Orte der Transzendenz: Der Philosoph Charles Taylor (Montréal, Kanada)
Anläßlich seines 80. Geburstatags am 5. November
Er ist einer der vielseitigsten Philosophen der Gegenwart: Charles Taylor hat viele Jahre als Professor für Philosophie und Politologie an der Mc Gill University von Montreál gearbeitet. Hermeneutik, Anthropologie, Sprachphilosophie, Sozialphilosophie sind einige seiner Themen, abgesehen vom praktischen Engagement in der Provinz Québec, neu die Laizität des Staates und damit das Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen und Religionen vernünftig zu gestalten (siehe dazu auf Deutsch sein neues Buch „Laizität und Gewissensfreiheit“, Suhrkamp). Taylor hat den berühmten Hegelpreis 1997 erhalten, sowie den „japanischen Nobelpreis“, den Kyoto-Preis, im Jahr 2008. Wir weisen darauf hin, dass der beste Kenner der Taylorschen Philosophie der in Jena lehrende Soziologe Hartmut Rosa ist.
Das besondere Interesse Taylors gilt der Frage, wie Religion heute begründet werden kann, angesichts der Tatsache, dass die westliche Kultur von der Säkularität, also der Immanenz und der Weltlichkeit, bestimmt ist.
Für den Religionsphilosophischen Salon können nur einige Denkanstöße Taylors zur Diskussion weiter gegeben werden.
Taylor erinnert an grundlegende historische Entwicklungen:
1. Wir leben heute in einer “entzauberten Welt“. Der Glaube ist weithin verschwunden, dass etwa Naturgewalten mit kirchlich – religiösen Riten und Gesten besänftigt werden können (etwa das Läuten der Glocken bei Unwetter – zur Besänftigung Gottes – ist praktisch ganz verschwunden).
2. Es setzt sich immer mehr die Überzeugung durch, dass menschliche Existenz ausschließlich immanent verstanden werden soll. Bei der Bestimmung des Begriffes des Guten wird mit „auf jeden Transzendenzbezug verzichtet“.
3. Anstelle des Kosmos wird heute das unendliche Universum erlebt. Aber da passiert nach Taylor etwas Merkwürdiges: Auch Ungläubige „kommen nicht umhin, eine tiefe Demut und Verwunderung angesichts dessen zu empfinden, das uns so über alles Maß übersteigt“ (zit. in einem Beitrag Taylors für die Zeitschrift „Information Philosophie“, Juni 2003, S 12). Nur evangelikale Fundamentalisten und „eingefleischte Materialisten“, so Taylor, sehen in dem Universum nichts Geheimnisvolles; die einen, weil sie alles biblisch erklären, die anderen, weil sie alles naturwissenschaftlich in den Griff zu bekommen meinen.
4. Wir leben, so Taylor, in einer Kultur der Gottesfinsternis. „Die Transzendenz ist aus dem öffentlichen Feld geschlagen“ (ebd., S. 14). Aber es hat keinen Sinn, das „Rad der Zeit“ zurückzudrehen. Die alte „Christenheit“ als machtvolles System kann nicht wiederhergestellt werden, das gilt vor allem im Blick auf die katholischen Traditionalisten. Wir sollen sehen, was jenseits der Gottesfinsternis für Möglichkeiten des Denkens liegen. Taylor verweist auf die radikale Liebe zum Nächsten, „eine Liebe, zu der wir nur durch Gottes Gnade fähig sind“.
5. Die Musik, die Poesie und die Malerei hat uns neue Möglichkeiten gezeigt, die Wege in die Transzendenzerfahrung weisen.
6. Es gibt offenbar eine strikte Kontinuität im Denken Taylors. Religionsphilosophisch ist diese Dimension in der Frage nach Orten der Transzendenz fundiert. Dabei sieht der Philosoph, der sich als Katholik bezeichnet, auch die vielen Fehler, die vonseiten der Kirchen und ihrer Institutionen begangen wurden und werden. Er prognostiziert einen weiteren Exodus aus der katholischen Kirche aufgrund des rigiden Lehramtes und der moralischen rigorosen Gebote, die der Klerus, der diese verordnet, selbst oft nicht respektiert. Dann werden die Menschen wohl frei, eine vernünftige Form von Spiritualität selbst zu suchen und zu leben, an neuen Orten der Transzendenz.
7. Zur jüngsten Veröffentllichung Taylors in deutscher Sprache über die Laizität: Darin trtt er für eine offene Laizität ein, er unterstützt den kulturellen, also den nicht- konfessionellen Unterricht über Religionen an öffentlichen und privaten Schulen, wie er in Québec eingeführt wurde, für Kinder wie für Jugendliche. Außerhalb des verbindlichen und gemeinsamen Lehrplanes können nur Privatschulen weiterhin einen konfessionellen Religionsunterricht anbieten.
Entscheidend ist für den Philosophen, das Zusammenleben in einer pluralistischen Gesellschaft auf diese Weise zu fördern.
8. Zentral ist für Charles Taylor die Gleichbehandlung der Religionen, auch der nicht-religiösen Gemeinschaften, in einer pluralistischen Gesellschaft.
Das Thema: Neue Orte der Transzendenz wird das Motto unseres Religionsphilosophischen Salons im Jahr 2012 sein.
Die wichtigsten Publikationen von Charles Taylor in deutscher Sprache:
– Ein säkulares Zeitalter, 2007, dt. Ausgabe 2009.
– Die Formen des Religiösen in der Gegenwart, 2001
– Wie viel Gemeinschaft braucht die Demokratie? Politische Aufsätze, 2001
– Quellen des Selbst. Die Entstehung der neuzeitlichen Identität, 1994, dt. 1996
– Das Unbehagen an der Moderne, 1995,
– Negative Freiheit? Zur Kritik des neuzeitlichen Individualismus, 1992,
– Multikulturalismus und die Politik der Anerkennung, 1992,
– Hegel, 1978 und 1983
– Erklärung und Interpretation in den Wissenschaften vom Menschen, 1976