“Der Katholizismus ist veräußerlicht”. Ein Hinweis zur Religionskritik Georg W.F. Hegels

Hegel kritisiert den Katholizismus

Hinweise von Christian Modehn, Juli 2020.

1.
Auf das aktuelle Thema „Hegel und der Katholizismus“ habe ich schon mehrfach aufmerksam gemacht. Es ist kein Sonderthema für einige Spezialisten, sondern es bezieht sich auch auf die aktuelle Situation im Miteinander von Gesellschaft und Staat einerseits und Katholizismus auf der anderen Seite. Man denke an den ständigen Versuch des Klerus, etwa mit theologischen/biblischen Prinzipien in die Gestaltung demokratischer Ordnungen bestimmend einzugreifen, siehe das heutige Polen oder Italien (z.B. den heftigen katholischen Widerstand gegen die „Ehe für alle“). Das gilt auch für Deutschland im Kampf der Katholiken von „Pro Life“ für die Ungeborenen und weniger entschieden für die schon Geborenen, aber Bedrohten und Sterbenden, die Flüchtlinge im Mittelmeer.
Zu sprechen wäre auch über den Zusammenhang von „Katholizismus und Korruption“, ein Thema das schon Hegel aufgreift. Diese Korruption ist heute auch in den orthodoxen Kirchen oder unter Evangelikalen/Pfingstlern sichtbar. Aber diese Bindung an korruptes Verhalten ist prominent seit Jahrhunderten im Katholizismus Realität, die Studien zur Geschichte der Kirche sind voll davon. Korruption ist für den Katholizismus wesentlich strukturbedingt und nicht bloß auf die allgemeine „Sündhaftigkeit“ der einzelnen zurückzuführen.
2.
Hegel ist seit fast 200 Jahren tot. Aber wer genauer seine Erkenntnisse zum Thema betrachtet, entdeckt: Hegel ist auch in der Hinsicht alles andere als „ein toter Hund“, wie manche seiner Gegner/Feinde schon Mitte des 19. Jahrhunderts völlig unbegründet behaupteten.
Der Maßstab, den Hegel zur Beurteilung der Religionen, auch des Katholizismus, einsetzt, kann gar nicht den immer begrenzten Weisungen einer bestimmten Religion, Konfession oder Theologie entstammen. Der Maßstab kann nur ein philosophischer, ein reflektierter und allgemein gültiger sein: Hegel weiß: Mit der Anerkennung dieses vernünftigen und allgemeingültigen Maßstabes zur Beurteilung der humanen Bedeutung einer Religion und ihrer Lehren wird den Werten Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit ein absoluter Wert zugesprochen: Jeder Mensch soll sich frei wissen und frei fühlen. Kein Mensch darf also Institutionen, staatlichen wie religiösen, hilflos ausgesetzt sein, die in ihrer Gesetzgebung der Willkür von Gewaltherrschern folgen.
3.
Natürlich kann jeder Mensch bei der geltenden Religionsfreiheit freiwillig einer Sekte angehören, die in ihrer Lehre wie in der internen Gemeinde-Praxis die Freiheit des einzelnen Mitgliedes ausschließt. Das ist prinzipiell möglich, solange diese Sekte nicht die Freiheit der anderen Menschen in Gesellschaft und Staat in Frage stellt und zerstört.
4.
Hegel hat recht, wenn er das Ziel geschichtlicher Entwicklung formuliert: Dieses ist persönliche wie politische Freiheit, verstanden als Bei-Sich-Selbst-Sein in jeder Hinsicht. Nicht Chaos, sondern Freiheit und Gerechtigkeit für alle, Gleichheit vor dem Gesetz. Das ist das ersehnte und praktisch zu gestaltende Ziel. Deswegen spricht Hegel auch vom Fortschritt, aber dieser ist für ihn immer zuerst ein „Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit“. Dieses Bewusstsein muss dann im Rechsstaat zu einer Gesetzgebung führen, die den Grundsätzen der Menschenrechte entspricht. Allen, die Menschenrechte jetzt postmodern relativ finden, sie dies gesagt: Die Herkunft der Menschenrechte aus Europa sagt gar nicht gegen deren universale Gültigkeit.
Wonach sehnen sich denn die Unterdrückten in den Diktaturen damals und heute weltweit, wofür setzen sie ihr Leben ein: Sie wollen endlich Freiheit, gemäß den universal gültigen Menschenrechten, dies gilt, ob es nun von einzelnen explizit gewusst wird oder nur unthematisch in ihnen lebt. Aber „im „Herzen“, in der „Seele“ wird diese Freiheit für alle von allen gewünscht. Krieg und Chaos und Diktatur erstreben nur Unvernünftige, Verwirrte, Kranke …
5.
Jetzt sind wir wieder bei „Hegel und dem Katholizismus.“ Denn nach der umfassenden Gültigkeit der eigentlich universal geltenden Menschenrechte sehnen sich auch heute viele Katholiken. Das ist ein weltweites Phänomen und dieser Kampf wird geführt von Frauen, auch Ordensfrauen, Homosexuellen, Priestern, die Priester sein wollen ohne das Zölibatsgesetz, insgesamt von Katholiken, die endlich synodale Strukturen, also Demokratie in der Kirche, wünschen, also die Abschaffung der Klerusherrschaft und letztlich auch der Allmacht des Papsttums (siehe das umstrittene Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes, verkündet vor 150 Jahren von Papst Pius IX., den einige hochrangige Kleriker damals als geistig verwirrt beschrieben haben. (LINK:https://religionsphilosophischer-salon.de/12895_ueber-die-papstkirche-und-den-absoluten-papst-pius-ix_religionskritik)

Diese Zustände eines in sich dogmatisch abgeschlossenen Katholizismus sind allseits bekannt, sie sind zudem eine der entscheidenden Ursachen für die Kirchenaustritte aufgeklärter Katholiken. Der Kampf etlicher katholischer „Reform“ Gruppen über all die Jahrzehnte hat de facto keine strukturellen grundlegenden Verbesserungen gebracht. Es wurden Reförmchen eingeleitet, Reförmchen – Versprechen von den Hierarchen gegeben. Aber die Arroganz der klerikalen Macht ist trotz aller Proteste und Mahnwachen und Unterschriftensammlung von so genannten Reformgruppen geblieben.
6.
Was hat Hegel damit zu tun? Er sagt in vielen seiner Bücher und Vorlesungen Überraschendes, Klares, Hellsichtiges, Vernünftiges: Zusammenfassend gesagt: Der Katholizismus braucht in seiner Sicht eine umfassende Reformation und NICHT Reformen oder Reförmchen. Allein eine neue Reformation kann den Katholizismus aus der mittelalterlichen Welt herausführen, in der er sich – nach Hegels Erkenntnis – immer noch befindet. Mittelalterlich Geprägtsein ist für ihn dabei nichts Pejoratives: Das Mittelalter hatte in der Weltgeschichte einmal seinen notwendigen Platz und seine begrenzte Bedeutung. Alle geistigen Wirklichkeiten sind Produkte des Geistes, so auch das Mittelalter, Produkte, „Objektivationen“ und Manifestationen des zugleich menschlichen wie göttlichen Geistes! Das ist bekanntlich Hegels grundlegende Erkenntnis. Aber der Geist ist ein lebendiger, und als lebendiger Geist entwickelt er sich, wandelt er sich, gelangt zu größer Klarheit seiner selbst. Das „Bewusstsein der Freiheit“ entwickelt sich also stetig weiter: Vom Mittelalter geht es über in die Reformation Martin Luthers … hinein in die moderne Welt.
7.
Der Katholizismus ist also für Hegel „stehen geblieben“. Es gibt ihn noch immer, aber er ist nicht „wirklich“, im emphatischen Hegelschen Sinn von Vernünftigsein! Der Katholizismus ist also durchaus „veraltet“, überholt, „aufgehoben“, weil eingebunden in eine vom Geist und der Vernunft längst überwundene Erfahrung von Gott, Mensch und Freiheit.
Im Mittelalter wurde Gott als ferner Himmelsherr verehrt, umgeben von der Himmelskönigin Maria und den vielen Heiligen, dieser Gott war anschaulich, männlich mit Bart, dargestellt. Die gotischen Kathedralen bezeugen diese Allmacht des mittealterlichen Glaubens. Sie bieten nach wie vor ein schönes Kunsterlebnis, aber ihre architektonische Struktur musste sich auf den Altarraum, reserviert für Priester, fixieren. Laien wurden auf Abstand gehalten! Dem setzt Hegel die moderne Erfahrung der Unmittelbarkeit Gottes entgegen: Gott ist Geist. Das ist wenig und so viel, was Hegel von Gott sagen kann … im Sinne vieler Zeugnisse des Neuen Testaments übrigens.
Diese Hinweise bedeuten aber auch, dass einzelne Impulse des eigentlich überholten Katholizismus für Hegel noch interessant bleiben, etwa dessen Vorliebe für die Philosophie oder die Mystik.
Natürlich hat Hegel gar nichts dagegen, wenn sich Menschen noch in dieser alten Welt des Katholizismus bewegen. Nur: Wirkliche Menschen der Gegenwarts sind sie für ihn eigentlich nicht. Sie leben förmlich in einer Spaltung, einer Bindung an das religiöse Mittelalter und – etwa politisch, sozial, kulturell – in einer Bindung an die Werte der Moderne, die universalen Menschenrechte z.B.
8.
Dafür bietet Hegel Beweise in seinem Werk, wie gesagt in vielen unterschiedlichen Büchern, mit vielen historischen Belegen. Denn Hegel ist zwar ein „spekulativer Philosoph“, aber einer, der sein Denken auf eine breite Fülle von Fakten stützt.
9.
Das Zentrum der Kritik:
Der Katholizismus ist für Hegel eine Kirche, die den einzelnen Gläubigen nicht zu einer reflektierten Innerlichkeit führt, weil der Katholizismus die Menschen vor allem an Äußerlichkeiten bindet. Deswegen kann der einzelne Glaubende meinen, fromm zu sein, mit Gott verbunden zu sein, wenn er schon äußere Riten vollzieht und dabei Gott selbst als etwas Äußeres und Äußerliches wahrnimmt.
Die katholische Glaubenspraxis mag zwar berauschende Gefühle wecken, Gefühle der Verzauberung dieser Welt, an Wallfahrtsorten und Wunderorten, mit heiligen Wassern oder hoch verehrten Knochen (Reliquien) heiliger Verstorbener, selbst wenn diese noch so umstritten sind wie der heilige Scharlatan, der angeblich stigmatisierte Pater Pio in Süditalien. Diese Verzauberung wird zudem in Barockkirchen geweckt mit den vielen Heiligenbildern und Bildchen, den Putten und den Engeln, die ja bekanntlich jetzt ein großes „interreligiöses“ Comeback erleben, etwa in den Erfolgsbüchern von Anselm Grün. Darin sind sich also die verschrobensten Esoteriker und die Katholiken einig: Sie lieben die Engel (mehr als Gott).
10.
Zentral für Hegels Katholizismus Kritik ist die Verehrung bzw. Anbetung der Hostie: Diese ist der verwandelte, trans-substituierte Jesus Christus, verwandelt in ein winziges Stückchen Brot Und diese Hostie ist in eine goldene Monstranz gesetzt. Die „ewige Anbetung“ der Hostie ist ja auch heute sehr beliebt als populäre katholisch Praxis… Die Hostie als äußere und äußerliche also veräußerlichte Präsenz des Göttlichen hat für Hegel weit reichende Bedeutung: “Wenn aber einmal zugegeben ist, dass Gott in äußerlicher Gegenwart ist, so wird zugleich dieses Äußerliche zu einer unendlichen Mannigfaltigkeit…dass Christus da und dort, in diesem und jenen, erschienen ist…Allerorten werden also in höher begnadeten Erscheinungen, Bluteindrücken von Christus sich Vergegenwärtigungen des Himmlischen begeben…Die Kirche ist daher eine Welt voller Wunder… Das Göttliche erschient als ein vereinzeltes Dieses, also ein Ding, eine Reliquie etwa“. („Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte“, Meiner Verlag, Hamburg, 1968, Seite 823 f.).
11.
Die Konsequenzen dieser veräußerlichten Frömmigkeit, die sich an wundersame Dinge, heilige Gegenstände, heilige Orte, heilige Personen, heilige Leichen, Reliquien usw. hält, sind für Hegel gravierend: Es gibt dann die entzückten, aber ungebildeten, dumm gehaltenen Laien, die sich an diese heiligen Dinge gewöhnen sollen. Und es sind die Kleriker, die diese veräußerlichte Form des Frommseins fördern. Man denke jetzt etwa an die „Weihe“ eines Bistums an die himmlischen Herzen Jesu und Mariens…Damals gab es schon die umstrittenen Wallfahrten zum „Heiligen Rock“, der angeblichen Kleidung Jesu Christi.
Es wird also in der Sicht Hegels den Laien verwehrt, im eigenen Geist die unmittelbare Verbindung mit Gott zu leben. In seinen Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie sagt Hegel in dem Zusammenhang die durchaus bis heute aktuellen Worte: „Die Menschen sind keine Laien“ (S. 297), „die Laien sind (im Katholizismus) aber dem Göttlichen fremd“ (S. 454) und vor allem: “Denkende Menschen als Laien behandeln ist das Härteste“ (S. 297). („Theorie Werkausgabe“, Suhrkamp, 1970).
12.
In der katholischen Frömmigkeit erscheint für Hegel so wörtlich das Verderben, der Aberglauben überhaupt in der Verehrung von heiligen Orten, von heiligen Knochen. „Das ist Wunderglaube der ungereimtesten und läppischsten Art. Denn das Göttliche wird auf eine ganz vereinzelte und endliche Weise für ganz endliche und besonders Zwecke da zu sein gemeint…“ (S. 873). Hegels Kritik – Erich Fromms Erkenntnis zur „Nekrophilie“ vorausgreifend – findet förmlich Unterstützung von Jesus Christus selbst: Der Philosoph zitiert die Frage des „Auferstandenen“: „Was sucht ihr den Lebendigen bei den Toten“? („Vorlesung über die Philosophie der Geschichte“, S. 471, bezogen auf Lukas Kap. 24). Das Geistvolle, das Lebendige, ist einzig bei Geistigen zu suchen.
13.
Das „Christentum als ein grundlegendes „geistiges Prinzip“ („Vorlesungen. über die Philos. der Weltgeschichte“, S. 875) wird erst von Martin Luther als Prinzip des Glaubens erkannt. „Versöhnung mit Gott kann es für Luther nicht auf äußerliche Weise, sondern nur auf geistige Weise geben“ (ebd. S. 878). Mit anderen Worten: Die Prinzipien (!) des Protestantismus haben das Freiheitsbewusstsein gefördert, der Protestantismus ist grundsätzlich (!) die Gestalt des christlichen Glaubens, die in der modernen Welt bestimmend sein sollte. Dabei weiß Hegel genau, dass in den evangelischen Kirchen seiner Zeit viel geistige Beschränktheit besteht, Pietismus, Schwärmerei, dogmatische Fixierung. Aber diese Traditionen sind ein Abfall von dem eigentlich wahren protestantischen Prinzip der Innerlichkeit, also der Erkenntnis: Der Glaube lebt im Inneren des Geistes, er braucht keine das „Heil“ vermittelnden Priester, keine Ablässe, keinen Wunderglauben…
14.
Auch die zentrale katholische Lebensform der Orden wird von Hegel zurückgewiesen. Das Ordens-Gelübde des Gehorsams führt zu falscher Abhängigkeit von Vorgesetzten, das Gelübde der Armut dient nur als Vorwand bei wenig Arbeit sich von anderen beschenken zu lassen oder permanent zu betteln; das Gelübde der Keuschheit als Ehelosigkeit und Verzicht auf erotische, sexuelle Liebe führt zur Geringschätzung von Partnerschaft und Ehe.
15.
Entscheidend aber ist: Der protestantische Glaube erkennt prinzipiell: Die innere Freiheit, die der einzeln Glaubende Gott gegenüber erlebt, muss sich als Freiheit auch in die Gesetze des Staates hinein verwirklichen und den Staat bestimmen. Es muss also zu einer Harmonie von Freiheit kommen, von der inneren Freiheit des Geistes, auch im Glauben und der rechtlichen Freiheit im Rechtsstaat. Der Katholizismus mit seinen Prinzipen der Veräußerlichung des Glaubens fördert eine Mentalität, die die Gestaltung des Staates nach freiheitlichen Prinzipien immer wieder nur als Nebensache deutet. Die Kirche und ihre Traditionen sind wichtiger als das angeblich „schmutzige Geschäft“ des politischen vernünftigen Handelns
Man denke nur daran, dass in katholischen Staaten bis weit ins 20. Jahrhundert hinein Diktaturen auch faschistischer Art (Franco/Spanien, Mussolini/Italien, Portugal, Brasilien, Dominikanische Republik und viele andere Staaten in Lateinamerika usw.) von den Päpsten durch Konkordate anerkannt wurden.
Hegel meint also: Nur in der Sittlichkeit (als moralisches Bewusstsein der Weltgestaltung) des protestantischen Prinzips kann ein freier Rechtsstaat entstehen.
16.
Heute gibt es nur sehr wenige Politiker, die diesen protestantischen Prinzipen folgen. Den meisten, selbst wenn sie sich protestantisch nennen oder einer sich christlich nennenden Partei angehören, sind die vergöttlichen Prinzipen des Marktes und des Kapitalismus am wichtigsten, und der eigene Profit….
Es hat also eine Art „Austausch Gottes“ stattgefunden: Der biblische Gott wurde und wird ersetzt gegen einen Gott des Kapitals (Geld). Dies gilt ja bis in die Kirchen hinein, die insofern auch ihrem offiziell noch verkündeten Mono-Theismus irgendwie abgeschworen haben.
Dies ist freilich ein Thema, das Hegel so radikal noch nicht sehen konnte. Er sprach allerdings von der Zerstörung, die durch die Vorherrschaft des subjektiven, ganz auf das Ego fixierten Menschen eingeleitet wird! Dies ist eine Selbstzerstörung des Geistes…
17.
Ob viele Menschen sich auf einen vernünftigen Glauben, der im Sinne Hegels nur das Wesentliche glaubt, noch einmal einlassen können, ist fraglich. Heute gehören Magie und Aberglauben zu den Hauptinteressen auch der sich religiös nennender Menschen. Und selbst so genannte Atheisten, die nicht an die Nicht-Existenz des biblischen/kirchlichen Gottes glauben, schätzen dann doch oft Astrologie, esoterische Weisheiten… Haben also doch wieder ihre „Götter“?
18.
Aber prinzipiell gibt es für philosophierende Christen keinen Grund, auf einen Glauben zu verzichten, der – wie der Hegels – die Innerlichkeit und die Unmittelbarkeit eines jeden Menschen zu Gott im Denken pflegt. Dieser Glaube ist als Erkenntnis vernünftig und wahr. Und er wird tätig … im Sinne der Menschenrechte.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Hans Blumenbergs Philosophie entdecken

„Nachdenklichkeit heißt: Es bleibt nicht alles so selbstverständlich, wie es war“. (Hans Blumenberg) (1)

Ein Hinweis von Christian Modehn zum 100. Geburtstag Blumenbergs am 13. Juli

1.
Hans Blumenberg lebt. 24 Jahre nach seinem Tod, werden Schriften von ihm entdeckt und veröffentlicht. Viele machen sich auf, den schwierigen Philosophen zu entdecken. Allein das ist erstaunlich! Blumenberg regt an und regt auf mit seinen Thesen und Erkenntnissen. Dabei hat er sich mit den vielen aktuellen Fragen der Ethik oder der politischen Philosophie im engeren Sinne gar nicht befasst. Seine zahlreichen Publikationen vertiefen sich in die europäische Geschichte der Philosophie und Religion, sie versuchen – oft in feinsten sprachlichen Analysen – begriffliche Klarheit zu schaffen über den Zustand der europäischen Kultur „heute“ im Unterschied zu Zeiten, als die Metaphysik und die christliche Religion noch wie selbstverständlich Geltung hatten.
Blumenberg hatte zu Beginn seiner philosophischen Laufbahn noch stärkere Bindungen an die katholisch geprägte Welt, etwa in der Gestalt der scholastischen Philosophie. Man denke daran, dass er in den 1950Jahren Mitarbeiter der angesehenen katholischen Kulturzeitschrift „Hochland“ war. Dogmatische Bindungen an die Kirche gab er später auf, ohne dabei auf seine spirituellen, vor allem philosophischen Interessen an der Christentumsgeschichte aufzugeben.
Bei aller begrifflichen Prägnanz liebt Blumenberg auch die Mitteilung „kurioser Geschichten und Anekdoten“, wie Franz Josef Wetz in seiner Blumenberg Studie( Junius Verlag, 2011, S. 179) bemerkt. Blumenberg war überzeugt: „Menschliches Dasein ist eine riskante Angelegenheit, wozu nicht nur zahlreiche Fallgruben der Peinlichkeit und Lächerlichkeit, sondern auch ebenso viele Lebensgefahren gehören“ (ebd. S. 182).

2.
Über sein extrem zurückgezogenes Leben (als „Nachtarbeiter” in Altenberge bei Münster), besonders nach seiner Emeritierung, ist wenig bekannt, seine Biografie kann leicht anderswo vertieft werden.
Was bedeutete ihm als emeritierten Philosophen der Dialog, der Disput mit anderen? Fand er den Dialog mit anderen Menschen/Philosophen nur noch im “Dialog” mit Texten, Büchern? Interessante Fragen, zumal, um Blumenbergs “Spätwerk” zu verstehen. Die dann zur gundsätzlichen Frage führt: Kommt Philosophieren ohne die leibhaftige Begegnung mit anderen Menschen aus?
Hätte sich Blumenberg mit einem kritischen, gebildeten Theologen und Bibelwissenschaftler etwa über die “Matthäuspassion“, also auch über das Evangelium des Matthäus, unterhalten, wäre dann sein Buch “Matthäuspassion” anders, sagen wir “besser”, ausgefallen? Ich vermute es. (Siehe in diesen Hinweisen die Nr.7)

3.
Ich will nur auf vier zentrale Themen im Denken Blumenbergs aufmerksam machen. Diese Themen sind nur dem ersten Anschein nach „akademische“ Erörterungen. Vielmehr sind sie eng verbunden mit Fragen der Lebensgestaltung bzw. eines möglichen Selbstverständnisses des Menschen heute. Denn was Blumenberg zum angeblichen Ende „der“ Metaphysik oder dem Ende „des“ Christentums sagt, berührt ja mehr als bloß akademische Interessen. Dass es hier nur um Hinweise handelt, die zur Lektüre seiner Werke Blumenbergs führen können, ist vorausgesetzt.

Blumenberg und die Metaphern.
Blumenberg und die Interpretation der Neuzeit.
Blumenberg und die Mythen sowie der Polytheismus.
Blumenberg deutet die Matthäus-Passion von Bach.

4.Die Metaphern
Für mich sind die Studien zur Bedeutung und Grenze der Metaphern besonders interessant und anregend. Blumenberg schätzt diese „Sprachbilder“, er hält sie eigentlich für unverzichtbar
Er hat die Grenzen des in Begriffen sich vollziehenden Denkens klar erkannt und als Ausweg eine umfassende Analyse der Metaphern angeboten, er selbst sprach von Metaphoro-Logie und verfasst schon 1960 die Studie „Paradigmen zu einer Metaphorologie“. Weitere zum Thema folgten.
Metaphern sind ein altes Thema der Philosophie: Sie beschreiben Inhalte, etwa in der Philosophie und der Religion, die sich durch klare „eindeutige“ Begriffe nicht aussagen lassen. Es gibt Metaphern, die auf grundlegende Fragen der Menschen überraschende Antworten geben, auf Fragen, die sich aufdrängen und sogar unausweichlich sind. Sie beziehen sich auf die begriffliche, definitorische Unmöglichkeit, etwa das „Weltganze“ zum eindeutigen Ausdruck zu bringen. Blumenberg spricht in dem Zusammenhang dann von „absoluten Metaphern“. Er erwähnt durchaus einen Mut des Geistes, wenn dieser mit den Metaphern seinen eigenen Bedeutungsradius erweitert und sich selbst in seiner Fähigkeit des Transzendierens förmlich vorausläuft. Unsagbares im Sinne des Undefinierbaren etwa über Gott, das Ganze, den Kosmos, wird auf diese Weise irgendwie sagbar. Wo man Definitionen entbehren muss, haben Metaphern ihre Bedeutung: Man könnte deswegen meinen, die ganze religiöse Welt mit ihren Lehren lebt in der Sprachgestalt der Metapher, ohne dass die religiösen Menschen dabei realisieren, dass sie in ihrem religiösen Sprechen de facto immer schon in Metapher-Welten sprechen. Wie viel dogmatischer Streit, wie viele Häresie – Vorwürfe/Prozesse wären der Menschheit erspart geblieben, hätten die religiöser Führer die Bedeutung der Metaphern erkannt. Man kann die Vorstellung der umfassenden, heilvollen göttlichen Gnade mit der Metapher vom „himmlischen Jerusalem“ ausdrücken; eine „Stadt“ ist ja damit nicht gemeint.
Selbstverständlich eigentlich. Dieses metaphysisch, religiös usw. Unsagbare, das eine Metapher aussagt, darf nicht wörtlich verstanden werden, was leider oft passierte und zu großen Missverständnissen führte und führt: Man denke an die „Bibel-treuen“ Evangelikalen: Etwa: „Gott ist ein Vater“. Wer das wörtlich versteht, malt diesen Vater dann als alten Herren mit Rauschebart.
Trotzdem: Mit der Metapher, so Blumenberg, gelingt es dem Menschen etwas Vertrautes für eine Antwort auf die schwersten Fragen zu verwenden. Der Mensch „sieht weg von dem, was ihm unheimlich ist, (er sieht) auf das, was ihm vertraut ist“ (so in: „Wirklichkeiten, in denen wir leben“, S.116). Man darf freilich die Bedeutung der Metapher nicht „zu hoch, nur für Religionen gültig“ ansetzen. Metaphern prägen das sprachliche Leben im Alltag. Es gibt freilich auch die Erwartung einiger Philosophen (der Aufklärung) das „Provisorium“ der Metapher zu überwinden.

5. Die Interpretation der Neuzeit
Das Buch „Die Legitimität der Neuzeit“ wurde 1966 veröffentlicht, es hat viele heftige Diskussionen ausgelöst. Warum ist die Neuzeit „legitim“, also berechtigt, richtig, also etwas Anerkanntes und Anzuerkennendes? Und nicht, wie manche Verteidiger der mittelalterlichen Welt betonen, etwas Schädliches, Nicht-Sein-Sollendes, Zu-Überwindendes? Die Neuzeit, so Blumenberg, setzt ihre eigenen Gesetze und Maximen. Ihre weltlichen Prinzipien sind NICHT umgewandelte theologische Grundsätze. Vielmehr hat das Mittelalter sein eigenes philosophisches, theologisches Ende bereitet und so den Übergang in eine neue Welt, in die „Neuzeit“ vermittelt. Dieses selbst verursachte Ende der spätmittelalterlichen Welt wird für Blumenberg an der Philosophie des Nominalismus deutlich, vor allem an zentralen Aspekte im Denken Wilhelm von Ockhams. Er lehrte ein Gottesbild, das Gott außerhalb jeglicher Vernunft setzte. Es ist der willkürliche, unberechenbare, tyrannische Gott, der da vorgestellt wird. In dieser Situation löst sich der nachdenkliche Christ von Gott; der Mensch wird auf sich zurückgeworfen und geht seinen eigenen, nicht mehr kirchlich vorgeprägten Weg. Insofern ist die Neuzeit angesichts des spätmittelalterlichen Nominalismus unvermeidlich und legitim. Und diese „unvermeidliche“ Neuzeit hat auch ihre eigene Prinzipien, die sich im Begriff der Säkularität, der Weltlichkeit der Welt, äußern. In dieser Position lehnt Blumenberg die im 20. Jahrhundert von Theologen unternommenen Versuche ab, Säkularität bzw. Säkularisierung als Konsequenz des christlichen Glaubens zu verstehen. Auch Carl Schmitt hatte betont, zentrale Begriffe der modernen Staatslehre seien nichts anderes als verweltliche Begriffe aus der Theologie und dem Christentum. Dass Blumenberg die Neuzeit mit ihrer Dominanz von Technik und Naturbeherrschung eher als Segen denn als Problem deutete, kann hier nur angedeutet werden.

6. Die Mythen und der Polytheismus
Die Studie „Arbeit am Mythos“ wurde 1979 publiziert.
Dabei wird deutlich: Blumenberg will die Mythen nicht als eine neue Ideologie aufwerten oder gar die Götter alten Mythen neu beleben. Götter erscheinen mit einem großen Brausen oder einem stillen Wehen nun einmal nicht im modernen Horizont des Denkens und Lebens. Wenn sich Blumenberg für Mythen interessiert, dann nur um zu fragen: Was bewirken Mythen, wenn sich Menschen mit ihnen befassen? Indem Menschen sich Geschichten erzählen, also Mythen verbreiten, steuern sie gegen das Gefühl, auf dieser Welt verloren zu sein, sie setzen die Mythen als Hilfen ein gegen die Lebensangst. Mythen „beantworten jene vermeintlich naiven, prinzipiell unbeantwortbaren Fragen“ (Paradigma einer Metaphorologie, Bonn 1960, S. 19).
Darum werden Geschichten erzählt, die Abstand schaffen zu der fremden, bedrohlichen Welt und der Natur. Ohne Distanzierung von der Welt kann der Mensch sich nicht entwickeln und als Mensch überleben.
Aber die Zeit der Mythen ist für Blumenberg vorbei. Trotzdem verlangt der Mensch in seiner Selbstbehauptung nach Geschichten und Symbolen, um in dieser Welt zu bestehen.
In der Welt des Mythos denken, bedeutet für Blumenberg eine Art „imaginative Ausschweifung“ , Mythos hat für ihn so etwas wie eine poetische Leichtigkeit, die dann zu einer anthropomorphen Aneignung der Welt und zu einer theomorphen Steigerung des Menschen führt. Durch diese Leistungen kann der Mensch in diesem Kosmos, meint Blumenberg, in seiner Einsamkeit überleben.
Blumenberg weiß, dass diese Thesen den Widerspruch der strengen Monotheismus und der Metaphysiker finden. Der jüdische Emmanuel Lévinas hat dieses Konzept heftig kritisiert und daran erinnert, dass im Monotheismus der Mensch in die Verantwortung für den anderen gesetzt ist, der Gerechtigkeit und Schutz auch von mir zurecht unbedingt beanspruchen kann.

7. Blumenberg und die Matthäuspassion
Dieser Beitrag wurde in etwas kürzerer Form schon 2018 veröffentlicht.

Hans Blumenberg (1920 bis 1996) ist ein sehr „vielschichtiger“, gerade darin aber ein sehr anregender Philosoph. Auch wenn er in einer Distanz zur christlichen Religion und den Kirchen lebte: Die Matthäuspassion von Johann Sebastian Bach war ihm wichtig.
Der Text der Matthäuspassion, das Gottesbild, das da erscheint, ist Blumenberg sehr befremdlich. Darüber hat er 1988 ein recht umfangreiches Buch, eine Art „Meditation“, veröffentlicht (bei Suhrkamp). Die Bibel-Sprüche und Texte der Arien usw. aus der “Matthäuspassion” Bachs sind ihm, dem modernen, kritischen, aber für grundlegende Sinnfragen sehr aufgeschlossenen Hörer letztlich kaum erträglich. Blumenberg deutet die Botschaft der Matthäus-Passion als traurige, irritierende abstoßende Botschaft. Sie enthält den unerträglichen Gedanken, dass Gott seinen eigenen Sohn aufopfert in dem grausigen Tod. “Sonst verlassen die Söhne die Väter. Dieses Mal lässt der Vater den Sohn in dem Elend, das er ihm auferlegt hat”(S. 249). Und mit dem Schrei Jesu am Kreuz “Mein Gott, warum hast du mich verlassen?” deute Jesus an, meint Blumenberg: Gott selbst ist in dem Moment gestorben..

ABER: Der heutige Hörer der Matthäus-Passion Blumenberg kann, trotz dieser Einwände, die Matthäuspassion doch noch hören und schätzen lernen. Er kann die Texte als Metaphern verstehen. Und allein durch die Musik wird der Hörer bewegt. Er kommt selbst z.B. in eine eigene Stimmung des eigenen Leidens und Mitleidens. Er wird in eine Schwebesituation geführt. Musik bringt etwas zum Tönen, was Blumenberg ergreifend/tröstlich findet. Es gibt für ihn diese transzendierende Erfahrung. Franz Josef Wetz schreibt in seiner Blumenberg Studie (Junius Verlag, Hamburg, 2011,S 64): “Sie (die Matthäuspassion Bachs) mache das Unerträgliche erträglicher und tröste den Menschen selbst dann noch, wenn die Auferstehung Christi niemals stattgefunden haben sollte… Die Musik sei so stark, dass sie den Menschen selbst über den Verlust dieses Trostes hinwegzutrösten vermöge”.
Zu diesen Einsichten kommt aber Blumenberg, indem er die historisch kritische Bibelwissenschaft eigentlich ablehnt und in der unmittelbaren Reflexion auf die Bibeltexte seine eigenen, sehr persönlichen Einsichten gewinnt. Eine ungewöhnliche Bibellektüre, die eigene Fragen aufwirft. Der Philosoph Franz Josef Wetz hat in seinen Blumenberg-Studie den sehr eigenwilligen Umgang des kirchenkritischen, aber religiös “suchenden” Philosophen mit den Texten der Bibel treffend beschrieben: “Geradezu ratlos steht man vor seiner (Blumenbergs) gewaltsamen Auslegung biblischer Texte …und dann diese merkwürdigen Exegesen und irrationalistischen Erzählungen im schlechtesten Sinn des Wortes” (S. 64 f.) Wetz bezieht sich dabei etwa auf eher esoterisch wirkende Vorstellungen Blumenbergs von einer misslungenen Schöpfung, also einem letztlich unvollkommenen Gott…
Aber es bleibt wohl dabei: Über die Ästhetik der Musik allein findet der Mensch einen Halt, selbst in einer Matthäus-Passion, deren Texte sehr fremd erscheinen.
Nebenbei gefragt: Wie viele Gläubige und Ungläubige weinen beim Hören der Matthäuspassion oder der Johannespassion? Entsprechende “Geständnisse” sind bekannt. Was bedeutet diese Sprache der Tränen? Wird ein Verlust beweint? Was aber hat man vor dem Verlust im Umgang mit den Texten erlebt? Was hat den Menschen zum Abschied von diesen Texten, diesen Inhalten, geführt, zu einem Abschied, den der Mensch jetzt als Verlust erlebt? Eine Rückkehr in die alte Glaubenswelt war für Blumenberg ausgeschlossen, für ihn, der zu Beginn seiner philosophischen Laufbahn noch die klassische katholische Scholastik kannte und mit vollzogen hatte. Der alte Glaube gehörte für ihn zu einer “alten Welt” mit einem alten, im Sinne des nicht mehr erträglichen Weltbildes. Dieser Sprung in die “alte Welt” war ihm – wie vielen anderen – nicht möglich. Wäre Blumenberg der Glaubenswelt der Kirche verbunden geblieben, wenn diese Glaubenswelt reformiert und “modernisiert” wäre? (Nebenbei zum Thema Tränen: Der Philosoph Herbert Schnädelbach hat in seinem Aufsatz “Der fromme Atheist” darauf hingewiesen, dass ein “frommer Atheist” – also er selbst – etwa den Schlusschoral der Johannes-Passion von Bach “nicht anzuhören vermag, ohne mit den Tränen zu kämpfen. Was sich da einstellt, ist eine Mischung aus Trauer und Wut, dass das alles (also die kirchliche Botschaft, CM) nicht wahr ist” (Herbert Schnädelbach, „Religion in der Moderne“, 2009, S. 80).

Die Frage aber bleibt: Sollen Gläubige und Ungläubige sich der Tränen beim Hören von Bach schämen? Bitte nicht! Vielleicht ist das (gemeinsame) stille (ungetröstete?) Weinen eine sonderbare Form eines momenthaften, verbal gar nicht artikulierten „Halt gefunden haben“? Darüber wird kaum gesprochen.

Nicht gesprochen habe ich hier über andere wichtige Themen des Philosophen Blumenberg, wie etwa über seine eigenständigen Arbeiten zum Thema „Lebenswelt“ oder über seine Heidegger Kritik…

(1)
Zit. aus der Rede von Hans Blumenberg anlässlich der Übergabe des Preises der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, 1980. Im Internet verfügbar: https://www.deutscheakademie.de/de/auszeichnungen/sigmund-freud-preis/hans-blumenberg/dankrede

Eher leicht zugänglich sind die kleinen Essays Blumenbergs, posthum veröffentlicht, unter dem Titel „Die Verführbarkeit des Philosophen“, Suhrkamp, 2005.

Ich empfehle die Studie des Philosophen Franz Josef Wetz „Hans Blumenberg zur Einführung“, erschienen 2011 im Junius Verlag Hamburg. 237 Seiten. 14,90 EURO.

Sehr wichtig sind auch die Studien und Aktivitäten der Hans Blumenberg Gesellschaft: http://blumenberg-gesellschaft.de/

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Der Gott der (meisten) Christen: Die Dreifaltigkeit, ein einziges „Wesen“ in drei „Personen“

Ein Hinweis zu einem spekulativen Thema
Von Christian Modehn (Siehe auch meinen Hinweis zum Thema, veröffentlicht am 3.6.2020)

1.
Dies ist eine zentrale Frage der Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie: Wer oder was ist der (offizielle, von der Kirchenhierarchie gelehrte) Gott der Christen? Da gibt es ja bekanntlich mit Juden und Muslims gewisse Auseinandersetzungen, auf die ich hier nicht eingehe.
Noch einmal einige Hinweise zum Verstehen der Dreifaltigkeit des einen Gottes der (meisten) Christen. Zumal im „Kirchenjahr“ alle Sonntage nach dem „Dreifaltigkeitssonntag“ (dies ist der Sonntag nach Pfingsten) als „Sonntage nach Trinitatis“ bezeichnet werden. In diesem Jahr 2020 heißen so 26 Sonntage bis zum „Ewigkeitssonntag“, dem 22. November. Wer will, hat also viele Wochen Zeit, sich mit der Trinität zu befassen…
2.
Dabei nenne ich hier nur einige weitere Erkenntnisse, die das kleine, aber sehr anregende und empfehlendwerte Buch des bekannten Mittelalter-Historikers Jacques Le Goff bietet: “Der Gott des Mittelalters“ (Herder, 2003, antiquarisch noch zu haben). Die Seitenzahlen beziehen sich, wenn nicht anders angegeben, auf dieses Buch
3.
Dies ist für Le Goff der Ausgangspunkt:
Der offiziell verkündete Gott der (meisten) Christen ist „einer“ in drei verschiedenen Personen: Gott „besteht“ aus drei Personen, „hat“ aber nur ein Wesen, sagt auch Le Goff (43), bei gleichzeitiger Betonung des christlichen Monotheismus (28, auch 31, 43). (Dabei wäre über den Begriff „Person“ in der Trinität noch eigens zu sprechen: Gemeint ist nicht der Begriff der Person, der auf die menschlichen begrenzten Wesen zutrifft. Menschen haben jeweils ein einmaliges, eigenes „Wesen“. Bei Gott Vater, Jesus Christus (dem „Logos“) und dem Heiligen Geist, also den „Dreien“, handelt es sich jedoch um ein einziges Wesen. Trotz dieser begrifflichen Verschiebung und Undeutlichkeit halten die Kirchen an den drei göttlichen Personen fest. Dies führt zu blühender Phantasie, darauf weise ich später hin.
4. Die „Personen“ im einzelnen:
Der Gott – Vater wird als der thronende, sitzende, richtende Gott gedacht (10, 32). Wie schon die ersten christlichen Könige und Kaiser thront auch der höchste Herrscher, dies ist Gott-Vater. „Wir dürfen nicht vergessen, dass ein Teil der Eigenschaften des Gottes der Christen vom Römischen Reich geprägt wurde“ (63). Gott Vater sitzt auf einem Gnadenstuhl (46) Damit deutet Le Goff die ideologische Abhängigkeit des religiösen, christlichen Gottesbildes von den politischen-ökonomischen Bedingungen an.
Dieser thronende, herrschende Gott (mit Bart, manchmal) bestimmt als Bild bis heute das Denken und Vorstellen sehr vieler Menschen. Mit anderen Worten: Das christliche Gottesbild ist weithin mittelalterlich bestimmt.
5.
Das Bild von Christus als der 2. Person in der Trinität ist im Mittelalter vom leidenden Christus bestimmt.
ABER es gibt auch eine unausgeglichene Ambivalenz, eine „Konkurrenz“ zu Gott-Vater, wenn Christus als „thronender Gott des Jüngsten Gerichts“ (66) dargestellt wird.
6.
Über den Heiligen Geist: Dieser eine Gott delegiert „seine Macht in gewisser Weise an eine der drei Personen“ (43). Das heißt: Le Goff nennt den Heiligen Geist eine Art „deus ex machina“, der je nach Bedarf als Gott eingesetzt wird (36), etwa als Gott, der in den Spitälern verehrt wurde.
Es ist ein Vogel, die Taube, die als Symbol für den gar nicht darstellbaren Heiligen Geist verwendet wird. Die Wahl der Taube als Symbol des heiligen Geistes ist den meisten heute wohl fremd und befremdlich und dieses Symbol bedarf eigener Erklärungen, die leider Le Goff in dem Buch nicht bietet! Schon in den alten Kulturen galten Tauben als Götterboten; sie waren Symbole der Sanftmut, aber auch der Einfalt. Noah bediente sich der Tauben in seiner Arche. Und vor allem: Bei seiner Taufe durch Johannes sah Jesus den „Geist Gottes wie eine Taube auf sich herabkommen“ (so Markus Evangelium, 1, 10), Man denke auch daran, dass die Taube (oft mit Olivenzweig im Schnabel) als Symbol der Friedensbewegung gilt: Pablo Picasso hat sie entworfen für den Pariser Weltfriedenskongress 1949…
Es gab dann theologische Debatten, in welcher Beziehung der im Christen anwesende Heilige Geist zu dem allgemein menschlichen Geist hat. Gerade in der praktischen Ethik, der Tugendlehre, ist diese Frage wichtig. Thomas von Aquin fand in dem Zusammenhang den Heiligen Geist entscheidend (42) gegenüber dem bloß menschlichen Geist. Eine unbefriedigende Antwort. Denn wer sich auf diese Vorstellung einlässt, muss sich fragen: Ist das, was ich tue, denke, plane nun „mein“ Geist oder, sozusagen in Doppelung, Verstärkung, der Heilige Geist. Diese Frage berührt das große Thema der Gnadenlehre und der Erlösungslehre der dogmatischen Kirchen, die ja immer von einer begrenzten, sündigen „Natur“ des Menschen ausgeht und der Gnade, dem Heiligen Geist. Das ist ein kirchliches Konstrukt, um die Notwendigkeit der Taufe und damit die Notwendigkeit der Kirche zu begründen… Aber diese Perspektiven zeichnet Le Goff nicht in diesem Buch!
Hingegen: Beim Heiligen Geist spricht etwa der (häretische) mittelalterliche Mönch Joachim von Fiore von dem „göttlichen Beweggrund der Geschichte“, eine Idee, die bei Hegel wiederkehrt.
7.
Das ist wichtig für Le Goff:
Das Gottesbild hängt immer von den Positionen derer ab, die sich von Gott ein Bild machen (9), also gibt es einen Gott der Armen und der Reichen, der Kleriker und der Laien usw. (9). Dieses Thema wird leider nur angedeutet, es ist so aktuell wie im Mittelalter.
8.
Mit der Trinität als Vorstellung von dem einen Gott hatten die Menschen, allen voran die Theologen, die Künstler, die Literaten ihre große Mühe. Es kam und kommt zu absonderlichen Vorstellungen, Ideen, Bildern:
9.
Le Goff spricht davon, dass es eine „Einführung einer weiblichen Person in und neben der Trinität gab, dies ist die Jungfrau Maria“(10).
Ein bislang eher verdrängter Hinweis: „Maria – die vierte Person der Trinität“, den übrigens auch der Theologe Josef Imbach bestätigt, in seinem Buch „Marienverehrung zwischen Glaube und Aberglaube“(2008, Patmos Verlag.). Imbach nennt etwa den Glauben katholischer Bruderschaften im 17.Jahrhundert: „Man verlieh der Mutter Jesu den Ehrentitel einer Göttin und betrachtete sie – innerhalb dieses Denkschemas durchaus folgerichtig, aber arithmetisch absolut unlogisch – als vierte Person der Dreifaltigkeit“ (67).
Ein Beispiel für viele: Das Erzbistum München –Freising bietet auf seiner Website ein Beispiel; Ein Gemälde, das Maria als Königin inmitten und als Teilnehmerin der Trinität zeigt: Und zwar ein Gemälde aus der Kirche in Gelbersdorf. (https://www.erzbistum-muenchen.de/spiritualitaet/cont/83681)
10.
Aber selbst wenn die Trinitäts-Vorstellungen sich oft auf die drei göttlichen, davon zwei männlich gedachten (!) Personen beschränkten: Da kam es im Laufe der Zeit zu allerhand Absonderlichkeiten:
Es gab Vorstellungen, Bilder, eher eine „Binität“ als eine „Trinität“ darstellten: Etwa: Gott Vater hält Jesus auf seinem Schoß. Ohne heiligen Geist.
Es gab Bilder der trikephalen, also der dreiköpfigen Trinität: Das heißt: Ein Körper mit drei Köpfen.
Es gab Bilder der dreigesichtigen Trinität: Ein Kopf, mit vier Augen, drei Nasen, drei Münder. Also drei verschiedene, aber identische Gesichter. Le Goff schreibt: „Dies sind Bilder eines monströsen Gottes, die heftigen Protest hervorriefen, beispielsweise beim heiligen Antoninus (1389-1459), dem Erzbischof von Florenz und Protektor Fra Angelicos. (48).
Eine Studie von Leopold Kretzenbacher (Graz) beschreibt diese hoch merkwürdige „Dreigesichter – Trinität“ ausführlich auch mit vielen anschaulichen Beispielen: (https://www.historischerverein-stmk.at/wp-content/uploads/Z_Jg83_Leopold-KRETZENBACHER-Steirische-Dreifaltigkeitsbilder-als-%E2%80%9EDreigesicht%E2%80%9C-und-ihre-Verwandten.pdf)
11.
Diese Bilder sind Ausdruck einer großen Verlegenheit: Christen wissen selbst nicht so richtig, wie sie mit dem Begriff des einen Gottes als Trinität umgehen sollen. Durch diese offizielle Vorstellung der Dreifaltigkeit ist der Phantasie Tür und Tor geöffnet. Das ist ja nicht schlecht. Aber der Kirchenführung entgleitet dabei die Hoheit der Definition, was zu glauben ist. Sie schafft also selbst ein Stück Freiheit und fördert förmlich mit ihrem mysteriösen Dogma Andersdenkende, die sie dann Häretiker nennt und . mindestens – ins Abseits stellt. Und von daher kann man verstehen, wenn der große katholische Theologe Edward Schillebeeckx, Nijmegen, gestehen muss: Der Trinität sehr skeptisch gegenüberzustehen.
12.
Der eine und dreifaltige Gott der Christen wurde politisch massiv und heftig durchgesetzt: Um den Glauben der poly – theistischen Heiden zu beseitigen, wurden heidnische Tempel zerstört, Bücher heidnischer Philosophen verbrannt, Bäume gefällt und Quellen zerstört, weil die Bischöfe meinten, darin seien heidnische Götter tätig. Christentum und Naturzerstörung hat darin einen Aspekt!
All das wiederholte sich etwa in Südamerika seit dem16. Jahrhundert, die Tempel der Maya, Azteken usw. wurden zerstört und auf deren Boden barocke Kirchen mit dem trinitarischen Gott den „Indianern“ präsentiert……Es fand also als Missionsstrategie eine Art Entzauberung statt, die dann wieder neuen Schwung bekam durch eine neue, dann christliche und kirchlich gesteuerte Verzauberung: Denn was anderes ist denn der Marien-Kult, der Reliquienkult, die Messe mit der „Wandlung“ etc…, ist die Idee einer Trinität für den einen Gott nicht auch eine Form von Verzauberung, eine uneingestandene Verneigung vor dem Polytheismus?
13.
Der Kampf um die Durchsetzung der Trinität, die den Kaisern/Königen wie den Päpsten gleichermaßen gefiel, war heftig: Es gab die Verteufelung und Verfolgung der Christen, die dem Glauben an den einen Gott in drei Personen nicht folgten, wie etwa Arius oder Nestorius oder Pelagius… (29 f bei Le Goff nur angedeutet).
14.
Die Kirche wollte nicht nur ihre äußere Macht stärken, und stärker als die weltliche Macht der Könige erscheinen. Sie wollte auch in ihrer inneren Gestalt, der Lehre, nur eine Einheitsmeinung zulassen, was ihr natürlich nicht gelang. Deswegen die ständigen Ketzerprozesse in der ganzen Kirchengeschichte. Die Bischöfe und Päpste, die sich die absolute Hoheit in der Deutung der Bibel selber zugesprochen hatten, duldeten keine Abweichler. Und durch ihre Sakramente, wie die Taufe, machte sich der die Taufe spendende Klerus absolut unersetzlich für das ewige Heil der Menschen. Diese engste Verbindung von Klerus und Sakramentenspendung (Taufe, Firmung, Feier der Messe durch Priester allein, usw..) hat bis heute die Allmacht des Klerus gestärkt.
15.
Die große Frage der kritischen Theologen ist heute: Ist ein christlicher Glaube denkbar und lehrbar, der auf die klassische Beschreibung der Trinität verzichtet? Und der einfach nur nachvollziehbar sagt: Gott, das Göttliche, das bzw. der Ewige sind ein bleibendes Geheimnis, das der Menschen in seinen Emotionen und im Denken berührt, berühren kann. Aber niemals umgreifend definieren kann, wie es die klassische Trinitäts – Lehre betont. Zudem ist ihre Bindung an politische Umstände so groß, dass man wohl eher von einer klassischen Trinitäts-Ideologie sprechen sollte.
16.
Aber zu diesem Akt einer theologisch-ideologischen Befreiung sind die großen, herrschenden Kirchen(führer) wohl nicht in der Lage. Sie können und wollen nicht eingestehen: Was einmal einst vor Jahrhunderten von Christen gelehrt wurde, ist historisch zwar interessant, aber heute von keiner spirituellen und theologischen Gültigkeit mehr. Denn der christliche Glaube ist keine museale Veranstaltung, keine Repetition uralter metaphysischer Thesen, sondern ein lebendiges, ein offenes, eine kritisches Geschehen.
17.
Meine These, mein Vorschlag: Ein vernünftiger christlicher Glaube (kann er denn anders als vernünftig sein bei denkenden Menschen, die sich der „Gottes-Gabe“ Vernunft erfreuen) kommt selbstverständlich ohne die klassischen Formeln des trinitarischen Dogmas aus. Darin folge ich der Trinitäts – Skepsis des katholischen Theologen Edward Schillebeeckx. Das Motto also ist: Christen sollten sich hüten, von Gott zu viel wissen.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon

Die Korruption im Katholizismus – verursacht von der katholischen Moral, den Kirchengesetzen und der Dogmatik.

Ein Hinweis von Christian Modehn

Ich lasse mich von einem berühmten Titel von Max Weber inspirieren: “Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“. Dazu hat sich Weber bekanntlich in viel-beachteten Studien geäußert. Wichtig ist ihm dabei die Freilegung eines Begründungszusammenhangs: Protestantische Ethik (von Calvin inspiriert) ist eine der Ursachen für die Entwicklung und Herrschaft des „Geistes des modernen Kapitalismus“ .

Es wird die These zur Diskussion gestellt: Die Führung der Katholischen Kirche ist durch ihre Moral, Gesetzgebung und Dogmatik so tief mit dem Geist des Kapitalismus und dessen Praktiken verbunden, dass sie sich der Korruption kaum entziehen kann. Dabei wird impliziert, dass Korruption im kapitalistischen Wirtschaften in gewisser Hinsicht (sehr) oft „üblich“ ist. Und diesen üblichen Verhältnissen im Kapitalismus können sich (und wollen sich) selbst Kleriker, die oft das Gelübde der Armut „abgelegt“ haben oder sich als spirituelle Vorbilder präsentieren, kaum entziehen. Wer eine mächtige, starke, gesellschaftliche einflussreiche katholische Kirche will, mit tausenden, bestens ausgestatteten Behörden, Schulen, Ämtern usw. braucht viel Geld, wissen diese Kirchenführer, und zu diesem „sehr vielen“ Geld kommen sie oft nur auf dem Wege korrupten Verhaltens.

In der DDR sprachen führende Repräsentanten der Evangelischen Kirche dort von „Kirche im Sozialismus“. Sie meinten dies vor allem als Ortsbeschreibung, nicht als Hinweis auf eine Verquickung der Kirche mit dem Sozialismus à la DDR.

Jetzt ist also die Rede von „Kirche im Kapitalismus“, der Titel meint anderes: Gemeint ist eine Kirche, die sich den Gepflogenheiten des Kapitalismus nicht entziehen kann und will, sie ist „eingebunden“ in die Korruption, die auch den Kapitalismus beherrscht.

Damit wird auch ein anderes Thema berührt: Wie könnte – sozusagen utopisch betrachtet – eine Kirche aussehen, die sich den jesuanischen Geboten der Einfachheit, Schlichtheit, der Armut und des „Machtverzichtes“ verpflichtet wüsste. Wer dieses Thema anspricht, beginnt zu ahnen, wie weit auch heute Kirchen entfernt sind von einer Gemeinschaftsidee, „Kirche“, die Jesus von Nazareth mit seinem Kreis lebte und die vielleicht noch im 1. und 2. Jahrhundert für die ersten Gemeinden gültig war …und dann später nur noch gebrochen, marginal, in einigen Gestalten (Franz von Assisi, Petrus Valdes, Jan Hus) gelebt wurde. Diese Genannten, Heiligen, wurden bezeichnenderweise von der Kirchenführung eingeschränkt bzw. verfolgt und getötet.
Der Katholizismus ist bei diesem Thema kein Einzelfall: Alle Religionen heute lassen sich als „Religionen im Kapitalismus“ definieren. Man denke im christlichen Bereich nur an die evangelikalen und pfingstlerischen Kirchen weltweit, man denke nur an korrupte evangelikale Gründergestalten und Führer von Pfingstgemeinden: Sie haben ihre oft armen Gemeindemitglieder zu maßlosem Spenden aufgefordert und sind dabei zu Millionären geworden. Dies wird sichtbar in den schon längst dokumentierten evangelikalen bzw. pfingstlerischen Kirchen etwa in Nigeria oder Brasilien.

Und es wird nicht behauptet, dass schlechterdings alle Verantwortlichen im Katholizismus von der Korruption betroffen sind.
Hier werden “nur” katholisch geprägte Mentalitäten freigelegt, die die Korruption unter Katholiken, vor allem im herrschenden Klerus, fördern und bewirken.

Meine Hinweise haben zwei Teile:

Erstens: Die tatsächliche Korruption im heutigen Katholizismus, aufgezeigt an nur einigen wenigen zentralen Erfahrungen und Personen.

Zweitens geht es um eine inhaltliche Erhellung der Tatsache, dass Korruption im Katholizismus einen spezifischen spirituellen und theologischen Grund hat: In diesen Hinweisen zeigen sich sozusagen die Anregungen von Max Weber. Da muss also von der traditionellen katholischern Moral und Dogmatik sowie vom Rechtssystem, wie sie von der Kirchenführung vertreten werden, die Rede sein. Es muss sozusagen die entscheidende „innere“ Voraussetzung der Korruption in der katholischen „Lehre“, „Theorie“ bzw. Ideologie freigelegt werden.

Es wäre schon viel gewonnen, wenn dieses Thema, auch von Soziologen und Religionswissenschaftlern ausführlicher untersucht werden könnte. Den Theologen selbst traue ich diese kritische Leistung nicht zu, weil sie immer noch zu stark gebunden und abhängig sind von der Kirchenführung. Ob durch diese Bindung der Theologie an die letztlich alles bestimmende Hierarchie (Bischöfe, Papst) diese Theologen selbst schon korrumpiert werden, indem sie bestimmte „gefährliche“ Themen gar nicht erst öffentlich diskutieren aus Angst vor Entlassungen und finanzieller Not, ist eine weitere grundlegende Frage.

1.Einige Fakten

In allgemeinen Korruptionsstudien, etwa auch von NGOs, werden die Kirchen als Organisationen der Korruption nicht eigens dokumentiert. Das ist bedauerlich! Auch in einem der wenigen Aufsätze in katholischen Zeitschriften zum Thema kommt Korruption in der katholischen Kirche nicht vor, so in dem Aufsatz in „Stimmen der Zeit“ 2014. (https://www.herder.de/stz/hefte/archiv/139-2014/2-2014/integritaet-wider-dunkle-geschaefte-transparency-international-und-der-kampf-gegen-korruption/).
„Transparency International“ (T.I.) nennt auf seiner deutschen Website 20 so genannte “Risikofelder“ für Korruption, darunter sehr richtig auch den Sport,. T.I. nennt aber nicht die Kirchen. Dass damit die Kirchen von Korruption in der Sicht von T.I. freigesprochen werden, ist natürlich ausgeschlossen.

Ich übernehme von „Transparency International“ die allgemeine knappe Definition: „Korruption ist der Missbrauch anvertrauter Macht zum privaten Nutzen oder Vorteil“.

Nun sind in den letzten Jahren viele aktuelle korrupte Verhaltensweisen von katholischen „Würdenträgern“ („Hochwürden“) bekannt geworden. Historiker wissen viele andere Beispiele aus früheren Zeiten, ich nenne nur eine Studie über einen – zumindest kurzzeitig – korrupten Orden: „Fallen Order“ von Karen Liebreich, New York 2004, über die frühe Geschichte des Ordens der Piaristen (Schulpriester). Aber historische Studien zum Thema sind noch einmal eine andere Herausforderung.

Zur Gegenwart:
Während ich diese Hinweise schreibe, am 5. Juni 2020, meldet die offizielle vatikanische Nachrichten-Agentur einen, so wörtlich, einen „Skandal“ in höchsten Kreisen des Vatikans wegen des Kaufs einer Luxusimmobilie durch das „Vatikanische Staatssekretariat“. Der internationale katholische Nachrichtendienst CNA (aus den USA) spricht, so wörtlich, von einem „Fall von Veruntreuung, schwerem Betrug und Geldwäsche“ im Vatikan. Hier können gar nicht alle Details dieses aktuellen, zweifelsfrei ziemlich ungeheuerlichen Vorgangs beschrieben werden.
Nur so viel: Das Vatikanische Gericht hat jetzt den entscheidenden Vermittler dieses riesigen Deals, den Geschäftsmann Gianluigi Torzi, in Untersuchungshaft genommen. (Der Vatikan besitzt tatsächlich ein eigenes Gericht und ein Gefängnis!). Es geht um ein komplexes Geschehen, um den Kauf einer Luxus – Immobilie in London – Chelsea an der Sloane Avenue durch den Vatikan zum Preis von 300 Millionen US Dollar. (https://www.vaticannews.va/de/vatikan/news/2020-06/vatikan-torzi-immobilie-london-staatssekretariat-anlage-betrug.html)
Das päpstliche „Staatssekretariat“ war seit Februar 2014 mit diesem Kauf befasst, berichtet Vatikan News: „Vor sechs Jahren, am 28. Februar 2014, steckte das Staatssekretariat zweihundert Millionen fünfhunderttausend Dollar in den „Athena Capital Global Opportunities Fund“ – eigene Gelder, wie jetzt betont wird, „die der Unterstützung der Aktivitäten des Heiligen Vaters galten“. Gemeint ist die Kollekte des „Peterspfennig“, C.M.
„Diese Mittel wurden durch eine komplexe Finanzarchitektur gewonnen: Durch die Gewährung von Kreditlinien des Crédit Suisse und einer weiteren Bank, gegen die Verpfändung von Vermögenswerten in Höhe von 454 Millionen Euro, die sich im Besitz des Staatssekretariats befanden und aus Spenden stammten. Die mehr als 200 Millionen Euro waren zum Teil für den Kauf von 45% des Eigentums und zum Teil für bewegliche Investitionen bestimmt“. CNA meldet: „Im Raum stehen dabei auch Vorwürfe, dass Verantwortliche im Vatikan sich unter anderem des “Peterspfennigs” – Spendengelder von Katholiken für karitative Anliegen des Papstes – bedient haben könnten, um sich Gelder auf Kredit für fragwürdige Investitionen zu leihen: Deals, an denen sich dann “Geschäftsmänner” bereicherten, und mit denen der Vatikan Verlust machte“ (https://de.catholicnewsagency.com/story/veruntreuung-schwerer-betrug-und-geldwasche-festnahme-im-finanzskandal-des-vatikans-6373).
Es wird von vatikanischen (!) Richtern geprüft, in welcher Weise hochrangige Kardinäle, wie Pietro Parolin, Chef des Staatssekretariates, verwickelt sind und vor allem Bischof Angelo Becciu steht im Visier der Untersuchungen. Zur Zeit des Deals war Becciu hoher Mitarbeiter im Vatikanischen Staatssekretariat. Papst Franziskus ernannte ihn, offensichtlich den Initiator dieses Deals, im Jahr 2018 zum Kardinal und – auch das – zum „Präfekten“ der „Kongregation für die Heiligsprechungsverfahren der Kirche“. Dieser Spekulant, Kardinal Becciu, soll sich nun auch noch im Auftrag des Papstes darum kümmern, den „Malteser Orden“ spirituell und moralisch zu erneuern“. Auch diese Form des Versetzens und Beförderns von mutmaßlichen „Tätern“ ist also nach wie vor üblich und sie wurde nicht, wie oft behauptet, durch die vielen Skandale sexuellen Missbrauchs durch Priester „abgeschafft“…Man kann diese Form des Versetzens und Beförderns auch bereits Korruption nennen…

WIKIPEDIA berichtet: „Gegen Becciu wird seit 2019 durch die vatikanische Staatsanwaltschaft ermittelt. Becciu soll 2014 und 2018 Investitionen in ein Londoner Immobilienprojekt in Höhe von insgesamt 250 Millionen Euro genehmigt haben. Demnach handelte es sich um Luxus-Wohnungen, an denen der Vatikan über einen Luxemburger Investment-Fond beteiligt war. Diese Investitionen hätten zu hohen finanziellen Verlusten des Kirchenstaates geführt, deswegen ermitteln vatikanische Behörden gegen diesen Kardinal“. Weitere Infiormationen siehe auch: https://www.katholisch.de/artikel/23266-vatikan-finanz-ermittlungen-gegen-kurienkardinal)
Interessant ist aber, dass trotz der Ermittlungen gegen Kardinal Becciu zunächst einmal ein Laie, Gianluigi Torsi, in Untersuchungshaft sitzt.
CNA zitiert zu dem aktuellen Fall von Korruption auch Papst Franziskus: „Auf einer Pressekonferenz im November vergangenen Jahres (also 2019) wurde Papst Franziskus zu den Investitionen in London direkt befragt. Er bestätigte zwar, dass er persönlich die Razzien vom Oktober (im Staatssekretariat) genehmigt hatte, betonte aber, dass die Beweise für korrupte oder illegale Aktivitäten “noch nicht klar” seien, bevor er zu dem Schluss kam, dass “passierte, was passierte: ein Skandal”…Sie haben Dinge getan, die nicht sauber erscheinen, sagte der Papst“.
Schon 2012 hat Kardinal Rainer Maria Woelki, der seinen theologischen Doktor an der Opus Dei-Universität in Rom erworben hatte, ganz offen die Korruption im Vatikan im allgemeinen beklagt. Er hat die Geldwäsche und die Vorteilsnahme im Papst-Staat angeprangert. Der Wochenzeitung die ZEIT sagte er im Juni 2012: „Korruption bleibt ein Problem, in der Kirche arbeiten wir so gut wie möglich an seiner Überwindung… Vorteilsnahme oder gar Korruption sind ohne Zweifel ein Problem, das schwer wiegt, auch bei uns in Deutschland.” Woelki fügte hinzu: “Vor dem Hintergrund müssen wir uns bekennen und sagen, dass es Schuld und Schuldige gibt.” Namen nannte er nicht.
Mit dieser allgemeinen Anerkenntnis von Korruption in der Kirche befindet sich Woelki in bester Gesellschaft: Der SWR berichtete am 27.11. 2019, dass Papst Franziskus einmal mehr die Korruption in der Kirche im allgemeinen angesprochen hatte. Dabei verwies er u.a. auf die Finanzskandale im Vatikan, der Papst sprach ausdrücklich von „Fällen der Korruption“, Verantwortliche hätten Sachen gemacht, „die“, so der Papst, noch vorsichtig, „nicht sauber zu sein scheinen“. Siehe die Hinweise oben. Tatsächlich wurden im Zuge des Immobilienskandals fünf Mitarbeiter des Staatssekretariats und der Finanzaufsicht von ihrem Dienst suspendiert usw…

Um die Dimensionen der Korruption etwas konkreter an Führungspersonen im Vatikan aufzuzeigen, nur einige Beispiele: Da sollte an den süditalienischen Bischof Nunzio Scarano erinnert werden, der im vatikanischen Finanzwesen eine Rolle spielte, gegen den im Jahr 2012 wegen Betrug und Korruption ermittelt wurde. Laut der Zeitung “La Repubblica” soll der Bischof einen Geheimdienstmitarbeiter gebeten haben, mehrere Millionen Euro in bar aus der Schweiz in einem Privatjet zu transportieren. Dafür soll ihm der Geistliche demnach Geld gezahlt haben. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, dass Scarano bereits vor einigen Wochen vom Dienst suspendiert wurde, nachdem er ins Visier der Ermittler geraten war. Demnach wird ihm vorgeworfen, insgesamt 600.000 Euro in bar von einem Konto der Vatikanbank genommen und an Freunde verteilt zu haben. Im Austausch hätte er Schecks erhalten, die er dann auf ein italienisches Konto einzahlte – angeblich, um eine Hypothek abzuzahlen.

Auch Kardinal Tarcisio Bertone, Mitglied im Salesianer Orden Don Boscos, sollte hier erwähnt werden, er war die so genannte „Nummer zwei“ nach dem Papst im Vatikan, ein Vertrauter Papst Benedikt XVI. Bertone ist ein weiteres Beispiel für exzessive Korruption. Die katholische Kirchenzeitung „Kirche und Leben“ in Münster (15.10. 2017) berichtete: „Bis zuletzt blieb die Geschichte verwickelt und rätselhaft. Tarcisio Bertone, ab 2006 Kardinalstaatssekretär, sollte 2013 seinen Alterssitz im Palazzo San Carlo im Vatikan beziehen und sah Renovierungsbedarf. Sein Anwalt sprach von einer „Bruchbude“ von 150 Quadratmetern, nach anderer Darstellung soll es sich um eine geräumige Dachwohnung von 300 bis 425 Quadratmetern handeln, Gartenblick, feiner Marmor, eine 19.000-Euro-Stereoanlage. Für die Arbeiten hatte Bertone einen alten Freund an der Hand, Gianantonio Bandera. Dieser taxierte die Kosten für seine Baufirma Castelli Re zunächst angeblich auf 616.000 Euro, gewährte dann aber großzügig Rabatt. Als verbrieft gilt, dass Bertone 300.000 Euro aus eigener Tasche zahlte und 422.000 Euro, die er nie angefordert haben will, aus der Kasse der Kinderklinik „Bambini Gesu“ flossen. Im Gegenzug dafür sollte der Kardinal ab und zu großzügige Wohltäter in seinen Räumen bewirten. Inzwischen ist die Baufirma Castelli Re bankrott, das Geld der Klinikstiftung mutmaßlich bei einem anderen Unternehmen Banderas in London gelandet. Als die neue Präsidentin des Bambino Gesu, Mariella Enoc, von Bertone die 422.000 Euro zurückforderte, ließ der Kardinal erklären, er schulde dem Krankenhaus nichts; als „Zeichen der Großzügigkeit“ überwies er aber 150.000 Euro…“ Zur Vertiefung(auch über Bertone) empfehle ich die Studie (254 Seiten) zur Korruption im Vatikan: „Avaricia. Los documentos que revelan las fortunas, los escandalos y secretos del Vaticano de Francisco“, („Habsucht. Die Dokumente, die das Geld-vermögen, die Skandale und die Geheimnisse des Vatikans freilegen unter past Franziskus“). Verfasst hat das Buch der bekannte italienische investigative Journalist (u.a. bei „Corriere della Sera“) Emiliano Fittipaldi, die genannte spanische Ausgabe erschien 2015).

Fittipaldi erwähnt übrigens auch (S. 150f.) den Reichtum und die vielen Spenden bis heute, die der angeblich stigmatisierte Pater Pio der Kirche und seinem Kapuzinerorden in Süditalien eingebracht hat. Dass Pater Pios „Wundmale, Stigmata, Christi“ an den eigenen Händen von ihm selbst herbeigeführt und dann auch als solche „gepflegt“ wurden, wird heute allgemein festgestellt. Mit anderen Worten: Die zum Heiligen gemachte Gestalt Pater Pios wurde und wird inszeniert, sie sollte viel Geld bringen…

Erinnert werden muss hier an die tiefe Verstrickung in die Korruption des Gründers der Legionäre Christi, Pater Marcial Maciel, der sich Schein-Identitäten (etwa US- Manager) zulegte, um bei reichen Witwen Millionen – nach vollzogenem Liebesakt – finanziell „abzusahnen“, wobei er es sich nicht „verkneifen“ konnte, die Söhne der Damen sexuell zu missbrauchen. Der Orden der Legionäre wurde durch dieses betrügerische „Finanzgenie“ in der Spanisch sprechenden Welt treffend und ohne Widerspruch von den Beschuldigten „Orden der Millionarios Christ“ genannt…Alle diese und viele weitere Tatsachen über Pater Maciel sind inzwischen weltweit bekannt; genauso, dass dieser pädophile Verbrecher und Erbschleicher ein enger Freund von Papst Johannes Paul II. war. Dieser von einem korrupten Pädophilen gegründete Orden der Legionäre Christi besteht immer noch weiter. Die Fotos des nun verstorbenen (aber niemals von staatlichen Gerichten bestraften) Ordensgründers wurden in den Legionärs-Klöstern einfach abgehängt (eine Art „Entstalinisierung“) und sein Name verschwand auf den Websites des Ordens. So kann man auch mit heftigster Korruption in der „heiligen römischen Kirche“ umgehen.

Zur Korruption in der obersten Leitung von katholischen Ordensgemeinschaften:

Der Generalobere der Franziskaner, P. Anthony Perry, musste Ende 2014 zugeben: Die Ordenszentrale der Franziskaner in Rom ist pleite, weil sich ihr Ökonom, P. Giancarlo Lati, mit vielen Millionen Euro, “verspekuliert” hat: Er hat in das luxuriöse Hotelprojekt „Il Cantico“ in Rom fehl investiert und in der Schweiz dubiose Anlagen, zum Teil im Rüstungsbereich, gemacht. Aus gesundheitlichen Gründen, so wörtlich, wurde der Mitbruder entlassen. Nicht erwähnt wurde von dem obersten Chef der „Minderbrüder“, aus welchen Quellen den Bettelmönchen diese (nicht genau bezifferten) Millionen überhaupt zur Verfügung stehen. (Dazu in dem genannten Buch von Emiliano Fittipaldi, S. 200). Sowie: https://www.washingtonpost.com/national/religion/franciscan-order-on-verge-of-bankruptcy-after-financial-fraud-is-uncovered/2014/12/19/9d4675c8-87a7-11e4-abcf-5a3d7b3b20b8_story.html

Zum Orden der Kamillianer, der: Seine guten Geschäftsbeziehungen zu dubiosen Managern, wie die italienische Presse vorsichtig sagte, wollte sich der Generalobere des Kamillianerordens, Pater Renato Salvatore, nicht nehmen lassen. Um sein Neubauprojekt bei Neapel mit dem Geschäftspartner Paolo Oliveiro durchzuziehen, ließ er einfach zwei kritische Mitbrüder im Orden verhaften, von falschen Polizisten. So hoffte er ohne deren Stimme noch einmal zum Ordensgeneral wiedergewählt zu werden, um das Projekt mit seinem „Partner“ zu realisieren. Nebenbei: Pater Salvatore war gern gesehener Teilnehmer auf Synoden und vatikanischen Tagungen. Seine Ordenskarriere beendete Padre Renato Salvatore 2013 mit seiner Verhaftung. (Quelle: https://roma.corriere.it/notizie/cronaca/13_novembre_06/intrigo-nell-ordine-camilliani-f753ad88-46ee-11e3-a177-8913f7fc280b.shtml)
https://www.theguardian.com/world/2013/nov/07/italian-religious-order-leader-arrested-camillians

Unter den hochrangigen und einflussreichen Kardinälen sollte an den kolumbianischen Kardinal Alfonso Lopez Trujillo erinnert werden, was seine lukrativen Verbindungen zu den kolumbianischen Drogenkartellen angeht? Siehe dazu u.a. : https://caracol.com.co/radio/2006/02/11/judicial/1139656560_248075.html)
Zudem war der Kardinal öffentlich, nach außen hin, ein heftigster Feind der Homosexualität und der Homosexuellen. Er selbst, privat, aber engagierte in Kolumbien wie später auch in Rom sehr häufig Stricher. Und, parallel dazu, für die fromme Öffentlichkeit verfasste er als Chef der päpstlichen Familienbehörde hübsche Texte über den Wert der katholischen Familie. Man lese über diese korrupte Gestalt an der Spitze des Vatikans das ausführliche Buch des Journalisten Frédéric Martel, „Sodom“, S. 362 ff., erschienen 2019 im Fischer Verlag. Ein kolumbianischer Insider, der Schriftsteller Fernando Vallejo, geboren in Medellin, berichtet in seinem Roman „Die Madonna der Mörder“, Wien 2000, S. 91 oder 94f. von Kardinal Lopez Trujillo: „Es ist ihnen (Kardinal Lopez Trujillo und anderen Bischöfen) das Natürlichste von der Welt, sich die Taschen mit öffentlichen Reichtümern zu füllen“. Auch andere kolumbianische Autoren sprechen sehr kritisch über diese Gestalt (wie der Autor Hector Abad, „Brief an einen Schatten“)
Schon in seiner berühmten Weihnachtsansprache an die Kardinäle im Vatikan, im Jahr 2014, hat Papst Franziskus heftig diese klerikalen Herrschaften an seinem päpstlichen Hof attackiert und dabei, so wörtlich, auf diese Männer bezogen von „mentaler und spiritueller Versteinerung“, „existentieller Schizophrenie“, „Gleichgültigkeit gegenüber anderen“, „Vergöttlichung der Oberen“, und auch dies: von „Anhäufung materieller Güter“ sowie von der „Sucht nach weltlichem Profit“ gesprochen. Diese Weihnachtsansprache 2014 für die Kardinäle ist ein absolut wichtiger, zentraler Text, um die ganze Feindschaft der Kurie gegen Papst Franziskus von Anfang an bis heute zu verstehen! Weil der Papst die Wahrheit sagte, wird er verfolgt.
Ich breche hier diese Dokumentation von korrupten Gestalten im heutigen Katholizismus ab. Sie ist förmlich – auch aktuell – eine unendliche Geschichte.

2.Die Ethik, die Dogmatik und die Gesetze der katholischen Kirche und der Geist der Korruption:

Die katholische Kirche zeigte sich in ihrer klassischen Gestalt bis 1970 als Organisation, die explizit gegen die Gültigkeit der Menschenrechte in der Politik argumentierte und in ihren eigenen Reihen die Menschenrechte nicht respektierte. So wurde auch die UNO – Menschenrechtserklärung vom Vatikan nicht unterzeichnet. Die Katholische Nachrichten Agentur schreibt am 10.12.2018: „Dafür gibt es viele Gründe: Der Vatikan ist kein normaler Staat und auch nicht Mitglied der Vereinten Nationen. Und er bezieht sich auf eine grundsätzlich andere, von Gott her definierte Rechtsgrundlage. So gelten auf dem kleinen vatikanischem Staatsgebiet bis heute auch weder die Religionsfreiheit noch die Rechte-Gleichheit von Mann und Frau“.(https://www.katholisch.de/artikel/19912-warum-die-kirche-gegen-die-menschenrechtserklaerung-war)

Das heißt: Aufgrund dieser offiziell vertretenen Mentalität wurde das demokratische Rechtsempfinden den Katholiken weltweit nicht als grundlegend gelehrt und vermittelt. Die Kirche und ihre Hierarchie wurde in den Mittelpunkt gestellt, der Eindruck einer „heiligen Kirche“ sollte unter allen Umständen zentral sein. So wurden kirchliche Praktiken wichtiger als die Pflege der demokratischen Tugenden und der praktische Respekt für die unversalen Menschenrechte. Wallfahrten, Heiligenverehrung, Teilnahme an Messen, Wunderglaube und Magie, Reliquienverehrung, Hochschätzung des Klerus als der „Hochwürden“ usw. galten hingegen als zentrale Leistungen, als äußere und äußerlich leicht zu vollziehende Leistungen für einen „normalen“ katholischen Gläubigen. Ihm wurde in der Lehre, im Unterricht, in der Predigt vermittelt: Diese religiösen Äußerlichkeiten „als Glauben“ zu pflegen!

Das heißt: Der Respekt der Menschenrechte wurde unter den Katholiken nicht als absolut maßgebend für die eigene Lebensführung empfunden! So entstand die prägende Mentalität: Menschenrechte und katholischer Glauben haben nichts miteinander zu tun. Die Demokratie wurde bis noch in die Mitte des 20. Jahrhunderts von Päpsten verteufelt.

Damit wurde ideologisch und auch spirituell förmlich der Boden vorbereitet, auf dem Korruption gedeihen und sich entwickeln konnte, also Gesetzlosigkeit, Recht des Stärkeren, Entsolidarisierung, totaler, auch ökonomischer Egoismus. Diese Entwicklung kann man besonders in den bis 2000 noch ganz überwiegend katholisch geprägten Ländern Lateinamerikas beobachten: Diese Länder haben mit ganz wenigen Ausnahmen nie zur dauerhaften Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, nie zum dauerhaften Respekt der Menschenrechte, gefunden.
Die von der katholischen Kirche propagierte Mentalität unter den Katholiken war und ist: Man kann – zumindest nach außen hin – gut katholisch sein und gleichzeitig ein politischer Verbrecher, Diktator, oder Ausbeuter oder Krimineller sein, etwa als Mafia-Boss oder Drogen -“Boss“. Man kann nach außen hin fromm sein, also als ein braver Bürger gelten, tatsächlich aber auch als Politiker ausschließlich an dem eigenen finanziellen Profit mir allen krummen Touren interessiert sein. Der Katholizismus in Lateinamerika ist ein weites Forschungsfeld für Studien über die Frömmigkeit von Politikern und ihrem korrupten Agieren. Dass diese Korruption jetzt in Brasilien von einem verbrecherischen evangelikalen Präsidenten, Bolsonaro, betrieben wird, ist ein neues Thema in der „Ökumene“ christlicher korrupter Politiker…
Diese Missachtung demokratischer Werte und der Menschenrechte bewies der Vatikan, als er mit politischen Verbrechern, Tyrannen, wie Trujillo oder Franco Konkordate abgeschlossen hat. Diese Verbrecher wurden päpstlich also hochgeschätzt. Aber die Kirche und der Klerus profitierte, auch finanziell, die Kirche wurde privilegierte Staatskirche, katholische Schulen wurden vom Staat bezahlt usw.

Noch tiefer führt eine Analyse der Beichtpraxis: Sie erlaubte es, dass sich Verbrecher, etwa Mafia – Bosse, nach der Beichte, wieder „katholisch, also gesellschaftlich akzeptiert wohl fühlen“ konnten. So konnte auch der Klerus Teil des Mafia- Systems werden und „profitieren“. Der Ort San Luca in Kalabrien galt im August/September sogar ganz offiziell als Wallfahrtsort de Mafiosi, der Ndrangheta… Das duldsame Verhalten der katholischen Priester gegenüber der Mafia hat sich allmählich zugunsten einer kritischen Distanz verändert.

Papst Franziskus hat am 13.November 2015 in einem Vortrag in Rom für die Mitglieder der Guardini-Stiftung deutlich erklärt: Es käme im Falle eines schweren Vergehens, eines Verbrechens, wie der Ermordung des zwar gewaltätigen Gatten durch dessen Ehe-Frau, einzig auf die Reue an:

Dabei bezieht sich der Papst – von Guardini angeregt – iauf einen Text von Dostojewski: „Der Starez (der russische Mönch) sieht, dass die Frau in ihrem verzweifelten Schuldbewusstsein ganz in sich verschlossen ist und dass jede Reflexion, jeder Trost, jeder Rat wie an einer Mauer abgleiten würde. Die Frau ist überzeugt, verworfen zu sein.
Der Priester (Mönch) zeigt ihr aber einen Ausweg: Ihr Dasein hat einen Sinn, weil Gott sie annimmt im Moment der Reue. „Fürchte nichts, und fürchte dich niemals“, sagt der Starez. „Wenn nur die Reue in dir nicht verarmt, wird Gott dir alles verzeihen. (…) Kann doch der Mensch nie und nimmer eine so große Sünde begehen, dass sie die endlose Liebe Gottes ganz erschöpfte“. In der Beichte wird diese Frau verwandelt und erhält wieder Hoffnung“. Dem stimmt der Papst also ganz offen zu!

Das heißt: Selbst im Falle von Mord genügt allein die Beichte und die sprachlich geleistete Reue, der dann die Lossprechung von der Todsünde durch den Priester folgt. Der Mörder wird vom Priester nicht den staatlichen Justizbehörden übergeben. Dies kann und darf der Priester ja auch gar nicht aufgrund des absolut geltenden Beichtgeheimnisses. Selbst wenn der Priester keine Absolution erteilt, darf er den Täter nicht den Justiz-Behörden melden.
(zu der Ansprache von Papst Franziskus: https://w2.vatican.va/content/francesco/de/speeches/2015/november/documents/papa-francesco_20151113_romano-guardini-stiftung.html)

Aber noch eine weitere religiöse Praxis kann die Korruption fördern: Es ist der typisch katholische Umgang mit „Ausnahmen“ für einzelne, die Liebe zu dem „Besonderen“ für besondere Menschen: Für sie werden Kirchengesetzte hin und her gedehnt. Die Hierarchie gewährt – wie einst die absolutistischen Herrscher in Frankreich – Ausnahmen, auch Ausnahmen in der Bindung an (gerechte) Gesetze. Man denke auch an die übliche Möglichkeit der Eheannullierungen (katholische „Ehescheidung“) für Katholiken, bei denen die Priester ganz offen dem einen Partner sagten: „Diese Ehescheidung, Annullierung genannt, kriegen wir schon hin: Da soll die Braut doch zum Beispiel nur – den Fakten zwar widersprechend – behaupten, ihr Gatte hätte ein Kind für diese Ehe ausgeschlossen, und schon ist die sakramental geschlossene Ehe aufgehoben, annulliert…“ Wie oft habe ich das selbst gehört… Und der „vermittelnde, liberale“ Priester wurde bei Erfolg der Annullierung selbstverständlich reichlich beschenkt und dann zur 2. Hochzeit eingeladen…Also, es ist dieser laxe Umgang mit eigenen Gesetzen und Geboten, die förmlich die Lust gefördert hat, auch noch sehr viel wichtigere (gerechte) Gesetze guten Gewissens zu übertreten…

Es gab und gibt ein Dulden seitens der Hierarchie von Vergehen und Verbrechen des Klerus, etwa beim sexuellen Missbrauch, wenn denn dieses Dulden und Wegsehen dem guten, selbstverständlich nur äußerlich „guten Ruf“ der Kirche als Institution förderlich war und ist. Diese Zusammenhänge wurden jetzt allerorten freigelegt in der Verfolgung des sexuellen Missbrauchs durch Priester oder des sexuellen Missbrauchs von Ordensfrauen durch katholische Priester etwa in Afrika und Indien usw. Korrupt ist das Nicht-Freilegen von Untaten, um die eigene Institution (und damit immer auch die Spendenbereitschaft für diese Institution!) zu schützen. Und dieses korrupte System bestand weltweit viele Jahre. Es wurde erst seit 2010 langsam freigelegt.

Noch immer ist der Ablass eine Selbstverständlichkeit. Natürlich hat er nicht mehr die krassen Dimensionen („für viele Geldspenden in den Himmel) wie zur Zeit Martin Luthers. Aber der Gedanke ist vorherrschend: Der Priester kann es möglich machen, dass ich mit gutem Willen – und einer Spende für die Kirche – meinen Aufenthalt in der Vorhölle verkürze. Die Vorstellung, auch mit Gott in einer Art Handel eintreten zu können, ihn „zu kaufen“, ist eine Variante der katholischen Korruption, passend in diese Zeiten des Kapitalismus. Der Theologe Norbert Reck hat in der Zeitschrift CONCILIUM (2014) über eine ähnliche religiöse Praxis berichtet: „Theologinnen und Theologen lächeln meist milde über die Menschen, die (beim Priester) „Messen bestellen”, um etwas dafür zu tun, dass verstorbene Angehörige in den Himmel kommen. Sie lächeln über Menschen, die täglich Kerzen in den Kirchen anzünden,, um Gott oder die Heiligen auf ihre Probleme aufmerksam zu machen usw. Diese Verhaltensweisen haben ja in der Tat etwas rührend Frommes. Doch das Lächeln darüber belässt die Menschen in einer Untertanenreligion, in einer Einübung in die alltägliche Korruption, gegen die in der Bibel auf vielen Seiten protestiert wird.“

Eine Kirche ohne Korruption – wird es sie geben? Wahrscheinlich nicht, weil in der Kirche wie überall Menschen tätig sind, die zuerst an den eigenen finanziellen Vorteil denken und spirituelle Bindungen, religiöse Versprechen oder sogar Gelübde nur nach außen hin „zelebrieren“, um aufzufallen und Karriere zu machen. Und wenn dann Kritiker dieses scheinheiligen Systems auftreten, und seien es Heilige, wie Franziskus von Assisi oder wie Jan Hus, werden sie vom herrschenden System bedroht, wenn nicht „ausgeschaltet“.

Wer die Korruption pflegt und lebt, hat immer etwas „Mörderisches“, im Sinne. Darunter leiden die vielen Journalisten, die, etwa in Mexiko, als investigative Journalisten ermordet wurden, weil sie die Korruption auch innerhalb der Polizei freilegten. Und auch an die wenigen Priester und Nonnen muss erinnert werden, die etwa in Brasilien ihr Leben lassen mussten, weil sie die nach außen hin katholischen, aber zutiefst korrupten Großgrundbesitzer anklagten in ihrer Gier nach Land und Wald. Während diese mutigen Katholiken von Killern der Großgrundbesitzer bedrängt, beleidigt und oft erschossen wurden, reichte der Kardinal von Rio de Janeiro, Dom Orani Tempesta, dem rechtsextremen Präsidentschaftskandidaten Bolsonaro unterstützend und freundschaftlich verbunden die Hand…Dieser Kardinal wurde nun (2019) beschuldigt, in Korruptionsaffären katholischer Krankenhäuser verwickelt zu sein (https://www.domradio.de/themen/weltkirche/2019-02-27/katholische-krankenhaeuser-schmiergeldaffaere-verstrickt-erzbistum-rio-weist-korruptionsvorwuerfe) ….

Unser Thema – eine endlose Geschichte! Zweifellos ist die Erkenntnis: Korruption ist eine feste, kaum zu überwindende Struktur der Kirche. Weil die Lehre, die Dogmatik, die Moral wie auch die spirituelle Mentalität der Kirche Korruption nicht verhindert, sondern oft – zumindest indirekt – fördert. Die Kirche, das heißt der an der Macht sitzende Klerus, der sich seiner Privilegien erfreut, hat sich entschieden, Teil der kapitalistischen Welt – UN-Ordnung zu sein und zu bleiben und deswegen alle Spielchen des Kapitalismus mitzumachen, um die eigene äußere Macht zu bewahren.
Dabei hat die spirituelle Bedeutung des katholischen, des offiziellen Glaubens selbst bei Katholiken – zumindest in Europa und Amerika – längst rapide abgenommen.
Mit ihrer Einbindung in den Kapitalissmus und damit in die „Unkultur“/das Verbrechen der Korruption hält also die Kirche heute mindestens in Europa und Amerika nur ein äußeres, allmählich wackliges Gerüst am Überleben.

„Der Katholizismus und der Geist der Korruption“ bleibt ein dringendes Thema, um die Religionen in der heutigen Welt zu verstehen. Von verändern… sprechen nur noch Optimisten.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Warum Dorfkirchen in der Mark Brandenburg so wichtig sind bzw. sein könnten: Als Erinnerung an Theodor Fontane

Hinweise und Vorschläge von Christian Modehn. Anlässlich des 200. Geburtstages von Theodor Fontane. Aber braucht Fontane “runde Gedenktage”, damit wir uns seiner erinnern?

Im Sommer 2020 wird es – trotz Corona – möglich sein, sich wieder in den Dörfern der Mark Brandenburg zu erholen und dabei wieder auch Dorfkirchen zu besuchen, zur Besichtigung, zur Meditation, zur Stille und Einkehr, vielleicht auch zum Gottesdienst.

Der „Förderkreis Alte Kirchen Berlin-Brandenburg e.V“ besteht nun schon 30 Jahre und hat wieder, wie in jedem Jahr, eine umfangreiche, empfehlenswerte Broschüre von 84 Seiten (zum Pries von nur 4,50 Euro) vorgelegt. www.altekirchen.de

Mein Beitrag über Dorfkirchen in Brandenburg, mit dem Vorschlag, wie sie „bespielt“ werden könnten, wurde im Gedenken an Theodor Fontane verfasst.

Dieser Artikel wurde leicht gekürzt in dem genannten Heft 2020 veröffentlicht.

1.
Was wäre die Mark Brandenburg ohne ihren „märkischen Wanderer“, ohne Theodor Fontane? Er hat den Menschen dort mehr Selbstbewusstsein, vielleicht sogar Stolz, geschenkt. Die Mark Brandenburg ist für Fontane keine “öde Gegend”, “am Rande der Kultur”. Ihre Dörfer und Städtchen sind zwar nicht von „überwältigender Schönheit und Pracht“, wie Fontane etwa in Erinnerung an Italien und Rom bemerkte. Aber es ist die Stille, die Schönheit der Natur, die Schlichtheit, die Bescheidenheit des Lebens, der Erinnerungen an die Kultur einst, es ist „diese Landschaft!“, die Fontane so mochte. “Die einfachen Leute” dort: Die schätzte er besonders. So dass er – der Sohn von Hugenotten – sagen konnte: Diese auf den ersten Blick eher kulturell anspruchlose Mark Brandenburg ist auch “meine Heimat”, so sehr er an Berlin auch gebunden blieb. Wenn sich heute die (auch „zugereisten“ ) Berliner für die Mark begeistern und sich dort (zeitweise) niederlassen und alte Dörfer „beleben“, dann wirkt da vielleicht etwas „unterschwellig“ die Hochschätzung Fontanes für diese Region weiter. Ohne Fontane also keine „lebens- und liebenswerte Mark Brandenburg”. Diese schöne, lebenswerte Mark Brandenburg will kein Demokrat den Rechtsextremen überlassen. Die Mark Brandenburg muss demokratisch bleiben bzw. immer mehr werden.

2.
In seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“, begonnen 1859, in Büchern publiziert von 1862 bis 1889, stehen, neben den Schlössern und „Herrenhäusern“, den Seen und den Klosterruinen, die noch erhaltenen Kirchen im Mittelpunkt vieler Berichte. Und ihre Pastoren sind oft die besten Kenner der Geschichte ihrer Gegend. Davon hat “der Wanderer” sehr profitiert. Das alte Dorf – Pfarrhaus mit dem oft gebildeten Pastor hat Fontane noch erlebt, auch wenn er – etwa im „Stechlin“ – genau weiß, dass es mehr konservative und leider nur einige mutige, vorwärts denkende Pastoren gibt: Nur sie lösen sich langsam aus der Bindung der Kirche an die wilhelminische Monarchie, die ja tatsächlich eine Abhängigkeit er Kirche vom konservativ – national bestimmten Staat war. Eine Bindung der Kirche, die über das Ende der Monarchie bis in die Weimarer Republik unerfreulich weiter dominierte!
Man denke also vor allem an die sympathische Gestalt des Pastor Lorenzen im “Stechlin”, der schon Ende des 19. Jahrhunderts mit sozialen, „linken“ Ideen sympathisierte. Er zweifelte an der Gültigkeit der Maxime der Konservativen: „Was einmal galt, soll immer gelten“…Eine neue Zeit bricht an. Ich glaube, eine bessere und glücklichere“, so Pastor Lorenzen im Roman „Der Stechlin“. Der selbst eher dem Konservativen zuneigende Fontane war im Alter eben doch so liberal gesinnt, dass er voller Sympathie diesen Pastor förmlich zu einer der Hauptpersonen im Roman „Der Stechlin“ machte…

3.
Unter den vielen Themen, die in dem so langen „Fontane-Jahr 2019“ dokumentiert und debattiert wurden, finde ich die Frage wichtig: „Welche Bedeutung haben die Kirchen auf den Dörfern der Mark Brandenburg, für Fontane damals, und vor allem auch für die Gegenwart und Zukunft“ ? Ist diese wichtige Frage angemessen debattiert worden?
Über „Fontanes Umgang mit alten Kirchen“ hat Prof. Hubertus Fischer, Ehrenpräsident der Theodor Fontane Gesellschaft, einen einführenden Aufsatz verfasst in dem schönen Jahresheft „Offene Kirchen 2019“ (https://www.altekirchen.de/offene-kirchen/broschuere/2019-2/zwischen-barbarei-und-apathie)
Hubertus Fischer zitiert Fontane: “Nur unsere Dorfkirchen stellen sich uns vielfach als Träger unserer ganzen Geschichte dar und die Berührung untereinander zur Erscheinung bringend, besitzen sie und äußern sie den Zauber historischer Kontinuität“ (S.5). Der Autor weist darauf hin, wie sehr Fontane sich kritisch auseinandersetzte mit den Architekten, die damals alte Dorfkirchen einfach abrissen und neue „Basilika-Kirchen“ bauten. „Sie haben mit der (langen) Vergangenheit gebrochen… sie sind eine Schale ohne Kern“. Fontane denkt dabei an die „Basilika-Kirchen“ in Petzow, Bornstedt, Sakrow, Caputh, Werder usw.. “die das Havelufer auf Geheiß und nach den Ideen Friedrich Wilhelm IV. umstellten“. Der Eindruck des Mittelalterlichen, des Erhabenen, sollte dadurch geweckt werden. Kirchenarchitektur also als Beispiel für Herrschaftsideologien. Dieser Friedrich Wilhelm IV. hat auch das Kreuz auf das Stadtschloss setzen lassen, was heute für das Humboldt – Forum leider wieder geschehen ist. Ein anderes Thema…
Der aus der reformierten, also eher „bilderfeindlichen“ Tradition des Protestantismus stammende Fontane kann es gar nicht verstehen, wie denn aus einem gewissen anti-katholischen Geist bestimmte Objekte und Gemälde aus den alten, einst ja katholischen Kirchen, entfernt werden. „Ein von Borniertheit eingegebener Antikatholizismus ist mir immer etwas ganz besonders Schreckliches gewesen“ (S. 6). Hubertus Fischer erinnert an den Unterschied zwischen einfachen Dorfkirchen und den oft gepflegten und „sehenswerten“ Patronatskirchen: Diese sind Kirchen, die unter der Obhut eines Landesherren oder der Grundherren stehen. Die Dorfkirchen sind eher von schlichtester Ausstattung, gekennzeichnet „durch eine Abwesenheit alles Malerischen und Historischen“. In Schmöckwitz (in Berlin, Stadtteil Köpenick) erlebte Fontane z.B. „einen tristen Bau“. Obwohl Fontane zurecht weiß: Selbst triviale Dorfkirchen können „noch das Rührendste und Schönste verbergen“. In Schmöckwitz fiel dem Wanderer durch die Mark Brandenburg ein „verstaubter Altar unter den Kanzel“ auf. „Was hier so niederdrückend wirkte, war die melancholische Abwesenheit alles Freien und Selbständigen; die Armut kann poetisch sein, die Armseligkeit nie“.

4.
Nach der Wende wurde erst allgemein bewusst und bekannt, in welchem miserablen baulichen Zustand hunderte von Dorfkirchen in der Mark Brandenburg sich befinden. Dem „Förderkreis Alte Kirchen Berlin-Brandenburg e.V.“ ist es seit vielen Jahren schon gelungen, Kirchen vor dem Verfall zu bewahren, sie zu renovieren, die Kunstwerke dort zu retten. Auch in den Dörfern selbst haben Initiativen der Bürger, auch der “religiös Nichtgebundenen”, dafür gesorgt, “ihre Kirchengebäude”, oft die einzigen Zeugen für eine Kultur, die “von weit her” kommt und eigentlich so gar nicht in einen oberflächlichen Alltag passt, vor dem Verfall zu bewahren. So entstanden in renovierten und “umgewandelten“ Kirchen Orte der Begegnung, der Kultur.
Aber: In vielen Dörfern nimmt die Anzahl der Einwohner ständig ab: Wer kümmert sich dann noch um die mit viel Mühe und viel Geld renovierten, umgewandelten Dorfkirchen? Wer will sie oft nutzen? Wo sollen die TeilnehmerInnen möglicher Veranstaltungen herkommen?
Natürlich gibt es viele Beispiele für Kirchengebäude, die kreativ genutzt werden, als „Hörspielkirche“ etwa oder als „NABU-Kirche oder als Ort für Vorträge und Konferenzen. Hinsichtlich der Nutzung umgewandelter Kirchen hat die Phantasie viel Raum, wenn denn das nötige Geld vorhanden ist.
Ganz andere Probleme ergeben sich, wenn man fragt: Was wird, langfristig gesehen, aus den nun z.T. aufwendig renovierten Kirchen auf den Dörfern, die noch vorwiegend als Stätten des Gottesdienstes, der Meditation, der Segnungen von Ehepaaren, der Bestattungen usw. genutzt werden? Bernd Janowski, Geschäftsführer des Förderkreises Alte Kirchen Berlin-Brandenburg e.V.“ hat in der Broschüre „Offene Kirchen 2019“ einen Aufsatz zu dem Thema verfasst. „Das Problem besteht in der Frage, wer in zehn oder zwanzig Jahren überhaupt noch in diese Kirchen hineingeht. Bereits heute gibt es nicht wenige Dorfkirchen in den Berlin fernen Regionen, die nicht mehr oder nur äußerst sporadisch gottesdienstlich genutzt werden“ (S. 73). Die Gemeindemitglieder sind sehr oft überwiegend ältere Menschen, die in einer „Diaspora“ leben, wo nur ca.15 Prozent der Bevölkerung evangelisch sind. Die Zahl der Katholiken ist dort noch viel kleiner.
Es wäre eine ziemliche Katastrophe, wenn etwa die mühsam und kostspielig renovierten Dorfkirchen nach etlichen Jahren dem Ungenutztsein, also der Vernachlässigung und damit dem langsamen Verfall (wieder) preisgegeben werden müssten. Kann die kommunale Nutzung da weiterhelfen? Haben die (kleinen) staatlichen Kommunen Geld, Kompetenz und Konzeptionen, um diese Kirchen, oft der einzige Mittelpunkt im Dorf, weiter zu pflegen, zu “bespielen”, wie man im kulturellen Umfeld gern sagt? Müsste sich da die Kirche im Verbund mit gesellschaftlichen Gruppen nicht Neues einfallen lassen?

5.
Sicher wird man da meiner Meinung nur weiterkommen, wenn man auch theologisch Neues zu denken wagt, selbst wenn dies einigen Konservativen nicht gefällt.
Wie sieht denn die ökumenische Zusammenarbeit aus? Damit meine ich nicht, dass in den evangelischen Dorfkirchen gelegentlich katholische Messen von den wenigen durchreisenden Priestern gelesen werden. Warum ist nicht möglich, die wenigen Katholiken in den Dörfern, oft „treue Kirchgänger“, einzuladen, an den evangelischen Gottesdiensten am Sonntag teilzunehmen? Dann wäre der Kreis der Gottesdienst-Gemeinde nicht nur größer, es könnte auch ein weiterer ökumenischer Austausch stattfinden. Ökumene praktisch werden. Dass da die katholische Kirchenleitung Bedenken hat, ist klar. Aber die Gemeinden könnten sich kreativ über Bedenken und Verbote auch hinwegsetzen… um des Glaubens willen.
Wenn in den Kirchen nicht Bänke, sondern Stühle als Sitzgelegenheiten aufgestellt sind: Könnten IN den Kirchen selbst werktags, vor allem am Wochenende, (Gesprächs-) Kreise angeboten werden, mit einem kleinen Café in der Kirche selbst. Man sollte sich von dem Gedanken befreien, Kirchengebäude nur für „sakrale“ oder „hochkultuelle“ Veranstaltungen (Konzerte etc.) zu gebrauchen. Kirchengebäude sind spirituelle UND menschliche Lebensräume. Wenn es schon keine Gaststätten in vielen Dörfern mehr gibt: Wie wäre es, die Kirche umfassend selbst als “Stätte für Gäste” zu verstehen?
Warum könnte die Kirchenleitung nicht die „Provinz -“ bzw. „Dorfbegeisterten Berliner gewinnen, „ihre Dorfkirche“ sozusagen zu adoptieren: Warum könnten nicht Künstler und Musiker, Schauspieler und Politiker, sofern sie denn spirituell bewegt und kompetent sind, in „ihren“ adoptierten Dorfkirchen Veranstaltungen organisieren, vielleicht auch spirituelle Übungen, Meditationen, Yoga, Zen, Lektürekurse der Bibel und anderer Schriften? Wenn man sich allerdings auf das uralte und zweifellos überholte Modell fixiert: „Ein Pfarrer und seine Kirche“ (mit dem Gemeindekirchenrat) wird man nicht weiterkommen. Menschen und Gruppen, die ihre Dorfkirche „adoptieren“, könnten auch Verantwortung übernehmen, wenn sie selbst zumindest am Wochenende in den Dörfern wohnen und diese Kirchen offen halten.

6.
Mit anderen Worten: Nur neue Experimente, also Übertragung von Verantwortlichkeiten an „Laien“ über die Pfarrer hinaus, werden die vielen Kirchengebäude auf den Dörfern „retten“, also als lebendige Gebäude bewahren.
Aber im letzten geht es doch gar nicht um die Kirchen als Gebäude: Es geht um die Bewahrung und Weiterentwicklung der Kultur, auch der Religion, auch der Kirche, auf den Dörfern. Es geht um die Pflege und Entwicklung einer demokratischen Kultur. Auch und gerade in den Kirchen.
Diese neuen Projekte lassen sich mit dem alten, eingefahrenen, üblichen Denken wohl kaum mehr garantieren. Wenn es immer weniger Dorfpfarrer gibt: Warum könnte die Kirche nicht den neuen Beruf eines „Dorf-Moderators“ realisieren, also junge Frauen und Männer, auch Pädagogen, auch arbeitslose Philosophen etc. einladen, auf dem Dorf wohnend für die „Belebung“ der Dorf-Kirchen ihrer Umgebung zu sorgen. Sie könnten in den alten, dann renovierten Pfarrhäusern wohnen und ihre Kirchen spirituell- religiös „bespielen“, wie man so gern sagt. Und dafür natürlich honoriert werden.
Bekanntlich sind ca. 70 Prozent der Bewohner in der Mark Brandenburg kirchlich „nicht gebunden“, wie man sagt. Sind sie aber alle kämpferische Atheisten? Wohl kaum. Es sind diese kirchlich kaum wahrgenommenen Menschen, die auf eigene Art ihr Leben gestalten, suchend, fragend, wie auch immer. Oder die sich bescheiden mit dem Alltäglichen zufrieden geben, oft resigniert, oft voller Wut…
Mit diesen Menschen gilt es in den Dörfern und IN den DORFKIRCHEN Gespräche und gemeinsame Aktionen zugunsten der Menschen zu inszenieren. Dafür werden diese von mir geforderten neuen „Moderatoren der Dörfer“ gebraucht. Und sie sollen alle diese Menschen, die, oft mit dem Gefühl der Einsamkeit, des Vergessenseins, des Verlorenseins, am Rande der Kirche stehen, einladen: IN diese Kirchen zu kommen als ihre Orte, in dem sie Gemeinschaft finden, sich wohlfühlen, sich bejaht wissen. Ob getauft oder nicht, ist dabei völlig egal. Es gilt allein die „jesuanische Großzügigkeit“. Selbstverständlich sind dann auch Atheisten willkommen, auf der Suche nach Gesprächen, die vernünftig gestaltet werden, also ohne Dogmatismus auf beiden Seiten.
. Nur wenn die Kirche über ihren Schatten springt, den Schatten der Dogmen und des permanenten (finanziellen) Machterhalts, wird sie mit weniger Schatten und weniger Angst den Weg in eine neue Zukunft finden … zugunsten der Menschen auf den Dörfern.

7.
Vielleicht sind also die Dorfkirchen, diese neuen Orte der geistvollen Kreativität, der Ausgangspunkt für eine Kirchenreform…Dies ist natürlich angesichts der real existierenden Kirchen-Behörden eine Utopie. Aber können wir ohne Utopien leben?
Es ist ermutigend, dass sich Anfang 2020 der evangelische Landesbischof Ralf Meister (Hannover) und der katholische Bischof von Hildesheim, Heiner Wilmer, gemeinsam ausdrücklich für ökumenische Gemeinden zumal in der „Diaspora“, in den Dörfern, ausgesprochen habe. Dieser Vorschlag verdient weite Beachtung und sollte nicht gleich wegen eines offiziell katholischen Widerstandes konservativer Bischöfe ad acta gelegt werden.

8.
Nebenbei gesagt: Theodor Fontane war stets ein kritischer spiritueller Mensch: „Ich persönlich kenne keinen Menschen, habe auch nie einen kennen gelernt, der den Eindruck eines Vollgläubigen auf mich gemacht hätte“. (Maximilian Harden über Theodor Fontane 1898, in : Deutsche Abschiede, München 1984, S. 247.) Theodor Fontane, der sich als religiösen Skeptiker sah, der gar nicht dogmatisch, im Sinne der Kirchenführung, dachte, wäre sicher ein Gast in den nun lebendigen Dorfkirchen der Mark Brandenburg, den Orten der offenen Spiritualität und Begegnung für “Wanderer” von weit und breit…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Der “Dreifaltige”, der schwierige Gott der meisten Christen: Über die Last mit dem “Trinitäts-Dogma” aus dem 5. Jahrhundert.

Ein Hinweis von Christian Modehn

Für die meisten Christen ist das Bekenntnis zur Trinität, zur „Dreifaltigkeit Gottes“, einerseits irgendwie selbstverständlich, weil sie sich in den meisten Gottesdiensten, den katholischen Messen und den orthodoxen Liturgien zumal, immer zur Trinität bekennen: Sie bekennen sich zu dem einen Gott in „drei Personen“, wie die christliche Dogmatik lehrt: Also zu Gott „dem Vater, dem Allmächtigen…“, dann zu Jesus Christus , „aus dem Vater geboren vor aller Zeit, gezeugt nicht geschaffen…“und schließlich zum heiligen Geist, der aus dem Vater und dem Sohn hervorgeht…“. Die Orthodoxen wissen vom heiligen Geist hingegen noch etwas anderes, nämlich dass er NUR aus dem Vater hervorgeht. Eine tatsächlich wichtige „innergöttliche“ Nuance, die bei der Spaltung in westliche und östliche Christenheit im Jahr 1054 eine Rolle spielte. Ist damit eine Unterordnung des Logos, des Sohnes, unter den Vater gemeint? Ich erinnere mich in dem Zusammenhang an eine Szene eine Luis Bunuels wunderbarem Film “Die Milchstraße”: Als Kellner in einem französischen Luxus-Restaurant beim Einrichten der Tische genau diese Frage debattieren. Dann stören arme Pilger diese trinitarische Debatte und bitten um Brot. Von den trinitarisch debattierenden Kellnern werden sie abgewiesen…

Die beiden folgenden Hinweise beziehen sich im ersten Beitrag auf die klassischen trinitarischen Formeln und Begriffe. Und diese Reflexionen führen weiter, um in einem bisher unterbliebenen Weiterdenken zu einer überraschenden Erkenntnis zu kommen: Dass nämlich in gewisser Weise nach der Auferstehung und “Himmelfahrt” des Logos, also des Gott- Menschen Jesus Christus, eben auch der Mensch in die Trinität gehört. Der Mensch Teil des innergöttlichen Lebens? Das ist das beachtlich und in gewisser Weise neu. Dass diese Erkenntnis spekulativen Charakter hat, ist klar.

Dass nicht auch noch der sehr interessanten Frage nachgegangen wird, was denn in der Trinität sozusagen lebendig war zu dem Zeitpunkt, als der Logos den Himmel verließ und zu “Weihnachten” Mensch wurde, ist für spekulativ Interessierte eine bleibende Aufgabe, die für orthodox Glaubende selbstverständlich blasphemischen Charakter hat. Aber diese genannten Themen zeigen für mich bereits etwas von dem Wahn, wenn Menschen viel zu viel von Gott wissen wollten und auch heute in den Kirchen immer noch wollen und dieses inntertrinitarische Leben behaupten. Es geht also bei dem Thema auch um die Grenzen der Erkenntnis des Menschen.

Der zweite Beitrag (weiter unten) ist nicht weniger interessant und brisant: Er will die Perspektive eröffnen: Wie sich der EIN-Gott-Glaube der Christen und die Monarchie-Herrschaft des EINEN Kaisers in Rom (seit Konstantin, 4. Jh.) einander unterstützten und einander ideologisch “brauchten”. Dabei wird die dominierende Rolle der Kaiser bei der Formulierung der katholischen Dogmen noch gar nicht berücksichtigt, sie ist ein genau so interessantes Thema, das der Abhängigkeit der offiziellen Glaubenslehre von den Herrschern. Heute würde man solche Theorien Ideologien nennen.

In dem hier vorliegenden Beirag wird auch auf den großen katholischen Theologen Edward Schillebeeck (gest. 2009) verwiesen, der freimütig erklärte, dass er sich als Theologe wie ein Agnostiker zur offiziellen Trinitätslehre verhält.
Und zum Schluss empfehle ich nachdenklichen, kritischen, christlich interessierten LeserInnen das Glaubensbekenntnis der protestantischen Remonstranten Kirche in Holland zu lesen, ein Glaubensbekenntnis, das ohne die schwere und unverständliche Last der Trinitäts-Lehre aus dem 5. Jahrhundert auskommt.

1.
Mensch in Gott: Eine neue Perspektive zur Trinität

Die Dreifaltigkeit, Trinität, will das eigentlich Unmögliche über Gott aussagen: Der Gott der Christen ist aufgrund der Erfahrungen mit Jesus von Nazareth als dem Christus (also dem Logos, dem „Sohn“ „im Himmel“, in Gott) eins, einer, ein einziger, und auch in gewisser ein Gott, auf den die Zahl „drei“ zutrifft. Der alte Theologe Tertullian aus Karthago (155 bis 220) fasste diese „Unmöglichkeit“ in die Formel: „Tres personae, una substantia“, also drei Personen und ein gemeinsames Wesen, das ist Gott. Wobei klar ist, dass „Person“ nur sehr analog zu verwenden ist im Blick auf das, was wir unter Menschen Personen nennen.
Ich will in einem ersten Teil auf ein spannendes Thema aufmerksam machen:
Es ist im Johannes Evangelium klar: Dieser Jesus von Nazareth als Christus ist der LOGOS, also die zweite Person aus der Trinität, um es mal etwas plastisch und sehr bildhaft zu sagen. Dieser Logos aus der Trinität lebte in der Welt zu einem bestimmten Zeitpunkt. Dieser Jesus ist also der himmlische, göttliche LOGOS: So „entsteht“ dann er, Christus, als eine Einheit von Gott (Logos-Aspekt, wenn man so will) und von Mensch (Jesus von Nazareth, geboren zu einer bestimmten Zeit, an enem bestimmten etc. als ganzer Mensch, Mann usw.)

Diese Person, LOGOS und Mensch als Einheit, stirbt am Kreuz und erlebt eine Auferstehung und dann eine Himmelfahrt. Ich verwende jetzt die klassischen und populären Begriffe, die ja bekanntlich auch den Erzählungen der Evangelien und der Apostelgeschichte entnommen sind.
Was bisher meines Erachtens nicht gesehen wurde in dem Zusammenhang:
Wenn wirklich der gekreuzigte und auferstandene Jesus Christus in den Himmel „auffährt“, also in gewisser Weise in die Trinität zurückkehrt: Dann ist von nun an, wenn man das zeitlich verstehen will, denn der Tod Jesu Christi fand ja noch in der historischen Zeit „unter Pontius Pilatus“ statt: Dann ist nun innerhalb der Trinität, also im Innern des Wesens Gottes, auch das Menschliche, repräsentiert durch den ganzen Menschen Jesus von Nazareth präsent. Denn bekanntlich wird immer wieder betont: Dass der Auferstandene Jesus eine Leiblichkeit hatte, eine verwandelte, auferstandene Leiblichkeit. Aber eben eine Leiblichkeit. Und diese ist nun als menschliche IN Gott.
Diese theologische – spekulative Erkenntnis verändert das Gottesbild: In Gott selbst ist der Mensch, das Menschliche, das Irdische, enthalten, bewahrt, gegenwärtig.
Bisher erkannten Theologen und Religionsphilosophen (wie Hegel): Gott ist in der Welt. Gott ist in seiner Schöpfung anwesend, und zwar in der „Gestalt“ des Geistes: Alle Menschen haben Anteil am göttlichen Geist. Denn es ist eher undenkbar, dass Gott eine Welt schafft, die dann als eigenständige aber doch total außerhalb des Göttlichen sich entwickelt, wie eine Art Gegen-Gott.
Also: Gott in Welt ist eine alte und vertraute Erkenntnis.
Aber nun auch. Mensch IN Gott. Das sprengt den (üblichen?) Gottesbegriff, stiftet eine Ergänzung zu Gott in Welt, zeigt also eine enge wechselseitige Verbundenheit und Einssein von Gott und Welt/Menschen.
Die weitere Frage ist natürlich: Wenn durch Jesus Christus als dem auferstandenen Menschen eben der Mensch in Gott ist, dann ist alles Menschliche in Gott: Das heißt: Alle Menschen als „Auferstandene“ sind dann in Gott. Vielleicht ist dies der wahre Kern eines christlichen Verstehens von „Erlösung“. Freilich für die, die an der Idee Gottes festhalten wollen und den Begriff Erlösung auch mit dem Tod und der Frage „Was kommt nach dem Tod“ verbinden wollen.
Dass diese Thesen hier natürlich sehr spekulativ sind und von den üblichen, aber orthodoxen Bildern der Dreifaltigkeit ausgehen, ist klar. Man kann zurecht sagen: Es gibt in der heutigen Welt Dringenderes. Aber die Erkenntnis, dass der Mensch IN Gott ist, dort lebt kann spirituelle Menschen bewegen.
Und vor allem: das wurde hier noch gar nicht entwickelt: Hat denn Gott als ewige Trinität mit der Menschwerdung des Logos aus der trinität selbst eine Geschichte? Verändert sich Gott in sich selbst? Ist die Menschwerdung des Logos und damit zusammenhängend das Menschliche IN Gott eine Veränderung Gottes? Das kann nur jene Theologen stören, die immer noch an das antike Bild Gottes als eines unbeweglichen (!) Bewegers glauben. Nicht aber einen Gott denken können, der selbst Geschichte hat, also irgendwie auch zur Zeit gehört. Das passt ja gut, denn mit der Aufnahme des Menschen (Jesus Christus) IN die Trinität kommt ja auch die Zeit ins Göttliche.

2.
In einem zweiten Teil will ich auf einen anderen Aspekt der Trinitätslehre aufmerksam machen, einen politischen Aspekt:

Dieses offizielle „Nizäno-Konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis“ ist selbstverständlich viel ausführlicher. Es stammt aus dem Jahr 451 (!), und die schon hier nur kurz zitierten Worte und Begriffe hinterlassen bei neu-platonisch nicht Vorgebildeten einen gewissen mysteriösen Eindruck des Unverständlichen. Da sollen also religiöse Menschen weltweit heute, im 21. Jahrhundert, ihren Glauben mit Worten aus dem zu Ende gehenden „Altertum“ nachsprechen. Und sie werden nur dann etwas verstehen, wenn sie stundenlang vorher sich in die antike philosophische Begriffswelt eingearbeitet haben. Das Beharren auf dieser Formulierung und diesen Formeln seitens der Kirchenleitungen, des Papstes usw. für die heutigen Menschen ist schon – vornehm gesagt – eine beträchtliche Herausforderung. Andere nennen es dogmatische Sturheit und Verblendung, in diesen Worten zur Trinität universal für die ganze Welt festzuhalten. Soll so der Glaube als verstehender Glaube gefördert werden?

Ich habe als Journalist, der sich mit Themen der Kirchen befasste, immer wieder erlebt, dass selbst Christen, die regelmäßig die Gottesdienste/Messen besuchen, eigentlich mit der „Trinität“ nicht viel anzufangen wissen, diese eigentlich nicht verstehen und deswegen auch anderen nicht erklären können. Ich kann mich an peinliche Situationen erinnern, in denen muslimische Gläubige die Katholiken fragten, ob sie denn 3 Götter verehren und manche eher verlegen und sprachlos zustimmten. „Warum nicht?“, sagte einer. Der Polytheismus ist ja ohnehin unterschwellig im Katholizismus anwesend durch die sehr oft total übertriebene Verehrung Marias, der Mutter Jesu von Nazareth. Sie wurde gar zur Gottes-Mutter erklärt und ist im Himmel thronend die wirksame Hilfe, Gnadenhilfe, de Frommen. Wenn da nicht der Weg zur weiblichen Gottheit eröffnet wurde, aber das ist ein anderes Thema.

Die Verteidigung der klassischen Trinitätslehre aus dem 4./5. Jahrhundert ist also üblich geworden bis heute…

Da trifft es sich aber gut, dass ein prominenter, international geschätzter katholischer Theologieprofessor sich freimütig zu Schwierigkeiten mit der Trinität bekannte: Edward Schillebeexk (1912 – 2009) von der Universität in Nijmegen. In dem Buch „Edward Schillebeeckx im Gespräch“ mit Francesco Strazzari“ (Luzern 1994) sagt er: „Ich bin im Hinblick auf eine Trinitäts – Theologie fast ein Agnostiker“. Dieser Satz ist sehr bemerkenswert. Schillebeeckx fährt er fort: „Ich bekenne die Trinität, aber ich übe gleichzeitig eine gewisse Zurückhaltung gegenüber Anstrengungen, die Beziehungen zwischen den drei (göttlichen) Personen rational zu erfassen“ (S. 107). Vorher hatte Schillebeeckx schon gesagt: Die Spekulationen über die Trinität „geben nichts her für meine Spiritualität. Man spekuliert zuviel über die Trinität.“ (Seite 105). Dann fährt er fort: “Gott ist dreifaltig, (das ist Dogma!). Aber er ist nicht drei Personen. Das wäre Tri-Theismus (drei Götterglaube). Aus Scheu habe ich zu dem Thema nichts publiziert“ (Seite 106).

Ein anderer prominenter Theologe des Dominikaner Ordens, der ebenfalls international sehr beachtete Yves Congar (1904 – 1995), hat u.a. eine erhellende kleine Studie über den Zusammenhang von Politik und dem Entstehen des christlichen Monotheismus (Trinität) verfasst, und zwar in der internationalen theologischen Zeitchrift CONCIILUM, im Jahr 1981, Seite 195 ff.
Für Congar gibt es einen engen Zusammenhang der Verteidigung der einen und einzigen Herrschaft des Monarchen seit Kaiser Konstantin und der Entwicklung des christlichen Monotheismus, der dann zur Trinität führt. Sagen wir mal salopp als einer Variante des allgemeinen (jüdischen, später muslimischen) Monotheismus. Congar belegt seine leider viel zu knappe Studie, gelehrt wie er war, mit zahlreichen Quellen der so genannten Kirchenväter, also der Theologen vom 1. bis 6. Jahrhundert.

Die These ist also: Weil es zu Zeiten Kaiser Konstantins den Glauben der Christen an den einen Gott gab, der bereits wie ein Monarch verehrt wurde, konnte -bei dieser selbstverständlichen Mentalität- Konstantin auch “auf Erden“ durchsetzen, dass es nur einen Monarchen politisch geben sollte. Congar erinnert an den Kirchenvater Eusebius und schreibt: „Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Monotheismus der Christen und der Reichseinheit unter der Monarchie Konstantins“, (S. 196).
Dabei ist es interessant zu beobachten, dass etliche Kirchenväter unter dem „einen und einzigen“ Gott ganz den Gott Vater verstanden. „Er ist der eine und einzige Pantokrator, er allein ist Gott aus eigener Kraft“ (196).Und: „Er herrscht nach Art des persischen Großkönigs, der in seinem Palast verborgen bleibt“, schreibt Congar unter Bezug auf Eusebius (ebd.)

Bei diesem Verständnis der Trinität konnte Christus als Wesen des Himmels, also seines Seins beim Gott – Vater verstanden werden: Christus ist der Logos, in Abhängigkeit von Gott Vater, „so wie der Fluss von seiner verborgenen Quelle abhängt“ (196).

Diese Spekulationen über das innergöttliche Leben haben also willkommene politische Auswirkungen: In Nachahmung des Logos, also des Christus, der als spiritueller „König“ auf Erden lebte, reproduziert nun „der christliche Kaiser auf Erden das Bild des Gottes als Vater“.
Das heißt: So wie Christus in seinem Leben auf Erden auf den Gott als Vater verwies, so verweist der Kaiser als treuer Nachfolger Christi ebenso, wie Jesus Christus selbst einst, auf den Gott Vater. Der Kaiser rückt dadurch in die göttliche Sphäre der Trinität ein. Es ist der göttliche Kaiser, den es zu verehren gilt, und der sich auch anmaßt, innertheologische Fragen, etwa auf Synoden und Konzilien, zu beeinflussen und zu entscheiden.
Diese Form der politischen Theologie geht noch weiter: Weil Christus auf Erden und dann sowieso als Logos im Himmel eben nur ein einziger ist, so kann es auch nur einen Kaiser, als Nachfolger und „Reproduzent“ Christi, geben.

Mit anderen Worten: Diese verquere Spekulation hat den Sinn, den Kaiser als den einzigen Herrscher zu etablieren. Denn er verweist als Christus-Nachfolger wie Christus selbst auf den einen Gott. Die politische Monarchie und himmlische Monarchie des einen Gottes kommen also in bestes Einvernehmen, sie verhalten sich zueinander harmonisch.

Professor Congar ist sich bewusst, dass diese Hinweise den Charakter von Theorien haben, er ist noch zu vorsichtig, um nicht von Ideologien zu sprechen.

An diesem kurzen Beispiel kann man sehen, wie die Lehre von Trinität förmlich auch politisch „gebraucht wurde“ , um Herrschaft durchzusetzen. Und es wäre eine weitere Frage, wie sich das Bedingungsverhältnis mit dem monarchischen, monotheistischen Gottes sowie dem Logos (beide verbindet der Geist) und dem politischen Monarchismus gegenseitig bedingt und gegenseitig entwickelt haben. Von göttlicher Monarchie spricht noch der Kirchenvater Basilius im Jahr 375, und er verwendet für das Verhältnis des Vaters zum Sohn das Bild des Spiegels, darin „sieht man (jedoch) nur eine einzige Gestalt, die sich in der Gottheit, die keinen Unterschied (zwischen Gott Vater und Gott Sohn) kennt, wie in einem Spiegel widerspiegelt“. Verstehe das innertrinitarische Sich-Bespiegeln wer kann und will und wer genügend Lebenszeit zum qualvollen Verstehen zur Verfügung hat.

Mit diesen Themen also schlugen sich Theologen Jahrhunderte lang herum. Und das gilt prinzipiell bis heute! Anstatt die Menschen friedlicher zu machen, haben sie sich mit “Spiegelungen” innerhalb der Trinität usw. befasst und viele weniger dicke theologische Doktorarbeiten geschrieben… Darf man das Verirrung nennen?

In jedem Fall ist das Dogma der Trinität kein reiner und feiner Ausdruck einer wunderbaren Spiritualität. Das Dogma der Trinität ist auch und vor allem politisch erwünscht, selbst wenn der Kirchenlehrer Gregor von Nazianz (329 – 390) etwas „zurückrudert“ und sagt: “Die göttliche Monarchie hat in den irdischen Wirklichkeiten keine Entsprechung“ (S. 197). Ob damit die höchste Bedeutung des Kaisers sozusagen innertrinitarisch relativiert wird, wäre weiter zu fragen.

Was auffällt: Der Vater zeugt den Sohn, der wird also auch mal irgendwie “geboren”, aber nicht von einer Frau. Das passiert erst später, irdisch, mit Maria als Mutter, die unbefleckt allerdings empfängt.

Innertrinitarisch kommen trotz der Väterlichen Zeugung des logos keine Frauen vor.

Wenn schon diese offizielle Trinität ohne Frauen trotz aller Zeugung auskommt, um so mehr können auch die Priester der römischen Kirche ohne Frauen auskommen. Das Zölibats – Gesetz der Kirche entspricht bestens inner-trinitarischen Vorgängen. Die Verteidiger des Zölibatsgesetzes könnten sagen: Gäbe es denn etwas Wertvolleres?

Diese Freilegung der wechselseitigen Abhängigkeit der Trinitäts – Lehre und der kaiserlichen Monarchie ab Konstantin muss ja nicht dazu führen, die Vorstellung und den Begriff einer göttlichen „Wirklichkeit“ grundsätzlich abzulehnen. Es bleibt bei der Erfahrung und der Erkenntnis: Eine göttlich zu nennende alles gründende „Wirklichkeit“ ist nur als ein Geheimnis zu deuten, Geheimnis ist dabei nichts Spinöses, Verworrenes, nichts Mysteriöses, sondern etwas, das wir denkend berühren, aber niemals umgreifend fassen und damit niemals definieren.

Mein Vorschlag: Die Kirchen wissen in ihrer uralten Dogmatik, die sie mit sich herumschleppen und nicht abschütteln, diese Kirchen wissen also zu viel von Gott. Und sie belasten das Denken und Fühlen heutiger Christen, wenn sie immer noch diese Worte dieses Glaubensbekenntnisses vom Konzil im Jahr 450 einpauken. Lernen wir also das Geheimnis des Lebens, das auch auf ein göttliches Geheimnis verweist, kennen. Versuchen wir es, von diesem Geheimnis poetisch zu sprechen. Es könnte also durchaus von einer gründenden göttlichen Wirklichkeit die Rede sein, die man früher „Vater“ nannte. Und auch von Jesus von Nazareth, der sich von diesem Lebensgrund bestimmen ließ und heiliges Vorbild bleibt. Und auch vom Geist, der uns Menschen inspiriert, immer wieder zum Guten einlädt, zur Kunst, zur Solidarität, zum Friedenstiften.

Aber wie nun dieser Gott und dieses Vorbild Jesus von Nazareth und unser Geist, der heilige, miteinander in Beziehung stehen, ist offen. Die klassische Trinitätstheologie wird nicht wieder auferstehen.

Irgendwann wird man sich fragen, ob die pauschale Abwehr des „Unitarischen“-Glaubens einst durch die machtvollen „trinitarischen“ Kirchen und ihre Theologen richtig war und heute noch richtig ist. Wer weiß denn so viel Genaues vom Innenleben Gottes? Hegel vielleicht, aber seine Dialektik hat auch Gültigkeit ohne seine Verbundenheit mit der Trinität als göttlicher Form der Dialektik.

Lernbereitschaft ist angesagt, gerade wenn man an die hier nur angedeuteten großen Probleme mit der Trinität denkt. Warum kann nicht auch einmal neu und allgemein objektiv über den „Ketzer“, den unitarischen Theologen Fausto Sozzini reden?

Aber die Kirchen, zumal die römische und die orthodoxen, sind so erstarrt, dass sie außerstande sind, ein einmal früher formuliertes Dogma ad acta zu legen. So schleppen sie uralte Theorien mit sich herum und drängen diese den Gläubigen heute als unverständliches Bekenntnis („Steine statt Brot“, würde Jesus sagen) noch auf, obwohl so viele Theologen wissen, dass sie dies überhaupt nicht mehr tun sollten. Es ist so, wie wenn Ärzte heute Knoblauchessenzen nach Rezepten des Mittelalters als „das“ universale Heilmittel anwenden würden….

Aber katholische Theologen sind so befangen und finanziell von der Kirchenführung abhängig, dass sie lieber tausend mal das trinitarische Dogma aus dem 5., Jahrhundert hin- und herdrehen und tausendmal darüber an päpstlichen Universitäten in Rom promovieren, als einen Schlussstrich zu ziehen und Neues zu sagen.

Die religionswissenschaftliche Forschung hat längst über die Formulierungen der alten Trinitäts – Dogmen hinaus geführt – ins Freie und Lebendige neuer Gottesfragen und neuer Gotteserfahrungen.

Wenn die Kirchen Gott/Göttliches” das Ewige zurecht als bleibendes Geheimnis bekennen, können sie nicht darauf beharren, „Details“ vom inneren Leben Gottes „im Himmel“ zu wissen und zu lehren.

PS.: Mir persönlich als Theologen und Religionsphilosophen ist das Glaubensbekenntnis der niederländischen protestantischen Kirche der Remonstranten von 2006 sehr sympathisch und treffend für heutige menschliche und spirituelle Erfahrung. Es spricht vom Geist, von Jesus und von Gott, ohne dabei in die alten trinitarischen Formulierungen hinzuführen.
Klicken Sie hier.

Ein neues Glaubensbekenntnis, ein Ausdruck der Freiheit

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Max Weber: Vor 100 Jahren gestorben. Seine lebendigen Anregungen und Provokationen

Hinweise von Christian Modehn mit einer von Weber inspirierten These zur „Korruption im Katholizismus“ (Nr.6 in diesem Text)

Gedenktage sind bekanntlich Denk-Tage: So auch die Erinnerung an Max Weber, der vor 100 Jahren am 14. Juni 1920, in München gestorben ist. Geboren wurde er am 21.4.1864 in Erfurt.
Es gilt also, sich auf einige seiner zentralen Vorschläge und Erkenntnisse zu beziehen… als Inspirationen fürs eigene Denken und Verstehen unserer Zeit. Dies könnte auch ein Impuls sein, Max Weber zu lesen, Bücher von ihm und zumal auch über ihn gibt es bekanntlich in sehr großer Fülle.
Weber ist eine der bedeutenden intellektuellen Gestalten des 20. Jahrhunderts: Er ist vor allem Soziologe, hat aber auch beste Kenntnisse in der Religionswissenschaft, der Theologie, er ist in gewisser Weise auch Jurist, Ökonom, Agrarhistoriker, vor allem auch: Historiker…

1.
Max Weber war sehr interessiert, die Wirkungen religiöser Lehren und Konfessionen auf Ökonomie, Politik und Lebenshaltungen aufzuzeigen.
Viel beachtet, wie ein Meisterwerk eingeschätzt, sind immer noch seine Studien unter dem Titel „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“, 1904 erschienen, dann noch einmal überarbeitet, 1920 veröffentlicht. Weber behauptet darin NICHT: Der Protestantismus sei die maßgebliche Ursache für das Entstehen des Kapitalismus. Sondern: Protestantische Gemeinschaften (vor allem von Calvin inspirierte) haben theologische Ideen in den Mittelpunkt gestellt, von denen sich die Mitglieder dermaßen motivieren ließen, dass letztlich auch daraus der moderne Kapitalismus entstanden ist. Grundlegend sei für diese Protestanten gewesen: Man darf sich als Gläubiger nicht aus der Welt zurückziehen, sondern man muss sein Bestes tun und arbeiten und sparsam leben, um von dem individellen Platz aus, auf den Gott den Menschen gestellt hat, gottwohlgefällig zu leben, und das heißt: effizient zu arbeiten.
Vom Erfolg gesteuert arbeiten, das steht in der Sicht Webers an oberster Stelle bei den Calvinisten (weniger hingegen bei den Lutheranern). Das erworbene Geld wird von diesen Frommen nicht im verschwenderischen Luxus ausgegeben, sondern es wird gespart und vor allem investiert. In diesem asketischen, Gewinn gesteuerten Verhalten glaubten die Calvinisten bzw. spezieller noch die Puritaner, obendrein noch gottwohlgefällig zu leben, also die Erlösung zu erlangen. So wird die enge Verbindung von calvinistischem Glauben und dem Verhalten, das in den Kapitalismus führt, bei Max Weber deutlich.
Sebastian Franck, ein – leider fast vergessener – protestantischer Theologe und Mystiker im 16. Jahrhundert, wird von Max Weber zitiert, um diese protestantische Variante der Askese deutlich zu machen: „Du glaubst, du seiest dem katholischen Kloster entronnen. Es muss jetzt jeder (als Protestant) sein Leben lang ein Mönch sein“, also asketisch und bescheiden leben, d.h. arbeiten. („Protestantische Ethik…. S.346).
Max Weber bietet in seinem Studien zum Thema „Protestantismus und Geist des Kapitalismus“ eine Fülle an Details, die sich auch in den zahlreichen Fußnoten auffinden lassen. Wer etwa hier in Berlin und in der Mark Brandenburg noch daran denkt, welche ökonomische Hilfe und damit Entwicklung die calvinistischen Flüchtlinge („Hugenotten“) einst hier leisteten, kann aus diesem populären Beispiel nur das Treffende der Analysen Webers bestätigen. Diese Linie ließe sich weiter ausziehen, wenn man an den in den noch in den 1960 Jahren dokumentierten Bildungsrückstand der Katholiken in Deutschland denkt: Das „Strebsame“, „Karrieremachen“, war nicht so deren Sache. „Besser ein guter Mensch sein als ein gebildeter“, diesen Spruch hörte ich oft in katholischen Kreisen damals.

2.
Der Kapitalismus hat als auch eine religiöse Ursache. Mit dieser Erkenntnis will Weber keineswegs als Konkurrent zu Karl Marx auftreten. Es geht nicht um eine Anti-These zu Marx, sondern um einen anderen, ergänzenden Blickwinkel auf den Kapitalismus. Weber ist ein heftiger Kritiker des Kapitalismus, der schon in der zur Tugend erklärten „Nützlichkeit“ kritisch gewertet wird. Das führt Weber zur Erkenntnis, dass im Kapitalismus insgesamt Tugenden insofern nur gelten, als sie die Nützlichkeit des ökonomischen Gewinns fördern. Max Weber schreibt: “Das summum bonum, das oberste Gut, dieser kapitalistischen Ethik ist der Erwerb von Geld und immer mehr Geld…“ (S. 78).
Der Kapitalismus zeichnet sich durch eine nur von Erfolg geleitete, stets machtvolle Bürokratie aus. Wie man diese Verhältnisse überwinden kann? Max Weber führt da den – etwas hilflos wirkenden – Begriff der „charismatischen Vernunft“ ein, die die Auswüchse des Kapitalismus begrenzen könnte. Wer denkt dabei auch an prophetische Führer, sogar auch an kurzfristige Revolutionen, die das Regelwerk der Bürokratien korrigieren…
Im ganzen ist Weber eher skeptisch, was die Entwicklung der menschlichen Qualitäten in der kapitalistischen Welt angeht, zumal, wenn dieser Kapitalismus von allen Bindungen etwa an den protestantischen Glauben sich losgesagt hat, also eine umfassende „säkulare“ Säkularisierung eingetreten ist. Weber bezieht sich etwa auf die USA, wo der Kapitalismus – zu Beginn des 20. Jahrhunderts, nach einem Besuch Webers dort – seine „höchste Entfesslung erlebt“. „Dort neigt das seines ethisch-religiösen Sinns entkleidete Erwerbsstreben heute dazu, sich mit rein agonalen (kämpferischen) Leidenschaften zu verbinden. Niemand weiß noch, wer künftig in jenem (kapitalistischen) Gehäuse wohnen wird und ob am Ende dieser ungeheuren Entwicklung ganz neue Propheten oder eine mächtige Wiedergeburt alter Gedanken und Ideale stehen werden oder mechanisierte Versteinerung mit einer Art von krampfhaften Sich-wichtig-nehmen verbrämt“. Weber fürchtet, dass dann der „letzte Mensch“ im Sinne Nietzsches gesiegt haben könnte, diese „Fachmenschen ohne Geist, Genussmenschen ohne Herz. Dieses Nichts bildet sich ein, eine nie vorher erreichte Stufe des Menschentums erstiegen zu haben“ (Prot. Ethik… S. 201).

3.
Der Begriff der „Entzauberung der Welt“ spielt in der Einschätzung der modernen Welt durch Max Weber eine große Rolle: Davon spricht er in „Wissenschaft als Beruf“: Der Umgang des modernen Menschen mit der Natur ist nicht mehr von der Voraussetzung bestimmt: In der Natur könne man geheimnisvollen und unberechenbaren Mächten begegnen. Sondern: In der Natur sind keine mysteriösen Geister am Werk, die durch Magie besänftigt werden können. Es gilt also: Das moderne Verhalten der Menschen zur Natur ist von Rationalisierung, Berechnen, vom Planen, vom technischen Zugriff und von Herrschaft bestimmt. Diese Haltung der permanenten Naturausbeutung, bedingt durch Rationalisierung, Spezialisierung, Industrialisierung usw. bestimmt den Kapitalismus weltweit.
Dieser Geist der Rationalisierung beherrscht die persönliche Lebensführung der einzelnen Menschen in diesem Kapitalismus. Und dieser Geist der Rationalisierung als „Berufsidee“ ist „aus dem Geist der christlichen Askese entstanden“ („Protestantische Ethik…. 200).
Dieser Zugriff auf die Natur, diese Entzauberung, ist zweifellos auch ein Ergebnis religiöser Lehren. Man denke an den Spruch der Bibel, wo Gott den Menschen befiehlt: „Macht euch die Erde untertan“ (Genesis 1,28). Jetzt wird statt „untertan machen“ (mit schlechtem Gewissen von Theologen) übersetzt: „Hütet die Erde…“ Aber dieser Verzicht auf das „Untertan-Machen der Natur“ kommt wohl zu spät. An diesem Bibelvers wird einmal mehr deutlich, wie viel Unsinn auch in der Bibel, dieser Textsammlung frommer Menschen, als Maxime im Laufe der Jahrhunderte verbreitet wurde…
Inzwischen wird jedoch auch die Vorstellung korrigiert, die Menschheit würde in einer entzauberten Welt, einer entzauberten Naturwelt, sich befinden, zugunsten einer neuen „Verzauberung“. Man denke an die Vorstellung von der Natur als einer Gaia-Hypothese, die für eine selbstregulative, schöpferische Urkraft (?) Natur eintritt.
Nebenbei: Max Weber empfand persönlich starke Vorbehalte gegen die völlig entzauberte, rein rationale Theologie und Kirchenpraxis der Calvinisten. Er empfand sogar gewisse Sympathien für den Katholizismus, den Priester deutet er als eine Art Magier, der über die Sakramente verfügt. Und auch dies noch: Max Weber war zwar protestantisch (vor allem von der frommen Mutter) erzogen worden, aber er war offenbar nur aus Pflichtbewusstsein Mitglied der Kirche geblieben, die er eher verachtete wegen ihrer engsten Bindung an den Kaiser als das oberste Haupt der Kirche. Über den (in alter kaiserlicher Pracht wieder aufgebauten, „restaurierten“) Berliner Dom schreibt Weber: „Man braucht den Berliner Dom nur anzusehen, um zu wissen, dass jedenfalls nicht in diesem cäsaro-papistischen Prunksaal, sondern weit eher in den kleinen, jeden metaphysischen Schmuckes entbehrenden Betsälen der Quäker und Baptisten der „Geist“ des Protestantismus in seiner konsequentesten Ausprägung lebendig ist“. („Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, S. 315.)

4.
Wichtig bleibt immer noch die Auseinandersetzung mit Webers These von der Wertfreiheit der Wissenschaften: Wissenschaft muss von allen Ideologien und „Illusionen“ freigehalten werden.Und: Wissenschaft kann nicht zum wahren, umfassenden Glück der Menschen führen. Es gibt keine religiöse Gebundenheit der Wissenschaften, für Wunder und Offenbarungen ist in ihnen kein Platz.
Das heißt aber nicht, dass Religionen durch die Wissenschaften ersetzt und verdrängt werden. Religionen gehören zu einer gegenüber den Wissenschaften abgetrennten, eigenen „Wertsphäre“ (wie er sagt) an. Das bedeutet auch: Max Weber will die Vermischung der Wertsphäre Religion und der Wertsphäre Wissenschaft unbedingt verhindern. Ob diese Parallelisierung der beiden Wertsphären überhaupt möglich ist, wird etwa schon in der Beobachtung deutlich: Dass sich doch Menschen voller Erstaunen, Ehrfurcht und Verwunderung den überraschenden Schönheiten der Natur stellen oder dem bestirnten Himmel über uns, wie Kant sagte. Da kann aus diesem Verwundern auch ein Übergang geschehen in die Naturforschung und Wissenschaft, die sich aber die ursprünglich erfahrene Ehrfurcht und das Verwundern nicht vergessen, ohne dabei in eine esoterische Naturwissenschaft abzugleiten…

5.
„Max Weber starb im Bewusstsein, dass „nicht das Blühen des Sommers vor den ihm nachfolgenden Generationen liege, sondern eine Polarnacht von eisiger Finsternis und Härte“ (so der Max Weber Forscher Dirk Kaesler, in seinem Vorwort zu „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“, Beck Verlag, S. 56).

6.
Ich habe schon 2014, anläßlich des 150. Geburtstages von Max Weber, auf die Studie über Weber von Jürgen Kaube aufmerksam gemacht.Klicken Sie hier.

Zu diesem Text hier: Die Seitenzahlen in dem Buch „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ beziehen sich auf die Ausgabe im C.H. Beck Verlag, hg. von Dirk Kaesler, 2006.

Copyright: Christan Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin