Fatima 100 Jahre: Braucht der Glaube Wunder? Zu den Marien – Erscheinungen in Fatima..

Ein Hinweis zum Jubiläum der Marien – Erscheinungen in Fatima und und zum Kult um die “Gottesmutter”.

Von Christian Modehn

Das Motto:
„Löschen Sie das Licht, ich will etwas sehen“. (Dies ist erste Satz aus dem empfehlenswerten Fatima – Roman von Jürgen Alberts).

Warum hat unser religionsphilosophischer Salon Interesse für Fatima in Portugal, für den Ort, wo Maria selbst erschien: Zum ersten Mal am 13. Mai 1917, also vor 100 Jahren genau, und dann an jedem weiteren 13. bis einschließlich zum 13. Oktober 1917. Maria zeigte sich den Hirtenkindern Lucia, 10 Jahre alt; Francisco, 9, Jahre alt und Jacinta, 7 Jahre. Und sprach zu ihnen! Maria, die „Muttergottes“ erschien selbst wie eine Statue, manchmal begleitet von Engeln, dem heiligen Joseph und sogar Jesus. Eine heilige Schar ist aus dem Himmel herabgeschwebt und ist den Kindern erschienen, förmlich eine Idylle, beinahe etwas für Hollywood. Einzig und allein die Kinder haben diese himmlischen Gestalten, vor allem die Jungfrau Maria, gesehen und gehört. Die Besuche aus dem Himmel wurden schließlich aber doch allgemein geglaubt. Am 13. Oktober 1917 versammelten sich ca. 70.000 Portugiesen auf der Erscheinungswiese. Sie sahen überhaupt nicht die Mutter Gottes! Nur die Kinder berichteten wieder, Maria zu sehen. Alle anderen sahen, so sagen sie, nur ein so genanntes Sonnen-Wunder: Die Sonne in allen denkbaren Farben begann zu kreisen und wie auf die Erde zuzustürzen.

Seit der Zeit ist Fatima ein beliebter Wallfahrtsort: Aber erst 1930 entschied der Bischof, die Geschichten der Kinder seien glaubwürdig. Es gab also einmal eine skeptische Phase in der Hierarchie. Aber sie konnte sich nicht durchsetzen gegenüber dem dringenden Wunder – Bedürfnis der Gläubigen. So vielen inbrünstigen Wunder – Glauben darf doch kein Bischof enttäuschen oder gar zur Vernunft auffordern.

Nun werden die drei Kinder von Papst Franziskus am 13. Mai 2017 in Fatima heilig gesprochen. Weltweit können sich also alle Katholiken um himmlische Fürsprache an die drei Hirtenkinder wenden. Vielleicht beten sie um die Gabe des kritischen Verstandes? Eher wohl nicht. Fatima boomt und auch der Wunderglaube ist kaum zu bremsen. Da wäre Beten um Vernunft und Skepsis purer Wahnsinn. Allerdings: Kein Katholik muss an Fatima glauben. Man darf durchaus von Halluzinationen der Kinder ausgehen. Und von Lügen beim Sonnenwunder. Aber das wird nie gesagt von Kirchenführern. Mehr als vier Millionen Besucher kommen jährlich nach Fatima. Was wäre der Norden von Lissabon ohne diese Boom-Town Fatima mit der riesigsten aller riesigen Basiliken und dem, schon wieder, riesigen Aufmarschplatz der Pilger usw…

Mysteriös und geheimnisvoll und undurchsichtig sind die Worte Marias an die Kinder, die gern als „Geheimnisse von Fatima“ propagiert werden: Dort geht es um drohende Schlachten zwischen Gläubigen und Ungläubigen, es geht um die Verehrung des Unbefleckten Herzens Marias, ein bekanntlich ganz dringendes Thema! Es geht um die Abwehr des großen Feindes, des Kommunismus, der ja bekanntlich in Russland 1917 startete. Der gesamte antikommunistische Wahn der Katholischen Kirche, die jeden Unangepassten (Theologen) als Kommunisten kaltstellen konnte, hat in Fatima sozusagen sein Hauptquartier. Indem die Kirche, vor allem die Päpste, den Kommunismus viel schlimmer fanden als den Faschismus und den Rassenwahn eines Hitlers, hat sie es zumindest indirekt zugelassen, dass Millionen Juden im 2. Weltkrieg vergast wurden. Auch an diese Zusammenhänge muss man denken, wenn man die mysteriösen und esoterischen Geheimnisse von Fatima bedenkt…

Der Kult um die Erscheinungen der Jungfrau an mehreren Monaten des Jahres 1917, immer pünktlich am Dreizehnten, scheint letztlich von damaligen Kirchenführern und Politikern gemacht und bewusst forciert worden zu sein. In den Wirren der ersten Jahre der laizistischen portugiesischen Republik hatte die Kirche einen schlechten Stand; sie brauchte Rückhalt im Volk; was ist dann nahe liegender, als ein Wunder herbeizureden, einen Marienkult zu inszenieren, um der Öffentlichkeit zu zeigen: Seht da, so fromm ist das portugiesische Volk. In Erstaunen versetzt nicht nur die Tatsache, dass Maria drei zehnjährigen Kindern ihre Botschaft übermittelte, und zwar ihnen ausschließlich; die Kinder konnten weder lesen noch schreiben. Problematischer ist, dass die heilige Jungfrau zur Bekehrung Russlands aufrief, und zwar zu einem Zeitpunkt, als die kommunistische Oktober-Revolution noch nicht stattgefunden hatte. Der Eindruck, dass die Wunder und der Wunderort auf die Schnelle inszeniert wurden, verstärkt sich, wenn man sich mit dem Sonnenwunder befasst, das sich am 13. Oktober 1917 ereignete: Solche bemerkenswerten Sonnenkonstellationen, in denen das Planetensystem zu glühen scheint, ereignen sich immer wieder, betonen die Wissenschaftler. Optische Täuschung ist wahrscheinlicher als ein Veränderung der Naturgesetze. Der in Bremen lebende Schriftsteller Jürgen Alberts hat einen sehr lesenswerten Schelmen-Roman über den Wallfahrtsort mit dem Titel „Fatima“ geschrieben; erschienen ist das Buch im Rowohlt Verlag: Wenn die Menschen ein Wunder erwarten, sehen sie sogar die Sonne tanzen, heißt eine seiner Thesen.

Natürlich kann jeder und jede privat glauben, was er oder sie will. Solange dabei kein anderer Mensch in seiner Freiheit und in seinem Lebensrecht eingeschränkt wird und die Gesellschaft bzw. der Staat nicht in Unfrieden gerät. Papst Johannes Paul II.glaubte jedenfalls persönlich, dass Maria aus dem Himmel herab nach Fatima stieg und dort den Wunderort gründen wollte: Er verehrte die Madonna von Fatima so sehr, dass er seine Rettung aus der Mordattacke durch Ali Agca (ausgerechnet am 13. Mai, also am Fatima-Tag, 1981) der Fatima-Madonna zuschrieb. Es ist dem Geschmack eines jeden überlassen zu beurteilen, wenn später Papst Johannes Paul II. die Kugel, die Ali Agca auf ihn feuerte, in die Krone der Marien-Königin-Statue aus Fatima einarbeiten ließ…So verehren die Frommen also Maria mit der beinahe tödlichen Kugel…

Dennoch hat die Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie die Aufgabe, religiöse Phänomene philosophisch zu befragen und zu kritisieren. Denn die Überzeugung ist dabei leitend: Religionen können sich aus eigener Kraft, mit den Mitteln eigener religiöser Lehren, kaum selbst kritisieren und von Irrwegen befreien. Bei Martin Luther führte die innertheologische Kritik zum Bruch in der Kirche. Viele problematische Traditionen hat Luther aber weiter geführt, weil er der allgemeinen philosophischen Vernunft Kritik und dem Humanismus gegenüber total ablehnend sich verhielt. Deswegen konnte er sich auch nicht vom Antisemitismus befreien oder von der Erbsünden und Höllen-Lehre usw. Ketzer wurden in protestantischen Regionen genauso verfolgt wie in der römischen Kirche. Also: Theologische Kritik ist befangen und zu schwach, um wirklich eine menschenfreundliche und vernünftige Religion zu befördern…Solches kann nur die freie und übergreifende philosophische Vernunft! Das ist wahrscheinlich das Hauptproblem aller Theologie: Sie ist zu „intern“-gebunden argumentierend, ihr fehlt der Abstand, das umfassend – kritische Raufschauen auf ihr Thema, eben den Glauben. Das gilt zumal, wenn in der katholischen Kirche die Kirchenführer bestimmen, wer Theologe sein kann und wer was lehrt. Das gilt auch für islamische Religionen. Hilfreich und weiterführend kann auch in der Analyse der religiösen Wunderphänomene die sich kritisch reflektierende allgemeine Vernunft sein. Darum muss immer wieder auf den Sammelband „Wunder“ aus dem Suhrkamp-Verag (2011) verwiesen werden!

Es muss natürlich damit gerechnet werden, dass viele Menschen den esoterischen Glauben an heilige Orte, an angeblich heilige Wässerchen, Quellen, Haine, Erscheinungen himmlischer Wesen usw. einfach nett und unterhaltsam finden und damit auch Gesprächsstoff entdecken. Sie wollen die Welt verzaubert erleben, etwas märchenhaft, von wunderbaren Kräften da und dort bestimmt, und so kommen sie aus dem Staunen nicht raus, was es doch so alles Sonderbare gibt in dieser Welt.

Für philosophisch-religiöse Menschen gibt es nach meinem Eindruck eine einzige erstaunliche Frage: Warum ist überhaupt etwas, und nicht vielmehr nichts? Wo ist also der Sinn meines Lebens, des Lebens? Diese Frage berührt tatsächlich das einzig Wunderbare, das Leben, das religiöse Menschen als wunderbare Gabe eines geheimnisvollen Gottes deuten…Mehr Wunderbares brauchen wir nicht. Natürlich gibt es gute Zufälle, aber sind sie immer Wunder?

Dies ist das Problem:

Ist das Erscheinen der „Gottesmutter“, wie die Katholiken Maria, die Mutter Jesu von Nazareth nennen, also, etwas weltlich salopp gesagt, das Erscheinen der weiblichen Gestalt (Gottes-„Mutter“) des Göttlichen, sozusagen als dessen Vertreterin? Warum erscheint dann eigentlich nicht Gott als Gott? Da würde selbst das frommste Gemüt zögern… Warum werden bei wunderbaren Heilungen immer nur psychisch bedingte Leiden geheilt, warum wird kein Bein, das eine Bombe wegriss, wieder mit einem neuen Bein ausgestattet?

Vor allem: Wer will, dass solche Marien – Erscheinungen gelten? Wer propagiert diese Wunder – Erscheinungen und warum werden diese propagiert? Wer hat Angst vor dem einfachen, „armen“ existentiellen Glaubens des Geborgenseins und Gegründetseins in einer göttliche, ewige Wirklichkeit? Wer will wirklich den Jubel und Trubel in all den wunderbaren Kommerz-Marienorten? Haben diese Menschen das Gefühl, dass Maria sozusagen die bessere, mehr Nähe gewährende „Göttin“ ist als der Ewige und Unsichtbare? Ist die starke Propaganda, etwa bei Papst Franziskus und vor allem in aufgeklärten muslimischen Kreisen, für die These: „Gott ist der Barmherzige“ nichts anderes als die Propaganda für das mütterliche (Marien) – Gesicht des eigentlich strengen Richter-Gottes? Aber das ist schon ein anderes Thema.

Tatsache ist in diesem Jahr 2017:

Eine so genannte Jubiläums – Madonna, aus Gips offenbar, macht ihre Rundreise. Kürzlich hielt sie sich in Berlin auf: Am 1. April 2017 wurde sie sogar durch Berlin – Spandau im Rahmen einer Lichterprozession getragen: Der Berliner Erzbischof Koch, ein Dr. der Theologie, war dabei.

In den Vatikan wurde jedenfalls die so genannte Original Statue des Bildhauers José Ferreira Thedim aus dem Jahr 1920 transportiert, zuerst zum EX-Papst, danach zu Papst Franziskus. Der Künstler hatte diese Statue nach Anweisungen des “Hirtenkindes” Lucia dos Santos (1907-2005) geschaffen. „ Der Transport der Statue von Fatima nach Rom erfolgte mit einer Sondermaschine der portugiesischen Fluglinie TAP“, berichtet die katholische Presseagentur Wien.

Interessant ist, nebenbei, dass in Berlin einen Tag vor der Fatima-Prozession durch Berlins Straßen, der katholische Theologe Bischof Dr. Koch einen ökumenischen Versöhnungsgottesdienst und Bußgottesdienst mit dem protestantischen Bischof Dr. Markus Dröge, Berlin, gefeiert hat. Haben sich die beiden Bischöfe auch zum nach wie vor lebendigen und blühenden Wunderkult und vor allem zu den Marien –Erscheinungen versöhnt? Passt also ins Reformationsgedenken und der sonst so oft beschworenen neuen theologischen Eintracht zwischen Lutheranern und Katholiken also auch der Fatima – Glaube? Offenbar. Jedenfalls macht die katholische Kirche mit ihrer alten Wunder –Traditionen ungeniert weiter und feiert gleichzeitig Versöhnungs – und Bußgottesdienste mit Protestanten. Sollte die katholische Kirche nicht büßen für den Wunder – Wahn, der so viel Aberglauben erzeugt? Nein, die katholische Kirche tut das nicht.

Der Katholizismus verhält sich ist in diesem Reformationsgedenken doppeldeutig: Nach außen hin :ökumenisch und lernbereit (auch von Luther); im inneren, dem katholischen System, macht man pastoral und spirituell und damit auch theologisch abergläubig weiter wie immer. Auf diese Weise wird im Katholizismus Glauben ins total Irrational – Willkürliche geschoben. Und kein katholischer Theologe ruft laut: Hört auf mit dem Wunder Glauben, dem Fatima Kult, dem Wallfahrtskommerz usw. Dies würde sowieso kein Bischof befehlen, weil der ökonomische Gewinn durch Wallfahrtsorte absolut entscheidend ist. Das Dorf Fatima boomt genauso wegen der Wundergläubigen wie das Dörfchen San Giovanni Rotendo, in das sich der Scharlatan, der angeblich stigmatisierte Pater Pio zurückzog und dort Pilgermassen anzog. Wallfahrtsorte sind Boomtowns. Man untersuche einmal den Zusammenhang vom bewusst zugelassenen ökonomischen Boom der Wallfahrtsorte und der Kritik Luthers an den Geldern, die wegen des Ablasses nach Rom flossen…

Fatima sollte, religions-philosophisch betrachtet, als ein Ort religiöser Entfremdung verstanden werden: Am 13. Mai 1942 wurde das 2. so genannte “Geheimnis  von Fatima” veröffentlicht. Diese Geheimnisse Marias wurden bekanntlich den Kindern, Analphabeten, mitgeteilt. Abgesehen davon: Im 2. Geheimnis drohte Maria mit einer schlimmen Strafe für die Menschheit, denn die Russen würden “Irrlehren über die Welt verbreiten” und “Kriege und Kirchenverfolgungen” heraufbeschwören. Vom Faschismus sprach Maria offenbar nicht. Abgesehen davon: Welche Therapie empfiehlt Maria, also letztlich die Kirche und ihre Führer, die diese “Himmelsbotschaft” redigierte?  “Es sei der Wille Gottes, die Andacht zu dem Unbefleckten Herzen Mariens zu begründen”. Also: Angesichts des Kommunismus und des bereits heftigsten 2. Weltkrieges und der Judenvernichtung und des Faschismus und den Bombardements usw. wird ausgerechnet die Verehrung des Unbefleckten Herzens Mariens von Maria selbst und damit durch die Kirche empfohlen. Es wird zum spirituellen, man darf sagen mysteriösen Gebets-Kampf aufgerufen. Nicht etwa politische Analyse, nicht etwa Hilfe für die bedrohten Juden, nicht etwa Widerstand gegen die Faschisten in Italien, Deutschland, Spanien, Portugal usw. wird empfohlen. Nein, noch einmal: Ein spiritueller Kampf mit dem Unbefleckten Herzen Marias zur Seite. Was ist eigentlich ein unbeflecktes HERZ? Bis heute werden diese nebulösen, sich spirituell nennenden Theorien in Fatima und den weltweiten Fatima-Kreisen verbreitet. Esoterik, d.h.vor der Vernunft unbegründbares Gerede,  hat sich in der Kirche breiter gemacht. Warum sagt niemand diesen frommen Leuten: “Studiert gemeinsam die Menschenrechte, analysiert die Sozialpolitik eure Länder, helft einander aus der zunehmenden Armut”. Nein, nichts passiert. Die krititischen katholischen Theologen an den Universitäten schweigen. “Diese spirituell Frommen in Fatima sollen dumm bleiben”, sagt mir ein theologischer Freund aus Portugal. Religion bleibt auf diese Weise eben Opium, den Massen gereicht.

Nebenbei: Die Fatima-Zeitschriften (“Fatima ruft”, Kisslegg usw.) und die Fatima-Prozessionen erfreuen sich heute größter Beliebtheit. Es gibt den internationalen spirituell-militanten Beter-Club “Die blaue Armee Mariens” usw.

Ein Zitat vom Fatima-Weltapostolat, sozusagen die Nachfolge-Organisation der “Blauen Armee”: “Persönliches Mitglied der Blauen Armee Mariens war Konrad Adenauer. Das Fatima-Weltapostolat wurde vom Vatikan am 7. Oktober 2005 als öffentlicher Verein päpstlichen Rechtes anerkannt. Erzbischof Stanislaw Rylko, Präsident des Pontificium Consilium Pro Laicis, übergab, am 3. Februar 2006, in Rom, Professor Americo Pablo Lopez-Ortiz, Internationaler Präsident des Fatima-Weltapostolates, das Dekret der Errichtung und Anerkennung des Fatima-Weltapostolates als eine öffentliche Vereinigung von Gläubigen für die Universelle Kirche”.(Quelle: http://www.fwa-wuerzburg.de/fatima-001/fatima-international-001, gelesen am 27.4.2017)

Zu den Hinweisen zum 2. Geheimnis von Fatima:  Siehe das empfehlenswerte Buch “Wunder”, Hg. von Alexander C.T.Geppert und Till Kössler, 2011, Suhrkamp Verlag, S. 136, dort auch zum “Tränenwunder in Syrakus”, der treffende Titel: “Tränen aus Gips”.

Zum vorläufigen Schluss:

“Wenn der Katholizismus die gleiche Energie für die allgemeine Geltung der Vernunft in der Religion eingesetzt hätte wie für den Wunderwahn und die Marien-Erscheinungen, hätten sehr viele Menschen heute eine Sinnerfahrung, die orientiert”.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon.

PS.: Es wäre noch eine eigene Untersuchung wert, den Namen des Dorfes und der Stadt FATIMA in Portugal in den islamischen Kontext zu stellen. Es ist nämlich der Tradition nach ein Ort, der nach einem muslimischen Mädchen Fatima benannt ist, die sich aber taufen ließ! Ich kann hier nur auf den wikipedia Artikel zu Fatima fürs weitere Studium auch zum Zusammenhang mit muslimischen Traditionen verweisen: „Den arabischen Namen „Fatima“ soll der Ort einer Legende zufolge von Fatima, der schönen Tochter eines maurischen Fürsten – ihrerseits benannt nach der Tochter des Propheten Mohammed – erhalten haben. Im Jahr 1158 soll sie, nachdem sie von christlichen Eroberern entführt und an den Grafen von Ourém verkauft worden war, sich aus Liebe zu diesem taufen lassen und mit ihm vermählt haben. In dem Ort, den ihre gräflichen Nachkommen nach ihr benannt haben, soll sie ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. Jene Fatima ist nur eines von mehreren Beispielen einer Moura encantanda der portugiesischen Folklore, die Geschichte taucht in ähnlichen Versionen in verschiedenen Orten Portugals auf“. (Gelesen am 26.4.2017).Werden Muslime 2017 bei den Festen und Feiern im portugiesischen Fatima dabei sein?

Die Ohnmacht der Lüge und die Macht der Wahrhaftigkeit.

Perspektiven im Gespräch des Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salons Berlin, am Freitag, den 21. 4. 2017.

Von Christian Modehn.

1.
Bertold Brecht, (“Leben des Galilei”) :”Wer die Wahrheit nicht kennt, ist ein Dummkopf. Wer sie aber kennt und Wahrheit eine Lüge nennt, ist ein Verbrecher”.

2.

Tatsache ist:

Es gibt satzhafte, objektive Wahrheiten, auch wenn diese weiter diskutiert und weiter entwickelt werden, etwa in den Naturwissenschaften: Die Erde dreht sich um die Sonne, ist Fakt. Ebenso: Die Menschen sind für den Klimawandel verantwortlich. Die Evolution der Menschheit: ist Fakt. Aber auch in der Philosophie: Der Spruch des Gewissens in einem jedem (geistig Gesunden) ist Fakt. Der Spruch des Gewissens kann nur mit Gewalt (etwa durch Gehirnwäsche) getötet werden.

3.

In den Wissenschaften werden „alte“, einst gültige Wahrheiten ergänzt, revidiert und neu formuliert, dann werden diese neuen Erkenntnisse als vorläufige („es wird die Zukunft zeigen“) Wahrheiten wahrgenommen. Aber an diese tatsächlich relativen, jetzt aber absoluten Wahrheiten gilt es heute sich zu halten.

4.

Wahrheit und Relativität ist kein Widerspruch. Aber alle relativen Wahrheiten können nur korrigiert werden, weil es eben ein übergreifendes Wahrheitsbewusstsein gibt. Diese Dialektik von relativer, aber für mich und andere heute absolut geltender Wahrheit ist entscheidend.

5.

Wer sich selbst und die anderen belügt, will sich das eigene Leben oft einfach machen. Lügen spart mir Zeit für Debatten. Eigene Wahrheiten auszusprechen und mit den wahren Erkenntnissen der anderen zu konfrontieren und besprechen, erfordert viel Zeit und Geduld und gute Nerven. All das haben wir meist nicht, das wollen wir nicht. Wir leben in einer Kultur des hektischen „Zeitmanagements“, die das Lügen fördert.

6.

Hinweise aus der Geschichte der Philosophie:
Von einer „organischen Verlogenheit“ spricht Max Scheler, in: „Vom Umsturz der Werte“. „Diese organische Verlogenheit ist immer dann gegeben, wenn Menschen nur das sehen wollen, was ihrem Interesse oder ihrer triebhaften Aufmerksamkeit dient. Wer in dieser Weise völlig verlogen ist, braucht nicht mehr (im einzelnen) zu lügen“. Bei der organischen Verlogenheit ist die Selbsttäuschung sozusagen in Fleisch und Blut übergegangen, wie der evangelische Theologe Jochen Schmidt, (in: „Wahrgenommene Individualität. Eine Theologie der Lebensführung“) schreibt. Bei einem „organisch Verlogenen“ ist alles von Lüge durchsetzt; die eigene Lüge wird gar nicht mehr im Bewusstsein wahrgenommen, Lüge ist eine Art Automatismus, der systematisch Verlogene weiß gar nichts von seiner Verlogenheit.

7.

Aus der Geschichte der Philosophie: Denken wir an den „klassischen“ Satz: „Epimenides, der Kreter sagte: Alle Kreter sind Lügner!“ Dies behauptet Epimenides, er sei kein Lügner sein, aber er behauptet seine Aussage als Wahrheit. Lügner behaupten für sich selbst und gegenüber anderen, die Wahrheit zu sagen. Die Bindung an die Wahrheit oder die Wahrhaftigkeit ist also selbst im Moment der Lüge da, und zwar unabwerfbar.

8.

Die Lebenslüge als ständige Verlogenheit: Die Lebenslüge ist ein Begriff, den wir etwa aus dem Theaterstück „Die Wildente“ von Ibsen kennen. Lebenslüge ist das krampfhafte Festhalten am schönen Schein. Nur ganz kurz, zur Erinnerung: Ein Mann, Greger, besucht seinen alten Freund Ekdal. Er stellt fest, wie dieser sich in einemDurcheinander von Lügen bewegt. Greger will ihn daraus befreien, aber dies gelingt nicht. Aus Lebenslügen kann nicht befreit werden…
Thomas Bernhard hat in seinem Roman „Holzfällen“ bezeichnenderweise auf die „Wildente“ Bezug genommen: Da wartet eine Abendgesellschaft auf den Burgschauspieler der „Wildente“ bei dem durch und durch verlogenen Ehepaar Auersberger (alias Lampersberg). Das Buch von Bernhard ist auch eine Aufdeckung der Lebenslügen und der Schwieirgkeit sich zu befreien. Man lese die letzten Seiten von „Holzfällen“…

9.

Lügen in den Religionen:

Theologisch längst überwundene und zurückgewiesene Thesen werden von den Kirchen-Führungen noch weiter verbreitet, und dies wider besseren theologischen Wissens. Die Lüge dient auch hier dem Machterhalt der Institution: Etwa: Behaupten, dass Jesus keine Priesterinnen für die katholische Kirche wollte. Oder beim Wunderglauben: Dass Gott mal hier und mal da eingreift, den einen heilt, den anderen nicht; der willkürlich handelnde Gott im immer noch propagierten Wunderglauben ist insofern eine Lüge. Die Wunderorte werden aus kommerziellen Gründen beibehalten. Wer fährt denn sonst im Ernst ins einstige Dörfchen Fatima, in die jetzt florierende Wallfahrer – Stadt in Portugal?Wo Maria höchst persönlich drei Kindern erschien. Oder wer fährt ernsthaft ins französische Lourdes oder nach Santiago de Compostela: Da geben die Leute ihr Geld aus, wohl wissend, dass der heilige Jacobus der Ältere, der Apostel Jesu!, dort garantiert nicht ruht. Die Leute machen also das religiös inszenierte Wunder/Lügen-spiel gerne mit. Es ist die Lust am Wandern und Reisen, die diesen religiösen Wahn, eine Lüge, aufrecht hält.
Man denke an die Verehrung des “heiligen Rocks” (ein paar gut erhaltene Lumpen, die angeblich Jesus von Nazareth getragen hat) in Trier. Dieser Kult wurde im 19. Jahrhundert kritisiert von dem katholischen Priester Johannes Ronge, der nach seiner öffentlichen Kritik „selbstverständlich“ sofort exkommuniziert wurde.. .Oder man denke an den Wahn der „Blutwunder in Neapel“. Zum Blutwunder nur ein Zitat aus dem Wikipedia Beitrag zum Blutwunder in Neapel: „Das „Blut“ in den Kapseln von Neapel wurde bisher nicht chemisch oder biochemisch untersucht. Der Kriminalbiologe Mark Benecke hat allerdings im April 2004 das Blutwunder aus nächster Nähe beobachtet und festgestellt, es sei sehr einfach, ein solches Wunder mit thixotropen Stoffen, die auch zum Zeitpunkt des ersten Auftretens im Mittelalter schon bekannt gewesen seien, im Labor zu reproduzieren. Solche Stoffe sind im Ruhezustand geleeartig, verflüssigen sich aber, wenn sie genügend bewegt werden. Demnach könnte das „Blut“ eine einfache chemische Reaktion aus FeCl3 mit Eierschalenkalk und Wasser sein“. Gelesen am 23.4.2017.
Also noch einmal: Wer wider besseren Wissens an einem religiös gefärbten Wahn, festhält und diesen den armen frommen Seelen verkauft, ist ein Lügner.
Manche Kirchenführer meinen, ihren Glauben nur dann aufrechterhalten zu können, wenn man eben solchen Spuk als Wunder propagiert.

10.

Aber gibt es Momente, wo wir lügen müssen, um uns und andere zu retten?  Da sind die Meinungen verschieden:
Wenn es um die Rettung anderer geht: Ich verstecke einen verfolgten Juden und sage bei einer Überprüfung durch die Gestapo nicht, dass ich jemandem verstecke. Das ist keine Lüge. Denn ich habe ja in meiner Praxis, eben in dem Verstecken selbst, schon gezeigt, dass ich Leben retten will und auch bereit bin, mich selbst dabei zu gefährden. Ich habe also mein Lügen einem höheren und vor allem einem guten Zweck untergeordnet. Und dieser Zweck ist ein guter Zweck, weil er Leben rettet.
Lügen als Notlügen müssen also überprüft werden auf ihre ethische Qualität hin. Welche Not will ich lügend überwinden? Will ich mich egoistisch als Held zeigen oder primär den anderen retten? Distanziere ich mich nach vollzogener Notlüge wieder vom Lügen? Oder wird Lügen dann meine Haltung, meine „Tradition“?

11.

Werden wir eines Tages in einer lügenfreien Welt leben?

Wohl kaum, weil die (geglaubte) Bequemlichkeit der Lüge die Strapaze der Wahrhaftigkeit überwiegt. Weil derjenige, der oft wahrhaftig ist (bzw. war) in einer verlogenen Umgebung nur leiden muss unter seiner Wahrhaftigkeit. Schließlich wird der Wahrhaftige in einem allgemeinen Lügen-System als Lügner bezeichnet und ausgegrenzt. Man denke an das Schicksal der so genannten Ketzer unter den Theologen… Nur in einer Welt, die entschieden und gebildet Wahrhaftigkeit absolut hoch hält und schätzt, kann das Lügen-System überwunden werden. Dazu braucht es Menschen, die als Vorbilder der Wahrhaftigkeit gelten.
Von einer solchen Welt sind wir angesichts der vielen Lügner, die sich Politiker (Trump, George W. Bush, Putin usw.) nennen, Lichtjahre entfernt. Aber eine kritische Philosophie kann niemals darauf verzichten, das Thema weiter zu bedenken und für die absolute Geltung der Wahrhaftigkeit und Wahrheit einzutreten. Sonst siegen die Lügner, diese Zerstörer der Menschheitn und Menschlichkeit.
Wenn die Lügner siegen, und sie haben oft gesiegt, wäre dies ein weiterer Schritt in den Untergang der humanen Welt.
Nicht ohne Grund nennt die Bibel den Teufel den Herrn der Lüge. Dieses Bild ist wahr, auch wenn man den Teufel bloß für ein Symbol hält.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

 

 

 

 

 

„Die Religion als Opium des Volkes“. Zum 199. Geburtstag von Karl Marx (5. Mai 1818)

„Die Religion als Opium des Volkes“

Die aktuelle Diagnose auch im Reformationsgedenken 2017

Zum 199. Geburtstag von Karl Marx (5. Mai 1818)

Ein Hinweis von Christian Modehn

Sehr schön passend, kurz vor Beginn des Evangelischen Kirchentages in Berlin am 24.Mai (Das Motto: „Du (Gott) siehst mich“) werden einige philosophisch und religionsphilosophisch Interessierte erneut an Karl Marx denken: anlässlich seines 199. Geburtstages am 5. Mai. Und sie werden im religiösen Umfeld dieser frommen Kirchen-Tage an das viel zitierte (und historisch so oft bestätigte) Wort des Philosophen Karl Marx denken: „Die Religion ist das Opium des Volkes“ (1843 formuliert in der Einleitung der Schrift „Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie“).

Abgesehen von einer breiten und partei-ungebundenen Marx-Exegese, die trotz des Zusammenbruchs und Verschwindens der meisten sich kommunistisch nennenden Regime aktuell bleibt: Dieser Spruch „Religion ist Opium des Volkes“ verdient alle Aufmerksamkeit in einer Welt, die alles andere als säkular ist, sondern in der Religionen und Sekten und esoterische Bewegungen ständig ihr sichtbares, problematisches und auch politisch gefährliches Wesen zeigen. Man denke an den Boom der Evangelikalen in den Hunger-Staaten Afrikas, an die verschiedenen Formen des Islams, an die so vielfältigen, oft aber tyrannisch-geldgierigen Pfingstkirchen in Brasilien usw. Die Frage bleibt: Gibt es Religion, die kein Opium des Volkes sind, sondern wahre inspirierende Nahrung, um im Bild von Marx zu bleiben. Das es nicht-beruhigende Religion gibt, ist für uns klar.

Darüber später mehr, sonst siehe die Beiträge zur Theologie der Befreiung auf dieser website. Und auch dies: Die moderne “liberale Theologie” (dies ist natürlich keine FDP-Theologie)  und auch die Theologie der freisinnigen protestantischen Kirche in Holland, der “Remonstranten”, (ebenfalls Infos auf der website), sind de facto eine Überwindung der These “Religion ist Opium des Volkes”, es sind freie und selbständig-kritische Theologien und Glaubensformen.

Mit anderen Worten: „Religion ist Opium des Volkes“ könnte als kritische Begleitmusik auch alle Veranstaltungen des Kirchentages beleben. Etwa mit der Frage: Verbreiten wir jetzt Opium, wollen wir beruhigen? Aber welchen Aufstand des Gewissens wollen wir? Welche grundlegende Veränderung auch der Kirchen wollen wir? Warum haben wir als ängstliche Lutheraner, staatsteu wie einst, Thomas Müntzer, dem Reformator und Kollegen Luthers, keinen Platz beim Kirchentag eingeräumt? Wer wird diese Frage nach der Abwesenheit Müntzers stellen?

Insofern ist es fast ein philosophisches Geschenk, dass wir am 5. Mai an Karl Marx, an den kritischen Philosophen, wieder einmal “besonders” denken. Und uns hoffentlich befreien von der dogmatischen Starre, in der sein philosophisches Denken durch die Regime des Ostens eingesperrt und stillgelegt wurde. Nun haben die Kirchen allen Grund, nach dem Tod des Erzfeindes Kommunismus, sich erneut dem Denken von Marx zu stellen, dem Philosophen und auch dies: dem Ökonom.

Und es könnte eine Art philosophiehistorischen Aberglauben fördern, wenn wir nun auch noch bedenken: Ausgerechnet an einem 5. Mai wurde auch noch der Philosoph und dialektisch-lutherisch-Glaubende Sören Kierkegaard geboren (im Jahr 1813). Und man hätte Lust, Marx und Kierkegaard einmal in einen religionsphilosophischen Disput zu verwickeln. Solche philosophischen religionskritischen Salons wären doch ein schöner, geistvoller Gottesdienst.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer salon Berlin

 

Marine Le Pen, Front National, und ihre ideologische Basis.

Ein Hinweis von Christian Modehn, veröffentlicht am 12. 4. 2017

Marine Le Pen, Präsidentschaftskandidatin des Front National (FN), will nach außen zeigen, dass ihre Partei, ganz normal ist. Sie lobt die Republik, nach außen, verteidigt die laicité, also die Trennung von Religionen und Staat, aber nur, um damit ein Argument zu haben, gegen „die“ angeblich insgesamt republikfeindlichen Muslime in Frankreich vorzugehen. Dabei vergisst sie, dass die laicité als Gesetz (von 1904) gerade die friedliche Pluralität aller in Frankreich vertretenen Religionen innerhalb der religiös-neutralen Republik ermöglicht. Diesen demokratischen, Frieden – stiftenden Charakter der laicité kennt Madame Le Pen nicht oder er passt nicht in ihre Ideologie.

Und das Schlimme ist: Die Wähler glauben Marine Le Pens Sprüche von der angeblichen Normalität ihrer Partei und bekennen sich jetzt offen als Front National Wähler. Dieser Bekennermut war früher nicht so üblich: Man wählte die rechtsextreme FN, schämte sich aber meist, dies offen zuzugeben. Zwischen Demokraten und Le Pen-Fans wird der Dialog immer schwieriger. Es gibt Gesprächsblockaden.

Der Religionsphilosophische Salon Berlin ist, wie bekannt, auch der Religionskritik verbunden, der philosophisch reflektierten Kritik der Religionen. Dazu gehört, den wirklichen, oft verschwiegenen philosophischen und religiösen Hintergrund der politischen Parteien freizulegen.

Diese Hinweise sind nur eine Aufforderung, die tatsächliche Ideologie des Front National (FN) noch weiter und umfassender zu studieren, diese Ideologie wird eher selten in den aktuellen Berichten, zumal in Deutschland, ausführlich genug erwähnt. Diese Ideologie ist inzwischen international „angekommen“. Auch deswegen ist die Beschäftigung mit dieser stets – von den Wählerzahlen her gesehen – wachsenden Partei wichtig.

1.

Welche Ideologie steckt im Kopf der Marine Le Pen? Diese Frage stellt der Pariser Philosoph Michel Eltchaninoff in seinem neuen empfehlenswerten Buch (Januar 2017) mit dem Titel „Dans la tete de Marine Le Pen“, Edition Solin/Actes Sud, 19 €.

Ich beziehe mich auf einige zentrale Aussagen dieses Essays. Auf Seite 12 betont der Autor, Chefredakteur der angesehenen Pariser Monatszeitschrift „Philosophie Magazine“: „Marine Le Pen ist keine Intellektuelle“ (Übersetzungen von Christian Modehn).

Um die intellektuelle Hebung ihres Niveaus kümmert sich seit 2010 Paul-Marie Couteux (Seite 14), der Madame Le Pen eine ganze Liste von Büchern zur Lektüre nahe legte, darunter Michel Houellebecq, der „die Moderne als Form der Langeweile beschreibt und den Relativismus“; der Le Pen –Lehrer empfiehlt ihr „die Lektüre des rechtsextremen Theoretikers Denkens Renaud Camus“. Er behauptete – eine in FN Kreisen heute verbreitete These – die muslimischen Einwanderer würden Frankreich erobern…

Inzwischen kann Le Pen in ihren Reden mit kurzen Zitaten von zumeist französischen (!) Literaten, Künstlern und Philosophen glänzen (S. 59). Sie nennt sogar den Widerstandskämpfer René Char oder den Schriftsteller Jean Cocteau oder den eher linken Historiker Marc Bloch oder die Katholiken René Girard oder Charles Péguy. Alle diese Zitate und Sätzchen sollen Eindruck hinterlassen…Dann werden die Zitate zu einem „Eintopf“ verrührt, der nur einen Geschmack haben darf: Frankreich muss wieder an erster Stelle, natürlich nur für alle echten Franzosen stehen. Und die Rechte der Flüchtlinge und Muslime müssen weitestgehend eingeschränkt werden. Sie gehören, so sagt se ironisch-freundlich, in ihre Heimat, also nach Syrien, nach Afrika usw… Schließlich: Die EU muss überwunden werden und die Nationen müssen sich an Russland und Monsieur Putin halten, den – auch für den FN – „finanziell Großzügigen“ und den Nationalisten. Über allem steht die Behauptung: Frankreichs Wurzeln seien christlich. Und das kommt gut an in bestimmten katholischen Kreisen.

Interessant und wichtig ist, dass Michel Eltchaninoff in seinem Buch auf die Nähe Marine Le Pens nicht nur zu Putin, sondern auch zum Führer der russischen Rechts-Extremen und oft Faschisten genannten Alexander Dougin hinweist: „Man weiß, dass Alexander Dugin regelmäßig nach Frankreich kommt und dass er in Kontakt steht mit einigen Mitgliedern des Front National. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Schreiber der Reden von Marine Le Pen die französischen Übersetzungen von Dugins Werken kennen“ (S. 85 f.).

2.

Auf die – schon seit 1968 offiziell schon bestehende „philosophische Schule“ „La Nouvelle Droite“ – macht Eltchaninoff aufmerksam: Dort sammeln sich meist sehr rechtslastige Autoren, vor allem in der „Forschungsgruppe“ GRECE (d.h.; “Groupement de recherche et d études pour la civilisation européene). In ihren zahlreichen Publikationen treten die GRECE Leute für das Heidentum (Paganisme) ein, und damit gegen den Monotheismus und somit für die große Ungleichheit unter den Menschen. Diese Differenz verstehen sie als Unterschied zwischen wertvollen und weniger wertvollen Menschen usw. Leute aus dem Umfeld von GRECE haben Marine Le Pen „den Unterbau, den Sockel, ihrer Reden geliefert“, so Eltchaninoff (S. 89). „Wenn der FN eines Tages zur Macht kommt, „schuldet er den Sieg zum Teil auch der neuen rechten Philosophie im Verein GRECE“ (S.88).

Nebenbei: Ich habe schon im Mai und Juni 1982 in zwei Artikeln für die Züricher Kultur-Zeitschrift ORIENTIERUNG (herausgegeben von dortigen Jesuiten,) auf die vielfältigen Dimensionen der „neuen Rechte“ und GRECE aufmerksam gemacht, man kann die Beiträge noch nachzulesen:

http://www.orientierung.ch/pdf/1982/JG%2046_HEFT%2010_DATUM%2019820531.PDF

und:

http://www.orientierung.ch/pdf/1982/JG%2046_HEFT%2011_DATUM%2019820615.PDF

 

3.

Die ideologische Bindung an die „neue rechte Philosophie“ im Club GRECE hat Marine Le Pen von ihrem Vater förmlich übernommen. Ob sie sich, als Parteiführerin, von ihrem Vater, dem FN Parteigründer, jetzt nur aus taktischen Gründen, nur nach außen hin absetzt, wäre eine weitere Frage, die hier nicht weiter verfolgt werden kann.

Jedenfalls kannte Jean Marie Le Pen schon 1979 die Ideologie der Neuen Rechten. In einem Interview in dem Buch „La droite aujourd hui“ (erschienen 1979 bei Albin Michel) herausgegeben von Jean-Pierre Apparu, dort auf den Seiten 173-181, spielt er auf Thesen an, die aus diesen GRECE-Kreisen stammen: „Das Recht des Menschen stammt aus seiner Zugehörigkeit zu einer (biologischen) Gruppe, die fähig ist, ihn zu respektieren. Der Mensch kommt ganz überwiegend aus einer Kette, einer Abstammung, einer Generation, das zählt…“, sagte Jean Marie Le Pen. (S. 175). „Die Einwanderung erscheint uns als eine von beträchtlichen Gefahren, denen man begegnen muss, nicht nur in Frankreich, sondern in Europa… Wenn wir nicht eine mutige Politik der Geburtenförderung hier im Westen machen, werden die westlichen Völker überrollt von der sich ergießenden Woge des, so sagt le Pen, „Demographismus“ (also, übersetzt der Geburtenfreudigkeit, CM) aus Asien und Afrika“ (S. 178)… „Das ist nicht negativ gemeint, aber es ist mein Recht einer legitimen Verteidigung zu sagen, dass auch die Europäer und die Franzosen ein Recht haben zu existieren“ (ebd).

Man sieht: Diese ungeheuerliche Aufbauschung des angeblichen Untergangs der alten europäischen Kultur, verursacht durch so genannte Horden und Wellen von islamischen Immigranten, was für eine Sprache, gibt es seit den frühen Zeiten des FN…. und diese Reden haben sich als Kontinuum bis jetzt – leider sogar in manchen Kreisen auch in Deutschland – durchgehalten.

Diese Polemik wird heute von allen rechtsextremen und sogar bürgerlich-rechten, sich christlich nennenden Parteien (CSU etwa, schlimmer noch Orban, Ungarn und den meisten EU Politiker etwa im katholischen Polen) vorgebracht, als Argument gegen die Flüchtlinge und gegen die Ausländer und gegen die Muslime: Es ist dies eine extreme Form nationalen Egoismus der Regierungen, die damit nur auf den Egoismus der meisten Bürger antworten … Die jetzige Parteiführerin des FN, Marine Le Pen, ist in dieser Ideologie groß geworden. Sie denkt so wie ihr Vater, aber sie sagt es oft nicht so scharf. Sie will die Leute täuschen, indem sie sich als gute französische Patriotin, als Frau aus dem Volk, präsentiert.

4.

Auf die sich philosophisch nennende Bewegung „La Nouvelle Droite“, Neue Rechte ,und ihre Beziehung zu rechtsextremen Parteien wie dem FN hat auch schon 1983 der Politologe Jean-Christian Petitfils in seinem Buch „L extrème Droite en France“ (in der Buch Reihe „Que sais-je?), Presses Universitaires de France, aufmerksam gemacht (S. 113 ff). Petitfils nennt drei zentrale Themen der Neuen Rechten, also noch einmal

a) Die Verunglimpfung der Egalität, der Gleichheit der Menschen. Gegen die Egalité hat sich die Neue Rechte sehr früh ausgesprochen. Alain de Benoist sagte sogar 1979: „Es ist doch ungerecht, dass alle Menschen eine Seele haben“. Hat er, de Benoist, eine Seele, fragten manche Kritiker. De Benoist behauptete dies in seiner Liebe zur Biologie, die ja auch heute als Ideologie missbraucht wird: Weil doch „die“ Biologie zeige, wie unterschiedlich alle Menschen schon genetisch sind, deswegen sind sie auch sozial und politisch von verschiedenem Wert…Das nennt man Logik.

b) Die Zurückweisung der christlichen und marxistischen Utopien. Christlich und marxistisch wird von der Nouvelle Droite oft als ein und dasselbe Denken verstanden und selbstverständlich bekämpft.

c) Die Entdeckung der indo-europäischen Vergangenheit. Dabei wird die Christianisierung Europas als ein besonders unheilvolles Ereignis der Geschichte gedeutet…

5.

Die katholischen Traditionalisten haben stets eine enge Verbindung mit dem FN gehabt, also mit den Kreisen, die sich seit 1965 um Erzbischof Marcel Lefèbvre sammeln; sie spielen in Frankreich eine große Rolle mit Gemeinden im ganzen Land, Klöstern Schulen und eben auch offiziell römisch-katholischen Klöstern, die aber de facto die reaktionäre Theologie und Ideologie der von Rom abgetrennten Traditionalisten vertreten dürfen, man denke an das Benediktiner – Kloster Le Barroux bei Avignon. Und das ist das zentrale Problem, wenn nicht der Skandal für die römische Kirche: Mit diesen reaktionären, zum Teil faschistischen Kreisen hat sich Papst Benedikt XVI. unbedingt versöhnen wollen und auch die ersten Schritte der Versöhnung getan, das ist bekannt. Nur einige Hinweise:

Die Priester aus der traditionalistischen Bruderschaft Sankt Pius X. feiern mit dem FN selbstverständlich gemeinsam Gottesdienste, etwa zu Ehren von der Heiligen Jeanne d Arc. Die einzige Tageszeitung des FN, das Blättchen Présent, wird von katholischen FN Leuten herausgegeben. Marine Le Pen berichtet, ihre Kinder seien in der wichtigsten Kirche der Pius-Brüder in Paris, also in Saint Nicolas du Chardonnet im 5. Arrondissement, getauft worden, also ist diese Traditionalisten Kirche sozusagen Marine Le Pens „Pfarrkirche“.

Dabei muss daran erinnert werden, dass diese große Kirche seit Sonntag, dem 27. 2. 1977, von den Traditionalisten besetzt ist. D.h. diese reaktionären Priester haben an dem Sonntag diese Kirche einfach der römisch-katholischen Gemeinde weggenommen. Und die Justiz hat diesen „Raub“ zwar verurteilt, aber die Pariser Polizei hat sich niemals bemüht, die Kirche von den katholischen Rechts-Extremen zu räumen. So konnten die Traditionalisten kürzlich stolz den 40. Jahrestag ihrer Kirchenbesetzung feiern, also Leute, die sonst so auf Rechtmäßigkeit und Treue zu alten Gesetzen Wert legen, haben sich ungeniert als Revoluzzer verhalten.

Die Pariser Tageszeitung Libération hat schon 2012 diese verwickelten politischen Umstände dokumentiert, dabei spielt auch der damalige Pariser Bürgermeister Jacques Chirac und seine fromme Gattin Bernadette eine entscheidende Rolle… Siehe also: http://www.liberation.fr/societe/2012/05/11/saint-nicolas-du-chardonnet-avec-foi-mais-sans-loi_818169).

6.

Der Front National hat sich in Frankreich etabliert, er ist eine große Gefahr nicht für die Weiterentwicklung der Demokratie in Frankreich, sondern für Europa. Madame Le Pen hat sich, wie gesagt, mit Putin verbandelt, auch aus finanziellen Gründen….um die EU zu zerstören. Dass Nationalismus stets Krieg bedeutet, hat Madame Le Pen offenbar nie gehört…

Europa befindet sich in einem Zustand der Regression, wie der kluge Buchtitel jetzt aus dem Suhrkamp Verlag („Die große Regression. Eine internationale Debatte über die geistige Situation der Zeit“) heißt. Europa will durch die Zustimmung zu den dummen, reaktionären Parteien nicht erwachsen werden. Und breite Kreise des Katholizismus, direkt oder indirekt die Kreise um Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. unterstützen diesen Weg ins Verderben: Es ist an die 30 % der katholischen Franzosen zu denken, die laut Umfragen fest entschlossen sind, im April /und im Mai 2017/ zu wählen. Die Bischöfe nennen das Problem nicht beim Namen. Sie haben Angst. Ihr Ruf ist ohnehin sehr angeschlagen im Jahr 2017. Ernsthafte Menschen, darunter Katholiken, zweifeln an deren authentischer Rede, nach all den vielen Skandalen zum sexuellen Missbrauch, in dem auch französische Bischöfe sehr involviert sind, wie Kardinal Philippe Barbarin, Lyon, oder wohl auch Bischof Hervé Gaschignard, vom Bistum Aure et Dax… Die Katholische Kirche, so scheint es, ist jedenfalls keine starke Kraft gegen den FN. Und die Intellektuellen schweigen…

Marine Le Pen, Front National, und ihre ideologische Basis

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Außer den genannten Büchern ist noch empfehlenswert die sehr faktenreiche historische Studie von Valérie Igounet, „Le Front National. De 1972 (Gründung des FN) à nos jours. Le Parti. Les Hommes.Les Idées“. Erschienen bei Seuil, Paris, im Juni 2014, 496 Seiten. 24 Euro.

Benedikt der Sechszehnte wird neunzig: Der konservative „EX-Papst“ im Hintergrund.

Joseph Ratzinger, Benedikt XVI., wird am 16. April 2017 90 Jahre alt

Hinweise von Christian Modehn

Der Chefredakteur der Zeitschrift „Stimmen der Zeit“ (München), der Jesuiten Theologe Andreas Batlogg, hat nach dem Erscheinen des Interviewbuches mit Joseph Ratzinger (Ex-Papst Benedikt XVI.) recht mutig im Deutschlandfunk (9.9.2016) gesagt: Das neue gemeinsame Buch mit Peter Seewald „Letzte Gespräche“ (erschienen im September 2016) „dürfte es eigentlich nicht geben“. Es sei stillos, wenn Ratzinger den gegenwärtigen wirklichen und wirkenden Papst Franziskus „in diesem Buch kommentiere“. So werde der Eindruck geweckt, Joseph Ratzinger sei doch noch irgendwie als Papst tätig… Dabei hatte er versprochen, nach seiner Abdankung (am 28.2.2013) zu schweigen. Aber wer einige Meter vom tatsächlichen Papst entfernt wohnt und nicht etwa im bayerischen „Gnaden“-Ort Altötting, der beobachtet alles, hört alles und redet auch mal wieder, um seine bekannten, mindestens sehr konservativ zu nennenden theologischen Meinungen zu verbreiten.

Pater Batlogg sagte in der Ra­dio­sen­dung: „Ich denke Benedikt ist sich treu geblieben. Er ist sich treu geblieben, ich bin da (in dem Buch, CM) Feindbildern und Klischees begegnet, die ich aus den 70er Jahren kenne… Ich merke, da hat er Feindbilder, die er über Jahrzehnte behalten hat, und jetzt, wo er wieder viel fitter ist als bei seinem Rücktritt im Februar 2013, da kommen diese Dinge wieder. Ich denke er schadet sich damit selbst“.

Wohl wahr… Aber diese Worte des EX – Papstes helfen auch all den vielen Prälaten, Kardinälen und reaktionären “neuen” geistlichen Gemeinschaften usw., die ihm, dem Benedikt, verbunden sind und förmlich darauf warten, dass der „alte Geist, der Ratzinger- Geist“, wieder herrscht. Solches freut doch den munteren Ex-Papst. Noch nie wurde wohl von Konservativen bzw. reaktionären Katholiken das Verschwinden eines Papstes so ersehnt wie das Ende von Papst Franziskus. Es gibt bekanntlich Bücher katholischer Journalisten, die den Hass auf Papst Franziskus dokumentieren, wie etwa „Les ennemis du Pape“ (Bayard Presse, Paris, 2016. „Die Feinde des Papstes”. Mit dem tatsächlichen Untertitel: “Über jene, die seinen Tod wollen“; Autor ist der sehr katholische Journalist Nello Scavo. Es werden bald Studien erscheinen, warum wohl Papst Franziskus bei Begegnungen mit ihm Wohlgesinnten immer wieder diese förmlich anflehte: “Betet für mich“. Diese permanente Häufung von Gebets-Wünschen lässt auch Böses ahnen…

Nun wird Joseph Ratzinger am 16. April 2017 90 Jahre alt. Uns interessiert nicht so sehr, ob irgendwelche lieben Domspatzen oder Altöttinger Liebfrauen-Brüder ihn beehren werden und bayerische Schweine-Schmankerl mitbringen.

Wir entsprechen nur den Nachfragen einiger LeserInnen dieser Website: Sie baten darum, noch einmal einige zentrale Texte aus unseren Forschungen zu Ratzinger zugänglich zu machen. Dabei ist für mich keine Vollständigkeit erreichbar. Etwa die Themen “Unterdrückung der Kenntnis und der Bestrafung sexueller Täter in der Zeit von Ratzingers Tätigkeit als oberster Glaubenschef in Rom” werden nicht erwähnt, das haben andere schon getan. Im Rahmen unserer Forschungen zu dem entsprechend belasteten Orden der „Legionäre Christi“ wurde hingegen oft von Ratzinger/Benedikt XVI. gesprochen.

Tatsache ist und die ist wichtig für die Geschichte der katholischen Religion: Unter Benedikt XVI. wurde die traditionelle Kirche, ganz auf den zölibatären Klerus fixiert, weiter gestärkt. Mit all den katastrophalen Folgen durch Priestermangel in den europäischen und nordamerikanischen Gemeinden. Tatsache ist weiter, dass dieser Papst die evangelischen Kirchen nie als Kirchen anerkannt hat. Hingegen schwadronierte Benedikt XVI. von einer Versöhnung mit den, Verzeihung, theologisch weithin verkalkten und oft korrupten orthodoxen Staatskirchen. Wer will mit Putin-Patriarchen und Bischöfen schon „eins“ werden und im uralten, dort üblichen Kirchenslawisch Gesänge schmettern?

Es werden hier also nur einige Beispiele, seit 1968, und einige Grundhaltungen des Theologen Ratzinger aufgezeigt, die er als Papst nicht aufgeben wollte und konnte. Ratzinger hatte ja bekanntlich seine private Theologie als DIE Theologie des Katholizismus vertreten und mit Gewalt verteidigt und durchgesetzt. Ihn inspirierte völlig der Kirchenvater Augustinus (gestorben 430) und eben nicht Karl Rahner oder Hans Küng.

Zu einem längeren biographischen Hinweis zur politischen Rechtslastigkeit Ratzingers seit 1968 klicken Sie hier.

Zum Widerspruch Benedikts gegen Formen des so genannten Relativismus klicken Sie hier.

Zu seiner Ehelehre und der Zurückweisung jeglicher Homo-Ehe klicken Sie hier.

Zu dem merkwürdigen Phänomen der ins Idolatrie abgleitenden Papsthymnen bei seinem Besuch in Mexiko klicken Sie hier.

Die Versöhnung mit den reaktionären Pius-Brüdern (gegründet von Erzbischof Marcel Lefèbvre) ist sicher eine der schwer wiegendsten Entscheidungen Benedikt XVI., sie zeigt wohl auch seine versteckten und unausgesprochenen Sympathien für diese angeblich so treu ergebenen katholischen Kreise… Über die so gütigen, verständnisvollen Bemühungen Ratzingers/Benedikt XVI., mit diesen auch politisch reaktionären, oft dem FN nahe stehenden traditionalistischen Kreisen (in Frankreich) zu einer Versöhnung zu kommen, wird in dem Bericht zur politischen Rechtslastigkeit Ratzingers gesprochen. Besonders die Affäre um den FN –Freund Abt Calvet von Le Barroux ist unvergessen: Dieses traditionalistische Benediktinerkloster versöhnte sich mit dem Papst, durfte aber die eigene reaktionäre Theologie und Politik ungebrochen fortsetzen. Calvet war ein Freund des Pétain Anhängers und Nazis Paul Touvier….Der Abt zeigte sich verständnisvoll für die Brandstifter, die das Kino “St. Michel” in Paris 1988 anzündeten, als dort der Scorsese Film „La dernière tentation de Jésus“ gezeigt wurde. Die Brandstifter machten übrigens ihre Exerzitien in seinem Kloster. Diese Versöhnung mit Le Barroux und weiteren reaktionären Klöstern ist eine der ganz dunklen Seiten in der Theologie und Kirchenpolitik Ratzingers. Über sie wird kaum noch gesprochen. Die Versöhnung mit dem Papst wurde im Kloster “Le Barroux” übrigens groß gefeiert, Kardinal Mayer OSB reiste aus Rom eigens an und feierte die Messe mit vielen rechtsextremen Frommen, wie etwa Bernard Anthony vom FN und dem Chefredakteur der FN Zeitung „Présent“ Jean Madiran. Ratzinger jedenfalls meinte unschuldig und nach außen naiv: „Die traditionalistische Messe auf Latein (d.h. der Priester spricht still seine Texte vor sich hin, mit dem Rücken zum schweigenden, bzw. den Rosenkranz betenden Volk,CM) ist ein Bollwerk für den Glauben“ (Viele Details sind nachzulesen in der wichtigen Studie „Des Intégristes très intégrés“ in: Les Dossiers du Canard, “Les Cathocrates”, Paris 1990, Seite 20 f.).

Zu Abt Dom Gérard einige Hinweise sogar auf Englisch vom Kloster selbst: https://www.barroux.org/en/nos-fondateurs-articles/dom-gerard-en.html

Ein eigenes Thema wäre: Wie betreibt Papst Franziskus die weitere Versöhnung mit den Pius-Brüdern? Manche kundigen Beobachter sagen: Die Versöhnung steht bevor. Warum wohl? Weil diese Piusbrüder eben viele junge Priester haben. Die sind ja absoluter Mittelpunkt im katholischen Denken! „Der Klerus muss herrschen“. Das ist die selten besprochene, aber tatsächlich wichtigste Botschaft des Vatikans im Reformationsgedenken 2017.

Copyright: Christian Modehn Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

 

Glauben und Wissen: Getrennt und doch verbunden. Zum Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon am 31. 3. 2017

Hinweise und Thesen von Christian Modehn, vorgetragen im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon am 31.3.2017.

1. Wer sich mit dem Verhältnis von Glauben und Wissen philosophisch befasst, verirrt sich nicht etwa in „abstrakte Reflexionen“, die man gern irrelevant und lebensfern nennt.

Wir reden vielmehr vom Zusammenhang von Glauben und Wissen aus lebens-praktischen Interessen. Denn es geht bei dem Thema um die Frage: Wie gelangen wir in ein Leben, das möglichst frei ist von „inneren“, also geistigen Widersprüchen, etwa zwischen einer Praxis des Wissens und einer Praxis des Glaubens.

Im Blick auf die Geschichte ist klar: Viele religiös Glaubende haben diesen Widerspruch zwischen ihrem Glauben und ihrem wissenschaftlichen Wissen förmlich gesucht und gepflegt. Zu ihnen gehört etwa der Mathematiker und hochbegabte Erfinder Blaise Pascal (1623 – 1662), der seine Wissenschaft total von seinem Glauben trennte; der von einer Art Privatoffenbarung überzeugt war (am 23. Nov. 1654, passierte sein mystisches Ereignis; das „Memorial“ nähte er sich in seine Jacke ein). Pascal glaubte an einen Gott jenseits aller Vernunft, nur dieser Gott zeige sich „als Gott der Liebe und des Trostes“. Er betonte einen totalen Bruch zwischen dem Gott der Philosophen und dem Gott des christlichen Glaubens.

Diesen Bruch halte ich philosophisch (und theologisch) gesehen für falsch. Der Mensch ist nicht gespalten in Denken (Gott denken) und Fühlen (Gott fühlen).

2. Wenn wir Glauben als eine allgemeine, menschliche Haltung verstehen, wird deutlich:

Wir bewegen uns ständig in Glaubensformen, im vor-religiösen Sinne gemeint, etwa: “Ich glaube, mein Freund besucht mich morgen“. Das ist auch eine schwache Form von Wissen. Oder die Wissensform, noch vor-wissenschaftlicher, unbewiesener Art, etwa: „Ich weiß nach zwei Konsultationen, dass dieser Arzt kompetent ist“. Handelt es sich dabei nicht auch um den Glauben, dass dies in Zukunft auch so bleibt? Glauben und Wissen gehen ineinander über in der Alltagspraxis.

Von daher ist eine philosophische Analyse und dadurch eine tiefere Bestimmung von Glauben und Wissen geboten, als Lebensformen, in denen wir uns ständig, immer schon, bewegen. Philosophie zeigt sich bei diesem Thema einmal mehr als Reflexion des von uns „Immer-Schon- (unthematisch) Gelebten und eben dann als sprachliche Thematisierung dieser Inhalte und Strukturen.

3. Philosophie kann niemals populäre, also fest verwurzelte Gegensätze auf sich beruhen lassen, etwa den geglaubten Gegensatz von „Frieden und Krieg“ (aber: „Wie viele Kriege gibt es im Frieden ?“) oder „Liebe und Hass“ oder „Leben und Tod“ (wie viele Abschiede aller Art, Formen des Todes, haben wir im Leben nicht erfahren?) usw.

So kann Philosophie auch nicht den angeblichen Gegensatz von Glauben und Wissen einfach erhalten wollen. Philosophie muss zudem fragen: Wer hat Interesse daran, dass dieser abstrakte Gegensatz fortbesteht, bei dem heutzutage oft unterstellt wird: Wissen ist doch viel besser und wertvoller als Glauben. Das meinen bestimmte Kreise eines zweifellos heute vorhandenen militanten Atheismus, über den sehr viel weniger gesprochen wird als über den genau so unsinnigen militanten unreflektierten religiösen Glauben.

Es gibt jedenfalls auch die oft akzeptierte Behauptung: Religiöser Glauben ist viel besser als Wissen. Das meinen bestimmte Kreise des dogmatischen Fundamentalismus in den drei monotheistischen Religionen. Sie folgen unmittelbar den religiösen Weisungen ihrer religiösen Bücher, verfasst etwa 650 nach Chr. (Koran) bzw. 80 nach Christus (NT) und 600 vor Christus (Hebräische Bibel).

4. Wir leben also immer schon in allgemeinen, also in noch-nicht-religiösen Formen des Glaubens. Diese von uns oft selbstverständlich hingenommene und unreflektierte Glaubensform lebt ständig im Alltag. Dieser Glaube wird als Vertrauen erlebt, also etwa als unbegründete und beinahe selbstverständliche Zuversicht gegenüber einem Menschen, den man als gut erlebt und ihm deswegen glaubt. Als Zuversicht, dass der nächste Tag gelingt und vielleicht das ganze weitere Leben. Vertrauen und Zuversicht als oft unreflektierte Annahme von gründendem Sinn im ganzen ist als Glaube im Alltag vorhanden. Das ist die Basis des menschlichen Zusammenseins in der Gesellschaft. Dieser allgemeine Glaube (dieses Ur-Vertrauen) kann erschüttert werden, kann aber auch wieder „aufgebaut“ werden.

5. Ist im Wissen und in der Wissenschaft eine Glaubens-Haltung immer schon anwesend? Tatsache ist:

Glauben bzw. zuversichtliches Vertrauen halten das forschende Wissen auf Dauer lebendig. Sie sind so etwas wie die innere Dynamik, der geistige Atem, im Forschen, ohne die Forschen nicht gelingt. Wir glauben als Forscher, dass wir später durch die Forschung mehr und besser sehen und verstehen. Man denke an den Glauben innerhalb der medizinischen/pharmakologischen Forschung, tatsächlich nach langen Mühen ein besseres Medikament zu finden usw. Darin zeigt sich unthematisch auch ein Glauben an eine gute und bessere Zukunft der Menschen, wenn nicht der Menschheit. Mit diesem universalen humanen Glauben ist kein dummer Fortschrittsglaube gemeint, der da behauptet: Alles (man meint die Technik) wird immer weiter entwickelt und damit alles immer besser. D.h. zusammenfassend: Ohne eine Art zuversichtlichen Glauben gibt es kein geistvolles wissenschaftliches Leben. „Der allgemeine Glauben ist die Generalbedingung bewussten Lebens“, (Gerhardt, Glauben und Wissen, Reclam 2016, S. 45).

6. Auch im Glauben ist Wissen immer anwesend. Dabei verstehen wir Wissen immer als Vernunft, also als Kritik, als kritisches und selbstkritisches Reflektieren, als Aufklärung im philosophischen Sinne. Auch schon der allgemeine und alltägliche Glaube hat eine bestimmte Wissens-Form, er sagt sich in Sätzen aus, er sucht Kommunikation, er will den Widerspruch, will sich begründen. Die Alltagspraxis ist nie sprachlos, auch wenn oft unvernünftige ideologisch verblendete Thesen behauptet werden.

7. Zur wechselseitigen Beziehung von religiösen Glauben und dem Wissen. Es gibt Formen des Wissens, die sich als Wissen selbst deuten und so propagieren, tatsächlich aber Glaubensformen sind. Man denke an den Marxismus-Leninismus, als von den kommunistischen Herrschern definierte Wissenschaft, die zum Kommunismus führt durch die Lehre von der Dialektik oder der führenden Rolle der KP als dem Inbegriff des Wissens usw. In dieser sich wissenschaftlich gebenden Ideologie wurde letztlich ein Glaube (an den Weg zu Sozialismus und Kommunismus, durch die Partei geführt) als Wissenschaft ausgegeben und durch diesen Glaube wurden andere religiöse Glaubenshaltungen (etwa Kirchen) verdrängt und verfolgt. (Siehe etwa Michail Ryklin, Kommunismus als Religion, Frankfurt am Main, 2008). Auch der Positivismus eines Auguste Comte gab sich als Wissenschaft, mit der zu glaubenden Behauptung, dass Religion und Metaphysik als Haltungen von einst überwunden und beiseite gelegt sind und nun die positive Wissenschaft siegreich alles bestimmt. Ideologien geben sich gern als Wissenschaft. Auch der Faschismus hat mit einer angeblichen „Rassenlehre“ sich wissenschaftlich gegeben. Warum? Sicher auch, weil die Ideologen meinten, mit der Behauptung Wissenschaft zu sein, mehr Erfolg bei den Menschen zu haben. Diese glauben eben den angeblichen Wissenschaften eher…

8. Es gibt auch heute die Tendenz, Naturwissenschaft so zu verstehen, als ersetze sie als Naturwissenschaft eine in dieser Sicht völlig überholte religiöse Glaubenshaltung. Somit wird eine neue Ideologie geschaffen, die freilich nichts anderes ist als eine bestimmte Glaubens-Haltung. Da wird etwa durch Richard Dawkins und andere argumentiert: Naturwissenschaftliche Erkenntnis von heute widerlege als solche den (angeblich immer alten und deswegen veralteten) religiösen Glauben an Gott. Diese These ist als Ideologie zurecht zurückgewiesen worden, schon aufgrund der schlichten Erkenntnis, auf die schon Wittgenstein und andere umfassender als Dawkins reflektierende Denker hinweisen: Naturwissenschaft als Naturwissenschaft kann niemals letzte Sinnfragen, also auch religiöse Fragen, beantworten. Das ist einfach nicht ihr Thema. Ein Beispiel: Von Maschinenbauern als Maschinenbauern erwartet man auch nicht die Schaffung von Kunst-Skulpturen. Also: Atheismus lässt sich rein -naturwissenschaftlich weder beweisen noch widerlegen.

Hingegen stellen sich Naturwissenschaftler als denkende Menschen, also ansatzweise dann als Philosophen, durchaus manchmal noch die Frage: Was darf ich –ethisch betrachtet – als Naturwissenschaftler erforschen? Ist etwa die Verbesserung der Atombomben auch ethisch noch vertretbar? Naturwissenschaftler, dann als umfassend denkende Menschen verstanden, gelangen also ins ethische Philosophieren, das bekanntlich nach Kant durchaus in Dimensionen eines vernünftigen religiösen Glaubens führen kann. Aber es ist nicht die Naturwissenschaft als Naturwissenschaft, die für oder gegen den religiösen Glauben spricht.

Heute erleben wir wieder die Sprüche: „Wenn die naturwissenschaftliche Forschung einmal begonnen hat, ist sie nicht zu stoppen“, jetzt etwa im Blick auf radikale Verlängerungen der Lebenszeit der (sehr wohlhabenden) Menschen formuliert. Diese wollen gern 150 Jahre und mehr gesund leben, die Forscher setzen alles dran, dies technisch-pharmakologisch zu erreichen. Angeblich weil „die Forschung“ (ist diese ein handelndes Subjekt, doch wohl nicht) nicht zu stoppen ist. Solche Sätze sind die Ideologie der Konzerne, die diese Forschung als Profit betreiben. Forschung lässt sich durchaus stoppen, wenn sich herausstellt, dass es für die Menschheit dringendere Aufgaben gibt: Etwa das Hungersterben von Millionen Jahr für Jahr zu stoppen, also strukturell zu überwinden. Hinter der totalen Freiheit der Forschung verbirgt sich eine Ideologie der reichen Welt, die sich nur um sich selbst kümmert, aber das gerechte humane Projekt völlig aus den Augen verliert…

Heute wird von verblendeten Machthabern, wie etwa von Mister Trump, aller wissenschaftlichen Erkenntnis zuwider behauptet: Der zunehmende CO2 Ausstoß gefährde das weltweite Klima nicht. Man sieht: Aus einer ideologischen, politisch bedingten Haltung wird auch heute ein irriger Glaube als Wissen propagiert. Wie etwa auch das Grundbekenntnis der neoliberalen Wirtschaftsunordnung: „Der so genannte freie Markt reguliert sich selbst, und wie von unsichtbarer Hand, an die man glauben soll, wird alles zum Besten aller geregelt“. Dass dabei zunächst die Reichen immer reicher werden, möge man glauben. Genauso wie: Die Gerechtigkeit für die Armen kommt später, viel später. Vielleicht. Es muss also die Glaubenshaltung (als Ideologie) inmitten des Wissens und der Wissenschaft freigelegt und geistig bekämpft werden.

9. Wie steht es mit dem Übergang vom religiösen Glauben ins Wissen? Religiöser Glaube, etwa im Judentum, Christentum und Islam stellt sich immer in Sätzen dar, als sprachliche Formulierung, als von religiösen und politischen Herrschern vorgegebene Dogmen. Dabei bezieht man sich auf mündliche Offenbarungen und heilige Bücher, diese werden dann als angeblich ewige Dogmen fixiert.

Nur ein sich selbst NICHT reflektierender Glaube kann die Inhalte dieser Offenbarungen und der heiligen Bücher als gültiges Wissen ungeprüft und ohne weiteres annehmen.

Es ist hingegen unvernünftig und damit für eine selbstkritische und reife Lebensgestaltung ausgeschlossen, wenn etwa aus der Lehre der Bibel von der Weltschöpfung in sechs Tagen als Wissen gefolgert wird: Also halten wir uns auch als Wissenschaft an diese religiöse Mitteilung, dass Welt und Mensch in sechs Tagen geschaffen wurden.

Hingegen gilt: Die besondere Qualität der religiösen Texte als Poesie (!) muss anerkannt werden. Es ist immer notwendig, diese Texte wissenschaftlich, also historisch-kritisch, zu lesen und zu verstehen und dadurch den Inhalt zu relativieren. Das Wissen und die Vernunft erkennt die besondere Qualität der religiösen Texte.

Nebenbei, aber sehr wichtig: Es gibt in den christlichen Konfessionen immer noch die Anerkennung wortwörtlich übernommener Bibel-Sprüche, etwa im Vatikan das Wort Jesu „Du bist Petrus der Fels und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen…“, aus diesem Spruch wird im Vatikan abgeleitet, dass alle Päpste Nachfolger Petri sind, also dem ausdrücklichen Willen Jesu entsprechen. So wird Jesus von Nazareth zum Kirchengründer und Förderer des Papsttums, inklusive der vatikanischen Paläste und der Glaubensbehörden (Inquisition). Andere Sprüche dieses Jesus von Nazareth werden im Vatikan hingegen niemals wortwörtlich übernommen, weil sie den vatikanischen Machttrieb stören, etwa der Spruch „Nennt euch nicht Meister… Der erste sei der Diener aller usw.“

Der Glaube bleibt also nur lebendig und menschlich „vertretbar“, wenn er vernünftige Kritik fördert und zulässt.

Man denke an die Hexenverfolgungen. Diese wurden nur beendet durch die Durchsetzungskraft der Vernunft! Der authentische religiöse Glaube etwa des Christentums wurde immer von der Vernunft gerettet. Friedrich von Spee SJ, der große Feind der Hexenverfolgungen, sagte: „Dienen wir der Gerechtigkeit, folgen wir der Vernunft. So haben wir keine Hexen mehr zu verbrennen“. Friedrich von Spee kämpfte gegen verrückte staatliche und kirchliche Lehren seiner Zeit. Er hat allein aus seinem Gewissen heraus gehandelt.

10. Wenn also im Wissen Glaubenshaltungen anwesend sind und der religiöse Glaube sich selbst als Wissen präsentiert: Die entscheidende Frage ist, noch einmal formuliert: Was ist das Kriterium, um im Wissen den möglicherweise berechtigten Glauben und im religiösen Glauben das möglicherweise berechtigte Wissen zu erkennen?

Diese Leistung der Unterscheidung kann selbstverständlich nur das Wissen sein, also die Kritik, die Aufklärung, die Reflexion. Wenn der religiöse Glaube sich selbst korrigiert, ist dies tatsächlich eine Leistung des Wissens, der Kritik, des Nachdenkens. Alle Glaubens-Reformation ist also Ergebnis des Wissens, der Kritik, des Nachdenkens, also handelt es sich nicht etwa um eine wunderbare Einsicht! Ohne Vernunft kein menschenwürdiger religiöser Glaube, das ist das gültige Prinzip auch für religiöse Menschen.

11. Ist Kritik und Wissen das entscheidende Kriterium, das auch im Feld des Religiösen tätig ist: Dann gilt das auch im Bereich der Esoterik. Also der subjektiven inneren Erlebnisse, in denen etwa jemand meint: Dieser oder jener Quarzstein mit seiner Ausstrahlung sei gut, um schlanker zu werden. Das kann man als einzelner zweifellos glauben, obwohl der Übergang in Wahnzustände überprüft werden sollte; die Vernunft wird nur dann zum Einsatz kommen, wenn nun der einzelne Quarz-Stein-Freund in der Öffentlichkeit überall (auf Kosten des Steuerzahlers) Quarzsteine aufstellen möchte oder so. Ich hätte viel heftigere Beispiele eines in meiner Sicht religiös esoterischen Wahns bringen können, die kennt jeder aus seinem Umfeld. Esoterik kann auch die großen Religionen bestimmen: Man denke an den Wunderglauben in der katholischen Kirche bis heute, wenn man etwa Marien-Erscheinungen in Fatima (1917 !) verehrt werden und die Gips-Madonna von dort durch die Straßen geschleppt werden, wie kürzlich in Berlin-Spandau geschehen. Die Präsenz der Madonna soll wirken und helfen. Glaube wird da zum offiziell geförderten Aber-Glauben. Und diesen Aberglauben als Aberglauben erkennt nur die freie Vernunft.

12. Ohne Vernunftkritik auch im religiösen Glauben ist alles im religiösen Glauben beliebig und verschwommen und deswegen nicht relevant. Ohne Vernunftkritik ist alles, auch im Glauben, nichts.

Aber Vernunft ist auch nicht alles, sie ist nicht das ganze Leben. Sie ist nicht Musik, Kunst, Liebe usw. Das Leben ist als Erleben mehr als Vernunft. Keine Frage! Aber Musik, Kunst, Liebe, Engagement, Mitgefühl usw. haben in sich selbst, förmlich wie eine immer begleitende Hintergrund-Musik, die stets unthematisch anwesende Vernunft. Sie allein ist in der Lage, Musik, Kunst, Liebe, Engagement usw. für einen selbst und für andere zu mehr Klarheit zu bringen und mit anderen darüber ins Gespräch zu treten. Bekanntlich sprechen wir hilflos oft von Erlebnissen der Musik, Kunst, Liebe, aber wir sprechen und bedienen uns dabei der Sprache, die alle verstehen, also in der Sprache der Vernunft.

13. Mir ist es wichtig, in dem Zusammenhang eine grundsätzliche Korrektur am üblichen Glaubens-Begriff innerhalb der christlichen Theologie vorzuschlagen.

Der religiöse Glaube findet bekanntermaßen auch deswegen im Augenblick wenig Respekt, weil religiös Glaubende zu viel religiösen Unsinn verbreiten und weil Religionen als fundamentalistisch-gewalttätige Organisationen sich machtvoll gebärden. Viele erleben Religionen und Kirchen einfach als unsympathisch.

Entscheidend ist: Der größte Fehler ist, wenn religiöser Glaube von Theologen, vor allem aus dem klassischen, „orthodoxen“ evangelischen Umfeld, als so genannter blinder und mutiger „Sprung“ in die göttliche Wirklichkeit hinein verstanden und propagiert wird. Dieses stark dominierende Erbe der dialektischen Theologie („Glauben heißt Augen zumachen und den Verstand stilllegen, also Springen) halte ich für verheerend. So wird der religiöse Glaube zur Sache einiger dummer Mutiger, der Unreflektierten oder der besonders Begnadeten: Sie haben halt die Gnade, in Gott hinein zu springen. Dadurch wird der religiöse Glaube zu einer Sache, die den selbstkritischen Menschen gar nicht mehr berührt. Gott wird zum Thema für einige Erwählte, eine Tradition, die beim alt gewordenen Augustinus ihren Ursprung hat, wahrscheinlich schon im Glaubensbegriff des Paulus.

Unsere Meinung ist: Wenn Gott zum Menschen „gehört“, muss er sich auch im menschlichen und das heißt beim Menschen eben im geistvollen, also vernünftigen, Leben zeigen. Gott gehört zum Menschen als Menschen, selbst wenn faktisch viele Menschen keinen religiösen Glauben „haben“. Sie sind „Atheisten“ in Anführungszeichen, weil sie ganz entscheidend nur Kirchen und religiöse Organisationen erleben, die schlicht und einfach eher abstoßend sind, und darin haben diese „Atheisten“ recht. Sie sind aber keine Atheisten, weil sie selbstverständlich wie alle Menschen einen absoluten Mittelpunkt in ihrem Leben haben, dem sie alles opfern, Zeit, Geld, Energie, etwa Sport, Musik, Geldverdienen. Dies sind alltägliche Götter nicht nur der „Atheisten“.

14. Ich schlage dringend vor, gerade im Reformationsgedenken: Wir sollten, viel stärker das Johannes Evangelium und die johanneische Theologie respektieren. Diese Position von Glauben als einer Form des Wissens wird meines Erachtens von der in den Kirchen, besonders der protestantischen Kirche, nicht viel beachteten Tradition des JOHANES gepflegt. Bisher folgen die Kirchen viel zu sehr dem Modell des paulinischen Denkens, auch Luther dachte offenbar sehr paulinisch.

Ich nenne nur einige schöne Zitate aus dem Kreis der „Johannes Schule“, die ansatzweise deutlich machen, das Glauben an Gott und Glauben an Christus WISSEN ist:

1 Joh. Brief 3, 14. „Wir wissen, dass wir aus dem Tod in das Leben hinübergegangen sind, weil wir die Brüder lieben“.

1 Joh 5, 19: Wir wissen, wir sind aus Gott. Wir wissen, der Sohn Gottes ist in die Welt gekommen…“

Auch im Joh Ev 3,2 Nikodemus: Wir wissen, du bist ein Lehrer, der von Gott gekommen ist“.

Der religiöse Glaube muss also auch im Sinne des Johannes Evangeliums definiert werden.

Glauben ist dann kein bloßes Fürwahrhalten von irgendwelchen möglicherweise obskuren Sätzen und Behauptungen. Glauben ist: Ein vertrauensvolles Wissen, ein Wissen ganz eigener Art, ein bewusstes Bezogensein auf einen Sinn stiftenden transzendenten Grund; also das Wissen von einem absoluten Sinnhorizont, in dem wir immer schon stehen. In dieser Haltung ist kein naiver Glaube mehr enthalten, sondern ein wirkliches Wissen. Es ist natürlich kein naturwissenschaftliches Wissen, aber ein Wissen, wie wir es im geistvollen Miteinander kennen, ein Wissen, das wir im Erleben der Kunst, der Liebe, in der Empathie usw. spüren und zu Wort bringen.

Damit plädiere ich für eine VIELFALT der Formen des Wissens. Wissen ist niemals nur naturwissenschaftliches Wissen. Wissen ist auch Bezogensein auf das Unendliche.

Aber der Mensch ist immer frei, sich zu dieser Erkenntnis auf eigene Art, frei, zu verhalten. Ich kann ja auch in einer aus dem Vertrauen gewonnenen Erkenntnis, dass mich dieser Mensch liebt, mich frei, zustimmend oder ablehnend, verhalten.

Es wird oft behauptet: Wenn Glaube auch eine bestimmte vertrauende Wissens-Form ist, dann verliert er seinen freien und möglicherweise gnadenhaften Charakter. Das ist in meiner Sicht nicht so: Ich kann mich zu meinem wissenden Glauben, immer kritisch reflektiert, auch frei verhalten. Ich kann die Annahme dieser anderen Wirklichkeit (Gott) als Geschenk, Gnade, erleben, die aber niemals ohne mein eigenes Bemühen, auch im Nachdenken, erreicht wird.

15. Wird der Glaube selbst als eine selbstkritische Wissensform erlebt und auch so bestimmt: Dann ist es nicht mehr möglich, alles Beliebig-Mögliche und Unwahrscheinliche dann noch „Glauben an Gott“ zu nennen. Denn dann kritisiert und korrigiert meine selbstkritisch reflektierende Vernunft meinen eigenen Glauben: Ich kann nicht mehr Wahnhaftes (Glauben an Hexen etwa) behaupten, von Jungfrauen schwärmen, die mich im Paradies erwarten; nicht mehr an Marienerscheinungen glauben, die in Fatima nur sichtbar waren den drei Hirtenkindern usw.

Der Glaube als Wissensform verliert dann seinen mysteriösen und esoterischen Charakter. Er wird inhaltlich einfach, man könnte sagen nackt, er legt immer mehr Kleider ab, um sich ganz auf das Wesentliche zu beziehen: Die Bindung und Verbindung an eine göttliche Wirklichkeit. Und das Wissen als vertrauendes Wissen gilt: Wenn die Welt und die Menschen von einer absoluten Wirklichkeit her stammen, die die Evolution in Gang setzte und als solche schöpferisch ist: Dann ist diese göttliche Wirklichkeit in mir und in jedem Menschen auch lebendig.

16. Daraus ergibt sich eine enge innere (!) Verbindung von Mensch und Gott, von Ich und Gott. Es ist dieses Erlebnis der Einheit, die allein wichtig ist. Da wird dann die Kirche nicht mehr so wichtig, sie ist ein Ort, in dem religiöse Menschen in der Unterschiedlichkeit miteinander sprechen und sich ermuntern, weiter zu wachsen auf diesem Weg.

17. Zusammenfassung der These: Es gilt, den religiösen Glauben der Christen zu befreien von der engen, bloß gläubigen, also nicht auch wissenden, also nicht auch selbst-kritischen Haltung. Christlicher Glaube an Gott ist eine Form des Wissens, des kritisches Wissen, des kritischen vertrauenden Wissens! Es gilt die verschiedenen Wissens-Formen zu entwickeln. Die göttliche Wirklichkeit ist als göttliche Wirklichkeit niemals zu umgreifen und zu definieren. Das heißt: Menschen können Gott nur berühren. Mehr nicht. Und Gott berührt dabei den Menschen. Das ist, wenn man das Wort will, das Geheimnis des Lebens.

Mehr brauchen die Menschen nicht. Die Kirchen haben das zu pflegen und zu feiern, im Fest, im Mahl und in der Solidarität. Und immer wieder zu besprechen. Mehr ist nicht not-wendig.

Einige Anregungen verdanke ich der Studie von Volker Gerhardt, „Glauben und Wissen“, Reclam 2016.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

 

 

Zweifel und Skepsis müssen zweifelnd und skeptisch gesehen werden. Zum neuen Heft “Philosophie Magazin” (1. 4.2017)

Der Religionsphilosophische Salon Berlin hat schon oft das “Philosophie Magazin” aus Berlin empfohlen. Die neue Ausgabe (April/Mai 2017) ist nicht nur für – im engeren Sinne – philosophisch Interessierte wichtig, wer ist das auch bei der Weite der Philosophie… sondern eben für alle, die tieferes Nachdenken, Selbstkritik, Gesellschaftskritik leben und gestalten wollen. Das Heft bietet mehrere Beiträge zum Zweifel und zur Skepsis, als einer Haltung, die in Zeiten der ständig verbreiteten Lügen (diplomatisch verschleiernd “postfaktische Wahrheiten” von den politisch mächtigen Herren der Definitionen genannt) förmlich zur Lebenshilfe werden kann. Dabei betont Chefredakteur Wolfram Eilenberger gleich am Anfang: Skepsis wehrt sich gegen Dogmatismus, aber auch “gegen die zersetzende Kraft eines totalen Skepizismus und der moralischen Beliebigkeit” (S.3). Man wird wieder die Vielfalt der Themen, auch die Buchbesprechungen, mögen, die das Heft bietet. Diesmal finde ich besonders wichtig, dass aus dem ganz neuen Buch des Chefredakteurs des französischen “Philosophie Magazine” (Michel Eltchaninoff) “Dans la tete de Marine Le Pen” (2017) einige Passagen übersetzt sind. Deutlich wird, wie Marine Le Pen aus taktischen Gründen die heftige antisemitische und rassistische Sprache ihres Vaters, des Parteigründers Jean – Marie Le Pen, vermeidet; aber im ganzen doch eine radikale Anti-Muslim Position vertritt, ganz abgesehen von der Drohung, im Fall ihrer Wahl aus der EU auszusteigen.  Ihr Gerede vom ewigen Frankreich und der Nostalgie von der großen Nation folgen leider viele, darunter auch zunehmend Katholiken. Und die angeblich gut-bürgerlichen “Républicains” (Francois Fillon und co) haben längst etliche Sprüche von Marine le Pen übernommen! Zum Thema Zweifeln bietet das Heft ein Essay und einen Hinweis auf die Geschichte des Denkens: Pyrhon,Descartes, Hume… Es sind Hinweise, wie wir trotz der not – wendigen Zweifel nicht den (geistigen) “Boden” unter den Füßen verlieren. Sehr wertvoll und bestens für Gruppengespräche geeignet ist der Beitrag von Philipp Hübl “Wege aus der Verwirrung”, der u.a. dumme Sprüche von Mister Trump auseinandernimmt, etwa “Alles ist letztlich Ansichtssache” (S. 52). Auf Mister Trump bezogen ist auch ein längerer Beitrag über den nun wieder hoch aktuellen George Orwell und seinen Roman “1984”. Das leider zu kurze Interview mit Noam Chomsky zu lesen ist ein Vergnügen, und hoch interessant, wie dieser universal gebildete Sprachphilosoph den klassischen “Gedanken einer menschlichen Natur” verteidigt: “Wir sind weder Affen noch Katzen noch Stühle, also haben wir eine Natur, die uns unterscheidet. Wenn es keine menschliche Natur gäbe, gäbe es auch keinen Unterschied zwischen mir und einem Stuhl, eine absurde Vorstellung” (S. 72). Bleibt zu hoffen, dass sich etliche “Naturalisten” und solche, die permanent behaupten, “der” Mensch sei “ein Tier”, diese Zeilen bedenken. Für uns am meisten inspirierend ist das Interview mit Lorraine Daston und Georg Mascolo über “Welchen Fakten können wir trauen?”. Man kennt ja die Sprüche, dass der Klimawandel halb so schlimm sei und noch viel mehr geforscht werden müsse, ehe man zu einem abschließenden Urteil kommen könne. Hingegen gilt: “Strategische Skepsis kann auch zu Zwecken der Gegenaufklärung genutzt werden”, sagt Lorraine Daston, Direktorin am Berliner Max-Planck-Institut. Im ganzen also erneut: Dieses Heft sollte niemand übersehen und verpassen….

copyright: Christian Modehn