West – Berlins zentrale Kirche: Benannt nach einem Kolonialherren und Rassisten. Wann erhält die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche einen Namen, der einer christlichen Kirche angemessen ist?

Die  14. der “unerhörten Fragen”.

Von Christian Modehn.

Zum paradoxen Pogrom – Gedenken in einer Kirche des kaiserlichen Pogrom – Initiators: LINK:

1.
In Berlin – Charlottenburg erlaubt es sich die Evangelische Kirche immer noch, das zentrale kirchliche Gebäude am Breitscheid – Platz nach „Kaiser Wilhelm“ (dem Ersten) zu nennen, das so genannte Gotteshaus heißt also „Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche“. Die entscheidende Frage: Wann ist endlich Schluss mit dieser politischen und theologischen Frechheit? Der Historiker Prof . Jonas Kreienbaum (F.U.Berlin) über Kaiser Wilhelm II. und den Genozid: LINK
2.
Weil dieser Titel der Kirchenleitung und der dortigen Gemeinde seit einiger Zeit offenbar selbst doch irgendwie peinlich geworden ist, wird der Name nun schamhaft auf „KWG“ gekürzt oder das Gebäude wird nur „Gedächtniskirche“ genannt. KWG klingt nach irgendwie auch nach KaDeWe, und „Gedächtniskirche“ suggeriert, es gebe ein heiliges Gedächtnis als Titel einer Kirche…
3.
Zu einem definitiven Verzicht auf diesen kaiserlichen Titel können und wollen sich weder die Berliner Kirchenführung noch Gemeinde durchringen.
Einige evangelischen Christen wissen längst, dass Kaiser Wilhelm I. ein Kolonialherr übelster Sorte war, sie wissen, dass auch Wilhelm II. dem Ungeist seines Großvaters entsprach. Die Frage also ist: Verzichten Kirchenleitung wie Gemeinde auf eine Befreiung von diesem unsäglichen Namen für ein so genanntes Gotteshaus deswegen NICHT, weil sie Angst haben vor einer gerichtlichen Auseinandersetzung mit dem mächtigen Hause Hohenzollern?
4.
Denn sonst würde man nicht so blind und taub reagieren auf die Fülle der wissenschaftlichen Publikationen, die das Thema Kolonialherrschaft und Rassismus in Preußen (bzw. schon in Brandenburg einst) in Verbindung mit den Königen und Kaisern dokumentieren. Die Kolonialherren waren ja, man erinnere sich, zugleich die obersten Chefs dieser sich protestantisch (lutherisch etc…) nennenden Kirche. Sie war also de facto, nicht zu leugnen, eine Kaiser-Kolonial-Herren-Kirche also. Ein trauriges Kapitel einer „Obrigkeitskirche“…
5.
Gerade jetzt findet im Schloss Charlottenburg die Ausstellung „Schlösser.Preußen.Kolonial“ noch bis zum 31.Oktober 2023 statt. Überraschende Zeugnisse der Verachtung, Ausbeutung und Versklavung von schwarzen Menschen durch die genannten Herrscher in Berlin werden gezeigt und in einem Begleitbuch beschrieben. LINK
6.
Hochinteressant ist ein Hinweis im Begleitbuch zur Ausstellung, ein Hinweis, der sich auf das Reiterstandbild des Kurfürsten Friedrich Wilhelm (1620-1688) bezieht, zu dessen Füßen vier in Ketten gefesselte Männer sitzen und knien. Das Denkmal wurde auf Wunsch von Friedrich III., dem späteren König Friedrich I., 1708 errichtet: Er war es, der starke Ambitionen zum Sklavenhandel in Westafrika (dem heutigen Ghana) hatte. Die gefesselten Männer wurden auch als Gestalten aus dem Sklavenhandel populär gedeutet … bis hin in das Herrscher-Haus.
7.
In dem genannten Buch wird treffend berichtet: „So soll Kaiser Wilhelm I. nach dem Erwerb von Kolonien ehrfürchtig gesagt haben, dass er nun mit gutem Gewissen vor dieses Reiterstandbild treten könne: Da er, Wilhelm I., das koloniale Vorhaben des Kurfürsten, so wörtlich: `aufgenommen und weiter ausgebildet` habe.“ (S. 13 in dem Begleitbuch zur Ausstellung, mit Verweis auf das Buch von Ferdinand Schmidt, `Kaiser Wilhelm I. und seine Zeit`, Berlin 1893 (sic), dort Seite 450).
8.
Die Ausstellung zum Kolonialismus und Rassismus und zur Sklaverei in Preußen ist für den Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin einmal mehr ein Anlass, dringend wenigstens eine öffentliche und umfassende breite Debatte zur Umbenennung der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche anzuregen. Auf dieser unserer Website wurde schon seit Jahren mehrfach für die dringende Umbenennung dieser nach einem Kolonialherren genannten Kirche plädiert, LINK, entsprechende e-mails an die Herren und Damen der Kirchenleitung blieben unbeantwortet, einzelne PfarrerInnen auch aus der KWG deuteten ihr Verständnis für diese unsere Forderung an und hatten aber Angst, sich öffentlich für die Umbenennung dieser Kirche KWG und Gedächtniskirche einzusetzen. Wer erzeugt da diese Angst?
9.
Man hat als Religionskritiker, denn um Religionskritik geht es auch in unserem Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon, den Eindruck, dieser Titel „Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche“ sei so etwas wie ein „Allerheiligstes“ dieser Berliner Kirche.
10.
Ändert die Berliner Kirchenführung nicht alsbald diesen unsäglichen Namen für ein so genanntes Gotteshaus, dann werden alle auch im evangelischen Kreisen (Akademien etc…) geführten Debatten über Rassismus und Kolonialismus im allgemeinen unglaubwürdig…

Das Begleitbuch zur Ausstellung im Schloss Charlottenburg:
„Schlösser. Preussen. Kolonial“. Herausgegeben von der Stiftung Preussische Schlösser und Gärten. Berlin-Brandenburg. Sandstein Verlag, 2023, 18 Euro.

Eine wichtige Chronologie der deutschen Kolonialgeschichte: LINK

Zur Umbenennung der nach Kaiser Wilhelm genannten Universität in Münster “Westfälische Wilhelmsuniversität”, siehe den wichtigen Beitrag des WDR: LINK

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Rassismus der Könige von Preußen bzw. der Kaiser aus dem Hause Hohenzollern.

Ein Hinweis von Christian Modehn

1.
Erneut werden wir konfrontiert mit dem Kolonialismus und Rassismus der Kurfürsten von Brandenburg, dann der späteren Könige von Preußen und schließlich der beiden Kaiser Wilhelm: Im Schloss Charlottenburg bietet die Ausstellung „Schlösser.Preußen.Kolonial“ noch bis zum 31.Oktober 2023 überraschende Zeugnisse der Verachtung, Ausbeutung und Versklavung von schwarzen Menschen durch die genannten Herrscher in Berlin. Dokumentiert werden entsprechende herrschaftliche Gemälde mit den damals so genannten „Mohren“, es wird auf Skulpturen verwiesen oder exotische Gebäude, die in königlichen Gärten (wie Sanssouci) bis heute Zeugnisse sind von der europäischen Vormachts-Ideologie. LINK.

2.
Gleichzeitig ist ein empfehlenswertes Buch erschienen, der Titel ist mit dem der Ausstellung identisch (siehe unten). An einige Fakten muss wieder erinnert werden, damit sie sich dem Gedächtnis einprägen.

3.
Erst 1857 wurde in Preußen die Sklaverei verboten. „Jedoch hielt der Zustrom der Versklavten nach Preußen auch danach noch an, da andernorts weiterhin Sklavenmärkte betrieben wurden. Unter ihnen waren Menschen wie Saban El Cher oder Billillee, die man als versklavte Kinder nach Brandenburg brachte“ (Seite 51).

4.
1682 wurde die „Brandenburgisch-Afrikanische Compagnie“ (BAC) gegründet mit ihrer Festung „Fort Großfriedrichsburg“ im Gebiet des heutigen Ghana.

Von 1683 bis 1717 unterhielt Brandenburg im diesem Gebiet eine Niederlassung für den eigenen Sklavenhandel. Dieser Stützpunkt wurde an die in dieser Hinsicht erfolgreicheren Niederländer verkauft, in den Niederlanden wurde die Sklaverei 1863 offiziell abgeschafft.

5.
Die Ausstellung dokumentiert zahlreiche, oft übersehene Zeugnisse des Kolonialismus und Rassismus am preußischen Hof. Die 24 in der Ausstellung vorgestellten Objekte bzw. Gebäude werden zunächst kunsthistorisch beschrieben, dann aber auch philosophisch-politisch bewertet.
Es wird etwa eine Verbindung gezogen von dem Reiterstandbild des Kurfürsten Friedrich Wilhelm (1620-1688), zu dessen Füßen vier in Ketten gefesselte Männer sitzen und knien. Das Denkmal wurde auf Wunsch von Friedrich III., dem späteren König Friedrich I., 1708 errichtet: Er war es, der starke Ambitionen zum Sklavenhandel in Westafrika (dem heutigen Ghana) hatte. In dem genannten Buch wird berichtet: „So soll Kaiser Wilhelm I. nach dem Erwerb von Kolonien ehrfürchtig gesagt haben, dass der nun mit gutem Gewissen vor dieses Reiterstandbild treten könne: Da er, Wilhelm I., das koloniale Vorhaben des Kurfürsten, so wörtlich: `aufgenommen und weiter ausgebildet` habe.“ (S. 13, mit Verweis auf das Buch von Ferdinand Schmidt, `Kaiser Wilhelm I. und seine Zeit`, Berlin 1893 (sic), dort Seite 450).

6.
Von den zahlreichen Beispielen kolonialen und rassistischen Denkens und Handelns in Preußen noch ein Hinweis auf den Skulpturenschmuck des ersten Rondells im Park Sanssouci: Dort sind insgesamt sechs Bildnisbüsten zu sehen, von denen vier Afrikaner darstellen, zwei Männer und zwei Frauen. „Es ist davon auszugehen, dass König Friedrich II.die Skulpturenausstattung im ersten Rondell plante“ (S. 37). Die Büsten der AfrikanerInnen stehen im Park, als der „wilden Urwüchsigkeit der Natur“…Die Gesichter der Schwarzen haben keine Pupillen, sie sind also „blind gegenüber der weißen Zivilisation“ (S.39).

7.
Mit Glasperlen bezahlten die preußischen Kolonisten das Gold und das Elfenbein, das ihnen die Einwohner Afrikas anboten, und auch die Menschen, die als Versklavte nach Amerika wie Handelsware transportiert wurden. Die Glasperlen wurden auf der beliebten Ausflugsinsel auf der Havel, der Pfaueninsel, seit 1678 hergestellt (vgl. in dem genannten Buch S. 55 ff.)

8.
Besondere Aufmerksamkeit verdienen in der Ausstellung die Darstellung der „Schwarzen Hofbediensteten im Preußen des 19.Jahrhunderts“. Von den getauften Afrikanern Heinrich Karl Albrecht Kerallah wird berichtet oder von Karl Ferdinand Theobald Itissa oder Alexander Anastasius Feryallah usw. (S. 102 ff.), sie konnten als exotische Gehilfen am Hof überleben.

9.
Es ist sehr an der Zeit, dass endlich große Ausstellungen, Kongresse und entsprechende kritische, also kirchenunabhängige Publikationen über die Verbindung von (katholischer) Kirche und Sklaverei realisiert werden! Dass dabei auch der Umgang mit der Sklaverei in Israel, also im „Alten Testament“, und etwa in den Paulusbriefen des „Neuen Testaments“ dokumentiert und bewertet werden sollte, ist keine Frage.

10.
Über die Bindungen des Vatikan-Staates an die Sklaverei ist kürzlich in Italien eine Studie erschienen, die leider noch nicht in deutscher Sprache vorliegt. Die an der staatlichen Universität in Rom lehrende Historikerin Marina Caffiero hat ihrer wissenschaftlichen Studie zum Thema der päpstlichen Sklaverei den Titel gegeben: «Die Sklaven des Papstes»; die Studie bezieht sich vor allem auf das 18. und die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts – diese Zeit ist zum Thema Sklaven in Rom also im Papststaat gut dokumentiert.
Von einer offiziellen Abkehr der Bindung der Kirche an die Sklaverei kann erst seit 1890 die Rede sein, damals verfasste Papst Leo XIII. die Enzyklika „Catholicae ecclesiae“, in der die Bischöfe Afrikas zumal zur Bekämpfung der „düsteren Plage der Sklaverei“ aufgefordert werden. Bezeichnenderweise sollte diese Plage wie üblich mit Spenden aus Europa bekämpft werden… (Siehe dazu: Marita Wagner, „Moderne Sklavereien“, Stimmen der Zeit, 2020, S. 587-595)

Zur dringend notwendigen Umbenennung der “Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche” in Berlin als Kirche, als “Gotteshaus”, die an einen Kolonialherren und Rassisten erinnert, siehe: LINK

Zum Kolonialismus Deutchlands bzw. Preußens: Eine Datenübersicht: LINK.

Schlösser. Preussen. Kolonial. Herausgegeben von der Stiftung Preussische Schlösser und Gärten. Berlin-Brandenburg. Sandstein Verlag, 2023, 18 Euro.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

Viel zu viele Kirchengebäude in Frankreich

Nun sorgt sich der Staat um die Zukunft der Gotteshäuser
Ein Hinweis von Christian Modehn

1.
Nicht nur in Deutschland, vor allem im Osten, in den „neuen Bundesländern“, gibt es viele hundert (Dorf)Kirchen entweder in einem desolaten architektonischen Zustand oder in trauriger, ungenutzter Leere. Die Kirchenmitglieder sind eine Minderheit.

2.
In Frankreich beginnt jetzt der Staat, sich um viele selten genutzte, oft verfallene Kirchengebäude zu kümmern. Sie kosten den Kommunen einfach zu viel Geld, wenn nicht neue Konzepte realisiert werden.

3.
Das Thema hat in Frankreich einen anderen Charakter als in Deutschland: Gemäß den Gesetzen der Trennung von Kirchen und Staat aus dem Jahr 1905 ist der Staat für den äußeren Erhalt der Kirchengebäude verantwortlich, aber nur für solche, die bis zum Jahr 1905 errichtet wurden. Um die später errichteten Kirchengebäude haben sich die Kirchen allein zu sorgen.
Aber es sind natürlich viele hundert Kirchen, die vor 1905 errichtet wurden, und die von den Kirchengemeinden genutzt wurden oder noch genutzt werden: Dabei sind die Bistümer für die Pflege und den Erhalt der „inneren Strukturen“ ihrer Kirchen (Mobiliar, Sauberkeit, Farbgebung der Wände etc.) verantwortlich. Und die Katholiken können dem Gesetz entsprechend „ihre Kirchen“ für ihre religiösen Veranstaltungen nutzen, wie sie es und wann sie es wollen. Darauf hat der Staat keinen Einfluss, er muss nur für den äußeren Erhalt der Kirchenmauern sorgen. Und das ist manchmal voller Probleme: Weil die Kommunen wenig Geld haben, machen selbst die noch genutzten Kirchen von außen (und manchmal leider auch von Innen) einen verwahrlosten Eindruck.

4.
Genaue Statistiken gibt es nicht, wie viele Kirchengebäude es denn in Frankreich heute noch gibt, zumal solche, die vor dem Jahr 1905 errichtet wurden. Lediglich die Vereinigung „Observatoire du patrimonie religieux“ verfügt über Schätzungen, danach gehörten etwa 40.000 Kirchengebäude den staatlichen Gemeinden, 500 sind bereits wegen Baufälligkeit total geschlossen, etwa 2.500 bis 5.000 befinden sich in einem bedenklichen architektonischen Zustand…Dazu liegt eine interessante Foto – Dokumentation vor. LINK.  Über umgewandelte Kirchengebäude in ITALIEN fand schon 2016 in Basel eine interessante Azsstellung statt: LINK.

5.
Über die ungewisse Zukunft der vielen (ungenutzten) Kirchengebäude beraten nun französische Politiker: Sie wissen: Wenn sich nur noch 29 Prozent der Franzosen katholisch nennen und die Teilnahme an der Messe in vielen Regionen minimal ist, dann muss gefragt werden: Wie können diese Gebäude, wenn sie denn vor dem Verfall bewahrt werden sollen, zu einer neuen Verwendung kommen. Es geht also um die Zukunft des „patrimonie culturel“, des Kulturerbes, zum dem auch das „patrimonial cultuel“, das religiöse („kultische“) Erbe gehört.
Die Frage ist: Sollen diese Kirchengebäude also der bislang einzigartigen Verfügung der Bistümer und Pfarrgemeinden entnommen werden, „wo es doch eine quantitative Überdimensionierung“ der Kirchengebäude gibt, wie eine entsprechende Studie aus den Editions L Harmattan im Jahr 2006 schon feststellte?

6.
Es gibt auch in Frankreich schon die Praxis, Kirchen, wenn sie denn nicht gut erhalten sind, als Orte für Konzerte und andere Kulturveranstaltungen zu nutzen. Allerdings protestieren dagegen in letzter Zeit immer wieder extrem konservative Katholiken, sie stören diese Kulturveranstaltungen, etwa Orgelkonzerte, in Kirchen. Die politisch und theologisch rechtsextreme Bewegung CIVITAS hat sich entsprechend „betätigt“ und sogar den Abbruch eines Orgelkonzerts als Kulturveranstaltung durchgesetzt. Zur rechtsextremen katholischen Bewegung CIVITAS: LINK.

7.
Die Bischofskonferenz Frankreich will sich im September 2023 mit dem Thema befassen. Die entsprechenden offiziellen „Blockaden“ zu einer erweiterten Nutzung der Kirchengebäude waren noch 1990 üblich, aber sie sind nun wohl angesichts des Zustandes dieser Kirche insgesamt wohl verschwunden.

8.
Die (katholische) Kirchenleitung ist in Frankreich wie auch in Deutschland nicht imstande, neue Konzeptionen für eine dauerhafte lebendige Gestaltung der Kirchengebäude zu entwickeln und genehmigen: Warum können nicht Laien zu Verantwortlichen „ihrer“ Kirchen ernannt werden, zu Moderatoren, zu Inspiratoren, die dann auch in den ebenfalls oft leerstehenden „Pfarrhäusern“ mit ihren Familien oder Partnern wohnen: Das müssen ja nicht Theologen sein, auch Pädagogen, Schriftsteller auf der Suche nach einem „Zusatzjob“, pensionierte Lehrer usw… Sind solche Überlegungen immer nur von dem Argument „kein Geld vorhanden“ abhängig? Wo können und sollten die Kirchenbehörden sparen, um den Menschen in den Dörfern ein lebendiges kulturelles und religiöses Leben in ihren renovierten Kirchen zu ermöglichen? Und warum können diese Kirchengebäude nicht auch anderen Religionen übergeben werden, Protestanten, Juden, Buddhisten, islamischen Sufis oder auch säkularen Humanisten?

9.
Der Abriss alter (Dorf) Kirchen wird selbst von vielen säkularen Franzosen noch als Problem erlebt, weil dann in den (kleinen), entlegenen Dörfern sozusagen alles über das unmittelbare Wohnen Hinausweisende verschwindet: Schulen sind schon geschlossen, die Postämter auch, die Bäckerei auch, die Cafés ebenso. Die Bussverbindungen sind miserabel… Verschwinden nun auch noch die Kirchengebäude und vielleicht auch die Reste einer Kirchengemeinde(- gemeinschaft!), dann ist der esprit, die Aura, der Geist, der Dörfer gänzlich am Ende, sagen manche Dorfbewohner. Dann ist alles nur noch grauer, schwarzer Alltag.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Sexueller Missbrauch durch Kleriker – Hinweise zur Geschichte einer verdrängten und verleugneten katholischen Tradition.

Von Christian Modehn am 22.7.2023

1.
Die sexuelle Missbrauch durch katholische Kleriker ist kein neues Ereignis des 21. Jahrhunderts. Es wird Zeit, einige historische Tatsachen öffentlich zu machen. Und zu zeigen, dass der Schutz der angeklagten Kleriker schon damals vorrangiges Ziel der Hierarchie war. Und das ist mehr als ein „nur-historisches Thema“.

2.

Die Kirchenführung und die Theologen hatten – spätestens seit Einführung des Zölibatsgesetzes im 12. Jahrhundert – das abstrakte Ideal eines keuschen, und deswegen (!) heiligen Klerus vor Augen.
Von pädosexuellen Klerikern sind bis ins 20. Jahrhundert nur wenige Dokumente überliefert. In seiner Studie über die Geschichte der Sexualität des Klerus spricht der Spezialist, der Historiker Georg Denzler, nur undifferenziert von “Homosexualität im Klerus”. Das Thema der so genannten „Pädophilie“ bzw. „Pädosexualität“ unter Priestern und Ordensleuten wird nicht eigens erwähnt. Dabei ist klar, dass das Wort „Pädophilie“ erst Ende des 19. Jahrhunderts verwendet wird. Aber es liegt nahe, dass „Pädophilie“ auch „mit-gemeint“ ist, wenn etwa Konzilien von „Sodomie“ im Klerus sprechen, wie etwa das III. Laterankonzil schon im Jahr 1179. Dort wurde in Kanon 11 bestimmt: Wenn ein Kleriker der „Unzucht wider die Natur verfallen ist, dann soll er aus dem Klerus ausgestoßen und in ein Kloster verbannt werden, um dort Buße zu tun“. (Quelle: Das Buch „Kreuzfeuer“. München 1991, darin der Beitrag von Prof. Denzler, S.106.).
Man erinnere sich: Eine andere milde Strafe fiel auch Papst Benedikt XVI.nicht ein, als er den bekannten pädosexuellen Verbrecher, den Ordensgründer der „Legionäre Christi“, Pater Marcial Mariel, aller seiner hohen Funktionen enthob, aber ihn NICHT den Gerichten übergab, sondern… in ein Kloster zur Buße schickte, aus dem sich der Verbrecher nach Florida (USA) flüchtete…LINK

Da war selbst Papst Pius V. (1572) schon weiter, als er verlangte, dass „sodomitische Priester von der weltlichen Obrigkeit verurteilt werden sollen…“

Frühes Mittelalter: Der heilige Petrus Damiani.

3.

Zunächst muss der heilige Petrus Damiani (geboren 1006 in Ravenna – gestorben 1072 in Faenza, Italien) vor allem wegen seines Buches „Liber Gomorrhianus“ („Das Gomorrah Buch“) aus dem Jahr 1050 erwähnt werden.
Petrus Damiani war Mitglied eines Eremitenordens innerhalb der benediktinischen Tradition, er war Theologe, später auch Bischof von Ostia und dann auch führender Kardinal. In dieser Funktion setzte er sich leidenschaftlich für eine strenge Kirchenreform vor allem für eine „moralische Reinigung“ des Klerus ein. Er zog sich aber im Jahr 1061 aus der Kirchenpolitik in ein Kloster zurück, frustriert angesichts der fortbestehenden „amoralischen Zustände“ im Klerus. „Vielleicht war damals das `Laster` (gemeint ist Homosexualität im allgemeinen) unter dem Klerus so weit verbreitet, dass ein energisches Durchgreifen, wie Petrus Damiani es für notwendig hielt, zu einer spürbaren Dezimierung des Klerus geführt hätte“, so Prof. Denzler, S . 105.

4.

Im Titel seines Buches nimmt Petrus Damiani Bezug auf den alttestamentlichen Mythos von Sodom und Gomorra, in diesem Buch verurteilt Petrus Damiani offenbar auch pädosexuelle Praktiken durch Priester, selbst wenn er diesen Begriff nicht verwendet. Petrus Damiani spricht im 8. Kapitel seines Buches vom Umgang des Beichtvaters mit seinen „spirituellen Söhnen“, die vom Priester selbst missbraucht wurden. So Pierre J. Prayer, in seinem Buch, erschienen in Waterloo, Ontario, 182, S. 14. LINK
Im katholischen „Dom-Radio“ (Köln) schreibt Anselm Verbeek am 23.2.2022: „Gegenüber Papst Leo IX. prangerte Petrus Damini,`das höchst unflätige Leben im Klerus` an. Er empörte sich über `Unzucht und Missbrauch von Minderjährigen unter dem Deckmantel der Religion`.”

5.

Die Hinweise des Petrus Damiani zu sexuellem Missbrauch an „Spirituellen Söhnen“ dienten nicht der Aufklärung in der damaligen klerikal bestimmten Gesellschaft. Sie sind dem Autor Petrus Damiani wichtig, weil er jegliche praktizierte Sexualität, mehr noch: jegliche Akzeptanz von Leiblichkeit im Klerus aufs schärfste verurteilt. Wäre Petrus Damiani ein objektiver (und damit kirchenkritischer) „Aufklärer“ gewesen über die Vertuschungen der Pädokriminaliät im Klerus, dann wäre er gewiss nicht 1828 zum katholischen Kirchenlehrer feierlich ernannt worden und zu einem Heiligen, den übrigens Kardinal Ratzinger sehr lobte. Petrus Damiani gilt heute als der radikale Feind jeglicher Sexualität außerhalb der Ehe.

6.

Aber der Heilige empfiehlt dann die in Klerikerkreisen übliche Geheimhaltung des Missbrauchs: In einem Schreiben an Papst Nikolaus II. behauptet Petrus Damiani: „Würde die Unzucht bei den Priestern geheim betrieben, so sei es zu ertragen, aber die öffentlichen Konkubinen, ihre schwangeren Leiber, die schreienden Kinder, das sei das Ärgernis der Kirche“, berichtet wikipedia.

7.

Es ist ein Beleg für die Oberflächlichkeit katholischer Theologie und katholischer Geschichtsforschung, wenn in dem durchaus repräsentativen umfangreichen Band „Reformer der Kirche“ (Mainz 1970) ein Beitrag des katholischen Theologen und Historikers Jean Leclercq über Petrus Damiani erscheint. Und darin mit keinem Wort dessen Buch „Liber Gomorrhianus“ erwähnt wird (S. 540 f.). Hingegen wird berichtet: Er sei „ein Fürsprecher der freiwilligen Geißelung“ gewesen (S. 541) und habe diese Form des frommen Masochismus auch selbst praktiziert.
Nebenbei: Wen wundert es dann noch, dass dieser strenge Masochist heute in der katholischen Kirche offiziell als „Patron und Helfer gegen Kopfschmerzen” verehrt werden darf, so der Wikipedia Beitrag (Deutsch) über Petrus Damiani.

Missbrauch im Orden der Schulpriester, auch „Piaristen“ genannt, im 17. Jahrhundert.

8.

Der sexuelle Missbrauch durch Priester hat eine lange Tradition auch im 17. Jahrhundert. Sie wird deutlich greifbar in der umfassenden historischen Forschung von Karen Liebreich, sie studierte die Frühgeschichte des Ordens der “Piaristen”, der „Schulpriester“, gegründet vom heiligen Joseph Calasanz, 1617 von Papst Paul V. offiziell in Rom als Orden bestätigt. Calasanz lebte von 1557 – 1648.

Die Historikerin Karen Liebreich hat im Jahr 2004 ihre Studie „Fallen Order“ in New York, publiziert. Sie hatte Zugang zu entsprechenden Archiven in Rom, Florenz usw… Der Orden der Schulpriester hatte sich zu Beginn vor allem für den Unterricht armer Kinder (Jungen) in eigenen Ordensschulen engagiert. Und unter den Lehrern, den Ordenspriestern, sammelten sich bald – bei dieser „Spezialisierung“ auf den Unterricht von Knaben – tatsächlich Pädophile. „Bekannte pädophile Priester wurden von einer Ordens – Schule der Piaristen in die andere versetzt und so wurde Ihnen Zugang zu Kindern ermöglicht. „Der Ordensgründer Calasanz wusste doch, was geschieht, wenn Männer und Jungen miteinander allein gelassen werden, seine Schriften und seine Regeln für die Schule zeigen das“, schreibt Karen Liebreich auf S. 269. Aber die pädophilen Priester im Orden vernetzten sich, versuchten erfolgreich, Einfluss und Macht im ganzen Orden zu gewinnen: „Der Ordensgründer Joseph Calasanz wusste, was da an Missbrauch geschah, ebenso wie die Kardinäle, die Bischöfe und letztlich auch der Papst“ (ebd.). „Aber der Skandal der pädophilen Schulpriester wurde ignoriert, um den Ruf eines wichtigen Klerikers mit einflußreichen familiären Beziehungen zu schützen“. Und der Ordenspriester Stefano degli Angeli Cherubini (geb. 1600) wurde sogar noch mit vollem Wissen des Papstes sogar im Jahr 1643 oberster Chef des Ordens.

9.

Der Ordensgründer Calasanz deckte den pädophilen Verbrecher nun auch als seinen Vorgesetzten im Orden. „Kindesmissbrauch durch Ordenspriester wurde von Calasanz ignoriert und „zugedeckt“, und in jedem Fall „war immer seine erste Priorität der gute Rufe des Ordens und die Reputation der betroffenen Mitbürger“ (S. 257). „Erst als die Tatsachen auch in der Öffentlichkeit bekannt wurden, wurde der Orden der Schulpriester als Orden verboten, eine noch nie dagewesene Aktion der Kirche“ (ebd.). Das geschah 1646, immerhin hatte Papst Innozenz X. den Mut, einen von pädophilen Klerikern durchsetzten Orden zu verbieten. Aber 10 Jahre später konnte der Orden natürlich mit päpstlicher Erlaubnis (durch Alexander VII.) seine Aktivstem wieder aufnehmen… er hat seitdem eine nach außen hin erfolgreiche Geschichte mit vielen prominenten Schülern…
Roland Machatschke (Wien), Journalist und Mitarbeiter der Wiener Piaristen, hat einen ausführlichen Vortrag über die frühe Geschichte des Piaristen-Ordens veröffentlicht: LINK

10.

In dem umfassenden Lexikon  „Reformer der Kirche“ (hg. von Peter Manns, Mainz 1970), wird in dem Beitrag über den heiligen Joseph Calasanz, Seite 904-907) mit keinem Wort der sexuelle Missbrauch etwa durch Pater Cherubini erwähnt. Er wird nur als ein „Ehrgeiziger“ beschrieben, der „reiche Gönner hatte“ (S. 906). Als Ordensgeneral (1643) wurde Cherubini entlassen, aber die Autorin Hilde Firtel nennt als Grund nur „Unterschlagungen“, nicht sexuellen Missbrauch. Der Herausgeber Peter Manns, Mainz, war Professor für Kirchengeschichte in Mainz… er galt als „katholischer Luther-Spezialist“…

11.

Zu einer Auflösung eines korrupten Ordens waren die Päpste Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus nicht bereit oder nicht in der Lage, als es darum ging, wegen der pädosexuellen Verbrechen Pater Marcial Maciels von den „Legionären Christi“ diesen Orden zu verbieten und aufzulösen, ein Vorschlag, der vielfach von Opfern Pater Maciels vorgebracht wurde… Aber der Einfluß des Ordensgründers unter den Kardinälen, seine öffentlich bekannte Freundschaft mit Papst Johannes Paul II., sein bekannter finanzieller Reichtum, seine vielen einsatzbereiten jungen Priester usw. verhinderten wohl die Auflösung dieses von vielen für korrupt gehaltenen Ordens…Verschiedene Studien zu den “Legionären Christi”:
LINK

Missbrauch im „Merzedarier-Orden“ im Spanien des 17. Jahrhunderts

12.
Über einen pädosexuellen Ordenspriester im Spanien des 17. Jahrhunderts liegt eine kleine historische Studie vor, sie hat Prof. Raphael Carrasco verfasst unter dem Titel „Sodomiten und Inquisitoren im Spanien des 16. und 17. Jahrhunderts“. Die Studie ist erschienen in dem Sammelband „Die sexuelle Gewalt in der Geschichte“, hg. von dem Historiker Alain Corbin, Wagenbach Verlag, 1992, dort S. 45-58. Die französische Ausgabe erschien 1989. Das Buch ist auf Deutsch nur noch antiquarisch verfügbar…Raphael Carrasco (Montpellier) geht der Frage nach: Wie konnte sich ein hoher Kleriker, des sexuellen Missbrauchs angeklagt, im Spanien des 17.Jahrhunderts aus der Affäre ziehen, nur weil er ein Kleriker war und „der gute Rufe der Kirche bewahrt werden musste“.

13.

Prof. Raphael Carrasco stellt in seinem Aufsatz den sexuellen Missbrauch eines Mönchs zunächst in den größeren Zusammenhang der Homosexualität (damals Sodomie genannt) im „Inquisitionsbezirk Valencia“ im 16. und 17. Jahrhundert. Schon 1497 hatten die „Katholischen Könige“ dort für Sodomiten die Strafe des Feuertodes festgelegt. In einem grundlegenden Text der katholischen Könige heißt es: „Es handelt sich um die Bestrafung des abscheulichen Delikts, das schon der namentlichen Erwähnung unwürdig ist, das Delikt zerstört die natürliche Ordnung, es wird durch Gottes Urteil gestraft, etwa durch Pestilenzen und andere Plagen“ (S. 46).
Im Gericht von Valencia war mit „19 Prozent der wegen Sodomie Angeklagten die Gruppe der Kleriker (die nicht weniger als 1 % der Bevölkerung repräsentierte), mit Abstand der höchste Anteil…Von 1575 bis 1590 wurden in Valencia vier Kleriker verbrannt, in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurden schwere Strafen gegen Kleriker, Galeere und Zwangsarbeit, verhängt“ (S. 54).

14.

Auch damals setzte sich der Schutz der Kleriker als oberstes Prinzip im Umgang mit sexueller Gewalt durch Priester durch: „Das Tribunal handelte allerdings mit äußerster Vorsicht, denn die verschiedenen Orden zeigten sich in der Verteidigung ihres guten Rufes ganz besonders aktiv“ (S. 54). Damals wie heute: Die Orden behaupten, sie müssen zuerst und vor allem ihre Mitglieder schützen … und nicht die Opfer…

15.

Raphael Carrasco konzentriert sich dann in seinem Aufsatz auf den Fall des Paters Joan Nolasco Risón aus dem Orden der „Merzedarier“ (dieser Orden besteht noch heute mit der Ordensabkürzung O.de.M.).
Pater Joan Nolasco Risón war Novizenmeister, also offiziell zuständig für die die Förderung der Spiritualität der jungen Männer, die damals im Alter von 16 Jahren in die Orden als Kandidaten und mögliche Mtglieder eintraten. „Der Novizenmeister hatte in seinem Konvent unaufhörlich und erfolgreich sexuellen Druck auf die jungen Leute ausgeübt, die ihm anvertraut waren“.
Pater Nolasco Risón hatte in seinem Kloster durch seine offensichtlichen „Aktivitäten“ eine Spaltung bewirkt: Es gab seine Komplizen, „die er anderswo auf günstigen Posten unterbrachte und die bis dahin seltsame Vorrechte genossen, und auf der anderen Seite die Reinen, die Schamhaften, Empörten sowie alle, die verfolgt und tyrannisiert wurden, weil sie dem Werben des Meisters widerstanden hatten“ (S. 55).
Es gab etwa einen kritischen Ordensbruder, Pater Jeronimo Ramirez, der dem sexuellen Missbrauch des Paters Nolasco Rison Einhalt gebieten wollte. Und was passierte? Der ganze Orden wollte den „guten Ruf“ bewahren, man beeinflusste den kritischen Pater Jeronimo Ramirez und versuchte, ihn zu überzeugen, doch bitte den prominenten Mitbruder im Orden nicht zu denunzieren. Aber die sexuell missbrauchten Novizen rebellierten. Und was tat der Beschuldigte? Pater Risón „versuchte die Novizen mit einer heftigen Rede voller unterschwelliger Drohungen einzuschüchtern“. (S. 55). Aber die Einschüchterungen nützen nichts. Die Inquisition hatte die Novizen zu Zeugenaussagen vorgeladen. „Diese Zeugenaussagen sind heute eine ganz außergewöhnliche Quelle für das Leben in den Novizinnen der Klöster am Ende des 17. Jahrhunderts.“ (S. 55).

16.

Die kirchliche Inquisitionsbehörde gab aber 1687 dem staatlichen Gericht die Zustimmung, Pater Risón (damals 54 Jahre alt) zu verhaften, allerdings „unter größter Geheimhaltung“, betont der Autor des Aufsatzes Raphael Carrasco (S.55). Wie zu erwarten: „Der Prozess gegen Pater Nolasco Rison versandte im Ermittlungsverfahren. Der Oberste Rat (der Inquisition) dachte, die zwangsläufig skandalöse Arznei, also die Bestrafung des Paters – sei schlimmer als die Krankheit (der sexuelle Missbrauch von Kindern“, S. 55. Der Verbrecher wurde also frei gesprochen, er u.a. war danach ein beliebter Prediger, im Jahr 1700 ist er verstorben.
In einem Lexikon Beitrag der „Königlichen Akademie der Geschichte“ in Madrid (verfasst von Manuel Alvar Lopez) ist von den Verfehlungen des Priesters Rison keine Rede.

Missbrauch durch einen Jesuiten im Frankreich des 18. Jahrhunderts

17.
Es geht um den Missbrauch durch den Jesuitenpater Jean-Baptiste Girard (1680-1733). Er wurde 1731 angeklagt, das Mädchen Marie-Cathérine Cadière im Beichtstuhl zum Sex verführt zu haben mit späterer Anstiftung zur Abtreibung. Der Skandal war damals in Frankreich sehr oft besprochen worden. “Die Aussagen anderer Beichtkinder Girards stützten die Anklage, doch wurde der Angeklagte am 10. Oktober 1731 in Toulon freigesprochen. Er musste allerdings in seine Geburtsstadt Dole zurückkehren, wo er bereits zwei Jahre später starb“ (Quelle: Wikipedia Beitrag, deutsch, über Jean-Baptiste Girard).

18.

Der philosophisch gebildete Schriftsteller Jean-Baptiste d` Argens ( 1703-1771) hatte über dieses Ereignis einen dicht am Ereignis orientierten Roman geschrieben, er wurde 1748 veröffentlicht unter dem Titel „ Thérèse Philosophe. Memoiren zu Ehren der Geschichte von Pater Dirrag und Mademoiselle Eradice“. Noch wird darüber debattiert, ob d` Argens tatsächlich der Autor des Romans ist. Der Marquis de Sade war von d` Argens als Autor überzeugt. Der Romanautor hatte den Jesuitenpater dann Dirrag genannt, die Leser wussten, wer gemeint ist.

19.

Der Historiker und Spezialist für die Literatur im Frankreich des 18. Jahrhunderts Robert Darnton hat diesen Roman als pornographischen Text gewürdigt. (Quelle: „Denkende Wollust“, Frankfurt am Main 1996, S. 7 – 44). Interessant ist der Hinweis Darntons: Die großen (staatlichen) Bibliotheken damals verwahrten diesen und andere “Porno”-Romane unter der Rubrik „l` Enfer“, „Die Hölle“, unter Schloss und Riegel.
Die “Porno”-Romane (hinsichtlich der Darstellungen sicher weit entfernt von entsprechenden Texten des 20. und 21. Jahrhunderts) waren im 18.Jahrhundert in Frankreich weit verbreitet und es gab viele entsprechende Publikationen, sie zeigten die sexuelle Freiheit einer bestimmten (hohen) Gesellschaftsschicht. Und sie waren in der Darstellung der Freiheiten, die sich einzelne Männer nahmen, auch ein versteckter Impuls an die Leser, sich auch die Freiheiten, vielleicht auch politische Freiheiten zu nehmen.

20.

Im Roman „Thérèse Philosophe“ verführt und missbraucht der Jesuitenpater und geistliche Betreuer Dirrag (Pater Girard) das fromme Mädchen durch seine spirituellen Geschichten, die auf Wahn beruhen: Etwa, dass die sexuelle Hingabe des Mädchen zu einer Erhebung der Seele führe oder dass Wunderwerkzeuge des heiligen Franziskus bei der Penetration zur Anwendung kommen. Interessant ist, dass damals schon der sexuelle Missbrauch durch Priester mit der Erfindung „heilsamer” religiöser Zusammenhänge begründet wurde, auch Pater Marcial Maciel argumentierte so, als er Jungen und Jugendliche missbrauchte…

21.

Es gab zu Zeiten des ancien régimes (aber auch schon vorher) die “prisons ecclésiastiques“, also die kirchlichen und kircheneigenen Gefängnisse, die in Klöstern untergebracht waren oder auch in Priesterseminaren. Es ist meines Wissens bisher nicht untersucht worden, ob in diesen “Klostergefängnissen” auch Priester eingesperrt wurden, die sich des sexuellen Missbrauchs schuldig machten. Vieles deutet darauf hin, dass auch Kleriker von ihren Oberen eingesperrt wurden, die sich der “libertinage” schuldig gemacht hatten…

Diese “Kirchlichen Gefängnisse” in Klöstern sind ein Thema, das bisher in Deutschland wenig Beachtung fand. In Frankreich hat etwa der Historiker Bernard Plongeron in seiner Studie”La vie quotidienne du clergé francais au 18. Siecle” (Hachette, Paris 1974, S. 65 f.) auf dieses Thema hingewiesen; eine größere Studie ist “À propos de la prison ecclésiastique sous l’Ancien Régime” von Jean-Pierre Gutton, erschienen in “Presses universitaires François-Rabelais” (1995).

Kurze Zusammenfassung

22.

Diese Beispiele sind nur Fragmente aus einer langen Geschichte des Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen durch katholische Kleriker. Es sind eben nur Fragmente, weil die Hierarchie entsprechende Dokumente meist umfassend vernichtete und Spuren verwischte, „um den guten Ruf der Kirche zu schützen“, wie es im Laufe der langen Missbrauchsgeschichte immer heißt. Und der Zölibat des Klerus bot Pädophilen einen Schutzraum, in dem sie sich, zur Ehelosigkeit verpflichtet, als sexuelle Einzelgänger förmlich ausleben und austoben konnten … und können.

Leider ist eine wichtige Studie vergriffen: Hertha Busemann: „Der Jesuit (Girard) und seine Beichttochter. Die Faszination eines Sittenskandals in drei Jahrhunderten“. BIS, Bibliotheks- u. Informationssystem d. Univ. Oldenburg. Mit e. Vorw. von Ernst Hinrichs. Oldenburg 1987.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Unruhen in Frankreich: Was sagt die katholische Kirche?

Beten und Appellieren

Frankreichs Katholiken und Muslims in der Krise Frankreichs Juni-Juli 2023

Ein Hinweis von Christian Modehn am 2. 7.2023

1.
Die katholischen Bischöfe Frankreichs haben am 1.Juli 2023 „die Katholiken in unserem Land“ offiziell zum Gebet aufgerufen. Gemäß der uralten Theologie sind sie überzeugt, dass Gott im Himmel das Gebet seiner Gläubigen hört und erhört und als Gott vom Himmel aus dann auch – möglichst – wunschgemäß handelt… Über diese Theologie gäbe es vieles kritisch zu sagen. Bittgebete in höchster Not sind immer Versuche der leidenden Menschheit, sich höchsten, himmlischen Mächten anzuvertrauen. Sozusagen als „Schreie der leidenden Kreaturen“, wie ein berühmter Soziologe, Karl M,.einst treffend sagte…
2.
ABER: Bittgebete, formuliert von einer Bischofskonferenz in einem Frankreich, das zu zerreißen und zu zerbrechen droht, sind doch ein bißchen sehr wenig, könnte man denken.
Könnten Bischöfe in Frankreich noch Vermittler zwischen den Fronten sein? Eher nicht, dafür ist der gute Ruf der Kirche, zumal der Bischöfe, angesichts sehr vielfacher Missbrauchs-Skandale seit Monaten ruiniert. LINK   Aber die Bischöfe könnten immerhin vorschlagen, dass bestimmte kirchliche Orte, Gemeindehäuser, Kirchen als Orte des Dialogs genutzt werden, falls ein Dialog jetzt möglich ist.
3.
In jedem Fall könnten die Bischöfe bekennen: Was die Kirche selbst alles auch versäumt hat in ihrer Vernachlässigung der Menschen in den Banlieues der großen Städte. Nachweislich ist die Tatsache, dass sich Priester und Jugendmitarbeiter etc. lieber in den behüteten Vierteln des schönen Paris oder Lyon oder Toulouse usw. aufhalten, als in den belasteten und ungemütlichen Regionen der Banlieues.
Banlieue bedeutet ja auch so etwas wie Bannmeile, meint Orte der Verbannten, der Armen, der aus den Stadtzentren Vertrieben , aufgrund der Immobilien-Spekulation, also der Gier der Reichen….Banlieues sind belastete Orte, auch wegen der Herkunft der dortigen Bewohneer vor allem aus arabischen, muslimischen Ländern. Sie erleben Ausgrenzung und Rassismus, das ist ein uraltes französisches Thema, tausend mal beschrieben… Aber selten politisch beachtet.
Diese Vernachlässigung der Kirche gegenüber den Menschen in den Banlieues ist eine Tatsache und auch statistisch nachweisbar. Die schwierige Sozialarbeit in den Banlieues überlässt man lieber wenigen mutigen, jetzt überalterten Ordensleuten (Fils de la Charité, Mission de France …etc.). Mit anderen Worten: Man könnte ein Eingeständnis eigenen Versagens erwarten als nur die Aufforderung „Beten!“.

4.
Das Gebet der Bischöfe vom 1. Juli 2023 hat diesen Inhalt:
„Nous te prions, Seigneur, pour le retour au calme et à la paix dans notre pays.
Nous te confions Nahel et nous prions pour ses proches. Que l’Esprit de lumière et de paix les soutienne.
Nous te confions les blessés de ces nuits de violence, ceux et celles aussi dont les lieux de vie ou de travail ont été détruits ou endommagés.
Nous te prions, Seigneur, pour les personnes engagées dans les forces de l’ordre et les services de l’Etat, soumis à de fortes pressions et parfois attaqués.
Inspire-nous, pour qu’avec les croyants d’autres confessions chrétiennes et d’autres religions ainsi qu’avec l’ensemble de nos concitoyens, nous sachions être des artisans de dialogue et de paix.
Nous te supplions encore : qu’au-delà même des explosions actuelles, notre société sache identifier avec lucidité les sources de la violence et trouver les moyens de la dépasser.“ (Quelle: Offizielle website der Conférence des évêques de France).

Eine Übersetzung:

„Wir bitten dich, Herr, für die Rückkehr zur Ruhe und zum Frieden in unserem Land.
Wir vertrauen dir Nahel (den von einem Polizisten getöteten Jugendlichen, CM) an und wir beten für seine Angehörigen. Und dass der Geist des Lichtes und des Friedens sie unterstütze.

Wir vertrauen dir die Verwundeten der Gewaltnächte an, auch diejenigen, deren Wohnungen und Arbeitsstätten zerstört oder beschädigt wurden.
Wir bitten dich Herr, für die in den Ordnungskräften und in den staatlichen Diensten engagierten Personen, die starkem Druck unterworfen sind und manchmal attackiert werden.

Inspiriere uns, dass wir mit den Gläubigen anderer christlicher Konfessionen und anderer Religionen sowie mit der Gesamtheit unserer Mitbürger es verstehen, Schöpfer des Dialogs und des Friedens zu sein.
Wir bitten dann auch noch: Dass, jenseits der aktuellen Explosionen (sic, CM), es unsere Gesellschaft versteht, mit Klarheit die Quellen der Gewalt zu identifizieren und die Möglichkeiten findet, die Gewalt hinter sich zu lassen“ (Übersetzung: Christian Modehn).

BEMERKENSWERT an dem Gebet ist u.a., dass die Bischöfe nicht das Wort Krawall und schon gar nicht den Begriff “Revolte” verwenden zur Beschriebung der “Krise”. Der Soziologe Sami Zegnani von der Universität Rennes deutet die gegenwaärtige Situation als Revolte. “Es gibt eine Reihe von Problemen, die seit 2005 nicht vorangekommen sind”, betont die führende Soziologin Stéphanie Vermeersch vom Forschungsinstitut CNRS.

Am 30.Juni 2023 haben die Verantwortlichen für „religiöse Kulte in Frankreich“ (CRCF) (also eine inter-rreligiöse Vereinigung aller Religionen) eine Stellungnahme veröffentlicht.
Darin heißt es: „Wir teilen den Schmerz der Familie von Nahel.. wir verstehen (entendons) das Leiden und die Wut, die sich jetzt ausdrücken, wir bedauern die Zerstörungen…Mögen Gläubige heute mehr als jemals zuvor Diener des Friedens sein und des Allgemeinwohls….
(Quelle: https://www.la-croix.com/Religion/Mort-Nahel-Nanterre-responsables-religieux-invitent-lapaisement-2023-06-30-1201273775)

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

Wenn der Klerus die Gläubigen vertreibt. Der Zusammenbruch der katholischen Kirche in Frankreich heute.

Ein Hinweis von Christian Modehn

Vorwort 1:
Eine bestimmte Kultur verschwindet in Europa: Die von den Kirchen, zumal der katholischen Kirche, geprägte Kultur. Das Verschwinden wird sichtbar nicht nur am Umgang mit „nicht mehr verwendbaren Kirchen-Gebäuden“, auch am Mangel an „klerikalem Personal“, an der Vergreisung des Klerus, dem Zusammenschluss vieler Gemeinden zu einer einzigen anonymen, so genannten „Groß-Gemeinde“, sondern vor allem im systematischen Abschied („Austritt“) vieler (einst?) religiöser Menschen (Kirchenmitglieder). In den letzten Jahren vertreibt der geradezu massenhafte sexuelle Missbrauch durch angeblich zölibatäre Kletiker, auch Bischöfe, die Gläubigen. Sie können und wollen einem Kirchensystem nicht mehr vertrauen, das total von diesem Klerus beherrscht wird.

Dieser Trend wird seit Jahrzehnten dokumentiert in zahllosen soziologischen Untersuchungen. Unser Thema ist also alles andere als ein „bloß-kirchliches“. Es ist ein Thema des kulturellen Umbruchs. Wohin dieser Abschied von den Kirchen führt, philosophisch: zu welchen neuen Göttern er führt, ist bereits sichtbar: Für die westliche Welt sprach bereits Pasolini vom all-herrschenden Konsumismus…Aber das ist ein anderes Thema.
Die Situation im Nachbarland Frankreich ist dabei besonders erhellend bzw. „dramatisch“, wenn man in einem kirchlichen Werte-System denkt. In Frankreich ist die entsprechende religionssoziologische Forschung seit Jahrzehnten sehr viel umfassender als etwa in Deutschland…

Vorwort 2:
Dieser Beitrag wurde von mir am 15.5.2023 verfasst, und am 26.5.2023 in der Zeitschrift „Publik-Forum“ (Seite 38 f.) veröffentlicht. Unter dem von der Redaktion bestimmten Titel „Die Katastrophen-Kirche“. Dieser Titel wurde durch ein Foto vom verheerenden Brand der Kathedrale Notre Dame de Paris illustriert. Dabei ging es mir nur um den Zusammenhang: Französische Kleriker in ihrer nun öffentlichen, nachweislichen Perversion zerstören diese Kirche, zerstören den katholischen Glauben…natürlich gilt dieses Urteil nur vorausgesetzt, man findet diese (Klerus-)Kirche noch persönlich relevant…
Vorwort 3:
Nach der Veröffentlichung in PUBLIK FORUM Ende Mai 2023 wurden immer mehr Untaten des französischen Klerus freigelegt … und neueste Umfragen dokumentieren weiter den Niedergang des französischen Katholizismus sowie den Trend zu einem konservativen, oft reaktionären frommen Club der „Tradis“, wie man in Frankreich sagt, also der „Traditionalisten“. Der weit gefasste Begriff „Tradis“ bezieht sich auf die Nostalgiker und Verteidiger der alten lateinischen Messe, der hierarchischen Ordnung, des Systems der Dogmen und katholischen Moral. Also der Begriff „Tradi“ ist weiter als der übliche Begriff der Traditionalisten, vertreten durch die Pius-Brüder: Sie folgen explizit zu den Überzeugungen des reaktionären Chefideologen und Konzils-Feindes Erzbischof Marcel Lefèbvre und seiner katholischen Sonder-Gruppe…

Intermezzo:
Wenn der Papst lieber tagelang in die Mongolei reist und nur einen einzigen Tag in Frankreich zu bleibt.
Es erstaunt, dass diese von Krisen zerrissene, theologisch gespaltene, personell völlig ausgelaugte Kirche von Papst Franziskus an einem einzigen Tag, am 23. September 2023, in Marseille, besucht werden wird!……Viele Beobachter schmunzeln heftig, dass Papst Franziskus die 1.300 Katholiken (sic) der Mongolei (3,5 Millionen Einwohner) 5 Tage lang (vom 31.8.bis 4.9.2023) besuchen wird, offenbar will er jedem der dortigen Katholiken persönlich die Hand schütteln etc. Oder er will in der Hauptstadt Ulaanbaatar, also in der Nachbarschaft Russland UND Chinas, seine exklusiv-päpstliche Friedensmission zugunsten der Ukraine (?) starten…
Aber in Frankreich müsste der Papst wohl ein Jahr bleiben, um den Niedergang seiner Kirche dort zu erleben… Mit diesen Worten ist selbstverständlich nichts gegen die Mongolei gesagt…Aber vieles gesagt über die gar nicht so heftigen Interessen des Papstes an Europa, etwa an Frankreich, Deutschland (die causa Woelki!) , die Niederlande usw.

Vorwort 4.
Der folgende Beitrag wird ergänzt durch Hinweise auf neueste Entwicklungen, diese Hinweise sind kursiv gesetzt. Die Fußnoten sind wie üblich als Belege der Authentizität gemeint.

Vorwort 5. Die ganze gegenwärtige Katastrophe wurde schon Ende des 20. Jahrhunderts sichtbar:

Es wird daran erinnert, dass im Jahr 2000 der Priester René Bissey zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt wurde wegen heftigsten sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendichen. Bissey war Priester des Bistum Lisieux-Bayeux. 2001 wurde der dortige Bischof Pierre Pican zu drei Monaten Gefängnis (mit Aufschub, wie es in Frankreich heißt) verurteilt. Der Bischof hatte in vollem Wissen über die “Neigungen” Bisseys diesen immer wieder in andere Pfarrgemeinden versetzt. Der Leiter der päpstlichen “Kleruskommission” in Rom, Kardinal Castrillon Hoyos (aus Kolumbien) lobte explizit Bischof Pican für sein Verhalten! Pican berief sich auf das Beichtgeheimnis (!) als Grund, den Priester Bissey nicht angezeigt zu haben. Und Kardinal Castrillon Hoyos betonte überdies, dass Papst Johannes Paul II. ihn ermächtigt habe, diesen “Gratulationsbrief” an Bischof Pierre Pican zu senden. Es warals auch im Sinne des polnischen Papstes  richtig, dass Kleriker andere Kleriker schützen und deren Untaten vertuschen! (Quelle: Corrdo Augias, Die Geheimniss des Vatikan”, München 2011, S. 447).

Bischof Pican blieb trotz des damals schon heftigen Sklandals bis 2010 Bischof von Lisieux. Pierre Pican (aus dem Salesianerorden) war also munter weiter Teil der Bischofskonferenz, es blieb also alles “ganz normal”, wie gehabt in Kleruskreisen, der als Klerus nur das eine Ziel hat: Sich selbst in seiner über alles und alle erhobenen Sonderrolle zu schützen … und zusammenzuhalten. Die anderen Priester sind doch alle, so die offizielle Sprachregelung in diesen Kreisen, Mit-Brüder…Einen Bruder verrät man doch nicht. Das ist doch auch das Grundgesetz der Mafia…

Vorwort 6.

Der “Aufstand” die “Krawalle”, die Rebellion in Frankreich seit Ende Juni 2023 hat auch die Religionsführer zu Stellungnahmen veranlasst. Der Katholischen Bischofskonferenz fiel bis zum 3.Juli 2023 nichts anderes ein, als ein Gebet zu formulieren: Es soll in den Messen und privat gesprochen werden. LINK.

DER TEXT:
(Der Text, an PUBLIK-Forum übermittelt, vor der redaktionellen Bearbeitung!)
1.
„Die französische Kirche ist die älteste Tochter der Mutterkirche in Rom.“ Das war der Stolz von Frankreichs Katholiken: Diese gotischen Kathedralen, die Wallfahrtsorte, die MystikerInnen und MissionarInnen, man dachte an berühmte katholischen Dichter und Philosophen, an Konzils-Theologen und Arbeiterpriester: Alles galt als Beweis, dass Gottes Geist in dieser Kirche herrscht.
2..
Und jetzt scheint die „älteste Tochter der Kirche“ von guten Geistern verlassen zu sein, sie ist ausgezehrt und abgemagert. Diese Diagnosen stellen Religionssoziologen. Guillaume Cuchet gibt seiner neuesten Studie den Titel: „Hat der Katholizismus noch eine Zukunft in Frankreich?“ (1). Durchaus eine rhetorische Frage. Genauso der aktuelle Titel der Religionssoziologen Danièle Hervieu-Léger und Jean-Louis Schlegel: „Implodiert die Kirche?“ (2). Ihnen sagt eine Religionslehrerin: „Bei uns ist das Christentum am Ende“. Die Katechetin (73 Jahre alt) soll 1.500 SchülerInnen an staatlichen Schulen den Glauben lehren. Nur 11 haben sich angemeldet (3).
3.
Repräsentative Umfragen der Religionssoziologen zeigen ungeschminkt die Realität: 29 % der Franzosen bekennen sich 2023 zur katholischen Kirche, vor 12 Jahren waren es 64 % (4). Die stärkste „Konfession“ bilden jetzt Atheisten und Skeptiker, noch vor den Muslims. An der Sonntagsmesse nehmen regelmäßig 2 % der Gläubigen teil, vor 50 Jahren waren es 16 %. Die Kirche hat bald kein klerikales Personal mehr: Nur 130 Priester wurden 2022 geweiht, 800 sind in dem Jahr gestorben (5). Knapp die Hälfte der Kleriker ist jünger als 75 Jahre. Überleben können die Pfarrgemeinden nur durch den „Import“ von 2.000 Priestern aus Afrika. Auf dem Land versorgt ein Priester 20 Dorfgemeinden, „sie sind nur Mess-Feier-Stationen“ geworden. Priester werden im Stress krank: Eine Studie der Bischofskonferenz zeigt: Viele sind depressiv, Suizid gefährdet, neigen zum Alkoholismus, zur Fettleibigkeit…(6). Nur wenige Laientheologe arbeiten in den Pfarreien, ein angemessenes Gehalt können die Bischöfe nicht zahlen (8). Ohne Kirchensteuer, überlebt die französische Kirche durch Spenden. 650 Millionen Euro standen der ganzen Kirche Frankreichs 2020 zur Verfügung (7). Alle Diözesan-Priester, auch die 118 Bischöfe, erhalten das Einheits-Gehalt von etwa 1.600 Euro, eine Folge der Trennung von Kirchen und Staat. Aber diese „laicité“ wird als „Ausdruck der kirchlichen Freiheit“ von Bischöfen akzeptiert!
4.
Ideologische Angriffe hat die Kirche oft erlebt, jetzt häuft sich der Vandalismus in Gotteshäusern (9). Unklar ist: Sind Islamisten, Verwirrte, Atheisten die Täter? Aber Attacken sind Antworten auf Missstände innerhalb der Kirche! Die aktuelle Krise ist eine „innere Krankheit“, ein Zusammenbruch des „Leibes Christi“, so definiert sich ja der Katholizismus.
5.
Von „schweren Erdbeben“ (10) spricht Danièle Hervieu-Leger. Auf Dauer grundstürzend ist das Ausmaß des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen durch Priester, aber auch einige Nonnen. Die Studie einer kirchenunabhängigen (!) Kommission unter Leitung des Juristen Jean-Marc Sauvé hat 2021 dokumentiert: Mindestens 216.000 Kinder und Jugendliche wurden seit 1950 Opfer sexueller Gewalt durch etwa 3000 klerikale Täter (11). Die Antwort der Bischofskonferenz? „Das kirchliche System muss repariert werden“. „Reparaturen“ also, keine Reformation! Bis zu 60.000 Euro „Schmerzensgeld“ sollen die Opfer erhalten. Die Kirche könnte bald bankrott sein. Kaum zu heilen ist die Zerstörung des Vertrauens in „den“ Klerus.
6.
Das „Erdbeben“ hat Epizentren. Seit etwa 1980 ließen sich die Bischöfe begeistern von neuen „geistlichen Gemeinschaften“. Sie zeigten als Laien – Initiativen unter klerikaler Aufsicht einen charismatisch – pfingstlerischen Elan, immer freundlich-lächelnd, aber streng römisch. Ihre jungen Priester wandelten in der Soutane predigend an den Badestränden der Cote d` Azur oder sangen als „Missionare” fromme Liedchen auf den Champs-Elysées. Die exzentrischen Titel der Gemeinschaften: „Theophanie“, „Gemeinschaft der Seligpreisungen“, „Offenes Herz“, „Kleine Brüder der Ernte der Barmherzigkeit“, „Emmanuel“ usw…(12).
7.
In ihrer Sehnsucht nach Halt und Autoritäten meinten die Frommen endlich „Seelenführer“ zu haben: Aber viele Begeisterte wurden zu Opfern, missbraucht, erniedrigt von ihren Pères, den klerikalen „Vätern“! Jetzt klagen die Opfer an: Geistliche Meister seien „kranke Sexmonster“. Dem Missbrauch überführt wurden die Brüder Philippe, beide Dominikanerpatres, beide hoch verehrt und charismatisch angeblich begabt (13). In der Ordensgemeinschaft „St. Jean“ (14) wurden 27 Brüder des sexuellen Missbrauchs überführt. Der einst von Bischöfen hoch verehrte „Anti-Homo-Therapeut“, Pater Tony Anatrella (15), wurde wegen sexuellen Missbrauchs aus dem Priesteramt entlassen. So erging es auch dem Mystik-Spezialisten Pater Jean-Francois Six (16). Jean Vanier, wie ein Heiliger verehrt als Gründer der Arche-Gemeinschaften für Behinderte, wurde der sexuellen Belästigung überführt (17). Auch der bekannte Musiker und Komponist religiöser Lieder und Oratorien, Pater André Gouzes, Dominikaner, Leiter des bekannten Kulturzentrum Sylvanès, wurde der Vergewaltigung eines Kindes, Knaben, angeklagt. Pater Gouzes leidet seit 2018 an Alzheimer. Seine sehr in Mystische weisenden, sehr beliebten Kompositionen und Lieder, werden seit der Freilegung der Untat nicht mehr in den Kirchen gesungen, berichtet wikipedia France, …. ob dies nun eine richtige Reaktion ist, bleibt sehr die Frage! ( Fußnote 39)

Das Fazit: Geistliche „Führer“ sind oft Verbrecher, sie vertreiben Gläubige aus der Kirche.
8.
Der sexuelle Missbrauch durch Bischöfe ist alles andere als ein Einzelfall: Kardinal Philippe Barbarin (Lyon) wurde wegen Vertuschung der Verbrechen eines Priesters (Pater Bernard Preynat) zu 6 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt, nach einer Berufung aber freigesprochen. Jetzt wohnt er bei den „Schwestern der Armen“ (18). Francois Ozon hat über den „Fall Barbarin“ einen großartigen Film gedreht (19).
Auch Jean-Pierre Richard, Kardinal emeritus von Bordeaux, wurde des sexuellen Missbrauchs überführt (20), ebenso der ehemalige Erzbischof von Straßburg Jean-Pierre Grallet (21). Der Bischof von Creteil, Michel Santier (22) wurde wegen Belästigungen junger Männer abgesetzt. Er ist Gründer der charismatischen Gemeinschaft „Freue dich“. Der Erzbischof von Paris, Michel Aupetit (23) wurde wegen einer Affäre mit einer Frau seines Amtes enthoben. Der Nuntius in Paris, Luigi Ventura (24) wurde wegen sexueller Aggression gegenüber jungen Männern angeklagt, er flüchtete in den Vatikan. Der Erzbischof von Straßburg, Luc Ravel (25), wurde abgesetzt wegen allzu autoritären Verhaltens, heißt es. Sein tatsächliches Vergehen ist eher sein frühes Eintreten für die rechtsextreme Ideologie der „Umvolkung Frankreichs durch Muslime“. Der Bischof von Fréjus-Toulon, Dominique Rey, steht wegen seiner extrem-konservativen Theologie und Pastoral im Visier einer Prüfungskommission des Vatikans! (26).
Die Konsequenz: Viele Gläubige sind „fassungslos“, entsetzt, schreien ihre Wut, sind aller Zuversicht beraubt.

Jetzt wird Bischof Hervé Gosselin (Angouleme) angeklagt, als verantwortlicher Priester eines „Foyer de Charité“ (in Tressaint) sexuelle Untaten gegenüber Frauen dort ignoriert und vertuscht zu haben. Diese geistlichen Zentren, „Foyers der Liebe“ ausgerechnet genannt, sind inspiriert von der angeblich stigmatisierten Frau Marte Robin, die wie eine Heilige und Wundertäterin verehrt wurde und noch wird. Aber nun haben Studien nachgewiesen, dass Madame Robin eigentlich eine Scharlatanin war. Auch Jean Vanier, der Gründer der Arche-Gemeinschaften, war mit Madame Robin befreundet…(Fußnote 35)
Bischof Georges Colomb (La Rochelle) hat jetzt sein Amt niedergelegt, nachdem bekannt wurde, dass er sexuellen Missbrauch an jungen Männern betrieben hat, die damals Gäste seines Hauses der Missionsgesellschaft „Mission Etrangères de Paris“ (MEP) in Paris waren. Colombo war spezialisiert auf umfassende Massagen an jungen Männern, das hat die katholische Tageszeitung „La Croix“ lang und breit jetzt dargestellt. ( Fußnote 36)
Ebenfalls der Missionsgesellschaft von Paris (sie entsandte Priester nach China, Japan, Thailand usw.) gehört der Weihbischof von Strasbourg, Mgr. Gilles Reithinger, an. Ihm wird vorgeworfen, ihm mitgeteilte Anklagen wegen sexuellen Missbrauchs durch Georges Colombo ignoriert zu haben. Colomb war damals in Paris der oberste Chef der Missionsgesellschaft in der Rue du Bac, im 6. Arrondissement, mit einem der größten wunderbaren innerstädtischen Privat-ParkGarten, das nur nebenbei. ( Fußnote 37)

9.
Die traditionalistische Gemeinschaft der Pius-Brüder hat sich in Frankreich als Rom-unabhängige Parallelkirche umfassend stabilisiert, mit mindestens 100.000 Gläubigen. Ihre Verbundenheit mit Rechtsextremen ist evident. 40 % aller (!) Katholiken haben 2022 im 1. Wahlgang Le Pen und Zemmour gewählt! (34).
10.
Wer als junger katholischer Franzose die Menschenrechte genauso wichtig findet wie das Evangelium, hat die Kirche längst verlassen. Die katholische Linke, 1980 noch lebendig stark, ist fast verschwunden. Politischen Pluralismus gibt es kaum noch im französischen Katholizismus. Einst große Organisationen wie die Christliche Arbeiterjugend (JOC) haben noch 6.000 Mitglieder (27). Von der JOC geprägt sind die neuen linken Gewerkschaftsführer Sophie Binet und Laurent Berger (28).

Über „junge Katholiken in Frankreich“ fand kürzlich wieder eine repräsentative Umfrage statt: Einige Ergebnisse:
30.000 junge katholische Franzosen werden an den katholischen „Weltjugendtagen“ in Lissabon teilnehmen. Es sind vor allem sehr fromme, eher „Tradi“- Katholiken, die noch an der Messe teilnehmen und durchaus auch die alte lateinische Liturgie lieben.
Interessant ist die politische Orientierung dieser sich selbst sehr fromm nennenden jungen Katholiken:
1% optieren für die extreme Linke.
6% für die anderen linken Parteien
5% für die „Ökologen“
8% für das Zentrum
38% für dieRechten
14% für die Rechtsextremen Parteien!
28% haben keine präzise politische Meinung oder wollen sich nicht äußern.
Über die Hälfte der befragten praktizierenden jungen Katholiken hat also Sympathien für rechte und rechtsextreme Parteien. (Fußnote 38)
Die Tageszeitung „La Croix“ kommentiert am 25.5.2023 die große Umfrage unter den wenigen katholisch sich nennenden Katholiken: „Diese Umfrage zeigt tatsächlich, dass diese jungen Leute von der Kirche NICHT erwarten, dass sie sich verändert. Und die Rolle der ^Kirche in der Gesellschaft sehen sie so: 59% antworten, die Kirche solle ein Leuchtturm sein, die den Weg zeigt in der Finsternis (ténèbres). Das Vertrauen dieser jungen Leute in die kirchliche Institution scheint im Widerspruch zu stehen zu den vielfältigen Enthüllungen sexueller Gewalt (des Klerus) in den letzten Jahren“. Nur 12% der befragten jungen Leute meinen: Die Kirche soll eine Bewegung der Emanzipation sein, die den Sinn für die Verantwortung und des Kampfes gegen die Ungerechtigkeiten entwickelt“. Dazu passt auch die theologische Überzeugung dieser jungen Katholiken: Nur 14% meinen, dass Männer und Frauen total gleich (gleichberechtigt) sind, und das gilt auch für den Zugang zum Priesteramt.
11.
Vom „Erdbeben“ ihrer Kirche lassen sich nur die konservativen Katholiken nicht erschüttern. „Observanten“ genannt, beobachten und respektieren sie die Dogmen genau (29). Oft gehören sie gut-etablierten Kreisen an, aus ihren Familien stammen viele junge Priester. Sie sammeln sich in der konservativen Gemeinschaft „St. Martin“ (30). Wie die meisten praktizierenden Katholiken sind sie politisch militant (Anti „Homo-Ehe“, aber „Pro Life“), immer eng vernetzt mit rechten Parteien.
12.
Zum Niedergang ihrer Kirche äußern sich französische Theologen nur zurückhaltend. Ausgerechnet Anselm Grün ist in Frankreich der am meisten gelesene Theologe! (31). An 2 staatlichen Universitäten in Elsass-Lothringen wird Theologie gelehrt, sonst in kirchlich kontrollierten Instituten. Einige Theologinnen kämpfen noch für „synodale Strukturen“ (32).
13.
Der Katholizismus wird als kulturelle Tradition (Kathedralen, Klöster und geistliche Musik) weiterhin ein interessiertes Publik finden (33). Aber die Gemeinschaft der „Praktizierenden“ muss wählen: Will sie eine kleine, aber offene Minderheit sein … oder im Getto eine rechtslastige Sekte? Aber den Weg bestimmt, wie überall, auch in Frankreich der Klerus, nicht die synodale Gemeinschaft aller Glaubenden.

Christian Modehn hat als Journalist und Theologe viele Jahre, auch für PUBLIK-Forum und die ARD-Sender, über Frankreich berichtet. In seinem Buch „Religion in Frankreich“ (1993) fielen seine Analysen noch etwas zuversichtlicher aus.
COPYRIGHT: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Die Fussnoten:

1
Guillaume Cuchet „Le Catholicisme a-t-il de l avenir en France?“, Editions du seuil, Paris Sept. 2021

2
„Vers L implosion?“ Danièle Hervieu-Léger et Jean-Louis Schlegel, Editions du seuil, mai 2022,

3
Zit. S .165

4
https://www.insee.fr/fr/statistiques/6793308?sommaire=6793391
Und :

Statistiques de l’Église catholique en France

5
So Jean-Louis Schlegel, in der Tages-Zeitung: „Ouest-France“, 28.3.2022,.
Zum Alter der Priester: L’âge médian des prêtres en France est supérieur à 75 ans. Autrement dit, il y a autant de prêtres ayant plus de 75 ans, que de prêtres ayant moins de 75 ans. Quelle: Quelle: https://synonyme-du-mot.com/les-articles/quel-est-lage-moyen-des-pretres-en-france

6
https://www.le figaro.fr/actualite-france/la-depression-n-epargne-pas-les-pretres-dans-l-eglise-catholique-20201126
Auch: https://www.la-croix.com/Religion/rapport-inedit-ausculte-sante-pretres-2020-11-25-1201126613

7
https://www.eurel.info/spip.php?article987&lang=fr

8
https://www.la-croix.com/Religion/Catholicisme/France/Dans-paroisses-salaries-comme-autres-2017-04-03-1200836870
Und:
https://www.la-croix.com/Religion/Catholicisme/France/Mieux-reconnaitre-role-laics-mission-ecclesiale-2020-03-16-1201084398

9
https://fr.aleteia.org/2023/03/28/vandalisme-deglises-en-ile-de-france-les-pilleurs-condamnes-jusqua-trois-ans-de-prison/

10
Zit. Seite 100 in „Vers l Implosion?

11
Viele Studien, Kommentare dazu, etwa: https://www.lemonde.fr/societe/article/2021/10/05/pedocriminalite-dans-l-eglise-330-000-victimes-estimees-depuis-1950-selon-les-travaux-de-la-commission-sauve_6097191_3224.html

12
Eine neue umfassende, aber oft persönlich gefärbte Studie über Missbrauch in den so genannten Geistlichen Gemeinschaften: Céline Hoyeau u.a., „Der Verrat der Seelenführer“, aus dem Französ., Herder – Verlag 2023.

13
Die beiden Brüder Philippe : beide Dominikaner. Viele Berichte, sogar kritisch vom Christlichen Radio RCF: https://www.rcf.fr/articles/actualite/les-freres-philippe-une-tragedie-chez-les-dominicains

14
Zur Gemeinschaft St. Jean, siehe etwa: S. 279 in Buch von C. Hoyeau.

15
Pater Anatrella: viele Berichte über diesen auch in Rom äußerst einflußreichen „Psychologen“ etwa: https://www.ouest-france.fr/faits-divers/violence-sexuelle/le-pere-tony-anatrella-psy-de-l-eglise-soupconne-d-abus-sexuels-condamne-mais-pas-defroque-f8891442-9697-11ed-a0e2-3c14145668d8
Auf Deutsch u.a.: https://vweb009.katholisch.de/artikel/43251-ordensmann-kirche-hat-ex-vatikan-berater-buchstaeblich-geschuetzt

16
Pater J.Fr. SIX, https://www.la-croix.com/Religion/Abus-sexuels-Jean-Francois-Six-definitivement-renvoye-letat-clerical-2022-06-21-1201221194, sehr viel mehr noch bei wikipedia France: https://fr.wikipedia.org/wiki/Jean-Fran%C3%A7ois_Six

17
Zu Jean Vanier siehe auch Fußn. 13, oder https://eglise.catholique.fr/espace-presse/communiques-de-presse/493611-revelations-jean-vanier/
Oder: BBC: https://www.bbc.com/news/world-51596516
Auch der Gründer der bekannten neuen Ordensgemeinschaft „Communauté de Jerusalem“ (etwa in der Kirche St.Gervais in Paris) Pater Pierre-Marie Delfieux wurde der sexuellen Belästigungen und des spirituellen Missbrauchs angeklagt…siehe: https://www.lavie.fr/christianisme/eglise/enquete-les-fraternites-de-jerusalem-affrontent-leur-histoire-marquee-par-les-abus-spirituels-69194.php

18
Zum Fall Kardinal Barbarin siehe auch das politische Magazin le Point 31.1.2021: https://www.lepoint.fr/religion/aumonier-en-bretagne-le-cardinal-barbarin-se-fait-oublier-31-01-2021-2411989_3958.php. Von 2019 auch interessant: Libération: https://www.liberation.fr/france/2019/03/07/cardinal-barbarin-un-retrograde-qui-a-pris-du-galon_1713721/

19
Der Film des bekannten Regisseurs Ozon: „Grace à Dieu“. Unter den vielen Würdigungen: https://www.leparisien.fr/societe/affaire-barbarin-le-film-grace-a-dieu-beni-par-le-clerge-06-03-2019-8026308.php. der Film lief auch in deutschen Kinos und im Fernsehen…

20
Kard. Richard : https://www.lepoint.fr/societe/le-cardinal-jean-pierre-ricard-au-coeur-d-une-nouvelle-affaire-07-11-2022-2496790_23.php

21.
Erzbischof Grallet, https://www.lemonde.fr/m-le-mag/article/2022/11/27/qui-est-jean-pierre-grallet-l-ancien-archeveque-accuse-d-agression-sexuelle_6151824_4500055.html

22
Bischof Santier , https://www.liberation.fr/societe/religions/leglise-catholique-atterree-par-les-strip-confessions-de-leveque-santier-20221019_7HTTSYLIXNHT5IAL6IM5A67J4I/

23
Erzbischof Aupetit . Unter anderem: https://www.leparisien.fr/societe/comportement-ambigu-avec-une-femme-mgr-michel-aupetit-larcheveque-de-paris-a-presente-sa-demission-26-11-2021-OFB7SWTLRNGV7KEES3OWNGARTY.php

24
Nuntius Ventura . u.a.: https://www.liberation.fr/france/2020/07/28/affaire-du-nonce-ventura-un-proces-historique-a-paris_1795345/

25
Erzbischof Ravel https://www.la-croix.com/Religion/Diocese-Strasbourg-Mgr-Luc-Ravel-demissionne-2023-04-20-1201264241
Der Erzbischof vertritt die „Umvolkung“, Details https://religionsphilosophischer-salon.de/9423_rechtsextreme-ideen-werden-vom-strassburger-erzbischof-luc-ravel-propagiert_gott-in-frankreich. Beitrag von Christian Modehn

26
Bischof Rey ist eine Hauptfigur eines reaktionären Klerus, über seine Nähe zur damaligen Partei „Front National“wurde oft berichte . Er hat „sein“ Bistum Fréjus-Toulon zu einem Hauptquartier der extrem konservativen neuen geistlichen Gemeinschaft gemacht. Das wurde nun selbst dem Vatikan zu viel… https://www.liberation.fr/societe/religions/dominique-rey-eveque-reac-dans-le-collimateur-du-vatican-20220602_QVJD4K5UWVFEFHVVHSGNFLLYAA/
Auch: https://www.la-croix.com/Religion/Diocese-Frejus-Toulon-derives-locales-sanction-romaine-2022-06-13-1201219757

27
JOC, http://www.joc.asso.fr/

28
Die Gewerkschaftsführer Sophie Binet und Laurent Berger als Mitglieder der JOC:
https://www.ouest-france.fr/economie/social/la-joc-un-tremplin-pour-le-syndicalisme-lexemple-de-laurent-berger-cfdt-et-sophie-binet-cgt-5196b7e8-d2ba-11ed-8286-f025829e4b1d

29
Zu den „Observanten“, also den „strengen Beobachtern der Dogmen: Yann Raison du Cleuziou, „Le catholicisme observant, Une élite des familles engagées dans la restauration de l église et le la société française. In : „Ethnographies du catholicisme contemporain“ (Sammelband) Paris 2021, dort S.141 – 151.

30
Gemeinschaft St. Martin offizielle website sehr „hübsche“ Bilder. Diese konservative Kletiker-Gemeinschaft ist auch im Erzbistum Köln, in Nerviges, tätig, wie auch die oben genannte Gemeinschaft „Jerusalem“ in Köln.

Accueil – Communauté Saint Martin


Viele kritische Untersuchungen, etwa: https://www.rue89lyon.fr/2022/10/11/pas-si-tradi-la-communaute-de-saint-martin-le-progres-savance-un-peu-vite-et-se-corrige/
Auch: https://www.liberation.fr/societe/religions/les-cathos-identitaires-de-la-communaute-saint-martin-a-la-conquete-de-la-france-20220320_G4WJM2HQ2FHLXAM26IQVBGCM7A/

31
Zu Anselm Grün: Sie e dazu wiki France: ca. 40 Titel auf Französisch. https://fr.wikipedia.org/wiki/Anselm_Gr%C3%BCn

32
Theologinnen, Nonnen , u.a. Schwester Nathalie:. https://www.vaticannews.va/fr/eglise/news/2022-10/s-ur-nathalie-becquart-synode-synodalite-entretien.html

Den „Archaismus“ des synodalen Prozesses kritisiert Danièle Hervieu-Leger, s. 374 ff

33
Kulturkatholizismus, aktuell: https://www.vie-publique.fr/questions-reponses/286218-le-patrimoine-religieux-et-les-communes-le-point-en-cinq-questions

34
Pius Brüder in Frankreich: Offiziell:

Accueil

Unter vielen Kritiken: 
https://charliehebdo.fr/2022/11/societe/education/integrisme-fraternite-saint-pie-x-ecole/

https://www.nouvelobs.com/education/20170719.OBS2319/integrisme-racisme-j-ai-ete-eleve-a-la-fraternite-saint-pie-x.html

35

zu Bischof Gosselin:

https://www.la-croix.com/Religion/Mgr-Herve-Gosselin-accuse-davoir-couvert-abus-Foyer-Charite-Tressaint-2023-06-15-1201271664

36

zu Bischof Colomb:

https://www.la-croix.com/Religion/Abus-sexuels-Missions-etrangeres-Paris-chronologie-differentes-affaires-2023-06-14-1201271491

https://www.la-croix.com/Religion/Accuse-dagression-sexuelle-Mgr-Georges-Colomb-mettre-retrait-diocese-La-Rochelle-2023-06-13-1201271397

37 zu Bischof Reithinger:

https://www.la-croix.com/Religion/Abus-sexuels-Missions-etrangeres-Paris-chronologie-differentes-affaires-2023-06-14-1201271491

https://www.la-croix.com/Religion/Accuse-dagression-sexuelle-Mgr-Georges-Colomb-mettre-retrait-diocese-La-Rochelle-2023-06-13-1201271397

38

Junge Leute und Kirche:

https://www.la-croix.com/Religion/JMJ-jeunes-catholiques-fervents-contre-courant-notre-sondage-exclusif-2023-05-25-1201268810

39

Pater André Gouzes OP: https://fr.wikipedia.org/wiki/Andr%C3%A9_Gouzes

COPYRIGHT: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Wozu gibt es einen „Heiligen Geist“? Der Geist des Menschen ist heilig!

Über die “Entrümpelung“ eines theologischen Dogmas.
Ein Hinweis von Christian Modehn

1.
Es findet jetzt – endlich – eine Art Entrümpelung dogmatischer kirchlicher Lehren im Katholizismus statt, und hoffentlich in allen Kirchen. Zum Beispiel: Das Dogma der Erbsünde in der klassischen Form (von Augustinus mit Gewalt durchgesetzt) ist zum Entstauben in einer Seitenkapelle abgestellt worden. Die Dogmen zur „Gottgewolltheit” der klerikalen Hierarchie glauben fast nur noch die in ihrem Klerus-Stand bevorzugten Priester. Hans Küng hat schon vor 50 Jahren am Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes heftig gekratzt. Und die lateinamerikanische Befreiungstheologie versteht Erlösung nicht (nur) als seelisches Geschehen, sondern auch als Erfahrung sozialer-politischer Gerechtigkeit für die Armen…

2.
Auch der Küng – Mitarbeiter, der kathoilische Theologe Prof. em. Hermann Häring (Tübingen), spricht Klartext: „Die kirchliche Trinitätslehre ist überholt“, so in PUBLIK-FORUM Nr. 10/2023, Seite 36 f. Häring schreibt in dem Beitrag sehr treffend: „Die Trinität ist ein Glaubenskonstrukt“… „Fürs Verständnis Jesu braucht es keine Dreifaltigkeit…“ „Die Trinitätslehre ist ein unerträgliches Element“, Häring tritt für „eine Generalrevision unserer Glaubenskonstrukte ein“.

3.
Hier wird ein weiterer Beitrag zur dogmatischen Entrümpelung in gebotener Kürze publiziert: Meine Frage: Was passiert denn eigentlich mit dem „Heiligen Geist“, der so genannten dritten göttlichen „Person“ in der Dreifaltigkeit (Trinität), wenn nun das göttliche Mysterium auch ohne Dreifaltigkeit erlebt, verstanden, gedacht wird?“
Meine begründete These: Der Geist des Menschen – und das ist seine Freiheit und deswegen auch seine Vernunft und seine Sprache, klassisch auch seine „Seele“ – ist heilig. Eine eigenständige , imaginäre „Person“ Heiligen Geist (meist als Taube dargestellt) braucht man dann wirklich nicht zu glauben.

4. Soll es denn zwei Geister in einem Menschen geben?
Das muss gerade für theologische „Laien“ etwas entfaltet werden:
Der menschliche Geist als menschlicher (!) Geist ist heilig, weil er von Gott geschaffen ist. Und Gott, das Göttliche, der Ewige… ist im Menschen durch den von Gott geschaffenen endlichen, menschlichen Geist sozusagen als der Schöpfer von allem – indirekt – anwesend. Der Mensch hat also – schon aufgrund eigener Selbsterfahrung – einen einzigen Geist, und nicht etwa einen menschlichen und daneben oder darüber noch einen gelegentlich, bei besonderen Anlässen, wirkenden zweiten Geist, den göttlichen.
Zwei Geister in einem Menschen? Das ist Unsinn, stiftet Verwirrung, gibt Raum für Phantasie und wunderbare Gottes-Geistes-Verzückungen. Handelt ein Mensch wahrhaftig, gut, ethisch wertvoll, versucht er das göttliche Geheimnis zu erfahren und zu bedenken, dann ist es also immer der eine menschliche Geist, der von Gott dem Schöpfer gegeben, in dieser Fähigkeit lebt.

5. Biblische Erzählung: ein bilderreicher Mythos.
Warum aber wurde dann in der frühen Kirche (in der Apostelgeschichte nachzulesen) die Idee formuliert, es gebe einen eigenständigen heiligen Geist neben dem menschlichen Geist? Diese Frage berührt die exegetische und kirchenhistorische Forschung. Meine kurz gefasste Antwort: Die Gemeinde der Freunde des gekreuzigten Jesus von Nazareth kam gemeinsam zu der überraschenden Einsicht: Unser Freund Jesus von Nazareth lebt irgendwie „wunderbar“ in anderer Gestalt „weiter“: Und sie waren von dieser ihrer Einsicht so begeistert, dass sie meinten, nicht ihr eigener Geist in seiner schöpferischen Freiheit habe ihnen diese Einsicht geschenkt, sondern es sei ein zusätzliches wunderbares Eingreifen Gottes gewesen. Als wäre wegen dieser Einsicht vom „auferstandenen Jesus“ ein extra-heiliger Geist wirksam gewesen. Die Gemeinde misstraute also der schöpferischen Kraft ihres eigenen menschlichen, aber von Gott gegebenen menschlichen Geistes, also der Vernunft, der kreativen Freiheit des Denkens und Fühlens.

6.
Aber die Kirchen haben die schöpferische Kraft des Göttlichen IM menschlichen Geist immer übersehen und unterschätzt: Der Grund: Sie haben die Mythen der Schöpfungsgeschichte im Buch Genesis falsch verstanden und gemeint, der Mensch schlechthin und immer sei durch die Erbsünde verdorben, der Geist des Menschen sei durch die Erbsünde zerrüttet: Das bedeutet. Dann kann nur Gott immer wieder neu eingreifen mit seinem immer wieder willkürlich agierenden zusätzlichen göttlichen wunderbaren Geist. Weil diese Ideologie der Erbsünde nun aber endlich obsolet ist, im Rahmen der oben genannten Entrümpelungen, entfällt auch die Idee eines zweiten göttlichen Geistes, neben dem menschlichen Geist. Ohne Erbsünde kann es einen kreativen, auch guten menschlichen Geist geben und eine gute menschliche Vernunft, die nach dem Göttlichen fragt…

7. Wenn Charismatiker und Pfingstler “ausflippen”
Aber viele sich sehr fromm fühlende, „auserwählte“ Leute klammern sich noch immer an den zweiten Geist in sich selbst, sie verehren ihn als den separaten heiligen Geist. Es sind die so genannten Charismatiker und Pfingstler, die vom heiligen Geist öffentlich gern in „Zungen reden“, wie sie sagen, also in einer angeblich verzückten wunderbaren göttlichen Sprache des Blalaba und Trallatulla und so weiter. Und das Skandalöse ist, das die anderen Geist-Besessenen dann sagen: Auch wir verstehen das geistvolle Blalaba usw.
Ich habe diese Verzückungen erlebt in einer charismatischen Gebetsnacht der äußerst einflußreichen charismatischen Gemeinschaft Emmanuel in der Kirche „Trinité“ in Paris (9.Arrondissement). Dort hatte sich der charismatisch bekehrte, ziemlich bekannte Schauspieler Michel Lonsdale diesem Blalaba usw. sehr hingegeben, ich habe diese Szenen für meinen Film „Unter dem Himmel von Paris“ fürs ERSTE gedreht…

8.
Die Mehrheit der Christen wird sich wohl nun um ihren einen Geist, der als Geist und Freiheit heilig ist, kümmern. Das heißt: Der menschliche Geist und die Vernunft sind als das Auszeichnende aller Menschen absolut zu schützen und unbedingt als Gestaltungsprinzip des Lebens und der Politik durchzusetzen. In den Menschenrechten findet dieser Geist seinen lebendigen, leider eher selten respektierten Ausdruck. Aber das spricht gegen den Geist, sondern die Faulheit und den Egoismus vieler Menschen, den sie mit ihrem eigenen Geist auch überwinden können, wenn sie denn wollen.

9. Die uralten Pfingstlieder – eine unerträglich ferne Welt.
Bei dem immer noch klassisch, d.h. trinitarisch gefeierten Pfingstfest ist wenig bis gar nichts von dieser nachvollziehbaren, vernünftigen Deutung des menschlichen Geistes, des heiligen, zu spüren.
Man denke etwa an die Pfingstlieder im „Evangelischen Gesangbuch“: Darin sind von Nr. 124 bis Nr. 137, also 14 Pfingstlieder, versammelt. Die Texte haben Autoren verfasst, die zwischen 1524 und 1833 lebten, die jüngsten Pfingstlieder, es sind zwei, stammen aus dem 19.Jahrhundert! Alle anderen aus dem 16. bis 18. Jahrhundert. Kein einziges Pfingstlied stammt aus dem 20. Jahrhundert. Wie schwer sich die „klassische“ dogmatische Kirche mit dem Dreifaltigkeitsfest (Trinitatis) tut, wird deutlich: Das Evangelische Gesangbuch von 1993 enthält zwei Trinitatislieder aus dem 16. und 18. Jahrhundert.
Das Katholische Gesangbuch „Gotteslob“ enthält 15 Pfingstlieder, sie stammen schon aus dem 10.Jahrhundert, aber auch aus dem Jahr 1941, getextet von Maria Luise Thurmeier. Sie verfasste den Text für das Lied Nr. 249 „Der Geist des Herrn erfüllt das All – mit Sturm und Feuersgluten“. Wie weltfremd und a-politisch (?) diese dichtende Dame war, ist deutlich: Sie schrieb ihr Gedicht im Jahr 1941, also schon mitten im 2. Weltkrieg… In der 4. Strophe heißt es: „Der Geist des Herrn durchweht die Welt, gewaltig und unbändig, wohin sein Feueratem fällt, wird Gottes reich lebendig“. Es geht also um Feuersgluten, um Sturm, und ein „gewaltiges und unbändiges Geschehen“… Die Kriegspropaganda der Nazis zeigt da ihre Wirkungen bis ins Gebet hinein. Was haben solche Poetinnen wie Frau Thurmeier in einem Gesangbuch zu suchen? Auf die gräßlichen Marienlieder von Frau Thurmeier habe ich schon früher hingewiesen. LINK.

10.
Zusammenfassung:
Es gibt also nur einen Geist im Menschen, er gehört zur Schöpfung des Menschen durch Gott/das Göttliche… Immer ist es der eine menschliche Geist des Menschen, der Leben gestaltet, Frieden schafft, Gerechtigkeit erkämpft. Wer auf Gottes direkten Eingreifen politisch hofft, will selbst tatenlos bleiben.
In der Praxis wird die unendliche Kreativität gespürt, die den menschlichen Geist auszeichnet, und es entsteht eine Dankbarkeit im Menschen, dass er in seiner Freiheit das Gute tun kann. In dieser Dankbarkeit kann sich der Mensch seinem Schöpfer, dem Göttlichen, zuwenden. Mit einem außergewöhnlichen und wunderbaren Eingreifen eines Heiligen Geistes rechnet dann kein spiritueller Mensch mehr: Gott ist ja immer schon „da“, in der Realität des Geistes, des menschlichen und seiner Freiheit.

11.
Die klassische Trinitätslehre ist also auch dadurch „überholt“, wie Hermann Häring sagt, weil es keine dritte Person in der Dreifaltigkeit – sehr anschaulich etwa in Gestalt einer Taube – geben kann.

12. Was wird aus “Gott Vater” mit dem Bart? Der Bart ist nun definitiv ab.
Aber was wird dann aus dem Bild, der Metapher, „Gott-Vater“, der ersten Person dieser drei Personen? Der mit dem Bart, sagen manche. Nun ist der Bart ab: Das Göttliche, Gott, der Ewige, die Göttin, Gott Vater , Gott – Mutter … wie auch immer: Diese Ideen sind nichts anders als Geist zu nennen, sie sind ja keine Materie, kein zu umgreifendes Etwas. Gott als Gott ist Geist. Mehr kann nicht gesagt werden. Aber der Bart des uralten Gottes ist ab. Endlich, ad aeternum hoffentlich. Kunsthistoriker werden dies bei ihren Barock-Studien berücksichtigen. Dieser Gott – Vater – Bart – Glaube ist jetzt vorbei.

13. Warum diese Reflexionen?

Einige LeserInnen fragen: Gibt es nichts Dringenderes? Natürlich, unmittelbar politisch, ökologisch, sozial…. gibt es sehr viele dringendere Themen. Aber der hier vorgeschlagene Verzicht auf einen religiös unkontrollierten Pfingst-Heilig Geist-Enthusiasmus, auf einen kindlichen Wunderglauben, der Verzicht auf ein schwärmerisches Ahnen  “Der heilige Geist wirkt ganz besonders (nur) in mir”: Dies kann zur Befreiung führen, im Sinne von Freimachen des eigenen Denkens für die genannten wirklich dringenden Aufgaben.

14.

Pfingsten und den Geist feiert man dann angemessen nicht mehr durch das Singen alter unverständlicher Pfingstlieder. Sondern in Gesprächen und Verabredungen, wie wir gemeinsam dem verheerenden Treiben, Rassismus, Antisemitismus, Homophobie, “Klerikalismus” in allen Religionen, Rechtsextremismus, Herrenmenschentum im Umgang mit den Arm-Gemachten in der “Dritten Welt” usw.  noch Einhalt gebieten können. Der wahre “Gottesdienst” (am Sonntag) wird dann zum Menschendienst.

 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.