Hongkong: Christen aktiv im Widerstand!

Ein Hinweis von Christian Modehn

Christen in Hongkong sind jetzt aktiv im Widerstand: Sie wehren sich gegen die Aushöhlung des Rechtssystems in ihrer Stadt durch die Allmacht von Pekings Kommunisten. Ihre ständigen Proteste sind mit mehr als 2 Millionen Demonstranten die heftigsten und umfangreichsten, wohl genauso so bedeutend (und leider so gefährdet) wie 1989 in Peking, man denke an das Tienanmen – Massaker vom 4. Juni 1989.

Innerhalb dieses massiven Aufstandes des Volkes in Hongkong haben Christen eine wichtige Präsenz. Dieses Thema mag als eine politologisches Sonderfrage erscheinen, aber es ist genauso relevant und wichtig, wie vergleichsweise die Erinnerung an die Hilfe der Evangelischen Kirche in der DDR innerhalb der „friedlichen Revolution“ von 1989. Nur wird wohl leider angesichts der Allmacht Pekings der demokratische Aufstand in Hongkong anders enden als in der DDR.

Man muss wissen: Unter den 7 Millionen Einwohnern Hongkongs sind etwa 800.000 Christen verschiedener Konfessionen, zahlenmäßig sind die 480.000 Protestanten am stärksten (Baptisten, Lutheraner, Anglikaner, Church of Christ usw). Etwa 380.000 Einwohner bekennen sich zur römisch-katholischen Kirche, darunter auch viele Philippiner. Sie müssen, wie leider üblich für dieses arme Volk, die untersten „Dienste“ erledigen…

Die Wochenzeitung „LA VIE“ (Paris) hat am 16.8.2019 über die aktuelle Mitwirkung der Kirchenführer und Christen an den Demonstrationen in Hongkong berichtet.
Aus diesem Beitrag einige wichtige Informationen:
1.Bekanntlich haben die Demonstranten vor den offiziellen Gebäuden der Regierung „Sing Halleluja to the Lord“ gesungen, als spirituelle Stärkung und als Ausdruck ihrer friedlichen Gesinnung.
2. Ein katholischer Priester berichtet in „La Vie“, dass seine Kirche am 5.August 2019 als Adresse unter den jungen Demonstranten bekannt war: Bekannt als Zufluchtsort, um sich vor der Verfolgung durch die Polizei zu schützen. Und dieser Schutz wurde genutzt!
3. Später jedoch durfte diese Kirche, so der in „La Vie“ anonym bleibende Priester, nicht mehr als Schutzraum und Zufluchtsort für die Demonstranten dienen. Der eigentlich demokratisch gesinnte, aber auch diplomatisch agierende Weihbischof des Bistums Hongkong wollte es sich mit der Peking-hörigen Regierung seiner Stadt nicht verderben, deswegen sein Nein zum Schutzraum. Schließlich würden die katholischen Schulen, so der Weihbischof, auch von der Regierung Hongkongs mit – finanziert: Wie so oft, wiederholt sich die altbekannte katholische „Krankheit“: Eher katholische Einrichtungen schützen als bedrohten Kämpfern zugunsten der Menschenrechte helfen (man denke an die Politik des Vatikans während der Nazi-Zeit).
4. Die „Regierungschefin“ der „Sonderverwaltungszone Hongkong ist die „praktizierende“ Katholikin Carrie Lam. Sie hat ihre Ausbildung als Kind bereits in einer katholischen Nonnenschule erhalten. Als sie 2017 in diese höchste Funktion gewählt wurde und diese Funktion annahm, sprach sie davon, „nun sei ihr ein Platz im Himmel reserviert“. Ihre „Wahl“ war bekanntermaßen eine Farce: Denn nicht die Bürger Hongkongs wählten sie, sondern nur 1194 Wahlmänner eines „Wahlkomitees“, zusammengesetzt aus loyal der Führung in Peking ergebenen Leuten. Die Jesuiten-Zeitschrift AMERICA (New York) hat schon 2017 berichtet, dass unter demokratisch gesinnten Bewohnern die Frage gestellt wird: Wie kann diese führende katholische „Chefin“ Hongkongs, Frau Lam, zwei „Herren“ dienen, nämlich der allmächtigen KP Chinas UND dem Gott der Bibel und des Evangeliums als Friedensbotschaft. Katholische Demokraten in Hongkong wissen genau, dass Carrie Lam schon aufgrund ihrer hohen Funktion der kommunistischen Partei völlig ergeben sein muss. Sie hatte in ihrer Funktion sogar vor, nach Pekinger Vorbild, eine „religiöse Leitungseinheit“ zu organisieren, um alle Religionen Hongkongs sozusagen im „staatlichen Griff“ zu haben. Dieses Vorhaben ist aber nach Protesten zunächst gescheitert. Aber man sieht, dass demokratische gesinnte Katholiken wie der Weihbischof Joseph Ha Chi-shing, hin und her gerissen sind, einerseits für die globalen demokratischen Proteste zu optieren oder für den Erhalt der katholischen Schulen zu plädieren, dies ist ja vergleichsweise bloß ein bescheidenes pädagogisches und auch klerikales Projekt. Hingegen ist der 87 jährige (pensionierte) Kardinal Zen von Hongkong einer der schärfsten Anti-Kommunisten.
5. Auch innerhalb der anglikanischen Kirche Hongkongs gibt es unterschiedliche Positionen: Erzbischof Paul Kwong, berichtet „La Vie“, predigt ganz offen die „Unterwerfung“ unter die Weisungen Pekings. Das stört allerdings viele Anglikaner nicht, an den Demonstrationen teilzunehmen.
6. Am bekanntesten ist wohl der Baptisten Pastor Chu Yiu-ming, 75 Jahre alt. Er hat schon den Dissidenten vom Tiananmen – Platz geholfen, nach Hongkong zu fliehen. Im April 2019 wurde er zu 16 Monaten Gefängnis verurteilt wegen „Störung der öffentlichen Ordnung“. Vorher hat er noch eine Art Predigt gehalten, die weite Verbreitung fand, auch „La Vie“ berichtet darüber. Er sagte u.a.: „Unsere Überzeugung basiert auf unserem Glauben. Jede menschliche Person ist nach dem Bilde Gottes geschaffen. Deswegen muss jede Person respektiert und geschützt werden. Wir streben nach der Demokratie, denn die Demokartie strebt nach Freiheit, Gleichheit und universeller Liebe…Glücklich sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, das Himmelreich gehört ihnen…“
7. Was die katholische Kirche angeht: Sehr bald muss ein neuer Erzbischof für Hongkong vom Papst ernannt werden. Wird es Michael Yeung sein, er soll der Kommunistischen Partei Pekings nahe stehen. Oder wird es der aufgeschlossene, demokratisch gesinnte Weihbischof Joseph ha Chi-shing. Viele Beobachter meinen, dass die gegenwärtige Personalpolitik des Vatikans gegenüber der katholischen Kirche in China eher den kommunistischen Herrschern gewogen ist. Dass dies vor allem Kreise behaupten, die Papst Franziskus alles andere als gewogen sind, verwundert nicht. Andererseits ist eine Kooperation Vatikan und KP Chinas auch kaum vorstellbar, es sei denn: Dass dem Vatikan das Überleben der Katholiken wichtiger ist als die Kritik am Regime in Peking.
Das zeigt einmal mehr, wie schwer es ist, ein halbwegs klares Bild zu erhalten selbst über den Zustand der Kirchen in Hongkong heute.
Seltsam finde ich es nur, wie gering das Interesse der (großen) Medien in Deutschland an dem Thema „Christen in Hongkong heute“ ist.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Katholische Akademien: Orte des freien Austauschs oder nur noch Hüter von Evangelium und katholischer Tradition?

Über die Krise einer etablierten Institution: Wird sie die Freiheit hochschätzen lernen?
Ein Hinweis von Christian Modehn

1.
Katholische Akademien gehören, wie der Name sagt, zu einem besonderen „Segment“ der Gesellschaft, sie ziehen schon im Titel gewissermaßen enge Grenzen. Unvorstellbar, welche Lebendigkeit eine katholisch inspirierte, (katholisch im Sinne von „für alle“) Akademie hätte, wenn sie sich etwa „Forum für Sinnfragen“ oder „Agora der Religionen“ nennen und dies auch praktisch einlösen würde. Diese neuen Titel für einen neuen, einen reformierten Geist würden darüber hinaus dem Stand gegenwärtiger theologischer, philosophischer und religionswissenschaftlicher Erkenntnisse entsprechen und sicher auch eine andere Clientele interessieren. Wer hingegen „Innerkirchliches“ erfahren will oder die offizielle Sicht der Bibelinterpretation kennen möchte, kann in den Gemeinden informiert werden.
2.
Eine historisch-kritische Analyse des Titels „Katholische Akademie“ wäre reizvoll, er wurde schon einige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, in Zeiten des „Wiederaufbaus“, erfunden. Reizvoll auch, wenn man ihn mit dem Begriff der Akademie im Sinne Platons und der späteren Rezeption in der Renaissance konfrontieren würde.
3.
Nun findet in der nur für Abonnenten der Wochenzeitung „Die Zeit“ zugänglichen Wochenzeitung „Christ und Welt“ eine Diskussion statt über die Frage: Welche Rolle spielen eigentlich die 23 in Deutschland vertretenen, im Titel, wie gesagt, auf Identität und Kirchlichkeit abhebenden „Katholischen Akademien“? Sind sie in der Krise, sind sie vielleicht doch kreativ und provokativ? So wird zu recht, von Patrick Schwartz, dem geschäftsführenden Redakteur der ZEIT, in einem Beitrag gefragt.
4.
Diese Debatte ist kein marginales Sonderthema. Sondern es bewegt doch viele, die sich mit dem geistigen Leben und der Kommunikation von Menschen unterschiedlicher Lebenswelten in der Großstadt, etwa in Hamburg oder Berlin, befassen. Und dringend Orte des vorbehaltlosen, offenen intellektuellen Austauschs, des Dialogs, wichtig finden. Dass nicht nur ich diese großen (katholischen) Akademien mit den fast immer üblichen Frontal-Vorträgen vor einem Publikum von 50 bis 100 Personen für überholt halte, hinsichtlich des Lernerfolges oder wichtiger noch der Kommunikation aller, ist ein anderes Thema. Es wäre wohl sinnvoller, die Teilnehmer lesen zwei Seiten eines Statements vorher zuhause und treten dann ins Gespräch mit dem „Spezialisten“. Aber nein: Da setzen sich hingegen mehrheitlich ältere Herrschaften in einen großen Saal und lauschen eine gute Stunde dem manchmal nicht leicht nachvollziehbaren Vortrag und dürfen dann zum Schluss einige Fragen an den Referenten stellen: Das ist Erwachsenenbildung auf dem Stand von 1960. Und dies in der üblichen hierarchischen Sitzordnung: Die zu Belehrenden schauen nach vorn auf den Herrn, die Dame, den Lehrer. Warum nicht ein egalitäre Kreis-Runde? Erst bei einem Glase Wein „danach“ lernt man sich etwas kennen und spricht miteinander. Dieses Miteinander war ja eine Grundidee der Akademie Platons.
5.
Ich meine: Viele kleine philosophisch – theologische Salons über die Stadt verstreut, wären für die Kommunikation in den so oft zu recht beschriebenen „anonymen“ Lebensverhältnissen der Großstadt hilfreicher und wichtiger. Diese vielen Gespächs-Salons, selbstverständlich außerhalb der Kirchengemeinden organisiert, könnten in Kunstgalerien, Bibliotheken, Cafés ein Zuhause finden und ein weites, auch junges Publikum interessieren.
6.
Aber die Kirche setzt nun immer noch auf repräsentative Macht, die sich in großen Gebäuden äußert, die dann im Unterhalt so teuer werden, dass man die Räume permanent an wohlhabende Kreise aus Politik und Wirtschaft vermieten muss. Es gibt tatsächlich im deutschsprachigen Raum 26 Katholische Akademien, von den jeweils eine in Italien, Österreich und der Schweiz sich befindet.

Ich sehe in den Beiträgen von „Christ und Welt“ zum Thema Katholische Akademien keine exakten Informationen: Wie viele Teilnehmer hat etwa pro Jahr hat die Katholische Akademie in Berlin oder Hamburg? Was lässt sich über den Altersdurchschnitt der TeilnehmerInnen sagen? Wie viele „junge Leute“, zwischen 25 und 40, nehmen an den Veranstaltungen teil? Macht man entsprechende Umfragen unter den TeilnehmerInnen? Und vor allem: Wie hoch ist der Etat einer katholischen Akademie, etwa in Berlin. Wie viel Geld kommt vom Staat? Darüber gibt die jährliche Finanzstatistik des Erzbistums Berlin explizit keine Auskunft, was der Pressereferent des Erzbistums bestätigt und auf Nachfrage darauf verweist, diese Akademie sei ein „e.V“. Wer finanziert also diese katholische Akademie? Und wie hoch ist der Jahresetat? Und vor allem: Ist die Differenz zwischen finanziellem „Input“ und auf Teilnehmer bezogenem Output ökonomisch und moralisch vertretbar?
7.
In der Ausgabe von „Christ und Welt“ vom 25.Juli 2019 stellen die Direktoren der Katholischen Akademien in Hamburg und Berlin ihre theologischen Grundlagen, ihr Konzept, vor. Während Stephan Loos, der Hamburger Akademie Direktor, voller Elan und Mut für die offenen „Spielräume“ eintritt, die diese Akademie lebt bis hin zum „kritischen Dialog“ auch über Themen, die für die Kirchenführung unbequem sein könnten: Er nennt das Beispiel der Homosexuellen in der katholischen Kirche, er spricht explizit von einer „Schmerzgrenze“, meint wohl auch die Abweisung etwa von Segnungen homosexueller Paare/Ehepaare. Tiere, Handys und Autos werden bekanntlich katholischerseits feierlich von Priestern öffentlich gesegnet. Das bringt mehr Freude im populären kleinbürgerlichen Milieu als die Segnung von “Homo-Ehen”. Es ist für einen Protestanten ein erfreuliches Signal, wenn Stephan Loos der „Freiheit den Vorrang“ gibt in seiner Arbeit.
8.
Ganz anders empfinde ich als – vom Studium her – katholischer Theologe und Journalist die Ausführungen des Berliner Akademiedirektors Joachim Hake. Er hat nach dem Übergang seiner Gattin Susanna Schmidt ins CDU geleitete Bildungsministerium (Schavan-Connection) sozusagen in familiärer Fortsetzung im Jahr 2007 die Leitung der Berliner Akademie übernommen. Aber diese „Kontinuität“ ist ein anderes schon früher diskutiertes Thema.
Mein Gesamteindruck des Beitrags von Joachim Hake Beitrag in „Christ und Welt“ ist: Katholische Akademien sind für ihn „keine Kanzeln für Vordenker“, haben also nicht den Ehrgeiz, Neues, Kritisches, Provokatives zu sagen. Freiheit zuerst, wie sein aufgeschlossener Hamburger Kollege sagt, ist bei Hake also nicht so zentral. Hingegen bei ihm immer wieder der Hinweis auf das Katholische, „die Kirche“ (also die Amtskirche), die Tradition. Das Wort Ökumene habe ich in seinem Beitrag nicht gelesen, auch zum interreligiösen Dialog keine Hinweise, geschweige denn von einem Hinweis auf Veranstaltungen mit und für die „Unkirchlichen“, die bekanntlich in Berlin 60 % der Bevölkerung darstellen.
Hake spricht kryptisch von Ambiguitätstoleranz, also wohl von der Überzeugung, dass so eindeutig klar die Lehren der Kirche und ihrer Tradition doch nicht sind. Er will also „Ambilvalenzen und Widersprüche“ bloß aushalten. Bloß welche Widersprüche genau? Etwa dass das Zölibatsgesetz existiert, aber dass sich so wenige daran halten können und wollen? Mit anderen Worten: Hake will sich nicht positionieren. Er will das Image (gibt es noch ein gutes?) der Amtskirche pflegen. Diese vorgebliche Neutralität dient aber letzlich immer dem Erhalt der bestehenden Herrschaftsstrukturen, das gilt allgemein, aber auch für die Kirche.
9.
Man sehe sich deswegen einmal das Programm der Katholischen Akademie in Berlin an. Das kontrastreich andere, bessere Programm in Hamburg oder im „Haus am Dom“ in Franfurt am Main, sollte man selbst im Internet aufrufen.

Ich will nur erinnern: Im Berliner Programm für den Rest des Jahres 2019 stehen Kirchenführungen in Berlin und Leipzig zahlenmäßig im Mittelpunkt. Ich frage mich als gebürtiger Berliner, der einst, noch als Katholik, alle diese doch eher schlichten Kirchengebäude besucht hat: Was ist denn an diesen Kirchenbauten aus dem Ende des 19. Jahrhunderts oder Beginn des 20. Jahrhunderts so bemerkenswert, etwa an der eher an einen Kitschpalast erinnernden St. Ludwigskirche. Interessanterweise findet in der katholischen Akademie allen Ernstes eine Tagung statt über den “Kirchbau im faschistischen Italien”. Ob Innenminister Minister Salvini, der von vielen, sicher richtig, als Faschist eingeschätzt wird, dabei sein wird, ist wohl noch unklar. Dann aber bitte auch gleich auf europäischer Ebene fortfahren und etwa die Kirchenbauten des faschistischen Generalissimo Franco, auch sein von ihm und für ihnbestimmtes Kirchen-Mausoleum, studieren. Also, im Ernst, Architektur des Faschismus in den kommenden Monaten in der katholischen Akademie Berlin. Nichts aber auch gar nichts ist bis heute (27.7.2019) zur Ökologie angekündigt… Kann ja noch kommen, wenn sich die Katholische Akademie mit den jungen Leuten in Berlin und Brandenburg von „Fridays for future“ solidarisiert und diese in ihre Räume einlädt. Davon habe ich kürzlich geträumt: Alte Katholken treffen sehr lebendige, besorgte Jugendliche! War aber ein Traum.

Auch über die St. Hedwigskathedrale in Berlin wurde 2019 diskutiert, aber nicht über den leider gescheiterten Widerstand gegen diesen sinnlosen und umstrittenen Umbau, der 60 Millionen Euro, auch von Steuermitteln, verschlingen wird. Nein, die Tagung handelte von der Gestalt der Kathedrale im 19. Jahrhundert.Wie aktuell.
Man könnte das alles lang und breit belegen: Über die großen drängenden Themen der Menschen in Berlin wird nicht oder kaum gesprochen: Über das Wohnen und Mieten; über den zunehmenden Rechtradikalismus oder über die weithin gescheiterte und etwas gelungene Integration der Flüchtlinge in Berlin, nichts über das aktuelle Europa, das zusieht, wie aufgrund eigener Politik, von C- Parteien auch betrieben, Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken. Ich finde es bezeichnend, dass die katholische Akademie Berlin im Umfeld der Wahlen zum Europa Parlament nicht etwa eine Tagung über die aktuellen Bemühungen der Kirchen in Brüssel machte oder wichtiger noch über die rechtsradikale ultra-katholische Position der PIS Regierung in Polen oder über das Schweigen der Bischöfe Ungarns zur rassistischen Politik des Herrn Orban… Nein, nichts davon: Man macht in Berlin, als würde man auf dem Monte Cassino leben, zur Europa-Wahl eine Tagung über den Schutzpatron Europas, den Heiligen Benedikt und seinen Orden. Nebenbei: Über Afrika, Lateinamerika und Asien, selbst über die dortigen Kirchen dort, finden fast gar keine Veranstaltungen stattt.
Diese katholische Akademie in der (tatsächlichen) WELTSTADT Berlin igelt sich förmlich ein, mit der Pflege des altvertrauten Milieus. Man macht also brav Tagungen über Fontane oder Thomas Mann, bedenkt die Aktualität ungarischer Melancholie-Forschung oder die Ewigkeit im Alltag, sowie die Höllenfurcht im Islam. So tatsächlich die Themen der Katholischen Akademie in Berlin in den letzten Monaten. Traditionalistischer, also bewusstes Ignorieren dessen, was den Menschen auf den Fingern oder in der Seele brennt, kann man sich das kaum denken. Ich warte förmlich, dies als sanfte Ironie, auf eine Tagung über den heiligen Papst Pius X. oder die Aktualität der Seherkinder von Fatima.
Eigentlich hätte selbst diese zahlenmäßig kleine, immer aber ängstliche und theologisch ohnehin phantasielose katholische Kirche in Berlin etwas Besseres verdient als diese Akademie, um der Stadt, der Menschen willen. Warum macht man nicht eine gemeinsame christliche Akademie? Warum noch dieser Konfessionalismus?
Dieser enge Geist ist erstickend. Auch deswegen treten Jahr für Jahr Katholiken in Berlin aus dieser letztlich traditionalistischen Kirche aus.
10.
Eine katholische Akademie, die nicht Partei ergreift für die aktuellen Fragen der Menschen in Berlin und darüber hinaus, wird zum Hort des Esoterischen. Sie ist letztlich belanglos. Und überlebt langfristig nur, wenn sie ihre Räumlichkeit „fremd vermietet“. So können wenigstens die guten Gehälter der Angestellten bezahlt werden…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Über die Menschenwürde: Ein philosophischer Salon

In unserem religionsphilosophischen Salon wollen wir uns am Freitag, den 30. August 2019, um 19 Uhr mit einem der zentralen Themen des menschlichen Zusammenlebens befassen: der absoluten und unantastbaren Würde aller Menschen.
Bekanntlich ist im Grundgesetze der Bundesrepublik Deutschland von der Menschenwürde an erster Stelle, im Artikel 1, die Rede. Die Menschenwürde aller Menschen ist heute faktisch leider eher noch ein Ideal, wenn nicht eine Utopie, ein Traum. Aber die Menschenwürde sie ist absolut unverzichtbar, wenn diese Welt den Anspruch haben will, eine menschliche Welt zu sein.
Jeder und jede kann in unserem Salon berichten, wie er/sie Menschenwürde erlebt, auch als persönliche Verletzung der Menschenwürde, und wie gerade in den Kontrast-Erfahrungen der Wunsch stark wird, Menschenwürde als Realität auch politisch zu gestalten. Dass dabei auch philosophische und religionsphilosophische Aspekte zur Sprache kommen, ist selbstverständlich.

Die Veranstaltung findet in der Kunstgalerie Fantom statt, Hektorstr. 9, Berlin Wilmersdorf. Beginn um 19 Uhr. Wer teilnehmen will, sollte sich bitte anmelden: christian.modehn@berlin.de , denn die Anzahl der Plätze ist begrenzt. Herzliche Einladung!

Polen: Katholische Kirche mitschuldig an Gewalttaten gegenüber Homosexuellen

Ein Hinweis: Zur Gewalt in Polen und zum CSD (in Berlin am 27.7.2019)
Von Christian Modehn

In der polnischen Stadt Bialystok (in der Woiwodschaft Podlachien) wurden Demonstranten der dortigen Gay-Pride am 20.7.2019 heftig angegriffen, z.T. schwer verletzt und insgesamt von Rechtsradikalen beschimpft. KatholikInnen beteten inmitten diese Mobs der Gewalt ganz öffentlich den Rosenkranz, um die Sünde, nicht die der rechtsradikalen Gewalttäter, sondern die der Demonstranten einzudämmen…

Wichtig ist die zwiespältige Rolle (Psychiater würden wohl eher sagen Schizophrenie) der katholischen Kirche angesichts dieser Gewalttaten:

Der Sprecher der polnischen Bischofskonferenz, Pawel Rytel-Andrianik,.verurteilt zwar die Gewalt gegen die TeilnehmerInnen der gay-Pride-Demonstration, die ja eine genehmigte Demonstration war.

Aber dem offiziellen Spruch der Distanzierung von der Gewalt sagt der Kirchenvertreter: „Zugleich muss man das volle Evangelium verkünden und nicht aufhören, Todsünde als solche zu benennen“.

Homosexuelle sind öffentliche Todsünder

Das heißt: In der Sicht der Bischöfe sind Homosexuelle und Transgender, so wörtlich, Todsünder. Sie sind also Menschen, in Polen in den allermeisten Fällen noch getaufte Katholiken, die sich aber nun, so das Urteil, außerhalb der Kirche befinden. Sie sind also Ausgestoßene. Man darf sie öffentlich in Polen als „Todsünder“ „benennen“. Kinder sollte man ohnehin von diesen „Todsündern“ fernhalten. Und ihnen bloß keine Wohnung vermieten!
Früher hat die Kirche – nebenbei gesagt – Todsünder, etwa Ketzer und Häretiker, aber auch „Sodomiten“, zum Tode verurteilt und z.B. verbrennen lassen. Heute werden Todsünder höflicherweise nur noch öffentlich kirchlicherseits benannt und somit den privaten Attacken freigegeben… Und an diesen Attacken, dieser Respektlosigkeit gegenüber den Menschenrechten, beteiligen sich die katholischen Medien in Polen mit großer Leidenschaft. Man denke an den antisemitischen und homophoben Medienimperium mit dem Hetzsender „Radio Maryja“ des Redemptoristenpaters Tadeusz Rydzyk. Der darf seit Jahren unbeirrt hetzen. Eine Absetzung durch den angeblich allmächtigen Papst ist oft verlangt, aber nie erreicht worden. Antisemiten und Homophobe sollen halt einen großen Platz haben in der römischen Kirche, darf man daraus schließen.

Die Qualifizierung der Homosexuellen als Todsünder ist skandalös. Nicht nur, weil der dringend gebotene Begriff und die Idee der Menschenrechte im Statement des Bischofssprechers nicht vorkommt. Sondern diese Gay-Pride-Demonstranten werden in kirchlichen Kategorien beschrieben: „Die Schwulen, Lesben, Bi- und Transsexuellen sind unsere Brüder und Schwestern, für die Christus sein Leben gab und die er zur Erlösung führen will”. Wenn sie aber, wie es der Offizielle katholische Katechismus von 1993 vorschreibt, auf ihre Sexualität verzichten, können sie „wieder unsere Brüder und Schwestern“ werden…Diese Kirche erlaubt es sich, allen Ernstes im 21. Jahrhundert bestimmten Menschen die nun einmal auch sexuell geprägte Liebe zu verbieten. Das nennt man eine Wahnvorstellung.

Der Mob aber, der die Gay-Pride-Demo in Bialystik attackierte, ist also von den katholischen Medien, der PIS Partei und den Moralgesetzen der Kirche aufgestachelt worden. Der Mob ist ein „Resultat“ kirchlicher und rechtsextremer Indoktrinierung.

Katholische Ideologie in Polen erzeugt homophobe Gewalt

Das heißt: Die Kirche im ganzen ist mitschuldig an den Attacken in Bialystok. Und die Verteufelung der Homosexuellen wird durch die enge Liaison von PIS Partei und Katholizismus noch weitergehen, wenn denn im Herbst der Sexualkunde Unterricht aus den Schulen Polens verbannt werden soll. Denn: Homo Lobbys hätten sich in den Sexualunterricht eingeschlichen, wird allen Ernstes offiziell staatlich verbreitet. „Die Gender-Debatte gefährde die polnische Identität, heisst es dazu von polnischen Kanzeln. Das alles werde zur Dechristianisierung Polens führen“, berichtet die NZZ am 7.4.2019.

Warum ist die Haltung der Bischöfe Polens gegenüber den Homosexuellen im allgemeinen schizophren? Weil diese Herren mit aller Gewalt die Erkenntnis unterdrückt haben, dass viele hundert Priester in Polen homosexuell sind; dass sogar der polnische Nuntius Wesolowski in der Dominikanischen Republik wegen Homosexualität und Pädophilie aus dem Verkehr gezogen werden musste; dass etwa Erzbischof Juliusz Paetz, ehem. Erzbischof von Posen, ein bekannter Homosexueller ist. Zu weiteren Informationen über den Zustand der Verlogenheit in der polnischen Kirche, klicken Sie hier.
Die Republik Polen, Mitglied der EU, von der Kirche als der „Hauptlieferantin“ der Ideologie angestachelt, entfernt sich immer mehr von der europäischen Menschenrechts-Ordnung.

Die CSD in Berlin am 27.7.2019
Katholische Kirche in Berlin offiziell homo-ignorant

Da fällt auf: Unter allen öffentlich bekannten größeren gesellschaftlichen Gruppierungen nehmen drei nicht an der CSD Parade teil: Die AFD, die großen Moschee-Verbände und, wie zu erwarten, die katholische Kirche bzw. das katholische Erzbistum Berlin. Wenn die CSD Parade am Nollendorfplatz ganz nahe an der katholischen Kirche St. Matthias vorbeigeht, wird diese große Kirche inmitten des Berliner „gay village“ selbstverständlich wie immer geschlossen sein. Selbst wenn die Kirche offen wäre, würde wohl kein Homosexueller nach all der Hetze weltweit dort noch Hilfe und Unterstützung erwarten, geschweige denn spirituelle Begleitung, die Homosexuelle und Transgender verstehen könnten.

Autos werden gesegnet, homosexuell Liebende nicht

Stattdessen wird in katholischen Kirchen nach wie die Segnung von Autos und Motorrädern, von Handys und von Haustieren mit Begeisterung praktiziert. Dieser Fetischismus, dieser Wunderglaube, ist katholischerseits selbstverständlich. Homosexuelle Ehepaare sind vom offiziellen Segen in einer katholischen Kirche ausgeschlossen. Die Haltung von Papst Franziskus zur Homosexualität ist bekanntlich widersprüchlich und alles andere als liberal… So koppelt sich die katholische Kirche (auch in Deutschland) von der gegenwärtigen Kultur ab. Die katholische Homophobie in Afrika zählt mehr als das Menschenrecht in Europa. Dies ist keine „kolonialistische“ Aussage! Sondern eine Zustandsbeschreibung.
In Deutschland jedenfalls wird die katholische Kirche immer mehr, theologisch gesehen, zur „Sekte“, d.h. klein, selbstbezogen, ängstlich, bieder und kleinbürgerlich, aber noch stark an finanziellen Mitteln, d.h. 6,43 Milliarden Euro (sic) Kirchensteuereinnahmen etwa im Jahr 2017.

Zwei Beiträge auf dieser website zeigen, dass der § 175 in der katholischen Kirche noch immer besteht.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Die Kirchen verlieren ständig mehr Mitglieder … und was man dagegen tun könnte…

Warum sich die Kirchen reformieren sollten, falls sie nicht im kulturellen Abseits landen wollen
Ein Hinweis von Christian Modehn

426.000 Kirchenmitglieder in Deutschland sind im Jahr 2018 aus beiden großen Konfessionen, der evangelischen bzw. katholischen Kirche, ausgetreten. Das heißt: 44,1 Prozent der Bevölkerung in Deutschland nennen sich jetzt noch Christen als Kirchensteuerzahler. 1998 waren es 54,3%. Zur Prognose: Im Jahr 2035 werden es nach zuverlässiger Schätzung noch 34,8% sein.

Bedford-Strohm, evangelisch:

Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford – Strohm, so berichtet der „Tagesspiegel“ am 20.7.2019, kommentiert die aktuelle Statistik: “Jeder Austritt schmerzt. Er setze auf eine bessere Vermittlung der christlichen Botschaft“. Bedford-Strohm setzt also wie üblich auf ein besseres Wie, also auf ein besseres Sagen und Verkünden der alten Botschaft; von einem besseren Was, also von einem reformierten und entstaubten Inhalt der Botschaft, ist nicht die Rede. Diese überlieferte Kirchenlehre und Kirchenmoral soll also weiterhin erhalten bleiben.

Stefan Hesse,katholisch:

Eher unpräzise sagt im „Tagesspiegel“ vom 20.7.2019 der katholische Erzbischof Stefan Hesse (Hamburg): „Wir werden über die Zukunft von Priesteramt, Lebensweisen, den Umgang mit Macht und nicht zuletzt über Sexualität reden. Hinzu kommt die Rolle der Frauen“. Also Strukturfragen und Kirchengebote (etwa Zölibat) sollen besprochen werden, offenbar auch darüber, wie Frauen ein bisschen mehr Gleichberechtigung in der katholischen Kirche erleben können. Aber auch für den Erzbischof gilt: Inhaltliche Veränderungen, also eben durchaus Reduzierungen der nicht anders als bombastisch zu nennenden Kirchenlehre und Kirchenmoral (der offizielle Katholische Katechismus von 1993 umfasst mehr als 800 Buchseiten) kommen offenbar nicht in Frage.

Auswege

Zwei, bisher fast gar nicht diskutierte, Möglichkeiten könnten sich bieten, wenn man tatsächlich an einem lebendigen und kreativen Bestehen der Kirchen interessiert ist. Denn das langsame Verschwinden der Kirchengemeinden ist ja rein soziologisch oder religionswissenschaftlich gesehen ein spiritueller Verlust; weil die Geschichten rund um Jesus von Nazareth nicht mehr so oft erzählt und gefeiert werden; weil die Kenntnis der nun einmal auch christlich geprägten Kultur zurückgeht; weil prinzipiell der humane Zusammenhalt einer Gemeinde mit ihren ja manchmal auch ansprechenden Räumen und in ihrer prinzipiellen Offenheit für alle Menschen dann langsam verschwindet.

Ein liberal-theologischer Vorschlag

Um die stetige Verabschiedung so vieler Christen aus den Kirchen zu begrenzen oder gar zu beenden, könnte sich darum erstens eine Art liberal-theologisches Konzept anbieten: Die Kirche zeigt unmissverständlich, dass diejenigen, die einfach nur die Kirchensteuern nicht zahlen wollen, dennoch gern in der Kirche und Gemeinde bleiben können und als Mitglieder nach wie vor willkommen sind. Wer die Kirchensteuern gern zahlt, wird deswegen auf die „anderen“ nicht herablassend blicken. Weiter ist klar, dass alle, die meinen viele Zweifel an den Inhalten des christlichen Glaubens haben, eben gerade als Zweifler, als Skeptiker, ja selbst als Atheisten in den christlichen Gemeinden willkommen sind. Man könnte ausdrücklich zudem immer wieder betonen, dass es doch theologisch ganz selbstverständlich ist, dass jeder Mensch sich seinen eigenen, seinen persönlichen und privaten Glauben im Laufe seines Lebens eben auch unterschiedlich und je neu zusammenstellt. Dass dabei „Elemente“ des christlichen Glaubens mit „Elementen“ etwa buddhistischer Meditationspraxis verbunden werden oder andere „Mischformen“ religiöser oder philosophischer Traditionen verbunden werden, sollte in den Kirchen ausdrücklich willkommen geheißen werden. So wie alle in den Kirchen willkommen sind, die sich ganz auf die praktische Solidarität, etwa mit Flüchtlingen oder Obdachlosen spezialisieren und auch nur an diesen Aktivitäten der Gemeinde teilnehmen. Alle diese religiösen und individuellen „Mischformen“ existieren ja bereits in den Gemeinden, mindestens in einigen evangelischen Gemeinden. Diese „Mischformen“ sollten nicht nur ausdrücklich als wertvoll, als bereichernd für die Kirche und deswegen als unverzichtbar auch von offizieller Seite dargestellt werden: Jeder und jede ist willkommen in einer christlichen Gemeinde, jeder und jede kann und soll sein „Eigenes“ einbringen, in einem Klima selbstverständlicher Pluralität und damit auch Toleranz. Kirche ist Vielfalt, große Vielfalt. Sie könnte der Gesellschaft geradezu ein Model der versöhnten Verschiedenheiten sein….
Die Möglichkeiten, grundsätzlich, einer je eigenen Spiritualität sind ja grenzenlos: Sie reicht von einem Modell feministisch-katholischer Praxis oder schwul/lesbisch katholischer Praxis bis zur intensiven Beschäftigung mit spirituellen Dimensionen der modernen Kunst oder der gemeinsamen Feier von Christen mit Muslims oder mit Juden oder mit Atheisten usw. Nur muss diese umfassende Offenheit ausdrücklich gewollt sein. Und es müssen Gemeindeverantwortliche, also auch Pfarrerinnen und Pfarrer, tatsächlich auch intellektuell und menschlich in der Lage sein, diese Offenheit zu pflegen. Aber daran kann die „liberal-theologische“ Erneuerung scheitern. Und weil vielleicht scheitert bzw. niemand es ernsthaft noch versucht, werden wohl die Gemeinden immer kleiner, immer enger, immer klerikaler, ja immer mehr „wie Sekten“ am Rande der Gesellschaft.

Die vielen uralten Dogmen entrümpeln: Ein Befreiungsprozeß

Zweitens ist es wohl so, dass viele, die aus der Kirche austreten, nicht nur über die vielen sexuellen Misstaten der Priester entsetzt sind, sondern vor allem auch: Weil sie nicht die Kirchenlehre und Kirchenmoral verstehen. Und dann sinnvoller weise sagen: Wie soll ich mein Leben orientieren, das bedeutet ja „Glauben“, wenn ich die Inhalte meiner Lebensorientierung (Glauben) nicht verstehe. Wenn uns nicht nur die Sprache des Glaubens, sondern die Inhalte des Glaubens nichts bedeuten.

Mir scheint: Es muss die schwierige und provozierende Frage gestellt werden: Von welchen uralten Ballast der Kirchenlehre und Kirchenmoral und Kirchengesetze sollen die Kirchen sich endlich befreien? Sie schleppen die dogmatische Last mit sich herum und kommen dabei ständig in Schleudern! Wann also beginnt die große „Entrümpelung“, Befreiung, von uralter Kirchenlehren, Kirchenmoral und Kirchengesetzen? Es kann doch nicht sein, dass etwa die katholische Kirche verlangt, dass man sich an eine unübersichtliche, zudem uralte Lehren und Dogmen bindet und diese z.T. wortwörtlich (etwa im Nicäno-Konstantinopolischen-Glaubensbekenntnis) ständig in den Messen nachspricht. Dabei weiß jeder: Was die Gläubigen nachsprechen, verstehen sie nicht: „Gezeugt, nicht geschaffen“, „der heilige Geist geht vom Vater und vom Sohne aus“, „geboren aus der Jungfrau Maria“ usw. Auf Dauer Mysteriöses und Mythisches nachzusprechen, nachzuplappern, ohne intellektuelles Verständnis und seelisches Berührtsein, wird zurecht unerträglich. Eine Gemeinschaft der „Mythen-Freunde“ oder „Wundergläubigen“, Kirche genannt, verlässt man gern. Natürlich, in der Oper werden Mythen beschworen, aber da weiß jeder: Das ist Theater, darin steckt kein Anspruch zur Lebensgestaltung (Glauben). Wer kann im Ernst noch die umfangreiche immer noch geltende Erbsündenlehre des Augustinus akzptieren? „Die Erbsünde wird im Moment der Zeugung der Kinder übertragen“? Wer kann noch verstehen, dass Gott seinen Sohn Jesus auf Erden brutal leiden lässt, damit er im Leiden die Welt erlöst? Wer kann noch verstehen, dass diese Welt erlöst ist, wenn ja, in welcher genauen Hinsicht? Wer kann sich einen Reim daraus machen, dass Jesus von Nazareth wahrer Gott und wahrer Mensch war? Hatte Jesus als Mensch selbstverständlich Sexualität, hatte er sie auch als Gott-Mensch auf Erden? Wer kann noch verstehen, dass einige angeblich zölibatär lebende Priester die ausschließliche Vollmacht haben, Brot und Wein in Leib und Blut Jesu Christi zu verwandeln? Nur durch diese auszeichnende Macht des „Wandelns“ erklärt sich die Kirche die Notwendigkeit des Klerus…Oft bleibt es bei diesem Wandeln und die wirklich entscheidende Wandlung, also die Reform und Reformation, bleibt aus.

Die ersten bescheidenen katholischen Enrümpelungen von Glaubens-Lehren

Dabei hat doch die katholische Kirche einige bescheidene Entrümplungen ihrer Lehre längst vorgenommen: Es ist Katholiken seit etlichen Jahren gestattet, die Leiche einzuäschern. Die leibhaftige Auferstehung des einzelnen muss dann neu erklärt werden. Papst Benedikt XVI. sonst ultra streng in dogmatischen Fragen, verlangt nicht mehr zu glauben, dass ungetauft verstorbene Babys in eine Art Vorhölle kommen. Der uralte Glaube an den Limbus puerum ist also nicht mehr verpflichtend.Wer allerdings den Limbus noch mag, kann weiterhin an ihn glauben. Und Papst Franziskus hat zwar noch nicht das bloße Kirchengesetz (kein Dogma!) des Pflichtzölibates aufgehoben. Er hat aber freundlicherweise die noch im gültigen Katechismus erlaubte Todesstrafe aus dem Bereich der Glaubensinhalte gestrichen. Das heißt: Die Entrümpelung hat ganz, ganz zaghaft und ängstlich begonnen. Nun könnte diese befreiende Entrümpelung um der Menschen willen, die noch Mitglieder der großen Kirchen sein wollen, weiter gehen.
Das wird aber nicht geschehen: Weil besonders die katholische Kirche das einmal formulierte Dogma wie eine ewige Weisheit hochschätzt und nicht anrührt: Es ist die tief sitzende Angst vor dem Wandel, der Reformation, ja letztlich der geistigen Lebendigkeit, die als Angst diese Kirche versteinern und erkalten lässt. Es ist doch bezeichnend, dass so oft in den Kirchen das Ewige (Gott, Göttliches) als das Unwandelbare beschworen und laut gesprochen wird: „Wie es war im Anfang, so auch jetzt und allezeit, und in Ewigkeit. Amen!“ Also bloß kein Werden, keine Kreativität, nichts Neues. Es ist der unwandelbare Gott des Aristoteles, der da verehrt wird. Nicht aber ein Gott, bzw. etwas Göttliches, das lebt, das wächst, das Neues will.

Göttliches will Lebendiges, keinen Stillstand

Die ewige Botschaft des Christentums wird nicht durch die ewige und streng kontrollierte Wiederholung von Formeln und Floskeln vom 3. bis zum 20.Jahrhundert „gerettet“, sondern in neuen inhaltlichen Aussagen in einfacher Gestalt. „Wer Ewigkeit zum Programm macht und Zeitlosigkeit plant, behält nur eine archivalische Gegenwart in schaler Erhabenheit“, schreibt der Kulturhistoriker und Philosoph George Steiner treffend (Grammatik der Schöpfung“, S. 255).

Erst wenn sich die Kirchen von dem starren aristotelischen Gottesbegriff und der hierarchischen (Un)Ordnung trennen, werden die Kirchen wieder zu Orten, wo sich kritische, lebendige Menschen wohl fühlen …. und dann gern dazu gehören.

Der heilige Sisyphus

Aber das ist ein Traum. Der als Traum aber noch einmal formuliert werden musste. Denn bekanntlich ist der wohl aktuellste Heilige der Theologen der heilige Sisyphus, im Sinne von Albert Camus.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Nicaragua: 40 Jahre nach dem Sieg der Sandinisten (am 19. Juli 1979)

Das Scheitern der Revolutionäre, die Diktatur des Ex-Revolutionärs und die katholische Kirche
Ein Hinweis von Christian Modehn

Die Erinnerung an die Revolution in Nicaragua vor 40 Jahren ist für religionsphilosophisch Interessierte wichtig: Weil zum ersten Mal im 20.Jahrhundert, wenn nicht überhaupt, kirchlich gebundene Katholiken, darunter auch prominente Priester, Revolutionäre waren. Und weil zu beobachten ist, dass für das Scheitern der Revolutionsregierung nach 10 Jahren unter anderen auch konservative katholische Kräfte (Hierarchen) verantwortlich sind. Und weil der neue Machthaber, jetzt Diktator, Daniel Ortega, seine Macht als Präsident 2007 nur gewinnen konnte, weil die katholische Hierarchie ihn mit einem Deal unterstützte: Kardinal Obando Bravo (Managua) forderte als Preis seiner Unterstützung für Ortega das strengste Anti-Abtreibungsgesetz. Und das erhielt er von dem einstigen sozialistischen Revolutionär, jetzt Diktator, Daniel Ortega.

1. Die Revolution
Am 17.Juli 1979 war der Diktator von Nicaragua, Anastasio Somoza, zusammen mit seiner Familie und dem Generalstab der Nationalgarde zu seinen us-amerikanischen Freunden nach Florida geflohen. Der Kampf gegen die Diktatur Somozas hatte vielen tausend Menschen im Widerstand das Leben gekostet. Im Bistum Esteli an der Grenze zu Honduras war die Bereitschaft zum Widerstand gegen Somoza besonders groß. “Kirchliche Gruppen und Sandinisten arbeiteten arbeiteten Hand in Hand”, so Horst Goldstein in “Befreiung findet hier und jetzt statt”, Edition Nahua, 1982, S. 30. Pater Gaspar Garcia Laviana z.B. gehörte zu den Priestern, die “mit dem Gewehr in der Hand”, wie er 1977 schrieb, für die Gerechtigkeit kämpften. Er starb im Kamof gegen die Truppen Somozas.
Am 19.Juli 1979 feierten die Sandinisten ihren Sieg über das Gewaltregime der Somoza-Clique. Ihr Sieg, immer attackiert von Contras und den USA, dauerte nur 10 Jahre.
Einer der führenden Köpfe der Revolutionären FSLN ist damals Daniel Ortega. Er wurde von 1985 bis 1990 Staatspräsident. Über die taktischen Wandlungen des Revolutionärs zum heutigen Diktator wäre viel zu schreiben.
Von den materiellen Vorzügen politischer Macht besessen, strebte er weiter das Amt des Staatspräsidenten an.
Er zeigte sich deswegen unterwürfig gegenüber der mächtigen katholischen Hierarchie: Sie war in den Jahren der Sandinisten-Herrschaft der FSLN weithin feindlich gesinnt, darin in gehorsamer Übereinstimmung mit Papst Johannes Paul II.. Der polnische Papst sah wie die US Regierung in der sandinistischen Revolution nur den Ungeist des Kommunismus. Und entsprechend wurden die Sandinisten bekämpft. Dieses undifferenzierte Denken des polnischen Papstes war geradezu tödlich für die sandinistische Revolution.In Polen durften Priester aktiv politisch sein, in Nicaragua und anderen lateinamerikanischen Staaten nicht….

2. ORTEGA – plötzlich ein Freund der Hierarchie
Als geschickter Machtmensch biederte sich im Jahr 2004 Ortega der katholischen Hierarchie an: Ausgerechnet seinen einst ärgsten Feind, den Kardinal Miguel Obando Bravo, bittet er um Vergebung für angeblich kirchenfeindliche Aktionen in der Zeit der Sandinisten. Der konservative Kardinal ist gerührt, er verspricht, Ortega zu unterstützen: Unter der einen Bedingung: Dass in Nicaragua ein Gesetz realisiert wird, das radikal und rigoros jeglichen Schwangerschaftsabbruch verbietet. Bekanntlich ist ja für die katholische Hierarchie weltweit, so auch in Lateinamerika, das absolute Verbot von Abtreibung Teil des obersten Glaubensbekenntnis. Das ungeborene Leben zu schützen ist genauso wichtig wie das Bekenntnis zu Gott. Und dies im vollen Wissen all der leidvollen Konsequenzen für das Leben der betroffenen Frauen. Aber das ist der Macho-Gesellschaft und der klerikalen Macho – Kultur egal.
Also wird Ortega am 5. November 2006 Staatspräsident Nicaraguas. Der Klerus hat dafür Wesentliches getan: Schließlich hat er das absolute Verbot der Abtreibung als Gesetz erhalten… und der Ex-Revolutionär Ortega kann nun seine umfassenden Machtansprüche entfalten.

Der extrem konservative Kardinal Obando Bravo unterstützte sogar noch einmal 2012 den Präsidentschaftswahlkampf von Ortega. Voller Dankbarkeit sorgte der Herrscher Ortega dafür, dass der Kardinal den höchsten staatlichen Orden Nicarguas erhält, er wird zum „Helden des Friedens“ ernannt. Obando Bravo sorgte noch im Jahr 2003 dafür, dass alle Helfer eines Schwangerschaftsabbruches bei einem 9 Jahre alten Mädchen exkommuniziert wurden. Quelle: http://news.bbc.co.uk/hi/spanish/latin_america/newsid_2796000/2796003.stm
Das Mädchen war vergewaltigt worden.
Für das Anti-Abtreibungsgesetz hatten sich gleichermaßen die evangelikalen und pfingstlerischen Kirchen dort eingesetzt.
Der Lateinamerika – Kenner und Autor Hans Christoph Buch schreibt: „Ausschlaggebend für den Wahlsieg der Sandinisten (Ortegas) war das Bündnis Ortegas mit seinem früheren Erzfeind, Erzbischof Obando y Bravo“. (in: „Das rollende R und die Revolution“).
Bischof Leopoldo José Brenes Solorzano von Matagalpa hatte damals den Vorsitz eines Regierungsbeirates für Familienpolitik inne. Er setzte als eine der ersten Maßnahmen sogar ein Verbot therapeutischer Abtreibung bei Todesgefahr für die Mutter oder bei Schwangerschaft nach Vergewaltigung durch“. (Ludger Weckel, Nicaragua, in : Kirche und Katholizismus seit 1945, Band 6, Lateinamerika und Karibik, 2009, Paderborn, Seite 182.)
Kardinal Obando Bravo ist 2018 gestorben. Der „Held des Friedens“ übersah damals wohl, wie Ortega das Land ins Elend einer Diktatur stürzt. Ortega ist ein Diktator, das ist heute Überzeugung aller Demokraten. Die Menschen, die nicht zur Clique rund um Ortega gehören, leiden an allem, materiell sowieso, vor allem am Ausschluss von allen Menschenrechten. Aber weil Nicaragua weit entfernt ist, ein kleines Land, ohne Rohstoffe, kümmern sich Europäer, auch Deutsche, auch deutsche Medien, lieber um Autobahn–Maut, um Brexit oder das Zittern der Kanzlerin. Dritte Welt bleibt dritte Welt. Die Rettung der Menschenwürde in “der Ferne” der “anderen”, der Armgemachten, ist hier kein Thema.Bestenfalls über Spenden versucht man sein Gewissen zu beruhigen.

Es ist jedoch paradox und bemerkenswert, dass jetzt einige Bischöfe der katholischen Kirche Nicaraguas als Opposition gegen den Diktator Ortega aktiv geworden sind. Sie wissen genau, dass es doch vor allem die katholische Hierarchie war, allen voran Kardinal Obando Bravo, die den verbrecherischen Politiker Ortega an die Macht gebracht hat. Die Kirche hat den Diktator mit erzeugt, wie so oft in der Geschichte, man denke an Franco….
Bei Protesten gegen Ortegas Regime, eine Verschmelzung von Partei und Staat, sind einige hundert Menschen ums Leben gekommen, viele tausend haben als Flüchtlinge das land verlassen.

3. Die Hierarchie will Abtreibung gesetzlich verbieten
„Mehr als 100 Jahre war in Nicaragua eine Abtreibung möglich, wenn Leben und Gesundheit der Mutter bedroht war – die so genannte medizinische Indikation (aborto terapeútico). Selbst während der Diktatur Somozas wurde dieses Gesetz nicht angetastet. Am 26. Oktober 2006, zehn Tage vor den Präsidentschaftswahlen in Nicaragua, stimmte das Parlament für ein neues Gesetz – eingeführt unter dem Druck der katholischen Kirchenhierarchie und einiger evangelischer Kirchen, unterstützt aus wahltaktischen Gründen von der FSLN. Am 13. September 2007 wurde das neue Strafgesetzbuch unter Beibehaltung des Verbots der Abtreibung bei medizinischer Indikation im nicaraguanischen Parlament verabschiedet. Quelle: http://www.informationsbuero-nicaragua.org/neu/index.php/rundschreiben/rundschreiben-12008/234-der-kampf-geht-weiter-gegen-das-totale-abtreibungsverbot-in-nicaragua

Siehe auch: https://ilga.org/nicaragua-defender-derechos-de-las-mujeres-constituye-asumir-el-riesgo-de-perder-la-vida-o-la-libertad-individual

4.ERNESTO CARDENAL
Eine führende Gestalt der Sandinistischen Revolution ist der zweifelfrei berühmteste Dichter des Landes, international geschätzt, der Priester Ernesto Cardenal. Er war als Sozialist Kulturminister Nicaraguas zu Zeiten der Sandinisten und ein entschiedener Verteidiger der Befreiungstheologie. Deswegen hatte im Jahr 1985 Papst Johannes Paul II. ihm untersagt, seine Funktionen als Priester auszuüben. Als Ernesto Cardenal im Februar 2019 ernsthaft erkrankt, er ist 94 Jahre alt und einige mit seinem Tod rechneten, erlaubt Papst Franziskus großzügig, dass der Rebellen-Priester-Poet Ernesto Cardenal wieder die Messe lesen darf.

Ernesto Cardenal hat sich von seinem einstigen „Companero“ Daniel Ortega ausdrücklich distanziert, er sei ein mieser Diktator.

Ich biete hier einen Beitrag an, den ich 2004, jetzt leicht gekürtzt, nach einer Begegnung mit Ernesto Cardenal für die Zeitschrift PUBLIK FORUM geschrieben habe. Der Beitrag ist „aus redaktionellen Gründen“, wie es damals hieß, nicht gedruckt worden. Treffend und aktuell ist der Bericht über Ernesto Cardenal und sein reiches literarisches Werk natürlich bis heute.

“Die Revolution in Nikaragua ist verloren gegangen”. Ernesto Cardenal gibt sich Mühe, in einem nüchternen Ton die politische Entwicklung in seiner Heimat zu beschreiben. Wer ihm nach einigen Jahren wieder begegnet, glaubt nicht, einem Achtzigjährigem gegenüber zu sitzen. Die Vitalität ist geblieben. Heftig wird er nur, wenn er seinen Glauben verteidigt: “Das Reich Gottes ist etwas Revolutionäres, es soll hier auf Erden Wirklichkeit werden”. Die Farbe seines Bartes ist inzwischen von grau in weiß übergegangen. Die Baskenmütze ist nach wie vor sein “ständiges Erkennungszeichen”.
Als Mönch von Solentiname wurde er in den sechziger Jahre weltbekannt, in viele Sprachen wurden seine Gedichte übersetzt. Er ist ein Freund des Mystikers Thomas Merton. Schließlich war Cardenal im Trappistenkloster von Kentucky einmal Novize, und der Novizenmeister hieß Thomas Merton. Mit ihm hat er später über die Rechtmäßigkeit revolutionärer Gewalt gestritten.
Auf Kirchentagen der siebziger und achtziger Jahren war Cardenal förmlich ein Star. Er erhielt 1980 den Friedenspreis des deutschen Buchhandels, die Laudatio hielt der „politische Theologe“ Johann Baptist Metz…
Nach dem Sieg der sandinistischen Revolutionäre gegen den Diktator Somoza wurde Ernesto Cardenal (“Ich bin Revolutionär”) bis 1987 Kulturminister Nikaraguas. Mit viel Phantasie und Elan kümmerte er sich z.B. um den Aufbau von Literaturwerkstätten und Zentren der Malerei, er lebte auf der Insel Solentiname. “Die Unterschiede zwischen der Kunst der Reichen und der Armen wurden aufgegeben”. Zusammen mit seinem Bruder Fernando konnte er in kürzester Zeit eine erfolgreiche Kampagne der Alphabetisierung starten, unterstützt von Freunden aus aller Welt. Nikaragua, das war in den achtziger Jahren sozusagen das Traumziel aller, die an den Sieg einer von Christen geprägten Sozial-Revolution glaubten. Sie erlebten die Vertreibung des Diktators Somoza als ein Geschenk des Himmels, als einen Augenblick, in dem Nicaragua zum ersten Mal zu einer kulturellen Blüte fand, “zu einer nationalen Identität”, wie Cardenal sagt.
Nun ist der Traum vorbei. “Als ich am Tag nach der Wahl 1990 vom Sieg der Contras hörte, war dies für mich die dunkle Nacht. Es war die dunkelste Nacht meines Lebens. Ich lag in meiner Hängematte und konnte den Willen Gottes nicht verstehen. Wie war es möglich, dass sich das Volk sich gegen uns gewandt hatte, dass es die Revolution ablehnte. Ich spürte auch, dass meine Poesie an ihr Ende gelangte. Der Himmel blieb mir verschlossen. Viele meiner Freunde hatten einen unbezähmbaren Weinkrampf. Auch ausländische Journalisten weinten, als die Nachricht vom Sieg der Contras hörten”.
Die Korruption hat nun unvorstellbare Ausmaße angenommen, gerichtliche Kontroll-Instanzen werden in gutem Einvernehmen von den Führern der Liberalen und der (einstmals revolutionären, jetzt oppositionell, aber genauso korrupten) “Sandinisten” ins Abseits gedrängt. Verteidiger der Menschenrechte sehen sich ständigen Übergriffen und Drohungen ausgesetzt. Die Arbeitslosigkeit nimmt stetig zu, die Quote der Analphabeten erreicht wieder eine Höhe (35 %) wie unter Somoza. Die Menschen hungern in einem Land, das noch von 1979 bis 1990 als Vorbild für eine Kultur der Armen gepriesen wurde. “Die Revolution der Sandinisten ist gescheitert. Das Handelsembargo der USA war erfolgreich, die ständigen Attacken der Contras in den achtziger Jahre haben ihr Ziel erreicht. Aber auch etliche verantwortliche Leute der Sandinistischen Revolution bei uns hatten jedes Gespür für Moral und Ehrlichkeit verloren. Sie hatten sich bereichert. Auch diese Sandinisten haben die Revolution zerstört”.
Ernesto Cardenal hat sich nie als “Berufs – Politiker” bezeichnet. Er ist immer Mönch geblieben, auf der Suche nach den Spuren Gottes in der Welt. “Die Bücher des Alten und des Neuen Testaments sind für mich die einzigen religiösen Texte, die sich gegen die politische Verzweiflung wehren. Die Propheten, auch Jesus, wollen eine Religion, die vor allem Gerechtigkeit schafft. Sie wehren sich gegen die kultische Religion, gegen das institutionelle religiöse Machtgefüge. Sie wollen nur eins: Gerechtigkeit für alle. Die christliche Religion ist und bleibt subversiv, auch wenn Revolutionen scheitern. Diese Vision hat mich geprägt, sie bestimmt mich noch heute”.
Papst Johannes Paul II. hat sich immer gegen diese Überzeugung gewehrt, er hat Ernesto Cardenal bei seinem Besuch in Nikaragua (1983) geradezu gedemütigt. “Der Papst war massiv gegen unsere Revolution, die zum ersten Mal in der Welt massiv von Christen unterstützt wurde. Zusammen mit dem US-Präsidenten Reagan hat er =das Böse=, wie Reagan auch schon sagte, in unserem Land bekämpft!” Trotzdem: Von Resignation oder Verzweiflung ist heute bei Cardenal nichts mehr zu spüren. Inzwischen hat er die poetische Sprache wieder gefunden, 1994 veröffentlichte er sein Opus Magnum “Cántico Cósmico”, “Gesänge des Universums…Ich bin ein Dichter, ein kontemplativer Mensch. Aber ich kann niemals bei den politischen Kämpfen nicht abseits stehen”.
Darum fühlt er sich immer mit der offiziell manchmal totgesagten Befreiungstheologie verbunden. Und darum glaubt er jetzt, dass die marxistische Analyse der bestehenden Klassengesellschaft bleibenden Wert hat, auch wenn das so wenige im Augenblick hören wollen “im Rausch des Kapitalismus. Aber der Kapitalismus geht langfristig gesehen vorüber, da bin ich sicher”, sagte Cardenal zu Beginn des 21. Jahrhunderts!
Was ihn heute am Leben hält, ist der mystische Glaube, auf den er immer wieder zurückkommt, ein Glaube, der sich konzentriert auf ein biblisches Symbol, das Reich Gottes: “Es ist doch mehr als ewiger Traum: Das Reich Gottes der Gerechtigkeit für alle will ewig Realität werden”.
Ein frommer Traum – angesichts des Diktators Daniel Ortega, den Ernesto Cardenal mit offenen Worten verabscheut.

Siehe auch: Ernesto Cardenal, “Im Herzen der Revolution”. Der dritte Band seiner “Erinnerungen”. Erschienen im Peter Hamm Verlag, Wuppertal. 2004. 303 Seiten.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

“Nicht religiös”: Tendenz steigend sogar in der arabischen Welt

Eine Umfrage von BBC und der Princeton University

Ein Hinweis von Christian Modehn

Wer sich in den arabischen Staaten sozusagen „innerlich“ vom islamischen Glauben und den dort gelehrten Dogmen löst, hat dann als „Nicht-Religiöser“ noch keine entsprechende weltanschauliche Gemeinschaft zur Verfügung. In den arabischen Staaten ist die ganze Kultur immer noch von islamischen Gesetzen und islamischem Brauch bestimmt und offenes Bekenntnis zum Atheismus nicht „willkommen“, milde gesagt.

Aber immer mehr Menschen in arabischen Staaten bezeichnen sich selbst als „nicht-religiös“: Und das mit steigender Tendenz. Nannten sich im Jahr 2013 nur 8 % der Befragten „nicht-religiös“, so sind es im Frühjahr 2019 bereits 13 % der Bevölkerung, bei Menschen unter 30 Jahren ist der Anteil 18 %.

Diese interessante Entwicklung des religiösen Bewusstseins in arabischen Staaten hat bisher in Deutschland meines Erachtens noch nicht die entsprechende Aufmerksamkeit gefunden. Sie berühren einen bislang unsichtbaren, aber offenbar stetigen Wandel der Mentalitäten in muslimisch bestimmten Staaten.

Die umfangreichen Studien und Interviews zu dem Thema hat „BBC News Arabic“ zusammen mit dem „Arab Barometer“ (mit Sitz an der Princeton University) realisiert: Mehr als 25.000 Menschen wurden in 10 arabischen Staaten interviewt (Algerien, Tunesien, Marokko, Ägypten, Irak, Jordanien, Libanon, Libyen, Sudan und Yemen sowie in den „Palästinensischen Gebieten“). Saudi-Arabien und die Emirate haben diese Interviews nicht zugelassen.

Es gibt große Unterschiede hinsichtlich der Entwicklung des Bekenntnisses „nicht-religiös“ in den einzelnen Ländern: Am stärksten sind die „Nicht-religiösen“ in Tunesien, mehr als 30 Prozent der Befragten bekennen sich als nicht-religiös. Liegt das an der gewissen demokratischen Entwicklung in Tunesien, möchte man denken. Hingegen ist der Anteil der Nicht-Religiösen auch sehr stark (25 %) in Libyen, das nun wahrlich alles andere als demokratische Ansätze vorzuweisen hat. Hat dort der Zusammenbruch der alten Herrschafts-Ordnung den Abschied von der alten Religion mit befördert? Sehr gering ist der Anteil der Nichtreligiösen in Yemen. Ist die dort offenbar starke Bindung an Gott sozusagen der letzte geistige Rettungsanker in einem von Brutalität, Mord und Totschlag geprägten Land?

Freilich: Wer sich in arabischen Staaten als „nicht-religiös“ bezeichnet, bleibt eingebunden (und sicher auch noch abhängig) von der traditionellen islamisch geprägten Kultur, der tief sitzenden Lebensphilosophie, den Gebräuchen und Sitten. Darum ist es kaum erstaunlich, dass noch immer die offen gelebte Homosexualität mehr Ablehnung findet als der „Ehrenmord“.

Bei allen Nuancen: Die Mentalitäten und damit langfristig auch die geltenden Normen für Gesellschaft und Staaten ändern sich, zwar ganz langsam, aber der Wandel des Denkens ist nicht zu übersehen. Die religiösen Autoritäten im Islam sind sehr oft auch alte Männer, die der Lebenswelt der Jüngeren sehr fern stehen, sie sprechen deren Sprache nicht, das religiöse System, eng verbunden mit den Mächtigen, verliert an Reputation.

Wenn man auf die europäische Geschichte etwa seit der Aufklärung schaut, ist klar und deutlich: Demokratie und Menschenrechte wurden erst dann in den Staaten bestimmend und geltend, als die Kirchen und die christliche Religion schwächer wurden. Diese Erfahrung werden wohl auch arabischen Staaten machen, hoffentlich, sage ich.
Und ich würde mir wünschen, dass auch dort vernünftige, kritische und liberale Formen der muslimischen Religion sich durchsetzen, eng verbunden mit den Menschenrechten, so, wie es ja auch in Europa einige vernünftige, liberale protestantische Kreise und Kirchen im Zuge der Aufklärung gab und gibt.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin