 186). Wie man solche Sätze formulieren kann, ohne wenigstens kurz auf die Studien von des Ägyptologen Jan Assmann hinzuweisen, bleibt mir schleierhaft. Assmann wird von Höffe in dem Buch nicht einmal erwähnt. Und das bekannte Plädoyer des Philosophie Professors Odo Marquard für den Polytheismus wird nicht erwähnt. Abgesehen davon: Was besonders stört, ist die ganz schwache Auseinandersetzung Höffes mit der politisch-sozialen Realität heute. Etwa, dass der evangelikale Fundamentalismus unter den Anhängern der republikanischen Partei der USA aggressiv und antidemokratisch ist, ähnliches ließe sich von Bolsonaro sagen, von der Putin-Kirche, also der offiziellen russisch-orthodoxen Kirche kein Wort.

6.
Die Essays dieses Buches laufen auf zwei Seiten ganz Ende des Buches hinaus mit der Überschrift „Kein Dilemma“. Da wird die summarische Erkenntnis verkündet: „Das Verhältnis von Demokratie und Religion (immer noch in dieser Allgemeinheit formuliert, CM) ist störanfällig, es hat im Prinzip aber nicht den Charakter einer Zwangslage, eines Dilemmas“ (S. 225). Also: Religionen können grundsätzlich mit Demokratie kompatibel sein, auch wenn Höffe gegenüber „dem“ Islam Vorbehalte hat (S. 1818).
Höffe hofft aber: Selbst Religionen, die (in ihrem inneren Gefüge) „wenig demokratisch organisiert sind“, „können sich in ihrem Verhältnis zur Demokratie NICHT der eigenen religiösen Lehre entsprechend, also antidemokratisch, verhalten. (S. 225).
Das aber ist längst nicht entschieden: Ist der Ausschluss der Frauen vom Priesteramt in der undemokratisch organisierten katholischen Kirche nicht in gewisser Weise auch eine Herausforderung für das politische Miteinander dieser Kirche auch in der Demokratie? Gott will keine Frauen in höchsten Funktionen, dies ist doch die Botschaft des Vatikans. Man denke auch an die totale und öffentlich durchgesetzte katholische Abwehr der Abtreibung. Sie ist eine Verachtung der Menschenrechte der Frauen. Oder: Die Zurückweisung von Segnungen homosexueller katholischer Paare durch Rom ist ein Skandal angesichts der neuen Gesetzgebung der Demokratien zugunsten der Homosexuellen. Denn die katholische Lehre ist: Homosexuelle sind eigentlich in der Sicht Gottes Menschen zweiter Klasse (diese Position einzunehmen steht dem Papst offiziell zu).

7.
Diese Hinweise deuten die Grenzen dieses Buches von Otfried Höffe an. Aber: Wie schon gesagt: Wer als Anfänger sich mit den Fragen dieses umfangreichen Themas „Religionen und Demokratie“ bzw. „Religionen und Staat“ auseinandersetzen will, wird gerade im explizit philosophiegeschichtlichen Teil kurz und knapp und allgemein verständlich informiert und zum weiteren Studium hoffentlich eingeladen.

Otfried Höffe, „Ist Gott demokratisch? Zum Verhältnis von Demokratie und Religion“. Hirzel Verlag, Stuttgart 2022, 231 Seiten. 24 €.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Homosexualität ist kein Verbrechen, bleibt aber eine Sünde. Verworrenes von Papst Franziskus im Januar 2023.

Von Christian Modehn am 30.1.2023.

Die Stellungnahmen von Papst Franziskus zur Homosexualität werden immer zwiespältiger. Sie bestätigen nur das Hin-und Her-Lavieren der katholischen Kirche bei dem Thema.

Ende Januar 2023 hat Papst Franziskus gleich zweimal zu diesem Thema Stellung genommen. In einem Interview für AP am 25.1.2023 LINK und in einem Brief an den US-amerikanischen Jesuiten James Martin. LINK. Siehe auch handschriftlich LINK.

Erstens sagte der Papst: „Homosexualität ist kein Verbrechen“. Also keine Untat, die in mehr als 60 Staaten immer noch gesetzlich verfolgt und bestraft wird.

Kommentar: Eine scheinbar mutige Aussage, in der sich der Papst von den mehr als 60 Staaten und ihrer Politiker absetzt, die immer noch Homosexuelle verfolgen, ausgrenzen, quälen, töten. Damit spricht sich der oberste Chef der römischen Kirche aber endlich nur für den allgemeinen humanen Standard aus, den vernünftige und gebildete Menschen (und deren Politiker) schon seit etlichen Jahren vertreten.
Und die Wahrheit, die immer mehr vernünftige und gebildete Menschen verteidigen, heißt: Homosexualität (um nur von ihr zu sprechen in der Vielfalt queeren Lebens) ist normal, sie ist nichts anderes als eine Variante in den sexuellen Orientierungen. Die universal geltenden Menschenrechte stehen über allen positiven Gesetzen der Staaten und über allen faktischen Lehren, Dogmen der verschiedenen Religionen. Menschenrechte sind der universale Maßstab.
Die päpstliche Aussage „Homosexualität ist kein Verbrechen“ scheint in gewisser Weise mutig zu sein, wenn man bedenkt, dass der Papst Anfang Februar 2023 den Staat Südsudan besucht, deren Bewohner zu 77% sich Christen nennen (39 % nennen sich katholisch). Dieser Staat Südsudan aber hat Gesetze, die Homosexuelle bestrafen und ausgrenzen. Und die dortigen katholischen wie anglikanischen Bischöfe unterstützen diese staatlichen Gesetze. Es wird also nicht leicht sein, wenn der Papst, der ja eigentlich nur für „geistliche“ und „moralische“ Verhalten zuständig ist, nun dort hoffentlich zum leidenschaftlicher Verteidiger der Homosexuellen wird und lautstark verkündet: „Auch die Homosexuellen im Südsudan sind keine Verbrecher“. Wird seine Stimme vernommen? Der Papst wird wohl leider unverrichteter Dinge wieder nach Rom zurückfliegen: Denn die Regierung des Südsudan kann der Papst nicht austauschen, und die Katholischen Bischöfe ebenfalls nicht. Die werden wohl bei ihrer tiefsitzenden, angeblich theologisch begründeten Anti-Gay-Haltung bleiben.
Man möchte man den Politikern und Bischöfen in Südsudan zurufen: Schafft endlich demokratische Gesetze, beendet die Verfolgung von Homosexuellen und sorgt endlich dafür, dass die eigene Bevölkerung nicht länger verhungert… Dies zu sagen hat gar nichts mit Neo-Kolonialismus zu tun. Nur mit der Geltung der universalen (!) Menschenrechte.

Zweitens sagte der Papst: Der Papst ergänzt zur selben Zeit, Ende Januar 2023, ebenfalls gleich zweimal sein erstes Statement und lehrt: „Homosexualität ist Sünde“! Und dies mit der Begründung: „Weil der offizielle Katechismus der römischen Kirchen (verfasst unter Kardinal Ratzinger) Sexualität nur in der Ehe erlaubt“.

Kommentar:
Der Papst stellt also zum hundertsten Male wie seine Vorgänger schon ganz deutlich heraus: Homosexualität ist Sünde. Und damit sind konsequenterweise Homosexuelle auch besonders stigmatisierte Sünder. Vor allem Homosexuelle gelten nun wieder einmal als auffällige Sünder.
Theologisch ist die Aussage verrückt und falsch, sie muss von vernünftigen Theologen energisch zurückgewiesen werden: Denn Sünder kann nur jemand sein, der sich freiwillig für eine bestimmte Tat und Haltung entscheidet, die moralisch verwerflich sind. Aber Homosexualität wurde nie frei gewählt. Homosexualität ist, wenn man es theologisch deuten will, eine Gabe Gottes, die dem Menschen zugewiesen wurde, weil Gott als guter Gott nur Gutes schafft, darum ist also Homosexualität eine „gute Gabe Gottes“. Sie ist nur eine Variante innerhalb der Sexualitäten.

Die Konsequenz:
Wenn der Papst also hoch offiziell immer noch Homosexualität für eine Sünde hält und damit Homosexuelle als die nun öffentlich besonders bekannten Sünder hinstellt, hat er kein Argument mehr, um seine durchaus politische These durchzusetzen: Homosexualität ist kein Verbrechen, nichts, was ein Staat verfolgen darf.
Denn die Staats-Chefs können doch angesichts der „Sünden-Behauptung“ sagen: Wir helfen dir lieber Papst doch nur, die Sünde in der Welt zu besiegen, wenn wir die homosexuellen Sünder bestrafen und verfolgen und auslöschen. Dies ist ein alter Usus der Zusammenarbeit von Staat und Kirche: Die Päpste markieren bestimmte Menschen als schwere Sünder, und der Staat löscht sie dann unter dem Titel „Verbrecher“ aus. Siehe Inquisitionsgeschichte.

Die Lösung:
Eine vernünftige Lösung kann nur bedeuten: Der Papst lehrt kraft seines Amtes verbindlich und ein für allemal: „Homosexualität ist weder ein Verbrechen NOCH eine Sünde“. Er sagt öffentlich und laut und in allen Sprachen: „Homosexualität ist etwas Normales. Und deswegen unterstützen wir gern Homosexuelle, wenn sie eine Ehe schließen wollen, selbstverständlich segnen wir auch homosexuelle Paare, wir wollen schließlich als Kirche nicht länger nur wie üblich Autos, Wohnungen, Handy, Tiere usw. segnen, sondern eben auch alle Menschen“.

Ein – ironischer – Ausweg jetzt schon:
Vielleicht gibt es für einige wenige noch katholisch „gebundene“ Homosexuelle einen Ausweg, den Papst Franziskus selber in seinem Brief an Pater James Martin andeutet: Der Papst schreibt: „I should have said “it is a sin, as is any sexual act outside of marriage.”
Also, das heißt: Wer in einer Ehe lebt, begeht in seinem sexuellen Lieben und Leben keine Sünde. Das heißt dann aber: Homosexuelle, die im Sinne der richtigen Gesetze demokratischer Staaten verheiratet sind, können ohne weiteres mit päpstlichem Segen ihre Sexualität leben. Mit anderen Worten: Der Papst will sagen: Katholische Homosexuelle! Heiratet, folgt den richtigen Gesetzen in euren demokratischen Staaten, dann könnt ihr mit meinem päpstlichen Segen durchaus Sex haben und Liebe empfinden. Ihr seid ja Eheleute und verheiratet!

Weitere Projekte der Forschung:
– Warum wird gerade in Afrika Homosexualität so oft verboten? Wovor haben die Politiker und weite Kreise der unwissenden Bevölkerung Angst, wenn es um Menschenrechte für Homosexuelle geht?
– Folgen die afrikanischen Bischöfe in ihrer Feindschaft auf Homosexuelle nur der alten Lehren der europäischen und nordamerikanischen Missionare im 19. und 20.Jahrhundert, die den armen „Einheimischen“ einbläuten: Homosexualität ist eine Sünde? Man darf vermuten, dass es so war. Das Zerstörerische der Kolonial/Missionsgeschichte wird einmal mehr deutlich.

Katholische Kirche in ihrer Verfolgung der Homosexuellen, Hinweis auf einige Beiträge des Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en-Salon Berlin.

Die Studie “Sodom” des französischen Soziologen Frédéric Martel, sie dokumentiert das verborgene, verlogene schwule Leben des Klerus: LINK

Kardinal Sarah (geb.in Guninea) war und ist einer der heftigsten Feinde homosexueller Gleichberechtigung: LINK

Kardinal Pengo aus Tanzania hat Unsägliches über Homosexuelle gesagt:  LINK

Im Jahr 2018 hätte Papst Franziskus in einem Interview am liebsten einen katholischen §175 geschaffen. LINK

Weihbischof Andreas Laun aus Salzburg war so geistig daneben, dass er den Segen für homosexuelle Paare mit einem Segen für KZs verglich. LINK

Dies ist nur ein Ausschnitt über die angestammten Umgangsformen des (hohen) Klerus mit Homosexuellen und Homosexualität. Das Thema bewegt diese Herren, weil sie oft selbst verkrampft schwul sind und alle verachten, die offen diese ihre normale Sexualität leben. Um dies zu erkennen, muss man kein Tiefenpsychologe sein.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Theologe Wilhelm Gräb gestorben

Am 25.1.2023 notiert: Eine traurige Nachricht, ein großer Verlust für eine moderne “liberale Theologie”: Prof. Wilhelm Gräb, Prof. em. für praktische Theologie an der Humboldt-Universität Berlin,  ist am 23. Januar 2023 in Berlin nach langer Krankheit gestorben. Der Religionsphilosophische Salon Berlin verdankt ihm viele wichtige Anregungen und dankt nochmals auf diese Weise für insgesamt 65 Beiträge und Interviews, die Wilhelm Gräb in mehr als zehn Jahren für diese website gab. LINK.

Ich darf sagen, wir haben einen Freund verloren, der als ein Theologe der heutigen Moderne ungewöhnliche, aber richtige Perspektiven zeigte in seiner großen Aufgeschlossenheit und Freundlichkeit. Für ihn war die religiöse Glaubensform eines jeden Menschen wichtiger als die fixierenden, dogmatischen Lehren der Kirche. Diese theologische Freiheit, alle dogmatische Engstirnigkeit, allen Fundamentalismus auch in der evangelischen Kirche zu überwinden, “beiseite zu tun”, wie Wilhelm gern sagte, ist in ihrem radikalen Mut schon ziemlich einmalig. Ob diese Vorschläge und Ansätze zu einer Reformation der Kirchen noch ernstgenommen werden, gerade in dieser “Kirchenkrise” ist eine offene Frage… Über seine Verdienste in der Forschung zu Schleiermacher wird später zu berichten sein.

Fest steht: Wilhelm Gräb war ein Theologe, der über die allmählich verschwindende Macht der Kirchen hinausdachte, damit auch über die so genannte Säkularisierung, und der in der SINN-Frage, die jeden Menschen bewegt, die entscheidende Dimension geistvollen Lebens entdeckte und reflektierte. Letztlich kam es ihm auf die Pflege der SINN-Frage an, was für eine richtige Radikalität.

Die Vorlesung Wilhelm Gräbs beim offiziellen Abschied (Emeritierung) von der Humboldt – Universität hat der Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie Salon als erster publiziert. LINK.

Interessant in dem Zusammenhang das Interview, das uns Wilhelm Gräb 2012 zum Thema TOD und Sterben gab: LINK 

Zur theologischen Besinnung empfehle ich auch unser Interview mit Wilhelm Gräb “Der Gott der Liebe”. LINK:

Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin, führte insgesamt 65 Interviews mit Prof. Wilhelm Gräb, die auf der website des Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en-salon.de   nachzulesen sind. LINK.

Siehe auch den Hinweis der Theologischen Fakultät der HU, in englischer Sprache, die schön in einigen Worten auch die menschlichen Qualitäten Wilhelm Gräbs deutlich machen. LINK.

Copyright: Christian Modehn.

Die „Dialektik der Aufklärung“ – ein „Jahrhundertbuch“? Und: Antisemitismus bei Horkheimer und Adorno?

Über das Buch „Freiheit und Finsternis“ von Martin Mittelmeier.
Ein Hinweis von Christian Modehn.

1. Die „Dialektik der Aufklärung“ – ein Torso.
Die Philosophen Max Horkheimer und Theodor W. Adorno hatten als Emigranten in Kalifornien 1942 begonnen, gemeinsam ein Buch zu schreiben, sie nannten es später „Dialektik der Aufklärung“. 1948 wurde es in Deutschland ausgeliefert. Es sei ein „Jahrhundertbuch“, behauptet der Siedler Verlag im Untertitel der Studie „Freiheit und Finsternis“ von Martin Mittelmeier. Dass Mittelmeier selbst in seinem Schlusskapitel die „Dialektik der Aufklärung“ „hermetisch“ nennt, „als nicht leicht zu verstehen“ (S. 218) bewertet und als ein Buch beschreibt, „in dem man sich verirren kann“(S. 270 und 271), ist dann schon etwas irritierend … für ein „Jahrhundertbuch“. Auch „Handlungsimpulse“ für die Protestbewegungen (etwa zum „Mai 68“), wurden mit der Dialektik der Aufklärung, so wörtlich, „nicht geboten“. Die „Dialektik der Aufklärung“ sei ein Torso, so Mittelmeier (S. 264 und 272). Aber dieses „Torso-Buch“ hat doch eine gewisse Bedeutung und Berühmtheit erlangt, zahlreiche Studien von Philosophen zur „Dialektik der Aufklärung“ sind längst erschienen…

2. Eine lockere Abfolge von Biographischem und Philosophischem.
Martin Mittelmeier, Honorarprofessor für deutsche Sprache und Literatur an der Universität von Köln, hat sich die Mühe gemacht, viele Details der Geschichte der Entstehung dieses „Jahrhundertbuches“ „Dialektik der Aufklärung“ mit vielen Quellenangaben gut belegt zusammenzutragen. Sein Buch besteht aus einer eher locker wirkenden Abfolge von philosophisch reflektierenden Erläuterungen zum Inhalt und dann, dazwischen gesetzt, eher nur biographisch erzählende Kapitel. In dieser „Doppelstruktur“ werden dann aber doch für manche sicher erstaunliche Erkenntnisse offen gelegt.

3. “Die Aufklärung fällt in Mythen zurück”.
Tatsache ist, dass die „Dialektik der Aufklärung“ so gesprächsweise in intellektuellen Kreisen viel Beachtung fand, das Buch erreichte hohe Auflagen und erlebte zahlreiche Übersetzungen. Das Buch wird in der philosophischen Fachwelt noch diskutiert, aber wird es von den „weiten Kreisen Interessierter“ auch gelesen und verstanden?
Das ist wohl die Frage, die sich der Autor Martin Mittelmeier stellte. Er erzählt deswegen anschaulich die mühevolle Entstehungsgeschichte der „Dialektik der Aufklärung“, aber er berichtet dies in einer Mischung aus Berichten vom privaten Leben der Philosophen und dann wieder ins Grundsätzliche gehenden Abschnitten der Werk-Interpretation.
Dass die philosophischen Einsichten und politischen Aussichten der „Dialektik der Aufklärung“ sehr düster sind, ist von vornherein klar, sozusagen als der „allgemeine Ruf“, der dieses Buch bewirkt hat. Die philosophische Vernunft wird zunächst als Geschichte der Befreiung von alten Göttern gedeutet, aber dann werden neue Götter wieder mächtig, und die heißen technischer Fortschritt, Konsum, Kultur-Industrie, Wachstumszwang der Ökonomie. Mit anderen Worten: Wer sich von der finsteren Gewalt der alten Götter befreit hat, gerät in neue Finsternis eines neuen Götter-Glaubens. Auswege und Licht kaum sichtbar. Und vor allem: Der Antisemitismus ist für Adorno/Horkheimer in der „aufgeklärten“ Moderne kein Sonderaspekt, sondern eine Art „Grundstruktur“.

4. Theologische Ausrutscher
Seinen Buch – Titel „Freiheit und Finsternis“ erläutert Mittelmeier nicht explizit und ausführlich, diese Wortverbindung Freiheit und Finsternis wird meines Wissens nur einmal erwähnt, nämlich auf Seite 251, wenn Mittelmeier auf den Zusammenhang von Hölle und Himmel im Denken Adornos aufmerksam macht mit der etwas verstörenden Bemerkung: „Dass (für Adorno) Himmel und Hölle identisch sein können, ist eine Konsequenz aus der ungeheuerlichen gedanklichen Konstruktion, dass der Holocaust die letzte notwendige Etappe zur Erlösung ist“ (S. 250). Da spielen theologische Ideen rein, die auf Inspirationen von Walter Benjamin zurückgehen.

5. Antisemitische Äußerungen von Adorno und Horkheimer?
Bevor auf weitere Aspekte des Buches von Martin Mittelmeier hingewiesen wird, soll die Aufmerksamkeit dem Thema Antisemitismus gelten: Denn es könnte für etliche LeserInnen überraschend sein, wenn Mittelmeier schreibt, „Adorno und Horkheimer standen jüdischen Lebenswelten umso reservierter gegenüber, je orthodoxer diese waren“ (S. 232). Mittelmeier spricht sogar von deren „habituellen Antisemitismus“ (S. 31). 1937 schrieb Adorno an seine Eltern, wie sehr ihn das Verhalten von – so wörtlich – „Ostjuden“ auf der gemeinsamen Fahrt auf einem Schiff über den Atlantik störte: Es waren, so wörtlich, „Ostjuden, die mit ihren Kappen auf dem Kopf saßen, religiöses Geheul ausstießen und sich überhaupt benahmen, dass es eine Rassenschande ist“, so zitiert Mittelmeier auf S. 232 Theodor W. Adorno und Mittelmeier kommentiert weiter: „Nach dem Offenbarwerden des Ausmaßes der Judenvernichtung ließ sich Adorno zu solchen Äußerungen nicht mehr hinreißen“ (Ebd.). Selbst Max Horkheimer wurde von Adorno ein Antisemit genannt, so wörtlich, „dessen Antisemitismus hinter dem von Adornos Vater kaum zurücksteht…“ (S. 234).
Mittelmeier beschreibt diese Tendenzen bei Adorno und Horkheimer unter der Kapitelüberschrift „Der Antisemitismus der Antisemitismus-Analytiker“ . Darin wird auch von einem nicht realisierten Projekt der beiden Philosophen in Kalifornien berichtet: Adorno und Horkheimer wollten in den USA für Juden ein Handbuch publizieren, das denen Argumente liefert, gegen antisemitische Beleidigungen vorzugehen. Dabei griffen die beiden durchaus antisemitische Stereotype auf, nannten sie und wollten zeigen, wie Juden selbst auf solchen Wahnsinn oder „anderen“ reagieren sollten. Eher peinlich ist dieses ganze Vorhaben…
Die Frage ist, ob derartige Optionen und Stellungnahmen „Antisemitismus bei (jüdischen) Antisemitismus – Analytikern“ genannt werden sollten, müsste breiter erörtert werden. Aber für viele LeserInnen dürften die gut belegten Hinweise Mittelmeiers neu sein.

6. Zur Geschichte des Buches „Dialektik der Aufklärung“:
Etliche (jüdische) Wissenschaftler des Frankfurter „Instituts für Sozialforschung“ (Leitung: Max Horkheimer) hatten sich seit 1934 zunächst an die Ostküste der USA, dann nach Kalifornien flüchten können, sie lebten dort recht privilegiert, mussten sich allerdings während des Krieges zumal mit den Verdächtigungen des CIA auseinandersetzen. Und sozusagen vorauseilenden Gehorsam in ihren Formulierungen zeigen, um nicht als Kommunisten verfolgt und vertrieben zu werden. Das gute Leben der Flüchtlinge in Kalifornien war durchaus ein Thema mit einigen „Gewissensbissen“ etwa bei Max Horkheimer. Er hatte das Gefühl, gut und in Sicherheit zu leben, während (andere) Juden in den KZs der deutschen Nazis umgebracht wurden… LINK

7. Adorno – der unbeliebte Ehrgeizige.
Der Autor beschreibt viele Details, etwa, dass Theodor W. Adorno keineswegs von den Mitgliedern der kalifornischen „Kolonie der Wissenschaftsflüchtlinge“, also aus dem Institut für Sozialforschung, geschätzt, geschweige denn gemochte wurde. Adorno setzte in totalem Ehrgeiz alles daran, dem großen Chef Horkheimer (Mittelmeier spricht sogar von dessen Dominanz als „Diktatur“ auf S. 163) zu gefallen. Nebenbei: Hannah Arendt, so Mittelmeier, konnte Adorno nicht ausstehen (S. 15).
Horkheimer seinerseits hat schon als junger Mann ein sehr enges Freundschaftsbündnis mit Friedrich Pollock (der Ökonom des Instituts) geschlossen, beide blieben ein Leben lang zusammen (S. 43). Als 30 Jähriger heiratete Horkheimer 1926 die 8 Jahre ältere Sekretärin Rose Riekher aus der Firma seines Vaters.
Und, leider auch dies: Walter Benjamin konnte von Horkheimer und Adorno, trotz aller Zureden, nicht überzeugt werden, rechtzeitig in die USA zu flüchten.
Vom gesellschaftlichen Leben im Umfeld von Los Angeles ist im Buch viel die Rede, von Kontakten etwa mit Thomas Mann. Auch die musikalischen Begabungen und Qualitäten Adornos, in Kalifornien stolz präsentiert, kommen zur Sprache.

8. Zwei Philosophen schreiben ein Buch gemeinsam.
Abgesehen von vielen eher das Private betreffenden Hinweisen (etwa auch zur Rolle der Frauen, die meist nur als Gattinnen und gleichzeitig als Sekretärinnen relevant waren), bietet „Freiheit und Finsternis“, wie schon gesagt, in einzelnen Kapiteln immer wieder einige Erläuterungen zum Inhalt dieses so genannten „Jahrhundertbuches“ „Dialektik der Aufklärung“: Es ist, so der Autor, ein letztlich unvollendetes Opus, aber beachtlich ist: Etliche Kapitel wurden in schwieriger gemeinsamer Arbeit von Horkheimer UND Adorno verfasst, das ist für eine philosophische Studie schon eine Ausnahme: Nur ein Beispiel: Dass etwa Kant und Reinhold oder Kant und Fichte gemeinsam ein Buch hätten schreiben können, ist undenkbar.

9. Ängstlich, diplomatisch, auch revisionistisch?
Erstaunlich, wenn nicht verwirrend ist die Tendenz des vorauseilenden Gehorsams vor allem von Horkheimer, der die deutlich kommunistisch, sozialistisch konnotierten Begriffe aus ihrem Buch zu entfernen, damit eine allzu deutliche sozialistische Tendenz nicht zu persönlichen Irritationen (und Ausgrenzung) in der BRD führe. Die italienische Ausgabe des Buches wurde nach eingehenden Untersuchungen und Vergleichen bewertet: es seien ihr von den Autoren „die Stacheln entledigt worden“ (S. 270). Mittelmeier spricht sogar vom Revisionismus der beiden Autoren (S. 271).
Das so genannte „Jahrhundertbuch“ ist zweifellos in einer Haltung von Angst und Rücksichtnahme auf staatliche „Autoritäten“ in den USA (FBI!) entstanden, aber es ist auch bestimmt von dem Willen der Autoren, unbedingt, selbst mit Revisionen, in der philosophischen Welt wahrgenommen und anerkannt zu werden. Die Studenten des „Mai 68“ haben diese wenig kämpferische „diplomatische“ Haltung nicht sehr geschätzt … und sich eher Herbert Marcuse zugewandt.

Martin Mittelmeier, „Freiheit und Finsternis. Wie die „Dialektik der Aufklärung“ zum Jahrhundertbuch wurde“. Siedler Verlag, 2021, 320 Seiten, 24€.

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de