Oscar Romero und das Opus Dei

Oscar Romero der Märytrer der Befreiung. Ein Freund des Opus Dei?

Von Christian Modehn (Der Beitrag wurde Ende März 2015 veröffentlicht)

Ein Vorwort:

Wer philosophisch die universale Gültigkeit der Menschenrechte verteidigt, muss auch auf Menschen aufmerksam machen, die diese Menschenrechte verteidigt haben und deswegen ihr Leben lassen mussten. Deswegen ist auch für philosophisch Interessierte eine Auseinandersetzung mit Erzbischof Oscar Romero aus El Salvador von dringender Aktualität. Weil seine Person zeigt, wie er, einst diffamiert und dann 1980 ermordet von rechten und rechtsextremen Kreisen, heute in die konservative Welt des Opus Dei integriert werden soll. Oscar Romero vom Opus Dei? Man könnte sagen: Mit dieser Behauptung stirbt Erzbischof Oscar Romero sozusagen ein zweites Mal. Lesen Sie den ausführlich dokumentierten Beitrag zu einem Skandal angesichts der Seligsprechung des Märytrers der Befreiung. CM.

Ein Interview mit der Botschafterin von El Salvador jetzt in Stockholm, vorher in Berlin, Frau Anita Escher-Echeverria, von April 2015, verdient auch Ihre besondere Aufmerksamkeit. Klicken Sie hier.

Siehe auch den Beitrag vom 17.5.2015: “Wer tötete Oscar Romero?” Zur Lektüre klicken Sie bitte hier.

…… Erzbischof Oscar Romero (1917-1980) aus El Salvador wird selig gesprochen. Der Verteidiger der Armen und Freund der Befreiungstheologen ist offiziell als Martyrer anerkannt, „ermordet aus Hass gegen den Glauben“, wie es im Vatikan heißt. Die ihn auslöschten, waren nicht nur rechtsextreme Politiker, sondern zugleich auch praktizierende Katholiken. Nun will eine nicht gerade linke und schon gar nicht befreiungs-theologisch engagierte Organisation Oscar Romero auf ihre Seite ziehen. Die oberste Leitung des OPUS DEI in Rom verbreitet diese Botschaft: Romero gehört zu uns! Will eine internationale katholische Organisation, die viele Beobachter einen „elitären Geheimbund der Reichen“ nennen, die weltweite Zustimmung zum Bischof der Armen in eine ungeahnte Richtung lenken?

Kaum war die Seligsprechung Romeros bekannt gegeben, sprach schon der Chef des Opus Dei, Bischof Javier Echevarría, von einer tiefen und lange dauernden Zuneigung Oscar Romeros für seine Organisation und deren Gründer José Maria Escriva de Balaguer. Oberflächlich betrachtet stimmt das auch: Oscar Romero war bis zu seiner Ernennung zum Erzbischof von San Salvador 1977 ein konservativer Theologe der alten „römischen Schule“. Deswegen hatten sich auch Vertreter der rechtsextremen Oligarchie 1977 für ihn als Erzbischof der Hauptstadt stark gemacht. Und er war zweifellos mit dem grundlegenden Buch des Opus Dei-Gründers vertraut: „Der Weg“ (verfasst 1937) plädiert u.a. für die Berufung der Laien zur Mitarbeit in der Kirche: Eine Idee, die Romero, den Seelsorger, begeisterte. Es ist auch wahr, dass Romero 1970 den Opus-Gründer in Rom besuchte und sich sogar nach dessen Tod (1975) für die Seligsprechung einsetzte.

Und sogar zu einer Zeit, als er Erzbischof von San Salvador war, von 1977 bis 1980, hielt er Kontakte mit dem dortigen Opus-Dei. Er wollte bewusst der Erzbischof aller Katholiken sein. Also durfte er auch zum Opus, diplomatisch – klug, nicht die Kontakte abbrechen. Auch in Europa sind selbst progressive Bischöfe förmlich verpflichtet, an Gedenktagen des Opus Dei eigens feierliche Messen zu halten. Wer sich weigert, würde zweifellos direkt oder indirekt die Macht des Opus zu spüren bekommen.

Es ist bezeichnend, dass in der offiziellen Stellungnahme des Opus jetzt, auch nicht ansatzweise der „ganze Romero“ gewürdigt wird. Seit der Ermordung seines Freundes, des Befreiungstheologen Pater Rutilio Grande am 12. März 1977 durch die rechtsextremen Todesschwadronen, wurde Erzbischof Romero ein anderer: Die Sympathien fürs Opus Dei schwanden, selbst wenn er, diplomatisch klug, Kontakte mit dieser Organisation aufrechterhielt.

Entscheidend ist die Verfügung Erzbischof Romeros: Am Sonntag nach dem Mord an Pater Grande sollte nur ein einziger großer Gedenk-Gottesdienst in der Kathedrale stattfinden. Alle anderen Messen hatte er verboten. So setzte er ein bislang ungeahntes Zeichen des Widerstands gegen die tötende Willkür der Herrschenden. „Jedoch die Mitglieder vom Opus Dei hielten sich nicht an den erzbischöflichen Erlass“, schreibt der Schweizer Theologe Professor Giancarlo Collet, „sondern sie feierten tatsächlich ihre eigenen Messen. Dies war für Romero ein klares Zeichen für einen offenen Ungehorsam dem Erzbischof gegenüber“.

Die innere Distanz zum Opus setzte schon früher ein: Von 1970-74 arbeitete Oscar Romero bereits als Weihbischof in der Hauptstadt San Salvador, und da hatte er unerfreuliche Erlebnisse, dem Jesuiten P. César Jerez wollte er nur so viel anvertrauen: „Als ich Weihbischof von San Salvador wurde, fiel ich dem Opus Dei in die Hände! Und da war ich nun…“ Romero bricht den Satz ab, aus Wut oder Resignation?

1979 hatte er Gelegenheit, die Machenschaften von Bischöfen zu erleben, die dem Opus Dei nahe standen, vor allem dem kolumbianischen Erzbischof Lopez Trujillo von Medellin. Der setzte zudem als Generalsekretär des lateinamerikanischen Bischofsrates alles daran, Befreiungstheologen in ihrer auch politischen Option für die Armen zu diffamieren. Schon damals war vielen Beobachtern klar, dass Lopez Trujillo eng mit dem Opus Dei verbunden ist, nicht zuletzt auch gefördert von dem deutschen Opus –Freund und damaligen Chef des Lateinamerika-Hilfswerkes „Adveniat“ Bischof Franz Hengsbach, (2A) Essen. Bekanntlich muss man sich nicht ausdrücklich als Opus-Dei-Mitglied outen: An den Taten sollt ihr das Opus-Mitglied erkennen, sagen kritische Beobachter. Erzbischof Vinzenco Paglia musste Anfang Februar 2015 zugeben: „Erzbischof Romero litt unter einer brutalen Kampagne, die ihm das Ansehen rauben sollte. Diese Kampagne ging aus von der politischen Rechten, der salvadorianischen Botschaft beim heiligen Stuhl und von einigen Kardinälen, die Romero anklagten, Kommunist zu sein und sogar geistig gestört zu sein“. Mit „einige Kardinäle“ meint Bischof Paglia zweifellos auch den späteren Kardinal Lopez Trujillo: Als er in Rom arbeitete, war er einer der schärfsten Gegner der Heiligsprechung Romeros. Das hat jetzt der im Vatikan geschätzte Historiker Andrea Riccardi offengelegt. Eine Bestätigung dafür lieferte auch der Sekretär Romeros, Pater Jesus Delgado, als er sagte: „Die Seligsprechung hat der kolumbianische Kardinal Lopez Trujillo bis zu seinem Tod 2008 blockiert“.

Wie hat sich die Opus Zentrale in Rom zu ihrem angeblichen Freund Romero verhalten? Der Erzbischof hatte sich zwischen 1977 und 1980 mehrfach in Rom aufgehalten, um bei dem polnischen Papst Johannes Paul II. mehr Verständnis für sein Engagement wecken. Aber er wurde nicht zum Papst vorgelassen, einmal gelang es ihm: „Im Rahmen dieser Privataudienz übergab Romero dem Papst eine Dokumentation über den Terror gegen die Kirche in El Salvador und legte ihm Fotos von gefolterten und ermordeten Priestern vor. Doch der Papst interessierte sich kaum dafür. Er ermahnt ihn lediglich, eine “bessere Beziehung zur Regierung seines Landes anzustreben”. Ergänzung am 5. 4. 2015: Ein wichtiges Dokument belegt, wie Erzbischof Romero 1979 im Vatikan von der dortigen Klerikerbürokratie zurückgewiesen wurde und wie desinteressiert – abweisend sich Papst Johannes Paul II. gegenüber Oscar Romero zeigte, als er mit Mühe nun doch die Gnade erlebte, als Erzbischof mit diesem Papst sprechen zu dürfen. Von einem Beistand des Opus Dei für Oscar Romero 1979 in diesen Tagen in Rom ist bisher nichts bekannt geworden. Lesen Sie bitte das erschütterende Dokument der päpstlichen Ignoranz hier. Und denken Sie dabei daran, wie dieser Papst zusammen mit Kardinal Joseph Ratzinger alles unternahm, um die Befeiungstheologen und ihre Basisgemeinden zu unterdrücken. Johannes Paul II. hatte mehr Interesse, den Opus Dei Gründer selig und heilig zu sprechen….

Aber das Opus Dei verliert kein Wort darüber, dass es seinem nun so beschworenen alten Freund im Vatikan beistand. Und nun soll der Erzbischof zu einer Art Ehrenmitglied des Opus werden? Die wahren Freunde Romeros waren hingegen die Jesuiten, vor allem die Patres Ignacio Ellacuria und Jon Sobrino. Sie haben unbeirrt ihren Erzbischof theologisch informiert und bei seinen Vorträgen, etwa anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde in Löwen, Belgien, beraten. 1989 wurde fast die ganze Jesuitengemeinschaft in San Salvador von Rechtsextremen Katholiken ermordet. Pater Ellacuria ging denselben Weg wie sein Freund Romero. Von der tiefen Verbundenheit Romeros mit den Jesuiten ist in der Opus-Dei-Stellungnahme keine Rede.

Am Tag seiner Ermordung, dem 24. März 1980, musste Romero ausgerechnet an einer Versammlung mit Opus-Dei-Leuten teilnehmen. Am Nachmittag dieses Tages wurde er von dem Opus Dei Priester Fernando Saenz Lacalle zu der Kirche „Zur Vorsehnung“ gefahren: Dort wollte Romero eine Abendmesse feiern. Und dort wurde er während des Gottesdienstes im Auftrag rechtsextremer Katholiken erschossen. Ein merkwürdiges Zusammentreffen!

Dieser „Chauffeur“ Romeros, der Opus Dei Priester Saenz Lacalle, wurde 1995 Erzbischof von San Salvador; er wurde sogar zum General der (damals allseits mordenden) Armee ernannt. Aber er, der sich zu Lebzeiten Romeros als sein Freund bezeichnete, hatte nichts Dringenderes zu tun, als das ganze Werk Romeros im Erzbistum zu zerstören: Er setzte neue, konservative Leute in die Kirchenzeitung und in das viel gehörte Kirchenradio; er begrenzte die kirchliche Menschenrechtskommission. Dabei folgte er der Devise, die durchaus dem Opus Dei entspricht: „Es kommt nur auf die Seelsorge an, politische Aktivitäten, gemeint sind linke kritische Aktivitäten, sind für Priester verboten“.

Dank des Einflusses des Opus Dei Bischofs und seiner Organisation hat heute El Salvador das rigideste Abtreibungsgesetz der westlichen Welt. Dabei wird die ultra-konservative Kirche rund um das Opus Dei von der ARENA Partei unterstützt: Diese rechtsextreme Partei wurde von dem Initiator der Ermordnung Romeros, General d Aubuisson, gegründet.

Wer noch Interesse an Wahrheit hat, kann es nicht hinnehmen, dass das Opus Dei heute Oscar Romero in den eigenen konservative Club eingliedert. Es gibt bereits gönnerhaft die Prognose aus: “Oscar Romero wird ein sehr beliebter Heiliger sein“. Und es wird im Opus verschwiegen, dass die Seligsprechung Romeros immerhin 35 Jahre dauerte, die Selig – und Heiligsprechung des Opus Gründers verlief hingegen im Eilverfahren: Alle Welt sollte möglichst schnell den heiligen Jose Maria, den Gründer, verehren: 1975 gestorben, 1992 schon selig und 2002 heilig!

Das Opus Dei ein Freund Romeros? Unvorstellbar, dass diese elitären Katholiken im Ernst diese Worte Erzbischof Romeros richtig finden kann: „Es ist besser, ihr Reichen streift eure Ringe vom Finger, bevor man euch die Hand abhackt“, so in einer Predigt am 17.2. 1980. Werden die Worte Romeros das ökonomische Interesse des Opus verändern? Er sagte: „Der Kapitalismus ist das Unchristlichste an der Gesellschaft, die wir haben. Es gibt einen Götzenkult des Privateigentums“.

Dem Opus Dei Chef hingegen fallen jetzt in seiner Würdigung des seligen Oscar Romero nur diese Worte ein: „Er war ein frommer Mann, lebte völlig selbstlos und diente seinem Volk. Man konnte spüren, dass er um die Heiligkeit kämpfte“.

Copyright: Christian Modehn Religionsphilosophischer Salon Berlin

Dieser Beitrag erschien zuerst im März 2015 in leicht gekürzter Form in der empfehlenswerten Zeitschrift PUBLIK FORUM.

 

 

 

 

 

 

 

“Pflichtlektüre” zu Oscar Romero: „Die Linken kämpfen, um die soziale Ungerechtigkeit zu beseitigen“

“Pflichtlektüre” zu Oscar Romero:  „Die Linken kämpfen, um die soziale Ungerechtigkeit zu beseitigen“

Eine Buchempfehlung von Christian Modehn

Der katholische Erzbischof Oscar Romero (San Salvador) wird nun endlich auch von der römischen Kirche öffentlich geehrt und öffentlich als Vorbild empfohlen. Er wurde von reaktionären Katholiken (Todesschwadronen) ermordet. Im Vatikan heißt es seit Februar 2015 eindeutig, Romero wurde „aus Hass auf den (also auf seinen) Glauben“ ermordet, den Glauben eben an die Universalität der Menschenrechte und der befreienden Botschaft des Evangeliums. Das war der Glaube Romeros! (Zum Thema “Oscar Romero und das Opus Dei” klicken Sie bitte hier)

Am Samstag, den 23. Mai 2015, findet in der Hauptstadt des zentralamerikanischen Staates El Salvador die offizielle „Seligsprechung“ des von so vielen Lateinamerikanern (und vielen anderen auch außerhalb der römischen Kirche) verehrten Befreiungstheologen statt.

Der Religionsphilosophische Salon Berlin verteidigt die universalen Menschenrechte und auch auf die bleibende Aktualität der Befreiungstheologie. Denn sie ist ein qualitativ neue, andere Art, von Gott zu sprechen, deswegen ist sie auch philosophisch hoch interessant!

Nun ist dieser Tage die große Biographie zu Oscar Romero neu erneut publiziert worden, verfasst von dem us-amerikanischen Jesuiten James R. Brockman. Er hat dieses Buch mit dem Titel „Oscar Romero“ schon 1989 in den USA, in dem berühmten, dem hervorragenden Verlag Orbis Books, Maryknoll, veröffentlicht.

Die Neuausgabe der deutschen Übersetzung erschiennun – unser Dank ! – im Verlag TOPOS Premium, es hat 448 Seiten und kostet 26,95 EURO.

Dieses Buch ist für alle, die Oscar Romero und sein Werk verstehen wollen, eine Art Pflichtlektüre, auch wenn die Darstellung eben schon 1989 endet, also etwa die Phase der vom Vatikan betriebenen Zerstörung einiger Werke von Erzbischof Romero durch seinen späteren Nachfolger, den spanischen Opus Dei Bischof Saenz Lacalle, nicht mehr erwähnt werden kann. „Die Kirche ist in El Salvador unpolitisch“ war Saenz Lacalles Motto…

Der Vorteil der neuen Ausgabe des großen Buches von James R. Brockman ist, dass einer der entscheidenden Berater Oscar Romeros, der Jesuit und weltbekannte Theologe Jon Sobrino, ein kurzes Geleitwort geschrieben hat, vielleicht zu knapp nach unserer Meinung. Pater Sobrino erwähnt auch die Gegner Romeros im Vatikan, etwa, so wörtlich die „Grobheit“ des reaktionären Kardinals Lopez Trujillo, der die Seligsprechung Romeros Jahre lang unterbinden konnte, wie jetzt im Vatikan – ohne Schuldbekenntnis – zugegeben werden muss. Dass die Clique um einen einzelnen Herrn, Kardinal, so viel Macht hat, wäre mal eine eigene kirchenkritische Erörterung wert…

Wichtig bleibt als Leitlinie ein kurzes Zitat aus einer Predigt Oscar Romeros am 9. März 1980, also wenige Tage vor seiner Ermordung durch die rechtsextremen, von den USA mit ausgebildeten und finanzierten Todesschwadronen:
Romero sagte, so zitiert Brockman auf Seite 379:
„Wir übersehen auch nicht die Sünden der Linken (also den massiven, gewaltsamen Widerstand, CM). Aber sie stehen in keinem Verhältnis zur Gesamtmenge der repressiven Gewalt. Die Taten der politisch-militärischen Gruppen der Linken erklären die Unterdrückung nicht!… Die Morde der paramilitärischen Truppen sind Teil eines umfassenden Programms zur Vernichtung der Linken, die von sich aus keine Gewalt ausüben und fördern würden, wäre es nicht der sozialen Ungerechtigkeit wegen, die sie beseitigen möchten“.

Diese grundlegende Überzeugung Erzbischof Romeros hat im Vatikan und in führenden Kirchenkreisen damals kaum jemand verstanden, im Gegenteil…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

 

 

Kritik an Seligsprechung Oscar Romeros: Stellungnahme der Basisgemeinden

Basisgemeinden kritisieren die Feier der Seligsprechung Oscar Romeros

Ein Hinweis von Christian Modehn

Auf den leidenschaftlichen Vorkämpfer für die Menschenrechte in El Salvador und Lateinamerika insgesamt hat der Religionsphilosophische Salon Berlin schon mehrfach hingewiesen. Zum Thema “Oscar Romero und das Opus Dei” als vollständigem Text klicken Sie bitte hier.

Nun wird Oscar Romero, katholischer Erzbischof in San Salvador (von 1977 bis 1980), am 24. März 1980 am Altar während der Messe auf Befehl der rechtsextremen Militärs und ihrer Verbündeter erschossen, selig gesprochen, also der besonderen offiziellen Verehrung der Katholiken, wahrscheinlich vieler anderer Menschen anempfohlen. Die Feier soll am 23. Mai 2015 in der Hauptstadt stattfinden.

Es gibt im Vorfeld dieses Ereignisses ideologisch-theologisch-politisch motivierten Streit: Verschiedene Organisationen von Basisgemeinden (wie z.B. „Articulación Nacional de las Comunidades Eclesiales de Base“ –CEBES- oder das „Comité Nacional Monsenor Romero“) werfen den Bischöfen im Land vor, ein Motto für die Feierlichkeiten gewählt zu haben, das der Person Bischof Oscar Romeros nicht entspricht: Die bischöflichen Verantwortlichen für die sicher internationale beachtete Feier am 23. Mai in San Salvador haben das Motto ausgegeben: „Romero – martír del amor“, also: „Bischof Romero – ein Märtyrer der Liebe“. Hingegen hat selbst der Vatikan bei der Ankündigung der Seligsprechung Romeros das Motto ausgegeben: „Romero ist gestorben aus Hass auf den Glauben“ („por odio a la fe“). Also: Bischof Romero wurde ermordet (von Katholiken) aus Hass auf seinen, also Romeros, Glauben. Das heißt: Die Mörder und ihre Auftraggeber im Militär haben den Glauben, so wie ihn Romero praktisch lebte, nicht respektieren können! Sie haben diesen auch politisch eindeutigen Glauben Romeros gehasst. Eben weil dieser Glaube sich ausdrückte in der radikalen Verteidigung der Menschenrechte und vor allem der Rechte der arm gemachten Bevölkerung, der absoluten Mehrheit im Land El Salvador.

Nun soll bei der Seligsprechung dieser radikale Glaube also neutralisiert werden, in dem die Bischöfe als Verantwortliche für die Feier am 23. Mai erklären: Romero sei ein „Märtyrer der Liebe“. Damit wird die Radikalität der Überzeugungen Romeros verwaschen und neutralisiert! Natürlich hat wohl Bischof Romero alle Menschen geliebt. Aber die mordenden Militärs im Land eben nur unter der Bedingung, dass sie den Krieg gegen die Armen beenden und die Menschenrechte umfassend achten.

Einer der Sprecher der Basisbewegung der Armen, die Erzbischof Romero von sich aus, auch ohne vatikanische Zustimmung selbstverständlich, seit seiner Ermordung als einen der ihren, als Heiligen verehren, José Roberto Lazo Romero, hat betont: „Mit dem neuen Motto werde Erzbischof Romero zu einem total passiven (d.h. unpolitischen) Heiligen stilisiert“.

José Roberto Lazo Romero hat außerdem beklagt, dass für die Feier am 23. Mai 2015 eine eigene Sitzordnung, „Abteilung“, der Armen und der Bauern, vorgesehen sei, so, als sollten die Armen und die Bauern nur die Teilnehmer Statistik erhöhen. Jose Robero Lazo Romero nannte das Verhalten der Hierarchie freundlicherweise bloß unsensibel. „Man könne keine Feier gestalten, mit der alle einverstanden sind“, meinte hingegen einer der offiziellen klerikalen Sprecher, Padre Simeon Reyes.   Quelle: elmundo.com.sv/polemica….   am 17. Mai 2015.

Diese Neutralisierung Romeros, um nicht zu sagen, diese Verfälschung seines Wesens, wird vom Opus Dei und seiner römischen Zentrale, nachdrücklich betrieben: Am 17. Mai 2015 veröffentlichte die dortige Opus Dei Zentrale einen Text aus dem Jahr 1995, den das Opus Dei Mitglied, der Priester Fernando Saenz (er wurde später Erzbischof in San Salvador) geschrieben hatte, nach einer letzten Begegnung mit Romero am Tag seiner Ermordung: Saenz schreibt und das Opus Dei verbreitet das noch heute:

„Immer wenn ich an diesen Tag zurückdenke, kommen mir diese weniger bekannten Tugenden des Erzbischofs in den Sinn: seine Sorge um die Priester, seine aufrichtige Frömmigkeit, seine Einfachheit“. So wird Romero zu einem bloß frommen, kirchentreuen Oberhirten gestylt, fern ab von jeglicher Politik.

Die offizielle klerikale Linie zur Seligsprechung in San Salvador mit dem Motto „Märtyrer aus Liebe“ hätte das Opus Dei nicht anders formulieren können.

Zur Vertiefung:

1.ADVENIAT hat im Jahr 2010 erfreulicherweise über Jose Lazo Romero berichtet: http://www.adveniat.de/aktionen-kampagnen/jahresaktion10/gaeste2010/jose-lazo.html

2.Für alle, die Spanisch lesen können, noch ein Kommentar der Jesuiten in San Salvador vom 15. 5. 2015:  „basta con escarbar un poco para darse cuenta de que algunos de los que ahora vitorean la beatificación de Romero pretenden convertirlo en una figura insípida en nombre de la diplomacia, de la reconciliación o de la despolarización de la sociedad. No es justo invocar la reconciliación sin antes pedir perdón por el asesinato de Romero y de tantos otros salvadoreños inocentes. No es honesto ni cristiano prepararse para encender cirios ante la foto de Romero y seguir negando la verdad que él denunció. Honrar la memoria del arzobispo pasa por reconocer las razones que lo llevaron a la muerte en aquella difícil situación en la que le tocó vivir. Monseñor Romero denunció las injusticias que sufría el pueblo y señaló a quienes las cometían. Exhortó a los ricos a compartir ante la pobreza de la mayoría de la población. Condenó la violencia como mecanismo para resolver los problemas y animó a procurar la justicia social para evitar un derramamiento de sangre. Exigió, en nombre de Dios, desobedecer las órdenes de los jefes castrenses y policiales que mandaban asesinar a gente inocente. En verdad, monseñor Óscar Romero es para todos. Pero solo puede serlo desde el reconocimiento de su vida, su mensaje y las causas de su martirio. No se puede ocultar que es un mártir por odio a la fe y, por eso, mártir de la justicia; como dijo el papa Francisco, es un mártir por el odio que le granjeó seguir con fidelidad el camino de Jesús, optar clara y decididamente por las víctimas de la violencia y de la injusticia. Y por esa razón es un santo. Ese hecho es el que se reconocerá el sábado 23 de mayo y el que celebrará el pueblo que siempre ha querido y honrado a Óscar Arnulfo Romero“    Quelle: http://www.uca.edu.sv/noticias/texto-3655

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

Ohne Pressefreiheit (Meinungsfreiheit) gibt es keine Freiheit: Mit einem Hinweis auf ERITREA

Ohne Pressefreiheit (Meinungsfreiheit) gibt es überhaupt keine Freiheit

Der 3. Mai: Der Internationale Tag der Pressefreiheit

Von Christian Modehn

Gott sei Dank gibt es „Internationale Tage“. Sie sind Gedenktage, also Tage zum Innehalten und bohrend-fragender Kritik. Sie sind inspirierend für sehr viele hoffentlich, selbst wenn wir heute förmlich umzingelt werden von diesen „besonderen Tagen“ (der „Welttag der Philosophie“ ist ein bleibend großer Internationaler Tag, immer der 3. Donnerstag im November, 2015 also der 19. November).

Auch der „Internationale Tag der Pressefreiheit“ am 3. Mai ist von elementarer Bedeutung: Weil es wahrzunehmen gilt in kritischer Abwägung, dass es ohne Meinungsfreiheit, die sich etwa in der Pressefreiheit ausdrückt, keinerlei andere Freiheit gibt; es sei denn die Gedankenfreiheit, die selbst dem Widerstandskämpfer noch in seiner Todeszelle als geistiger Wert von keinem Henker genommen werden kann. Aber Gedankenfreiheit strebt von sich aus nach Austausch, nach Dialog, als Meinungsaustausch… Alle diese vielen Diktaturen und Scheindiktaturen dieser Welt hassen die Meinungsfreiheit und die damit eng verbundene Pressefreiheit. Wer frei seine Meinung äußert, könnte ja die korrupten Regime in ihrer Brutalität kippen wollen. Zu der philosophisch-grundlegenden Erwägung „Ohne Meinungsfreiheit auch keine Religionsfreiheit“ klicken Sie bitte zur weiteren Vertiefung hier.

Die “Reporter ohne Grenzen“ haben 2015 erneut einen Index zur Situation der Pressefreiheit veröffentlicht. Zur Lektüre klicken Sie bitte hier.

Unter den 180 hinsichtlich der Pressefreiheit bewerteten Länder steht an allerletzter Stelle, nach Syrien, Turkmenistan und Nord-Korea der afrikanische Staat ERITREA.

„Reporter ohne Grenzen“ kommentiert die Lage der Pressefreiheit in dem Land, das am „Horn von Afrika“ direkt Jemen gegenüberliegt:

„In Eritrea sind seit 2001 alle privaten Medien verboten, seit 2010 sind auch keine ausländischen Korrespondenten mehr im Land. Die staatlichen Medien unterliegen der Vorabzensur und werden scharf überwacht. Dutzende Journalisten wurden wegen ihrer Arbeit verhaftet. Viele sitzen ohne Urteil, Kontakt zu Anwälten oder Familien seit Jahren im Gefängnis; sie werden gefoltert, die Haftbedingungen sind lebensbedrohlich. Mehrere Journalisten sind in Haft umgekommen. Viele Journalisten sind ins Ausland geflohen, wo die eritreischen Behörden sie oft weiter drangsalieren. Das Internet wird umfassend überwacht und zensiert“. (Der Beleg findet sich, hier, bitte klicken.

Zum ersten Mal liegt jetzt in deutscher Sprache ein recht umfangreicher Sammelband über das hierzulande bestenfalls dem Namen nach bekannte ERITREA vor. Dieses Buch dokumentiert auch die Situation der Presse in dieser brutalen und fast völlig abgeschotteten Diktatur. 1993 wurde das Land unabhängig, nach einem dreijährigen Krieg gegen Äthiopien.

Amnesty International berichtet, das in diesem „freien Land“ seit Jahren Tausende gefoltert und misshandelt werden, dass viele Bewohner des Landes zu Zwangsarbeit verpflichtet werden, dass Sklaverei noch fortbesteht, dass Eritrea das fünftärmste Land der Welt ist… und: Dass es keine noch so geringe Form von Pressefreiheit gibt. Das Buch „Eritrea. Von der Befreiung zur Unterdrückung“ berichtet auf den Seiten 79 bis 87 vor allem über das Schicksal des schwedisch-eritreischen Publizisten Dawit Isaak: Er sitzt seit 2001 in einem Gefängnis in Eritrea, Genaues weiß man nicht, die Regierung verweigert jegliche Auskunft zum Zustand seines qualvollen Lebens in Einzelhaft. Es sind vor allem schwedische Institutionen, die sich um die Befreiung ihres Landsmanns kümmern: Dawit Isaak, geboren 1964, war 1987 nach Schweden geflohen, dort nahm er 1992 die Staatsbürgerschaft an. Er kehrte aber 1993 nach Eritrea zurück, in der Hoffnung, dort als Journalist den demokratischen Aufbau des Landes zu unterstützen. Am 23. September 2001 wurde Dawid Isaak zusammen mit 10 anderen Journalisten und 11 Reformpolitikern festgenommen. Die schwedische Initiative hat diese website: www.freedawid.com. In dem Beitrag des schwedischen Journalisten Björn Tunbäck über seinen eritreischen Kollegen heißt es: „Was 2001 geschah, passierte nur, weil es einen machthungrigen Präsidenten und seinen engsten Kreis gab. Sie zerschmetterten die Pressefreiheit. Sie zerschlugen die öffentliche Debatte. Sie stoppten alle Entwicklungen in Richtung Demokratie. Die Herrscher in der Hauptstadt Asmara und das Regime sind verantwortlich für all die vielen Tausend Eriteer, die aus ihrem Land fliehen…“ (S. 83)

Seit der Unabhängigkeit Eritreas ist Isaias Afewerki der Staatspräsident, er diktiert die Politik, er ist für die Knechtung der Bevölkerung verantwortlich. „Mit Indoktrinierung und Gehirnwäsche-Methoden versucht man politischen Einfluss auszuüben. Schon unliebsame Fragen werden mit Prügel, Folter und ausgedehnter Haft hart bestraft. Mädchen sind, wie berichtet wird, sexueller Gewalt und Vergewaltigung durch Offiziere ausgesetzt. Trotz dieser Verletzungen elementarer Menschenrechte macht es westlichen Unternehmern nichts aus, wie dem kanadischen Bergbau Unternehmen NEVSUN ein Joint Venture mit dem Regime abzuschließen, um die Vorkommen von Gold, Silber, Kupfer und Zink auszubeuten.. Sonst sind Ausländer unerwünscht: Konsularische Betreuung von Bürgern anderer Staaten ist keineswegs gesichert. Deswegen rät das Deutsche Außenministerium von jeglichem Besuch in Eritrea dringend ab, falls man denn über ins Land kommt.

Wer es nur irgendwie ermöglichen kann, flieht aus diesem Regime: 357.406 eritreische Flüchtlinge hat das UN Flüchtlingswerk gezählt. Etwa 5 Prozent der Bevölkerung sind angesichts unerträglicher Zustände aus ihrer Heimat geflohen. Viele gehören zu den Bootsflüchtlingen, und einige hundert sind im Mittelmeer bei der Flucht umgekommen. 14.000 Eritereer haben in Deutschland um Asyl gebeten. Thomas Scheen berichtet in der FAZ vom 22. 4. 2015: „In Israel sollen sich gegenwärtig 40.000 eritreische Staatsbürger aufhalten, im benachbarten Äthiopien sollen es 87.000 sein. Selbst in einem so schlecht beleumundeten Land wie Sudan muss das Leben freier sein als zu Hause, sonst wären nicht 125.000 Eritreer dorthin geflohen“. Etwa 14.000 Eritereer haben in Deutschland um Asyl gebeten. Werden die Behörden sie in ihre „Heimat“ zurückschicken, „weil sie ja dort eigentlich nicht lebensgefährlich bedroht sind“?

Wir empfehlen dringend das Buch „Eritrea. Von der Befreiung zur Unterdrückung“.

Das Buch wurde von Katja Dorothea Buck und Mirjam van Reisen herausgegeben. Es ist im April 2015 erschienen, und zwar im Verlag des Evangelischen Missionswerkes in Deutschland. Das Buch kann kostenfrei bestellt werden, es ist also bestens einsetzbar in Gruppen, die sich mit der Pressefreiheit oder den Menschenrechten in einer afrikanischen Diktatur auseinandersetzen wollen! Und etwas erfahren wollen über die Mitbürger, die als eritreische Flüchtlinge – kaum sichtbar – unter uns leben!

Bestellungen bitte an: Evangelisches Missionswerk in Deutschland: Normannenweg 17-21, D-20537 Hamburg Oder: http://www.emw-d.de/

Über eine Spende für das Buch freut sich das Missionswerk sehr.

PD: Für alle, die vielleicht über den Begriff „Missionswerk“ irritiert sind: Bei diesem Buch über Eritrea handelt es sich, das wurde ja wohl schon deutlich, um keine „Kirchenwebung“, sondern einen Reader kompetenter Autoren und Wissenschaftler!

Ein kleiner Nachtrag: In der Liste der “Reporter ohne Grenzen” über den Zustand der Pressefreiheit in allen Staaten dieser Erde wird der Staat “Vatikanstadt” nicht erwähnt, das wundert uns ein bißchen;  gibt es doch dort die bewährte Tageszeitung “Osservatore Romano” und Radio Vatikan sowie “TV Vatikan” und Presse-Agenturen etc. Könnte man nicht 2016 auch den Zustand der Pressefreiheit im Vatikanstaat bewerten? Könnte doch interessant sein…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon

Wenn ich Nein sage: Mittelpunkt der Lebensphilosophie

Wenn ich Nein sage: Mittelpunkt der Lebensphilosophie

Hinweise anlässlich einer Begegnung mit der Amsterdamer Philosophen-Gruppe aus der Gemeinde „de Vrijburg“ am 17.4.2015 in Berlin.

Von Christian Modehn

Das Nein-Sagen ist meines Erachtens bisher kein explizites Thema in den Philosophien. Wenn ich mich da irre, bitte ich um korrigierende Mitteilungen. Natürlich wird das Nein im Zusammenhang der Dialektik, des Skeptizismus, des Nihilismus diskutiert. Uns interessiert hier das viel elementare Neinsagen als Praxis im Dasein in der Welt, als Vollzug der „Lebensphilosophie“.

Es gibt philosophiehistorische Hinweise, die auch Bausteine bieten könnten für ein systematisches Bemühen um eine Philosophie des Nein. Der bekannte Bonner Philosoph Heinz Robert Schlette bietet in seinem Buch „Notwendige Verneinungen“ (DJRE Verlag, Königswiner, 2010) einige Hinweise: Die Philosophie der Aufklärung hat sich als NEIN- Sagen verstanden, betont er. Ohne das Nein zum autoritären Regime, zum ancien régime, hätte es keine Französische Revolution gegeben. Später wird Albert Camus den rebellischen Menschen (l homme révolté) als den Menschen definieren, der Nein sagt.

Wer das NEIN als Grundvollzug des Philosophierens thematisiert, folgt einer Erkenntnis, die manche vielleicht selbstverständlich, „banal“ finden. Philosophieren bezieht sich aber immer auf das angeblich Selbstverständliche, angeblich so Vertraute, und es zeigt dann aber, wie befremdlich und neu das Vertraute dann doch in vertiefter Reflexion ist.

Es gehört zum Kern des Humanen: Der Mensch kann Nein sagen. Und er kann Nein sagen, weil er reflektiert. D.h., weil er sich auf das bezieht, was er ist, weil er sich selbst „betrachten“ kann als ein Wesen, das sich immer schon in der Welt aufhält und immer schon vor Entscheidungen gestellt ist und sich auch entschieden hat für eine bestimmte Lebenspraxis. In dieser Wahl einer bestimmten, individuellen Lebenspraxis oder eines bestimmten individuellen Lebensentwurfes wird selbstverständlich immer als Voraussetzung dafür NEIN gesagt zu mehreren Möglichkeiten. Mit der Entscheidung selbst wird dann – oft auch nur vorübergehend- Ja gesagt zu einem Lebensentwurf.

In dieser Reflexion wird schon deutlich: Vieles, was uns umgibt, vieles, was uns bestimmt, vieles, was wir bereits selbst leben, ist eigentlich von uns selbst abzulehnen. Weil es nicht unseren aufrechten tiefen Selbstbild entspricht, nicht unsere tief sitzende wahre Vorstellung vom eigenen Leben in Freiheit und Würde fördert. Die Frage ist, warum so viele Menschen diese – traurig stimmende – Erfahrung machen und doch nicht in der Lage sind und die Kraft haben, NEIN zu sagen. Sie folgen vielleicht aus Bequemlichkeit der Anpassungsbereitschaft an die Masse und weigern sich, ihr eigenes und persönliches Nein zu sagen. Sie weigern sich damit aber auch, eigenständige Personen zu werden.

Um so mehr verdienen Menschen, wie jetzt aus aktuellem Kino-Anlass, etwa Georg Elser alle Hochachtung und Zuneigung. Georg Elser hatte die Kraft, gegen alle, die aus Ignoranz, Hass oder Bequemlichkeit Ja sagten zum Wahnsinn der Nazi-Deutschen, eben auch praktisch NEIN zu sagen.

Wichtig ist: Das Neinsagen geschieht nicht um des Neinsagens willen;  das gilt nur für Menschen, die dem Nihilismus verpflichtet sind. Bei den anderen, wohl den meisten, steht das Neinsagen im Dienst eines größeren Ja. Ein Ja zu einer anderen Welt, zu einem besseren Ich. Das Neinsagen ist eine Art geistige Bewegung, die mich zu einer authentischeren Existenz hin führt.

Wer das Nein auf diese Weise schätzen und praktizieren lernt, erlebt wohl ein bewusstes Leben. Ich nehme die Zustände des eigenen Lebens wie der Welt wieder wahr in ihrer Ambivalenz und auch in ihrem negativen Charakter. Ich sehe: Was bisher als normal gilt, muss nicht wahrhaft gut sein und menschenwürdig. Im Nein wird eine Grenze angesprochen. Diese Grenze will ich nicht überschreiten. Sie ist nicht akzeptabel. Ich sage: Das geht zu weit.

Um das Menschliche und Geistvolle in mir zu schützen, muss ich Nein sagen können. Nein sagen zu einer Politik, die von Gerechtigkeit spricht, tatsächlich aber nur das Wohlergehen der ohnehin schon Reichen fördert. Das Neinsagen müssen wir pflegen zu allen propagandistischen Verlogenheiten, etwa wenn groß tönend die Flüchtlinge im Mittelmeer gerettet werden sollen, aber praktisch politisch Monate lang nichts geschieht, diesen armen Menschen umfassend beizustehen.

Wir haben den Eindruck: Das Nein Sagen ist andererseits auch allgegenwärtig in den Gesellschaften, in den Staaten, in den Religionen wohl hoffentlich auch. Es gibt ja auch so wenige Erfahrungen, wo ein halbwegs nachdenklicher Mensch heute noch Ja sagen kann etwa bei himmelschreienden Zuständen in der Gesellschaft, im Staat, den Kirchen als bürokratischen Institutionen usw.

Die Frage bleibt brisant auch angesichts der vielen radikalen, nihilistischen Neinsager aus Kreisen, die eher den Gesamtzusammenhang unserer halbwegs noch zivilisierten Rest – Welt in die Luft sprengen wollen. Auch dieses zerstörerische Nein, das schon kein positives Ja mehr als Zielpunkt ist, das ist gegenwärtig. Dazu gilt es Nein zu sagen, indem man diesen Menschen zeigt, dass eine humane Gesellschaft auch noch ihnen – nach Abkehr vom Wahn – Raum zum Leben bietet…

Die Frage ist also philosophisch brisant: Wie kann ich die richtige Unterscheidung treffen und erkennen, ob ein Nein berechtigt ist, mehr noch: richtig und gut, in dem Sinne, dass es neue humanere Lebensmöglichkeiten erschließt?

Ich habe einen eher „einfachen“ Vorschlag, der sich der Philosophie Kants verdankt: Das Kriterium, ob (m)ein Nein zu bestimmten Zuständen moralisch berechtigt ist, ist der Kategorische Imperativ: Also die Auseinandersetzung mit der Frage: Kann mein Wollen, mein Nein Sagen, auch meine entschiedene Zurückweisung einer Haltung, einer Sache, also meine Lebensmanxime, allgemeines Gesetz werden?

Das kann man natürlich an zahllosen Beispielen des Nein Sagen praktisch durcharbeiten. Nehmen wir als eine beliebige Möglichkeit etwa die Meinung: Tempobegrenzung auf Autobahn sei falsch. Wir sagen dazu Nein, weil es ohne Tempobegrenzung zu viele Unfälle gibt. Und die elitäre Auto-Lobby: Sie tritt für die absolute Tempofreiheit ein, die wiederum von der Regierung (die Autoindustrie schafft ja Arbeitsplätze etc) gestützt wird…Oder: Die Vertreibungen von Mietern aus Wohnungen, aus spekulativen Gründen, seien korrekt, weil sie doch nur Ausdruck des so genannten freien Marktes sind: Wir meinen dazu aus philosophischer Sicht: Da muss Nein gesagt werden, weil auf diese Weise Menschen aus ihrer angestammten Heimat vertrieben werden, sie werden wie Objekte behandelt; kein Spekulant möchte das selbst erleben, siehe Kant: Kategorischer Imperativ. Es könnte eine neue Kultur des NEIN entwickelt werden, wenn die selbstkritische Reflexion einen höchsten Stellenwert hätte, und nicht der ökonomische Profit….

Wir leben aber in einer Welt mit vielen großen weltweiten Bewegungen des NEIN (die den Hintergrund eines großen Ja haben, im Sinne eines Humanismus). Man könnte an die Occupy-Bewegungen denken, an Basisinitiativen, soziale Netzwerke, auch an „Podemos“ in Spanien. Viele folgen noch den Inspirationen von Stephane Hessel und seinem Aufruf „Empört euch“.

Diese und viele andere soziale Bewegungen sagen Nein zu einer weltweit propagierten Ideologie: Es gebe keine Alternative mehr zu der jetzt so bestehenden Welt. Das ist ja das Glaubensbekenntnis von Madame Thatcher gewesen: There is no alternative, abgekürzt: TINA

Philosophien können nicht in die unmittelbare Lebensberatung einsteigen, sie setzen auf die Selbsterkenntnis des einzelnen angesichts der beschriebenen Erfahrungen. Dennoch: Wo und wie kann ich mich in meinem NEIN wirksam gesellschaftlich und für mich seelisch/geistig stabilisierend einsetzen?

1. Jeder und jede sollte sein eigenes soziales und politisches Nein leben, ein konkretes Nein. Und dieses Nein ausdrücken in einer Gemeinschaft, die zu seiner/ihrer persönlichen Biographie passt: Also: Ein Arzt kann sein Nein am ehesten ausdrücken, wenn er sich für medizinische Bewegungen einsetzt, die dem Hungertod Widerstand leisten usw. Was er in diesen Widerstandsbewegungen erlebt, kann ihm persönlich weiterhelfen, er macht neue Erfahrungen, lernt neue Menschen kennen. Das Neinsagen eröffnet einen kreativen Raum eines interessierten Lebens.

2.Tatsächlich ist ein noch umfassenderes Engagement möglich: Warum kann man sich nicht in die Welt der Online Kampagnen einschalten? Siehe etwa change.org .

Wichtig ist, noch einmal gesagt, die Erkenntnis: Wir leben oft unthematisch immer schon im Ja. D.h. wir sagen zu unserem Leben, wie es nun einmal ist, (oft notgedrungen) Ja. Dies ist die Basis allen Lebens und dann auch aller Lebensfreude. Dieses Ja zu vertiefen, zu erweitern, kommunikativ zu pflegen, ist Aufgabe des je neu gesprochenen und gelebten NEIN….

Noch ein Wort zum Thema „Religion und Nein sagen“. Auch das religiöse Leben lebt seit alten Zeiten vom Nein Sagen. Die 10 Gebote sind ja auch Ausdruck des Nein Sagens, ganz elementar: „Du sollst nicht töten“.

Es gibt aber auch gängige und schon selbstverständliche religiöse Werte, die man im Sinne des Nein kritisch hinterfragen muss: Ich denke etwa an den Begriff und den Wert der Toleranz. Er ist nicht mehr als eine erste Stufe im Miteinander der Gesellschaft. Und deswegen als Anfang sicher wichtig. Toleranz heißt aber auch weitergehend, dass ich nicht alles tolerieren darf. Ich kann die Feinde der Toleranz nicht tolerieren.

Aber: Es kommt auf Respekt an, respektieren kann ich nur einen, der den Respekt respektiert. Wir müssen gemeinsam den Respekt lernen.

Nebenbei: Wir Deutsche wissen oft gar nicht, dass wir im Grundgesetz Paragraph 20, Absatz 4, ein Widerstandsrecht haben gegen jene, die die demokratische Ordnung zerstören wollen. Der Absatz heißt: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“

Wir müssen in einer philosophischen und theologischen Spiritualität auch lernen, zu Gott Nein zu sagen: Also: Nein sagen zu den vielen infantilen Gottes-Bildern. Nein sagen zu dem ideologisch missbrauchten Gott. Insofern geht es auch um ein Ja zur Blasphemie!

Zum Schluss ein Hinweis auf KANT: „Eine Regierung, die ihre Bürger wie unmündige Kinder behandelt, selbst wenn es unter dem Titel der Fürsorglichkeit geschieht, ist für Kant der Inbegriff der Despotie“ (in Enzyklopädie Philosophie, S 2993, Beitrag Matthias Kaufmann). Unmündige Kinder sind jene, die nicht qualifiziert Nein sagen können, sondern alles annehmen, was “Vater Staat” oder “Mutter Kirche” befehlen…

Diese wichtige Erkenntnis muss selbstverständlich auch auf die Religionen und Konfessionen angewendet werden:

Viele fromme und auch atheistische Seelen leben auch zweifellos im Zustand der Despotie. Und sie merken es nicht einmal, sondern sind glücklich von Klerikern, Rabbiner, Imams, Gurus, Meistern usw. beherrscht (oder bemuttert) zu werden. Es ist der Fehler religiöser und weltanschaulicher Institutionen und der mit ihnen verbundenen staatlichen Systeme, dass sie aus Gründen des Machterhalts das NEIN SAGEN nicht als einen der höchsten (auch religiösen) Werte lehren, verbreiten, besprechen, pflegen. Wann werden Gottesdienste gefeiert, die die Spiritualität und Mystik des Nein pflegen und feiern?

Ein wahres Ja zum Leben, zu einem freien und humanen Leben, erreichen wir nur im ständigen Nein. Auch zu vielen Aspekten, die wir leben, um ein größeres Ja zu gewinnen, zu dem wir dann eines Tages – um des wachsenden geistvollen Lebens willen – wieder Nein sagen….

copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Oscar Romero-Von der Leidenschaft für die Menschenrechte

Oscar Romero: Von der Leidenschaft für die Menschenrechte

Der ermordete Erzbischof Oscar Romero (El Salvador) wird demnächst in Rom seliggesprochen.

Ein Interview mit Anita Escher Echeverría, der Botschafterin El Salvadors in Berlin.

Die Fragen stellte Christian Modehn

Frau Escher Echeverría, Sie sind Botschafterin von El Salvador in Berlin, bald in dieser Funktion in Stockholm. Sie haben sich in verschiedenen NGOs für eine gerechtere und soziale Entwicklung in El Salvador eingesetzt. Nun wird der berühmteste Salvadorianer, Erzbischof Oscar Romero, selig gesprochen. Was ist heute wichtig an seinem Denken und seiner Praxis?

Anita Cristina Escher Echeverría: Oscar Romero stammte aus einer konservativen Familie. Als Bischof war er bis 1977 auch theologisch konservativ. Aber mit der Ermordung seines Freundes, des Befreiungstheologen Rutilio Grande, durch die rechtsextremen Todesschwadronen, vollzog er einen radikalen Kurswechsel. Dieser Schritt ist am wichtigsten! Romero bekehrte sich, wie er selbst sagte; er diente ganz der Befreiung der Armen. Deswegen galt er in der Militärdiktatur als Kommunist. Und Kommunisten mussten ausgelöscht werden, so die Doktrin. Romero hat die Guerillabewegung durchaus kritisiert, mit den Entführungen von Unternehmern war er nicht einverstanden. Aber er wusste: Wenn die Armen um ihre Menschenrechte kämpfen, dann wehren sie sich zu Recht gegen die bestehende Gewalt. Erzbischof Romero forderte öffentlich die jungen Soldaten auf, nicht länger auf die Armen zu schießen: »Tötet eure Brüder nicht«, mit anderen Worten: »Verweigert den Befehl!« Das war eine Attacke aufs System! Deswegen wurde er während einer Heiligen Messe von Todesschwadronen erschossen. Was schwingt von diesem brutalen Mord damals heute noch nach? Escher Echeverría: Die »Wahrheitskommission« hat 1992 den rechtsextremen Politiker und Leiter der Todesschwadronen, Roberto D’Aubuisson, als Verantwortlichen für den Mord benannt. Dessen Arena-Partei ist auch heute einflussreich. Arena-Leute wagen es jetzt, den seligen Erzbischof Romero zu preisen. Dabei weigern sich deren Politiker, das Grab Romeros in der Krypta der Kathedrale von San Salvador zu besuchen, wenn sie ausländische Gäste in der Hauptstadt begleiten.

Frage: Was sagt Präsident Salvador Sánchez Cerén zu der Seligsprechung?

Escher Echeverría: Unser Präsident – ich darf sagen: ein frommer Mann – war ein Kämpfer für die Befreiung in der Guerilla FMLN. Er hat sich für die Seligsprechung Romeros eingesetzt. Jetzt erklärte er wörtlich: »Unsere Regierung erkennt in Erzbischof Romero eine Leitfigur und ein Licht auf dem Weg zu einem guten Leben für alle. Er ist der spirituelle Führer unserer Regierung.« Wir Salvadorianer wissen, dass Romero seit seiner Ermordung in ganz Lateinamerika als Heiliger verehrt wird. Aber unser Land ist heute noch ein politisch und auch theologisch gespaltenes Land. Die Oligarchie im Land denkt in Kategorien von Herrenmenschen.

Frage: Jetzt wird Romero als Märtyrer offiziell von Rom anerkannt. Was bedeutet das für die Täter, die Mörder?

Escher Echeverría: Wenn Erzbischof Romero offiziell als Märtyrer gilt, dann geht es in erster Linie darum zu betonen, dass die Mörder Mitglieder der rechtsextremen Todesschwadronen waren. Das ist die Wahrheit! Und die ist sehr wichtig für El Salvador. Wir haben Papst Franziskus sehr zu danken, ohne ihn gäbe es die Seligsprechung Romeros nicht.

Frage: El Salvador wird derzeit von vielen gewalttätigen Attacken der Jugend-Banden, »Maras« genannt, erschüttert. Statistisch gesehen gibt es 14 Morde pro Tag. Kann in diesem Zusammenhang Romeros Seligsprechung eine Hilfe sein?

Escher Echeverría: Direkte Wirkungen sehe ich nicht. Es ist ein langer, schwieriger Weg, diese Gewalttäter zu sozialisieren. Oft wenden sich bekehrte Bandenmitglieder den evangelikalen Kirchen zu; von denen begrüßen einige durchaus die Seligsprechung.

Frage: Romero ist eine internationale Gestalt. Welche Konsequenzen hätte das etwa für Deutschland?

Escher Echeverría: El Salvador erhält leider keine bilateralen Entwicklungszuschüsse von Deutschland, auch nicht für die präventive Jugendarbeit. Kredite aus Deutschland sind zwar für die Gewaltprävention zugesagt. Sie können jedoch nicht ausgezahlt werden, weil die Arena-Partei im Parlament immer dagegen stimmt. Ohne Arena gibt es also keine Kredite. Diese Partei will unser Land mit seiner linken Regierung »lahmlegen«. Dennoch sollte Deutschland uns helfen!

(Anita Cristina Escher Echeverría, geboren 1958, ist Menschenrechtlerin und seit 2010 Botschafterin der Republik El Salvador in Deutschland, bald in Schweden. Sie engagiert sich vor allem in Alphabetisierungsprogrammen in Lateinamerika).

Zuerst erschienen in der empfehlenswerten Zeitschrift PUBLIK FORUM am 13. 3. 2015.

 

Ein Film über Pepe Mujica, Staatspräsident von Uruguay. Und sein Text: Der Gott des Marktes: Kritik des Kapitalismus und des Konsumismus.

Pepe Mujica: Der Staatspräsident von Uruguay. Ein FILM.

Und ein Text: Der Gott des Marktes
Von José Mujica, Staatspräsident von Uruguay

Dieser Beitrag von José Mujica wurde bei uns zum ersten Mal am 26. November 2013 von Christian Modehn veröffentlicht. Anläßlich des Films über José Mujica, in Deutschland in den Kinos ab 5. März 2015, haben wir den Beitrag aktualisiert.

Am 23. Mai 2025: Pepe Mujica ist am 13. Mai 2025 im Alter von 89 Jahren in der Nähe von Montevideo gestorben. Er lebte bis zum Schluss auf seiner Blumenfarm. “Als Präsident hinterließ er ein Land, in dem es bis heute stabil und gerecht zugeht, gerade für lateinamerikanische Verhältnisse”, schreibt die SZ am 15. Mai 2025.

Zum Film: Pepe Mujica – Der Präsident. Er ist ein anständiger Kerl, dieser „ärmste Präsident der Welt“, der seit bald fünf Jahren Uruguay regiert: Der Film über Pepe Mujica und seine Lebensgefährtin Lucia Topolansky handelt von ihrem Leben, vom gemeinsamen Kampf gegen die frühere Militärdiktatur, von ihrem Weg aus dem Widerstand in die offizielle Politik bis zum heutigen Präsidentenpaar, das immer noch einen kleinen Bauernhof bewirtschaftet.

Die Filmemacherin Heidi Specogna kennt den ehemaligen Tupamaro-Kämpfer Pepe Mujica seit vielen Jahren und setzt dem mittlerweile fast Achtzigjährigen ein liebevolles filmisches Denkmal.

Webseite: www.piffl-medien.de. Ein Film von Heidi Specogna. 90 Minuten. Eine ausführliche Würdigung des Films: Siehe am Ende dieses Beitrags.

…… Dieser grundlegende Beitrag wurde im November 2013 im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon publiziert:

Der uruguayische Präsident José Mujica, immer wieder der ärmste Staatspräsident der Welt genannt,  da er 90 % seines Einkommens sozialen Projekten spendet, hielt bei der 68. Vollversammlung der Vereinten Nationen im September dieses Jahres (2013) eine bemerkenswerte Ansprache. Seine Kapitalismus – und Konsumismuskritik haben wir in Auszügen ins Deutsche übersetzt.

“Wir haben unsere alten, spirituellen Götter geopfert und den Tempel dem Gott des Marktes überlassen. Nun organisiert dieser Gott uns Wirtschaft und Politik, Leben und Alltagsgewohnheiten. In Raten und per Kreditkarte finanziert er uns den Anschein von Glückseligkeit. Konsum scheint der Sinn des Lebens zu sein, und können wir nicht konsumieren, sind wir frustriert, fühlen uns arm und ausgeschlossen. Wir verbrauchen und hinterlassen Abfall in solchen Mengen, dass die Wissenschaft meint, wir bräuchten drei Planeten, wenn die gesamte Menschheit leben wollte wie ein Mittelschichts-US Amerikaner. Unsere Zivilisation basiert also auf einer verlogenen Versprechung. Der Markt stilisiert unseren heutigen Lebensstil zur allgemeingültigen Kultur, obwohl es niemals für ALLE möglich sein wird, diesen angeblichen „Sinn des Lebens“ zu finden. Wir versprechen ein Leben der Verschwendung und Freigiebigkeit und stellen es zukünftigen Generationen und der Natur in Rechnung. Unsere Zivilisation richtet sich gegen alles Natürliche, Einfache und Schnörkellose. Aber das Schlimmste ist, dass uns die Freiheit beschnitten wird, Zeit zu haben für zwischenmenschliche Beziehungen, für Liebe, Freundschaft und Familie; Zeit für Abenteuer und Solidarität, Zeit, um die Natur zu erforschen und zu genießen, ohne dafür Eintritt zu zahlen. Wir vernichten die lebendigen Wälder und pflanzen anonyme Wälder aus Zement; Abenteuerlust begegnen wir mit gepflegten Wanderwegen, Schlaflosigkeit mit Tabletten, Einsamkeit mit Elektronik … Können wir überhaupt glücklich sein, wenn wir uns dem zutiefst Menschlichen entfremdet haben? Wie benommen fliehen wir vor unserer eigenen Natur, die das Leben selbst als letzten Grund für das Leben definiert und ersetzen sie durch, nur dem Markt dienliche, Konsumorientierung. Und die Politik, ewige Mutter des menschlichen Schicksals, hat sich längst der Wirtschaft und dem Markt unterworfen.
Nach und nach ist Selbsterhalt zum Ziel von Politik geworden, weshalb sie auch die Macht abgab und sich einzig und allein mit dem Kampf um Regierungsmehrheiten beschäftigt. Kopflos marschiert die Menschheit durch die Geschichte, alles und jedes kaufend und verkaufend, Mittel und Wege findend, selbst das Unverkäufliche zu vermarkten. Es werden Marketingstrategien für Friedhöfe und Beerdigungsunternehmen, ja selbst für das Erlebnis Schwangerschaft erdacht. Vermarktet wird von Vätern über Müttern, Großeltern, Tanten und Onkeln bis hin zur Sekretärin, Autos und Ferien, alles. Alles, alles ist Geschäft. Marketingkampagnen fallen sogar über unsere Kinder und ihre Seelen her, um über sie Einfluss auf die Erwachsenen nehmen zu können und sich ein zukünftiges Terrain abzustecken.
Der Mensch unserer Tage taumelt zwischen Finanzierungsverhandlungen und routinierter Langeweile wohl klimatisierter Großraumbüros hin und her. Ständig und immer träumt er von Urlaub, Freiheit und Vertragsabschlüssen, bis eines Tages sein Herz zu schlagen aufhört und „Tschüss!“… Sofort wird es einen anderen Soldaten geben, der das Maul des Marktes füllt und die Gewinnmaximierung sicherstellt.
Die Ursache für die heutige Krise liegt in der Unfähigkeit der Politik begründet. Die Politik hat nicht begriffen, dass die Menschheit das Nationalgefühl noch nicht überwunden hat und sich nur schwer davon lösen kann, denn es ist tief verankert in unseren Genen. Dennoch ist es heute notwendiger denn je, den Nationalismus zu bekämpfen, um eine Welt ohne Grenzen zu schaffen.
Die größte Herausforderung heute ist, das Ganze im Blick zu haben. Doch die globalisierte Wirtschaft wird nur von Privatinteressen einiger weniger gesteuert, und jeder Nationalstaat hat nur seine eigene Stabilität im Blick. Als wäre das nicht schon genug, werden die produktiven Kräfte des Kapitalismus auch noch gefangen in den Tresoren der Banken, die letztendlich der Auswuchs der Weltmacht sind.
Veränderungen sind dringend notwendig, setzen aber voraus, dass das Leben und nicht die Gewinnmaximierung kursbestimmend wird. Ich bin allerdings nicht so naiv zu glauben, dass Veränderungen leicht zu erreichen wären. Uns stehen noch viele unnötige Opfer bevor. Die Welt von heute ist nicht in der Lage, die Globalisierung zu regulieren, weil die Politik zu schwach ist.
Eine Zeitlang werden wir uns an den mehr oder weniger regionalen Abkommen, die einen Freihandel vorgaukeln, beteiligen. Dann wird sich zeigen, dass sie in Wahrheit von notorischen Protektionisten erdacht wurden. Wir lassen uns trösten von wachsenden Industrie- und Dienstleistungszweigen, die sich der Rettung der Umwelt widmen. Gleichzeitig wird die skrupellose Gewinnsucht zum Wohlwollen des Finanzsystems weiter existieren. Weiterhin werden Kriege stattfinden, die Fanatismus schüren, bis endlich die Natur unserer Zivilisation Grenzen setzt. Vielleicht sind meine Vision und mein Menschenbild grausam, aber für mich ist der Mensch die einzige Kreatur, die in der Lage ist, gegen die Interessen der eigenen Spezies zu agieren.
Die ökologische Krise des Planeten ist die Konsequenz des überwältigenden Triumphs menschlichen Strebens. Die ökologische Krise wird dem menschlichen Streben aber auch ein Ende setzen, wenn die Politik unfähig ist, einen Epochenwechsel einzuläuten.“
Übersetzung: Anne Nibbenhagen (Christliche Initiative Romero)
Quelle: Magazin presente 4/2013 „Kaufst du noch oder denkst du schon? Konsumethik im Wandel“ der Christlichen Initiative Romero (CIR)

Wir empfehlen dringend die Zeitschrift der Christlichen Initiative Romero in Münster. Die Anschrift: Christliche Initiative Romero (CIR): Breul 23, D – 48143 Münster
Die website: http://www.ci-romero.de/ Mit vielen aktuellen Informationen.

Eine ausführliche Würdigung des Films von Gaby Sikorski:

José Alberto Mujica, genannt „Pepe“, ist nicht nur bescheiden und volksnah, sondern auch ein außergewöhnlich willensstarker Mensch, der – so wie es in Lateinamerika üblich ist – seine Botschaften gern in blumige Formulierungen packt. Der überzeugte Sozialist glaubt an das Gute im Menschen, und er selbst ist dafür das beste Vorbild. Anders hätte er vermutlich weder die vielen Jahre in Einzelhaft und die Folterungen durch das Militärregime in Uruguay überlebt noch die Kraft gehabt, im Alter von 75 Jahren Präsident seines krisengeschüttelten Landes zu werden. Seine Amtszeit endet 2015 – und in den letzten fünf Jahren hat er viel erreicht. Uruguay gilt heute als eines der freiheitlichsten Länder der Welt: Legalisiert wurden Eheschließungen zwischen Gleichgeschlechtlichen ebenso wie Abtreibungen und der Genuss von Cannabis.

Heidi Specogna begleitet Pepe Mujica und seine Lebensgefährtin Lucia Topolansky auf ihren Wegen zwischen Regierungsaufgaben und dem Privatleben auf einem Bauernhof mitten in der – und hier stimmt‘s tatsächlich: Pampa. Überall schafft es Pepe Mujica, sich mit Gelassenheit, Freundlichkeit und seinem ganz eigenen pfiffigen Charme durchzusetzen. Er wirkt ganz anders, als sich Klein-Fritzchen ein Staatsoberhaupt vorstellt, dabei aber so authentisch und würdevoll, als habe er eigenhändig das Präsidentenamt erfunden. Und natürlich hat er, der sprichwörtliche einfache Mann von der Straße, sich auch ein wenig anpassen müssen, trägt eher widerwillig schicke Anzüge, lässt sich aber auch gern mal feiern. Rundfunkreden, Ansprachen und Privatinterviews zeigen ihn als lebensklugen und hoch gebildeten Mann, der in jeder Lebenslage hundertprozentig authentisch bleibt.

Lucia Topolansky, seit vielen Jahren seine Lebensgefährtin und ebenfalls Regierungsmitglied, kann mit Pepe in allem locker mithalten. Sie ist vielleicht noch ein bisschen radikaler in ihren Ansichten, besonders wenn es um Frauenpolitik geht, und sie scheint noch umtriebiger zu sein als er, dem man bei aller Rüstigkeit die Last der Jahre und die Spuren der jahrzehntelangen Verfolgung und Inhaftierung doch ansieht. Während Pepe eigentlich eher harmlos wirkt und zunächst nur seine sehr wachen Augen verraten, dass hinter der schlichten Fassade ein außergewöhnlich intelligenter Mensch darauf wartet, seine Philosophie zu verbreiten, ist Lucia schon äußerlich eine willensstarke Dame, der man lieber nicht widersprechen möchte. Die beiden ergänzen sich perfekt zu einem Paar, das von einer tiefen Liebe ebenso geprägt wurde wie von den gemeinsamen politischen Zielen. Die Botschaft des Films stimmt optimistisch: Ja, es gibt sie noch, die Vorbilder und Idealisten in der Politik, die fest daran glauben, dass man durch gute Taten die Welt verändern kann und muss. Hier ist der lebende Beweis dafür, dass Macht nicht unbedingt korrumpiert. Dieses Präsidentenpaar, das lediglich ein Zehntel seiner Einkünfte behält und den Rest an NGO’s spendet, verkörpert eine soziale und tolerante Politik, von der viele träumen, die aber kaum jemand für möglich hält. Heidi Specogna, die seit ihrem Film TUPAMAROS mit beiden bekannt und offenbar gut befreundet ist, zeigt in ihrem kleinen und angemessen prunklosen Film das Leben dieser beiden Kämpfer und Träumer, die noch immer Visionen haben und dazu stehen. Sie erzählt gemächlich und mit kleinen Exkursen in die Vergangenheit.

Ein Höhepunkt des Films ist Pepes Staatsbesuch in Berlin inklusive Treffen mit Angela Merkel und Mitgliedern des Bundeskabinetts, die mit dem alten Herrn ihr Standardprogramm abziehen. Und wenn es so ist, dass jedes Land die Politiker hat, die es verdient, dann wären allein schon diese Bilder ein Grund, nach Uruguay auszuwandern. Muss ein sehr schönes Land sein!

Gaby Sikorski. http://www.programmkino.de/content/Filmkritiken/pepe-mujica-lektionen-eines-erdklumpens/

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.