Konservative Mönche in einer konfessionslosen Gesellschaft: Das neue Zisterzienser Kloster in Neuzelle, Brandenburg

Die Mönche von Neuzelle wurden ausgebildet in einer extrem konservativen Theologie. Am 2. September 2018 eröffnen  sie offiziell ihr “Priorat”

Hinweise von Christian Modehn

Theologisch Gebildete kennen genau den Unterschied: Die katholische Kirche kann sich in einer für sie fremden und befremdlichen Kultur und Gesellschaft unterschiedlich verhalten: Sie kann sich “inkulturieren”, also Rücksicht nehmen auf die umgebende Kultur, indem sie selbst beispielsweise die eigentümliche Lebenswelt der Menschen dort versteht und achtet, also die Überzeugungen der Menschen auch als Angebot, theologisch von ihnen zu lernen, wahrnimmt; auch die Gottesdienste und Messen so gestaltet, dass die Konfessionslosen etwas verstehen und sich nicht in  eine ferne mittelalterliche Welt versetzt fühlen.

Diese Lernbereitschaft von der umgebenden Kultur pflegten etwa die Jesuiten in China, im 16. Jahrhundert; diese Lernbereitschaft lebt etwa der große tschechische Theologe Prof. Tomas Halik in Prag heute.

Ich bin der begründeten Überzeugung: Die sich jetzt in Neuzelle etablierenden Zisterzienser Mönche aus dem sehr reichen Stammkloster Heiligenkreuz bei Wien verpflanzen nur ihr nach angeblich ewigen Regeln bestimmtes Klosterleben ins säkulare Umfeld Brandenburgs.. Solche Theologen haben die Meinung: Sollen doch die Leute in unsere ferne Glaubenswelt förmlich springen, sollen sie alle ihre säkulare und demokratische Kultur vergessen und ablegen, wenn sie Katholisch werden wollen. Denn sonst würden wohl die 6 Mönche nicht 8 mal am Tag, von morgens bis abends, ihr Chorgebet, oft in lateinischer Sprache halten.  Sollen die Leute doch morgens um 6 in die kalte Kirche kommen und uns lateinische Psalmen singen hören… Dies ist ein konfrontatives Verhalten! Diese Haltung nennen heutige Theologen arrogant. Denkbar wäre doch: Die Mönche lehren die Menschen zur Stille zu finden, zu meditieren, ein paar Verse aus der Bibel oder anderen großen Weisheitsbüchern zu verstehen. Nein, solche Brücken des Dialogs werden offenbar nicht geschlagen. Die Mönche bleiben streng mittelalterlich, nach dem lebensfeindichen Motto: “Immer dasselbe,  keine Wandlung, sondern Stillstand”.

Veränderungen gibt es für diese geistlichen Herren nur im materiellen Sinne: Jetzt wollen sie sogar ein neues Klostergebäude am Rande des alten Klosterkomplexes bauen. Das Geld sei da, meint der Bischof von Görlitz.  Es sollte aber doch besser ausgegeben werden für Jugendzentren in dieser einsamen Gegend, für Gesprächsräume in vielen Städtchen und Dörfern, um dem rechtsradikalen Unfug Einhalt zu gebieten. Das wäre ein Dienst der Kirche an der Gesellschaft. Aber nein,  die Kirche investiert nicht in das lebendige Leben der Menschen dort. Sie baut den Mönchen , 6 oder vielleicht auch mal 8, ein neues schönes modernes Zuhause. Haben diese Mönche als Mönche nicht auch das übliche Armutsgelübde ausgeprochen oder haben sie es “abgelegt”, im doppelten Wortsinn. Wahrscheinlich.

Sind es Geschichten aus dem Wienerwald, die bald im brandenburgischen Ort Neuzelle erzählt werden? Wenn schon, dann bitte umfassend! Denn bisher haben sich die Medien, die offiziell kirchlichen sowieso, nicht die Mühe gemacht, das „Heimatkloster“ der neuen Mönche von Neuzelle kritisch zu untersuchen. Denn das Heimatkloster Heiligenkreuz bei Wien (in der unmittelbaren Nachbarschaft: das bekannte Mayerling mit Erinnerungen an Kronprinz Rudolf und seine Geliebte Mary) mit seiner philosophisch – theologischen Hochschule kann, theologisch betrachtet und das ist immer wissenschaftlich – kritische Betrachtung -, kaum als Beispiel für eine die heutige Gesellschaft und Kirche inspirierende Institution gelten.

Zusammenfassend gesagt: Es ist der Geist von vorgestern, der in dieser Bildungsstätte für Priester und Mönche herrscht, selbst wenn oder gerade weil sich diese Hochschule mit dem Titel „Benedikt XVI.“ schmückt. Aber die Theologie des EX- Papstes Josef Ratzinger ist ja bekanntlich auch nicht ein Inbegriff der Moderne. Ob dieser Geist von vorgestern den Brandenburgern rund um Neuzelle schließlich hilfreich ist für ihre Lebensgestaltung mit allen Problemen der Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit, AFD – Bindungen usw…. wird sich zeigen.

Fest steht jedenfalls: Am 20. August 2018 werden 6 Mönche des Zisterzienser Klosters Heiligenkreuz nach Neuzelle entsandt. Sie sollen ein leer stehendes barockes Kloster in atheistischer Umgebung neu beleben. Missionieren? Dies sicher auch. Wer wird sich darüber freuen, vielleicht über die eher folkloristisch und touristisch bedeutende Anwesenheit von 6 Mönchen auf mittelalterlichen Grund und Boden in einer barocken Kirche? Man wird sehen.

Sehr volkstümlich geben sich die Mönche aus dem Wiener Wald, wenn sie z.B. Motorräder segnen. Die teuren Zweiräder brauchen doch den Segen Gottes, damit sie dröhnend durch die Städte donnern. Technische Geräte also werden, wie so oft, offiziell kirchlich mit Weihwasser und Weihrauch, mit großem Tam Tam, gesegnet. Aber nicht aber alle Menschen, etwa homosexuelle Paare. Ausgrenzungen sind katholischerseits üblich. Dabei nennt sie sich katholisch, d.h. allumfassend. Ist sie aber de facto nicht…

Und damit sind wir bei einem der Dozenten, die an dieser Hochschule Jahre lang ihr moraltheologisches Wissen verbreiteten, nämlich Weihbischof Andreas Laun aus Salzburg. Er wandte sich kürzlich wieder gegen die Ehe von Homosexuellen: Der Segen für katholische Homosexuelle –Paare, so sagte der Heilgenkreuzer Theologe, „ist ein Segen für die Sünde. So, wie man auch kein KZ segnen darf“.

Inzwischen ist Bischof Laun altersbedingt (75 Jahre) als Dozent aus Heiligenkreuz ehrenvoll verabschiedet worden. Aber immerhin: Sein Denken hat die jungen und älteren Mönche dort geprägt. Überhaupt: Was hat eigentlich ein Amtsträger, ein Bischof, als Dozent an einer theologischen Hochschule zu suchen?

Damit sind wir bei der besonderen Konzeption von Theologie, wie sie in Heiligenkreuz betrieben wird. Es ist die Theologie, die dem großen Förderer dieser Hochschule, Papst Benedikt XVI., so wunderbar gefällt: Es ist, so wörtlich, „die kniende Theologie“, die im Gebet auf kritische Erkenntnis hofft. Ist der Titel der Hochschule „Benedikt XVI“ eine Art vorweggenommene Heiligsprechung? Oder ein implizites Nein Zu Papst Franziskus? Vielleicht! Natürlich war Ratzinger dort schon öfter zu Gast und als Papst hat er auch nicht nur kurz vorbeigeschaut.

Überhaupt scheint die Akzeptanz für Papst Franziskus in Heiligenkreuz alles andere als ausgeprägt zu sein: Gastprofessor Thomas Stark (aus St. Pölten), ein Philosoph, hatte kürzlich ein Papier unterzeichnet, das Papst Franziskus tatsächlich der Irrlehre, der Häresie, überführen wollte… Die Leitung der Kloster Hochschule Heiligenkreuz hat sich von ihrem Dozenten Stark dann distanziert, Beobachter nannten die Distanz eher halbherzig. https://diepresse.com/home/panorama/religion/5306834/Heiligenkreuz-distanziert-sich-von-Papstkritik

Schon früher fühlten sich an der Hochschule extrem – konservative Dozenten wohl, wie Robert Prantner (der FPÖ nahe stehend) und Ferdinand Holböck, die beide mit dem obskuren katholischen Engelwerk verbunden waren, das Engelwerk, gegründet von der Seherin Gabriele Bitterlich und ihrem „Kreuzorden“. Diese esoterische „Sekte“, sagen kritische theologische Beobachter, wurde dann selbst Papst Johannes Paul II. zu spinös: Das Engelwerk musste sich nach außen hin theologisch erneuern. Aber in Heiligenkreuz haben eben Engel – Werk – Leute künftige Priester ausgebildet…

Ein prominenter Erz-Konservativer unter den Dozenten von Heiligenkreuz ist Robert Prantner, er lehrte seit 1982 in der dortigen Hochschule Ethik, und dies bis 1998! In dem Jahr löste er heftige Debatten aus wegen seiner Behauptung von antisemitischen Ritualmordlegenden. Er war Anhänger des kirchlich verboteten, antisemitischen Anderl-von Rinn Kultes.

Der theologisch gebildete Insider konservativer katholischer Bewegungen, David Berger, hat in seinem Buch „Der heilige Schein“ (2010) darauf hingewiesen, dass selbst der Klu-Klux-Klan und der mit ihm verbundene „Stormfront“ sich auf Prantners antisemitischen Schwachsinn berufen. Immerhin hat der Ethik-Professor Prantner viele Zisterzienser Mönche ausbilden dürfen….(S. 97)  2002 erhielt Prantner das österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst, 1. Klasse, 1999 wurde er mit dem Stern des Päpstlichen Ritterordens des heiligen Gregors des Gr. ausgezeichnet. Welch ein „ausgezeichneter“ antisemitischer Denker im Zisterzienserstift Heiligenkreuz…

Wir können hier nur an die Fülle der objektiven Einschätzungen durch Journalisten und Theologen in Österreich erinnern. Das Magazin PROFIL schrieb zum Beispiel: „Die Heiligenkreuzer müssen sich die Einschätzungen ,konservativ, traditionalistisch und ,theologisch konventionell schon gefallen lassen. Ich weiß auch gar nicht, was sie dagegen haben“, so Pfarrer Helmut Schüller, der Sprecher der „Pfarrerinitiative“: Die Forderungen der Kirchenreformer – Abschaffung des Zölibats, Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene, Zulassung von Frauen zum Priesteramt und Stärkung der Laien – gelten in Heiligenkreuz als frevelhaftes Minderheitenprogramm“. Hingegen sagt Pater Karl Wallner vom Kloster Heiligenkreuz: „Wir wollen eine lebendige Kirche mit Freude am Glauben. Es ist nur eine kleine Gruppe, die derzeit ihren Kirchenfrust auslebt. Quelle: https://www.profil.at/oesterreich/wie-stift-heiligenkreuz-think-tank-369997

Aber bei der allgemeinen Rolle rückwärts in der römischen Kirche erstaunt es nicht, dass die Hochschule (sie besteht in irgendeiner Form seit mehr als 200 Jahren) sehr viele Studenten, meist Kandidaten fürs Priestertum, aus allen Teilen der deutschsprachigen Welt anzieht. Und dort werden Theologen und Philosophen dann zu Dozenten ernannt, die – mit Verlaub gesagt – an staatlichen Fakultäten nicht eine allzu steile Karriere machen könnten.

Jetzt sollte in Heiligenkreuz ein neuer wissenschaftlicher Start gewagt: Durch die Herausgabe eines Jahrbuches mit dem Titel: „Europa eine Seele geben“. Die Spezialistin für den katholischen Religionsphilosophen Romano Guardini, Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz, bezeichnenderweise auch sie eine Dozentin in Heiligenkreuz, hat das Jahrbuch mit-herausgegeben. Zu den Autoren dieses Buches gehören u.a. Kardinal Gerhard Ludwig Müller, nicht gerade ein Freund von Papst Franziskus und der von Papst Benedikt hoch geschätzte Sekretär, Erzbischof Georg Gänswein….Sie alle vertreten die „kniende Theologie“… Zu den Dozenten dort gehört auch der Multimillionär Dr.Dr. Peter Werner Maria Löw, er gilt in der Klosterhochschule als Honorarprofessor für Wirtschaftsphilosophie: Wikipedia berichtet über ihn: „Nach Recherchen des Manager Magazins gehörte Peter Löw im Jahr 2016 zu den 500 reichsten Deutschen (Rang 331)“.[2] (gelesen am 10.5.2018)“. Und die TAZ hat über Löw recherchiert: „Zu Multimillionären sind Löw und Vorderwülbecke mit anderen Geschäften geworden: Sie sanieren marode Unternehmen, kaufen Firmen unter Wert und veräußern sie mit sattem Gewinn – oft, nachdem sie sie verschlankt haben. Teutonia etwa. 2004 erwarb die Beteiligungsgesellschaft Arques, gegründet von Löw und Vorderwülbecke, den Kinderwagenhersteller für 100.000 Euro. Nach drei Jahren stießen sie ihn für mehr als zehn Millionen Euro ab. Eine sehr hohe Rendite, für Löw ein „normales Geschäft“. Der Oberleutnant der Reserve, Doktor in Jura und Neuerer Geschichte, besitzt mehrere Hundert Millionen Euro. Mit dem nur wenige Monate älteren Vorderwülbecke freundet sich Löw in den 80er-Jahren während des Jurastudiums in Freiburg an. Sie besuchen eine Elite-Uni im französischen Fontainebleau. 1992 gründen sie ihre erste Sanierungsholding. In den folgenden 20 Jahren erwerben und verkaufen sie mehr als 200 Unternehmen. (Quelle: http://www.taz.de/!476282/, gelesen am 10.5.2018).

Von diesem Dozenten Dr. Dr. Löw können die Mönche also lernen, was soziale Marktwirtschaft bedeutet und christliche Solidarität mit den Armen… Eine Übersicht zu den Dozenten in Heiligenkreuzz siehe: http://www.hochschule-heiligenkreuz.at/institute/lehrende/

Neu hinzugekommen zum Lehrbetrieb in Heiligenkreuz ist ein Institut für die „Theologie des Leibes“, es geht also auch um die Verteidigung der alten katholischen Sexualmoral und der einzig möglichen üblichen Hetero – Ehe, wie es der liebe Gott der Ultrafrommen vorschreibt. Dozent in diesem Leibes – Institut ist etwa der Priester Josef Spindelböck, der einst ein Vertrauter von Bischof Kurt Krenn war (auch er war ein Freund von Jörg Haider, FPÖ), Spindelböck wurde dann als Verehrer des heiligen Josefs, des ja gar nicht leiblichen Vaters Jesu, so die offizielle Theologie, Mitglied der Priestergemeinschaft „Vom heiligen Josef“… Das Institut zur Erforschung des Leibes in Heiligenkreuz ist wiederum verbunden mit dem theologischen Institut in Trumau, Gaming, auch diese Hochschule ist dem sehr konservativen Geist verpflichtet. Man sieht: Die konservative katholische Theologie zieht sich immer mehr in kircheneigene Institute zurück und meidet die staatlichen Universitäten. In privaten Hochschulen kann man halt in Ruhe das Alte unbehelligt pflegen…

“Vertreter der Uni Wien zweifelten ihrerseits wiederholt die wissenschaftlichen Standards der Heiligenkreuzer Hochschule massiv an“. (PROFIL 28.11.2013)

Man denke auch an die Worte des vorherigen Abtes Graf Henckel-Donnersmarck (er leitete das Kloster Heiligenkreuz von 1999 bis 2011): „In seinem Abschiedsinterview in der „Presse“ zeigte der Abt 2011 zumindest Neigung zu rückwärts gewandten Formulierungen: „Der Europäer hat sich durch Verhütung, Abtreibung, Ehescheidung, Gleichberechtigung anderer sexueller Lebensformen tatsächlich in einen Suizid gestürzt“ (PROFIL 28.11.2013).

Es sind also wohl alles andere als mit dem modernen Geist vertraute Mönche, die bald in Neuzelle leben werde. Haben Sie Interesse am partnerschaftlichen, lernbereiten (!) Dialog mit den vielen Atheisten und Skeptikern dort? Haben sie ökumenische Interessen, die über freundliche Worte hinausgehen?

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

Die Wahrheit sagen: Der Schriftsteller Michael Köhlmeier legt die Ideologie der FPÖ frei: Ein Vorbild im Umgang mit der AFD

Ein Hinweis von Christian Modehn

Beim Katholikentag in Münster (10. bis 13. Mai 2018) wird heftig über die AFD debattiert werden. Werden da auch öffentlich die tatsächlich verstörenden Erkenntnisse formuliert über die Ideologie der AFD, ihre Vernetzung mit rechtsextremen Parteien, etwa mit Österreichs FPÖ und Frankreichs Front National?

Es gibt ein Vorbild, mit welcher Kompetenz, auch das muss man in diesen rechtslastigen Zeiten schon sagen: mit welchem Mut in Wien der bekannte, international geschätzte Schriftsteller Michael Köhlmeier eine Rede gehalten hat, anläßlich des Holocaust Gedenkens am 5. Mai 2018: Köhlmeier hat präzise und schonungslos, mit großer Kraft, die Ideologie der dort mit – regierenden FPÖ freigelegt. Er geißelte die Partei, “deren Mitglieder den Nationalsozialismus verharmlosen”.

Wird man solche Worte auch in Münster beim Katholikentag in der Auseinandersetzung mit der AFD vernehmen?

Die Rede Köhlmeiers dauerte nur 6 Minuten. Sie sollte hier nachgelesen werden.

Die SZ hat mehrfach über diese durchaus historisch bedeutende Rede Köhlmeiers berichtet.

Über die widerwärtigen Formen des Umgangs sehr vieler Österreicher mit Verbrechern aus der Nazi -Zeit ist wieder einmal eine Studie über den “Schlächter von Wilna” erschienen, sein Name: Franz Murer. 1955 nach Unterzeichnung des Staatsvertrages wieder freigelassen, wurde er in seiner Heimat Gaishorn begeistert begrüßt. Ebenso 1963, als er in einem erneuten Prozess freigesprochen wurde: Die Zeugen wurden von Murers Verteidiger der Lüge bezichtigt; man glaubte dem Täter, nicht denwenigen überlebenden Opfern. Wie ein Held konnte Murer den Gerichtssaal verlassen…(Johannes Sachlehner, Rosen für den Mörder. Die zwei Leben des SS Mannes Franz Murer. Molden Verlag, Wien 2017, 288 Seiten). In der Steiermark, der Heimat von Murer, wurde die FPÖ (nach der ÖVP) die zweistärkste Partei mit fast 28 % der Stimmen.

 

copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon, Berlin.

 

200. Geburtstag von Karl Marx

Über religiöses Opium und den Klassenkampf: Marx als „Fremdprophet“

Hinweise von Christian Modehn

……….Dieser Text war ein Kurzreferat für eine Gesprächsrunde. Siehe auch auf dieser website einen 2. Beitrag: “Über Marx hinaus denken” (zu Max Horkheimer)

Provozierende und deswegen weiterführende Thesen stelle ich vor, wie sie sich zum 200. Geburtstag von Karl Marx gehören. Irgendwie sollte beim Marx – Gedenken in diesem Jahr das klare Denken auch mit der Leidenschaft für eine gerechtere Welt verbunden werden. Nur so kann man mit Marx denken und treffend von ihm sprechen: Leidenschaft für die Gerechtigkeit war das Lebensthema von Karl Marx.

Wir können jetzt freier und unbefangener auf das in sich vielfältige, anerkanntermaßen unvollendete Werk von Marx blicken. Die Neuausgabe seiner Schriften auch mit Engels, MEGA genannt, kommt gut voran.

Dass Marx sich selbst nicht „Marxist“ nennen ließ, dass er nicht die Diktatur der Bolschewisten voraussagte, geschweige denn bejaht hätte, ist heute ins allgemeine Bewusstsein gebildeter Menschen gedrungen. Der Kommunismus bolschewistischer Prägung ist eine Verirrung, eine Absage an das Denken von Marx. So wie, im Vergleich, die Ausschaltung und Vernichtung so genannter Hexen durch die Kirchenführungen nichts mit der zentralen Botschaft des Propheten Jesus von Nazareth, seiner Bergpredigt etwa, zu tun hat. Marx ist sehr wahrscheinlich ein “Fremdprophet”, der von außen auf Religion, auf Christentum, schaute und als Humanist und Atheist – wie alle Propheten – Provozierendes sagte.

Dieses Wichtige, diese zentralen Einsicht, von Marx, wurde viele Jahrzehnte von den Kirchen und ihren Theologen ignoriert. Marx galt dort – völlig unzutreffend – nur als Begründer des nun böse erlebten Bolschewismus.  Der Kommunismus war in der Sicht der Kirchen nur eine säkularisierte Ersatzreligion, war Machbarkeitswahn des Endgültigen, ein Hoffen auf ein Reich Gottes ohne Gott. Darum wurden Sozialisten und Kommunisten in Westeuropa verfolgt, und kirchlicherseits exkommunziert, wie etwa in Italien.. Es dauerte bis 1965, dass einige unentwegte Christen und Marxisten miteinander ins Gespräch kamen. Und manch ein Marxist, wie Roger Garaudy, wurde in diesen Jahren zum Reform – Marxisten und selbstverständlich aus der Partei PCF ausgeschlossen. Dissidenten schließt man aus: Dieselbe Praxis pflegte auch die katholische Kirche Jahrhunderte lang. Katholizismus und Kommunismus stehen sich im Umgang mit ihren Mitgliedern, in der Herrschaft der Herrschenden, bekanntlich sehr nahe. Diese Nähe beider Systeme wurde theologisch nie untersucht. Vielleicht hassten sich deswegen Katholiken und Kommunisten so sehr, weil sie in so vielem, wie Endzeiterwartungen, Dogmatsimus und Zentralistische Führung, Ausshaltung von Minderheiten etc. ähnlich waren und sind.

Theologische oder kirchenpolitische Veränderungs/Reformprozesse wurden durch diese geannten Dialoge in diesen meist katholisch geprägten Kreisen rund um die „Paulus Gesellschaft“ in Ansätzen sichtbar: Das Thema Zukunft und Hoffnung rückte in den Mittelpunkt einiger theologischer Denker. Wenn Protestanten Marxisten wurden, dann oft sogar „stramme Anhänger“ der letztlich doch bolschewistischen Parteien, der SED oder Kommunistische Partei der CSSR usw. Stichwort: „Prager Friedenskonferenz“ rund um den Theologen und Karl Barth Schüler Josef L. Hromadka. Bei den Katholiken war es – etwa bei der „Berliner Konferenz“ – ähnlich. Die DDR galt diesen Leuten als der bessere deutsche Staat…Die „Friedenspriester“ in Prag waren mit der Kommunistischen Partei in der CSSR verbunden, aber sie „retteten“ wahrscheinlich noch gewisse Restbestände katholischen, sakramentalen Lebens in dieser auch kulturellen „Eiszeit“ dort.

Heute gilt es, einige Vorschläge von Marx, einige zentrale als aktuelle Impulse des Weiterdenkens (!) zu debattieren. Die Schriften von Marx werden aus den bolschewistischen Irrdeutungen befreit und Marx wird als Denker, wie andere Philosophen und Ökonomen oder Humanisten, ernst genommen. In dieser Weise wird man auch in den Kirchen und Theologien mit ihm umgehen!

Marx nannte sich Atheist, definierte aber Religion umfassend als Opium des Volkes UND gleichzeitig als Ausdruck des wirklichen Elends sowie als Protest gegen das (soziale, materielle) Elend. Immerhin, so Marx, sei Religion das Gemüt einer herzlosen Welt. Aber er sah Religion als ein beruhigtes, ein zum Stillhalten führendes Gemüt der Armen. Im Opium Rausch erscheint die gerechte Welt schnell als schöner Traum. Das Erwachen ist böse. Und die meisten, die erwachen, werden politisch nicht aktiv. Sie sind im Rahmen einer „Opium“ – Religion eher gelähmt.

Genauso wichtig für heute ist die Sensibilität von Marx, immer wieder die Gesellschaft auf ihre Klassenstruktur, auf Herrscher und Beherrschte, auf unverdient (durch die Ausbeutung der Armen) reich gewordene Reiche und auf die immer stärker werdenden Klassen der Armen hinzuweisen.

Das Thema Klassenspaltung und Klassenüberwindung in einer gerechten Ökonomie und Politik ist DAS aktuelle Thema von Marx; es kann auch für die Arbeit der Theologie und der Kirchen eine hohe, manchmal wohl, immer noch neue Relevanz haben. Und die Kritik von Papst Franziskus am Kapitalismus, an einer „Wirtschaft, die tötet“, ist ja doch irgendwie von Marx inspiriert, selbst wenn Papst Franziskus schon um seines eigenen Überlebens willen alles tun muss, um nicht irgendwie als Marxist zu gelten. Dennoch äußerte er in einem Interview mit La Stampa im Dezember 2013 ganz offen seine Sympathien für die „guten Marxisten“, die er wohl in seiner argentinischen Heimat erlebte.

Die 1. These: Religionen (Kirchen, Islam, Judentum usw.) dürfen normalerweise kein Opium sein.

Die 2. These: Die Kirche ist Teilnehmerin des heutigen Klassenkampfes

Zur ersten These: Religion darf normalerweise kein Opium sein.

Warum „normalerweise“? Weil es Ausnahmen gibt, in denen Religion als seelischer Trost in Situationen ohne jede Aussicht auf „weltliche“, materielle, leibliche, gesellschaftliche Verbesserung eine hilfreiche, wenn auch betäubende Bedeutung haben kann. Ob im Blick auf das Sterben und den Tod diese Rolle des „hilfreichen Opium“ wichtig ist, bleibt eine andere Frage. Man sieht: Bei der Frage nach der Verbindung von Opium und Religion gibt es wohl kein absolut klares Entweder Oder, es kommt nur entschieden darauf an, dass Religion als solche nur als absolute Ausnahme Opium ist, schon gar nicht aber darf  es von Machthabern als Opium FÜR das Volk aufgedrängt werden.

In Lateinamerika hat die Befreiungstheologie seit 1970 die Armen vom Opium der allseits beruhigenden Religion und Kirche befreien wollen. Religion und Glauben ist dort eine Kraft der Lebensgestaltung, des Widerstandes gegen Unrecht, der Erfahrung von tragender Gemeinschaft, des Respekts, der Gleichheit, des Endes allen Klerikalismus. Da wird eine Spiritualität entwickelt, die nicht alte fromme Floskeln wiederholt, sondern das gelebte Leben als Schrei nach Gerechtigkeit artikuliert. Man lese wieder einmal Helder Camara, Oscar Romero, Pater Sobrino, Pedro Casaldaliga, Leonardo Boff usw…

Diese Befreiungstheologie wurde attackiert von Rom, von den Päpsten: Sie versuchten, diese Theologie zu spalten, in eine moderate, also der Hierarchie angenehme Theologie und in eine rebellische, sich der marxistischen Methode bedienenden Theologie. Diese Spaltung schwächte die Befreiungsbewegung, und das war das vatikanische Ziel. Der Vatikan hatte sich nachweislich mit den USA und ihren Präsidenten (Reagan vor allem) verbündet, um auch gegen den angeblichen Kommunismus der Befreiungstheologie vorzugehen. Entsprechende Ausbildungszentren wurden in den USA explizit gegen die Befreiungstheologie und ihre Bewegungen errichtet, man denke an die „School of Americas“ , um Befreiungsbewegungen auszuschalten und deren Inspiratoren zu töten, siehe etwa in Guatemala und El  Salvador oder heute in Honduras usw.

Mit anderen Worten: Die römische Kirche hat sich bis vor kurzem ganz offiziell anti – marxistisch verhalten. Sie las Marx ideologisch immer nur als einen Feind von Glaube und Theologie.

Aber gerade heute bilden sich wieder religiösen Bewegungen, auch innerhalb der Pfingstkirchen oder der Evangelikalen, die Religion nur als Beruhigung verstehen. Oder als Impuls, sich selbst zu bereichern und dieses Geschehen als Ausdruck der göttlichen Zuwendung zu deuten. Andererseits ist der Zustrom der Armen zu diesen Kirchen doch auffällig: Vielleicht sind diese Menschen (in Afrika, Asien, Lateinamerika, USA) so elend gemacht worden durch die neoliberalen Strukturen und deren Herren, dass sie dieses Opium brauchen. Die Führer dieser genannten Kirchen nützen die Armen und den so genannten Mittelstand oft schamlos aus, um sich selbst zu bereichern. Entsprechende Studien liegen vor, etwa zu Nigeria oder Brasilien.

Insgesamt ist es noch eine dringendes theologische und religionsphilosophische Aufgabe, zentrale Begriffe der alten christlichen Tradition auf deren Opium-Charakter hin zu überprüfen und dann zu korrigieren. Etwa „Erlösung“, „Heil“, Auferstehung usw. nicht als Vertröstung zu deuten.

Die Kirche ist Teil de heutigen Klassenauseinandersetzungen

Es ist heute bei den meisten kritisch reflektierenden Soziologen und Politologen, bei Journalisten und Ökonomen eine selbstverständlich angenommene Erkenntnis: Unsere (Welt-) Gesellschaft ist eine Klassengesellschaft. Jeder – auch der demokratische – Staat ist ein Klassenstaat. Gesetze sind selbst in den wenigen verbliebenen Demokratien sehr oft Ausdruck von Klasseninteressen. Bekanntlich sitzen in den Parlamenten nicht gerade sehr viele Arbeiter, Arbeitslose, Obdachlose, allein erziehende Mütter, Studenten, Menschen aus anderen Kulturen etc. Alle diese Leute bilden, wenn man ihre Zahl addiert, alles andere als eine Minderheit in einem Staat. Aber sie können nicht an Gesetzen mitwirken. Gesetze machen „gut-bürgerliche“ und sehr wohlhabende Politiker im Verbund mit ihren befreundeten Lobbyisten, etwa in der Autoindustrie…

Ähnlich sind die Verhältnisse in den Synoden der evangelischen Kirche, in den Gemeinderäten. Und: Aus welchen Schichten stemmen die PfarrerInnen?  Ähnlich sind die Zustände in der römisch – katholischen Kirche. Der Klerus stammt fast immer aus dem Mittelstand. Der brasilianische Kardinal Aloisio Lorscheider bracht es auf den Punkt: „Es gibt sehr viele Priester in der Kirche, die fühlen sich am wohlsten in der High Society“ (zit. „Lasst euer Licht leuchten“, Münster 2015, Edition ITP Kompass, Seite 72). Neuerdings wird der Adel in der Kirche Deutschlands wieder sehr sichtbar. Ganze Listen von Adligen Familien, die der theologisch konservativen Seite und konservativen politischen Seite selbstverständlich stark zuneigen, hat schon der Journalist Peter Hertel in seinem wichtigen Buch „Glaubenswächter“ (2000) publiziert, Seite 163 ff. Die enge Verbundenheit der Fürstin von Thurn und Taxis mit Bischöfen, wie Kardinal Müller und anderen, ist ja nur ein bekanntes Beispiel. Bischöfe, die aus der Oberklasse stammen, verhalten sich meist im Sinne der Oberklasse, dazu gibt es viele Beispiele auch aus Lateinamerika.

Und in den Gemeinden sind es jetzt vor allem die Wohlhabenden, die sich noch am offiziellen kirchlichen Leben beteiligen. Darüber gibt es Studien, etwa zur Teilnahme an der Sonntagsmesse im 16. Pariser (ultrareichen) Stadtbezirk oder in den feinen Gegenden von Versailles. Diese Kreise sind politisch sehr rechts, beteiligten sich an den Demonstrationen gegen die „Homo-Ehe“…Katholisch „praktizieren“ und politisch zum sehr rechten Spektrum zählen, das die eigenen ökonomischen Privilegien verteidigt, gehört zusammen.

Durch die Einbindung der Kirche in den deutschen Staat, durch die vereinbarte freundliche Kooperation in Sachen Kirchensteuer, ist die Kirche alles andere als ein prophetische Stimme in Gesellschaft und Staat, geschweige denn ein Akteur provozierend neuer prophetischer Praxis. Diese Kirche gehört zur Klasse der Wohlhabenden, auch wenn sie mit Caritas etc. ihr dadurch noch vorhandenes schlechtes Gewissen beruhigt. Man schaue nur, wie diese Kardinäle und Bischöfe bei Veranstaltungen, im Umfeld von Gottesdiensten, bei offiziellen Empfängen herumlaufen, in einer Tracht… man denke an die Pracht der teuren Gewänder, man denke an die Paläste, in denen sie in Deutschland, Österreich, Spanien, Italien usw. wohnen… Die Kirchenführer sind nicht Teil der Klasse der Unterdrückten. Kirche und Klassenbindung ist ein dauerndes Thema. Den Armen in Afrika usw. werden bloß Spenden zugewiesen. Die Kirche des Nordens bleibt reich, die des Südens bleibt weitgehend arm.

Darum werden die besonders finanziell besonders „einträglichen“ und gut bürgerlichen Gegenden und Städte auch von den Klerikern bevorzugt, ins Arbeitermilieu oder in die Armensiedlungen will kaum ein Pfarrer. Darum sind reiche und schöne Städte wie München Sammelpunkte vieler Kleriker und Ordensleute, da lebt es sich so gut, anders als in Dortmund oder Chemnitz oder Ost – Berlin. Mit anderen Worten: Die Bibel, die man ja als Schrift gegen jegliches Klassendenken, Oben und Unten, verstehen solle, ist wirkungslos gegenüber den Klassenbindungen der Kirchenführungen.

Man sieht als bei diesen wenigen Hinweisen: Marx macht mit seinem Stichwort der Klassenherrschaft die Gedanken frei, er führt zur kritischen Analyse, die leider nur wenige öffentlich vertreten. Wird es im Marx Jahr anders?

Es wäre weiter zu fragen, wie in der theologischen Forschung Filter eingesetzt werden, die verhindern, über den eigenen Klassenstandpunkt hinauszuschauen.

Über die Trennung von Kirche und Staat wird in der deutschen Theologie fast gar nicht mehr diskutiert. Über die Gemeinden als Orten, in den sich alle, auch die Armen als solche wohlfühlen und als Teil der Gemeinde wahrgenommen werden, wird eher wenig gesprochen. Vor allem: Die Gebete und frommen Texte werden nicht nach Aussagen untersucht, die die alte autoritäre Herrschaft ausdrücken: Christus als König; Maria als Königin… Demut als Tugend oder Gehorsam als zentrale Tugend passen genau in das Konzept.

Noch einmal: Innerhalb einer wissenschaftlichen und kritischen Standards verpflichteten (Kirchen) Geschichtsforschung wäre viel mehr zu debattieren über den tiefsitzenden Antimarxismus, Antisozialismus und Antikommunismus der Kirchen. Die Kirchen, Bischöfe, Päpste, Kleriker, Gemeinden usw. fanden den Faschismus weniger schlimm als den Kommunismus, Rom schloss bekanntlich Konkordate mit Mussolini, Hitler, Franco oder dem Dikator Leonidas Trujillo, um nur ein Beispiel aus Lateinamerika zu nennen. Rom fand letztlich den Faschismus weniger schlimm als den Kommunismus. Der Kommunismus erschien als religiöse biblische Variante, als Häresie, die es absolut zu bekämpfen galt, mehr noch als den Faschismus. Man denke daran, dass die deutschen Kriegspfarrer im 2. Weltkrieg im Kampf gegen die Sowjetunion das extreme Feindbild Kommunismus ständig an der Front propagierten: „Was den Antibolschewismus angeht, waren die christlichen von den nationalsozialistischen Diskursen dabei kaum zu unterscheiden“, schreibt die Historikerin Dagmar Pöpping in ihrer Studie „Kriegspfarrer an der Ostfront“. Die Nazis wie die Pfarrer waren überzeugt: Atheistische Bolschewiki seien seelenlos, weshalb man mit ihnen nicht wie mit beseelten Menschen zu verfahren brauchte. (vgl. dazu die ausführliche Besprechung dieses neuen Buches im „Tagesspiegel“ vom 22.12. 2017, Seite 25, ein Beitrag von Christoph David Piorkowski).

Der 200. Geburtstag von Karl Karl Marx eröffnet ein weites Feld der Fragen.

Copyright: Christian Modehn, Berlin, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

 

 

Mai 68 und die katholische Kirche … und die Klöster im Mai 68

Ein Hinweis von Christian Modehn.

Mai 68 und die katholischen Klöster: Wenn eine uralte Tradition in Europa verschwindet: 1996 lebten 42.000 Frauen und Männer in Klöstern in Deutschland; im Jahr 2017 sind es nur noch 20.0000, die allermeisten im “Seniorenalter”….

Ergänzung am 6.5.2018: Ich habe mehrfach – ohne Erfolg – gefordert, dass auch die Orden und Klöster, der Armut verpflichtet, ihre Finanzen freilegen. Nun hat der bekannte Bestseller Autor Pater Anselm Grün OSB von Münsterschwarzach zugegeben, dass er etwa 10 Millionen Euro durch Spekulation verloren hat. Das ist immerhin ehrlich, zeigt aber die Dimensionen der Finanzgeschäfte der armen Klöster, die zudem ständig um Spenden betteln. Hier klicken.

 

ERSTER TEIL:

Mein Leben im Kloster

Philosophische Religionskritik ist immer auch kritische Reflexion auf die historischen und gegenwärtigen Formen von Kirchlichkeit. Und dazu gehört die immer noch eher verschlossene Welt der Klöster, trotz all der „offenen Türen“, die man jetzt dort werbend organisiert. Ihre Finanzen legen die Orden – im Unterschied zu den Bistümern – nicht einmal ansatzweise frei.

 

  1. Was ich in diesem Essay über „Klöster und Mai 68“ schreibe, habe ich persönlich erlebt. Wie so oft: Ausführlichere Informationen zur „Geschichte des auch in Klöstern immer noch vorhandenen privaten Lebens“, hätte es nur in einer anonymen und fiktiven Form geben können. Ein Roman kann manchmal ehrlicher sein als ein Tatsachenbericht… Es ist notwendig, zuerst ausführlicher das thematische Umfeld im „katholischen Deutschland“ zu skizzieren.
  1. Mein Beitrag will zu einer historisch – kritischen Untersuchung des Themas: „Die Klöster und der Mai 68 in Deutschland“ auffordern. In der aktuellen Forschung der (Kirchen-)Geschichte wird dieses Thema nicht bearbeitet. Dabei gibt es noch Zeitzeugen.
  2. Das Thema „Klöster und Mai 68“ ist alles andere als marginal. Die Entwicklung der katholischen Klöster seit 1968 spiegelt die grundlegende Veränderung des Katholizismus an einer wichtigen, zentralen Schaltstelle katholischen Lebens. Klöster, Mönche und Nonnen waren (und sind ?) „Vorzeigeobjekte bzw. Vorzeige-Subjekte“ des Katholizismus. Heute ist es eine Tatsache: Die meisten Klöster in Deutschland und weiten Teilen Europas gleichen eher Altersheimen, wenn die Klöster nicht längst aufgeben und für gutes Geld verkauft wurden. Dies ist auch eine Untersuchung wert.
  3. Das seit 1968 anhaltende „Verschwinden“ der Klöster, und damit der Nonnen, Mönche und Ordensleute im allgemeinen hat mit einem „unbearbeiteten Mai 68“ gerade INNERHALB der Orden zu tun. Ein definitives Verschwinden des Ordenslebens wäre in Europa bei einer großen geistigen und theologischen Offenheit nicht nötig gewesen. Indem man aber nach wie vor nur unverheiratete (nicht offen homosexuell lebende) Katholiken als Mitglieder respektierte, die dann auch zu einer „ewigen Bindung“ an den Orden bereit sein mussten , hat man (d.i. der Vatiukan) sich nach 1968 förmlich aus der offenen, immer auch „relativen“ Kultur der Gegenwart verabschiedet. Diese bevorzugt eher kürzere Lebensbindungen und kein vernünftiger Mensch lässt es für sich selbst noch zu, dass man sich Gott weihen soll, aber dabei auf Liebe, auf erotische und sexuelle Liebe verzichten muss. Mit anderen Worten: Die Klöster sind auch selbst schuld, dass sie in Europa heute verschwinden.
  4. Zum theologischen Hintergrund: Der „katholische Mai 68“ fand zwei Jahre nach dem Ende des Zweiten Vatikanischen Reformkonzils (Dezember 1965) statt. Dieses Konzil hatte unter vielen Katholiken, auch in Deutschland, Interesse, Anteilnahme, wenn nicht Euphorie geweckt und auch Ängste der sehr Konservativen und Reaktionären erzeugt: Sie hatten sich schon während des Konzils vereint als einflussreiche Minderheit (Ottavini, Ruffini, Lefèbvre, Sigaud, zum Teil auch Katrdinal Bengsch, um nur einige Namen zu nennen).
  5. Am 25. Juli 1968 veröffentlichte Papst Paul VI. seine Enzyklika „Humane Vitae“, die jegliche „künstliche Geburtenregelung“ verbot, die sonst eigentlich geschätzte Gewissensentscheidung katholischer Frauen und Männer diskriminierte und dadurch den Katholizismus sogar noch hinter das Mittelalter zurückschleuderte. Die Autonomie der Person, das große Thema des Mai 68, wurde total ignoriert. Die Kirchenführung im Vatikan lebte 1968 kulturell förmlich wie auf dem Mond; sie stand außerhalb des allgemeinen, reflektierten ethischen Empfindens der “Moderne“. Die Stimmung unter gebildeten, kritischen Katholiken war entsprechend sehr mies, manchmal rebellisch, aber wirksame Proteste gegen diese Kirche gab es kaum: Die Austritte aus der römischen Kirche hielten sich 1968 und einige Jahre danach noch in Grenzen. Die autoritäre Bindung, voller Angst vor Ungehorsam, war unter Katholiken noch die Haupttugend.
  6. In Lateinamerika ging es auch turbulent zu im Katholizismus: Vom 26. August bis zum 8.September 1968 fand in Medellin, Kolumbien, die erste, die berühmte lateinamerikanische Bischofskonferenz statt. Dort verpflichteten sich die Bischöfe, zumindest in ihrem Abschlussdokument, den Armen Vorrang und Respekt zu gewähren. Der Theologie der Befreiung wurde sozusagen eine gewisse Berechtigung zugesprochen. Diese qualitativ neue Theologie hätten die Amtskirche und Rom später aber am liebsten bald wieder ausgelöscht: Der Vatikan fand wenige Jahre später die Studien des angeblich marxistischen Leonardo Boff häretisch, Gustavo Gutiérrez hingegen galt als akzeptabel. Kardinal Müller nennt merkwürdigerweise Gutiérrez heute seinen Freund.
  7. Am 7.September 1968 erschien die erste Ausgabe der für katholisch Verhältnisse progressiven katholischen Wochenzeitung PUBLIK. Dieses katholische publizistische „Wunder“ dauerte nur einige Monate, bis zum November 1971. Dann wurde PUBLIK von den Bischöfen verboten. Angeblich fehlte ihnen das nötige Geld. Viele Millionen DMark stellten die Bischöfe (aus Kirchensteuergeldern) kurz darauf für die CDU Wochenzeitung Zeitung Rheinischer Merkur zur Verfügung. Die Bischöfe zeigten sich wieder einmal als Parteigänger der CDU/CSU.
  8. Der 82. Deutsche Katholikentag fand vom 4. bis 8. September 1968 in Essen statt, er war sicher einer der am deutlichsten von Kontroversen geprägte Katholikentage. „Fast alle TeilnehmerInnen waren für die Pille“, hieß es in einem Kommentar. Der deutsche Katholizismus erlebte eine gewisse aufmüpfige, rebellische Gruppierung. Sie wurde zu Beginn von der immer allmächtigen Hierarchie geduldet, wohl auch belächelt. Einige Hierarchen taten nach außen so, als freute sie sich über die Pluralität. Tatsächlich aber wollte der höhere Klerus die Vorherrschaft über die Kirche nicht aufgeben. Später (1971 – 1975) wurde in Würzburg eine katholische Synode veranstaltet, aber synodal, d.h. demokratisch organisiert, wurde die Kirche natürlich nicht. Viele damals engagierte Katholiken nannten ihren Einsatz nur traurig „eine Art Glasperlenspiel“, ein wirkungsloses Debattieren, eine Freizeitbeschäftigung…
  9. In diesen bewegten Wochen also trat ich in ein Kloster ein. Ich war, von meiner Heimat Berlin kommend, seit September 1968 Novize im Kloster St. Augustin bei Bonn, das Kloster war eine – staatlich anerkannte – philosophisch – theologische Hochschule. Der Orden nennt sich „Gesellschaft des Göttlichen Wortes“ (SVD); in Deutschland wegen des Hauptklosters in Holland in Steyl wird der Orden oft „Steyler Missionare“ genannt. Der Orden zählte damals weltweit ca. 5000 Mitglieder. In St. Augustin lebten ca. 170 Ordensleute, Priester, Ordensbrüder sowie ca. 120 Ordensstudenten und Novizen. An der Hochschule studierten nur Ordenskandidaten, also keine Frauen, auch keine Ordensschwestern. Es gab auch keine Frauen unter den Dozenten. Frauen waren für uns nur sichtbar in den Gestalten der kaum Deutsch sprechenden jungen jugoslawischen Nonnen, sie arbeiteten in der großen Küche. Dadurch konnten sie für ihren Orden in Jugoslawien – wie Gastarbeiterinnen – Geld überweisen. Frauen waren auch in den zahlreichen Betrieben tätig, wie etwa der „Missionsprokur“, die sich um Informationen aus den so genannten Missionsländern, vor allem aber ums Spendensammeln kümmerte. Die tatsächliche Drecksarbeit, das Saubermachen in den großen Räumen usw. leisteten Laien, unterstützt von einigen Ordensbrüdern.
  10. Ich bin sicher, dass diese Strukturen einer eher abgeschotteten männlichen Führung in allen Klöstern und Klosterhochschulen bestimmend war. Umgekehrt gab es in Frauenklöstern eben Frauen als Priorinnen, aber sie durften als Frauen nicht das Wesentliche im Klosterleben vollziehen: Die Messe feiern, dafür wurde immer ein Priester (auch als „Beichtvater“) benötigt.  Künftige Priester erlebten also in diesen Klöstern Frauen als Dienerinnen des Klerus. Und die Ordensleute verdienten sich ihren Lebensunterhalt nicht durch ihrer Hände (Schreib)- Arbeit, sondern man lebte vor allem von Spenden, auch von den sprichwörtlichen Spenden des armen Mütterchens sowie – wie in unserem Kloster – durch den Verkauf ordenseigener Zeitschriften…Eine gewisse Dekadenz des Sich – Bedienen – Lassens prägte das Ganze. Lächerlich erschien es mir manchmal, wenn ich an das Gelübde der Armut dachte: Denn tatsächlich wurde ich ja wie alle Ordensleute rundherum bedient und umfassend versorgt, selbst wenn ich meist nur ein Taschengeld verfügte. Wenn ich heute in den Großstädten die letzten verbliebenen Ordensleute an Bettlern und Obdachlosen vorbei gehen sehe, frage ich mich: Wer ist da wirklich arm? Die gut rundherum versorgten, sich arm nennenden Ordensleute gewiss nicht.
  11. „Mein“ Kloster war also eine sehr große, kaum überschaubare Kommunität (oder sollte man treffender von „Ansammlung von vielen“ sprechen?): Die Patres hatten ihren Speisesaal, die Ordensbrüder ihren eigenen, die Klerikerstudenten und Novizen wiederum ihren eigenen. Ebenso verhielt es sich in den „Lesesälen“ den Zeitschriften, ebenso in den Räumen, in denen das Fernsehen gestattet war. Bei dieser Größe und den ständig durchreisenden Missionaren aus aller Welt konnte es sein, dass sich ein Novize inmitten fremder Männer befand, die dann offiziell „Mitbrüder“ genannt wurden
  12. Als ich in das Kloster (mit der Hochschule) eintrat, waren einige STUDIEN Reformen bereits von den Ordensstudenten durchgesetzt worden, also der rebellische Elan hatte schon 1966 gewirkt. So wurde Pater Johann Haverott, seit Jahrzehnten ein Dozent für dogmatische Theologie, bestreikt: Die wenigen Publikationen dieses „Professors“ befassten sich mit dem Wunder in Fatima… Die Studenten konnten es nicht mehr ertragen, von ihm Vorlesungen zu hören, die das 2. Vatikanische Konzil missachteten. Der Streik hatte Wirkung: Pater Haverott wurde als Dozent pensioniert, lebte aber noch am Rande der gesamten Kommunität. Zudem war es dem Protest der Ordensstudenten zu verdanken, dass die Vorlesungen nicht länger in lateinischer Sprache, sondern auf Deutsch gehalten wurden. Es ist unbekannt in der interessierten Öffentlichkeit, dass bis Mitte der neunzehnhundertsechziger Jahre Vorlesungen in katholischer Theologie in den kircheneigenen, aber staatlich anerkannten Hochschulen (auch in Rom) auf Latein gehalten wurden. Es gab die berühmten Lehrbücher, etwa zur Moraltheologie, die auf Deutsch erschienen waren, aber heikle Themen, etwa zur Sexualmoral, nur auf Latein darstellten. Mir liegt das damalige Standardwerk „Katholische Moraltheologie“ von Pater Heribert Jone, 15. Auflage 1953, Schöningh Verlag noch vor, in dem ab Seite 200 die Homosexualität auf Latein besprochen wird unter dem Titel „Perversio sexualis“. Offenbar hatten die damaligen Theologen Angst, dass sich studentische Leser auf Deutsch mit dem Thema Sadismus, Masochismus, Fetischismus auseinandersetzen. Die Ordensstudenten sorgten auch dafür, dass sie im so genannten Rat der Hochschule mit einem Vertreter dabei sein konnten. Gerade dieses Beispiel zeigt, wie die Ordensleitung, durch das Konzil und vielleicht auch durch die von Ferne aufgenommenen Informationen über den „Mai 68“ bestärkt, spürte: Die alte Kirchenwelt des autoritären Stils geht zu Ende. So war man halben Herzens zu Zugeständnissen bereit. Noch zu Beginn der sechziger Jahre lebten so viele Ordensstudenten in St. Augustin, dass nur große Schlafsäle zur Verfügung standen, so dass die Privatsphäre sehr eingeschränkt war. Als ich im Herbst 1968 in das Kloster kam, waren die Schlafsäle aufgelöst, es gab schon mehr Platz, weil viele junge Ordensleute das Kloster verlassen hatten. Aber die privaten Räume waren klein und bescheiden, nur die Patres, die sich als Dozenten oft großspurig Professoren nennen ließen, hatten große Zimmer. Als dann das Kloster immer weniger Mitglieder hatte, Mitte der neunziger Jahre, wurden dann die Wohn- Schlafzimmer mit Badezimmern ausgestattet. So gleicht eine Klosterzelle von einst heute einer Hotelunterkunft Qualität 3 Sterne…
  1. Zu meinem Noviziatskurs gehörten insgesamt 9 Abiturienten. Fünf kamen sozusagen „bruchlos“ nach dem Abitur in einem Internet der Steyler Missionare nach St. Augustin, vier kamen, wie ich, als so genannte Externe, von staatlichen Schulen. Wobei dieser Prozentsatz Externer sehr hoch war. Normalerweise kamen über alle Jahre – seit den zwanziger Jahren eigentlich – die Novizen aus den Internaten des Ordens. Manche waren dort schon mit Beginn der Sexta, als 9 Jährige, von den Eltern im Kloster – Gymnasium mit Internat abgegeben worden. Das Noviziat und der Ordenseintritt war sozusagen nur eine Fortsetzung der kindlichen (jugendlichen) Ausbildung. Wobei die Lebensbedingungen in diesen Steyler Internaten hier nur angedeutet werden können. Es gab nur Schlafsäle (schließlich mussten zwischen 1930 und 1960 bis zu 300 Knaben in dem Internat untergebracht werden), die Privatsphäre war eher minimal. Es gab eine streng geregelte Tageszeit, meist war der Besuch der täglichen Messe (in lateinischer Sprache) und einer Abendandacht obligatorisch. Der Orden kannte das so genannte Viertelstunden Gebet: Das heißt: Alle 15 Minuten wurde tagsüber – durch einen Glockenschlag signalisiert – jegliche Beschäftigung für einen Augenblick des Gebets und der Andacht unterbrochen. Wie viele theologische und philosophische Gedanken dabei unterbrochen wurden, ist eine offene Frage…Tatsache ist jedoch für diesen und viele andere Orden: Die Priester, denen später die Gemeinden begegneten, waren solche, die schon als Kinder mit dem Orden aufs engste verbunden warenund nur die klerikale Sonderwelt kannten. Viel Verständnis für „weltliche“ Lebensfragen konnte man von vielen dieser Priester nicht erwarten. Sie waren oft treu ergebene Funktionäre der Kirche.
  2. Als ich mit diesen hier nur kurz angedeuteten Tatsachen in meinem Kloster als Novize konfrontiert wurde, da fragte ich mich: Wo war ich gelandet? Ich hatte in meiner Heimat Berlin an einem staatlichen altsprachlichen Gymnasium Abitur gemacht; hatte danach ein Semester Philosophie und evangelische Theologie (als getaufter Katholik) studiert. Und wollte – naiverweise, musste ich schon bald mir sagen – über den Orden in Lateinamerika arbeiten. Das war mein Interesse. Nur eine starke Bindung an den Katholizismus durch die Familie erklärt mir mein Verhalten: Ich wollte als Ordensmitglied etwas Vernünftiges in Lateinamerika mit den Menschen dort tun. Damals gab es allerdings eher wenige säkulare Organisationen, die ein entsprechendes Angebot bereit stellten, anders als heute. Zudem: Ich wollte (eigentlich immer schon für Theologie und Philosophie interessiert) an einer kleinen Hochschule in Ruhe beides studieren. Dass die allermeisten Dozenten dort eher schwach waren auf ihrem Gebiet, kann ich hier nur andeuten. Viele trugen in ihren Vorlesungen seit Jahren schon die selben „Skripten“ vor oder schämten sich nicht, aus alten Büchern zur Kirchengeschichte, etwa von Bihlmeyer – Tüchle, einfach nur vorzulesen…  Das Angenehme aber an dieser Hochschule war die große Bibliothek, die ich seit dem Noviziat ständig besuchen könnte, auch abends, immer war sie offen. Welch ein Glück bei den sonst eher sehr mittelmäßigen Lehrveranstaltungen der Dozenten, sie hatten meistens und bestenfalls einen Doktortitel an einer römischen / vatikanischen Universität erworben, oft nur ein Lizenziat dort …
  3.  Von September 1968 bis Juli 1973 studierte ich an der Philosophisch – Theologischen Hochschule St. Augustin bei Bonn, als Mitglied der internationalen Ordensgemeinschaft „Gesellschaft vom göttlichen Wort“ (SVD).Da mir das reguläre Studienangebot dort nicht ausreichte, hatte ich die Möglichkeit, aus eigener Initiative zusätzliche Studienkreise und Gesprächskreise zu gründen und zu organisieren. Etwa: „Arbeitskreis Wissenssoziologie“ mit Dr. Karl HoheiselTheologische Wochenenden in dem zum Orden gehörenden Haus in Lohmar Hohn bei Siegburg, etwa über Transzendentale Theologie bei Karl Rahner oder kirchliche und autonome Moral.Dann gründete ich einen „Publizistischen Arbeitskreis“ mit dem Journlisten Edmund PlazinskiDann organisierte ich mit anderen Studenten eine Tagung über die lateinamerikanische Theologie der Befreiung im Juni 1973 in St. Augustin.Dann organisierte ich mit anderen Studenten eine Vortragsreihe „Christen und politisches Engagement“ , Vorträge u.a. von dem Dominikanerpater Prof. Paulus Engelhardt oder dem Marxisten Franz Marek (Wien).Dann gelang es mir, den Leiter der Beratungsstelle „Offene Tür Berlin“ (OTB) P. Michael van Leeuwen SVD zu einem Vortrag einzuladen.Oder ein Gespräch mit dem Dominikaner Pater Langer, Walberberg, über Heidegger.

    An der Uni Bonn konnte ich an mehreren Seminaren teilnehmen, u.a. bei den Philosophen Prof. Gerhardt Schmidt und den Theologen Prof. Heimo Dolch und Prof. Hans- Georg Geyer…

  4. Die jungen Ordensleute dort, die Theologiestudenten, gaben eine „hausinterne Zeitschrift“ heraus, zuerst mit dem heftigen Titel „Tarantel“, später dann milder „Fermente“. Dort wurden Vorschläge und Kritiken von Seiten der jungen Ordensmitglieder publiziert. Diese Zeitschriften waren bei der Ordensleitung nicht gerade beliebt, aber sie wurden wenigstens geduldet. Ich schrieb bald in FERMENTE einen etwas radikalen Artikel, in dem ich forderte, unser Orden sollte sich, auch dem Geist von 68 folgend, in ein „Internationales religiöses Dialogforum“ umwandeln: Anstelle der großen Klöster sollten kleine Wohngemeinschaften weltweit gegründet werden, in denen Ordensmitglieder mit Menschen anderer Religionen (auch Atheisten) zusammen wesentliche religiöse und philosophische Fragen besprechen und gemeinsam an gesellschaftlichen Projekten arbeiten. Dieser Vorschlag wurde noch nicht einmal öffentlich diskutiert.
  5. Als Novize habe ich am Anfang noch zwei oder dreimal meinen Novizenmeister fragen müssen, ob ich nach Bonn ins Kino gehen darf (ich hörte meine Freunde in Berlin geradezu lachen über meinen Ordensgehorsam). Irgendwann hörte diese Fragerei von selbst auf, es gab dann auch Hausschlüssel, so dass man sogar mal eine Spätvorstellung besuchen oder gar an einem philosophischen Seminar an der Universität Bonn teilnehmen konnte. Schließlich wurde jedem Ordensmitglied ein Taschengeld ausgezahlt, es waren, glaube ich, 20 DMark. Tatsächlich verfügten aber viele Ordensleute wohl über mehr Geld, meist durch Schenkungen aus dem Familienkreis, so dass man sich u.a. auch mit eigenen Büchern (oder Hemden usw.) nach eigenem Geschmack usw. recht gut eindecken konnte. Manchmal war so viel Geld übrig, dass man sogar mal in ein Restaurant gehen konnte. Diese eigentlich schlichten Beispiele zeigen, wie langsam, aber sicher sozusagen normale, sagen wir bürgerliche (im Doppelsinn von citoyen und bourgeois) Verhältnisse ins Kloster einzogen. Und die Mitglieder verbürgerlichten sich, das ist keine Frage. Man wurde durchaus gern ein bisschen bourgeois. Ich wurde dies wohl auch, weil die bürgerliche liberale Freiheit für ein Individuuum nun einmal etwas Unverzichtbares ist. Aber das war eher ein „schleichender Prozeß“, der sich langsam ausbreitete bis dahin, dass einige Patres ihren eigenen VW besaßen, „ein Geschenk von Mutti“, wurde gesagt…“Mein“ Kloster öffnete sich der Welt, übernahm selbstverständliche alltägliche Lebenspraxen aus der bürgerlichen Welt, aber keiner wusste so genau, wo die „Reise“ unter diesen Bedingungen hingeht. Die Öffnung zur Welt hin ist ja keine Verweltlichung, wie konservative Katholiken gern sagen. Denn in der Welt und der Gesellschaft ist so vieles Gute und Richtiges, dass man als Ordenschrist dies nur mit Freude annehmen kann. Aber nach den Jahren strenger Askese wurde dann Einstieg in die bürgerliche Welt vielleicht übertrieben. Und sehr viele junge Ordensleute verließen das Kloster. Heute studieren an der Hochschule St. Augustin noch 2 oder 3 aus Deutschland stammende Ordensstudenten, alle anderen sind wohl Laien, sie stammen aus China usw., auch Frauen sind als Studentinnen willkommen, eine neue, bessere Zeit des Studiums dort ist wohl ist angebrochen. Nur: Es sind eben fast keine Ordensstudenten mehr dort, mindestens fast keine aus Deutschland stammenden. Schlimm ist das für mich nicht, alte Systeme die sich nicht radikal wandeln, sterben, mindestens in bestimmten Regionen.
  6. Zurück zu 1968: Diese stetige und im ganzen von allen Betroffenen unreflektierte „Öffnung zur Welt“ berührte natürlich das Verständnis der drei Ordensgelübde, der Armut, des Gehorsams und der Keuschheit. Das Gefühl, wirklich arm zu sein, hatte ich im Kloster nie: Ich war wie auch alle meine Ordensmitbrüder bestens umsorgt, brauchte nie Lebensmittel einzukaufen, brauchte nie zu kochen, ich kannte gar nicht die Brotpreise: Immer war der Tisch reichlich gedeckt, von morgens bis abends. Auch das Ordensgelübde Gehorsam wurde sehr menschlich ausgelegt, was ich ja sehr richtig fand, als Form des Dialogs: Je mehr Vernunft, um so besser! Noch in den fünfziger Jahren wurden Missionare von ihren Oberen irgendwohin mit irgendeiner Aufgabe geschickt, ohne auf die persönlichen Wünsche Rücksicht zu nehmen. Wie viele Missionare sind noch in den dreißiger Jahren an Tropenkrankheiten krepiert, weil ein solcher Einsatz ihrer körperlichen Konstitution nicht entsprach…Der Gedanke der Kollegialität und des Dialogs, vom 2. Vatikanischen Konzil propagiert, wirkte sich in meinem Kloster positiv aus. Oft ist allerdings der dialogische Gehorsam von Seiten der Leitung nur eine Verlegenheit, weil einfach so viele Stellen von so wenigen Ordensleuten zu besetzen waren, so dass der einzelne tatsächlich beinahe machen kann, was er will…Am schwierigsten ist es naturgemäß über das Gelübde der Keuschheit zu sprechen. Zum Thema Sexualität hat der „Mai 68“ im Kloster nicht stattgefunden. Es wurde damals insgesamt unter den Ordensstudenten über Sexualität geschwiegen, etwa auch darüber, wie die Patres mit ihren bevorstehenden Ordensaustritten und Heiraten umgingen, das wurde von uns abgeschirmt. Ich kam aus Berlin, wo in Studentenkreisen im Mai 68 das offene Wort selbstverständlich war. Im Kloster nun absolutes Schweigen, alles in dem Zusammenhang war peinlich, bloß keine gezielten Fragen stellen. Bloß keinen öffentlichen Disput! Man stelle sich das vor: Da leben 170 Männer auf engstem Raum zusammen und schweigen sich zu dem Thema aus… Ob das die seelische Gesundheit fördert, ist das noch eine Frage? Als ich einmal wissen wollte, was denn eine „echte Freundschaft“ sei, von der die neu formulierte Ordensregel SVD ausdrücklich spricht, wurde mir gesagt: „Na, ja, das ist halt eine wahre Freundschaft“. Meine Antwort: “Aha, Danke“…Irgendwann hörte ich so ganz versteckt und nebenbei, dass ein junges Ordensmitglied plötzlich über Nacht aus dem Kloster entlassen wurde. Man munkelte hinter vorgehaltener Hand, er sei „irgendwie und vielleicht homosexuell“. Das Wort homosexuell habe ich dort sonst kaum noch öffentlich gehört, in der Moraltheologie war nur von „Abweichungen und Verirrungen“ die Rede. Der Paragraph 175, aus der Nazizeit übernommen, hatte und hat die katholischen Gemüter vergiftet, er wurde ja erst 1969 abgeschafft. Schwule junge Ordensleute wurden zum Schweigen verdonnert, zur Nicht- Identität, zum Verstecken. Das hielt ich nicht lange aus…
  7. Damit kein falscher Eindruck entsteht: Der Orden hat meine philosophischen und theologischen Interessen immer gefördert! Er hat mich etwa an Kongressen über den christlich – marxistischen Dialog teilnehmen lassen, er hat mir als Novizen schon die Teilnahme an den Salzburger Hochschulwochen erlaubt… Ich konnte den liberalen Marxisten aus Wien, Franz Marek, Chefredakteur des „Wiener Tagesbuch“, ins Kloster zum Vortrag einladen. Und ich konnte im Frühling 1973 zusammen mit drei Mitstreitern die erste Tagung in Deutschland über die lateinamerikanische Theologie der Befreiung anregen und auch organisieren. Aber längst hatte sich das Klima verändert, der Bischof von Essen, Franz Hengsbach, hatte als Chef des Hilfswerkers ADVENIAT und als Opus Dei Mitglied seine wilde Polemik gegen die Befreiungstheologie eröffnet. Da war eben eine Ordenshochschule zur „Ausgewogenheit“ verpflichtet. Dabei hätte es dieser neuen und noch unbekannten Theologie der Befreiung sehr gut getan, erst einmal als solche ausführlich diskutiert zu werden.Die Tagung war zwar ein großer Erfolg, aber sie zeigte mir, wie halbherzig auch ein „Missionsorden“ in Deutschland sich zur Stimme einer neuen Theologie in Lateinamerika macht. Auch kritische Informationen über schwerwiegende Vorgänge im Orden wurden nicht öffentlich diskutiert: Da gab es den brasilianischen Erzbischof Geraldo de Proenca Sigaud aus Diamantina, Brasilien. Er war Mitglied der Gesellschaft des Göttlichen Wortes. Während des Konzils gehörte er zum sehr konservativen Flügel, der alle Reformbeschlüsse ablehnte. Er hat, wie Nicolas Senèze schreibt, während des Konzils einen reaktionären Arbeitskreis von Bischöfen gegründet, dem dann auch Erzbischof Marcel Lefèbvre angehörte. Erzbischof Sigaud SVD war eng liiert mit der reaktionären „Bewegung für Tradition, Familie und Eigentum“. Sie hat eng mit den brasilianischen Militärs zusammengearbeitet. Eigentlich hätte dieses Thema auf die befreiungstheologische Tagung gehört, aber es wurde als unpassend zurückgewies Was die Spiritualität angeht, so gab es zumindest in den ersten Jahren den Willen, Neues zu versuchen: Messen wurde in kleinem Kreis, rund um einen Tisch, in einem der kleinen Gruppenräume gefeiert. Dass nicht der vorgeschriebene römische Kanon verwendet wurde, war eher selbstverständlich. Fast jede Messe wurde mir Gebeten von Huub Oosterhuis aus den Niederlanden gestaltet: Im ganzen waren meine Jahre im Kloster, vom September 1968 bis Juli 1973, von der Suche nach einem modernen Ordensleben geprägt. Erst spät wurde mir klar, dass dieses Projekt zum Scheitern verurteilt ist, solange das römische System als Herrschaft und Hort der Wahrheit fortdauert und sich durchsetzt. Lediglich den Talar gegen den Anzug einzutauschen ist eine reine Äußerlichkeit. Neuer Wein passt nicht in uralte Schläuche, zumal diese alten Schläuche permanent restauriert werden.
  8. Ab Herbst 1973 studierte ich in München in einem vom Orden so genannten „Freisemester“, um vor allem Philosophie zu studieren. Der Orden hat mir dies ermöglicht. Aber der Sprung – auch so vieler anderer junger Ordensleute – in eine normale studentische Freiheit wurde im Orden leider nicht reflektiert, es wurde nicht gefragt: Wie geht es mit den „Freisemestlern“ möglicherweise frei und anders als bisher dann im Kloster weiter? So galt wohl für die Ordensoberen das Freisemester als Intermezzo ohne Folgen für die Struktur des Ordens. Irgendwie hofften die Ordensleitungen insgesamt noch, das alte System irgendwie wiederherzustellen.26.
  9. Als ich 1968 an der Kloster- Hochschule St. Augustin bei Bonn zu studieren begann, gab es noch eine große Fülle ähnlicher Hochschule anderer Ordensgemeinschaften: Der Jesuiten in Frankfurt und München, der Pallottiner in Vallendar, die Oblaten in Hünfeld, die Redemptoristen in Hennef und Gars am Inn, der Franziskaner in München und Münster, der Kapuziner in Münster, der Dominikaner in Walberberg, der Picpus Missionare in Simpelveld Holland, der Salesianer in Benediktbeuern und so weiter und so weiter. Fast unglaublich, diese Fülle von theologischen Hochschulen. Was ist nur daraus geworden? Wohin ist diese ganze theologische Energie verdampft? Heute gibt es von allen diesen Ordenshochschulen noch drei oder vier. Sie können sich nur am Leben halten, weil sie ausländische Studenten (Chinesen, wie in St.Augustin), oder weil sie, wie in Vallendar auch medizinische Studien, anbieten. Die Hochschulen der Jesuiten erfreuen sich wohl großer Beliebtheit.. Insgesamt sind die Ordenshochschule aber in ihrer Existenz dadurch bedroht, dass es keine Ordensmitglieder mehr gibt, die an den Hochschule dozieren können und wollen. Das Ende dieser Hochschulen ist absehbar. Das Ordensleben wird in Deutschland in 20 Jahren an ein Ende kommen, einige Benediktinerabteien werden noch überleben, einige Jesuitengemeinschaften oder Dominikaner Kommunitäten auch. Viele Orden wollen in Deutschland dadurch überleben,dass sie Mitglieder aus Indien oder den Philippinen nach Deutschland holen, selbstverständlich auch aus Polen. In Holland kann man die Zahl der Klöster an einer Hand abzählen. Leider, sagen viele Holländer, die sich gern zur Meditation in Klöster zurückziehen. Über die durchschnittliche Altersstruktur der Klöster wird kaum gesprochen, 65 bis 70 Jahre ist üblich. Auch in Deutschland: Wer ist schuld für diese Entwicklung, noch einmal: Eben nicht nur der viel beschworene säkulare Geist, schon gar nicht der Atheismus, sondern die Mutlosigkeit, die geringe Reformbereitschaft der Ordensoberen.
  10. Im Jahr 1976 bin ich aus dem Orden ausgetreten, nachdem ich noch mein theologisches Schlussexamen gemacht hatte. Niemand hat meinen Austritt aus dem Orden mir gegenüber bedauert. Wer frei von seiner eigenen Sexualität spricht, wurde damals eher zur unerwünschten Person.Ich musste schmunzeln, als ich später las, dass von den fünf Jesuiten an der Amsterdamer Studentengemeinde vier heirateten und nur ein Homosexueller als Priester übrig blieb. Übrigens war er ein großartiger und aufgeschlossener, moderner Theologe und Studentenpfarrer…

Wer heute das noch verbliebene Klosterleben in Deutschland beobachtet, wird durchaus offene Strukturen und viel Gesprächsbereitschaft finden. Aber prinzipiell hat nichts verändert: Laien (sogar im ökumenischen Geist Protestanten) als voll berechtigte Mitglieder in den Klöstern als Mitglieder gibt es nicht. Einige Ansätze von assoziierten Mitgliedern mag es geben. Aber an der überlieferten, klerikal bestimmten Herrschaft hat sich nichts geändert. Einige junge Ordensleute haben im Umfeld des Mai 68 „das Wort ergriffen“, um ein berühmte Wort von Michel de Certeau SJ (prendre la parole) zum Mai 68 in Frankreich zu wiederholen, aber dieses Wortergreifen hat nur wenig vermocht bei den „ewigen“ Strukturen des römischen Katholizismus.

In Europa ist der Katholizismus mindestens von der Anzahl der so genannten praktizierenden Katholiken in seiner Existenz insgesamt bedroht. Was bleibt sind fundamentalistisch sektiererische Kreise, die sich obendrein noch selbst bekämpfen und zerreißen, wie es jetzt sogar deutsche Bischöfe vorführen…. Opus Dei, die Legionäre Christi, die Charismatiker, die Neokatechumenalen und viele andere Ultras bestimmen längst das Klima der katholischen Kirche. Über diese Gruppen umfassend kritisch und präzise mit Namensnennungen usw. zu berichten, wagt kaum ein Theologe. Ich habe 2015 einige Hinweise über die neuen sehr konservativen Orden veröffentlicht.

Zum Ende des westeuropäischen Katholizismus lese man nur die neuesten Studien von Soziologen und Theologen, etwa „Comment notre monde a cessé d etre chrétien, ed. du Seuil, Paris 2018. Über unsere Zeit (2024) als einer “post-katholischen Epoche” vor allem in frankreich siehe einen Beitrag von Christian Modehn LINK:

ZWEITER TEIL:

Junge Ordensleute in Paris als Rebellen

Ein Hinweis auf die Dominikanerhochschule

Von Christian Modehn

1.Auch die jungen Studenten des Dominikanerordens in Paris neigten im Mai 68 zur Rebellion. Und der Aufstand war wohl heftig. Dieser „Mai 68“ der Dominikaner fand auch präzise im Mai statt, vom 20. Mai bis zum 29. Juni 1968, berichtet der Politologe Yann Raison du Cleuziou in seinem Beitrag innerhalb der wichtigen Studie „A la gauche du Christ“, éd. du Seuil, Paris 2012, S. 314 ff. Es ist bemerkenswert, dass es überhaupt eine politologisch – soziologische Studie über einen zentralen Moment in der Geschichte der Orden in Frankreich gibt.

2.Diesem Beitrag folgend, nur einige Stichworte zur Rebellion der jungen Dominikaner-Studenten in ihrem Studienhaus in Etiolles bei Evry (bei Paris). Diese große Hochschule, auch traditionell Le Saulchoir genannt, hatte ein großes Renomé, wegen einiger herausragender Professoren, wie Pater Chenu oder Pater Congar, die immer wieder von Rom diskriminiert wurden wegen ihrer „neuen Theologie“, wegen ihres Eintreten für die Arbeiterpriester. Im 2. Vatikanischen Konzil kämpften sie dann an vorderster Front für die Kirchenreform.

Nach dem Protest der Studenten des Ordens, wurde die Hochschule dort 1971 aufgegeben und das Studium mit weniger Studenten nach Paris, in den Couvent Saint Jacques, Paris 13, verlegt. Leider zeigt der genannte Artikel nicht, welche Rolle die beiden genannten herausragenden Theologen bei der Rebellion ihrer jungen „Mitbrüder“ spielten. Ein anderer Dominikaner, Pater Jean Cardonnel, war eng mit dem allgemeinen Mai 68 verbunden, er deutete den Generalstreik im März 68 als eine Art „revolutionäres Fasten in der Vorosterzeit…“

3.Die Ordensstudenten protestieren zunächst gegen die Vorwürfe ihres Vorgesetzen, P. Besnard, der sie anklagte: „Ihr stellt Fragen, als wäret ihr die ersten, die neue Fragen stellen“. Eine neue Studienordnung sollte für die jungen Dominikaner erarbeitet werden, aber nur zwei von ihnen dürfen dann an den Beratungen teilnehmen. Dagegen protestiert die große Mehrheit der jungen Dominikaner. Sie beklagen die große Differenz zwischen dem Klosterleben und der erlebten (politisch – sozialen – kulturellen) Realität. Deutlich benennen die jungen Dominikaner ihre bereits gelebte Abweichung von den üblichen alten Ordensvorschriften: „Zum Chor-Gebet („vie chorale“) komme ich, wann ich will“. Ein anderer bekennt, eine Art taktischen Ungehorsam zu praktizieren, „um die Wahrheit unserer Ordensberufung im aktuellen Rahmen leben zu können“. Es gibt, so der Autor, eine Art Spott gegen die Ordens-Regel und damit die gesellschaftlichen und kirchlichen Regeln, was ein Charakteristikum ist für den Aufstand im Mai 68. Beklagt wird das Nebeneinander von offiziell Gesagten und wirklich Gelebten im Kloster. Ein junger Dominikaner sagt: „Man ist hier eher dazu verpflichtet, sich zu unterwerfen, als selbst zu denken“. Viele halten das Leben dort noch aus, so der Autor in dem genannten Buch, aber sie wissen: „Das wirkliche Leben ist anderswo“. „Unsere Riten in diesem Kloster dispensieren uns oft von brüderlichen Kontakten und ganz einfachen menschlichen Begegnungen“. Im Chorgebet, so wird berichtet, es dauert insgesamt täglich zwei Stunden, langweilt man sich. Im Studium glaubt man eher verformt als gebildet zu werden. Die Hochschule wird ein „System“ genannt. Die jungen Dominikaner, so berichtet der Autor, fühlten sich entfremdet: „Jeder macht die Erfahrung, nicht ganz bei sich selbst zu sein…“(S. 315).

4.Als Folge des Protestes wurden tatsächlich neue Formen des Zusammenlebens außerhalb des großen Klosters versucht. Aber, so möchte ich gar nicht zynisch sagen: Wer einmal die Freiheit des In der Welt Seins erlebt hat, bei allen Belastungen auch dieses Lebens, der kehrt nur ungern in die Enge eines Klosters, wenn nicht die Unfreiheit, zurück. Nur dann, wenn er sich zu schwach für diese Welt fühlt oder im Rückzug aus dieser Welt meint, Gott am besten dienen zu können. Der Dominikaner Orden in Frankreich, in dem sich eigentlich eine gewisse intellektuelle Elite versammelte, so wurde behauptet, hat in der Folge des Mai 68 sehr viele Mitglieder verloren.

5.Versuch einer Zusammenfassung

Es sind also heftigste Erfahrungen und Einsichten junger Ordensleute, dass die überlieferte, routionierte alte Klosterwelt nicht mehr akzeptabel ist; dass neue Themen das Theologie – Studium bestimmen müssen; dass Menschlichkeit wichtiger ist als die seit Jahrhunderten erzwungene klerikale Konformität, dass für die meisten eine Abgeschlossenheit in eine Klosterwelt wie die Flucht in ein gesellschaftliches und kulturelles Getto erscheint. Klosterleben und Weltflucht sollte nicht identisch sein. Wobei die Distanz zur „Welt“ gerade mitten in der Welt neu gefunden werden müsste. Aber diese Dialektik des In der Welt Seins war den wenigsten noch nicht einmal bewusst. Nur starke Persönlichkeiten können diese Dialektik wohl leben, mitten in der Welt und doch außerhalb von ihr zu sein.

Mit dem Mai 68 war die konkrete politische und kulturelle Gegenwart in das Klosterleben „eingebrochen“. Der Mai 68 fegte Unerträgliches weg, etwa den blinden Gehorsam gegenüber dem Oberen. Aber alle katholischen Klöster sind, mehr oder weniger, letztlich doch immer noch absolut eingebunden in das römische System der Kontrolle. Der Suche nach Ungehorsamen, Ketzern etc., wurde unter dem polnischen Papst und Ratzinger wieder Alltag.

Tragisch ist für die Entwicklung einer modernen Kirche und eines modernen Klosterlebens: Am traditionellen und umfassenden System der Dogmen und der Moral-Lehre wurde absolut nicht gerüttelt, keine veraltete Lehre wurde aufgegeben. Der Katechismus der vielen zu glaubenden Wahrheiten wurde nicht etwa immer schmaler, moderner, sondern immer dicker. Diese alte Glaubenswelt mit ihren Sprüchen und Bekenntnissen wollten nur wenige noch mittragen und nachsprechen und gar diese noch anderen erklären. Die Krise rund um den Mai 68 war also in der katholischen „Klosterwelt“ nicht nur

der eher “politische“ Versuch, institutionell und rechtlich etwas mehr Demokratie in dieser alten Welt zu wagen. Der Mai 68 führte zu dem bewussten (oder nur unbewusst vollzogenen) Eingeständnis: Die Last der alten und veralteten Glaubenslehre und Moral kann ich als reflektierter Mensch des 20. Jahrhundert nicht mehr als für mich gültig und bestimmend akzeptieren. Weil sich diese Einsicht bei so vielen in Europa durchsetzte, sind die Klöster heute in Europa und Amerika weithin leer. Und es ist eine vage Hoffnung, wenn in einer Kirchenzeitung (Tag des Herrn, vom 15.4. 2018) vollmundig auf Seite 1 behauptet wird: “Klöster wird es immer geben“. Ja, einige wenige in Europa und zahlreiche in Indien oder auf den Philippinen wird es „immer geben“, dort, wo die jungen Frauen und Männer aus ärmlichen Verhältnissen im Kloster auch Karriere machen wollen. Wie einst in Europa, seit dem Mittelalter, als der Eintritt in ein Kloster ein Schritt in soziale Sicherheit, Bildung und Karriere bedeutete. So lange also auch die ärmere Mittelschicht in Afrika und Asien so arm bleibt, wie sie heute ist, wird es wohl dort noch lange Zeit katholische Klöster geben. Dieser Pragmatismus der ärmeren jungen Menschen, in Klöster einzutreten, ist menschlich verständlich, sicher sind auch explizit religiöse Motive ausschlaggebend. Aber insgesamt gilt wohl: Viele Klöster gibt es nur dort, wo die demokratische Kultur nicht weit entwickelt ist und die Anzahl der Menschen aus der armen Mittelschicht noch groß ist. Es ist statistisch erwiesen: Die meisten Mitglieder haben viele Orden heute in Indien, auf den Philippinen oder in Kolumbien, nicht aber in Spanien, Deutschland oder Frankreich… Aus Afrika und Asien kommen hunderte von Ordenspriestern nach Deutschland, Frankreich, Holland, Belgien usw., sie sind sozusagen “Gastarbeiter” und ersetzen den Klerus, der in Europa ausstirbt. Diese Priester aus Afrika und Asien (werden sie dort nicht gebraucht??) stärken also in Europa das Fortbestehen der alten Klerus -Kirche und verhindern so das Entstehen einer neuen, von Laien verantwortlich gestalteten ent – klerikalisierten Kirche…

Das langsame Verschwinden der Orden und Klöster aus Europa ist in gewisser Weise auch gesellschaftlich problematisch, weil Formen eines letztlich doch noch etwas radikaleren Lebensentwurfes verschwinden. Wenn es keine Häuser und Menschen der kritischen „Weltferne“ und reflektierten Weltfremde mehr gibt in dieser Konsumwelt, wird alles Leben noch eindimensionaler.

Es gibt zwar viele neu gegründete charismatisch geprägte und fundamentalistisch ausgerichtete, absolut dem Papsttum und den Dogmen ergebene Ordensgemeinschaften: Sie finden einen gewissen Zuspruch. Denn sie versprechen ihren Mitgliedern unerschütterliche, militante Gewissheit und eine anti-intellektuelle Weltferne, die schon wieder ins Getto einer römisch – katholischen Gegenwelt, eines Getto, führt. Diese neuen fundamentalistischen Orden sind zwar „vorhanden“, aber sie spielen im kulturellen und theologischen Leben keine Rolle. Sie pflegen die uralte Volksfrömmigkeit und giften gegen alle Katholiken, die noch an eine moderne katholische Kirche aufbauen wollen. Aber auch diese progressiven Kreise werden aus der Kirche vertrieben, sie sterben aus. Der heutige Trend zum Konservativen und Reaktionären betrifft als auch die Kirche und die Klöster.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Literaturhinweise zum Kloster in Deutschland:

Zur ersten wissenschaftlichen Tagung über die lateinamerikanische Befreiungstheologie im Mai 1973 in Deutschland, in Sankt Augustin bei Bonn: siehe: Christian Modehn, Orientierung, Zürich, 1973, S. 145f

Zur völlig unaufgearbeiteten Beziehung von Erzbischof Sigaud svd und dem traditionalistisch – integristischen Erzbischof Marcel Lefèbvre: Nicolas Senèze, La crise intégriste, Bayard, Paris 2008, dort s. 37f.

Zum schwierigen Umgang der Befreiungstheologie mit der schwulen Bewegung in Lateinamerika: André Sidnei Musskopf, Ein Spalt in der Tür. Persönliche Erfahrungen als schwuler Theologe im Kontext Lateinamerikas, in: Werkstatt Schwule Theologie, München, Heft 3 und 4, 2005, dort S. 112 ff.

 

 

 

 

Mai 68 in West – Berlins katholischer Kirche: Anlässlich des Mordanschlags auf Rudi Dutschke

Eine Erinnerung von Christian Modehn, lebte damals in West- Berlin

Der „Mai 68“ fand in der katholischen Kirche West – Berlins überhaupt nicht statt. Diese Kirche lebte wie auf dem Mond, ängstlich und an die CDU und damit de facto an das Springer Imperium gebunden. Die Bistumszeitung „Petrusblatt“ verbreitete in diesem Jahr (wie auch sonst) keinerlei theologische Hilfen, „die Zeichen der Zeit“ (2. Vatikanum) zu verstehen. Unter Führung eines theologisch ungebildeten und konservativen Klerus wurden die West – Berliner wie dumme Schäfchen gehalten und kritische Stimmen wurden abgewürgt.

Dies ist der nüchterne historische Befund zur Frage: West – Berlins Katholiken und der Mai 68.

Anlässlich des Mordanschlags auf den wegweisenden Inspirator der Studentenbewegung Rudi Dutschke am 11.4. 1968 in West – Berlin mache ich den ersten Teil meines Beitrags zugänglich, der 2009, verspätetet, aber immer noch anlässlich des 40 jährigen Gedenkens an den Mai 68 erschienen war. Das Buch hatte den etwas merkwürdigen und nicht attraktiven Titel „Zwischen Medellin und Paris“ (im Verlag Edition Exodus). Das Buch, 260 Seiten, wurde von Kuno Füssel und Michael Ramminger herausgegeben. Es hat meines Wissens keinerlei öffentliche Beachtung oder Diskussion gefunden, es erschien wohl zu spät (2009) oder die Themen waren für den insgesamt betulichen deutschen Katholizismus zu „rebellisch“. Schade eigentlich, angesichts der Arbeit, die sich 16 Autoren für dieses Buch gemacht haben.

In einem zweiten Teil meines Beitrags habe ich als Mitglied eines katholischen Ordens ab Herbst 1968 und einige Jahre danach noch das ebenso völlig unbeachtete Thema „Das Kloster und der Mai 68“ geschrieben. Dazu folgen später einige Hinweise. Ich empfinde es als eine Schande, dass in der neueren (Kirchen)Geschichtsforschung das Thema „Klöster und Mai 68“ völlig vergessen ist. Da sind die Franzosen viel weiter. Man denke an das großartige Buch „à la Gauche du Christ“, ed. Du Seuil, Paris….. CM.

Mein folgender Bericht kann nicht darauf verzichten, auch persönliche Erfahrungen einzubeziehen.

………………………………………………………….

Ich habe als Berliner im Februar 1968 an einem staatlichen Gymnasium in Berlin – Wilmersdorf Abitur gemacht. Von der familiären Tradition her gab es immer eine starke Verbindung mit der katholischen Kirche, die hier als verängstigte Diaspora Kirche erlebt wurde. Weil zum Bistum Berlin auch weite Teile der DDR gehörten, wurde von offizieller Seite immer Wert darauf gelegt, die Kirche in West – Berlin als geschlossene, monolithische Einheit zu gestalten. „Die Reihen fest geschlossen“ war sozusagen oberstes katholisches Prinzip, um der verhassten DDR als geschlossene, unbesiegbare Formation gegenübertreten zu können. Von daher waren Kritik und Pluralismus Begriffe, die in der katholischen Kirche West – Berlins keine Bedeutung haben durften. Das ist der wichtige Ausgangspunkt.

Ich hatte mich schon als Schüler trotz dieser bedrückenden Verhältnisse intensiv für Fragen der Religionen und der Philosophie interessiert, so dass ich es kaum erwarten konnte, im Sommersemester 1968 an der Freien Universität Berlin (FU) zu studieren. Die Vorlesungen von Helmut Gollwitzer waren meine erste intensive Begegnung mit einem Theologen. Der Protestant Gollwitzer las im Audi Max der FU über „Revolution und Reich Gottes“, er hatte damit genau das einzig treffende Thema gewählt, das die jungen Menschen damals leidenschaftlich interessierte: Wie ist es möglich eine gerechtere Gesellschaft und einen humaneren Staat zu gestalten? Wie kann die Dominanz des allen (heiligen) Geist tötenden Kapitals überwunden werden? Wie kann die seelische und sexuelle Repression in den Familien und den Gemeinschaften (auch den Kirchen) gebremst werden? Was hat dieser Kampf um Befreiung mit dem Glauben an das absolut zentrale Symbol „Reich Gottes“ zu tun? Ich sehe noch genau, wie sich Helmut Gollwitzer oft im Audi Max den Weg bahnen musste, um überhaupt aufs Podium und ans Mikro zu kommen. Es herrschte eine unglaubliche Spannung, eine Art Energie des Interesses, der leidenschaftlichen Anteilnahme an diesem theologischen Denker. Der Saal war überfüllt, Unterbrechungen des Vortrags waren von Gollwitzer ausdrücklich erwünscht, Diskussionen danach selbstverständlich. Seine hektographierten Thesen zur jeweiligen Vorlesung waren schnell vergriffen. Für mich, katholisch sozialisiert, waren diese Vorlesungen eine „Offenbarung“, weil deutlich wurde: Wichtig ist nicht die Kirche, wie von katholischer Seite immer wieder eingeredet wurde (und wird). Entscheidend ist vielmehr der aktive Einsatz auf der Linie der biblischen Reich Gottes Botschaft. Herbert Marcuse, wohl der wichtigste und einflussreichste philosophische Denker des Studentenaufbruchs, war damals häufig Gast in der FU. Er zeigte, dass sich in den Befreiungsbewegungen der dritten Welt und unter den rebellischen Gettobewohnern der USA sowie innerhalb der Studentenopposition die „Große Weigerung“ ankündigt, die dann zu einer Begrenzung des Kapitalistischen Systems führen kann. Helmut Gollwitzer suchte das Gespräch mit Marcuse. In diesen Diskussionen erlebte ich auch zum ersten Mal eine freie Aussprache über die verschiedenen gleichberechtigten Formen der Sexualität. Abgesehen von den bis heute prägenden Verbindungen mit dem Denken des FU Philosophen Wilhelm Weischedel waren diese Wochen im Frühling und Sommer 68 in West – Berlin für mich bestimmend. Gleichzeitig erlebte ich, wie sich in diesen Wochen voller Lebendigkeit und voller Suchen nach Alternativen gerade der Berliner Getto – Katholizismus weiter versteinerte. Bei einem Empfang katholischer Abiturienten durch Erzbischof Bengsch im Februar 1968 sagte dieser den jungen Leuten: „Christsein bedeutet nicht die Einstellung, gesellschaftlichen Fortschritt durchzusetzen, sondern eine persönliche Verbindung mit Christus“. Soll man diese Äußerung eines Bischofs etwa fromm nennen, eines Bischofs, der sich bekanntermaßen beim 2. Vatikanischen Konzil gegen den Dialog mit der Welt (im berühmten Dokument „Über die Kirche in der Welt von heute“) ausgesprochen hatte und damit zum reaktionären Flügel des Konzils gehörte.

Ich habe vor wenigen Wochen noch einmal den Jahrgang 1968 der offiziellen katholischen Kirchenzeitung West – Berlins, des wöchentlich erscheinenden „Petrusblattes“, durchgesehen: Die Studentenrevolte, die ja ein entscheidendes Zentrum in West – Berlin hatte, fand dort eigentlich nicht statt. Die Ausgabe vom 12. Mai 68 (als alle Welt von der Studentenrevolte sprach) berichtet das Petrus – Blatt weltfremd wie immer auf der ersten Seite über den „Weltkongress der katholischen Presse“! Die Ausgabe vom 26. Mai bringt auf Seite 1 eine „spannende“ Reportage über Radio Vatican, selbstverständlich wird in Fortsetzung der Roman „Begegnung mit einem seltsamen Priester“ (von I. Silone) weiter abgedruckt. Man glaubt zu träumen, wenn man die sich dort dokumentierende Abgehobenheit und Ignoranz betrachtet. Über den evangelischen Theologen Helmut Gollwitzer oder Bischof Kurt Scharf ist natürlich niemals ein Wort gefallen. Die Konzilserklärung zur Ökumenischen Interessiertheit und Zusammenarbeit war offenbar unbekannt. Von den bewegenden Ereignissen in Paris in diesen Tagen im „Petrusblatt“ kein Wort. Da hätten dann die Berliner Katholiken erfahren, dass der Dominikanerpater Jean Cardonnel schon im März 1968 Fastpredigten in dem Konferenz – Saal „Mutualité“ gehalten hat über „Evangelium und Revolution“. Darin sagte er: “Erfolgreiches Fasten könnte ein Generalstreik sein, der die Mechanismen eines unterdrückerischen Systems beendet“. Der Generalstreik kam zwar, aber nicht das gewünschte Ende des Kapitalismus…Die katholische Wochenzeitung „Témoignage Chrétien“ kritisierte zwar die Gewalt einiger studentischer Kreise, verurteilt aber gleichzeitig aufs Schärfste die brutalen Polizeimaßnahmen“. Der Pariser Erzbischof Francois Marty gab die Parole aus: „Gott ist nicht konservativ“.

Im Berliner Katholizismus konnte man und wolle man sich dieser Position nicht anschließen: Als der Studentenführer Rudi Dutschke am 11.4. 1968 am Kurfürsten Damm 141 Opfer eines Attentates wurde, das er nur schwerstkrank überlebte, berichtete das Petrusblatt recht knapp über „Osterzwischenfälle“ (dieser Titel erinnerte mich an die Sprachregelungen des „Neuen Deutschland“ der SED). Weil einige Demonstranten auf dem Kurfürsten Damm ein Kreuz in der Hand hatten und es hoch hinaus wie eine Mahnung in die Öffentlichkeit streckten, schrieb Prälat Erich Klausener: „Junge Leute nehmen das Kreuz für sich in Anspruch. In ihrem Sendungsbewusstsein fühlen sie sich als Vollstrecker der Geschichte“. Das Kreuz, so der Prälat, gehöre in die Hände der Kirche, nicht der Aufständischen! Und der Prälat kritisierte dann die Demonstranten weiter, „weil sie einen moralischen Absolutheitsanspruch haben, der nur von wenigen erhoben wird“. Das Petrusblatt, darüber freuten sich die allermeisten Leser, war nicht nur aufseiten der damaligen Kirchenpartei, der CDU, sie stand auch den Ideologien des Springer Konzerns nahe. Als einige katholische Studenten Flugblätter über den Mai 68 in der Sankt Canisius Kirche (Charlottenburg) verteilten, wurden sie sofort rausgeworfen. Das Petrusblatt berichtete stolz, dass Erzbischof Alfred Bengsch ausdrücklich die Annahme dieses Flugblattes verweigert hätte, weil er sich ja auf die Feier des Pontifikal – Amtes in dieser Kirche vorbereiten musste…In der Katholische Studentengemeinde versuchten einige Unentwegte, Formen der Mitbestimmung der Studenten durchzusetzen, aber darüber wurde nicht objektiv berichtet. Wichtigster Kämpfer in diesen Monaten war der Politologie Student Manfred Krämer, er versuchte vergeblich die Diskussionen rund um den Mai 68 auch in das „Katholisch-theologische Seminar“ an der FU zu tragen. Der dortige Lehrstuhlinhaber Prof. Marcel Reding hatte sich zwar mit Karl Marx beschäftigt, aber eine Konkretisierung marxscher Ideen war ihm dann doch ein bisschen zu viel…. Später wurde von Manfred Krämer ein katholisch-demokratischer Arbeitskreis gegründet, eine kritische Kirchenzeitung mit dem Namen „Dialogikus“ erschien, aber von Dauer waren diese Bemühungen um kritische Gegeninformation nicht. Mit dem hoch gebildeten damaligen Studentenführer Manfred Krämer hat das Petrusblatt 1968 kein Interview veröffentlicht. Kritiker hatten in der Berliner Kirche nichts zu sagen. Erst als die römische Jesuitenzeitung Civilita Cattolica Ende Mai „die“ Jugend in ihrem Wunsch nach Veränderung sanft verteidigte, wurde diese Meldung als Meldung unkommentiert abgedruckt. „Journalismus“ war so nichts anderes als Gehorsam gegenüber Rom.

 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

„wo der eigene Wille im Klima strengen Gehorsams ausgelöscht wird“: Das Kloster Le Barroux und “Christ und Welt” (Die ZEIT)

Wenn Frömmigkeit mit Unterwerfung sich verbindet: Das Kloster le Barroux

Ein zweiter Hinweis auf Tobias Haberls zweiten Beitrag über seinen Klosteraufenthalt

Von Christian Modehn. Meinen ersten Beitrag (28.3.2018) lesen Sie hier.

1.

Es ist bemerkenswert, dass Herr Haberl trotz meiner kritischen Hinweise für sein Lieblingskloster Le Barroux nach wie vor, so wörtlich auch am 5.4. 2018, eine „Faszination“ hat…

2.

Mich freut es, dass in „Christ und Welt“ (5.4.2018), Beilage der „ZEIT“, Tobias Haberl auf meine kritischen Hinweise zum Kloster Le Barroux (bei Avignon) und seinen Aufenthalt dort reagiert. Das zeigt, dass Beiträge im Internet (www.religionsphilosophischer-salon.de)  ernst genommen werden in den Printmedien. Von der journalistischen Sorgfalt her wäre es aber m. E. geboten gewesen, meinen Internet Beitrag auch nun gedruckt den LeserInnen zugänglich zu machen. Daran hatte die Redaktion wohl kein Interesse. So sind viele LeserInnen darauf angewiesen, meine kritischen Hinweise durch die Brille von Herrn Haberl zu lesen. Dabei entgeht ihnen vieles. Darum noch einmal eine weiter führende Stellungnahme.

3.

Warum also noch einmal über Le Barroux reden? Warum ist es – bei aller Freiheit und Religionsfreiheit – bedenklich und der Kritik wert, auf die Gottsuche in Le Barroux zurückzukommen? Weil von dem Besucher dort nun über „Christ und Welt“ eine Ideologie verbreitet wird, die ich gelinde gesagt für sehr problematisch halte in einer demokratischen Gesellschaft. Denn es wird eine Überzeugung verbreitet, die über die Frömmigkeit hinausgeht und die Gesellschaft, also auch das demokratische Miteinander, betrifft. Da wird sehr deutlich, am Schluss des Beitrags, eine Ideologie verbreitet, die man aus rechtsextremen Kreisen gewöhnt ist: Es geht um die Sympathie, wenn nicht das Plädoyer Haberls für „strengen Gehorsam“, für die „Aufgabe des eigenen Willens“, für die „Auslöschung“ des Ichs, alles wörtliche Zitate. Diese Haltungen werden von Haberl im Kloster Le Barroux erlebt und sie werden förmlich als Heilmittel beschrieben gegen die moderne Gesellschaft, die von „Ich – Verherrlichung, Gereiztheit, Neurosen“ usw. bestimmt sein soll. Die Weisungen im Kloster, etwa die Aufgabe des eigenen Willens, geschehen, so der Autor, „in einem heiligen Bezirk“ „außerhalb des Alltags“. Die gute Welt des Gehorsams und der Unterwerfung werden der modernen (bösen) Gesellschaft   abstrakt gegenüber gestellt.

4.

Diese Form des Denkens ist von den rechten und rechtsextremen Meisterdenkern bekannt. Sie wird jetzt wieder auch in christlichen Medien propagiert, im Rahmen des Populismus, des Entstehens neuer rechter Parteien etc. Wer selbst in einem strengen Kloster für die Auslöschung des eigenen Willens plädiert und diese Auslösung bei strengem Gehorsam angemessen findet, hat mit Demokratie, Autonomie, Selbstbestimmung, Menschenrechte usw. meines Erachtens nicht allzu viel im Sinn. Diese Art von Frömmigkeit ist Gift für die Entwicklung einer demokratischen Gesellschaft. Darum also geht es mir bei der Kritik an dem Gott, den man in Le Barroux finden will. Es ist der Gott des ancien régime, der Herrscher, der Unterwerfung liebt und der den französischen wie deutschen Freunden rechtsextremen Denkens entspricht, die ja, wie ich nachgewiesen habe, zum engen Sympathisantenkreis des Klosters Le Barroux gehören. Über die intimen und liebevollen Beziehungen etwa des rechtsextremen Bürgermeisters von Orange, Jacques Bompard, zum Kloster Le Barroux und zu den Äbten, wäre zu reden. Solche Informationen sind im Internet jederzeit zu haben. Jacques Bompard ist bekannt dafür, dass er etwa die Stadtbibliotheken säuberte und nur noch Werke rechter und rechtsextremer Autoren anschaffen lässt. Solche Informationen hätte Herr Haberl mit Leichtigkeit gefunden… Haberl suggeriert, dieses Kloster Le Barroux sei ein ganz normales Benediktinerkloster: Das ist eindeutig falsch: Es wurde umworben vom Vatikan, vom damaligen Kardinal Ratzinger, doch „bitte bitte“ bloß den Papst Johannes Paul II. wieder anzuerkennen und aus dem Netz der Lefèbvre Leute formal herauszutreten: Das haben die Mönche dann formal gemacht. Ratzinger war happy, die uralte Messe, die er selbst als Ultrakonservativer so liebt, dort wieder zelebrieren zu dürfen. Aber nichts hatte sich theologisch in Le Barroux geändert: Nicht nur die Messe des 16. Jahrhundert besteht dort fort, der alte antidemokratische Geist ebenso. Nur ein weiteres Beispiel: Nachweislich haben etwa Mönche von le Barrox die heftigen Massendemonstrationen „gegen die Ehe für alle“ unterstützt. Sie mischen auch auf nationaler Ebene gegen alle gesellschaftlichen Erneuerungen politisch mit!

5.

Kann man dann noch, wie Haberl schreibt, „diese reaktionäre und weltabgewandte Aura als wohltuendes Geschenk“ erleben? Als moderner Mensch, wie er sich selbst nennt, ohne dabei eine totale Spaltung von Spiritualität und demokratischem Alltagsleben zu betreiben?

6.

Schade finde ich es, dass Haberl auf seine Klosterlektüre in Le Barroux nicht noch einmal eingeht: Dort befasste er sich mit Kardinal Sarah, dem wohl heftigsten Feind von Papst Franziskus im Vatikan heute. Das Erleben so wunderschöner alter lateinischer Gesänge von Mönchen mit Tonsur und totalem Gehorsam läss sich gut ergänzen von theologischen Schriften, die eine moderne katholische Kirche mit allen Mitteln bekämpfen.

7.

Mich freut es jedenfalls, dass nun durch den 2. Artikel von Tobias Haberls in “Christ und Welt” auch das theologisch – politische Profil des mit Haberl offenbar befreundeten Schriftstellers Martin Mosebach noch deutlicher wird. Haberl berichtet, dass Mosebach voller Zustimmung das Benediktinerkloster Fontgombault besucht hat, dort werde „eine ins Zeitlose gesteigerte Individualität“ erfahrbar, was immer das bedeuten mag. Das ebenfalls sehr traditionelle Kloster Fontgombault bewegt sich in derselben Grau(-Braun) Zone wie Le Barroux: Die Mönche denken theologisch antimodern, sind aber mit dem Papst versöhnt, weil dieser kein dringenderes Anliegen hat, als diese Abteien aus dem System der Lefèbvre Traditionalisten bloß formal und bloß rechtlich zu lösen. Mosebach liebt diese antimoderne fromme Welt, das ahnten viele, nun wird es von Tobias Haberl noch mal bestätigt. Nebenbei: Da sitzen viele junge Priester in ihrem Kloster, während in den Gemeinden in der Nachbarschaft kein Priester mehr vorhanden ist und kaum noch Messen stattfinden. Aber kann wohl froh sein, dass die Gemeinden von diesen Benediktiner Mönchen verschont bleiben…

8.

Übrigens und das ist bezeichnend für Fontgombault: Der Chef der Milice von Lyon, der Nazi Paul Touvier, der gesuchte Verbrecher gegen die Menschlichkeit, wurde von den Mönchen des Klosters Fontgombault noch in den siebziger Jahren vor dem Zugriff der Justiz versteckt. Willkommen also, Martin Mosebach, in diesem „Milieu“, das so sehr mit dem von le Barroux verwandt ist! Im Juni 1990 bot der Abt von Fontgombault noch seine Garantie an im Falle einer Freilassung des Verbrechers Touvier. Er wurde 1994 zu lebenslanger Haft verurteilt und starb 1996 im Gefängnis Fresnes. (Siehe auch „Paul Touvier et l église, Edition Fayard, Paris, 1992, Seite 300f. Das Buch wurde u.a. herausgegeben von René Rémond).

9.

Für alle, die Französisch lesen können, ein Hinweis auf das Zusammenleben der Bürger im Ort Fontgombault, Dép. Indre, mit dem traditionalistisch agierenden Kloster.

Der Beitrag des Journalisten Hugo Perrier vom 11.3.2014:

Aujourd’hui, je vous emmène à Fontgombault dans l’Indre. Dans ce bourg de 271 habitants, c’est Christine Boutin qui est arrivé en tête lors de la dernière élection présidentielle. Et pour cause, plus d’un tiers des électeurs sont des moines.

Depuis le 15e siècle, ils occupent une magnifique abbaye bénédictine située au cœur du village et cela fait bientôt 40 ans qu’ils votent pour la même personne, Jacques Tissier. Il faut dire que le Maire, fervent catholique, sait se faire apprécier des moines. Seulement, depuis plus d’un an, un vent de révolte s’est levé sur la commune… Des habitants de Fontgombault, une cinquantaine, ont décidé de mener la fronde contre les moines et leur représentant à la mairie, Jacques Tissier. Ils se nomment eux-mêmes “les indignés” et présenteront une liste du jamais-vu depuis 40 ans. Ils reprochent au Maire de ne pas appliquer les lois de la République et de bafouer la laïcité.

# Les Moines

A Fontgombault, ils sont au nombre de 72. Ils sont issus de l’un des courants les plus traditionalistes du catholicisme : le lefebvrisme. Ils vivent cloîtrés dans leur abbaye où ils célèbrent des messes en latin. A chaque élection, ce sont eux qui tiennent le bureau de vote. Ils sont deux au sein du Conseil municipal. Mais récemment, une décision de justice (appel en cours) a mené à la radiation d’une dizaine d’entre-eux des listes électorales. Motif : ils n’habitent plus Fontgombault.

# People

Christine Boutin et Philippe de Villiers sont deux habitués de l’abbaye de Fontgombault. Plusieurs fois, ils ont été aperçus se rendant aux messes données par les moines. Dans les années 70, le chef de la milice lyonnaise sous le régime de Vichy, Paul Touvier, avait trouvé refuge dans cette magnifique abbaye bénédictine.

Wer Christine Boutin und Philippe de Villiers nicht kennt: Beide gehören zum Rechtsaußen in der französischen Parteienlandschaft.

Quelle: Gelesen am 6.4.2018 http://www.bfmtv.com/politique/fontgombault-ville-tenue-moines-729474.html

Ähnliche objektive Informationen bietet auch die Pariser Tageszeitung Libération am 5.3. 2014:

http://www.liberation.fr/societe/2014/03/05/fontgombault-sous-la-coupe-de-la-droite-bure_984831

10.

Zum Schluss: Leider gibt sich Herr Haberl nicht die Mühe, den Autor der Kritik an Le Barroux, also mich, beim Namen zu nennen. Ich bin kein anonymer „Vertreter des Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salons Berlin“, wie Haberl schreibt. „Vertreter“ hat mich bis jetzt noch niemand genannt…. Ich finde diese Art der Entpersonalisierung („ein Vertreter“) ist nicht nur journalistisch nicht korrekt, sie entspricht zudem nicht der angeblich so tiefen und hohen frommen Spiritualität des Herrn Haberl, die er ja in le Barroux gefunden hat, wie er behauptet. Schade, dass die Redaktion auch in dem Falle der Namensnennung ihre Sorgfalts – Pflicht nicht erfüllte.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

Der Fremde offenbart Jesus den Lebendigen:EMMAUS heute.

Eine aktuelle Neu – Interpretation der Emmaus –Erzählung (Lukas, 24, 13- 34)

Am zweiten Osterfeiertag wird in vielen, zumal katholischen Kirchen ein Text über ungewöhnliche Ereignisse in EMMAUS vorgelesen. Hier ein Beispiel für eine Neuinterpretation, die selbstverständlich aus dem Rahmen des Üblichen fällt….

Von Christian Modehn

Die Texte, die Erzählungen und Mythen des Neuen Testaments sind keine tote Masse, die man immer wieder nur unverändert bewegt. Sie sind keine leblosen Steine, die man, wie in der klassischen Theologie und Predigt immer nur hin und her dreht, ohne dass dabei neue Einsichten sich ereignen und neue hilfreiche Lebensmöglichkeiten erschlossen werden.

Erst mit dem Mut, ganz neu und selbstverständlich in „anderer Besetzung der Personen“ die Geschichte zu erzählen, ergibt sich ein inspirierender Text für heute. Und um das Heute, also mein Leben, unser Leben in dieser zerrissenen Welt, geht es ja immer. Alles andere wäre dumme Repetition, die bekanntlich langweilt.

Das habe ich von Meister Eckart gelernt mit seiner ungewöhnlichen, aber treffenden „anderen“ Interpretation der Geschichte von Maria und Martha. Aber das ist ein anderes Thema.

Im Blick auf die Emmaus – Geschichte hat der Maler Caravaggio auch Neues ins Bild genommen: Das Ehepaar, das die drei Gäste bewirtet. Sie lassen sich den einen, den ungewöhnlichen Gast „nicht entgehen“.

Ich will hier die alte Geschichte des Emmaus – Ereignisses nicht wiederholen.

Nur die Struktur der Neu – Erzählung kann ich hier andeuten:

Zwei Männer, Jünger Jesu, sind nach dem Tode Jesu unterwegs, fragend, suchend. Und sie sind in der Lage, als sich ihnen ein Fremder anschließt, von Jesus ungewöhnlich offen zu sprechen! Wenn man bedenkt, dass der Lukas – Text etwa um 80 geschrieben wurde. Also zu einer Zeit, als die theologische (christologische) Reflexion über Jesus schon weit gediehen war.

Beachtlich also ist: Die beiden Jünger nennen Jesus einen “Propheten”. Das ist ungewöhnlich! Es ist nicht die Rede von „Jesus, dem Christus“. Sondern „nur“ von dem Propheten Jesus von Nazareth. Das ist großartig. Dieser Brauch, hier vom Propheten Jesus v. N. zu sprechen, ist festzuhalten auch heute; auch im Blick auf den Dialog mit Muslims. Sie verehren bekanntlich auch Jesus den Propheten. Aber das ist ein anderes Thema.

Entscheidend ist in der Neuinterpretation:

Der Fremde geht mit den beiden (Glaubenden, Christen) zum Mahl in die Gastwirtschaft. Man setzt sich und beginnt zu speisen. Dem Fremden wird eine herausragende Rolle überlassen: Er bricht vor den Augen der Jünger (und der Wirtsleute, Caravaggio) das Brot. Der Fremde kennt als Mensch diesen zentralen menschlichen Ritus: Wo das Brot gebrochen und geteilt wird, wo man Gott dankt für das Mahl, in eine Art poetischen Lobpreis einstimmt, da wird (!) Göttliches anwesend. Der Fremde kann das Göttliche im Teilen des Brotes sich ereignen lassen, er als Fremder beschenkt die Jünger mit neuem Erleben und neuen Einsichten.

Die Jünger hatten wohl das letzte Abendmahl mit Jesus kurz vor seinem Tod erlebt; aber vom Fremden müssen sie sich zeigen lassen, dass im Brotbrechen die Gegenwart des Göttlichen auf immer da ist.

Jesus hat im letzten Abendmahl nur den in allen Menschen eigentlich vorhandenen Sinn für das „heilige Brotbrechen“ geweckt. Der Fremde als Fremder, als Mensch, kannte diesen Ritus.

Ein weltlicher Ort, eine Kneipe, wird Ort der göttlichen Präsenz, die nichts anderes ist als die Gegenwart des Teilens.

Was bedeutet das für uns? Das ist ja eine übliche Frage biblischer Meditationen: Die Frommen, die Christen, die Europäer (die beiden Jünger in der Geschichte) sollen sich öffnen für den, die Fremden. Sie sollten gemeinsam unterwegs sein. Sie sollten gemeinsam einkehren und in einem Wirtshaus, einer Herberge, verweilen. Kirchen und Tempel sind ja oft auch „Herbergen“ genannt worden. Das gemeinsame Essen ist entscheidend, nicht das kultische „Opfermahl“, die offizielle Liturgie der Priester.

Und in der Herberge können die Frommen erleben, dass der Fremde als erster zum Brot greift und es teilt und einen Lobpreis auf die Gemeinschaft spricht und so ein neues Miteinander stiftet.

Wir sollten die Fremden (Flüchtlinge) mit uns gehen lassen, Gemeinschaft schenken, sie einladen, ihnen die Chance geben, das Brot für uns zu brechen und für uns und alle Anwesenden zu segnen. Dann passieren Wunder. Dann ereignet sich die Einsicht: Die Auferstehung ist Realität. Das heißt in dem Falle: Die alte Welt der Trennungen und Mauern ist durchbrochen. Wir können aufstehen und den Aufstand wagen gegen die Unmenschlichkeit.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin