Flüchtlinge sind Menschen mit Menschenrechten: Zum Welttag der Flüchtlinge

Der Welttag der Flüchtlinge am 20. Juni 2018:

Ein Tag wird als „Welttag der Flüchtlinge“ bezeichnet: Der 20. Juni. Ein Tag: Was für eine Chance. Einmal einen ganzen Tag der 68 Millionen Menschen zu gedenken, die heute auf der Flucht sind, also mit Empathie an sie denken und mit politisch – humanem Handeln ihnen begegnen.

Aber zugleich: Was für ein Hohn, einen einzigen Tag der großen Herausforderung der Menschheit heute zu widmen. Alle Tage sind längst von Politikern zu Flüchtlingstagen gemacht worden, mit dem einzigen Ziel: Flüchtlinge von der Welt der Reichen fernzuhalten. Parteien und vor allem auch sich christlich nennende Politiker nutzen das Elend der Flüchtlinge, um ihre eigene klein- karierte, nur auf den Erhalt erworbener Besitzbestände übliche Orientierung durchzusetzen.

Wann werden die Kirchenführer in Deutschland, die ja immer noch Hüter des „Christlichen“ sind und sich auch oft so verhalten, sagen: Diesen Politikern und Parteien, die sich da mit einem “C” schmücken, sprechen wir zunächst mal das Christliche ab. Sollen sie sich treffender „Egoistisch demokratische Parteien“ nennen oder „AFD 2. Teil“. Das wagt meiner Meinung nach kein Bischof, kein Theologe in Deutschland, wäre aber eine not – wendige, eine klärende Entscheidung. und würde zeigen: Deutschland, Europa ist kein christliches Land mehr im Sinne dessen, was für Jesus von Nazareth entscheidend wichtig war….

Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Wir dokumentieren jetzt einen Text des von uns schon häufig positiv erwähnten „Jesuiten Flüchtlingsdienstes“:

Der Jesuiten-Flüchtlingsdienst (Jesuit Refugee Service, JRS) sieht mit Sorge, wie das Mitgefühl aus der Debatte um Menschen auf der Flucht verschwindet und auch Angehörige christlicher Parteien extremistische Schlagworte salonfähig machen. Der JRS unterstützt unter anderem Kirchenasyle für einige der Asylsuchenden, die zum Vorwand für die Regierungskrise gemacht werden. Wer den Einzelfall ansieht, stellt oft fest: Für viele Menschen geht der Alptraum der Flucht innerhalb Europas weiter. „Weltweit sind mehr als 65 Millionen Menschen auf der Flucht, in Deutschland wurden 2017 nach amtlichen Zahlen weniger als 200.000 Erstanträge auf Asyl gestellt. Das ist, gemessen an der Gesamtbevölkerung und der Wirtschaftskraft, ein geringer Beitrag“, sagt Claus Pfuff SJ, Direktor des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes. Noch geringer ist die Zahl derjenigen, um die sich der Streit zwischen CSU und CDU dreht: An den deutschen Grenzen wurden 2017 nach Angaben der Bundesregierung 15.414 Asylanträge gestellt. „Statt auf Menschlichkeit setzt Horst Seehofer auf Nationalismus und bedient rassistische Ressentiments“, sagt JRS-Direktor Pfuff. Der Jesuiten-Flüchtlingsdienst hat Kirchenasyle unterstützt, die strittige Rückführungen innerhalb Europas betreffen. In solchen Fällen soll das zuständige Bundesamt überprüfen, ob besondere Härten ein Asylverfahren in Deutschland rechtfertigen: Eine alleinstehende schwarze Frau sollte in Italien in die Prostitution gezwungen werden. Ein irakischer Jeside, der den Massakern des IS entkommen konnte, flüchtete zu Angehörigen, die schon lange in München leben. Ein syrischer Student wurde in Bulgarien schwer misshandelt. In Griechenland hat ein westafrikanischer Handwerker rassistische Gewalt, Hunger und Obdachlosigkeit erlitten. „Sich aus diesen Situationen zu retten, ist kein ‚Tourismus‘. Es ist Flucht. Wer sich nicht von Wahlkampfgetöse und Worthülsen täuschen lässt, sondern den einzelnen Menschen anschaut, wird die Not sehen und entsprechend handeln“, so JRS-Direktor Claus Pfuff. Dass es immer wieder Angehörige christlicher Parteien sind, die Worte aus extremistischen Kreisen salonfähig machen, sieht er mit Sorge. Der Jesuit kann den aktuellen Anlass für die Regierungskrise nicht nachvollziehen. „Wenn ein Innenminister die Regierung zwingt, alles von diesem einen Thema abhängig zu machen, geraten die politischen Verhältnisse aus den Fugen. Das erweckt den Anschein, als gäbe es keine anderen Aufgaben – in Bezug auf Wohnungsbau, Bildungssystem, Rentensicherheit, Gesundheitswesen, Digitalisierung oder Klimawandel. Obwohl Asylsuchende und anerkannte Flüchtlinge nur zwei Prozent der Bevölkerung ausmachen, richtet sich alle Aufmerksamkeit auf die Abwehr und Kriminalisierung von Flüchtenden. Jedes Mitgefühl mit Menschen in Not schwindet aus der öffentlichen Debatte. Aber wenn Nationalismus und eine angeblich einheitliche Identität, für die sogar das Kreuz herhalten muss, die Antwort auf Fragen unserer Zeit sein soll: Dann begeben wir uns auf eine abschüssige Bahn.“  

Der Jesuit Refugee Service (Jesuiten-Flüchtlingsdienst JRS) wurde 1980 angesichts der Not vietnamesischer Boat People gegründet und ist heute als internationale Hilfsorganisation in mehr als 50 Ländern tätig. In Deutschland setzt sich der Jesuiten-Flüchtlingsdienst für Asylsuchende ein, Abschiebungsgefangene, für „Geduldete“ und Flüchtlinge im Kirchenasyl sowie für Menschen ohne Aufenthaltsstatus („Papierlose“). Schwerpunkte seiner Tätigkeit sind Seelsorge, Rechtshilfe und politische Fürsprache.

Kontakt: Dr. Dorothee Haßkamp Öffentlichkeitsarbeit Jesuiten-Flüchtlingsdienst Deutschland Jesuit Refugee Service (JRS) Witzlebenstr. 30a D-14057 Berlin Tel.: +49-30-32 60 25 90 Fax: +49-30-32 60 25 92

dorothee.hasskamp@jesuiten-fluechtlingsdienst.de

www.jesuiten-fluechtlingsdienst.de

www.facebook.com/fluechtlinge

twitter.com/JRS_Germany

Papstfilm von Wim Wenders: Franziskus: Politisch mutig – theologisch sehr konservativ

Anlässlich des Films „Ein Mann seines Wortes“

Einige Hinweise von Christian Modehn

In Berlin wird für den neuen Film von Wenders auf Plakaten mit einem riesigen Porträt von Papst Franziskus mit der Unterzeile geworben: „Die Welt braucht Hoffnung“. Es wird sich zeigen, auch in diesen Hinweisen, ob Papst Franziskus der Welt tatsächlich umfassend Hoffnung geben kann…

Papst Franziskus gilt für viele Menschen – auch außerhalb des Katholizismus – in gewisser Hinsicht als eine Art „Lichtgestalt“: Also als ein „authentischer“ Staatschef. Denn dies ist ein Papst als geistliches Oberhaupt der Kirche ja auch, er ist immer gleichzeitig auch oberster (nicht vom Volk, nicht von den Vatikan-Bürgern gewählter!) Chef des Staates Vatikanstadt mit entsprechenden internationalen Auftritten. Dafür ein Beispiel: Bis heute hat der Staat Vatikanstadt die Menschenrechtserklärung der Uno NICHT unterschrieben. Das nur als kritischen Dämpfer, um allen Enthusiasmus angesichts von Papst Franziskus ein bisschen aus der Sphäre der Heiligsprechung herauszuholen. Wer ständig Menschenrechte anderswo fordert, könnte ja die Menschenrechtserklärung unterschreiben als Papst, könnte man denken…

Aber Papst Franziskus bleibt trotzdem mit seiner Kritik am Kapitalismus im Vergleich mit vielen anderen Klerikern im Vatikan als Staatschef doch bemerkenswert: Gerade in einer Welt, in der demokratische Politiker nur noch an einer Hand abgezählt werden können. Da freut man sich fast über einen kritischen nichtdemokratischen Staatschef, den Papst! In einer Zeit, in der ein Politologe, Prof. Stephen Eric Bronner, Rutgers University USA, Mister Trump, im ganzen sehr treffend, unter dem Stichwort „Gangsterpolitik“ beschreibt. So in der hervorragenden Zeitschrift „LETTRE international“, Heft 121 vom Juni 2018, Seite 172f.

Da gilt dann Papst Franziskus als eine Art personifizierter Lichtblick, was seine explizite und praktische Solidarität zugunsten der Armen, der Flüchtlinge, der Unterdrückten und Ausgebeuteten in Afrika, Asien, Lateinamerika angeht. Sein Plädoyer für mehr Barmherzigkeit ist lobenswert, wobei manche sagen: Gerechtigkeit wäre zunächst einmal die Basis und deswegen dringender. Die Hungernden wollen nicht – mal zwischendurch – barmherzig behandelt werden, sondern endlich gerecht! Das geht um die Veränderung der Klassenstrukturen…Dass er den konfessions verschiedenen Ehepaaren keine freie Entscheidung lassen will in der Wahl von katholischer Kommunion oder evangelischem Abendmahl, ist natürlich der größte Widerspruch zu allem Barmherzigkeitsgerede von Papst Franziskus. Dass er es sich anmaßt, Frauen in Not die Abtreibung zu verbieten, ist gar nicht barmherzig. Und so weiter und so weiter..

Trotzdem: Solch ein Papst weckt Zuversicht und Hoffnung, dass die Humanität in den „obersten Spitzen“ der Führer dieser Welt nicht ganz verschwindet, selbst wenn immer gefragt werden muss: Warum ist der Vatikan immer noch, auch unter Papst Franziskus, so reich, so opulent ausgestattet mit so unsäglich vielen bestens versorgten Klerikern vor allem in Rom? Wo sind die Verzichtsleistungen des Papst – Staates auf die Milliarden Euro wertvollen Immobilien im Kirchenbesitz allein in Rom: Und da wagen es diese Herren noch, um Spenden zu betteln… Also: Trotz aller so anrührenden Fußwaschungen von Gefangenen und Obdachlosen durch den Papst und trotz aller Solidarität mit den Flüchtlingen, etwa auf Lampedusa: Diese Kirche ist in Italien, ist in Europa, in den USA (falls die Bistümer dort nicht schon längst pleite sind wegen der hohen Zahlungen an die vielen Opfer pädophiler Verbrechen durch Priester)… diese katholische Kirche steht also de facto und mit klarem Verstande gesehen eben überhaupt nicht an der Seite der Armen: „Ich wünsche mir eine Kirche für die Armen“ sagte Papst Franziskus bei seiner Wahl, dieser Wunsch ist Wunsch geblieben: Er selbst wohnt zwar seit Beginn seiner Regierung in einer einem Apartment des Hauses „Santa Marta“, also nicht im Palazzo, wie Benedikt XVI….Dieser Umzug ist wohl das entscheidende Symbol des Reformwillens von Papst Franziskus. Kardinäle bewohnen ungeniert 300 Quadratmeter Wohnungen, wie Kardinal Bertone usw….

Nur: Diesem Ortswechsel des Papstes, dies ist mehr als ein Umzug, folgt kein Bischof, kein Kardinal nach: Falls jemand weiß, dass die deutschen Kardinäle oder Erzbischöfe etwa in 3 Zimmer – Mietswohnungen der Neubauviertel von Köln oder München Bamberg usw…. umgezogen sind, bitte bei mir melden. Falls jemand weiß, dass die Ordensgemeinschaften, auch die Abteien und Stifte, endlich einmal ihre Finanzen, ihre Immobilien, Waldbesitzungen etc. freilegen, wo sie doch so viel von Armut reden, bitte bei mir melden!

Wenn ich also auf einige zentrale kritische Aspekte zu Papst Franziskus hinweise – jeder Mensch muss sich selbst und andere kritisch betrachten – dann folge ich selbstverständlich nicht der gehässigen Kritik der äußerst konservativen klerikalen Clique der sich allwissend gebenden Kardinäle, Bischöfe und Theologen, die sich schlechterdings keinen Wandel, keine lebendige Veränderung in der römischen Kirche vorstellen können. Sie wollen einfach nur Papst Franziskus fertig machen, weil er eben weltpolitisch betrachtet etwas aus dem Rahmen üblicher Kleriker – Mentalität fällt. Diese ultrakonservativen Herren, die immer von ewigen Grundsätzen sprechen, interpretieren diese Grundsätze selbstverständlich absolut autoritär, ohne Diskussion, exklusiv, für ewig… so sind nun einmal autoritäre, undemokratische Systeme. Solche Systeme nannte der große Psychologe Erich Fromm treffend nekrophil.

Es gibt selbstverständlich eine aus der progressiven Theologie und Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie kommende Kritik am Papsttum und auch an Papst Franziskus. Trotz des allseits gerühmten Filmes von Wim Wenders.

Die entscheidende Erkenntnis: Der Vatikan und die gesamte Leitung der römischen Kirche ist ein autoritäres System, in der die „normalen Gläubigen“, die Laien, nur Belangloses sagen dürfen, aber niemals auch nur ansatzweise Wichtiges mitentscheiden. Frauen schon gar nicht, sie sind Hilfstruppen in der Männerkirche. Und das Schlimmste ist jetzt: Diese Degradierung der Frauen, ihr Ausschluss vom Priesteramt soll nun auf ewig so bleiben: Niemals wird es ein Priestertum der Frauen geben, wie der neue Chef der Glaubenskongregation Kardinal Ladaria SJ kürzlich meinte, er steht natürlich auf der Seite des lieben Gottes, weiß alles, entscheidet alles. Die Frauen werden aus diesem theologischen Wahn eines Kardinals ihre Konsequenzen ziehen.

Und es ist bezeichnend für die Situation in einer Diktatur, die Wahrheiten willkürlich auferlegt, dass in der Kirchenzeitung „Tag des Herrn“, vom 10. Juni 2018, Seite 2, die Redakteurin Susanne Haverkamp resigniert zu dem Verbot des Frauenpriestertums schreibt: Wenigstens „die Gedanken sind frei“. Was für eine Schande, solches schreiben zu müssen. Frauen denken nur noch insgeheim ans Priestertum der Frauen, glauben aber nicht daran, dies noch in den nächsten 300 Jahren zu erleben. Wie oft wurde einst in undemokratischen Zuständen gesagt: Wenigstens die Gedanken sind noch frei. Was für ein erbärmliches Bekenntnis einer theologisch gebildeten Katholikin zum miserablen Zustand der römischen Kirche: Diese Entscheidung des obersten Chefs der einstigen Inquisitionsbehörde Kardinal Luis Ladria SJ jetzt geschah selbstverständlich in Absprache mit Papst Franziskus. Wer daran denkt, möge bitte eher von einer Heiligsprechung von Papst Franziskus Abstand nehmen, aus Gründen einer progressiven Theologie, die lebendig ist und nicht versteinert und tot wie die in Rom.

Theologisch ist dieser Papst Franziskus also nach wie vor konservativ, den alten und angeblich ewigen Wahrheiten verpflichtet. Die Liste dieser konservativen Denkmuster auch bei Franziskus ist ultra lang. Das Zölibatsgesetz könnte er als Papst sofort aufheben, das ist seine rechtliche Kompetenz, tut er aber nicht. Hingegen verehrt er die Jungfrau von Fatima, die einst den Hirtenkindern in Portugal leibhaftig erschien…Franziskus schätzt den selbst von anderen Päpsten scheinheilig genannten Kapuziner Pater Pio, der mit seinen angeblichen Wundmalen Jesu an seinem Leib einen blühenden Handel trieb; Papst Franziskus praktiziert nach wie vor den Ablass, als hätte es das Reformationsgedenken 2017 nicht gegeben; in seinen Morgenansprachen im Haus Santa Martha spricht er ständig von der Präsenz des Teufels, Teufelsaustreibungen werden selbstverständlich immer mehr praktiziert usw. Die Versöhnung mit den Traditionalisten und Pius – Brüdern von Erzbischof Lefèbvre geht voran, indem man deren reaktionäre Theologie schrittweise anerkennt…Diese Liste sehr zweifelhafter theologischer Praktiken auch unter Franziskus und von ihm so gewollt könnte endlos verlängert werden…

Da könnte man sagen: Ja, aber das will Franziskus doch selbst gar nicht. Das alles lässt er nur zu, um die vielen reaktionären Kleriker im Vatikan und anderswo etwas ruhig zu stellen: Aber wenn das so ist, dann bestätigt diese Situation nur den Zustand der römischen Kirche. Die nach außen hin hoch beachtliche humane Geste von Franziskus im Umgang mit Gefangenen, Armen, Flüchtlingen usw. geschieht auch deswegen, damit die KatholikInnen noch in dieser Kirche bleiben. Der Film von Wim Wenders ist dafür eine willkommene Hilfe. Vielleicht.

Wim Wenders war nicht in der Lage, das so unglaublich zwiespältige theologische Profil von Papst Franziskus zu zeigen. Sein Film zeigt insofern nur den “halben“, den nach außen hin so sympathischen Franziskus! Man möchte heulen, wenn man ihn so segnend, streichelnd, volksnah, solidarisch sieht. Und sollte auch heulen, wenn man seine theologischen Positionen denkt, siehe oben…

PS.: Dabei wäre es auch eigentlich einmal an der Zeit, nach dem Verhalten von Pater Bergoglio SJ, dem späteren Papst Franziskus, und dem späteren Erzbischof Bergoglio von Buenos Aires im Umfeld der brutalen, sich katholisch nennenden Militärdiktatur in Argentinien umfassend zu forschen. Die seriöse umfassend – kritische Debatte darüber „wurde verstummt“, unterbrochen, abgebrochen… Aber solche Forschungen machen einen nicht beliebt, machen zu viel Arbeit den deutschen Filmemachern und Journalisten.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

Junge PhilosophInnen philosophieren auf der Straße in Berlin – Reinickendorf

Berlin hat am 21. Jui 2018 eine „Allee der Fragen“

Ein Hinweis von Christian Modehn

Ein philosophisches Ereignis in Berlin: Aber was ist ein philosophisches Ereignis? Vielleicht dies: Ein lange dauernder prägender Moment, wo Menschen mit einander in ein tieferes Gespräch kommen voller Fragen, die weiterführen und ins Weite führen.

Ein philosophisches Ereignis gibt es am 21. JUNI 2018 ab 16 Uhr in Berlin Reinickendorf: Da schlagen philosophisch interessierte und gebildete Schüler eine, wie sie sagen, „Denkachse“ durch den Alltag Berlins: Auf 200 Plakaten werden Resultate philosophischer Gespräche mit Leuten auf der Straße dargestellt: Sokrates philosophierte ja bekanntlich auch auf der AGORA von Athen. Die Schüler der Max-Beckmann-Oberschule in Reinickendorf wollen anlässlich dieser Plakate, Ergebnisse von Gesprächen,  mit den Menschen ins Philosophieren kommen: Denn jeder Mensch philosophiert „immer schon“, ob er das weiß oder nicht.

Die Schüler, die für die Philosophien ihre Leidenschaft haben, sprachen also mit Menschen in Kirchen, Seniorenzentren, Schulen, Büchereien usw. sogar in Kneipen und Supermärkten: Bravo, genau dort überall lebt Philosophie, weil Philosophie auch alltäglich ist und nicht nur eine akademische Disziplin an der Uni. Die Philosophie Lehrerin Melanie Heise hat das Projekt begleitet, sicher ein Vorbild für weitere ähnliche Unternehmungen an anderen Schulen. Hoffentlich nehmen auch viele andere Lehrerinnen anderer Schulen teil. Eigentlich ja ein Muss!

Ab 16 Uhr kann man also auf der Auguste Viktoria Allee in Reinickendorf, gut erreichbar mit der U Bahn, nicht nur die Plakate mit ihren philosophischen Fragen studieren, sondern auch mit den SchülerInnen debattieren, vielleicht bleibt mancher stundenlang nachdenkend stehen wie Sokrates einst in Athen.

Das Projekt „Allee der Fragen“ verdient alle Aufmerksamkeit. Denn Philosophie kommt wieder unter die Menschen, weil sie als ständiger kritischer Impuls zum Menschen gehört. Und es sind Schüler, die uns das zeigen! Vielleicht wird die “Allee der Fragen” bald einmal ins Regierungsviertel verlegt, oder in die Nähe vieler großer religiöser (dogmatischer) Zentren oder in die Nähe eines gescheiterten Flughafens oder in die Nähe der großen Ausflugsgebiete, etwa am Wannsee:

Die Philosophie kommt unter die Leute. Was für eine Chance! Lassen wir uns also im Fragen verunsichern. Diese Unsicherheit ist heilsam, man muss es nur mal im Denken probieren… Wenn die Mitglieder vieler populistischer Parteien philosophisch, also selbstkritisch, sich selbst kritisch zuhören würden in ihren erbärmlichen Schimpftiraden und Hassattacken gegen seriöse PolitikerInnen, würden sie endlich vor intellektueller Scham den Mund halten und weiter nachdenken.

Also: Kritisches Reflektieren auf sich selbst ist politisch. Philosophie kann vergiftete Atmosphären und vergiftete Mentalitäten etwas heilen…Hoffentlich.

“Spiritus rector” des Projekts ist der Schulleiter Matthias Holtmann, der sich auch überzeugt zeigt, dass es so etwas wie einen philosophischen „Urinstinkt“ gibt, den alle teilen. Die Philosophie Dozentin Melanie Heise, Initiatorin und Koordinatorin des Projekts, betont: „Die Tatsache, dass alle Menschen solche Fragen in sich tragen zeigt uns, dass wir uns oft näher sind als wir wissen und uns mehr verbindet als uns trennt. Und gerade heute, in nervösen Zeiten in einer schnelllebigen Welt, die von vielen existentiellen Erschütterungen verunsichert wird, bietet es sich an, die Kraft und die Weisheit der uralten philosophischen Praxis zu nutzen.“

Die „Allee der Fragen“ ist ein Projekt des Quartiersmanagement Auguste-Viktoria-Allee und wird aus Mitteln des Städtebauförderungsprogramms „Soziale Stadt“ der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen finanziert.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Damit die Endzeit anbrechen kann: Auch Guatemala und Paraguay eröffnen ihre Botschaften in Jerusalem

Ein Hinweis von Christian Modehn am 22.5. 2018

Damit sich die US Behören in ihrer neuen Botschaft in Jerusalem nicht so isoliert fühlen, könnte man denken, haben ein paar Tage später freundlicherweise die Präsidenten von Guatemala und Paraguay ebenfalls ihre Botschaften in der „heiligen Stadt“ eröffnet.

Diese politische Aktion muss nicht nur einem üblichen Kalkül entsprechen, dass die USA und auch Israel den beiden lateinamerikanischen Staaten finanziell und militärisch weiterhin sehr beistehen. Und, was dazu gehört, helfen, oppositionelle Gruppen auszuschalten.

Klar ist, dass der Präsident von Guatemala, Jimmy Morales, ein bekennender Evangelikaler ist, 41 % der Guatemalteken nennen sich evangelisch. Einst war das Land nominell katholisch mit starker Präsenz indigener Religionen… Die politischen Verhältnisse in Guatemala sind bekanntermaßen verheerend schlecht. Nur ein Zitat aus dem Bericht von Amnesty International: „Menschenrechtsverteidiger wurden auch 2016 weiterhin bedroht, stigmatisiert, eingeschüchtert und angegriffen. Laut Angaben der Menschenrechtsorganisation UDEFEGUA (Unidad de Protección a Defensoras y Defensores de Derechos Humanos Guatemala) wurden 14 Menschenrechtsverteidiger getötet. Besonders Menschenrechtsverteidiger, die sich für den Umweltschutz engagierten, waren von Angriffen bedroht. Menschenrechtsverteidiger, die sich für Landrechte, indigene Territorien und Umweltschutz einsetzten, waren mit Verleumdungen und Versuchen konfrontiert, sie als Straftäter zu brandmarken. Quelle: AI https://www.amnesty.de/jahresbericht/2017/guatemala. Auch der frühere Präsident Efrain Rios Montt und Massenmörder (er wurde verurteilt, dann aber wurde das Urteil wie so oft üblich dort wieder aufgehoben) war ein Evangeikaler, befreundet mit den einschlägigen US Pastoren Pat Robertson und Jerry Falwell.

Auch der Präsident Paraguays Horacio Cortes ist ein alter Freund Israels, die Evangelikalen in Paraguay haben mehrfach ausdrücklich die Bürger aufgefordert, für diesen frommen Präsidenten zu beten. Im August 2018 endet seine Amtszeit… Israel leistet dank der Vermittlung von Cortes in Paraguay Militärhilfe usw.

Aber interessanter ist: Diese Evangelikalen, geprägt von Pastoren in den USA, denken in wirren Begriffen, die sie dem Buch der Apokalypse des Johannes entnehmen. Das Katastrophale ist nur: Diese frommen Politiker setzen diese wirren Bilder und Begriffe in politisches Handeln um. Sie glauben: Die definitive Entscheidungsschlacht, die letztlich das endgültige Reich der Herrschaft Christi befördert, findet im Ort Armageddon statt. In der konfusen „Theologie“ der Evangelikalen kann diese definitive blutige Entscheidungsschlacht aber nur stattfinden, wenn Israel zu einem biblischen Großreich wiederhergestellt ist. Diese Evangelikalen brauchen also für ihren eigenen Christus – Glauben den Staat Israel als starken Staat. Sie verschweigen aber dabei, dass die Juden im Falle des Endsieges nur als bekehrte (zum Christentum konvertierte) Juden eine Chance zum Überleben haben. Alle anderen Juden wandern diesem Wahn entsprechend in die Hölle. Die nationalistischen Juden in Israel sollten sich also nicht zu früh freuen über alle Umzüge von Botschaften und der von Evangelikalen dick aufgetragenen „Liebe“ zu Israel.

Zwei Dinge sind vor allem skandalös:

Dass dieses wirre Buch Apokalypse des Johannes immer noch zum Corpus des Neuen Testaments gehört. Einige liberale Theologen, ich auch, plädieren dafür: Raus mit diesem wirren Text, den man nur mit 10 umfangreichen Kommentaren verstehen kann. Diese Mühe machen sich die Evangelikalen bekanntlich nicht, sie lesen die Bibel wortwörtlich, wie einen Zeitungsbericht. Die „Tugend“ der Dummheit ist dort groß geschrieben.

Skandalös ist auch, dass im Rahmen der diplomatischen Umzüge jetzt nach Jerusalem meines Wissens gar nicht ausführlich genug auf den biblischen Background bei Herrn Trump und seiner so ergebenen evangelikalen Wählerschar aufmerksam gemach wurde. Das ist politische Theologie, die da umgesetzt wird, auch sein alter Berater, der Katholik, Steve Bannon, denkt in diesen Wahnbegriffen.

Diese sich religiös und ultra fromm nennenden Leute gefährden die Welt, sie bereiten Kriege vor, welche kritisch gebildeten Christen sind noch bereit, für die Vernunft zu kämpfen? Wer greift diese verblendeten evangelikalen und charismatischen und oft auch pfingstlerischen Leute noch argumentativ an? Wer geht vor gegen Trump und Co.?

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Sollen die vielen “kirchlich Distanzierten” etwa in diese Kirchen wieder zurückkehren?

Über das Buch „Eine Kirche für viele, statt heiligem Rest“ von Erik Flügge und David Holte

Ein Hinweis von Christian Modehn

Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie muss sich mit der tatsächlichen Entwicklung des religiösen Bewusstseins befassen, auch in den Kirchen..

Die heute immer noch übliche Behauptung der sich rechtgläubig gebenden Bischöfe und Prälaten: „Lieber ein treuer kleiner heiliger Rest in den Kirchen als eine große Masse halbherziger, lauer Mitläufer“, ist natürlich ein Skandal. Denn da spricht die Arroganz der sich erlöst und besser Wissenden. Da kommt die Verachtung durch, dass all die anderen, die Mehrheit, die 90 Prozent, die nicht mit dem kirchlichen Leben und dem Seelsorge Betrieb intensiv verbunden sind, tatsächlich schon Abtrünnige oder gar Atheisten sind (beide Begriffe sind in der Sicht der Bischöfe und Prälaten bekanntlich ein Schimpfwort). Aber von den Kirchensteuerbeiträgen dieser 90 % lebt die Rest – Kirche trotz allem gern…

Insofern kann ich die Wut der beiden Autoren dieses Buches (Erik Flügge und David Holte) verstehen, wenn sie sich gegen eine Kirche wenden, die sich wie ein Sekte fast nur um den harten treuen „Kern“ der 10 % Kirchgänger kümmert: Sind es übrigens in Deutschland wirklich noch so viele? Ich denke, diese Ziffer 10 % ist bestenfalls gültig, wenn man immer die Teilnahme an den vielen Gottesdiensten zu Heilig Abend mitrechnet. In Frankreich jedenfalls nehmen heute noch 4 % der Katholiken regelmäßig, d.h. dort einmal am Monat, an der Sonntagsmesse teil, Tendenz fallend, weil die TeilnehmerInnen wie die Priester selbst meist im Senioren- und Greisenalter gelandet sind. Nichts gegen Senioren: Sie haben oft mehr Zeit für Sinnfragen als die gestressten Vierzigjährigen, vielleicht…)

Diese aktuellen religionssoziologischen Daten sind bekannt, sie kann man jederzeit nachlesen, aber sie werden aus Angst kaum innerhalb der Kirchen öffentlich diskutiert: Mit anderen Worten: Die Sterbende, also die Kirche, will ihren realen Zustand nicht wahrnehmen…Dass es in Afrika anders aussieht, tröstet nur begrenzt. Ohne jeden Zynismus möchte ich sagen: Die Armen, Hungernden und Sterbenden in den Elendsvierteln dort brauchen das Opium des Volkes, also die Religion, das ihnen manchmal von verbrecherischen, sich bereichernden Millionärs-Predigern dargeboten wird, für teures Geld in den super schicken Mega Churches von Nigeria etwa…

Wer auch noch ein bisschen Interesse hat am Überleben etwa der katholischen Gemeinden in Deutschland und Europa, in Spanien ist es ja nicht anders, in Holland auch nicht usw., sollte also die Kirchen- Szene beobachten. Denn für mich ist entscheidend: Mit dem systematisch betriebenen Verschwinden der Gemeinden und Gemeindezentren verschwindet auch soziales, kommunikatives Leben. Dadurch, dass sich der Klerus zum absolut einzigen Maßstab macht, wird sozusagen das Ende einer menschenfreundlichen Kommunikation befördert. Dass Gemeinden schließen und Kirchen abgerissen werden, bestimmt einzig der Klerus. Die Kommunikation in der Gemeinde war ja nicht immer klein kariert, denn sie enthielt die Chance, mit anderen Menschen in aller Vielfalt zusammenzukommen. Homosexuell lebende und liebende Menschen hingegen waren aus diesem „Club“ meist ausgeschlossen, es sei denn, sie verbargen ihre Identität. Aber das ist ein anderes Thema.

Das schmale Buch (ein Pamphlet sagt man in der romanischen Welt) der beiden Autoren ist wichtig, denn es ist förmlich ein letzter Aufschrei doch noch junger Menschen, denen noch etwas an Kirche und Gemeinde liegt; aber sie wollen Kirche nicht in der Form der heute schon wieder üblichen charismatisch fundamentalistischen Engstirnigkeit! Sondern eben als Kirche der Offenheit, des Geistes, der Fragen, der Vernunft. So etwas Grundlegendes darf man doch noch mal fordern, bevor alles Kirchliche hierzulande umkippt in Richtung Sekte. Richtig, kann ich da nur sagen.

Aber mir fehlt doch etwas: Die Überlegung fehlt, inwiefern die 90 %, (man verzeihe diese objektiverende Ausdrucksform!), außerhalb oder halbherzig noch innerhalb der Kirchen, auch ihre eigene, sehr persönliche Spiritualität TATSÄCHLICH bereits haben. Vielleicht hat gerade die Distanz zu den Kirchen sie befreit, um ihren eigenen Mittelpunkt im Leben zu suchen, Gott genannt, um in kleinem Kreis über diese eigene spirituelle Vorliebe zu sprechen: Es kann die Sehnsucht nach Liebe und Partnerschaft sein, die Freude über da Leben, die Kinder, die Sorge um die Natur, der Beistand für die Armen, oder einfach das Eingeständnis: Ich bin so kaputt, von der Arbeit, vom Betrieb, dass ich mich selbst allmählich verliere…

Mit diesen Menschen ins Gespräch zukommen, ist in der alten Kirchenstruktur gar nicht möglich. Dafür braucht man Menschen, die kompetent sind und Zeit haben, beides ist vom kirchlichen Personal, den Priestern etwa, meistens nicht zu erwarten. Dafür braucht man auch neue Räume außerhalb des Kirchengettos. Ich plädiere aus eigener, anders gelagerter Erfahrung für „Salons“, etwa philosophische Salons.

Noch wichtiger ist die Erkenntnis: Die Christen verlassen ihre Kirchen(gemeinden) auch, weil sie mit der Kirchenlehre und Kirchenmoral nicht mehr zurecht kommen, weil sie sich darin nicht mehr selber wieder finden. Das ist die entscheidende Erkenntnis. Niemand sollte in die alte Welt der vielen Dogmen und Glaubensvorschriften und Kirchengebote usw. zurück kehren müssen. Mi anderen Worten: Mir fehlt in dem Buch die elementare, aber selten deutlich ausgesprochene theologische Erkenntnis: Die alten Dogmen auch in dieser nicht mehr nachvollziehbaren Sprache sind nicht mehr Ausdruck unseres Glauben, vor allem unseres Lebens. Zu einer Kirche mit diesen Dogmen wollen und sollen die 90 % doch bitte nicht zurückkehren. Wir brauchen eine Dogmen – Entrümpelung,, ein Beseitelegen der dicken Kirchengesetzbücher, eine Reduzierung der christlichen Moral auf 10 begründete Sätze.

Darüber sollten nicht nur die beiden Autoren ein weiteres Buch schreiben, aber es können diesmal ruhig 150 Seiten mehr sein. Das Thema ist nicht nur spannend, es ist wichtig: Wie elementar einfach und menschlich, lebendig,wandlungsfähig ist der christliche Glaube? Auch in den Kirchen. Leben heißt ja sich wandeln, sich ändern, Neues sehen und sagen. Wer keine alten Dogmen und alten Überzeugungen zurücknehmen kann, ist also mindestens erstarrt. Wer will als lebendiger Mensch in erstarrte Verhältnisse zurück, ohne die geringste (rechtlich garantierte) Chance, diese Erstarrheit aufzubrechen?

Eine Kirche für viele. Statt heiligem Rest. Von Erik Flügge und David Holte. Herder Verlag, 78 Seiten, 2018, 8 Euro.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

Pfingsten: Der Geist ist heilig. Der Leib natürlich auch…

Pfingsten ist leider ein philosophisch und theologisch weithin unbekanntes Fest. Es sollte darum in nachvollziehbaren Worten erklärt werden. Dabei wird an den zwei Pfingstfeiertagen die Erfahrung und die Einsicht gefeiert: Der Geist  (also auch die Vernunft) ist ein göttliches Geschenk. Etwas Heiliges. Und der Geist weiß: Der ganze Mensch, die ganze Person, jeder und jede, ist von sakraler Würde: “Unanstastbar”, sagen die Menschenrechts – Erklärungen. Und: Ostern und Pfingsten gehören inhaltlich zusammen: Weil zu Ostern die Gemeinde nach Jesu Tod entdeckte:  Es gibt das Ewige und über den Tod Bleibende im Menschen. Auch Jesus hatte dieses Ewige, Unzerstörbare, “in sich”, deswegen lebt er auf unbekannte Art weiter. Wie alle anderen Menschen auch wissen können: Auch wir haben wie Jesus das Ewige “in uns”. Diese Erkenntnis wird zu  Pfingsten gefeiert. Und Gemeinde ist jene weite und immer internationale Gruppe, die aus dieser Überzeugung frei leben kann…Und hoffentlich das Feiern nicht verlernt hat…

Ich habe einige Beiträge zu dem zentralen philosophischen und religiösen Fest notiert, klicken Sie hier.

Religionen und Kirchen werden zu Friedensreligionen: Die radikale Reformation

Einige Thesen im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon am 11.5. 2018. Eine not – wendige Utopie.

Von Christian Modehn

Wir können in diesen Zeiten zunehmender Aggressionen, Kriege, ökologischer Verwüstungen, sozialer Ungerechtigkeit weltweit nicht mehr so weiterleben und so weiterdenken wie bisher. Auch die Religionen, auch die Kirchen, müssen sich in dieser Situation inhaltlich verändern: Sie sollten sich zu Friedensreligionen, Friedenskirchen, entwickeln. Das wäre die heute gebotene endlich einmal tief greifend neue Reformation. Denn: Dogmatischer Konfessionalismus und herrschsüchtiger Klerikalismus sind keine Hilfen mehr in dieser bedrohlichen Situation heute. Konfessionalismus, Fundamentalismus und Klerikalismus (Priesterherrschaft) behindern nur die Entwicklung zu einem friedlichen Miteinander.

Schon immer haben Religionen und Kirchen wenigstens ansatzweise versucht, die jeweiligen politischen Verhältnisse zu respektieren, auch für die Formulierung der eigenen Glaubens – Lehren (meist haben sie sich auf die Veränderungen in Staat und Gesellschaft anpasslerisch bezogen, man denke an die Übernahme von Kolonialismus, Rassismus, Sklaverei, Hexenwahn in den Kirchen selbst). Es gab aber auch Versuche, etwa angesichts des Kolonialismus in Latein-Amerika die Menschenwürde aller, auch der „Indianer“, theologisch zu respektieren, siehe Pater Bartholomé de las Casas und andere Ausnahmegestalten… „Die eigentliche Erbsünde der modernen westlichen Welt besteht in der schwer sündhaften Weltordnung, die sich in den Jahrhunderten brutaler kolonialer Expansion seit 1492 konstituierte“, so der katholische Theologe Tissa Balasuriya aus Sri Lanka, in der ökumenischen theologischen Zeitschrift „Concilium“, März 2007, Seite 14. Es gilt heute, diese „Erbsünde“ zu überwinden.

Angesichts der Krise Europas, der Bedrohung der Welt durch aggressive und nationalistische Politiker („America first“ etc.), also durch Politiker, die offenbar niemand mehr bremsen und niemand absetzen kann, angesichts der ökologischen ist es eine Notwendigkeit, dass wenigstens religiöse oder explizit humanistische Menschen zusammen mit ihren Religionen einen radikalen auch dogmatischen Einschnitt wagen, sozusagen als letzte Hilfe, in letzter Minute. Das hat nichts mit Alarmismus oder Pessimismus zu tun, sondern entspringt einer rationalen Einschätzung des Weltzustandes.

In dieser Zeit und sicher in alle weiteren Zeiten kann Religion, kann Humanismus nur noch akzeptabel und glaubwürdig sein, wenn sie sich zu Friedensreligionen, Friedensphilosophien, zum Forum für universale Gerechtigkeit entwickeln. Friedensforschung und Konfliktforschung rücken damit ins Zentrum religiöser Arbeit. Gesprächsforen unterschiedlicher Menschen unterschiedlicher (bisher feindlicher) Ideologien werden genauso wichtig wie die üblichen Gottesdienstes.

Friedensarbeit und Versöhnungsarbeit IST Gottesdienst!

Diese Religionen und Kirchen lösen sich von ihren Bindungen an nationales Denken. Denn nationales Denken führt erwiesenermaßen immer in Kriege und zur Vernichtung der Menschheit.

Damit ist nicht gemeint, dass eine Welteinheitsreligion entstehen sollte. Die Pluralität der Religionen bleibt erhalten, selbstverständlich. Nur wird aller Nachdruck darauf gelegt, das Wesentliche, das Humane, das Frieden Fördernde in den Religionen in den absoluten Mittelpunkt zu stellen. Und das Gemeinsame zu besprechen, zu pflegen, zu feiern.

Religionen sind also nicht mehr zuerst gebunden an ihre kleine und begrenzte Welt der Dogmen und spezifischen eigenen Traditionen.

Die neue Orientierung der Religionen, Kirchen, ist gebunden an die Erklärung der Menschenrechte. Auch wenn diese Erklärung der Menscherechte der UNO aus einem kulturellen (humanistischen, europäischen) Umfeld stammt, gelten die Menschenrechte doch universal. Die begrenzte Herkunft sagt nichts gegen die Universalität der Erkenntnis. So wie der kategorische Imperativ von Kant zwar im beschaulichen Königsberg formuliert wurde: So gilt diese ethische Erkenntnis mit Evidenz doch universal, auch in Peking oder Washington. Die politisch Gefangenen in China wollen selbstverständlich die Geltung der Menschenrechte, auch wenn diese Menschenrechte nicht in China „entdeckt“, d.h. formuliert wurden. Das selbe gilt für die verzweifelten Aktivisten in den USA, die trotz allen offiziellen politischen Wahnsinns dort gegen die Verbreitung der Schusswaffen kämpfen usw. Das gilt die indianischen Völker am Amazonas, die für ihren eigenen Lebensraum und den Schtz der Wälder gegen die Allmacht des weißen rassistischen Imperialismus in Brasilien kämpfen….

Konkret: Wie die Christen die Bibel studieren und darüber debattieren, so sollten gleichwertig und mit höheren Intensität auch die Erklärungen der Menschenrechte (der UNO) gelesen, diskutiert, in gewisser Weise verehrend hoch geschätzt werden: Nicht deswegen, weil es heilige Texte sind, sondern weil darin die Sakralität der Personen, aller Menschen, deutlich wird. Siehe dazu das Interview mit dem protestantischen Theologen Wilhelm Gräb, Berlin.

Denn der gemeinsame Kern aller Religionen, so sagen Religionswissenschaftler, ist etwas Göttliches, Heiliges, Unantastbares, das letztlich den Menschen sagt: Dieses Göttliche, Heilige, Unantastbare, dieses „Nichts“, wie auch immer, will letztlich nur das Gute für die Menschen, auch für dich. Diesen KERN gilt es spirituell zu pflegen und in diesem Geist gilt es miteinander auch politisch – kritisch zu handeln.

Diese Erkenntnisse müssen ausgetauscht werden im Dialog. Auch mit Atheisten. Voraussetzung ist: Keiner der Gesprächspartner aus einer Religion besitzt die einzige und für alle geltende religiöse Wahrheit. Die einzige Wahrheit, die alle verbindet, ist das Bemühen, die Menschenrechte zu erkennen und zu leben. Es gibt also eine höhere allgemeine, vernünftige, philosophische Wahrheit als die Religionen oder Atheismen. Religionen und Konfessionen erkennen an: Aus ihrem je eigenen begrenzten dogmatisch – religiösen Zusammenhang finden sie allein nie den Weg, sich für den partnerschaftlichen Dialog mit anderen Religionen lernbereit zu öffnen. Allein philosophisches Nachdenken IN den Religionen und Konfessionen sprengt die enge Welt der dogmatischen Religionen. Hilft, exklusive religiöse Lehren beiseite zu legen, kriegerische Elemente in der eigenen religiösen Tradition für ungültig zu erklären.

Wer seine Spiritualität als Friedensspiritualität lebt, muss sich ständig bilden. Die Lektüre kritischer Zeitungen ist dann genauso wichtig wie die Lektüre heiliger Texte etc.

Das Eintreten für die Menschenrechte (das sind selbstverständlich auch Rechte der Natur und der Tiere) durch den einzelnen ist natürlich bezogen auf das unmittelbare Umfeld des Alltags. Jeder suche sich einen Bereich, wo er, sie, für die Menschenrechte eintritt: Wohnungsprobleme, Gentrifizierung, gegen den Hass auf Ausländer und Flüchtlinge eintreten…

Philosophisch wäre eine Aufgabe: Für eine neue Akzeptanz des Kompromisses eintreten. Es gilt zu unterscheiden zwischen faulen und richtigen Kompromissen.

Religionen und Kirchen als Friedensreligionen: das verändert das innere Leben der Kirchen selbst: Anstelle der üblichen Gottesdienste mit Liedern und bloß erbaulichen Predigten: Gespräche, Begegnungen, Informationen, des Austausches auch mit Fremden, verbunden mit Momenten der Stille, der Meditation, des Hörens von Musik.

Der einzelne kann dieses Leben nur leben in der Erfahrung und Erkenntnis: In jedem Menschen, auch in mir, lebt etwas Wesentliches, Heiliges, meinetwegen auch „Nichtiges“ (buddhistisch), aber Unzerstörbares, das mich mit einer Dimension von Welt verbindet, die über meinen Alltag hinausreicht. Diese Erfahrung „des geschenkten Unverfügbaren“, „Heiligen“, „Nichts“, wie auch immer in diesen schwachen Worten: Diese reflektierte und ausgesprochene (!) Erkenntnis ist der Mittelpunkt einer spirituellen Energie, die wir alle brauchen. Da bilden sich dann wesentliche, neue Gemeinsamkeiten:

 

Der Theologe Leonardo Boff, Brasilien, zitiert den Yoga-Meister José Hermógenes:

Ich bat Krishna um seinen Segen, und Christus segnete mich.

Ich betete zu Christus, und Buddha war es, der mich erhört hat.

Ich rief Buddha an, und es war Krishna, der mir antwortet“. (zit. in Concilium, Internationale Kathol. Zeitschrift, März 2007, Seite 55)

 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin