Hinweis auf ein originelles, wichtiges Buch von Anselm Schubert
Von Christian Modehn
Der Kirchenhistoriker Anselm Schubert (Universität Erlangen) hat sich ein wichtiges Thema vorgenommen, nur auf den ersten Blick wirkt es marginal. Und er schreibt darüber, nach großartiger, umfassender Forschungsleistung, auch so zugänglich, dass es eine Freude ist, sich mit der so vielfältigen Geschichte des Abendmahls zu befassen. Selbst säkulare Menschen in Deutschland wissen noch ungefähr, was die christliche Abendmahlsfeier als Gottesdienst, katholisch auch Eucharistiefeier genannt, bedeutet. Und Christen haben sich weltweit daran gewöhnt, dass Abendmahls/Eucharistiefeiern darin bestehen, dass nach einem Segen bzw. einer „Wandlung“ durch den Priester der Gemeinde kleinste, papierdünne Hostien gereicht werden und in protestantischen Kirchen auch ein Schlückchen Wein bzw. Fruchtsaft getrunken wird. Dieser auf ein absolutes Minimum an „Speis und Trank“ im Sinne einer Mahl – Feier reduzierte Ritus gilt als das Zentrum christlicher Riten und soll an ein wahrscheinlich doch etwas üppigeres Mahl erinnern, das Jesus von Nazareth mit seinen Jüngern einst feierte. Die Darstellungen der Abendmahlsszene durch große und weniger große, jetzt auch ironisierende Zeichner sind kaum zu überschauen. Kaum ein Ereignis aus dem Leben Jesu von Nazareth wurde so oft zum Sujet der Kunst. Und dies mit gutem Grund: Denn diese Mahlfeier ist eine weitere sympathische, menschliche Seite dieses vor allem den Armen, auch den Frauen, zugewandten Menschen Jesus von Nazareth. Aber dieses Bild eines gemeinsamen Mahls als Kern einer menschlichen (!) christlichen Religion hat nicht die absolute Dominanz der Kreuzesdarstellungen korrigieren können. Mit dieser Fixierung aufs Kreuz ist es in meiner Sicht „ein Kreuz“: So wurde aus dem Christentum eine Kreuzesreligion…
Um so wichtiger, dass Anselm Schubert uns provozierend ins Thema „Gott essen“ einführt, und, wie der Untertitel des Buches sagt, „eine kulinarische Geschichte des Abendmahls“ bietet.
Ich will nur auf einige wichtige Erkenntnisse hinweisen, die das Buch vermittelt:
1.Der Titel „Gott essen“ ist tatsächlich nicht übertrieben, Anselm Schubert führt uns auch in die mittelalterliche Eucharistie – Theologie, die allen Ernstes die Frage stellt, was denn mit dem Leib des gott-menschlichen Christus in der Gestalt der Hostie im menschliche Körper passiert, auch im Moment der Verdauung.
Wenn dem Priester bei aller Eile der Messfeiern Hostien auf den Boden fielen, musste dieser Boden aufs gründlichste aufgewischt werden, der Putzlappen musste verbrannt werden, dessen Asche förmlich bestattet werden. Warum? Weil ja der Gott-Mensch in Gestalt der Hostie in den Schmutzgefallen war. „Jeder verschüttete Tropfen des Blutes musste mit eigener Zunge aufgeleckt werden…“ (S. 60)
Wenn Gott in den Dreck fällt, entsteht eine Art apokalyptischer Notstand. Nebenbei: Ich erinnere mich an eine Messe in der St. Ansgar Kirche in Berlin, Mitte der sechziger Jahre, wo dem Pfarrer Johannes Weismüller einige Hostien auf den Boden fielen. Und der Organist Reinsch auf der Orgel sofort das Dies Irae spielte.
2.Schubert zeigt klar, dass die katholische Eucharistiefeier seit dem 4. Jahrhundert zur ausschließlichen Angelegenheit des Klerus wurde. Der Klerus fühlt(e) sich allen Ernstes als Repräsentant Christi, der für das Laien-Volk, die Eucharistie feiert. Die Messe wurde überhöht „zum priesterlichen Opferritus“ (S. 67 und 65). Der Klerus übernahm auch die Produktion der Hostien und er kontrollierte die Qualität des Weines. Man traute den Laien, den Bäckern etc. nicht so richtig…
3.In der Fixierung auf Weizenbrot und Wein, die angeblich Jesus von Nazareth verwendete, zeigt sich überdies eine fundamentalistische Bibellektüre: Es muss Weizenmehl sein und es muss Trauben – Wein sein. Dass sich die Kirche dann in Regionen verbreitete, wo es Weizenmehl und Wein nicht gab, wie in Asien oder in Nordeuropa, da wurde ausnahmsweise auch Bier oder Reiswein gestattet. Die Protestanten (Ökumen. Weltrat der Kirchen, Genf) zeigten sich da ab Mitte der neunzehnhundertachtziger Jahre großzügiger. Der Vatikan jedenfalls verbietet bisher glutenfreies Weizenmehl für die Hostienproduktion (200), während man dem alkoholkranken Klerus durchaus alkoholfreien Wein für die Messe gestattet. „Klerus first“, ist das Motto des römischen Katholizismus.
4.Besonders interessant, wie schon in der frühen Kirche die Grenzen zum Judentum auch in der Abendmahlsfeier gezogen wurden: Es durfte in christlichen Gottesdiensten keine ungesäuerten Brote verwendet werden. Das wäre, so mehrfach ausdrücklich, ein Rückfall ins Judentum und ein Ungehorsam gegenüber Jesus Christus, der – angeblich – normales Weizenbrot verzehrte…(S. 16, 51…) Fundamentalistische, also wortwörtliche Deutung einzelner Sprüche und Riten, dem Neuen Testament entnommen, führt zu Antijudaismus…
5.Wichtig sind auch die Studien zur frühen christlichen Abendmahlsfeier, also der ersten christlichen Generationen. Sie wurden nämlich, so Schubert, wie die damals üblichen „heidnischen“ Symposien als Gesprächs – und Sättigungsmahl gefeiert. Jedes Gemeindemitglied brachte sich Speisen und Getränke zu dieser Eucharistiefeier mit. Das gab dann bald Konflikte, weil die reichen Christen tolles Essen mitbrachten und für sich selbst verzehrten und die armen Christen eben sehr bescheiden ihr gesäuertes (!) Brot aßen. Die so oft beschworene Brüderlichkeit und Gleichheit in der frühesten Kirche bestand also nicht, wie schon Paulus in seinem ersten Brief an die Gemeinde in Korinth feststellen muss.
6.Viele weitere Themen wären zu besprechen, aber die LeserInnen mögen bitte das Buch selbst lesen! Über die blutigen Debatten über den Laienkelch (Jan Hus!) wäre zu sprechen, über die große Toleranz, die tatsächlich Calvin hatte in der Verwendung von Wein oder auch Wasser in der Abendmahlsfeier (130), von den Problemen der Missionare in Indien, China und Japan in der neurotisch wirkenden Suche nach Weizenmehl dort und Traubenwein (145 ff.) wäre zu schreiben, alle diese Themen werden von Schubert bearbeitet.
7.Was nach der Lektüre bleibt: Es gab (und gibt zumal in der römischen Kirche) eine enorme theologische und kirchenrechtliche Energie, die angeblich von Jesus von Nazareth verwendeten Elemente Weizenmehl und Traubenwein in allen nur denkbaren Hinsichten zu studieren und zu debattieren. Psychologen mögen in dieser – von Schubert eindringlich beschriebenen – Fixierung neurotische klerikale Strukturen sehen. Als gäbe es nicht Dringenderes, als sich über Hostien und Wein und Wandlung durch den Priester ständig Gedanken zu machen. Die Priester haben ständig gewandelt, also Brot in den Leib Christi und Wein in das Blut Christi gewandelt: Aber der große Wandel, die ständige Erneuerung, die Reformation blieb und bleibt aus. Ich möchte darum gern auf ein Gedicht des katholischen Theologen und Priesters Lothar Zenetti (geb. 1926) aufmerksam machen:
„Frag hundert Katholiken,
was das Wichtigste ist in der Kirche.
Sie werden antworten: Die Messe.
Frag hundert Katholiken,
was das Wichtigste ist in der Messe.
Sie werden antworten: Die Wandlung.
Sag hundert Katholiken,
dass das Wichtigste in der Kirche die Wandlung ist.
Sie werden empört sein: Nein, alles soll bleiben wie es ist“.
8. Zu sprechen wäre über die Tendenz in der römischen Kirche, das Anschauen und Anbeten der Hostie in der goldenen Monstranz seit dem Mittelalter zu pflegen, eine Frömmigkeitsform, die in den Fronleichnamsprozessionen in der Öffentlichkeit ihren Ausdruck findet und die von einigen römischen Ordensgemeinschaften permanent gepflegt wird, wie von den Steyler Anbetungsschwestern, die ununterbrochen in der Kirche vor der Hostie knien und diese anbeten… Sie backen übrigens in ihrem Berliner Kloster Hostien!
9.Das Buch von Anselm Schubert ist ein Exempel dafür, wie Theologie und Kirchengeschichte als kritische Wissenschaft heute aussehen kann. Ich würde mir ähnliche Studien wünschen zur Frage: Seit wann ist das Kreuz das Symbol der Christen? Wie ist das Dogma der Trinität entstanden, warum wird der heilige Geist als Taube dargestellt. Noch dringender finde ich eine mehr praktische Frage:
10.Wann wird das christliche Abendmahl jetzt wieder regelmäßig auch an anderen Orten, warum nicht auch Kulturzentren, Restaurants etc. ähnlich wie einst in der frühen Kirche als „Symposion“ gefeiert? Als Mahl, in dem sich unterschiedliche Menschen unterschiedlicher sozialer Klassem etc. versammeln und dabei Jesu von Nazareth und seiner Botschaft gedenken? Die frühchristlichen Symposien wurden aufgegeben, weil die Gemeinden damals so viele Mitglieder hatten und ein Symposion mit vielen eben nicht gestaltet werden konnte. Jetzt sind viele Gemeinden sehr klein, also kann die Zeit der Symposien neu beginnen. Das würde dem Christentum gut tun, könnte seine menschenfreundliche Praxis zeigen.
Anselm Schubert, Gott essen. Eine kulinarische Geschichte des Abendmahls. 2018. C.H.Beck Verlag, 271 Seiten, 19,99 Euro.
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