Das geistliche Testament von Benedikt XVI., bestimmt von Angst, Polemik und Scheinheiligkeit.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 2.1.2023.

1.
Am 31.12.2022 hat der Vatikan das „Geistliche Testament“ des EX-Papstes Benedikt XVI. veröffentlicht. Also eine Art theologischen „Schlüsseltext“ Ratzingers, ein Vermächtnis, das bleiben soll, d.h. an das sich die geistlichen Erben, also die Katholiken, bitte halten sollten.

2. Die Bayern und die anderen Deutschen sollen den katholischen Glauben bewahren.
Alle einzelnen Aussagen werden hoffentlich von kritischen Theologen geprüft und detailliert bewertet.
Eine erste Übersicht:
Das Testament hat Joseph Ratzinger am 29. August 2006 verfasst, also mehr als ein Jahr nach seiner Wahl zum Papst am 19.4.2005.
Die Sprache des Testaments ist bestimmt vom Beschwören der Dankbarkeit und Güte, des Verzeihens und der Liebe zu den Eltern, zu den Landsleuten, den Freunden. Aber ganz deutlich wird auch die Angst vor „Verwirrung der Gläubigen“ ausgesprochen. Die alte, typische Angst Ratzingers/Benedikt XVI. vor der Moderne kommt da wieder deutlich zum Vorschein: „Lasst euch nicht vom Glauben abbringen“ heißt es wörtlich im Blick auf die lieben Landsleute! „Steht fest im Glauben“ sagt er allen Katholiken. Worte, die man jetzt bei der Diskussion über den „Synodalen Weg“ noch wiederholen  wird….

3. Bald ein heiliger Joseph Ratzinger?
Das Testament könnte bald auch eine theologische Grundlage sein für die jetzt schon von verschiedener, maßgeblicher Seite geforderte Heiligsprechung Benedikt XVI. Man könnte diese Heiligsprechung als kritischer Theologe auch als Drohung verstehen! „Heiliger Joseph Ratzinger, bitte für uns“, so werden hoffentlich nicht alle Katholiken beten wollen. Einen Heiligen nannte ihn – unüberlegt, übereilt?? – bereits am 18.12. 2022 Papst Franziskus, eine Heiligsprechung sozusagen ante mortem, völlig ungewöhnlich! (Quelle: https://www.derstandard.de/.) Und Erzbischof Gänswein, der enge Freund und Privatsekretär, sprach post mortem Benedikts bereits von einer „plötzlich“ geschehenden Heiligsprechung (Quelle: https://www.domradio.de/artikel/gaenswein-haelt-santo-subito-fuer-benedikt-xvi-fuer-moeglich).
Dann wäre also DIE Symbolfigur des offiziellen konservativen/reaktionären Katholizismus heiliges Vorbild und himmlischer Fürsprecher. Benedikts Grab sollte dann besser neben dem Gründer des Opus Dei sich befinden, auch er ein „ultra schnell Heiliggesprochener“…

4. Polemik gegen freie theologische Wissenschaft
„Lasst euch nicht verwirren“, heißt es weiter an entscheidender Stelle im „Geistlichen Testament“. Wieder diese Urangst Ratzingers vor dem Bösen, dem alles verwirrenden Teufel, an den der „große Theologe“ glaubte.
Aber, das zeigt auch der Text, konkret hat Benedikt XVI./Ratzinger große Angst vor der modernen theologischen Forschung: Die entscheidende Stelle im Testament heißt:
„Seit 60 Jahren begleite ich nun den Weg der Theologie, besonders auch der Bibelwissenschaften, und habe mit den wechselnden Generationen unerschütterlich scheinende Thesen zusammenbrechen sehen, die sich als bloße Hypothesen erwiesen: die liberale Generation (Harnack, Jülicher usw.), die existenzialistische Generation (Bultmann usw.), die marxistische Generation“.

5. Scheinheilig: Er habe die Theologie “BEGLEITET”
Man müsste bald jedes Wort dieses Textes voller Verachtung für die moderne Theologie analysieren. Werden das die katholischen Theologen tun?
Nur so viel, um der Klarheit und Wahrheit willen:
Ratzinger hat den Weg der Theologie nicht, wie er schreibt, „begleitet“, Begleiten ist ein freundliches, dialogisches Miteinander. Dazu war Ratzinger/Benedikt nur mit seinen Schülern und Getreuen in der Lage. Sonst hat er anders denkende Theologen bestraft, ausgegrenzt, im Leben gestört und verstört. Er war als Büro-Chef der Glaubensbehörde wirklich ein Panzer Kardinal, wie man in Frankreich sagte. Der brasilianische Theologe Leonardo Boff sagte 2010: „Während seiner mehr als zwanzigjährigen Zeit als Leiter der Glaubenskongregation hat Ratzinger mehr als hundert Theologen verurteilt. Die Befreiungstheologie hat er nie verstanden, viele Bischofskonferenzen unterzog er einer strengen Kontrolle.“(Quelle:Süddeutsche Zeitung 18.4.2010)
Ratzinger hat den Weg der (katholischen) Theologie total bestimmt. Dann scheinheilig von „Begleiten“ zu sprechen, ist wieder diese bekannte sanfte, verschleiernde Herrschaftssprache. Begleiten: Was für ein Euphemismus, was für eine Lüge.
Dann sind auch kaum erträglich die Behauptungen, er hätte auch die Bibelwissenschaften begleitet. Nein, von der umfassenden historisch-kritischen Bibelwissenschaft, die als Theologie-Wissenschaft selbstverständlich unabhängig von der Kirchenführung forscht, wollte Ratzinger/Benedikt XVI. nicht viel wissen. Benedikt XVI. hat zwar Bücher über das Leben Jesu Christi geschrieben, aber dies sind fromme Meditationen, die dem Standard der Bibelwissenschaft nicht entsprechen, das ist allgemeine Überzeugung der tatsächlichen Bibel-Wissenschaftler an den Universitäten.
Die von Benedikt kritisierten liberalen Theologen haben weitgehend eben keine Hypothesen veröffentlicht, wie er behauptet, sondern den Boden bereitet für eine Bibelwissenschaft, die den Namen verdient. Und was wäre denn schlimm, wenn Wissenschaftler Hypothesen schreiben? Ist das nicht ihr Beruf? Aber Ratzinger/Benedikt XVI. liebte nur die totale eingemauerte Sicherheit. Auch „der Marxismus“ wird selbstverständlich von ihm pauschal abgelehnt, auch er gehöre zu einem Gewirr der Hypothesen meint der Testament-Schreiber. Er denkt wohl an Befreiungstheologen, wie etwa Leonardo Boff aus Brasilien, den Ratzinger verurteilte. Boff wie andere bedienten sich der Gesellschaftsanalyse von Marx, ohne den Marxismus -Leninismus auch nur entfernt hochzuschätzen. Aber das sah der bayerische Theologe Ratzinger nicht so. Er hielt sich lieber an Reagans Wahn des „Antikommunismus“, und schickte seinen Freund Papst Johannes Paul II. zum offiziellen Besuch des Diktators und Massenmörders General Pinochet nach Chile…

6. DIE eine theologische Vernunft gibt es nicht.
Nach dieser erwartbaren Verurteilung der Suche nach Erkenntnis in Theologien und Sozialwissenschaften (dort werden bekanntlich Denkansätze von Marx heute rezipiert), schließt der Testament-Schreiber mit seiner Grundüberzeugung: DIE Vernunft des Glaubens tritt nun hervor! Als gäbe es nur eine einzige Vernunft im Glauben. Aber Ratzinger/Benedikt XVI. glaubte immer, dass DIE EINE offizielle vatikanische Klerus-Vernunft DIE christliche Vernunft schlechthin ist. Eigentlich eine These, die kein ernstzunehmender Theologe und Philosoph verteidigen kann. Diese letzten Sätze zeigen, wie begrenzt schon das Denken dieses Papstes im Jahr 2006 war!

7. Der starke Leib Christi.
Die „Mängel der Kirche“ werden ultrakurz angesprochen, aber sind es Mängel der Kirchenleitung, des Klerus, oder Mängel von wem? Das wird verschwiegen. Nur das mutige Bekenntnis wird vorgebracht: „Die (katholische) Kirche ist der Leib Jesu Christi.“ Nur sie, oder auch die evangelische Kirche? Dazu schweigt das Testament! Ratzinger hielt ja bekanntlich die evangelischen Kirchen für “Gemeinschaften”, nicht für Kirchen.
Das 2. Vatikanische Konzil (1962-65) sprach eher vom „wandernden Volk Gottes in der Geschichte“, also von einer Gemeinschaft der Suchenden und Fragenden, aber davon spricht der Testament-Schreiber nicht. Ein Leib hat ein Haupt, und dieses Haupt ist nicht nur Christus, sondern eben der alles bestimmende Papst.

8.  Putin hat “absolut ausnahmsweise” einmal recht. Peinlich ist sein Beileid zum Tod Benedikt XVI. trotzdem!
Es ist schon so, dass “absolut ausnahmsweise (!!)” einmal Putin recht hat, wenn er zum Tod von Papst Benedikt XVI. schreibt: „Benedikt XVI. war ein überzeugter Verteidiger traditioneller christlicher Werte“ (Tagesspiegel, 2.1.2023, Seite 5). Der Kriegsherr und Diktator Putin kondoliert zum Tod von Papst Benedikt: Eine Friedensbotschaft ist das wohl nicht. Aber Putins Worte hätte Patriarch Kyrill von Moskau nicht besser sagen können, ist doch auch er, wie er sagt, „ein Verteidiger traditioneller christlicher Werte“… Eine ökumenische Gemeinschaft also der “Verteidger traditioneller Werte”…

Putin hat leider ausnahmsweise recht: Benedikt XVI. war durch und durch selbst traditionell: Er hat den Klerus als absoluten Mittelpunkt der Kirche gesehen; er hat die völlige Gleichberechtigung der Frauen in der Kirche verhindert; er war ein Feind der Segnung von Partnerschaften und Ehen Homosexueller; er hat alles getan, um Schwangerschaftsabbrüche per Gesetz zu verhindern; er war gegen die Selbstbestimmung des einzelnen im Fall schwerer Krankheit (Euthanasie); er hat Demokratie als Lebensform und Strukturprinzip der Kirche abgelehnt; er hat die Menschenrechtserklärung der UNO nicht unterschrieben; er wollte AIDS mit Gebeten und Keuschheitsgelübden besiegen und so weiter. Ratzinger/Benedikt XVI. war entschieden antimodern.
Putin hat also leider recht. Ratzinger war ein „überzeugter Verteidiger traditioneller christlicher Werte“. Er war wohl auch ein etwas verkappter Traditionalist. Sonst hätte er sich nicht so liebevoll um die Versöhnung mit den traditionalistischen und oft antisemitischen Pius-Brüdern bemüht. LINK. Das alles wurde auch in den Texten des Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salons dokumentiert! LINK.

9. Lassen wir ihn ruhen… es gibt Dringenderes.
Lassen wir diesen Papst als Traditionalisten also ruhen, verzeihen wir ihm seine hübschen roten Schuhchen, sein Winterumhang, die Mozetta, die mit Hermelinpelz umrandet ist, seine Privilegien, sein Residieren im Palast, so “passend” für den Nachfolger des armen Jesus von Nazareth…
Soll er die Katholiken und die Welt doch bloß post mortem in Ruhe lassen… Wird er aber nicht, dafür sind seine ebenso traditionalistischen Freunde unter den Kardinälen längst am „Start“.

10. Ein Testament, das von Geld spricht
Testamente enthalten üblicherweise auch Hinweise zum Vermögen, also zum Finanziellen. Vom Geld aber wird in diesem Testament geschwiegen. Es nennt sich ja auch nur ein „geistliches“ Testament. Aber so ein bißchen Geld wird doch ein Ex-Papst noch gehabt haben, bekanntlich hat Papst Franziskus oft aus seinem Privat-Vermögen für Arme gespendet. Kardinal Marx von München hat kürzlich ganz  locker 500.000 Euro (sic) aus seinem Privatvermögen in eine soziale Stiftung gegeben. Seien wir also gespannt auf eine weitere Eröffnung eines Ratzinger Testaments, das auch vom Geld spricht. Aber bitte keine hohen Erwartungen: Über privates Geld wird von Kardinälen im Vatikan (und anderswo) eher nicht gesprochen.

11.
Das „geistliche Testament“ Benedikt XVI.: LINK:

12.

Kritische Stimmen zu Benedikt XVI./Joseph Ratzinger: LINK

Der brasilianische Befreiungstheologe Leonardo Boff wurde von Kardinal Ratzinger ausgegrenzt und bestraft, er ist einer der kreativen katholischen Theologen geblieben. was sagt Leonardo Boff zum Tod Benedikt XVI:? LINK.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

 

Benedikt XVI., Joseph Ratzinger, ist gestorben (31.12.2022): Der selbsternannte „Mitarbeiter der Wahrheit“ belehrt die Welt und die Kirche nicht mehr.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 31.12.2022.

Zum “geistlichen Testament” Benedikt XVI.,  am 31.12.2022 im Vatikan veröffentlicht: LINK

Ratzinger verstand sich als Kardinal wie als Papst als oberste kirchliche “Reinigungskraft” (von “Säuberung” sprach er klugerweise nicht). LINK

Der konservative Ratzinger war mit dem theologisch sozusagen noch konservativeren Kardinal Alfred Bengsch (Berlin) befreundet, das sagte Ratzinger 1977. LINK

Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie ist immer auch Religionskritik. Deren Maßstab ist keine dogmatische Kirchenlehre, sondern die sich selbst reflektierende kritische Vernunft, verpflichtet den universal geltenden Menschenrechten. Religionskritik ist immer auch Kirchen-Kritik. Sie ist deutlicher und präziser als die katholische Theologie, weil diese Theologie immer noch abhängig ist von der Hierarchie.

1. Was bleibt von Papst Benedikt XVI.?
Die Frage ist zentral und entscheidend: Was hat der „große“ Theologieprofessor Joseph Ratzinger, Erzbischof, Kardinal, Chef der obersten Glaubensbehörde, enger Freund und ständiger theologischer Berater von Papst Johannes Paul II, dann als Papst Benedikt XVI., bewirkt? Hat er vielleicht sogar eine weltpolitische Bedeutung? Welche Impulse für die christliche Welt hat er gesetzt? Auf welchen Weg hat er die katholische Kirche geführt?

Man vergesse nicht, de facto hat Joseph Ratzinger, seit 1982 im Vatikan, die katholische Kirche geprägt, beherrscht, bestimmt, förmlich als “theologischer Zweit-Papst” an der ständigen Seite von Papst Johannes Paul II.  Ratzinger war seit 1982 als Kardinal Büro-Chef der alles entscheidenden vatikanischen Glaubensbehörde. Ratzinger hat also den Weg der römischen Kirche viele Jahre, seit 1982, bestimmt, und nicht erst seit 2005, dem Jahr seiner Wahl zum Papst.

Die vielen Bücher und Vorträge Ratzingers werden (nur) den Kreis konservativer Theologen erfreuen. Diese Texte sind Ausdruck einer eurozentrischen, ganz auf die Bewahrung des “traditionell Römisch-Katholischen” gerichteten Theologie. Theologie als freie und unabhängige Wissenschaft gab es für Ratzinger/Benedikt XVI. nicht.

2. Benedikt XVI. wollte die klerikale Macht: „Klerus zuerst“
Diese Frage ist die entscheidende Frage: Benedikt XVI., als der Theologe Joseph Ratzinger, hat die katholische Kirche immer als Klerus-Herrschaft verstanden und verteidigt: „Der Klerus zuerst“ war seine Devise, auch bei allen seinen Vertuschungen sexuellen Missbrauchs durch Priester. Von denen er wusste, LINK, die Tatsache aber lange leugnete….Die hierarchische Struktur der Klerus-Kirche war ihm heilig, er glaube das wirklich: Diese klerikale Männerhierarchie ist tatsächlich von Gott selbst so gewollt.
Diese Überzeugung würde jeder nachdenkliche Mensch fundamentalistisch nennen: Darf man es Wahn nennen: „Gott selbst will diesen (angeblich zölibatären) Klerus“. Benedikt XVI. als Theologe Joseph Ratzinger, liebte diese Welt der Männer, d.h. der Kardinäle, Bischöfe etc., diese Bevorzugten und Gott-Erwählten, die in ihrer Herrschaft aber von keinem untergeordneten Laien gewählt wurden, sondern sich selbst wählten, ernannten, hofierten, bekämpften und jetzt wieder bekämpfen.

Ergänzung am 13.1.2023: Siehe das neue international verbreitete Buch von dem Liebling Ratzingers/Benedikt XVI. Erzbischof Georg Gänswein, der bescheidene Titel “Nichts als die Wahrheit”. So wird auch dieser “päpstliche Hof” (angeblich von Gott selbst so gewollt) wie schon der britische Hof zum Dauer – Thema der Klatschpresse… Und der Glaube geht dabei verloren. Klatsch und Tratsch der Hierarchie werden wichtiger als der einfache humane und solidarische Glaube im Sinne Jesu von Nazareth.

Benedikt XVI. als Kardinal hatte sich das Motto ausgesucht: Cooperatores veritatis: Mitarbeiter DER Wahrheit. Nicht etwa: Mitarbeiter Jesu Christi. Nein, es musste schon DIE Wahrheit sein, die er und nur er förmlich internalisiert hatte (um nicht zu sagen durch das exzessive Studium der Bücher seines Lieblings-Theologen Augustinus „gefressen“ hatte).

3. Was und wen Benedikt XVI. /Joseph Ratzinger/ ausgelöscht hat
Vernichtet hat er zusammen mit Johannes Paul II.weite Bereiche der Befreiungstheologien, vernichtet hat er viele kritische katholische TheologInnen; vernichtet hat er mit seiner Wahrheit die Zuversicht der katholischen Frauen, gleichwertige TeilhaberInnen in den Ämtern der Kirche zu werden; vernichtet hat er jegliche ökumenische Zukunft als Feier des gemeinsamen Abendmahls von Katholiken und Protestanten. Vernichtet er hat die kritischen Basisgemeinden Lateinamerikas, hingegen die neuen geistlichen theologisch sehr konservativen Bewegungen (Neokatechumenale, Opus Dei, Legionäre Christi, Charismatiker usw.) hat er unterstützt.
Nur den reaktionären orthodoxen Popen und Exarchen und Patriarchen war er sehr wohl gesonnen, diese eher nationalistischen und reaktionären Kirchenführer wollte er mit Rom versöhnen. Gott sei Dank gelang ihm das nicht, sonst wäre jetzt vielleicht der Putin-Ideologe und Kriegstreiber Patriarch Kyrill I. ständiger Berater auch im Vatikan.

Die Liste der theologischen Irrtümer dieses Papstes Benedikt XVI: alias Joseph Ratzinger ist lang. Das meiste ist längst gesagt worden, auch auf dieser website.

4. Vernünftig war sein Rücktritt als Papst (aber er hätte gar nicht zum Papst erst gewählt werden sollen)
Gelobt werden muss als seine vernünftige Tat der Rücktritt als Papst im Jahr 2013. Aber der Emeritus zog sich nicht als Eremit in die schönen Dörfer Oberbayerns zurück, sondern er wohnte als eine immer wieder von reaktionären Klerikern hofierte päpstliche Autorität dicht im Vatikan als Nachbar von Papst Franziskus. Das Wort „Gegenpapst“ wagte kaum jemand auszusprechen.

5. Bleibt der Katholizismus klerikal, antidemokratisch, Frauen ausgrenzend usw.?
Ist der Katholizismus denn nun – unter dem angeblich progressiven Papst Franziskus – etwas weniger klerikalisiert, ist er menschlicher, jesuanischer, geschwisterlicher geworden? Haben die Herren im Klerus ihre totale Macht über die Kirche abgelegt? Leider nein.
Die Herren glauben offenbar allen Ernstes nach wie vor: Der liebe Gott im Himmel hat die römische Kirche, so wie sie ist, gewollt. Und kein protestantischer Theologe schreit laut auf und ruft nach Rom oder Limburg oder Köln usw…: Liebe Brüder, kommt zur kritischen Vernunft! Ihr braucht einen zweiten Luther!
Und man bedenke weiter: Diese totale Klerus-Fixierung der Kirchenführung, auch die explizite Ablehnung von Demokratie als Gestaltungsprinzip der Kirche, haben zu der Austrittswelle aus der Kirche entschieden beigetragen. Der Klerus vertreibt die katholisch Glaubenden aus der Kirche, das ist eine Tatsache.
Die Bilanz der Regierung von Papst Benedikt XVI. fällt also, wenn man ehrlich ist und kritisch, sehr negativ aus, oder positiv, wenn man sich an der Schwächung der römischen Kirche wegen Mitgliederschwund erfreut…

6. Das große Bestattungs-Spektakel, life übertragen in alle Welt, die deswegen so traurig erscheinen muss.
Die Trauer über den Tod von Joseph Ratzinger sollte also sehr begrenzt sein.
Aber man ahnt schon, welch ein Aufwand wieder betrieben wird, um Benedikt/Ratzinger mit allem klerikalen Pomp zu verabschieden. Die Flugzeuge aus aller Welt werden überfüllt nach Rom einfliegen, warme Worte, unkritisch, werden gesprochen.

So werden einige nachdenkliche Theologen und Philosophen vor allem über diesen klerikalen Zustand der römischen Kirche trauern.  Aber die große weite Welt der politischen und religiösen Repräsentanten wird noch einmal Tage lang, einige Frauen sicher mit Pleureusen, den „deutschen Papst“ noch einmal – und sich selbst – feiern. Kritische Stimmen zu Benedikt XVI./Ratzinger LINK

LINKS:
“Papst Benedikt XVI./Ratzinger/ ist politisch rechtslastig”: LINK

Benedikt XVI. ist politisch “rechtslastig” – Religionskritische Perspektiven zu Joseph Ratzinger

Dieser Papst versteht sich oberste theologische Reinigungskraft: LINK

Ratzinger/Ex-Papst Benedikt: Die gescheiterte oberste Reinigungskraft

Kardinal Sarah, Liebling von Papst Benedikt XVI.

Kardinal Sarah: Über den Liebling von EX-Papst Benedikt

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

„Die Schlange war klug“: Eine richtige Interpretation der biblischen Mythologie zur Menschwerdung des Menschen.

Über ein neues Buch des Judaistikprofessors Peter Schäfer
Ein Hinweis von Christian Modehn

1.
Der Untertitel zeigt die weite Perspektive: Peter Schäfer untersucht ziemlich umfassend „Antike Schöpfungsmythen und die Grundlagen des westlichen Denkens“. Er diskutiert also die Erzählungen vom Ursprung der Welt, wie sie altorientalische Epen oder die Lehren der Philosophen Platon, Aristoteles und Philon bieten. Die „Kosmotheologie“ Platons im Buch „Timaios“ findet Peter Schäfer „letztlich misslungen“ (S. 15) und bei Aristoteles sei ohnehin kein Schöpfungsmythos zu finden. So kann sich Schäfer in dem Buch doch vor allem auf sein Forschungsgebiet, die Judaistik, konzentrieren. Aber es ist keine Frage: Viele der „breiteren Kreise“ der LeserInnen, für die Schäfer ausdrücklich schreiben will, werden sich vor allem für die „kluge Schlange“ im biblischen Paradies interessieren und damit für ein neues, richtiges Verstehen der alttestamentlichen, der biblischen Mythen. Und da kann der Autor tatsächlich übliche, christliche Deutungen korrigieren. Peter Schäfer ist ein renommierter Judaist, er leitete als Katholik einige Jahre auch das Jüdische Museum in Berlin. Man kann nur hoffen, dass viele konservative Katholiken und Evangelikale die Erkenntnisse Peter Schäfers diskutieren und rezipieren. Denn viele sich fromm nennende Leute lehren immer noch, das „Essen vom Baum der Erkenntnis“ auf Einladung (Verführung) der Schlange führe nur zur bösen Autonomie des Menschen. Autonomie des Menschen (und des Christen) ist bekanntlich heute noch und schon wieder ein Kampfbegriff zumal in katholischen Kreisen. Diese Leute des 21. Jahrhunderts wollen überhaupt nicht autonom, nicht frei, sondern nur gehorsam den göttlichen und menschlichen Autoritäten (und ihren klerikalen Führern) sein. Anerkennung des Vorgegebenen, des angeblich Objektiven, der unwandelbaren Offenbarung, diese Bindung an das Starre zeichnet diese Leute aus. Sie sind also noch mittelalterlichen Denkweisen verpflichtet. Man sieht an diesen Hinweisen, wie wichtig das Buch von Peter Schäfer ist.

2.
Das Thema „Die kluge Schlange im Paradies“ ist alles andere als eine Spezialität einiger weniger Wissenschaftler! Die Frage nach dem Ursprung und Beginn der Welt und der Menschwerdung des Menschen bewegt viele, sie ist ein umfassendes Projekt der Naturwissenschaften, aber eben auch ein Thema, das aufgrund seiner bleibenden Erstaunlichkeit in die Welt der literarischen, philosophischen und religiösen Mythen führt. Diese bieten selbstverständlich keine wissenschaftliche Erklärung der „Welten-Schöpfung“, aber diese Mythen haben eine eigene Bedeutung auf spiritueller und religiöser Ebene.

3.
Die Hebräische Bibel, also das von Christen genannte Alte Testament, enthält zwei Erzählungen von der Erschaffung der Welt durch Gott. Beide Mythen untersucht Schäfer, der ältere Text wurde im 1. Jahrtausend (vor Chr.) verfasst, der zweite im biblischen Text Genesis an erster Stelle platzierte um 600 (vor Chr.). Es hätte interessant und hilfreich sein können, mehr vom Entstehungsort dieses Textes zu lesen, nämlich dem babylonischen Exil (568-538 vor Chr.): In dieser Situation der Niederlage, der Verzweiflung, war es offenbar für Israel ein religiöses Bedürfnis, literarisch von der Macht des einen Gottes als des Welten-Schöpfers zu erzählen…
Nur zwei Hinweise, die Schäfer ausführlich diskutiert: Der erste Schöpfungsbericht setzt offenbar voraus: Gott fand, als er dann die Welt schuf und ordnete, eine Art „Erd-Masse“ schon vor, ein tohu wabohu, ein totales Durcheinander. Da entstand die Frage der Gelehrten: Ist diese dort genannte unheimliche „Erd-Masse“ auch von diesem einen Gott Israels geschaffen, sozusagen vor seiner eigentlichen Schöpfungstat? Was bedeutet dann aber die alte theologische Überzeugung, Gott habe die Welt „aus dem Nichts“ erschaffen, also ohne jede „Vor-Gegebenheit“? Schon der mittelalterliche Bibelkommentator Raschi befasste sich mit der „Akzeptanz einer materiellen Vorwelt“, er sieht darin aber „die alleinige und unbegrenzte Schöpfungsmacht seines Gottes“ (S. 39). In den späteren rabbinischen Schriften wird diese Frage immer wieder diskutiert und es setzte sich die Überzeugung durch. „Auch die angeblich vorweltliche Materie wurde in all ihren Bestandteilen von Gott geschaffen“ (S. 323). Recht heftig äußert sich etwa Rabban Gamliel, ein jüdischer Patriarch (gestorben um 114), der „mit äußerster Schärfe“ die Leute verfluchte, so Schäfer wörtlich, die da lehrten: Gott habe einen „vorweltlichen Urstoff“ vor seiner eigentlichen Schöpfungstat vorgefunden! (S. 312). Auf diese Weise wird ausgeschlossen, als hätte es vor dem Welt erschaffenden Gott schon einen anderen Gott gegeben, einen Schöpfer dieser Masse des tohu wabuho…. Solche Meinungen hätten den strengen Monotheismus erheblich gestört, erstaunlich nur, dass auch in jüdischen Kreisen, etwa des 1. Jahrhunderts, von jüdischen Gelehrten Verfluchungen von Irrlehrern ausgesprochen wurden … mit dem Wunsch, „diese mögen „sofort tot umfallen“ (ebd.) Der strenge Monotheismus kann sich nur mit Gewalt durchsetzen…

4.
Wichtiger sind die Ausführungen Peter Schäfers zur viel besprochenen „Verführung des Menschen durch die Schlange“ im Paradies. Um die ausführlichen Erörterungen Schäfers zusammenzufassen: Das Essen vom Baum der Erkenntnis ist für jüdische Interpretationen nur die notwendige Voraussetzung, dass der Mensch zur Erkenntnis, also zur Vernunft kommt. Wäre der Mensch gehorsam immer im Paradies geblieben, wäre er nie ein freier, selbstbewusster Mensch geworden. Es war in der Deutung dieses Mythos ohnehin nicht die Bestimmung des Menschen, unsterblich zu sein, wäre er denn im Paradies gehorsam geblieben. Nur weil der Mensch Gottes Verbot übertritt, „kann er in die reale Welt entlassen werden“ (S. 56). Also: Die Schlange war sehr klug, als sie die Menschen zum Ungehorsam verführte. Das geht soweit, dass Schäfer betont: „Das bedeutet im Klartext, dass „Gottes Drohung eine leere Drohung war“ (S.55). Gott meint es offenbar im Paradies gar nicht so ernst mit seinen Geboten, könnte man dann in dieser Mythologie weiter denken…

5.
Natürlich gehört zum Thema auch eine Diskussion der christlichen Erbsünden-Lehre. Da bietet Peter Schäfer nicht viel Neues. Adam kann „keineswegs für die Fehler aller anderen Generationen verantwortlich gemacht werden“ (S. 22). „Von einer Erbsünde kann bei Paulus keine Rede sein“ (S. 342). Wieder einmal analysiert ein Wissenschaftler die falsche Übersetzung eines zentralen Verses des Römerbriefes des Apostels Paulus (5, Kap., Vers 12). Augustinus meinte aus dem Text herauslesen zu können: Paulus lehre, dass alle Menschen in Adam gesündigt hätten, dass also förmlich in seiner Figur die ganze Menschheit zur Sünderin geworden sei. (S. 349). Dabei meint Paulus: Seit Adam betrifft der Tod alle Menschen, WEIL alle sündigen, WEIL alle Menschen Sünder (aber eben nicht Erbsünder) sind.
DieAugustinische Erbsünden-Lehre (treffender ist Erbsünden – Ideologie) hat etwa der Philosoph Kurt Flasch vor vielen Jahren schon sehr ausführlich kritisiert, leider erwähnt Peter Schäfer die Studien von Kurt Flasch nicht. Auch Schäfer betont: Paulus habe in keiner Weise die Überzeugung vertreten, die noch von der katholischen Kirche gelehrt wird: Dass in der Zeugung eines jeden Menschen diese Sünde weitergegeben wird. Diese Erbsünden-Ideologie hat ein Ziel: Es soll die Universalität der Notwendigkeit der Taufe aller Menschen (!) gelehrt werden, der Taufe, die zur Mitgliedschaft in der Kirche führt, aber dieses Sakrament kann unter normalen Bedingungen eigentlich nur der Klerus spenden. So wird durch die Erbsündenlehre des Augustinus auch die Unersetzlichkeit des Klerus zementiert. Darauf weist Schäfer nicht hin.

6.
Die Kritik an der Erbsündenlehre des Augustinus führt Schäfer dann auch zu Kant, der sich als einer der ersten explizit gegen diese offizielle kirchliche Lehre wandte. Und dann folgt zum Schluss eine sehr lesenswerte Kritik des heute noch/wieder ständig zitierten Nazi-Ideologen und Antisemiten Carl Schmitt. Auch für ihn ist die kirchlich offizielle Erbsündenlehre ein Argument, um wegen der behaupteten allgemeine Verderbtheit der Menschen den autoritären Staat, das Freund-Feind-Denken und den Krieg zu verteidigen (vgl. S.381).

7.
Ich hätte mir nach dieser vielfach anregenden Studie ein Schlusswort gewünscht, woher die dauerhafte Kraft und populäre Macht der biblischen Mythen herrührt. Und dann hätte man auch Stellung nehmen können, warum angesichts der Problematik des Monotheismus immer mehr Leute für einen Polytheismus als sympathische, freundliche, wenn nicht gar demokratische Haltung (etwa Odo Marquard) eintreten.

8.
Und man nimmt als Nicht – Judaist mit einem gewissen Erstaunen zur Kenntnis, dass die rabbinischen Lehrer im 5. Jahrhundert (nach Chr.) betonen: Dieses Land Israel gehört dem Volk Israel „und es wird denen weggenommen, die seiner sich so sicher fühlen“, also damals den Christen, es war ihr „heiliges Land“ … und heute? Diese frühe Behauptung gewissermaßen „nationalistischer” Art wird von Peter Schäfer nicht weiter entwickelt. Er referiert nur die Rabbinen: „Dieses Land gehört letztlich nur Gott, und Gott nimmt es, von wem er will, und gibt es, wem er will, im Auf und Ab der Geschichte. Doch eines bleibt klar: Am Ende gehört das Land dem Volk Israel“ (S. 297). Peter Schäfer schreibt diese Sätze als Interpretation der alten rabbinischen Welt. Er verschweigt, dass dieses Denken auch heute die Politik im Staat Israel bestimmt, man denke jetzt (November 2022) an die Koalition der Rechtsextremen unter dem ebenfalls sehr rechten Netanyahu. Und man muss wohl die Frage stellen dürfen: Ist diese uralte, aber offenbar noch sehr bestimmende rabbinische Interpretation vom „jüdischen Land nur für die Juden“ Ausdruck einer gefährlichen fundamentalistischen Bibel-Interpretation? Sie ist heute nicht nur für eine vernünftige Theologie, sondern auch politisch, friedenspolitisch, obsolet geworden!

Peter Schäfer, „Die Schlange war klug. Antike Schöpfungsmythen und die Grundlagen des westlichen Denkens“. C.H.Beck Verlag, München, 2022, 448 Seiten, 34,00 €. Das Buch enthält 16 prächtige farbige Bildtafeln, sie bieten einen Einblick in die Geschichte der Ikonographie der Schöpfungsmythen.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

 

Demokratie braucht Religion! Behauptet Hartmut Rosa.

Ein Hinweis auf eine Broschüre mit dem gleichen Titel.
Von Christian Modehn.

………………..

Ein Motto, am 19. Juni 2024 von Christian Modehn notiert:

Die Pyramide ist immer das Bild, um Diktaturen zu beschreiben.

Der Faschismus Italiens z.B. war als Pyramide konzipiert und organisiert, an der Spitze konzentrierten sich alle Gewalten. So ähnlich ist auch der Vatikan, die Leitung der katholischen Kirchem bis heute organisiert. Alles dreht sich um den – bis jetzt noch – allmächtigen Papst. (vgl. den Aufsatz “Antithese des Faschismus”, von Roberto Scarpinato, in “Lettre International”, Nr. 145, S. 7).

Kann eine solche “pyramidal gestaltete Religion” die Demokratie verteidigen? Wir glauben auch aufrund historischer Erfahrungen: NEIN!

Diese Frage und diese Antwort gilt auch für andere Religionen, wie den Islam, jüdische Traditionen, den Hinduismus usw… Die Demokratie enthält so viel Potential, auch so viel geistvolle Spiritualität, dass sie sich selbst verteidigen und schützen kann. Sie braucht zu, Sufau und Erhalt religiöse Menschen, aber solche, die zuerst demokratisch denken und handeln und NICHT zuerst religiös oder kirchlich orientiert denken und handeln. Religiöse Bindung steht immer an zweiter Stelle! So, wie die allgemeinde Vernunft (der Menschenrechte und der Demokratie) immer an erster Stelle steht gegenüber Weisheiten aus religiösen Traditionen und sich heilig nennenden Büchern.

………………….

1.
Der Titel der Broschüre von Hartmut Rosa „Demokratie braucht Religion“ ist verwirrend: Denn die größte, auch quantitative Aufmerksamkeit des Soziologen gilt der Analyse der heutigen westlichen Gesellschaft, einer Analyse, die als Wertung zu den umfassenden wichtigen Studien Rosas zur Redundanz führt.

2.
Wenn der Autor hier von Religion spricht, dann meint er explizit immer auch die „starke Stimme der Kirche“ (S. 25), Religion und Kirche(n) werden also ziemlich unbefangen identifiziert. Abgesehen davon: Der Autor betont sehr allgemein und sehr knapp: „Kirche hat … eine verdammt wichtige, sehr wichtige Rolle in dieser Gesellschaft zu spielen. Ganz einfach weil ich glaube, dass sie einer Gesellschaft etwas anzubieten hat“ (S. 26f.) Bei diesen Allgemeinheiten bleibt es denn auch, vielleicht noch der ebenso allgemeine Hinweis, dass wir in der „ernsthaften Krise“ der „religiösen Einrichtungen, Traditionen, Praktiken, Riten usw. bedürfen“ (S. 27). Die Kirche kann das in dieser Gesellschaft fehlende „hörende Herz“ (S. 27) pflegen und bereiten, heißt es dann noch.

3.
Kein Wort dazu, dass gerade die katholische Kirche in Deutschland und tatsächlich weltweit in mehrfachen selbst gemachten, eigenen, gravierenden Krisen steckt, allen voran der tausendfache sexuelle Missbrauch durch den angeblich zölibatären Klerus; der Niedergang von Pfarr-Gemeinden durch den Priestermangel; die Abweisung der Frauen vom Priesteramt; die Abweisung der Ehe für homosexuelle Paare; das Verbot des gemeinsamen Abendmahls von Katholiken mit Protestanten und so weiter und so weiter. Da ist es schon sehr mutig und sehr gewagt, wenn ein prominenter Soziologe (und Christ bzw. auch Organist in einer evangelischen Kirche im Schwarzwald) solche Allgemeinheiten zu der angeblichen Notwendigkeit der Kirche verbreitet.

4.
Der Text der Broschüre Hartmut Rosas geht auf eine Einladung des Bistums Würzburg im Jahr 2022 zurück, das Bistum hatte einen Diözesan-Empfang organisiert, den sie mit einem akademischen Vortrag schmücken wollte: Tatsächlich hatte der Vortrag in Würzburg einen anderen Titel als das Buch, er lautete in Würzburg: „Rasender Stillstand. Individuum, Kirche und Gesellschaft im Angesicht der Krisen – ein soziologischer Bestimmungsversuch.“

5.
Das Thema der Broschüre wird als herausfordernde These, nicht als Frage, formuliert „Demokratie braucht Religion“. Und es ist nicht nur meine Meinung, wenn diese Erkenntnis diskutiert würde: Die Demokratie braucht zumindest nicht diese Religion, also diese katholische Kirche in Deutschland. Die Demokratie muss sich aus eigener Kraft, durch gerechte Gesetze und unabhängige Richter sowie nicht korrupte Politiker selbst stärken und selbst verteidigen, denn sie ist eine Demokratie in einem religiös, weltanschaulich pluralistischen Staat. Da braucht man auch nicht die Hilfe etwa des konservativen Islams oder der orthodoxen Juden usw. Denn die römisch-katholische Kirche kann aufgrund ihrer Verfassung gar nicht wirksam Demokratie fördern und glaubhaft Menschenrechte verteidigen. Denn sie ist bekanntlich selbst in keiner Weise demokratisch organisiert, sie lässt die Menschenrechte in der eigenen Institution nicht gelten, siehe auch das verzweifelte Bemühen einiger Unentwegter im „Synodalen Prozess“. Diese Kirche ist ein Club, in dem Männer alles Wichtige definitiv aufgrund angeblicher göttlicher Vollmacht entscheiden. Und dieser Männerclub ist insgesamt sehr extrem moralisch belastet und kaum noch glaubwürdig, ist eingezwängt von berechtigten Anklagen, Prozessen… und diese Kirche stinkt trotzdem vor Geld – verglichen mit anderen Kirchen, etwa in Frankreich. Denn trotz der stetig steigenden hohen Austrittszahlen fließen die vielen Millionen Euros an Kirchensteuer. Diese Kirche lebt materiell also von “nicht-praktiziernden Katholiken”, das sind ca. 80 Prozent aller, die sich als Mitglieder dieser Kirche bezeichnen.

6.
Also, in dieser aktuellen Situation zu behaupten, „Demokratie braucht Religion“ ist geradewegs verwegen, zumal nicht die private, möglicherweise innige mystische Religion und Frömmigkeit gemeint ist, sondern die römisch katholische Kirche als Institution. Meine Meinung: Diese muss erst eine Reformation (nicht Reform, sondern Reformation) erleben, um wieder „gebraucht“ zu werden, Das heißt ja nicht, dass einzelne Pfarrer, Ordensleute oder ehrenamtliche Frauen und Männer an der Basis Hilfen etwa im caritativen Bereich leisten, aber das „Gesamtimage“ der Kirche ist zu beschädigt, als da noch von „Gebrauchtwerden“ die Rede sein könnte. (Ergänmzung am 15.11.2022: Siehe dazu unter Nr. 11 einen Hinweis auf eine katholische Fachtagung “Religionsfreiheit und Populismus” am 14.11.2022)

7.
Das heißt nun wiederum nicht, dass die ca. 40 Seiten der Broschüre, die sich auf die soziologische Analyse und die Präzisierung des Begriffes Redundanz beziehen, nicht lesenswert seien. Im Gegenteil, wegen dieser komprimierten Zusammenfassung DES Forschungsthemas von Prof. Hartmut Rosa lohnt es sich, das Büchlein zu lesen. Ich brauche hier diese Kurzfassung der Rosa Thesen zur Redundanz nicht zu wiederholen, die Broschüre bietet sie leicht nachvollziehbar an.

8.
Am Ende dieser Darstellung wird noch einmal auf die Religion verwiesen, merkwürdigerweise sogar auf das Dogma der Dreifaltigkeit (S. 69), in dem Rosa ein „Resonanzverhältnis zwischen Vater, Sohn und Heilige Geist“ entdeckt, der Philosoph Hegel hätte sich über diesen Hinweis sehr gefreut. Wesentlich hilfreicher sind dann die schon ins Theologische greifenden Thesen Rosas: „Am Grund meiner Existenz liegt nicht das schweigende, kalte, feindliche oder gleichgültige Universum, sondern eine Antwortbeziehung“, Rosa denkt dabei vielleicht an einen schöpferischen Gott, absoluten Geist, an eine unendliche Kraft von allem?

9.
Wie Jürgen Habermas schon seit 2000 ist auch Hartmut Rosa überzeugt: Religionen und Kirchen haben doch noch ein „Ideenreservoir“ (S. 74), das unsere Gesellschaft niemals vergessen darf. Denn sonst „ist sie (die Gesellschaft, diese Welt) endgültig erledigt“ (S. 74). Man schaue aber nur auf die Russisch-orthodoxe Kirche und ihren Kriegstreiber Patriarch Kyrill von Moskau, um dann doch Zweifel zu formulieren: Ist diese Welt nicht gerade wegen dieser korrupten Kirche und anderer korrupter Kirchen (solcher, die Menschenrechte missachten, den Faschismus dulden etc.)„erledigt“. Darüber würde man sich weitere Ausführungen bei weiteren „Diözesanempfängen“ wünschen….

10.
Zu der Broschüre hat der Politiker Gregor Gysi (Partei Die Linke) ein kleines Vorwort verfasst. Gysi, der „Nichtglaubende“ (S. 13) wiederholt seine These: Der befreiende (!) Gehalt religiöser Ideen sollte nicht verloren gehen“ (ebd.) Der bekannte Politiker muss sich eingestehen, dass die Linke jetzt keine grundlegenden Moral – und Wertvorstellungen allgemeinverbindlich in der Gesellschaft“ (S. 14) anbieten kann. Das ist schlimm genug, zumal der Markt (also der Kapitalismus) „auch keine Moral-und Wertvorstellungen hervorbringen“ kann (S. 15), meint Gysi. In einer Gesellschaft ohne Moral soll also die Kirche helfen? Gysi lobt bei diesen trüben Aussichten das ehrenamtliche Engagement vieler Mitglieder der Kirche zugunsten der Humanität, „auch wenn bei den Kirchen nicht alles im Lot“ ist. Wenn man diese Zeilen Gysis liest, könnte man sich wünschen: Ein Dialog Gysi – Rosa beim „Diözesanempfang“ wäre in jedem Fall spannend gewesen, wenn sich denn auch der Bischof in diese Runde diskutierend begeben hätte… Dann wäre danach sogar noch ein Buch entstanden.

11. Aus der katholischen Fachtagung “Religionsfreiheit und Populismus”: Am 14.11.2022:

Der Beauftragte der Bundesregierung für Religions- und Weltanschauungsfreiheit, Frank Schwabe (SPD), forderte die Entlarvung religiös begründeter Populismen – sonst werde Religion am Ende “wirklich weltweit in ganz unterschiedlichen Systemen der Treiber für Unfreiheit”. Ideologische Abgrenzungen und einfache Wahrheiten seien eng verwoben mit rechtspopulistischen Ansichten: “Und das zusammen wird eine ganz, ganz gefährliche Melange, die am Ende dazu geeignet ist, Demokratien in Diktaturen zu verwandeln.“

ONLINE-Fachtagung “Religionsfreiheit und Populismus“ am 14.11.2022 um 14.30 Uhr.

Hartmut Rosa, Demokratie braucht Religion. Mit einem Vorwort von Gregor Gysi. Kösel Verlag München, 2022, 75 Seiten. 12 Euro.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

Von der Erschaffung der Welt durch Gott: Aktuelle Deutungen des Mythos.

Gott grenzt das Übel und das Ungeheuer nur ein, er begrenzt es. Das ist seine Schöpfungtat.

Ein Hinweis von Christian Modehn.

1.
Über die Erzählungen, also die Mythen der Bibel im Buch „Genesis“ wird noch heute gestritten. Etwa über die Frage: Wie ist die Weisung Gottes an die Menschen zu verstehen, sich die „Erde untertan“ zu machen? (vgl.Gen 1,28, Menschen dürfen Tiere töten Gen 9,1-4). Wird da eine totale Herrschaft der Menschen über Natur und Tiere von Gott gutgeheißen? So wurde der Text oft verstanden: Der Mensch ist der „Unterwerfer der Erde“ (Gen.1, 28). Jetzt bemühen sich Theologen und Kirchenleitungen, diese Herrschaft des Menschen über die Natur korrekt zu verstehen und damit die Herrschaft des Menschen erheblich einzuschränken. Die Öko-und Klimakatastrophen haben die Theologen also auch etwas aufgeweckt.

2.
Es gilt insgesamt, dass endlich viele theologisch Ungebildete mehr über die biblischen Schöpfungsmythen lernen, theologische Naivität darf nicht länger das Denken verstören. Es gilt also zu lernen, beim Thema „Schöpfung der Welt und der Menschen durch Gott“. Davon erzählt der Mythos im Buch Genesis gleich zweimal. Das Thema war lange ein Kampfplatz zwischen naiver Theologenherrschaft und Natur-Wissenschaft. Heute wird selbst in populären Aufsätzen zum Thema Schöpfung von katholischen Theologen betont: In den biblischen Mythen der Genesis ist überhaupt nicht die Rede von einem absoluten Anfang der Welt, also einer Art Schöpfung aus dem Nichts, klassisch „creatio ex nihilo“. Jegliches „wortwörtliches Verstehen“ der Bibel, auch der Mythen im Buch Genesis, ist schlicht und einfach Unsinn. Wer als evangelikaler Fundamentalist solche Bibel – Deutungen verbreitet, trägt nur zur Verwirrung und Verblödung der Menschen bei. Leider sind diese Leute auch (rechtsextrem) politisch aktiv.
Zur kritischen Information zu einigen Aspekten siehe die Aufsatzsammlung „Christlicher Schöpfungsglaube heute“ (Grünewald-Verlag 2020).

3.
Die neun Beiträge in dem Buch wollen auch eine zeitgemäße Schöpfungsspiritualität fördern.
Mir erscheint es aber wichtig, hier eine zentrale Erkenntnis in den Mittelpunkt zu stellen:
Der Begriff Schöpfung der Welt durch Gott will keine kausalen Zusammenhänge aussprechen. Also: Gott ist nicht der „Macher“ der Welt. Er ist „nur“ der Ordner des vorgefundenen Chaos. „Der erste Vers der Genesis bezeichnet NICHT den Anfang der Schöpfungstätigkeit Gottes“, schreibt der katholische Theologieprofessor Georg Steins (S. 19). „Mit dem Erschaffen ist also NICHT die Idee eines absoluten Anfangs verbunden, sondern der AUFBAU GEORDNETER VERHÄLTNISSE“ (ebd., Hervorhebungen von CM).
Georg Steins betont weiter: Gott findet also (um in dieser mythologischen Redeweise zu verblieben CM) ein tohu wabohu vor, eine Welt der Finsternis und Unordnung lebensfeindlicher Mächte. Und was tut Gott in dieser Interpretation des Mythos? Gott zieht (nur) Grenzen, er hegt diese schädlichen Gefahrenquellen (nur) ein. Diese Eingrenzung des Übel sei die entscheidende Schöpfungsaktivität Gottes, sagt Steins: „Das Chaotische wird zu einem Teil der Schöpfung und verliert an bedrohlicher Macht“ (S. 21). Oder noch einmal: „Das Chaotische, tohu wabuhu, muss nicht vernichtet, sondern eingefügt und eingehegt werden“ (S. 22) „Nicht von der Idee der Herstellung aus wird Schöpfung konzipiert, sondern in der Perspektive des Anordnen und Ordnens“ (S. 23). Für diese Erkenntnis bietet Georg Steins seine eigene, neue Übersetzung von Genesis 1,1-4 an, mit entsprechenden Zeilenverschiebungen:
„Anfangs
als Gott den Himmel und die Erde schuf –
… die Erde war unwirtlich und unheimlich,
… Finsternis über der Chaosflut
… Gotteswind hin und her fahrend über der Wasserfläche
Sprach Gott…“

4.
Die Autoren des Buches Genesis haben also offenbar kein Interesse zu erklären, woher die ungeordnete Welten-Masse denn selbst stammt. Diese findet Gott (immer noch als der Allmächtige gedacht?) vielmehr vor. Georg Steins beantwortet nicht die Frage: Wer hat dann diese ungeordnete chaotische Masse „geschaffen“, gab es sie schon „vor dem Auftreten Gottes“, möchte man wissen. Oder ist dieses Fragen schon vermessen? Der katholische Theologe Steins gibt darauf keine Antwort. Die Autoren dieses Textes der Genesis lebten im babylonischen Exil und mussten in ihrer Niederlage einen starken Gott konzipieren, einen das Chaos ordnenden Gott erschaffen! Gott zur Stunde Null im Weltganzen interessierte nicht.
Ebenso vermeidet er eine Auseinandersetzung mit der Erbsünde, dieser Ideologie des alt gewordenen heiligen Augustinus, die in der kirchlich noch immer gelehrten Form in den Mythen der Genesis keine Begründung findet.

5.
Das im Mythos angesprochene Bild der „Gottebenbildlichkeit“ des Menschen erwähnt Georg Steins. „Sie ist funktional verstanden, nicht essentiell. Nicht etwas IM Menschen macht ihn gottgleich, sondern seine Rolle in der Schöpfung, konkret die umfassende Sorge für die Ordnung“ (S. 24).
Da hätte meines Erachtens eine Auseinandersetzung mit Hegel gut getan, für den klar ist: Nur weil Gottes Geist IM Menschen, in dem endlichen Geschöpf, lebt, kann überhaupt eine Versöhnung von Gott und Welt gedacht werden. Die Welt ist zwar das „Andere“ zu Gott, aber ein Anderes, das mit Gott eng verbunden, „identisch“ ist, sagt Hegel. Wäre das anders, könnte Gott nicht als Gott gedacht werden, denn dann hätte er als unvollkommener Gott noch eine gottlose Welt stets neben sich… „Es ist unendliche Liebe, dass Gott sich mit dem ihm Fremden, (also der Endlichkeit des Menschen, CM) identisch gesetzt hat“, sagt Hegel in seiner Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie, Suhrkamp Ausgabe Band 17, S. 292.

6.
Auch ein Beitrag über die Enzyklika von Papst Franziskus „Laudatio si“ (2015) von Ottmar Edenhofer und Christian Flachsland ist in dem genannten Sammelband enthalten. Dieser Aufsatz endet mit dem Kapitel „Herausforderung an die Kirchen“, dazu gehört auch die „Überprüfung kirchlichen Wirtschaftens“ (S. 48). Dabei beklagen die beiden Autoren die geringen Befugnisse der Umweltbeauftragten in den Kirchenleitungen.
Die Autoren hätten auch eine ausführliche Forderung formulieren sollen: Wie kann der Vatikan ab sofort mit der Vielfliegerei der Bischöfe und Kardinäle umgehen, und sie wenn möglich abschaffen, wenn ständig irgendwelche Konferenzen mit dem Papst und der vatikanischen Bürokratie stattfinden und sich Bischöfe z.B. aus Chile oder dem Pazifik in Rom einfinden müssen. Die Frage drängt angesichts einer in nicht so fernen Zeit bevorstehenden Bestattung des EX-Papstes Benedikt XVI. und einer neuen Konklave: Wieviel CO2 Emissionen geschehen dann durch diese Herren Kardinäle in ihrer Hin und Her Fliegerei. Erst wenn solche Fragen ernsthaft diskutiert werden in theologischen Büchern über die „Bewahrung der Schöpfung“, können diese Texte wirkliche kritische Aufmerksamkeit finden.

Stefan Voges (Hg.), “Christlicher Schöpfungsglaube. Spirituelle Oase oder vergessene Verantwortung?“ Matthias Grünewald Verlag, Ostfildern, 2020, 153 Seiten, 32 Euro.

Die einzelnen Beiträge:
Georg Steins
Wovon sprechen die biblischen Erzählungen „am Anfang“?

Ottmar Edenhofer/Christian Flachsland
Laudato si’. Die Sorge um die globalen Gemeinschaftsgüter

Andreas Benk
Schöpfung als Befreiung
Plädoyer für eine visionäre Schöpfungstheologie

Klaus Müller
„Schöpfung“ – philosophisch gegen den Strich gebürstet

Gotthard Fuchs
„Die ganze Welt, Herr Jesu Christ … in deiner Urständ fröhlich ist“
Thesen zur christlichen Schöpfungsspiritualität

Bärbel Wartenberg-Potter
Plädoyer für eine grüne Reformation

Daniel Munteanu
Schöpfungsspiritualität als kosmische Liturgie

Franz Neidl
Die universale Schöpfungsgemeinschaft
Eine Botschaft in zwei Varianten, mit Blick auf das Verbindende

Stefan Voges
Tiere, unsere Mitbewohner im gemeinsamen Haus
Eine Konkretisierung von Laudato si’ in der Spur einer theologischen
Zoologie

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

Abschied vom klassischen Herrscher – Gott in der Höhe. Und dabei den schwachen Gott entdecken.

Ein Hinweis auf ein neues Buch von John D. Caputo.
Von Christian Modehn.

Das Buch von John D. Caputo „Die Torheit Gottes“ ist sicher eines der besonders anregenden (und „zugänglichen“) Bücher über Religion und Glauben in diesem Herbst 2022. Endlich ein theologisches Buch (von einem Philosophen !), das etwa die ewigen Debatten über Strukturreformen der katholischen Kirche beiseite setzt, weil es zeigt: Auf etwas ganz anderes kommt es an: Auf die Korrektur des Gottesbildes, also auf die Korrektur der üblichen herrschenden Dogmatik der klerikalen Herrscher.
Es geht in diesen jetzt existentiell hoch belastenden Zeiten also um viel Wichtigeres, es geht um die Frage: An welchen Gott (des Christentums) kann ich und will ich vielleicht noch glauben? Welcher Gott erdrückt mich nicht mit seiner absoluten Last der Gesetze, welcher Gott ist förmlich sanft und machtlos, welcher ruft in ein Leben der Freiheit? Dies ist der Ausgangspunkt des Buches „Die Torheit Gottes“ von John D. Caputo.

1.
Darüber besteht für Caputo – und nicht nur ihn – völlige Gewissheit: Wer heute mit klarer Vernunft an Gott glauben will, sollte sich von den klassischen Gottesbildern befreien. Das tun Gott sei Dank allmählich viele. Denn eine dauerhafte Bewusstseinsspaltung zwischen einem naiven Kinder – Glauben und einem kritischen Bewusstsein wollen nur die vielen Evangelikalen, Pfingstler, konservativen Katholiken und Putin-gläubigen Orthodoxen hinnehmen. Vor allem das Bild von Gott als oberstem Sein selbst, als Gott in der Höhe, an der obersten Spitze aller denkbaren Hierarchien, allmächtig und von Engeln umgeben und so weiter, kann ein Mensch mit klarer Vernunft nicht akzeptieren. Dort startet Caputo mit seinen Reflexionen, die in 10 Kapiteln immer wieder die eine Grund-These umrunden: Nur ein schwacher Gott eröffnet heute lebendiges, freies Leben.

2.
Dabei ist der „schwache Gott“ für jene Leute, die immer noch an einen göttlichen Tyrannen im Himmel glauben, die größte Provokation. Caputos Buch ist insofern der Aufruf zur Reform, mehr noch: Zur Reformation des christlichen Denkens und Handelns. Alles kommt darauf an, die materiell gar nicht greifbare Stimme des schwachen Gottes im Gewissen (im Geist) zu vernehmen. Dort und nur dort ereignet sich der Unbedingte, der Gott, der leise die Menschen zum ethisch guten Leben und politischen Handeln aufruft. Diese Stimme des schwachen Gottes ist unbedingt, kann aber vom Menschen ignoriert und überhört werden, was ja faktisch ständig geschieht bei so vielen Verbrechern in der Politik in dieser verrückten Welt.
Das ist der Mittelpunkt des Plädoyers Caputos für den schwachen Gott. Wer dieses Zentrum erreichen will, lese zu Beginn die letzten Zeilen unter dem Titel „Genug gesagt“ in dem Buch, S. 149 bis 152.

3.
Hier aber noch einige weitere Hinweise und Bemerkungen zu dem Buch mit dem provozierenden Titel „Die Torheit Gottes. Eine radikale Theologie des Unbedingten“.
Der US-Amerikaner John D. Caputo wurde 1940 geboren, er ist katholisch gebildet, er war einige Jahre Mitglied des Ordens der „La Salle-Schul-Brüder“ (Quelle: Revista Hispanoamericana T.O.R., Num. 2, 2021, P. 69 ff)
Eine lange Liste Englisch sprachiger Bücher dokumentiert die philosophische Leidenschaft Caputos, die Bibliographie nennt 13 Titel (S. 153).

4.
Caputos Buch„Die Torheit Gottes“ hat den Untertitel „Eine radikale Theologie des Unbedingten“. Und auf S. 100 werden wir informiert: „Die Torheit Gottes besteht darin, dass Gott nicht existiert“. Das ist ein typischer Caputo-Satz. Der Philosoph mit einer starken Kompetenz für theologische Probleme neigt auch zu sperrigen Formulierungen, manchmal sind sie etwas flapsig, leicht ironisch, so auch hier: Der gerade zitierte Satz könnte (von mir) also übersetzt werden, leicht provozierend wie bei Caputo selbst: „Der klassisch verehrte Gott ist so dumm (so töricht, Torheit!), dass dieser klassische Gott gar nicht existiert“. Auf S. 67 stellt Caputo die eher rhetorische Fragen: „Was ist Gott anderes als die Möglichkeit des Unmöglichen, das Wort für das Ereignis des (Un)Bedingten?…“ Das „Ereignis“ ist das überraschende Geschehen der Öffnung des Daseins aus den Verklemmtheiten und Versperrungen im Denken: Im Ereignis spricht uns etwas Unbedingtes zu, „die Aussicht auf etwas, das im Kommen ist und das den Horizont der Gegenwart erschüttert“ (S. 119).

Im „Ereignis“ also zeigt sich das Unbedingte, ein Wort, das Caputo sehr schätzt in seiner Hochachtung für den Theologen Paul Tillich! Und dieses Unbedingte als das lebendig Göttliche existiert nicht, sondern, und das ist mehr als ein Sprachspiel: Dieser Gott in-sistiert, d.h. er drängt sich auf inmitten des Lebens. Er ruft – im Gewissen, so interpretiere ich – den Menschen auf, lebendiger als bisher zu leben, Verantwortung zu übernehmen, zu lieben… Aber es ist keine objektiv greifbare Wesenheit, die da ruft, betont Caputo etwas verschlüsselt, sondern eine „nicht-existierende Unbedingtheit“ (S.151). Es ist ein niemals zu greifender Gott, der in seinem sanften In-sistieren im Geist der Menschen „auftritt“ und insgesamt schwach ist und nicht herrschend und mächtig. Der schwache Gott ist DAS Thema Caputos, ein Thema, das ihn mit dem italienischen Philosophen Gianni Vatttimo verbindet (vgl. etwa Gianni Vattimo, „Glauben-Philosophieren“, Reclam 1997).

5.
Dieser Gott, der nicht „greifbar“, nicht definierbar ist, der nicht existiert, führt die glaubenden Christen zur Einsicht: Sie, die den nicht-existierenden („objektiv vorhandenen“) Gott ablehnen, sind eigentlich auch Atheisten, weil sie den klassisch – dogmatisch vermittelten Gott zurückweisen. Und die klassischen, „aufklärerischen“ Atheisten, die gerade diesen angeblich objektiv existierenden Gott ablehnen, müssen sich nun auch neu orientieren, wenn denn der „wahre Gott“ der jeweils neu mitten im Leben insistierende schwache Gott ist!
Man möchte fast den Gedanken in Formulierungen der etwas flapsiger Art fortführen, ein Stil, den auch Caputo in dem Buch schätzt und dann sagen: Vielleicht werden angesichts des schwachen Gottes auch die Atheisten schwach und… beginnen an den schwachen Gott zu glauben?

6.
Caputo ist einer der wenigen katholischen Philosophen und Theologen, die sich explizit zustimmend und lernend auf den Philosophen Jacques Derrida beziehen. Auch in diesem Buch! Caputo hatte zuvor intensiv Heidegger studiert, Thomas von Aquin ebenso und Augustinus und Kierkegaard… Derrida ist (neben Tillich) sozusagen die wichtigste Quelle der Inspiration für Caputo. Über Derrida hat Caputo mehrere Tagungen an der Villanova-Universität (Philadelphia, USA, geleitet vom Augustiner-Orden) organisiert.

7.
Caputo liebt die philosophische Spekulation, das Hin und Her der Begriffe, er begibt sich auf seine Art in die Abgründe der Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie, die ewig die Frage diskutiert: Welcher Gott ist denn nun wirklich göttlich und kann als solcher von den kritischen Menschen akzeptiert werden. Auch den Menschen in Indien, in Tokio, am Amazonas? Diese Frage stellt Caputo nicht. Er ist als westlicher, klassisch gebildeter Philosoph mit seiner Liebe zur Postmoderne und zur „Dekonstruktion“ (die wichtigste philosophische Aktivität von Jacques Derrida) immer noch auf der alten europäischen Fährte der Suche nach einem göttlichen Gott, dem ganz Anderen, der alle Begriffe sprengt.
So will Caputo im Denken freien Raum schaffen, er muss alte Gottesbilder entfernen, nur so kann er auch neu über den Zentralbegriff der biblischen Botschaft nachdenken, das Reich Gottes. Bei dem Thema kommen dann zum ersten Mal etwas politisch bestimmte Aspekte zur Sprache.

8.
Letztlich ist für Caputo das Reich Gottes eine Welt der Menschen, die sich ganz der Nächstenliebe verschrieben haben. Nur darauf kommt es an! Wahrscheinlich hat Caputo dieses Buch vor allem geschrieben, um zu dieser Einsicht die Glaubenden, auch die Kirchen, aufzufordern: Menschlichkeit ist das Wichtigste, sie zu fördern ist die einzige und wahre Antwort auf den „schwachen“ Ruf des Unbedingten im Menschen. Denn wenn der Ruf des schwachen Gottes im Gewissen eines jeden Menschen sich ereignet, ist ja – wie gesagt – die universelle humane Dimension des Gewissens gemeint. Denn es wäre ja verfehlt, den Ruf des Gewissens als ein explizit religiöses Ereignis zu verstehen, der Ruf des Unbedingten im Gewissen ist etwas Humanes. Wer Caputo so versteht, muss ihm förmlich eine notwendige Säkularsierung des göttlichen Rufes zugestehen. Mit anderen Worten: Es geht in dem langen Text nur um die eigentlich schlichte Einsicht: Die Menschen sollen – um Gottes willen – endlich ihrem Gewissen praktisch folgen. Kant sprach vom Kategorischen Imperativ, viele religiöse Traditionen sprechen von der „Goldenen Regel“.

9.
Es wäre weiterführend und hilfreich gewesen, wenn Caputo noch Stellung genommen hätte, zu der Frage: Wenn die Menschen diesem Ruf des Unbedingten überhaupt nicht folgen, sich also in Kriegen abschlachten und wenn die reiche kapitalistische Welt das Verhungern von Millionen Menschen einfach so hinnimmt mit wortreichen Statements, was bedeutet dann der schwache Gott? Ist er also schwach mit den (moralisch, geistig, politisch) schwachen Menschen? Von der Klimakatastrophe, von Menschen gemacht, hätte Caputo auch ein paar Worte sagen können, als Beispiel, wie der schwache Gott im Menschen wirkt oder eben nicht gehört wird.
Man möchte meinen: Vielleicht ist der schwache Gott mit seinem stillen Ruf, wie Caputo lang und breit immer wieder umschreibt, doch hoffnungslos zu schwach… und lässt es zu, dass sich die Menschen ihr eigenes und der Welten Ende bewirken. So könnte man förmlich von einer Art neuen negativen Theodizee sprechen, also von einer ungewöhnlichen Rechtfertigung Gottes angesichts des Elends der Welt!
Wer dann aber noch an dem Mythos der Schöpfung der Welt und der Menschen durch einen Gott festhält, muss angesichts des schwachen Gottes sagen: Der schwache Gott hat schwache Menschen erschaffen, die in der Lage sind, die Welt in den Abgrund zu stürzen. Könnte man das ganze Geschehen eine göttliche Katastrophe nennen? Ein tröstlicher Gott ist der schwache Gott, der Gott als Torheit, jedenfalls nicht. Beruhigendes Opium ist dieser schwache Gott nun absolut gar nicht. Der Mensch steht nun angesichts des schwachen Gottes nackt und schutzlos da. Wird diese Einsicht viele Menschen, auf göttlichen Trost fixiert sind, bewegen, d.h. zur Zustimmung zu Caputos Corsxchlägen führen?

10.
Der frühere allmächtig genannte Gott, so laut und innig in so vielen theologisch dummen Kirchenliedern besungen („Großer Gott wir loben dich, Herr wir preisen deine Stärke“, oder: „Ein feste Burg ist unser Gott…“ usw. usw.) war ja auch schon schwach. Er hat sich gegenüber den damals schon schwach glaubenden Menschen auch nicht „stark“ durchgesetzt. Alle Lieder und Bekenntnisse waren Trallala, nette naive Poesie zur Abwechslung in den ewigen Kriegszeiten. Der Große Gott im Himmel hat das Elend der Welt auch nicht überwunden. Diese Lieder vom allmächtigen Gott waren also Ideologie der Herrscher, Beruhigung, Opium…

11.
Nebenbei: „Großer Gott wir loben dich“ wurde auf Befehl der Kaiserin Maria Theresia 1774 ins „katholische Gesangbuch“ aufgenommen. Maria Theresia war eine innenpolitisch reaktionäre, intolerante Herrscherin, sie führte drei Kriege und pries dann den großen Gott für ihre Siege… Auch Angela Merkel schätzte übrigens sehr den Song „Großer Gott wir loben dich“, siehe Zapfenstreich…Heute wissen wir, dass so vieles Löbliches bei Angela Merkel auch nicht übrig bleibt, angesichts ihrer jetzt offenkundigen Naivität und Nachlässigkeit im Umgang mit dem schon seit 2006 bekannten Diktator und Kriegstreiber Putin.

13.
Noch einmal gefragt: Kurz gesagt: Welchen Sinn hat der Glaube an einen schwachen oder auch an einen starken Gott eigentlich, wenn die Menschen diese Welt (eine Schöpfung Gottes?) In vielfacher Hinsicht systematisch zerstören und vernichten. Und die Kirchenführer sind hilflos, dem Faschismus, dem Rechtsextremismus usw. Parole zu bieten und ihre frommen Schäfchen zur politischen Vernunft, also zum praktischen Respekt der universal geltenden Menschenrechte, zu bringen.

14.
Die Übersetzer des Buches „The Folly of God“ (2016) bieten im Buch zusammen mit dem Theologen Prof. Michael Schüßler, Tübingen, noch „Resonanzen“, Reflexionen persönlicher Art, zu Caputos Einsichten (S. 157 – 166)

John D. Caputo, „Die Torheit Gottes. Eine radikale Theologie des Unbedingten“. Übersetzt von Helena Rimmele und Herbert Rochlitz, Grünewald-Verlag, 2022. 167 Seiten, 19€.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

Auch Gott untersteht dem Recht und der universellen Gerechtigkeit!

Für Abraham ist Gott nicht das „Wichtigste“!
Ein Hinweis von Christian Modehn.

Das Motto:
Wenn die Erkenntnis der Bibel, mitgeteilt in einigen Geschichten über Abraham, von den Religionen und Kirchen beachtet würde: Dann wäre die wahre Religion die ethische Haltung, die Gerechtigkeit für alle fordert und lebt. Dann wäre ein Ende der offenbar allmächtigen Klerus-Herrschaft (Klerus gibt es bekanntlich in allen Religionen) absehbar…

1.
Erich Fromm, Psychologe und Philosoph, hat in seiner Studie „Psychoanalyse und Religion“ (1950) eine grundlegende Erkenntnis zum Verhältnis des Menschen zu Gott (in der Überlieferung des Alten Testamentes) formuliert.
Diese Erkenntnis hat leider im Laufe der Geschichte des jüdischen Volkes und der Kirchen nur wenig Beachtung gefunden.
Und das sollte sich ändern. Nun hat sich auch der Philosoph und Kenner der hebräischen Bibel (Altes Testament) Omi Boehm in seinem neuen Buch „Radikaler Universalismus“ (2022) dieser Erkenntnis von Erich Fromm angeschlossen.Sie wird in gewisser Weise unterstützt im neuen Buch des US-amerikanischen Philosophen John D. Caputo „Die Torheit Gottes“.

2.
Worum geht es? In den Erzählungen des Alten Testaments verpflichtet sich Gott selbst, niemals alles Leben auf Erden zu vernichten (Gen. 9,11). Gott schließt einen Bund mit den Menschen, und diese sollen sich ihrerseits verpflichten, niemals einen anderen Menschen zu töten. Gott bindet sich also in einen Vertrag, an „ein Prinzip, das er, Gott, nicht verletzen darf, nämlich das Prinzip der Ehrfurcht vor dem Leben….Der Mensch kann auch Gott zur Rechenschaft ziehen, wenn er sich der Verletzung des Prinzips schuldig macht“ (betont Erich Fromm, Gesamtausgabe Band VI, S. 253).
Als Gott die Städte Sodom und Gomorrha wegen der Sünde der Menschen dort vernichten wollte, wird er von Abraham daran erinnert: Er, Gott, wollte sich selbst unter das Gesetz der Gerechtigkeit stellen. Und Gott lässt sich durch Abraham an seinen Grundsatz erinnern. (Vgl. Die Erzählung Genesis, 18, Vers 25).

1966 ist Erich Fromm erneut auf dieses Thema zurückgekommen, in seinem Beitrag „Ihr werdet sein wie Gott“ (1966): „Mit der Kühnheit eines Helden fordert Abraham (im Fall von Sodom und Gomorrha) Gott auf, sich an die Grundsätze der Gerechtigkeit zu halten. Abraham verhält sich also nicht wie ein demütiger Bittsteller, sondern wie ein stolzer Mann, der das Recht hat, von Gott zu verlangen, dass dieser sich an das Prinzip der Gerechtigkeit hält“ (S. 99).

3.
Abraham ist der Vater der (monotheistisch) Glaubenden, er lehrt: Über Gott steht die Gerechtigkeit, stehen die Gesetze, zu denen er sich selbst verpflichtet hat. „Weil Gott durch die Normen von Gerechtigkeit und Liebe gebunden ist, ist der Mensch nicht länger sein Sklave. Beide Mensch und Gott, sind an festgelegte Prinzipien und Normen gebunden“, so Erich Fromm (ebd.).

4.
Auch in der späteren Erzählung über Abraham und seinen Sohn Isaac zeigt sich, dass Abraham sich dem Befehl Gottes widersetzt, seinen Sohn Isaac abzuschlachten. (Vgl. Genesis, Kap. 22, bes. Verse 9 ff.) Es sind die gründlichen Studien des Philosophen Omri Boehm, die uns von dem Klischee befreien, Abraham sei der total Gehorsame, der sich nur von einem Engel (Vers 11) davon abhalten lässt, seinen Sohn Isaac zu töten. Denn mit dem „Engel des Herrn“ wird noch unterstellt, dass Gott selbst noch die Initiative ergreift, um Abrahams Gehorsam nicht bis zur tödlichen Konsequenz zu treiben. Boehm weist nun nach, dass die beiden Verse 11 und 12, also die Verse, die vom Eingreifen des göttlichen Engels sprechen, später eingefügt wurden. Nimmt man diese beiden Verse aus der Erzählung sinnvollerweise heraus, dann ist es Abraham selbst, der zur Erkenntnis kommt: Ungehorsam gegen Gottes Tötungsbefehl ist das Wahre. Abraham entdeckt selbst den Widder, den er anstelle Isaacs tötet.

5.
Immanuel Kant hat in seiner Publikation „Streit der Fakultäten“ (1798) als einer der ersten Philosophen deutlich gefordert, dass Abraham seinen Sohn niemals hätte töten dürfen, Nur Ungehorsam gegen Gott wäre also richtig und ethisch wahrhaftig gewesen. Kant schreibt: „Abraham hätte auf diese vermeinte göttliche Stimme antworten müssen: Dass ich meinen guten Sohn nicht töten soll, ist ganz gewiss; dass aber du, der du mir erscheinst, Gott sei, davon bin ich nicht gewiss und kann es auch nicht werden“.

6.
Der Philosoph Omri Boehm hat sich ausführlich, auch von dem jüdischen Philosophen Maimonides inspiriert, mit dem ethisch richtigen Ungehorsam Abrahams befasst. „Abrahams Punkt ist, dass eine universalistische Moral nur über der Gottheit stehen kann“ (in „Radikaler Universalismus“, S. 54). Aufgrund der universellen Gerechtigkeit (die ausnahmslos ALLEN Menschen immer gilt) ist es wahr, „Gottes Autorität zu widersprechen“ (ebd.)

7.
Die revolutionäre, sozusagen Gott-kritische Erkenntnis heißt also:
„Die wichtigste Errungenschaft des biblischen Monotheismus ist das Bekenntnis zu einer exklusiv einzigen, wahren Gottheit – um diese anschließend einer noch höheren, über ihr stehenden Gerechtigkeit zu unterwerfen“ (von Omri Boehm kursiv gesetzt, S. 21) Abraham ist der Vater aller Völker, eine Bedeutung, die ihn über Moses erhebt, betont Boehm. “Es gibt nur einen wahren Gott, doch die Autorität der universellen Gerechtigkeit steht über ihm“ (Omri Boehm, S. 22).

8.
Dies ist eine provozierende, wenn nicht unangenehme Erkenntnis für die Religionen und Kirchen. Denn ihre Theologen und Kirchenleiter und Religionsführer bedienen sich ständig mit göttlicher Autorität der Weisungen, die angeblich von Gott selbst stammen. Die Religionsführer brauchen förmlich Gott und seine begrenzten Gebote, um ihre eigene Herrschaft zu zementieren. Tausend Beispiele wären zu nennen, etwa: Israel ist nur der Staat der Juden; Frauen dürfen niemals katholische Priesterinnen werden; Frauen sind den Männern im Islam untertan usw… Es wäre wichtig, eine große Studie in Gang zu bringen, die die – geringe – Bedeutung Abrahams im Laufe der Geschichte der drei monotheistischen Religionen aufzeigt, Gehorsam gegen Gott erschien immer die den Religionsführern bequemere Lösung als das Eintreten für einen universellen religiösen Humanismus.

9.
Die entscheidende und dringend geforderte Reformation der drei monotheistischen Religionen kann nur gelingen, wenn die Religionsführer und die von ihnen geführten Gläubigen wahrnehmen und in der Praxis anerkennen: Über Gott und seinen von den Religionsführern interpretierten Gesetzen steht die universale Gerechtigkeit für alle Menschen überall und immer. Abrahams Erkenntnis könnte also heute die drei monotheistischen Religionen in ihrer Beton-Mentalität aufsprengen und endlich aus den Religionen humane Institutionen werden lassen. Aber das setzt vor aus. Dass die Religionsführer der drei monotheistischen Religionen lernfähig werden und sich endlich um die Erkenntnisse Abrahams kümmern. Aber die Konsequenzen wäre Machtverlust des gesamten „Klerus“ der drei Religionen. Und diesen Machtverlust wollen diese Herren (es sind fast immer Männer) überhaupt nicht hinnehmen. Also bleibt Abrahams entscheidender, humaner Ungehorsam gegen Gott auf Dauer doch marginal … und fast vergessen.…

10.
… So, wie die entscheidende Rede Jesu „Vom Weltgericht“ (Matthäus-Evangelium, 25. Kap., Verse 31 bis 46) als Umsturz alles nur „Religiös-Frommen“ und als Durchbruch einer humanen ethischen Haltung ALS Religion von den Religionen, Kirchen, nicht respektiert wird. Die Aussage Jesu gipfelt bekanntlich in einer Lehre umfassender Humanität: „Was ihr Menschen für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Vers 40). Das heißt: Der wahre Gottesdienst im Sinne des Propheten Jesus von Nazareth ist Nächstenliebe. Alles andere ist zweitrangig, das Zweitrangige, also das Religiöse, die Gottesdienste, Liturgien, Kirchengesetze etc. werden aber vom Klerus als erstrangig gefordert und durchgesetzt. Und die Gläubigen glauben in ihrer autoritären Bindung dem Klerus auch noch und folgen nicht den Weisungen des Propheten Jesus von Nazareth..

11.
Nur einige gebildete religiöse Menschen werden die Kraft haben, sich aus dieser Herrschaft der Religionsführer zu befreien und sich einer humanen Vernunft-Religion anschließen, die schon Immanuel Kant beschrieben und gefordert hat in seiner sehr lesenswerten Publikation „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“. LINK

12.
Auch die Studien des US-amerikanischen Philosophen John D. Caputo folgen einer Erkenntnis, die der Erzählung über Abrahams Einsicht entspricht: In seinem Buch „Die Torheit Gottes“ (Grünewald-Verlag, Ostfildern 2022) befreit Prof. Caputo das religiöse Denken vom Glauben an den allmächtigen Gott in der Höhe oder auch in der Tiefe. In seinen durchaus provozierend gemeinten Überlegungen zeigt Caputo: Gott existiert nicht (als ein vorzeigbares „Objekt“), Gott existiert nicht, aber er INSISTIERT: Das heißt das göttliche Leben insistiert im Menschen als Ruf, als Aufforderung, human zu leben. Das Bild „Reich Gottes“ sagt diese Möglichkeit aus, einen universal geltenden Humanismus zu leben. (Vgl. bes. das Kapitel „Dein Reich komme“ in „Die Torheit Gottes, S. 137 ff.) Auch Caputo erinnert eindringlich an die revolutionäre Kraft der Rede Jesu vom Endgericht (S. 143).

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin