“Religion, zum Teufel!” Das neue KURSBUCH

Das neue „Kursbuch“ (Heft 196) über Religionen

Ein Hinweis von Christian Modehn

Das „Kursbuch“, bekanntlich nach vierjähriger Pause 2012 noch einmal „auferstanden“, wird herausgegeben von dem Soziologen Armin Nassehi und dem Publizisten Peter Felixberger. Sie haben nun 13 Autoren eingeladen, zu den heutigen Erscheinungen der Religionen, vor allem des Christentums und des Islams, mehr Licht, mehr Aufklärung zu bringen. Provozierend vieldeutig der Titel: „Religion, zum Teufel!“

Es ist ja nicht so einfach, zu der allgemeinen und weit diskutierten Überzeugung Neues zu sagen, dass die Religionen nun doch wieder der reflektierenden Bemühung wert sind. Weil sie immer noch und immer stärker in vielen Regionen der Welt existieren. Denn von der einstigen These einer definitiven Säkularisierung sind selbst skeptische, agnostische Geister nicht (mehr) überzeugt.

Da freue ich mich sehr über eine für katholische theologische Verhältnisse ungewöhnlich deutliche und kritische (freilich nicht immer leicht lesbare) Analyse des Salzburger Theologen Gregor Maria Hoff. Er zeigt die – bisher kaum formulierten – Konsequenzen auf, die sich aus dem sexuellen Missbrauch durch katholische Priester weltweit ergeben: Das machtvoll durchgesetzte Verständnis des Priesteramtes als überlegen, höher stehend, gegenüber der „Masse der Gläubigen“ und der demokratischen Rechtsprechung, hat den sexuellen Missbrauch im Klerus begünstigt. Die geschlossene Welt des sich sakral erhobenen Klerus wollte auch diese Untaten unter sich aushandeln und dem Täter vergeben, sozusagen in bewusster Verachtung weltlicher, demokratischer Gesetzlichkeit. Wenn die Verbrechen der Priester besprochen wurden, dann in der Haltung etwa der Bischöfe: Die gesamte Kirche leidet wegen der Untaten. An die Opfer wurde dabei kaum gedacht. Hauptsache: Die Institution Kirche steht „sauber“ (nach außen) da. Die Konsequenz für Hoff ist klar: Die gesamte Plausibilität der gesamten Institution der katholischen Kirche „erodiert“ (S. 38). Das heißt: Die Überwindung des weltweiten sexuellen Missbrauchs kann nur ein vollständiger Umbau, eine Reformation, nicht bloß eine Reform, der römischen Kirche sein. Also: Überwindung der klerikalen Sonderwelt der bevorzugten „Hochwürden“, der Priester. Es ist selbst dem größten Optimisten klar, dass zu dieser Kirchenreformation der gut etablierte und finanziell zumindest in Europa bestens ausgestattete Klerus nicht bereit ist. Reformation wäre Machtverzicht, aber diesen will der herrschende Klerus nicht. Vielleicht aber stirbt er bald in Europa aus, das ist eine wahrscheinlich soziologische Prognose, die im Kursbuch leider nicht dokumentiert wird. Allein schon wegen dieses Beitrags von Gregor Maria Hoff lohnt sich der Kauf, die Lektüre, die Diskussion in Gruppen, des neuen Kursbuches. Es weist in dem Falle tatsächlich „den Kurs“. Die Bischöfe werden diesem Kurs(buch) wohl kaum folgen. Wäre ja ein Ding, wenn bei der nächsten Bischofskonferenz in Fulda alle Bischöfe mit dem Kursbuch in der Hand in den Dom einziehen…

Ich will auch den Beitrag der Freiburger Islamwissenschaftlerin Johanna Pink dringend empfehlen. Sie zeigt, dass der Koran keineswegs der einzige Bezugspunkt im Denken und Handeln der Muslims ist. Eindeutig ist der Koran nicht, er öffnet den Weg in vielfältige Interpretationen. Auch „außerkoranische Normen“ müssen etwa herangezogen werden, wenn Einzelfragen in Rechtsverhältnissen gelöst werden sollen (S. 134). Die Rolle der Hadithe als Interpretationshilfen des Korans haben „den“ Islam entscheidend mitgeprägt. Diese gewisse Relativierung des Korans wird nicht gern gehört, in fundamentalistischen islamistischen Kreisen nicht, (etwa in Saudi-Arabien), und auch nicht in christlich geprägten Gruppen, die gern „den“ Islam und „den“ Koran vor Augen haben wollen, um sich der Auseinandersetzungen mit den vielen Interpretations-Formen des Islams zu entziehen. Wer also heute als Bürger in Deutschland auf der Höhe der intellektuellen Klarheit sein will, übe sich ein in differenzierendes Denken im Blick auf die vielen Formen des Islams. Freilich gab es gegen Ende des 19. Jahrhunderts Tendenzen in islamischen Staaten, die sich gegen den inneren Pluralismus im Islam wehrten, um dadurch gegenüber dem Westen einheitliche Stärke zu demonstrieren (S. 140).

Noch eine etwas ausführlichere Leseempfehlung: Die Leipziger Soziologin Monika Wohlrab – Sahr untersucht seit Jahren die Formen der Säkularität etwa im Osten Deutschlands. Nun geht sie der weiterreichenden, viel diskutierten Frage nach, ob Säkularität, also auch die Trennung von Geistlich und Weltlich, und dann bis hin zu Formen der Religionsfreiheit und des Atheismus, nur in westlichen Gesellschaften Tatsachen sind oder eben auch in muslimischen Gesellschaften. Diese lehnen ja oft Säkularität als Trennung von Geistlich und Weltlich ab. Monika Wohlrab – Sahr zeigt detailliert, dass tatsächlich etwa auch in islamisch beherrschten Ländern und Kulturen ein gewisser Sinn fürs Säkulare vorhanden ist. Sie weist etwa auf die Funktionsunterscheidungen zwischen Kalifat und Sultanat hhin (S. 163). Differenzierungen zwischen weltlich und geistlich(religiös) gab es auch im vormodernen Japan (S. 165). Es geht also darum, wenigstens Elemente des Vergleichbaren freizulegen, des Vergleichbaren von geistlich und weltlich in der westlichen Kultur mit den nicht- westlichen Kulturen und Religionen. Damit wird gezeigt: Die Zielvorstellung auch von weltlich argumentierenden Rechtssystemen und Menschenrechten ist auch in den nichtwestlichen Kulturen und Religionen angelegt und sicher weiter zu fördern, um der Menschen und der Menschenrechte willen. Dies zu fordern ist alles andere als kolonialistisches Herrschenwollen. Die Menschenrechte sind zwar in Europa „entstanden“, aber der europäische Herkunftsort begrenzter Art hat keine Bedeutung für die universale Geltung der Menschenrechte. Nebenbei: Yoga und Formen der Zenmeditation, zwar in Asien entstanden, werden mit Begeisterung im Westen als „allgemein menschlich“ selbstverständlich praktiziert…

PS.: Ich würde mir wünschen, dass das KURSBUCH häufiger Themen der Religionen und Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phien aufgreift. Warum nicht einmal ein KURSBUCH herausgeben über die Vielfalt der wieder aktuellen und häufigen religiösen, politischen, ökonomische, “allgemein-menschlichen” KONVERSIONEN?

Kursbuch 196: „Religion zum Teufel!“ 191 Seiten. Erschienen im Dezember 2018. 19 Euro. Im Buchhandel zu haben. Siehe auch: www.kursbuch.online

Copyright: Christian Modehn , Religionsphilosophischer Salon Berlin

Von Schleiermacher heute lernen. Ein Hinweis von Prof. Wilhelm Gräb

Von Prof. Wilhelm Gräb, Berlin, November 2018  – anlässlich des 250. Geburtstages von Friedrich Schleiermacher

Veröffentlicht im Interview „Religion gefährlich und unentbehrlich“

Friedrich Schleiermacher wird von Theologen und Kirchenleitungen gern der „Kirchenvater des 19. Jahrhunderts“ genannt. Es gibt jetzt sogar eine Sonderbriefmarke zu Ehren seines 250.Geburtstages. Als diese im Berliner Dom vor kurzem der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, ist auch wieder an diesen angeblichen „Kirchenvater des 19. Jahrhunderts“ erinnert worden. Doch er wurde dies leider nicht und auch heute müsste sich in unseren Kirchen erst noch enorm viel ändern, bevor Schleiermacher seine Ideen zu einer Kirche, die in die moderne Zeit passt, auch nur einigermaßen verwirklicht sähe.

Gewiss, Schleiermacher ist seiner Zeit selbst auch Kompromisse mit der dem landesherrlichen Kirchenregiment unterstehenden preußischen Kirche eingegangen. Aber er hat sich doch mit dem König, Friedrich Wilhelm III., aufs heftigste angelegt als dieser im sog. Agendenstreit auch noch über die gottesdienstlichen Ordnungen bestimmen wollte. Schleiermachers Ideal war eine sich von unten, durch die Selbsttätigkeit der Gemeinden aufbauende Kirche, die radikale Trennung von Thron und Altar, Kirche und Staat. Er wollte eine christliche Gemeinde, die ihre Angelegenheiten selbst regelt, weil sie durch die Mitbeteiligung aller an einer Verständigung über die alle gleichermaßen betreffenden Belange des Lebens zusammengehalten wird. Die Religion gehörte für ihn essentiell zum Menschsein, weil ihm das Bewusstsein der Gottesbeziehung zugleich der Grund menschlicher Freiheit war. Den religiösen Glauben verstand er als eine unerschöpfliche Quelle der Lebenskraft, als Grund einer allen Menschen mitgegebenen Befähigung zu Autonomie, zur Selbstbestimmung in den religiösen wie in allen anderen Dingen des Daseins.

In seinen „Reden über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern“ (1799), 10 Jahre nach der französischen Revolution, entwickelte Schleiermacher sein bis heute inspirierendes Kirchenideal. Er sprach von der Kirche als einer „vollkommenen Republik“, in der alle wechselseitig aufeinander wirken, Geben und Nehmen allen gleichermaßen eigen, die Unterscheidung zwischen Priestern und Laien aufgehoben ist. Eine Kirche, die dennoch nicht nur ein frommer Zirkel ist, sich nicht aus der Welt zurückzieht, sondern die „Anschauung des Universums“ betreibt, die Suche nach dem Sinn des Ganzen und unseres eigens Dasein zu ihrer Sache macht.

Es braucht Orte und Gelegenheiten in der Gesellschaft, wo wir uns über die existentiellen Fragen des eigenen Lebens und wie über das, was die Gesellschaft im Innersten zusammenhält, verständigen können. Dass die Kirche ein solcher Ort in der Gesellschaft sein könnte, das war Schleiermachers Traum. Ich meine seine Impulse sind aktueller denn je!

copyright: Wilhelm Gräb, Berlin.

 

Wird der Katholizismus rechtsextrem vergiftet ?

Ein Hinweis von Christian Modehn

Immer mehr aktuelle Ereignisse zeigen: Der gegenwärtige Katholizismus wird weltweit von rechtsextremen Führern und damit von rechtsextremen Ideologien durchsetzt. Das wird nicht umfassend genug wahrgenommen, weil das kritische Interesse in der Kirche wie der Öffentlichkeit – zurecht ! – auf die weltweiten Verbrechen des sexuellen Missbrauches durch Priester usw. fixiert ist. Aber es gibt viel mehr Gefährliches…

Leider gibt es seit Jahrzehnten auch rechtsextreme Gruppen in evangelischen bzw. evangelikalen und pfingstlerischen Kreisen. In den USA gehören fundamentalistisch Bibelgläubige zu den leidenschaftlichsten Anhängern des großen Lügen-Propagandisten Trump. In Brasilien haben jetzt auch dort politisch (und in den Medien) einflussreiche Evangelikale den allgemein so bezeichneten Neofaschisten Bolsonaro zum Präsidenten gewählt. Ich habe nirgendwo gehört, dass sich etwa deutsche Evangelikale oder Freikirchler von ihren brasilianischen Freunden distanziert haben. Die katholischen Bischöfe Brasiliens sahen sich außerstande, in einem gemeinsamen Wort ausdrücklich vor der Wahl Bolsonaros zu warnen. Sie zeigten sich zögerlich – sympathisch – neutral, unterstützten also indirekt die Wahl Bolsonaros.

Ergänzung am 15. November 2018 von Christian Modehn: Evangelikale – eine politische Schande für die USA und Brasilien

1.Sehr viele Europäer wussten es schon, nun bestätigen es „Nachwahlbefragungen“ erneut: So genannte praktizierende Christen, vor allem Evangelikale, haben bei den US Kongresswahlen 2018 mehrheitlich (61 %) für Trump und die Republikaner gestimmt.

Aber was heißt „praktizierend“? Sonntags an den Gottesdiensten teilnehmen; pro life Aktionen mit absolutem Eifer unterstützen; den Pastoren viel Geld spenden; die Bibeltexte wortwörtlich lesen, also fern von jeglicher theologischer Kritik. Die sehr konservative website kath.net hat das (am 9.Nov. 2018) berichtet: Atheisten und Christen, die eher selten oder nie Gottesdienste besuchen, haben Demokraten gewählt. Dabei können diese Menschen wohl noch zwischen Götzen, Führern, und Gott unterscheiden… Und sie praktizieren an der politischen Basis oft die Menschenrechte, den Schutz der Flüchtlinge usw. Eine Praxis, die dem Denken Jesu von Nazareth zweifelsfrei sehr nahe steht…Vom Tempel/Gottesdienst-Besuch hielt Jesus von Nazareth bekanntlich nicht  viel… Empathie, Nachdenken, Solidarität waren ihm wichtiger… Bei den US-Katholiken hat jeder Zweite für die Republikaner (Trump) gestimmt…

2.Mit dem Wahn und dem offenkundigen intellektuellen, politischen und theologischen Niveauverlust der Evangelikalen in Brasilien werden sich hoffentlich sehr bald auch in Deutschland Religionswissenschaftler und Soziologen befassen. In Brasilien sind die Evangelikalen die leidenschaftlichsten Unterstützer des neuen Präsidenten Bolsonaro. Darauf habe ich schon mehrfach hingewiesen. Nun wird es im „Tagesspiegel“ durch Philipp Lichterbeck, Rio de Janeiro, erneut bewiesen (am 15. November 2018). Die unflätigen Reden Bolsonaros werden dokumentiert, seine Hasstiraden, seine Politik der Ausgrenzung und Menschenverachtung, oder, wie Beobachter treffend sagen, sein „Neofaschusmus“. „Die Pastoren der konservativen evangelikalen Kirchen beten inbrünstig für Bolsonaro“, so Lichterbeck.

Wann können wir berichten: Die deutschen Evangelikalen (die Evangelikalen in den USA können es ja nicht wegen ihrer Bindung an Bolsonaros Vorbild Trump) distanzieren sich also wenigstens deutsche Evangelikale und Pfingstler explizit von ihren „Glaubensbrüdern“ in Brasilien?

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Der Religionsphilosophische Salon Berlin befasst sich auch zentral mit der Kritik der Religionen und Konfessionen.

Von daher unser Interesse an dem Thema, das ich hier nur für den katholischen Bereich andeuten will. Dies als Aufforderung, wahrzunehmen, was heute katholische Kirchenführer politisch äußern. Etwa zum Ende des 1. Weltkrieges, zur AFD, zur Partei Marine Le Pens, zur FPÖ, zu Italiens Neofaschisten oder Polens Katholiken, besonders zu dem rechtsextrem-katholischen Radiosender Maryja unter dem Redemptoristen Pater Rydzyk, der immer noch seine nationalistischen und antisemitischen Beiträge senden darf, ohne dass etwa Rom diesen rechtsradikalen Priester zum Schweigen bringt. Auch die anhaltende Bemühung um Versöhnung Roms mit den katholischen Traditionalisten der Bewegung Lefèbvre, die gerade in Frankreich oft rechtsextrem orientiert sind, gehört hierher.

Darum der erste und entscheidende Gesamteindruck: Die katholische Kirchenführung duldet rechtsextreme Positionen innerhalb der Kirche sehr viel mehr als – vergleichsweise – linksextreme Positionen. Beide Extreme sind falsch. Aber für den Katholizismus sind spätestens seit den Konkordaten mit Mussolini und Hitler Rechtsextreme bzw. Faschisten irgendwie sympathischer als etwa Kommunisten. Von den widerwärtigen Polemiken etwa Papst Gregor XVI. gegen die Menschenrechte einmal ganz abgesehen….

Diese Bevorzugung des Faschismus sah man auch in der politischen Haltung des polnischen Papstes etwa gegenüber den faschistischen Diktaturen in Chile, Argentinien, Brasilien usw. Und in dem Zerstören angeblich linksextremer Positionen in „der“ Befreiungstheologie durch die Glaubensbehörde unter Ratzinger.

Die römische Kirche hat stets den Rechtsextremen mehr verziehen als den Linksextremen. Aber diese Blindheit der Kirche muss ausführlicher studiert werden. Das liegt daran, dass die Rechtsradikalen und Faschisten eher noch von „Gott“ sprechen als die Kommunisten etwa. Die wollen, so die katholische Kirchenführer, eine antigöttliche Gegenwelt, ein gottloses „Reich Gottes“ aufbauen… Das bloße Gerede von Gott durch Faschisten und Rechtsradikale finden offenbar viele Bischöfe, Prälaten usw. also sympathisch. Man denke an Spanien, an Franco, usw… Dies gilt bis heute.

Im Focus der aktuellen Aufmerksamkeit sollte der us –amerikanische Katholik Steve Bannon stehen. Bannon ist politisch Interessierten bekannt, er war (und ist im Hintergrund?) der Chefstratege von Mister Trump, verbandelt mit US – Milliardär Robert Mercer. Ich habe 2017 schon ein rhetorische Frage gestellt: Sollt der Papst Bannon, wie Mafiabosse bereits auch, exkommunizieren? Denn Bannon ist bekennender Katholik und bemüht sich nun in zahlreichen Treffen in Europa, ein rechtsradikales Netzwerk der rechtsextremen Parteien Europas zu festigen, dieses Netzwerk heißt „The Movement“. Damit will er Einfluss nehmen auf die Europawahl 2019.

In Rom/Vatikan hat sich der rechtsextreme Katholik Bannon etablieren können. Er ist eng mit dem offiziell katholischen Institut „Dignitatis Humanae“ in Rom verbunden. Dieses Institut nennt sich unbescheiden „Denkfabrik“, zum Beirat gehören unter anderen die bekannten sehr konservativen (und Franziskus – feindlichen) Kardinäle des päpstlichen Hofes (curia) Peter Turkson, Robert Sarah und der deutsche Reaktionär Kardinal Walter Brandmüller. Dazu gehört auch der Feind des Papstes, Erzbischof Viganò.

Nun haben diese Herren ein neues Tagungshaus ausbauen können, das wunderschöne, herrlich gelegene ehemalige Karthäuserkloster „Certosa di Trisulti“. Steve Bannon hält – auch per Videoschaltung – dort Vorträge. Der Journalist Thomas Migge (Rom) berichtete im Deutschlandfunk am 25.10. 2018 über dieses rechtsextreme katholische Studienzentrum und er nennt in dem Zusammenhang auch den Priester Don Curzio Nitoglia aus den Traditionalistenkreisen: Er ist davon überzeugt, berichtet Migge, dass das „christliche Europa“ bedroht sei, von den, so der Geistliche, islamischen „Horden“ aus Afrika und von „gottlosen Kapitalisten“ und Juden aus den USA. Don Nitoglia: „Die USA gründen sich auf drei Ideen: das Freimaurertum, den Judaismus und einen liberalistischen Protestantismus. Dann sind da noch die Hochfinanz, die Banken und eben die Juden. Diese Kräfte sind die Feinde der römisch-katholischen Kirche. Sie wollen sie zerstören. Das haben sie schon mehrfach versucht: erst mit dem Proletariat in Russland, dann mit der Studentenbewegung und jetzt versuchen sie es mit den Horden aus Afrika, die das zerstören wollen, was noch vom christlichen Europa übrig geblieben ist.“ Bannon, so wird berichtet, hat sich bereit erklärt, in diesem l ehemaligen Karthäuser – Kloster als rechtsextremem Think – Tank Vorträge zu halten. Mit Italiens Innminister Salvini ist Bannon befreundet…

Befreundet ist Steve Bannon auch mit der Regensburger Prinzessin Gloria von Thun und Taxis und auch mit deren Freund Kardinal Gerhard Ludwig Müller, dem einstigen Bischof von Regensburg und abgesetzten Chef der obersten Glaubensbehörde im Vatikan. Diese drei haben sich, laut Spiegel, getroffen. Die Prinzessin begrüßte, so ist zu hören, die Initiative Bannons, die rechten, gemeint sind die rechtsextremen Parteien in Europa zu bündeln. Dadurch werde der Wahlkampf zur Europa Wahl „spannender und farbiger“. Die Nähe der Frau Thurn und Taxis zur AFD ist bekannt: „Im September 2018 hatte Gloria von Thurn und Taxis zusammen mit der rechtspopulistischen AfD und dem konservativen Bündnis „Ehe-Familie-Leben“ in Regensburg demonstriert. Das Bündnis kritisierte unter anderem den in seinen Augen zu frühen Sexualkundeunterricht von Kindern. Hunderte Regensburger hielten dagegen und traten für „Vielfalt statt Einfalt“ ein“, so die Mittelbayerische Zeitung am 20. Oktober 2018. Kardinal Müller nützt offenbar nun alle Möglichkeiten, gegen Papst Franziskus zu agieren und seine politische Haltung und Sympathie offen zu legen. Denn er weiß genau, wer Bannon ist, als er sich mit ihm traf. Geradezu lachhaft ist in dem Zusammenhang die oft von Müller selbst oft dokumentierte Freundschaft mit dem greisen Befreiungstheologen aus Peru, Gustavo Gutierrez. Kann Müller gleichzeitig Freund von Bannon und Gutierrez sein?

Mit der AFD Stiftung arbeitet auch der ziemlich bekannte, einst bloß als konservativ bekannte Dominikaner Theologe Prof. Wolfgang Ockenfels zusammen, dieser offenbar in Freundschaft wiederum verbunden mit dem einst äußerst kirchenkritischen schwulen Aktivisten, nun aber reaktionär orientierten Laien-Theologen David Berger, der seit langer Zeit mit Kreisen im Dominikanerorden verbandelt ist. Auch David Berger arbeitet mit in der AFD Stiftung zusammen. Es ist absehbar, dass alsbald ein katholischer Arbeitskreis innerhalb der AFD gegründet wird?

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

Die Angst der katholischen Kirche vor ihren Theologen

Von Christian Modehn am 1.11.2018. (In kürzer Form veröffentlicht in PUBLIK FORUM ONLINE am 22.10.2018)

Ein Motto, veröffentlicht am 11.11.2018: Zitate von Pater Klaus Mertes SJ, in “Die Zeit”, 11. Okt. 2018, Seite 58:

“Die penetrante Selbstsicherheit, mit der Vatikanbeamte in seriöse theologische Lehre und Seelsorge eingreifen, ist bildungsfeindlich”.

Und noch ein verstärkendes Zitat von Pater Mertes, im “Tagesspiegel”, 23. Oktober 2018, Seite : “Das Raumschiff Vatikan beherbergt zu viele Menschen, die sich im Besitz der Wahrheit wähnen. Das gibt ihnen ein Gefühl der Unverwundbarkeit”. Und dann in indirekter Rede: Diese Leute im Vatikan würden getrieben von dem zerstörerischen Wahn der Unverwundbarkeit”.

Mein Text vom 1.11.2018:

Sie entscheiden, was katholische Theologie ist und wer sie lehren darf: Vatikanische Behörden ignorieren Erkenntnisse der historisch-kritischen Bibelwissenschaft und verweigern dem Jesuiten und Bibelwissenschaftler Ansgar Wucherpfennig die Fortsetzung seines Amtes als Leiter der Hochschule St. Georgen. Die römischen Behörden erteilen ihm nicht das für katholische Theologen weltweit immer noch erforderliche »Nihil obstat«, die Unbedenklichkeitserklärung. Dabei hatte Wucherpfennig nur den allgemeinen Stand der Forschung ausgesprochen, als er in einem Interview bereits vor zwei Jahren auf die historische Bedingtheit (und damit sachliche Begrenztheit) biblischer Aussagen zur Homosexualität aufmerksam machte. Das zeigt, wie groß die Angst der Kirche vor der historisch-kritischen Arbeit ihrer Theologen ist. Denn diese Methode müsste eigentlich auch auf ethische und dogmatische Lehren angewendet werden. Und dann würde auch etwa über das Entstehen des Erbsündedogmas oder der Trinität ganz anders nachgedacht werden oder über den Anspruch, der Papst sei in Glaubens – und Sittenfragen unfehlbar. Dann müssten also auch Dogmen korrigiert, möglicherweise aufgehoben werden.

Der Vatikan und die meisten Bischöfe haben deswegen enorme Angst, dass sich die historisch – kritische Forschung umfassend durchsetzt. Darum gibt es die Zurückweisung des Bibelwissenschaftlers Wucherpfennig!

Theologen als Wissenschaftler müssen frei forschen dürfen. Wer letztlich in Deutschland die Theologie bestimmt, demonstriert gerade wieder der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki. Er verhinderte bereits 2016 durch seine Intervention im Ministerium die vorgesehene Berufung des Theologen Joachim Negel an die Universität Bonn. Für Woelki besteht der Auftrag der Theologie nur darin, so wörtlich, »die Glaubenslehre (also die in Rom) wissenschaftlich zu vermitteln«. Dabei müsste Theologie frei und umfassend das plurale Christentum studieren und dann mit der Kirchenführung in ein partnerschaftliches Gespräch eintreten. Laut Katechismus aber sollen Theologen »Helfer« des Lehramtes sein. Die Beamten im Vatikan haben also ihre eigene Theologie, die sie für absolut maßgeblich halten.

Die Hauptfrage ist also: Ist bei dieser Abhängigkeit von der Kirchenleitung katholische Theologie noch freie Wissenschaft? Man stelle sich vor, die Bundesregierung würde bei der Berufung von Politologen das letzte Wort haben! Oder das Landwirtschaftsministerium müsste seine Zustimmung geben für die Berufung von Agrarwissenschaftler und Ökologen.

Die aktuellen Ereignisse sind alles andere als Theologengezänk. Es geht um die Rolle der kritischen Vernunft. Die Forderung ist aus wissenschaftlicher und demokratischer Sicht eindeutig: Das kirchenoffizielle Berufungsverfahren muss um der Freiheit der Theologie willen verschwinden. Aber bis heute gilt das mit Hitler abgeschlossene Reichskonkordat von 1933. Darin wird den Bischöfen alle Leitungskompetenz in der universitären Theologie zugestanden. Wird das Eintreten vieler Theologinnen und Theologen für freie Forschung Erfolg in Rom haben? Wohl kaum.

Man muss also tatsächlich skeptisch bleiben, was die vernünftige Neuordnung des Verhältnisses von Theologie/TheologInnen und Lehramt heute angeht, so sehr auch einzelne Bischöfe in Deutschland jetzt eine verbale Solidarität etwa mit Pater Wucherpfennig andeuten. Würde Kardinal Marx vor die römische, die Ansgar Wucherpfennig strafende Bürokratie im Vatikan zitiert, würde er dann noch entschieden für ihn eintreten? Die eigene gut bezahlte Bischofskarriere geht bekanntlich immer vor allen Entscheidungen zugunsten einer Kirchenreformation!

Zumal: Die übliche Überordnung von Papst und Bischöfen über alle Theologen ist fest verankert im katholischen Rechts – und Lehrsystem, das ja bekanntlich Papst und Bischöfe selbst und zu eigenen Gunsten seit Jahrhunderten geschaffen haben und schaffen. Und diese Strukturen sind weltweit im ganzen Katholizismus und seinen Theologien gewichtiger als das erst in der Zukunft wohl revidierbare Reichskonkordat von 1933 und dem Vatikan für Deutschland. Denn in dem von den Vatikan-Theologen für nahezu unabänderlich gehaltenen »Codex Iuris Canonici« (Kodex des römisch-katholischen Kirchenrecht) heißt es in Kanon 812 deutlich: »Wer an einer Hochschule eine theologische Disziplin vertritt, muss einen Auftrag der zuständigen kirchlichen Autorität haben«. Es ist aber Überzeugung der vatikanischen Glaubenslehrer: Was einmal als Dogma oder wichtige Lehre definiert wurde, darf nicht korrigiert werden. Auch das viel gerühmte Zweite Vatikanische Konzil hat daran nichts geändert! Würde also das »Nihil obstat« als letzte Verfügungsmacht des Lehramtes über allen Theologen vernünftig neu geregelt, also sinnvollerweise um der Wissenschaftlichkeit der Theologie abgeschafft, würde auch das Lehramt der römischen Kirche einer Reformation (nicht bloß Reform!) unterzogen werden müssen. Wäre aber der Macht habende Klerus im Vatikan und anderswo zu diesem Machtverzicht bereit? Wo er doch alles getan hat, zu eigenen Gunsten einige Sätze aus dem Munde Jesu von Nazareth zur Stärkung eigener Macht zu deuten?

Hinzukommt: Dieses bisherige Kontrollsystem der Hierarchie über die Arbeit der Theologen erzeugt eine Ängstlichkeit, einen vorauseilenden Gehorsam unter den TheologInnen. Wer will schon seine gut bezahlte Karriere wegen eines freien Forschens gefährden? Vielleixht sind deswegen katholisch – theologische Publikationen oft so langweilig, voller Wiederhoung, wer kann noch die ins tausende gehenden Studien zählen etwa über die Confessiones des heiligen Augustinus oder die Summa des Thomas von Aquin? Und: Wer will sich schon als schwuler Theologe outen und heiraten, wenn diese normale schwule Lebensform den Herren im Vatikan absolut nicht gefällt? So wird selbst das Menschenrecht auf freie Gestaltung des eigenen Lebens durch die Glaubensbehörden eingeschränkt.

Insofern ist die Debatte um eine freie theologische Wissenschaft von einer gewissen Aussichtslosigkeit.

Der einzige Ausweg wäre meines Erachtens, über den in Deutschland nicht einmal ansatzweise diskutiert wird: Katholische Theologen, die sich als freie Wissenschaftler in einer demokratischen Kultur verstehen, gestalten ihr Fach neu: Sie betreiben eine freie, vom kirchlichen Amt unabhängige »Religionswissenschaft der katholischen Religion« mit allen Themen einer breiten Kulturwissenschaft, um auch der Enge der üblichen theologischen Disziplinen zu entkommen. In den USA und wohl auch in Nijmegen (Holland) gibt es eine solche »Religionswissenschaft katholischer Religion«, und da entstehen zum Beispiel wissenschaftliche Arbeiten von großer Relevanz für Religionen und Gesellschaft. Dann müsste allerdings die Kirchenleitung sehen, wie und wo sie ihre ohnehin wenigen verbliebenen Priesteramtskandidaten ausbildet, vielleicht in den absolut romtreuen konservativen Hochschulen wie Stift Heiligenkreuz im Wienerwald. Dann würde echte Pluralität und damit freie Debatte möglich. Und Menschen, die Katholiken zumal, könnten entscheiden, ob sie den Erkenntnissen einer freien theologischen Forschung folgen oder den Erkenntnissen, die sich aus der Abhängigkeit einiger Theologen von den Leitern der Institution Kirche ergeben.

 

Schleiermachers 250. Geburtstag: “Religion ist etwas Eigenständiges im Leben des Menschen”

An Friedrich Schleiermacher denken: Vor 250 Jahren geboren (21. November 1768 – 12. Februar 1834)

Ein Hinweis von Christian Modehn

Die Auseinandersetzung mit dem Werk des protestantischen Theologen, Philosophen, Platon – Übersetzers und Predigers Friedrich Schleiermacher bleibt inspirierend, wichtig für ein Christentum, das sich nicht fundamentalistisch – dogmatisch einschließt, sondern in neuer Sprache die religiösen Fragen zur Diskussion stellt.

Schleiermacher war ein mutiger Theologe, indem er eher vom Unendlichen (und Universum) sprach als den klassischen Begriff „Gott“ zu verwenden.

Vor allem sein Buch „Über die Religion. Reden an die gebildeten unter ihren Verächtern“ von 1799 ist bis heute viel diskutiert, ebenso wichtig ist wohl auch seine Lehre vom Verstehen, der Hermeneutik: Verstehen gibt es nur als schöpferisches Geschehen der Sinndeutung.

Religionsphilosophisch bedeutsam ist seine zentrale These: Religion ist eine eigene Form der Wahrnehmung im Menschen, Religion ist unabhängig von Wissen und Ethik. Religion ist also etwas Eigenes und Eigenständiges im geistigen Leben des Menschen: Sie ist Anschauung und Gefühl. Diese These ist selbstverständlich keine Absage an kritische wissenschaftliche Forschung, keine Freigabe des Glaubens an oberflächliche „Gefühlsduselei“.

Schleiermacher verkehrte in den damals in Berlin sehr beliebten literarischen Salons etwa von Henriette Herz; er war zunächst Pfarrer an der Charité, später (1810) Professor an der Berliner Universität, dann auch beliebter Prediger an der Dreifaltigkeitskirche.

Ich hatte 2010 eine Ra­dio­sen­dung sozusagen als Hinweis zu einigen Aspekten im Denken Schleiermachers verfasst. Diese Zitate als Einladung, sich weiter mit Schleiermacher zu befassen einige Zitate aus der Ra­dio­sen­dung:

Der protestantische Theologe und Schleiermacher Forscher Prof. Wilhelm Gräb, Berlin betont:

„Religion ist ein Vollzug der Einkehr des Menschen in sich selbst. Wobei eben dann diese Fragen auftreten nach dem Woher und Woraufhin des eigenen Lebens, nach dem Grund, in dem ich selbst unbedingt gründe und von dem ich mich gehalten und getragen wissen kann auch in den Krisen des Lebens, die ich machen muss“.

Der Theologe Dr.Martin Schuck, Speyer: „Das religiöse Bewusstsein lebt bei Schleiermacher davon, dass es einen Sinn und Geschmack für das Unendliche gibt und das bezeichnet er später dann in der Glaubenslehre als eine „schlechthinnige Abhängigkeit“. Der Mensch kann für Schleiermacher ohne diese Dimension des Unendlichen im Grunde nicht leben. Für Schleiermacher ist Abhängigkeit von Gott durchaus etwas Positives. Für ihn wäre es im Gegenteil schlimm, wenn es diese Abhängigkeit von Gott nicht gäbe, weil der Mensch dann auf sich selbst gewiesen wäre und dann würde ihm etwas Entscheidendes fehlen. Das ist, finde ich, für die heutige Zeit ein wunderbarer Satz, der sagt: Mensch, denk immer dran, es gibt eine Dimension, die für dich unverfügbar ist und die du immer mit bedenken musst, in deinem Handeln“.

Prof. Wilhelm Gräb über die besondere Idee, Kirche zu leben „Und so hat sich Schleiermacher Kirche vorgestellt: Im Grunde als einen Ort eines religiös – geselligen Verkehrs, religiös geselligen Miteinander-Umgehens, und in Austausch kommen über das, was einzelne als religiöse Erfahrung meinen gemacht zu haben. Und er sagt, dass das uns religiös Bewegende etwas ist, was uns auch menschlicher sein und werden lässt. Und ihm schwebte eben eine offene Kirche vor, des Dialogs.

Es ist die „liberale“ Theologie, die sich von Schleiermacher nach wie vor inspirieren lässt, betont Dr. Martin Schuck: „Natürlich gibt es ein Profil liberaler Theologie, und dieses Profil besteht darin, dass man den Menschen ernst nimmt mit seinen religiösen Fragen und versucht Dinge, die dem heutigen Menschen vielleicht mit einer traditionellen Sprache nicht mehr klar zu machen sind, auf einer anderen Sprachebenen auszusagen. Man versucht die Inhalte zu retten zugunsten einer erneuerten Darstellung“.

Siehe auch auch auf Youtube die kurzen, einführenden Beiträge über Schleiermacher, die der Berliner Theologe Christian Stäblein realisiert hat: https://www.youtube.com/watch?v=kDt1ifOsG2A

Literaturhinweise:

Friedrich Schleiermacher, Reden über die Religion. Reclam Stuttgart, 6 €.

Wilhelm Gräb, Religion als Deutung des Lebens. Perspektiven einer praktischen Theologie gelebter Religion. Gütersloher Verlagshaus, 2006, 206 Seiten, 19,95€

Hermann Fischer, Friedrich Schleiermacher. Becksche Reihe, München 2001, 168 Seite; 12,50

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Sexueller Missbrauch, Korruption und ein anderer Katholizismus

Ein Hinweis von Christian Modehn

Die vielen Beobachter, die sich weltweit kritisch mit dem Zustand der katholischen Kirchenführung heute (Anfang Oktober 2018) befassen, kommen insgesamt zu einem gleich lautenden Urteil: Angesichts der sich immer mehr ausbreitenden Kenntnis der Verbrechen von Priestern und Ordensleuten (inklusive das ebenso gravierende Verschweigen und Vertuschen der Bischöfe und Päpste), kann die römische Kirche in der Form und mit dem traditionellen Inhalt (der Lehre) nicht mehr weiter bestehen, wie sie bisher, etwa 1800 Jahre, gelebt hat: Als hierarchische Kleruskirche, ohne demokratische Kontrolle, mit einem Zölibatgesetz und ohne Frauenpriestertum. So wie diese Kirchenführung bisher „führte“, kann es nicht weitergehen, falls diese Kirche weiter als „Weltkirche“ bestehen will.

Und es wird nicht so weitergehen, weil im Fall der Reformunwilligkeit des Klerus die Gläubigen wegbleiben. So wird es kommen:  Die Laien und einige nachdenkliche Priester werden sich zurückziehen, austreten, vielleicht konvertieren in liberal – theologische protestantische Kirchen; als „Seelenrettung“ hoffentlich auch die individuelle Mystik pflegen.

Die „Kirchenführung“, also die Priester, Bischöfe, Kardinäle und Päpste, müssen auf ihre absolute Macht verzichten, falls die Kirche noch Respekt unter den Menschen, den Gläubigen zumal, verdienen will. Aufgrund eines fundamentalistisch verstandenen Spruches Jesu von Nazareth, glauben diese Herren, „der Fels“ und die „Meister“ der Kirche zu sein, von keinem Gemeindemitglied gewählt, von keiner Synode mit gleich berechtigten Laien bestellt.

All das ist tausende Male gesagt, geschrieben, von manchen förmlich erbettelt worden, von Theologen, die diesen Titel verdienen, von mutigen Ordensleuten, von Journalisten und Gemeindemitgliedern, selbst von ganz wenigen katholischen Bischöfen, die über ihre klerikalen Bindungen hinausgewachsen sind, wie Bischof Jacques Gaillo.

Es geht also um nichts Geringeres als eine Reformation der katholischen Kirche, es geht um wirklich jetzt um eine grundlegende, alles verwandelnde Reformation. Eine neue, eine andere katholische Kirche muss entstehen. Dies ist die Aufgabe. Natürlich können einige klerikale Kreise in ihren Palazzi weiterhin ungerührt Gewohntes, „Ewiges“, propagieren, aber sie erreichen dann ein Niveau wie die traditionalistischen Piusbrüder.

Es ist eine Ironie, dass diese Forderung nach einer radikalen Reformation des römischen Katholizismus genau ein Jahr nach dem großen Reformationsfestival 2017 stattfindet: Da wagte niemand in üblicher ökumenischer Vertrautheit die grundlegende Reformation (nicht Reform, darum geht es gar nicht mehr) des Katholizismus anzusprechen. Nun ist das Thema in der großen Öffentlichkeit.

Die Kommentare in dieser Sache werden kürzer, weil alles gesagt ist. Aber die Kritiker sind de facto mit ihrer Kritik so schwach, man muss sagen, dass sie eigentlich mit ihren Forderungen nichts bewirken können. Die Herren da oben können ja weitermachen wie bisher und dann zum Schluss in ihren Palazzi unter sich jubeln und feiern, dass die Orthodoxie gerettet ist, die alte Lehre, die sie dann noch eine gute Lehre voller wahrer Dogmen nennen.

Es war de facto wohl einfacher, das System des Sowjetkommunismus zu Fall zu bringen als das römische System grundlegend von unten, von der Basis aus, zu umzugestalten. Die Diktatoren in Moskau waren eingebunden in ein dialektisches Verhältnis mit dem Westen. Der hat den Sowjetkommunismus zu Tode gerüstet. Und in der DDR haben sich die Oppositionellen so stark entwickeln können, dass die absolut herrschende Staatspartei SED in den Zusammenbruch kam.

Diese dialektische Spannung gegenüber einer „bedrohlichen“ anderen Seite (wie der Kapitalismus gegenüber dem Sozialismus) gibt in der Krise des Katholizismus nicht. Zumal die Protestanten in ihren klassischen, manchmal liberal -theologischen Kirchen (wie manche Lutheraner etc.) ebenfalls (zahlenmäßig) schwach dastehen gegenüber den Millionen fundamentalistischer Evangelikalen und Pfingstgemeinden. Würden z.B. viele tausend progressive Katholiken in die (wenigen) liberal –theologischen protestantischen Kirchen konvertieren, könnten diese liberal –theologischen Kirchen sogar gestärkt werden und neuen Schwung erhalten…

Nur ein Hinweis noch: Es ist in diesen Debatten über die tiefe Krise des Katholizismus nicht das Stichwort KORRUPTION gefallen. Die Gläubigen in Deutschland haben in gutem Glauben und religiösem Vertrauen über die Kirchensteuer und über ständige Spenden diesen Klerus finanziert. In der Hoffnung, dass dieser Klerus ihnen die religiösen Dienste leistet, die sie als Gläubige wünschen. Dies ist eine Beschreibung der Fakten. Aber: Dieses Vertrauen haben so viele Priester missbraucht, sie haben sich am Geld der Gläubigen erfreut und dann ihre sexuellen Vorlieben einfach ausgelebt, haben Kinder und Jugendliche der den Klerus finanzierenden Gemeindemitglieder missbraucht und damit so viele Menschen, Opfer, seelisch ruiniert. Dieses Verhalten des Klerus ist korrupt. Das Vertrauen ist zerbrochen.

Und das berührt die Frage: Auf welche Weise ist eigentlich das sich jetzt korrupt zeigende Klerussystem mit den Priestern entstanden? Jahrhundertlang war es so:  Sehr viele Kinder wurden als 8 Jährige von ihren kinderreichen Familien im „Kleinen Seminar“ abgegeben, einer Vorbereitungsanstalt fürs Priestertum, oft war dies ein Internat, und dann wurden sie nach dem Abitur weitergeleitet ins Priesterseminar und dann mit 24 Jahren (sic) zum Priester geweiht: Es wäre eine Studie wert, wie die sexuelle Aufklärung in diesen kleinen Seminaren oder später im Priesterseminar aussah! Meiner Meinung wurden sehr viele unaufgeklärte, unreife ältere Knaben zu Priestern geweiht, die dann die ganze Karriere im Klerussystem vor Augen hatten: vom Kaplan zum Pfarrer, dann zum Erzpriester, dann zum Domherrn, dann zum Bischof usw…Sexuelle Energie wurde in die Karriere gesteckt, ins korrekte Verhalten nach außen hin wenigstens. Jeder „Mitbruder“ wusste fast alles über den anderen Mitbruder im Bistum, in der Ordensprovinz usw.: Der eine war eben ein bekannter Homo, der andere auch ein gay, man kannte sich entsprechenden Treffpunkten; der andere war ein Hetero, aber mit fester Freundin und vielleicht einem Kind, für das der Bischof Alimente zahlte. Der andere war ein Trinker, der andere besessen von der Reiselust, der andere faul etc. In diesem klerikalen System der „Mitbrüder“ wagte niemand, Klartext zu sprechen, Wahrheit zu sagen, niemand hatte den Mut, schlimme Vergehen, wie sexuellen Missbrauch, anzuzeigen. Man blieb unter sich, jeder schützte die „Sonderwege“ des anderen.

Dieses System ist korrupt. Es sollte von Soziologen detailliert beschrieben werden.

Dieses System der Priester Rekrutierung besteht bis heute in fast allen Ländern, dieses System ist falsch und pervers: Weil keine Alternativen praktiziert werden: Warum kann man nicht 40- oder 50 jährige Frauen und Männer nach einem Theologiestudium zu Priestern ausbilden, warum müssen es 25 Jährige alte Knaben sein? Diese alternative Modell praktiziert die anglikanische Kirche! Nebenbei: Der Orden, der von einem – so Papst Benedikt XVI. – pädophilen Verbrecher gegründet und mehr als 50 Jahre geleitet wurde, die „Legionäre Christi“, führen trotz aller Skandale über diesen Pater Marcial Maciel immer noch weltweit 20 „kleine Seminare“, jetzt diskret „Apostolische Schulen“ genannt, weiter. Für Buben, wie man so sagt…

Man muss kein Prophet sein: Die Krise, ausgelöst durch den massenhaften sexuellen Missbrauch durch Priester und das Schweigen der verantwortlichen Bischöfe, wird zur größten, zur entscheidenden Überlebensfrage des römischen Katholizismus. Einige Herren der Kirche haben das vielleicht verstanden. Aber sind sie bereit, die persönlichen und vor allem die theologischen Konsequenzen zu ziehen?

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Gewalt und Monotheismus. Über Jan Assmann

Einige kurze Erläuterungen für ein Gespräch im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin im Jahr 2018.

Ein Hinweis von Christian Modehn, bearbeitet Anfang November 2023.

1. Jan Assmann ist ein sehr bekannter und geschätzter Ägyptologe und umfassender Kenner der monotheistischen Religionen. Jahrgang 1938, war er Professor in Heidelberg, jetzt lebt der in Konstanz. Die Anzahl der wissenschaftlichen Publikationen beträgt etwa 50. Zusammen mit seiner Frau, der Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann, erhielt er am 14. 10.2018 den „Friedenspreis des deutschen Buchhandels“. Prof. Aleida Assmann, geb. 1947 hat etwa 20 Bücher vor allem über Erinnerung und Kultur veröffentlicht.,

2. Jan Assmann macht seit 1997 darauf aufmerksam, in immer neuen Ansätzen nach zahlreichen Debatten mit anderen Wissenschaftlern: Der Monotheismus (Assmann spricht fast ausschließlich vom biblischen, also vor allem auch alttestamentlichen Monotheismus) enthält in seinen „heiligen“ Texten Aufforderungen zu gewalttätigem Handeln im Umgang mit anderen, „Fremden“, die als Feinde verstanden werden sollten.

3. Assmann hat den Begriff „mosaische Unterscheidung“ geprägt: Durch Moses, als dem Empfänger der göttlichen Offenbarung, kam der „Unterschied“ ins Bewusstsein der Menschheit: Es gibt die eine wahre Religion, also den Monotheismus. Und die vielen, in monotheistischer Sicht, falschen Religionen, die poly-theistischen Religionen.
Assmann unterscheidet zwischen einem „Monotheismus der Treue“, der emotional sich auf den Gott des Bundes bezieht: JAHWE führte das Volk Israel aus Ägypten. Dieser Gott ist eifersüchtig… Ihm müssen die Israeliten absolut treu ergeben sein (Nebenbei: Moses ist für Assmann KEIN Ägypter, er kannte nicht den altägyptischen König Echnaton, den radikalen Religionskritiker zugunsten der Sonnenverehrung. Moses war wohl ein Angehöriger des israelitischen Volkes.)
Zum Monotheismus der Treue schreibt Assmann: „Diese Völker in Kanaan muss Israel vertreiben und ausrotten, um sich nicht zur Anbetung ihrer Götter verführen zu lassen“. Oder: „Was im Umgang mit den Kanaanäern gefordert wird, ist ein heiliger Vernichtungskrieg, der mit der Formel, den Bann vollstrecken bezeichnet wird“. (Totale Religion, S. 50). „In der Bundesidee (Gottes mit Israel) wurzelt die religiöse Gewalt“, meint Assmann, in „Monotheismus unter Gewaltverdacht“, S. 265.
Daneben kann man im Alten Testament auch vom „Monotheismus der Wahrheit“ sprechen: Da machen sich etwa die Propheten lustig über die vielen von Menschen gemachten Götter der Heiden. Etwa Jeremia, Kap. 10: „Die Gebräuche der Völker sind leere Wahn…Ihre Götzen sind nur Holz“ Es folgt dann logisch: Die Zerstörung der Götterbilder. Denn Heidentum ist Verblendung.
Es gab auch eine bestimmte Form jüdischer Toleranz -Theorie: Etwa im Gefolge der Abraham-Tradition und in den (bei Laien kaum bekannten) jüdischen Zentren in Ägypten und Babylon (dort gab es den jüdischen Dialog mit den „Heiden“)
Im Alten Testament, im Buch Genesis, ist die auf die Schöpfung bezogene Theologie wichtig für den toleranten Umgang der Israeliten mit anderen Völkern. Nur ein Beispiel: Joseph wird in Ägypten zum Zweiten Mann im Staate, er heiratet die Tochter des Hohen Priesters, „es geht um die Anbetung desselben Gottes“.

4. Aber für Jan Assmann ist klar: Die zur Gewalt an den „Anderen“, den „Poyltheisten“, aufrufenden alttestamentlichen Texte muss man vor allem als Literatur verstehen, sie sind keine unmittelbaren politischen Appelle zur Tat zu schreiten: Denn, was etwa die biblischen Texte als Gewalt der Israeliten gegen die im Land lebenden Kanaäer beschreiben, ist historisch längst überholt: Die Ereignisse der Landnahme waren etwa im Jahr 1200, die Texte hingegen sind ca. 500 vor unserer Zeitrechnung geschrieben worden. Das heißt: Die Gewalt sollen die Israeliten eher auf sich selbst richten, weil sie immer vom Unglauben und Heidentum bedroht sind. Dennoch hat wohl die aggressive Landnahme stattgefunden…

5. Die polytheistischen Religionen haben tatsächlich auch einen obersten Gott, etwa Zeus. Sie sind also in gewisser Weise auch mono – theistisch strukturiert. Zeus ist der Oberste von allen Göttern. Aber griechische Götter, etwa Zeus, können in andere Kulturen/Sprachen übersetzt werden, etwa Jupiter als lateinischen Titel. Diese Übersetzungsmöglichkeit funktioniert im biblischen Monotheismus nicht. Er kapselt sich sozusagen ein. Anhänger polytheistischer Religionen sind zwar auch gewalttätig, aber sie sind dies nicht aus religiösen Gründen, sondern etwa aus politischen. Polytheisten betreiben keine Mission. Konvertiten bei ihnen sind eher selten, vielleicht im Bereich der brasilianischen Religion Candomblé; aber da kann man gleichzeitig mehreren Religionen angehören…
Assmann spricht anstelle von polytheistischen Religionen von kosmo – theistischen Religionen, weil diese Kosmisches, Weltliches, als heilig und als göttlich deuten. Wichtig auch: „Anders als die monotheistischen Offenbarungsreligionen kennen die kosmotheistischen Religionen keine absolute Wahrheit“ („Monotheismus und Gewaltverdacht“, S. 251.)

6. Warum erhält Jan Assmann den FRIEDENSPREIS des deutschen Buchhandels? Meine Antwort: Weil Assmann in seinen jüngsten Publikationen über die Dialektik Monotheismus -P olytheismus hinaus geht: Er plädiert für eine Vernunftreligion der Menschheit. Da hat jeder Fromme „seine“ (möglicherweise durch Offenbarung vernommene) Religion, ohne diese persönlich für die einzig mögliche und einzig richtige zu halten. Der Fromme glaubt also noch an eine zweite, übergeordnete vernünftige Religion. Dies hat keine institutionelle Struktur, sie ist förmlich nur eine geistige Realität, so wie der Kategorische Imperativ ja auch eine geistige Realität ist.

7. Assmann spricht deswegen von „religio duplex“. Die übergeordnete Vernunftreligion hat Vorbilder bei Lessing oder bei dem großen Berliner jüdischen Philosophen Moses Mendelssohn: Man lese seine „Jerusalem – Schrift“ von 1783. Maßstab für eine ins Objektive gehende Bewertung der Inhalte der verschiedenen Religionen kann nur etwas übergreifend Vernünftiges sein, nicht etwas Inner – Religiöses, Konfessionelles: „Alles, was das Zusammenleben auf diesem Planeten verbessert, verschönert, erleichtert“, also, was die Menschenrechte befördert, ist Maßstab für die Qualität einer Religion. Hingegen Gewalt, Verfolgung und Unterdrückung, so Assmann, passen nicht zu den angenehmen, förderungswürdigen Religionen… Assmann weist darauf hin, dass Gandhi in dieser religiösen Doppelstruktur im Bewusstsein des einzelnen Frommen dachte: „Alle konkreten Religionen zielen auf die eine, noch versteckte Religion der Wahrheit“ (Monotheismus unter Gewaltverdacht, S. 259). Diese hat mystischen Charakter, betont Assmann, mit ausdrücklichen Bezug auf Jacob Böhme. Dessen Wort steht in der Tradition der negativen Theologie „Gott sei nichts und alles“ ihm entscheidend ist (im Buch „Religio Duplex“, Buch von 2010, S.127)

8. Das Plädoyer Assmanns für eine vernünftige, tolerante, friedfertige Menschheitsreligion entspricht unseren religionsphilosophischen Interessen und Überzeugungen, zumal wenn man Kants „Religionsschrift“ mitbedenkt. Darüber hinaus stellt sich für die individuelle Lebensphilosophie die Frage: Welche absoluten Werte (also meinen persönlichen „Monotheismus“) leiten mich? Wie setze ich diese durch? Meine jeweilige, vielleicht für absolut eingeschätzte Wahrheit kann niemals objektive absolute Wahrheit auch für andere sein. Absolute Wahrheit hingegen ist das allen einzelnen religiösen Überzeugungen Gemeinsame, die Vernunftreligion … und die ihm entsprechende Lehre vom Kategorischen Imperativ!

9. Der gewaltbereite Monotheismus ist keineswegs nur ein religiöses Phänomen, sondern auch ein politisches. Etwa im Stalinismus oder im Faschismus gab es mono-„theistische“ Gewalt, indem die Führer sich für absolut erhabene „Götter“ hielten… Zum politischen „Monotheismus“, dem Stalinismus: Siehe etwa das Buch von Michail Ryklin, „Kommunismus als Religion“. Verlag der Weltreligionen, 2008.; „Die politische RELIGION des Bolschewismus nannte sich selbst eine wissenschaftliche Ideologie“ (S. 40) …auch der französische Soziologe Raymond Aron sprach vom Kommunismus als säkularer Religion. „Der Sozialismus (à la Moskau) ist Religion in dem Maße, in dem er Anti-Religion ist“. (S.41). Die „Pilger“ aus ganz Europa strömten in den dreißiger Jahren nach Moskau zu Stalin. Sie sahen in der UDSSR ein heiliges Land, ließen sich dort auch materiell verwöhnen und ihren Verstand verwirren. „Clara Zetkin forderte an der sowjetischen Grenze alle Mitreisenden auf, ihre Schuhe auszuziehen, denn der Boden, den man betrete, sei, so wörtlich, heiliger Boden“ (S. 58, zit. von Karl Schlögel). Aber: Andere Reisende empfanden die UDSSR treffender als Hölle: (S. 59.)
Viele Intellektuelle wurden Konvertiten zum Kommunismus: Die neue kommunistische Religion versprach, besser zu sein als Christentum oder philosophischer Atheismus. „Bei den inszenierten Feierlichkeiten in Moskau erweckte das System den Eindruck, die Erlösung habe bereits stattgefunden“ (S. 60)

10. Tatsache ist: Der Polytheismus macht sich heute auch philosophisch breit, indem etwa der Philosoph Odo Marquard in dem Buch (Reclam – Verlag) „Abschied vom Prinzipiellen“ einen Aufsatz über „Lob des Polytheismus“ veröffentlicht und damit u.a. meint: Die moderne Demokratie als Gewalten – Teilung sei „polytheistisch“. Dabei vergisst Marquard, dass die Demokratie durch die Bindung an die universal geltenden (!) Menschenrechte durchaus, wenn man so will, mono-theistisch geprägt ist. Die neue Rechte bzw. die Rechtsextremen denken polytheistisch. Rechtsextreme definieren sich oft als Heiden mit entsprechenden Kulten, Ku Klux Klan etc…Da gibt es explizit Übermenschen und bedeutungslose Untermenschen.

11. Assmann weist auch darauf hin, wie einzelne gewaltfördernde Texte im Alten Testament im Laufe der Kirchengeschichte als ideologische Entschuldigung für Gewalt verwendet werden: etwa: Kaiser Karl V. hat im Rahmen der imperialistischen Gewalt gegen die indianischen Völker täglich aus dem Buch Deuteronomium Kapitel 20 gelesen.

12. Das monotheistische Bilderverbot: Für Assmann DAS Kennzeichen des Monotheismus: Gott lässt sich in kein Bild zwingen und zwängen. Die Götter der Polytheisten haben viele Bilder. Auch in einigen protestantischen Kirchen, vor allem in der Tradition Calvins, gibt es ein Bilderverbot. Dies war auch eine polemische Entscheidung gegen die Bilderflut im Katholizismus. Diese barocke Bilderwelt war eine Propaganda der Ablenkung der Frommen bei der Messe, die sie, auf Latein gefeiert, ohnehin nicht verstanden.
Dabei ist klar: Jeder Fromme denkt sich dann doch – zunächst – irgendetwas Konkretes, wenn er an Gott denkt. Innere Bilder sind nicht zu verbieten, sie sind oft wirksamer als äußere.
Das Bilderverbot ist aktuell: Vor allem als absolute Warnung, etwas Weltliches zu Göttlichem zu erklären: Geld, Nation, eine Partei, einen Menschen etc. Das ist aktuell, leben wir doch in der Zeit des heiligsten Geldes und des heiligen Finanzkapitals.

13. Eine Frage, die Assmann nicht bearbeitet hat, nach meiner Kenntnis: Ist das Christentum, vor allem der Katholizismus, tatsächlich selbst „streng monotheistisch“? Die Frage spüren moderne, kritische Theologen, wie Edward Schillebeeckx, in: „E. Schillbeeckx im Gespräch“, Luzern 1994. S. 103 ff. Er betont seine Zurückhaltung, wenn er von der göttlichen Trinität spricht. „Wenn ich sage, dass Gott in drei Personen existiert, fürchte ich eine Art Tri–Drei -Theismus, drei Götter, drei Personen wie eine Art Familie. Ich scheue mich, eine spekulative Theologie über die drei Personen und ihre Beziehungen zueinander zu entwickeln…. Was soll die Rede von drei Personen“? „Ich bin im Hinblick auf eine Trinitätstheologie fast ein Agnostiker“ (S. 107). Da gibt es viele theologische Aufräumarbeit in den Kirchen. Auch so viele Kirchenlieder müssten umgeschrieben werden oder besser: ganz verschwinden!

14. Ist der Katholizismus monotheistisch, etwa angesichts des immer noch ausufernden Marienkultes und der Heiligenverehrung? Maria als Königin, Maria als dominante all präsente Mutter und Herrscherin, als erhabene Figur über den Barockaltären.. Es gibt das Gebet zu Maria, „durch Jesus zu Maria“ als Spruch, die Orte, wo die Mutter Gottes erschien, Fatima, Lourdes etc… Wer denkt da nicht eine Mit – Erlöserin, an eine Art Göttin Maria? Das Thema wird in der Theologie und Lehre der katholischen Kirche tabuisiert und ignoriert. Was wäre aber eigentlich schlimm, wenn es eine christliche Muttergottheit gäbe?
Siehe etwa das beliebte Marienlied „Gegrüßet seist du Königin“… Da heißt (es in der 6. Strophe „O mächtige Fürsprecherin, o Maria. Bei Gott sei unsere Mittlerin, o Maria…“ (Zit aus „Mythos Maria“, S. 92, von Hermann Kurzke, Beck Verlag)… Oder aus dem Lied „Wunderschön prächtige…“ In der 6. Strophe heißt es „Du bist die Helferin, die bist die Retterin“, Kurzke S. 238.)

15. Die Arbeiten von Jan Assmann über den Monotheismus führen zu mehr Klarheit im Umgang mit monotheistischen Religionen. Im Christentum, in den Kirchen, gilt doch jetzt die Erkenntnis: Wer sich heute Christ nennt, ist einbezogen in eine breite Gewaltgeschichte, die nur mit Mühe von offizieller Seite anerkannt wird. Diese Gewaltgeschichte erhält jetzt durch den sexuellen Missbrauch durch Priester weltweit noch ein neues Gesicht. Angesichts dieser überwiegend äußerst dunklen Geschichte bleibt meines Erachtens für einen spirituellen Christen nur der Weg der Mystik: Der Suche nach dem Göttlichen in der eigenen Seele, dem „ewigen“ Seelenfunken“ in jedem Menschen, dieser göttliche Seelenfunken verlässt den Menschen nicht – aufgrund des Geschaffenseins durch Gott, verlässt den Menschen auch nicht im Tod: Dies ist die „Auferstehungserfahrung“.

16. Jesus von Nazareth ist in unserer Sicht ein wegweisender Prophet und Lehrer, der heute die allgemeine, die säkulare, vernunftgesteuerte Ethik mit seinen eigenen Vorschlägen verstärken bzw. weiter führen könnte: Man denke an die jesuanische Feindesliebe, an die wesentliche Gleichheit ALLER Menschen als gelebte Brüderlichkeit. Man denke an die Abwehr von autoritären religiösen Meistern (Abwehr des Klerus etc.), an die Bevorzugung der Armen – als Weg der spirituellen wie politischen Befreiung.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin