Liberale Theologie ist Befreiungstheologie!

Ein Hinweis von Christian Modehn am 8.6.2022.

1.
Der Autor des Tagesspiegels Malte Lehming schreibt auf Seite 1 dieser Zeitung (am 8.Juni 2022) unter der Überschrift: “FDP in der Regierung: Aus liberal wird unsozial“. Dies ist ein treffendes und von sehr vielen geteiltes Urteil angesichts der politischen Verfehlungen der FDP in der Bundesregierung. Die Liste ist lang, sie reicht von der Abwehr der Maskenpflicht in Corona-Krisen-Zeiten über das bei Lobbyisten übliche Nein zum Tempolimit bis zum Plädoyer für die Subventionierung des Tankrabattes zugunsten des Profits der Ölkonzerne und dem FDP-üblichen Nein zur Vermögenssteuer usw. Manche interpretieren diese Haltung treffend: Die wenigen Reichen noch reicher machen und die Armen in ihrem Elend ein bißchen, “großzügig-geizig”  unterstützen! Malte Lehming schreibt: „Offenbar ist es besser für viele Liberale der FDP, falsch zu regieren als nicht zu regieren“.

2.
Nun versteht sich die FDP, ideologisch und auch philosophisch betrachtet, explizit als liberale Partei.

Und das Wort „liberal“ hat auch in der Theologie oft eine Rolle gespielt. In vergangenen Tagen wurden wir oft gefragt: Welches Verständnis von liberal bei dem Stichwort liberale Theologie gilt denn in den religionsphilosophischen und theologischen Hinweisen von Christian Modehn?

3.
Liberale Theologie verstehen wir in unseren Hinweisen als eine in Europa, in Deutschland, not-wendige Befreiungstheologie.
Damit bleibt aber die Verbundenheit mit bestimmten Traditionen der europäischen liberalen Theologie. Diese war und ist geprägt vom Anspruch, auch innerhalb der Theologie, wenn sie denn Wissenschaft an den Universitäten sein will und sein soll, wissenschaftlich zu arbeiten: Also im Studium der Bibel die historisch-kritische Methode zu wählen; allem Fundamentalismus zu wehren; auch die Entstehung der kirchlichen Dogmen historisch-kritisch zu studieren und diese als Ausdruck des religiösen Glaubens einer bestimmten Zeit zu relativieren. Und auch die Institutionen der Kirchen werden als relative, stets zu reformierende Strukturen verstanden, die keine andere Aufgabe haben, als zu individuell geprägtem Glauben des einzelnen und der Gemeinden zu ermuntern. Liberale Theologie ist also, wie das ursprüngliche liberale politische Denken, herrschaftskritisch. Sofern die Institutionen der Kirchen den Glauben der Gemeinden und der einzelnen behindern und Reformen stören, verhält sich liberale Theologie – in unserem Sinne – kritisch bis ablehnend zu diesen „unbeweglichen, versteinerten Kirchen-Institutionen“. Jeder und jede religiöse Person möge dann den eigenen Weg gehen! Religiöser Glaube ist nichts Masochistisches. Eine Vorstellung, die sich sogar bei dem katholischen Theologen Karl Rahner SJ findet in seiner Konzeption einer transzendentalen Theologie. Für ihn sind die Dogmen der Kirchen sozusagen Schöpfungen der glaubenden Menschen, die sich als Schöpfer dieser Glaubensüberzeugungen dann in diesen, weil es ja „ihre“ sind, wiederfinden können… Immerhin, das ist für katholische Verhältnisse schon viel.
4.
Eine heutige liberale Theologie verdankt zweitens – in unserer Sicht – viel den Impulsen der lateinamerikanischen Befreiungstheologie. Diese ist ein Projekt der Emanzipation der Armen innerhalb einer vom Kolonialismus und Klerikalismus verdorbenen Kirchen-Organisation. Der ursprüngliche liberale Geist der Gleichberechtigung kommt also in der Befreiungstheologie zum Ausdruck: Es ist das Engagement für Freiheit und Gerechtigkeit gerade der Armen und Ausgegrenzten, das im wahrsten Sinne „liberal – befreiend“ ist. Diesem Projekt wissen sich heute freilich nicht konservative oder sich liberal, also neokapitalistische Parteien verbunden, sondern linke Parteien. Der neue Geist des Liberalen lebt also bei den demokratischen und selbstkritischen linken Parteien. Und theologisch gilt: Wenn etwa in den Basisgemeinden Lateinamerikas Frauen und Männer, also „Laien“, Gemeindevorsteher sind und als solche auch selbstverständlich die Eucharistiefeier leiten sollten, dann kommen da liberale Prinzipen zum Ausdruck. Die in der Forma allerdings bei der nicht-liberalen katholischen Kirchenzentrale im Vatikan keine Geltung haben.

5.
Eine heutige liberale Theologie in Deutschland kann also ein Störfaktor für die kirchlichen Institutionen sein, wenn (und weil!) diese Institutionen als Bürokratien den lebendigen und freien Glauben der einzelnen und Gemeinden behindern. Diese Kritik der machtvollen Institutionen ist aber kein Selbstzweck, wie etwa die permanente Kritik liberaler politischer Parteien am starken und als zu mächtig interpretierten Staat. Es gibt hingegen für liberale europäische Theologie auch kirchliche, amtliche Strukturen bzw. mindestens einzelne Gemeinde, die dem liberalen vernünftigen Grundimpuls entsprechen.

6.
Damit ist deutlich: Eine heutige liberale Theologie (in Deutschland) als europäische Form einer Befreiungstheologie hat gar nichts mit liberalen Parteien, gar nichts mit der FDP, zu tun. Eine heutige europäische liberale Theologie als Befreiungstheologie kann den Ideologien und Lobby-Bindungen der FDP nur Widerspruch leisten und … andere, linke und ökologische Parteien unterstützen.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

E.T.A. Hoffmann vor 200 Jahren gestorben: Er zeigte das Unheimliche im Dasein.

Ein Hinweis von Christian Modehn zum 25. Juni 2022.

Ernst Theodor Amadeus Wilhelm Hoffmann ist  der “europäisch und weltweit einflussreichste deutschsprachige Romantiker”, so der Literaturwissenschaftler Prof. Rüdiger Görner in seiner Studie “Romantik. Ein europäisches Ereignis” (Fußnote 1). Den dritten Vornamen “Amadeus” nahm Hoffmann an, weil er Mozart so verehrte…

1.
Ernst Theodor Amadeus Wilhelm Hoffmann (geb. am 24.1. 1776 in Königsberg – gestorben am 25.6.1822 in Berlin):
Keine Etikette passt auf ihn, er lässt sich nicht einsortieren, nicht so leicht festlegen: Dazu war er vielfach zu sehr begabt, als Schriftsteller und Dichter, als Musikkritiker und Komponist, Jurist und bildender Künstler, Bühnenfachmann… und … überschwänglicher Weinliebhaber. Ein “Gesamtkünstler”, wie Rüdiger Görner betont (Fußnote 3). Heinrich Heine hat wohl recht, wenn er Hoffmann anderen Autoren der Romantik vorzieht, weil Hoffmann trotz seiner maßlosen Phantasie, die auch Fratzen und Gespenster wahrnahm, „sich immer an der irdischen Realität festklammerte“ und nicht „in der blauen Luft schwebte, wie Novalis“. Hoffmann gilt auch zurecht als einer der großen Berliner Autoren, seine literarisch besonders fruchtbaren Jahre lebte er in Berlin, von 1814 bis zu seinem Tod 1822. E.T.A. Hoffmann, eine herausragende Gestalt  der deutschen Dichtung.
2.
Anläßlich seines 200. Todestages am 25. Juni 2022 ist die beste Form der Erinnerung, wieder einmal aus seinem sehr umfangreichen literarischen Werk einige besonders inspirierende Texte zu lesen, viele Text sind berühmt und werden immer noch viel gelesen, wie „Die Elixiere des Teufels“ oder „Das Fräulein von Scuderi“. Wieder zu entdecken sind sicher auch einzelne irritierende Texte der „Nachtstücke“ (1817), wie „Das öde Haus“ oder „Der Sandmann“. Politisch – kritisch gegen den Polizeistaat Preußen schreibt Hoffmann in seiner Geschichte „Meister Floh“. Und von dem Buch „Serapionsbrüder“ ließ sich eine Gruppe von Autoren sogar kurz nach der Russischen Revolution inspirieren und nannte sich 1921 stolz „Serapionsbrüder“. Wo Phantasie und – wenigstens gedanklicher – Ausstieg aus den gegebenen Verhältnissen wichtig werden, können Ideen von E. T. A.Hofmann inspirieren.
3.
Hofmann nahm sich die Freiheit, oft durch Wein und Sekt unterstützt, seiner Phantasie großen Raum zu gewähren, in den irdischen Realitäten das Phantastische, Bedrohliche, Erstaunliche, Fremde wahrzunehmen. Er ließ sich gedanklich und vor allem im Traum forttragen und in andere Welten entführen. Und er nahm dabei seine Leser mit. Die starre Welt angestaubter Begriffe der rationalisierten Bürokratie mochte er gar nicht, einem Verstand, der nur kalt rechnet und die Welt entzaubert, schenkte er kein Vertrauen. Natürlich glaubt Hoffmann nicht an seine Gespenster, die Hexen oder Wiedergänger, sie sind Metaphern für den Streit und die Auseinandersetzung von universellen Kräften, die sich im Geist und den Geistern finden. Bei allem Interesse am „Ungewöhnlich-Schaurigen“ ist er ein Meister der genauen Beobachtung der Menschen in der Gesellschaft. Nichts ist ihm verhasster als die Langeweile, die in der Lebenswelt der braven Bürger, der so genanten Philister, sich immer mehr durchsetzt. Darum wurde zurecht vorgeschlagen, Hoffmann als einen „Romantiker des phantastischen Realismus“ zu würdigen. Sogar noch André Breton und Charles Baudelaire haben sich auf ihn bezogen.
4.
E.T.A. Hoffmann wird oft in die „Epoche der Romantik“ eingereiht. Aber Romantik ist kein eindeutiger Begriff, und manche populäre Kennzeichen „der“ Romantik treffen auf ihn nicht zu: Nur einige Beispiele: Sentimental ist seine Sprache nicht; er liebt die Satire; provokativ will er sein; vom Katholizismus hält er im Unterschied zu vielen Romantikern nicht viel, obwohl er sich in die Klosterwelt und Heiligenkulte gut eingearbeitet hatte. Man denke an seinen Roman „Die Elixiere des Treufels“, der 1812 in Bamberg entstand, nach einem Besuch im dortigen Kapuzinerkloster.
5.
Hoffmanns persönlicher, undogmatischer Glaube an ein „Leben nach dem Tod“ wird von ihm kurz vor dem Tod in dem Fragment „Die Genesung“ mit der Farbe grün beschworen. „Denn grün ist in diesem Monat Mai (der Niederschrift der „Genesung“) das Kleid der Erde, in der er bald ruhen wird. Hoffmann schreibt: O! Grün, Grün! Mein mütterliches Grün! – Nimm mich auf in deine Arme“ (zit. in E.T.A. Hoffmann, Rowohlt Monographien, 1966, S. 155). Die Autorin dieser Monographie, Gabrielle Wittkop-Ménardeau, sieht in diesen Worten „eine Sehnsucht nach der Verschmelzung mit der universalen Seele“ (ebd.) Werner Bergengruen weist auch darauf hin, dass Hoffmann von einem Glauben an die Vorsehung Gottes als einer ewigen Macht bestimmt sei. (Nachwort in der Ausgabe „Die Elixiere des Teufels“, Buchgemeinschaftsausgabe o.J., S. 349).
5.
An Hoffmanns Vorschläge, das „Wesen“ der Musik besser zu verstehen, sollte heute erinnert werden. Dabei spielt eine für die Musikphilosophie relevante Rezension eine große Rolle, die Hoffmann anläßlich der Aufführung von Beethovens 5. Sinfonie (1808) verfasst hatte. Die Instrumentalmusik wird von ihm besonders beachtet. Musik sei, „begriffs-, objekt- und zwecklos“, sie spreche „das Wesen der Kunst am besten und rein aus“. „Was sich in Worten nicht sagen lasse, das mache Musik zugänglich“…“Musik führt hinaus in das Reich des Unendlichen“ (zit.„Philosophie der Musik“, in: Enzyklopädie Philosophie Band II, Felix-Meiner-Verlag Hamburg, S. 1984). Oft wird dieses Wort Hoffmanns zitiert: „Die Musik schließt dem Menschen ein unbekanntes Reich auf, eine Welt, die nichts gemein hat mit der äußeren Sinnenwelt, die ihn umgibt und in der er alle bestimmten Gefühle zurückläßt, um sich einer unaussprechlichen Sehnsucht hinzugeben“.

E.T.A. Hoffmann, der cor allem Komponist sein wollte, aber gerade als  Musiker nicht so hoch geschätzt wird wie als Schriftsteller.
6.
Es muss noch betont werden, dass E.T.A. Hoffmann anders als viele deutsche (katholische) Romantiker kein politischer Reaktionär war. Er war als Jurist, als Kammergerichtsrat in Berlin, unter den „liberal Gesinnten“ angesehen, er verteidigte die rechtsstattlichen Prinzipien gegenüber seinen Vorgesetzten, er litt unter den Disziplinarverfahren. Während der so genannten Demagogen-Verfolgungen nach 1817 gehörte er zu den Verteidigern der Reformen!
Wenn Hoffmann auch manchen seiner Zeitgenossen als skurril, zu phantastisch, zu sehr dem Wein ergeben erschien: Nicht nur als Dichter, nicht nur als Komponisten, auch politisch musste man ihn viel mehr lesen und ernst nehmen.
7.
Wer über die Grenzen des Verstandes nachdenkt, wenn er sich ins technische Handhaben einschließt, wer sich fragt, wohin das Transzendieren des Geistes führen kann, sollte E.T. A. Hoffmann lesen. Seine Phantasie ist überraschend und störend, sie zeigt unbekannte Seiten des geistigen Lebens, aber sie plädiert nicht für den Aberglauben. Seine literarischen Werke sind außergewöhnlich, manches ist Ausdruck einer seelischen „Übersensilibilität“ und Überspanntheit, sicher auch gefördert durch seinen sehr großzügigen Konsums von Wein etc. Er hat sich in seinem ganzen Werk “mit psychischen Phänomenen und psychopathologischen Problemen beschäftigt” (Fußnote 2). … “Sein Wissen über den Wahn präsentierte er  – darin folgte er einem Hauptgebot der Romantik – künsterlisch in Form von Erzählungen”. Mechanistische Erklärungen für wahnhafte Zustände lehnte er ab, zugunsten eines holistischen Zugangs zu den Problemen…

Der Dichter E.T.A. Hoffmann ist nicht ins Charismatische und Unverständliche einer unvernünftigen, „außer-logischen“ Sondersprache (Dada) „abgedriftet“, er hat vielmehr versucht, die unheimliche Tiefe des Daseins zu ergründen, als Widerstand gegen die Banalisierung der Wirklichkeit. Philosophen haben auch die Tiefe des Daseins zu ergründen gegen alle Normalisierung und Verflachung des Geistes. Aber ihre Rede bleibt eher nüchtern.

Fußnoten

(1) Rüdiger Görner, “Romantik. Ein europäisches Ereignis”, Reclam Verlag, 2021, 384 Seiten, dort S. 107).

(2) ders., S. 200 und 201.

(3) ders., S. 250.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

Pfingsten – Fest der Philosophen? Ein Vorschlag von Hegel!

Ein Hinweis von Christian Modehn.
Dieser Beitrag wurde im Mai 2021 publiziert, aus aktuellem Anlass im Juni 2022 noch einmal.

1.
Der Beitrag versucht, Pfingsten, das Fest des Geistes, des heiligen, vernünftig zu erklären: Pfingsten ist nicht das Fest, das dem charismatischen Trallala von Charismatikern und Pfingstlern überlassen werden darf. Pfingsten ist ein Fest der absoluten Bedeutung und Würde eines jeden Menschen und deswegen auch ein Impuls, politisch Gerechtigkeit zu gestalten: Im Sinne der wesentlichen Gleichheit und Würde aller Menschen.

2.
Für den Philosophen Hegel (1770 – 1831) ist Pfingsten als Fest des Geistes von höchster Bedeutung. Pfingsten kann im philosophischen Sinn ein Tag des geistvollen Gesprächs sein, ein Tag der Debatte, der Feier (für Hegel niemals ohne Wein !) und der Reflexion darüber, wie eine geistvolle, also menschenwürdige Gesellschaft mit einem Rechtsstaat gestaltet werden kann. Pfingsten also: Ein Fest der Vernunft.

3.
Wer philosophisch nach der Bedeutung des Pfingst-Festes fragt, also jenes Feiertages der Erinnerung an die Gabe des „heiligen Geistes“ an die Gemeinde nach dem Tod und der Auferstehung Jesu von Nazareth gedenkt, der sollte sich auch an den Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel erinnern.
Er ist der Philosoph des Geistes: Seine Philosophie hat den Geist als ihr Thema und sonst eigentlich nichts, könnte man sagen. Diese Erfahrung der alles gründenden Bedeutung des Geistes könnte man auch „Voraussetzung“ des Denkens Hegels nennen. Dabei ist es selbstverständlich: Eine reflektierte und kritisch betrachtete Voraussetzung als Philosoph zu haben ist an und für sich jeder Philosophie eigen, auch für die „Materialisten“. Vielen Menschen ist, wie schon einige Jahre nach Hegels Tod, der Geist, auch das Erleben des eigenen Geistes, so fern und fremd, dass es einer neuen Anstrengung bedarf, sich auf die Geist-Philosophie einzulassen und sie als Hilfe zu sehen, das eigene Leben transparenter werden zu lassen.

4.
Um gleich den Kern der Hegelschen Geist – Philosophie anzudeuten: Die Philosophie hat im Hegelschen Selbstverständnis „keinen anderen Inhalt als die christliche Religion. Aber die Philosophie (Hegels) gibt (d.h. gestaltet C.M.) den christlichen Inhalt in der FORM DES DENKENS. Die Philosophie stellt sich so nur über die Form des Glaubens, der Inhalt ist derselbe“ (in: „Vorlesungen über die Philosophie der Religion“, II., Suhrkamp, S. 341).
Mit anderen Worten: In der Philosophie wird der christliche Glaube in die Klarheit und Systematik des Denkens und des Gedankens geführt, der Glaube wird in eine gedankliche, begriffliche Form verwandelt und so „aufgehoben“, also bewahrt und auf eine neue Ebene gehoben. Unter dieser Bedingung schaut Hegel die überlieferten Begriffe und Ereignisse der christlichen Religion an. Dabei wird der Begriff, das Denken, zum Kriterium in der „philosophischen Übersetzung“ christlicher Ereignisse: Hegel schreibt: „Das Denken ist der absolute Richter, vor dem der Inhalt (auch der Religionen) sich bewähren und beglaubigen soll“ (ebd., S. 341).

5.
In seiner „Philosophie der Religion“, in Berlin als Vorlesung mehrfach vorgetragen, spielt deswegen auch das philosophisch zu verstehende Pfingst–Ereignis eine zentrale Rolle. Hegel erörtert dieses Thema ausführlich im Kapitel „Die Idee im Element der Gemeinde: Das Reich des Geistes“, in dem es – theologisch formuliert – um die Wirklichkeit der Kirche, der Gemeinde, geht. Das heißt: Nach der unmittelbaren Erfahrung der historischen Gestalt Jesu ereignet sich also mit dem Pfingstfest der Übergang des Verstehens weg vom äußeren, historischen Ereignis hin zu einem „geistigen Element“, wie Hegel schreibt (ebd., S. 301). Indem das Neue Testament lehrt, der Geist sei „ausgegossen“ in die Gemeinde und letztlich über alle Menschen, übersetzt der Philosoph diese Erfahrung in die Worte: “Die Subjektivität erfasst nun ihren unendlichen Wert: Vor Gott sind alle Menschen gleich“: Damit werden auch politische Perspektiven der freien Gestaltung von Staat und Gesellschaft eröffnet, die Hegel ausführlich entwickelt. Die vernünftige Freiheit muss die Welt bestimmen, wahre Versöhnung, also „Erlösung“ im christlichen Sinne, „besteht in dem sittlichen und rechtlichen Staatsleben“ (S. 332).
Aber entscheidend bleibt: Pfingsten ist das Symbol dafür, dass Gott und Mensch, Gott und die Menschheit, sich nicht mehr als Fremde und Ferne entfremdet und unversöhnt gegenüberstehen. Pfingsten ist das Symbol für die innerste Einheit von Göttlichem und Menschlichen, von Gott und Welt. Dies allein könnte man sagen ist der Focus, auf den sich Hegels Philosophie ALS Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie konzentriert.

6.
Uns interessiert hier im Zusammenhang des Pfingstfestes Hegels deutlicher Hinweis auf die in den Menschen „gegenwärtige Göttlichkeit“ (durch den Heiligen Geist) (S. 305). In der Gemeinde (Kirche) sammeln sich diese nun mit dem göttlichen Geist beschenkten Menschen.
Man muss als philosophischer Leser den anspruchsvollen philosophischen Aussagen tatsächlich standhalten, etwa wenn Hegel sagt: „Dies ist der Glaube der Gemeinde: Der einzelne Mensch wird gewusst als Gott und (d.h. präziser, CM) mit der Bestimmung, dass er der Sohn Gottes sei, mit all dem Endlichen befasst, das der Subjektivität als solcher in ihrer Entwicklung angehört“ (S. 312). Der Mensch ist als endlicher Mensch zugleich Sohn Gottes, ein gewaltiger Anspruch, der schon im Neuen Testament grundgelegt ist. Und den Hegel nur philosophisch reflektiert.

7.
Im Gedenken an Pfingsten wird der Mensch, jeder Mensch, zu einem mit Gott verbundenen Wesen erhoben. So ist, wie Hegel schreibt, „die Versöhnung an und für sich vollbracht“ (S. 318). Gott und Mensch sind nicht länger Fremdes. Sie sind – in gewisser Hinsicht – eins.

8.
Aber Versöhnung ist für Hegel stets praktisch-politisch, es geht entschieden um die Gestaltung der Freiheit in der Welt (Staat, Gesellschaft). Pfingsten ist insofern ein politisches Fest der Freiheit. Dabei traut Hegel diese Leistung, den Rechtsstaat mit zu gestalten, ausschließlich der protestantischen Religion zu. Der römische Katholizismus ist für ihn nach wie vor zu stark in der mittelalterlichen Welt befangen und in seinem Glauben zu veräußerlicht (Wunderglauben, Reliquien…) und als klerikale Organisation auch korrupt. Das heißt nicht, dass Hegel nicht auch die Engstirnigkeit des zeitgenössischen Protestantismus kritisiert hätte oder gar am Katholizismus wichtige erfreuliche Elemente gesehen hätte, wie etwa eine gewisse Vorliebe fürs philosophische Denken im Mittelalter. Zu Hegel und der Katholizismus: LINK .

9.
Trotz der Erkenntnis, dass „an sich“ die Versöhnung, also die innere Einheit von Gott und Mensch, geschehen ist, bleibt doch die Tatsache: Dass in der weltlichen, der politischen Wirklichkeit (auch zur Zeit der Vorlesungen Hegels in Berlin) noch Verwirrung, Zwiespalt und Entfremdung fortbestehen. „Diese Versöhnung ist selbst nur eine partielle, ohne äußere Allgemeinheit“ (S. 343, Vorlesungen über die Philosophie der Religion II.). Dies muss Hegel am Ende seiner Vorlesungen mit Melancholie, wenn nicht Hilflosigkeit eingestehen. Mit anderen Worten: Der Geist von Pfingsten als Geist der Versöhnung und Freiheit muss sich noch umfassend durchsetzen und greifbare, soziale Gestalt werden!

10.
Uns interessiert noch ein Aspekt, der bisher in der Hegel-Forschung nicht so starke Berücksichtigung findet: Die eher versteckt, implizit anwesende mystische Dimension seines Denkens. 1830 sagte Hegel in einer Rede anlässlich der „Erinnerung an die Augsburgische Konfession von 1530“: „Gott wollte den Menschen zu seinem Ebenbild und seinen Geist, der ein Funke des ewiges Lichts ist, diesem (göttlichen) Licht zugänglich machen“. (S. 33, in den „Berliner Schriften“, Ausgabe Meiner, S 33).
Der menschliche Geist als „Funke des ewigen Lichtes“: Diese Formulierung erinnert an den mittelalterlichen Philosophen und „Mystiker“ Meister Eckhart, für den sich die geistige Verbindung des Menschen mit Gott in dem Begriff “göttlicher Funke“ ausdrückt. In seinen „Vorlesungen über die Philosophie der Religion“ erwähnt Hegel Meister Eckart ausdrücklich als Vorbild im Verstehen der christlichen Religion als einer Lehre, die die Einheit von Göttlichem und Menschlichen entfaltet. Diese Einheit ist „das Innerste“ des Christentums. „Meister Eckart, ein Dominikanermönch, sagt unter anderem in einer seiner Predigten über dies Innerste: Das Auge, mit dem mich Gott sieht, ist das Auge, mit dem ich ihn sehe…“ (S. 209). Und Hegel legt allen Wert darauf zu betonen, dass diese Einheit von Gott und Mensch alles andere als „Pantheismus“ sei.
 In seinen Vorlesungen zur „Geschichte der Philosophie“ bietet Hegel nach der Darstellung der in seiner Sicht oberflächlichen und verstandesmäßig abstrakt argumentierenden mittelalterlichen Scholastik auch ein knappes Kapitel zur „Mystik“ (in der Suhrkamp Werkausgabe II, S. 583 ff.) Dabei nennt er Meister Eckart nicht, hingegen z.B. ausführlicher Raimundus Lullus. Im Unterschied zur Scholastik sieht Hegel in den Mystikern „edle Männer, die der scholastischen Sucht nach Verendlichung aller Begriffe „gegenüberstanden“ (S. 583). Er nennt Mystiker „fromme, geistreiche Männer“, die „echtes Philosophieren betrieben haben”.
Dieser „göttliche Funke“ führt, so Hegel in seinem Vortrag im Jahr 1830, nicht nur in eine höhere Erkenntnis, sondern vor allem in die Liebe zu Gott.
Die mystische Erfahrung bleibt für Hegel immer bedenkenswert.

11.
Eine Zusammenfassung: Hegel hat also zu Pfingsten einen vernünftigen Vorschlag zu unterbreiten: „Pfingsten ist das Fest der Anwesenheit des Göttlichen, des Ewigen, modern formuliert: der tragenden Sinnerfahrung, in jedem Menschen“. Pfingsten ist das Fest des Ewigen, anwesend in einem jeden. Das Ewige als das Göttliche überdauert das Endliche, auch der Geist des endlichen Menschen hat dadurch „ewige Dauer“.
 Aber diese geisterfüllte Lebensform muss der Mensch sich „erarbeiten“: „Ich soll mich dem gemäß machen, dass der Geist in mir wohne, das ich geistig sei. Die ist meine, die menschliche Arbeit. Dieselbe ist Gottes von seiner Seite. Er bewegt sich zu dem Menschen und ist in ihm durch Aufhebung des Menschen. Was als mein Tun erscheint, ist alsdann Gottes Tun. Und ebenso auch umgekehrt“ (Vorlesungen über die Philosophie der Religion, I, Suhrkamp Verlag, S. 219).

12.
Nebenbei: Es ist bemerkenswert, dass Voltaire, wahrlich alles andere als ein Verteidiger der alten kirchlichen Dogmatik, in seinem „Philosophisches Wörterbuch“ (1764) schreibt: „Möglicherweise gibt es in uns etwas UNZERSTÖRBARES, das empfindet und denkt, ohne dass wir die geringste Vorstellung davon haben, wie dieses Etwas beschaffen ist“ (Reclam, Leipzig, 1967, S. 82). Hegel hat diese Vorstellung erklärt und auf den begriff gebracht“.
Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Ein „Legionär Christi“ wird Kardinal.

Der Orden der Skandale, der Orden mit einem „zutiefst unmoralischen“ Ordensgründer, wird offiziell rehabilitiert und von Papst Franziskus belohnt.

Ein Hinweis von Christian Modehn.    Es gibt in diesen Kriegszeiten gewiss sehr viel dringendere Themen als schon wieder dieses leidige Thema “Legionäre Christi”.  Aber Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie ist als Religionskritik auch verpflichtet, problematische Entwicklungen in den Kirchen wahrzunehmen und darzustellen. Dazu gehören auch Entwicklungen, die sich hinter einer üblichen Kardinalsernennung verbergen. In der Form von Kardinalserennungen zeigt der Papst, zeigen die Päpste, immer ihre Allmacht: Sie können in absoluter Eigenmächtigkeit Kleriker zu Kardinälen ernennen, die später einmal den Pontifex MAXIMUS wählen, also den allerhöchsten und unfehlbaren Pontifex, den ersten aller Bischöfe.

1.
Der katholische Orden „Legionäre Christi“ und die von ihm geleitete Bewegung von Laien „Regnum Christi“ wurde begründet und Jahrzehnte lang geleitet von einem Priester, der in der kritischen Presse als „Verbrecher“ bezeichnet wird. Sein Name ist Marcial Maciel (1920-2008). Seine Untaten sind kaum aufzuzählen: Er war als pädosexueller Verbrecher zugleich auch ein Erbschleicher bei seinen sehr wohlhabenden Freundinnen. Der Ordengründer Maciel hat, so sagt der Orden jetzt selbst, mindestens 60 Kinder und Jugendliche mißbraucht, sogar seinen eigenen Sohn. Er hat aus seinem Orden ein mächtiges Finanzimperium gemacht, in dem er als „Generaldirektor“ (so der offizielle Titel in diesem Orden) schaltete und waltete wie ein Diktator. Er war nachgewiesen ein Freund von Papst Johannes Paul II. Denn er hatte die entscheidende Tugend: Nach außen treu und absolut die dogmatische Welt des Vatikans verteidigen. Diese Tatsachen sind bekannt und sie wurden, seit 2009 vom Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin, dokumentiert und kommentiert. LINK.

2.
Jetzt ist dieser Orden, der seinen verbrecherischen Gründer namentlich in der Öffentlichkeit nicht mehr nennt, rehabilitiert. Ihm werden jetzt sozusagen höchste Weihen verliehen: Papst Franziskus hat entschieden, den führenden Verwaltungschef des Staates „Vatikan-Stadt“, den 77 jährigen spanischen Legionär Christi, Bischof Fernando Vérgez Alzaga, zum Kardinal zu ernennen. Durch eine solche höchste Erhebung eines Mitglieds der Legionäre Christi wird der Orden selbst öffentlich geehrt, er kann sozusagen als normal, als respektiert gelten: Die Verbrechen des Gründers werden förmlich zugedeckt und ins allgemeine Vergessen geschoben. Vergez Alzaga ist ein der Verwaltung des Staates Vatikan schon seit vielen Jahren (seit 1972) dienender Technokrat und Finanzfachmann. Solche Leute brauchte Papst Franziskus, er hat den Legionär schon im August 2013 (als die Verbrechen des Ordensgründers noch weltweit dokumentiert wurden) zum Generalsekretär des „Governatorats der Vatikanstadt“ ernannt und somit zum stellvertretenden Regierungschef des Vatikanstaates.

3.
Vielleicht wird also in absehbarer Zeit ein Mitglied dieses hoch belasteten Orden sogar Papst? Prinzipell wäre das möglich. Dann würde die ganze Kirche, auch der Vatikan, vielleicht noch reicher und wohlhabender…Die Ernennung eines Legionärs Christi jetzt (Mai 2022) zum Kardinal ist ein weiterer Hinweis auf die theologische Unentschlossenheit und Unausgeglichenheit von Papst Franziskus. Er kann nicht oder er will nicht konsequent einen Kurs der Kirchenreform steuern und dabei etwa auch einen Orden, wie die Legionäre Christi mit ihrem verbrecherischen Gründer Pater Marcial Maciel “rechts liegen und einschlafen lassen”. Eigentlich hätte dieser Orden schon 2005 aufgelöst werden müssen, sagten viele mißbrauchte Ex-Legionäre Christi damals, aber … die Legionäre Christi hatten (und haben) im Vatikan zu viele Freunde. Nebenbei: Nach den Pädophilen-Skandal im Orden der Schulpriester (Piaristen),  wurde diese Gemeinschaft,kurz nach der Gründung,  für einige Zeit aufgelöst. LINK.

4.
Die Ernennung eines Legionärs zum Kardinal ist, milde gesagt, ein heftiger Einschnitt, manche Beobachter nennen diese Ernennung einen Skandal.
Ist erst mal ein Legionär Christi ein Kardinal, dann genießt der Orden wieder eine Reputation. Er ist förmlich “normalisiert”. Dann können die vielen jungen konservativen Legionäre in die Bistümer (warum nicht auch Deutschlands?) strömen und hier ihre konservative Theologie verbreiten, die letztlich darauf hinausläuft: Mehr Mitglieder für den Orden zu finden und neue Geldquellen für den Orden ausfindig zu machen … sagen einige kritische Beobachter.

5.
Und der Papst ignoriert auch zentrale Entwicklungen der politischen Gegenwart: Angesichts des Krieges Putins gegen die Ukraine wäre die Ernennung eines der vielen katholischen Bischöfe der Ukraine zum Kardinal ein Zeichen gewesen, auch gegen den Kriegs-Verbrecher Putin. Aber nein, Papst Franziskus ernennt, prinzipiell sehr originell und sehr löblich, den Apostolischen Vikar (so der bescheidene Titel, er ist kein „Bischof“) ausgerechnet der Mongolei zum Kardinal. In der Mongolei leben ca. 1.300 (eintausenddreihundert) Katholiken. Die Mongolei ist “nur” 5.300 km von der Ukraine entfernt, so können sich die verzweifelten Menschen in der Ukraine ein bißchen mit-freuen … über den Kardinal im mongolischen Ulan Bator.

Weitere Informationen über die Legionäre Christi und ihren kriminellen Ordensgründer und Freund des heiligen Papstes Johannes Paul II, Pater Marcial Maciel: Siehe LINK:

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Vatican news schreibt am 29.Mai 2022:
Fernando Vérgez Alzaga L.C.: Der Legionär Christi wurde am 1. März 1945 in Salamanca (Spanien) geboren. Er war bereits seit 1972 in verschiedenen Funktionen an der Kurie tätig, darunter Büroleiter an der vatikanischen Güterverwaltung und Telekommunikations-Chef des Vatikans. Seit 2013 war er zunächst Sekretär des vatikanischen Governatorates, also der Behörde, die für die Verwaltung des Vatikanstaats verantwortlich ist. Im Oktober 2021 wurde er dann Nachfolger von Kardinal Giuseppe Bertello an der Spitze des Governatorates.

Buddhismus und Christentum: Was beide Religionen miteinander verbindet. Ein neues Buch von Perry Schmidt-Leukel.

Ein Hinweis von Christian Modehn

1.
Bestimmte populäre Klischeevorstellungen (auch „Generalisierungen“ genannt) über das angebliche „Wesen“ „der“ Religionen haben sich leider durchgesetzt: Zum Beispiel: „Der“ Buddhismus sei eigentliche eine atheistische Weltanschauung, die „Erlösung des Menschen“ werde für Buddhisten in einem „Nichts“ enden. Hingegen sei das Christentum gebunden an den „personalen“ Gott, der als Heil und Erlösung ein Leben im Himmel verspricht.

2.
Gegen diese Klischee-Vorstellungen hat der Religionswissenschaftler Prof. Perry Schmidt-Leukel (Universität Münster) vielfach schon wichtige Publikationen vorgelegt. Sein neues Buch hat den Titel „Das himmlische Geflecht“, ein vielleicht auch leicht ironisch zu verstehender Titel, der andeuten soll: Wenn man den Blick in die himmlische, göttliche und alles gründende Sphäre lenkt, dann sind die verschiedenen Religionen viel stärker miteinander verbunden, als man populär annimmt. Darum der Untertitel: „Buddhismus und Christentum – ein anderer Vergleich“. In dem Buch geht es um überraschende, durchaus der Sache angemessen anspruchsvolle Überlegungen, die vom Leser hohe Konzentration erfordern.

3.
„Anders“ ist dieser Religionsvergleich, weil er die innere Pluralität der jeweiligen Religionen stark herausstellt. Und dabei entdeckt: Zwischen einzelnen Lehren bestimmter buddhistischer Traditionen und einzelnen Lehren bestimmter christlicher Traditionen besteht (trotz der kulturell und sprachlich bedingten Distanz) doch eine Nähe, eine überraschende Verbundenheit, wenn nicht Gleichheit der Überzeugungen! Dabei ist dem Autor klar: Traditionell bestimmte und begrenzte Interpretationen der jeweiligen Religion können auch zur Einsicht „unversöhnlicher Gegensätze“ führen. Aber Schmidt-Leukel ist es wichtiger, Komplementaritäten in den lehrmäßigen Überzeugungen beider Religionen herauszuarbeiten!

4.
Das neue Buch Schmidt-Leukels ist also ein neuer Vergleich zwischen Christentum und Buddhismus, der sich allerdings auf die objektiv greifbare Ebene der Lehren und Schriften begrenzt. Und da präsentiert der Autor eine große Fülle und Vielfalt. Es geht ihm also nicht um den von konkreten Menschen gelebten Glauben, der sich als je eigener Glaube oft als eine sehr persönliche „Synthese“ von Christentum und Buddhismus versteht. Also etwa: „Ich bin katholisch und gleichzeitig Zen-Buddhist“. Diese religiöse bzw. spirituelle „Doppel-Identität“ (ein „persönliches Oszillieren zwischen den Unterschieden“, S. 355) ist eines der seit langem schon diskutierten Themen Schmidt-Leukels.

5.
Das Buch zeigt also ausführlich: „Es steckt immer irgendein Stück Christentum im Buddhismus und irgendein Stück Buddhismus im Christentum“ (S. 350).

6.
Diese Forschungslinie nennt Schmidt-Leukel mit einem eher ungewöhnlichen, schwierigen, aus der Mathematik stammenden Begriff „fraktal“. Aber die mit diesem schwierigen Begriff gemeinte Sache erschließt sich auch, wenn man sich nicht auf den Begriff fixiert und die einführenden, sehr anspruchsvollen methodischen oder „Meta“-Überlegungen (S. 18-89) den Spezialisten erst mal überlässt.

7.
Es bleibt also interessant, wie diese Linie (siehe Nr. 5) an sechs zentralen Lehren beider Religionen konkretisiert wird, also: „Weltflucht oder Weltzuwendung?“, „Impersonales Absolutem oder personaler Gott?“, „Verblendung oder Sünde?“, „Erwachter Lehrer oder inkarnierter Gottessohn?“, Selbsterlösung oder Fremderlösung?, „Glückseliges Entwerden oder glückselige Gemeinschaft?“.

8.
Nur auf eines dieser Kapitel soll hier etwas ausführlicher hingewiesen werden: Gibt es Gemeinsamkeiten in der buddhistischen Lehre von Buddha als dem erwachten Lehrer und der christlichen Überzeugung von Jesus als dem inkarnierten Gottessohn?
Schmidt-Leukel weiß: Bisher wurde zwischen dieser genannten populären Deutung Buddhas und Jesus Christus „ein Gegensatz“ (S. 225) gesehen. Der manchmal noch gelesene katholische Theologe Romano Guardini habe in seinem Werk „Der Herr“ (veröffentlicht in der Nazi-Zeit 1937) ein gewisses Verständnis für Buddha gehabt, erläutert Schmidt-Leukel. Aber, so Guardini, Buddhas „Wert“ stehe doch hinter Christus zurück. Buddha sei bestenfalls wie Johannes der Täufer als ein Vorläufer Christi zu verstehen (S. 227). Schmidt-Leukel zeigt hingegen, dass Gautama (der Buddha) häufig als Lehrer, großer Lehrer bezeichnet wird und dabei eine „autoritative Verkündigung der Wahrheit“ (S. 237) gelebt hat, wie in einem Akt der Offenbarung“ (ebd.). Jesus wird in den vier Evangelien „41 mal Lehrer genannt wird, kein anderer Titel wird ihm häufiger beigelegt, Jesus ist der Lehrer der Wahrheit (S. 235). Wenn beide, der Buddha und Jesus, also Lehrer sind und als Lehrer verehrt werden, ist Jesus Christus dann noch einmalig, wie Christen oft behaupten? Man muss wohl die sehr deutliche Aussage des großen Zen-Meisters Thich Nat Hanh respektieren: Er sagte: „Natürlich ist Christus einmalig, aber wer ist nicht einmalig? Sokrates, Mohammed, der Buddha, Sie und ich, wir alle sind einmalig“ (S. 245)

9.
Das neue Buch Schmidt-Leukels „Das himmlische Geflecht“ bietet ausführlich neue Erkenntnisse für ein neues Verständnis des Miteinanders von Buddhismus und Christentum. Schmidt-Leukel befreit also von dem Eindruck, beide Religionen würden sich fremd oder gar feindlich oder als Konkurrenten gegenüberstehen.
Beide Religionen stehen einander nahe, sie sind viel ähnlicher als oft angenommen, sie haben eine interne Vielfalt, bei der sich gerade die beiden Religionen gemeinsamen Lehren zeigen. Eine solche Religions-Theologie kann auch politische Wirkungen haben und eher das friedliche Miteinander fördern.

10.
Die Verbundenheit von Lehren bestimmter buddhistischer Traditionen und bestimmter christlicher Traditionen ließe sich auch auf andere Religionen ausweiten, etwa auf den Islam oder bestimmte Formen des Hinduismus. Und wie sieht es im Verhältnis der vielen christlichen Kirchen untereinander aus? Da ist es längst erwiesen, dass ein so genannter Reform-Katholik (des „synodalen Weges“) einem progressiven Lutheraner oder Reformierten näher steht als etwa einem Katholiken des Opus Dei oder der Legionäre Christi. Und ein liberal-theologischer Remonstrant kann einem Humanisten oder einem Unitarier (Anti-Trinitarier) näher stehen als einem „rechtgläubigen“ Calvinisten.
Aber da spielen dann doch normative Kategorien eine Rolle: Bisher ist offensichtlich niemand auf den Gedanken kommen, etwa gemeinsame Glaubensinhalte etwa zwischen den Zeugen Jehovas und den Pfingstgemeinden oder dem Katholizismus herauszuarbeiten? Oder gemeinsame Glaubensinhalte von Mormonen und Anglikanern? Offenbar haben im allgemeinen religionswissenschaftlichen und theologischen Bewusstsein etwa die „Zeugen Jehovas“ oder die „Mormonen“ a priori gar nicht den „Wert“, in einen interreligiösen Vergleich gezogen zu werden. Ist dieses Urteil gerecht, spielen da die Definitionen von „Sekte“ eine Rolle? Aber können nicht auch Teile, oft maßgebliche Teile einer Großkirche eine „Sekte“ sein? Ist etwa das Selbstverständnis des Papstes und des vatikanischen Klerus (auch in der totalen Ablehnung des Priestertums für Frauen) nicht auch Ausdruck einer Sekten-Mentalität? Aber dieses Faktum wird im Interreligiöser Disput nicht benannt. Warum? Weil eben die Institution römische Kirche oder auch orthodoxe Kirche so alt ist und als so „ehrwürdig“ propagiert wird. Da kann nichts von einer Sekte sein…

11.
Noch einmal zu den Unterschieden und den Gemeinsamkeiten im Buddhismus und Christentum. Man müsste philosophisch nach dem einen gemeinsamen Geist der Menschen fragen, der über alle verschiedenen Kulturen und Sprachen hinaus sich im Laufe der Geschichte Ausdruck schafft in verschiedenen Religionen und religiösen Lehren. Wenn das so ist: Dann stehen die sich aufgrund des „letztlich“ einen schöpferischen Geistes sehr nahe, trotz aller sprachlichen Differenzen und zeitlichen „Abstände“.

12.
Die vielen Religionen als Ausdruck des EINEN, allen Menschen gemeinsamen Geistes zu verstehen, war die Leistung Hegels. An ihn wäre in dem Zusammenhang zu erinnern. Und Hegels Thema, dass es einen gedanklichen Fortschritt in der Geschichte der (Lehren der) Religionen gibt, wäre neu zu stellen. Fortschritt war ja für Hegel immer ein Fortschritt im Bewusstsein (!), also im Wissen, der Freiheit. Er meinte, es gebe auch in der Religionsgeschichte (des einen Geistes) einen Fortschritt hinsichtlich des Erkennens und Wissens der göttlichen Wirklichkeit.
Kriterium war für ihn: Stiftet und fördert eine Religion die Freiheit und Würde des religiösen Menschen? Ich halte dieses Kriterium der Unterscheidung in der pluralen religiösen Welt für sehr wichtig. Falls nicht, dann möchte man auf jede Religionskritik verzichten. Das aber wäre eine Form einer post-modernen Religionstheorie, einer Theorie, für die alle Religionen gleich gut, gleich hübsch, gleich human sind. Dass dies faktisch nicht der Fall ist, dürfte klar sein. Wer also faktische Religionen kritisiert, verurteilt sie nicht, will sie nicht bekämpfen. Er will nur für ein differenziertes Denken sorgen. Und hoffentlich für die ständige Reform, „Weiter-Entwiocklung“ dieser Religionen.
Dies sind Fragen, die sich mir nach der Lektüre des sehr empfehlenswerten, höchst anspruchsvollen Buches von Perry Schmidt-Leukel ergeben.

Perry Schmidt-Leukel, „Das himmlische Geflecht. Buddhismus und Christentum – ein anderer Vergleich“. Gütersloher Verlagshaus, 2022, 415 Seiten, viele Literaturangaben auch zu vielen lesenswerten Arbeiten des Autors, ein Personenregister, 26 Euro.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Warum noch Mitglied der römisch-katholischen Kirche in Deutschland bleiben?

Hinweis auf eine „ewige“ Diskussion.
Von Christian Modehn.

1.
Über diese Frage wird auch außerhalb der Kirche heftig diskutiert: Warum noch als Katholik(in) in Deutschland Mitglied der römisch-katholischen Kirche bleiben? Und diese Frage ist hoch aktuell: Es geht darum zu erkennen, was eine sich fest strukturiert gebende globale Welt – Instuitution, die Römisch-katholische Kirche, noch im 21. Jahrhundert sein kann. Denn in vielerlei Hinsicht wird jetzt deutlich, dass kulturelle, also auch religiöse Gemeinschaften,  lebendig bleiben, wenn sie regional auf ihre eigene Art leben. Aber doch mit vielen anderen, ebenfalls regional je verschieden agierenden Organsiationen, Kirche etc., verbunden sind.

2.
Die Antworten, zumal der Hierarchen, der Bischöfe und Erzbischöfe, bedienen sich immer derselben Sprüche: Man sollte Mitglied der römischen Kirche bleiben, weil diese doch so beeindruckend universal sei mit ihren 1,2 Milliarden Mitgliedern. Vor allem wird der Begriff Einheit beschworen: Diese 1,2 Milliarden Katholiken seien unter dem Papst „EINS“. Was für eine gewagte Behauptung! Wer hat überprüft, ob der katholische Bewohner amazonischer Wälder in identischer Weise wie der katholische Börsenspekulant in New York oder der Schwule in Frankfurt an den Gott der Trinität glaubt oder an Jesu „Erlösung für uns durch seinen Kreuzestod“?
Die Erkenntnis also lautet: Diese These von der Einheit der römischen Kirche ist eine Ideologie, die den theologischen Status Quo Alas Herrschaft des Klerus stützen soll.

3.
Seit dem Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils (das war 1965, also vor 57 Jahren) werden von „Reformkatholiken“ immer in allen denkbaren Variationen dieselben Argumente vorgebracht: Gegen den Zölibat, für mehr Toleranz und Pluralität, für mehr Gleichberechtigung von Frauen und Schwulen, mehr ökumenische Zusammenarbeit und so weiter und so weiter. Alle diese Forderungen blieben bislang erfolglos. Aber das macht den „Reformkatholiken“ nichts aus, sie haben ewige Ausdauer und pflegen ihre ekklesiale Leidensbereitschaft, populär Masochismus genannt.
Das beste und in gewisser Weise (karrieremäßig, finanziell etc.) erfolgreichste Beispiel ist Hans Küng, der als von Rom diskreditierter katholischer Theologie-Professor nach dem „Rauswurf“ (1979) aus der katholisch-theologischen Fakultät der Uni Tübingen mit Trotz stets fürs Verbleiben in der römischen Kirche plädiert hat. Und stets (illusorische) Hoffnung auf Reformen an der katholischen Basis weckte. Und dabei wurde Küng sehr bekannt …

4.
Pater Klaus Mertes SJ wird anläßlich des Stuttgarter Katholikentages in einem längeren Interview mit der TAZ vom 25./26.Mai 2022 S. 4 f. gefragt, ob die katholische Kirche (in Deutschland, aber auch weltweit) vor einer neuen Reformation stehe. Mertes antwortet: „Wir befinden uns in der Tat in einer Zeit, die mit der Reformation vergleichbar ist. Wenn Rom sich in all diesen Sachen (gemeint sind also die Reformvorschläge des „Synodalen Weges“ etc. CM) nicht bewegt, dann wird es explodieren“.

5.
Ein erstaunliches Wort: „Dann wird es explodieren“. Wer oder was explodiert denn, es wird leider voin den Journalisten der TAZ nicht nachgefragt! Offenbar ist die katholische Kirche als Institution gemeint, vor allem der Vatikan, den Mertes vorher „hermetische Loyalitätskartelle“ nennt (S. 5). Er meint also die Allmacht des Klerus. Und dann wird „es“ „explodieren“. Was meint das Wort explodieren? Offenbar eine Reformation, die den Namen verdient, keine Reförmchen, sondern eine Reformation, die bekanntlich als Reformationsbewegung seit dem 13. Jahrhundert (Petrus Waldes, Hus, Luther, Calvin, Arminius etc.) immer eine Abspaltung von der römisch-katholischen Institution war. Nur Franz von Assisi hat sich dem Papst gebeugt! Also, dies sagt der Jesuitenpater Mertes, eine Explosion könne bevorstehen.

6.
Aber dann folgt nach dieser objektiv treffenden und richtigen Analyse: Die angstvolle Einschränkung und die Zurücknahme der „Explosion/Reformation“ durch Mertes. Er sagt: „Die Einheit der Kirche auch in ihrer institutionellen Form ist ein hohes Gut, weil die katholische Kirche nur so eine globale wirkende Institution ist, die wie kaum eine andere wirklich fähig ist, globale Themen zu setzen“ (S.5).
Kurzum: Man sollte, bitte schön, Katholik in Deutschland bleiben und bitte weiterhin leiden an der Kirche, aus dem einen Grund: Damit die universale Organisation römische Kirche weiterhin wirksam bleiben könne.

7.
In dieser Aussage ist einiges problematisch: Warum sollen Katholiken in Deutschland, wenn sie seit Jahrzehnten zutiefst unzufrieden sind mit der Kirche, nicht von ihrem Recht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit Gebrauch machen? Also auch von ihrer demokratischen Freiheit, aus dieser Kirche auszutreten und möglicherweise einer anderen, etwa einer protestantischen Kirche beizutreten? Und eine „Freie katholische Kirche in Deutschland“ (FKD) aufbauen?

8.
Es wirkt schon sehr ideologisch gefärbt, zu empfehlen: Unzufriedene Katholiken sollten in dieser Kirche ausharren, bloß damit die global wirkende Institution als solche im Glanz der 1,2 Milliarden Mitglieder erhalten bleibt, natürlich auch mit dem stets reich fließenden Geld aus Deutschland.

9.
Die entscheidende Frage lautet: Wo hat denn der Vatikan globale Themen gesetzt, wie Pater Mertes behauptet? Waren die Reden der Päpste bei der UNO oder die Rede von Papst Benedikt XVI. vor dem Deutschen Bundestag so fantastisch, so politisch wirksam? Doch wohl nicht. Ist die aktuelle Russland Politik von Papst Franziskus etwa ein Glanzstück, der sich viele Wochen lang als Putin – Versteher zeigte, offenbar um so die katholische Kirche in Russland zu schützen. Genannt wird von Pater Mertes die Enzyklika „Laudatio si“ von Papst Franziskus SJ, mit der sich, so Mertes, angeblich 1,2 Milliarden Katholiken auseinandersetzen. Woher weiß das der Pater? Wie viele Kirchengemeinden haben denn, bitte nachweislich, im Sinne des Papstes Ökologie oder Friedenserziehung zum Schwerpunkt gemacht … anstelle den Römsichen Katechismus zu studieren (wie etwa die neokatechumenal geprägte Gemeinde St. Matthias in Berlin-Schöneberg)?

Mir ist bekannt, dass diese Enzyklika “Laudato si” von vielen Kennern heftig kritisiert wurde. Wo sind denn diese Ideen dieser Enzyklika von katholischen Politikern etwa in Lateinamerika real „umgesetzt“ worden, etwa von Bolsonaro oder katholischen Gewaltherrschern in Afrika oder auf den Philippinen? Ich habe den Eindruck, man erzählt ideologisch Gemachtes, um die Katholiken „bei der Stange zu halten“. Denn auch das ist Tatsache: „Global agieren“ können immer katholische Hilfswerke oder katholische Ordensgemeinschaften (etwa der wichtige „Jesuiten Flüchtlingsdienst“). Diese katholischen NGOs werden vielleicht sogar finanzielle (und personelle) Unterstützung von EX-Katholiken erhalten, weil deren humane Arbeit als wertvoll und hilfreich erlebt wird.

10.
Was wäre also so furchtbar, wenn sich wirklich eine Reformation (eine EXPLOSION, wie Mertes sgat) ereignete? Wenn sich also eine „Freie katholische Kirche in Deutschland“ (FKD) bilden würde, bestimmt von den bekannten und tausendmal besprochenen Impulsen der katholischen Reformation? Wie viele römisch-katholische Bischöfe würden auf ihre bisherigen Privilegien verzichten und sich der FKD anschließen?

Die Mitglieder hätten jedenfalls alle Freiheit, ihren Glauben auf ihre Weise nun endlich einmal frei und demokratisch zu leben. Sie hätten mehr Zeit für reife menschliche Gemeinschaft, für Spiritualität, sie könnten sich von dem ewigen katholischen Dauerthema: „Das masochistische Leiden der Katholiken wegen der Hierarchen“ befreien.
„Katholisch sein“ wäre dann etwas anderes als das ewige römisch-katholische „Sich ärgern und zornig werden über die Zustände dieser klerikalen Kirche“. Das könnte römische Katholiken weltweit inspirieren als Vorbild!

11.
Wie viele KatholikInnen in Deutschland denn tatsächlich dieser reformierten, der Freien  katholischen Kirche in Deutschland beitreten würden, ist natürlich unklar. Ich vermute, es würden nicht gerade viele Millionen sein! Denn die Angst vor einem Bruch mit der lange internalisierten „Mutter Kirche“ ist zu groß. Manche sagen doich immer noch allen Ernstes: Ich liebe diese Kirche! Man soll Gott und den Nächsten lieben, nicht aber eine weltliche Institution, eine Kirche. Solange die römisch – katholische Kirche sich immer noch als Gründung des lieben Gottes versteht, ist “nichts Vernünfrtiges zu machen”, um es mal populär auszudrücken.

Und die Festangestellten bleiben sowieso lieber an den immer noch voll gefüllten „Fleischtöpfen Ägyptens“ hängen (wegen der Kirchensteuer) als sich auf Neues einzulassen. Weil man Katholischsein mit Jammern identifiziert hat, fühlt man sich halt beim Jammern ad aeternum recht wohl. Eine Jammer-Gemeinschaft also wird wohl fortbestehen….
Noch einmal: Die Idee der behaupteten dogmatischen Einheit der Kirche unter der Herrschaft des Klerus und des Papstes ist durch diese Jahrhunderte alte Indoktrination ein so absolut hohes Gut, dass nur wenige Katholiken diese Einheitsideologie überwinden können. Pluralität wird immer als Zerstrittenheit, nicht als Chance gesehen. Man spricht in Rom und anderswo von Protestantisierung … als Schimpfwort….

12.
Dieser Beitrag ist bewusst etwas zugespitzt. Er hat nicht zum Thema gemacht, dass der Hauptgrund für die ständig zunehmende Distanz so vieler tausend gebildeter Katholiken von der römischen Kirche in Westeuropa einen theologischen Grund hat: Es ist die, pauschal gesagt, völlig veraltete fixierte Dogmatik (aus dem 4. Jahrhundert, Schwerpunkt Trinität, Erbsünde, Hierarchie) und die Fixierung auf neo-platonische – bzw. kleinbürgerliche Moral. Auch die antiquierte Sprache der ewig in gleicher Form zelebrierten Messfeier ist – schon aus sprachlichen Gründen – ein Skandal. Die Messfeier gilt für die Hierarchen nur deswegen als der „absolute“ Höhepunkt des Glaubens, weil eben nur die zölibatären Priester diese Messe feiern dürfen! Man ahnt, wie aus Theologie eine Ideologie des Machterhalts der Hierarchie wurde. Aber wird dieses Thema besprochen von den Theologen an den theologischen Fakultäten? Nein, davor hat man Angst! Denn letztlich sind katholische Theologen ,selbst an staatlichen theologischen Fakultäten, noch immer von den Herren Bischöfen (und via Nuntius auch von Rom) abhängig! Wer nicht spurt, bekommt Probleme, wird entlassen…

13.

Das Thema dieses Hinweises ist hoch aktuell: Es geht darum zu erkennen, was eine sich fest-strukturiert gebende globale Welt-Instuitution, die Römisch-katholische Kirche, noch im 21. Jahrhundert sein kann. Denn in vielerlei Hinsicht wird jetzt deutlich, dass kulturelle, also auch religiöse Gemeinschaften, nur dann lebendig und kreativ bleiben, wenn sie regional auf ihre eigene Art leben können. Aber doch mit vielen anderen, ebenfalls regional je verschieden agierenden Organsiationen, Kirchen etc., verbunden sind.

Eine Glaubensgemeinschaft, die universal für alle Menschen dieses Globus den einen und selben dogmatischen Glauben und die dogmatische Ethik, sprachlich fixiert, in Begriffen des 4. Jahrhunderts oder des Mittelalters vorschreibt, kann faktisch keine Zukunft haben.

Ein solches Weltkonstrukt mit einem jetzt 86 Jahre alten Chef (Papst genannt) für 1,2 Milliarden Katholiken, kann nicht mehr gut leben. Und es hat wohl nie konstruktiv – hilfreich funktioniert. Die Inquisition ist nur eines von vielen Beispielen für das frühe Scheitern dieses Herrschaftssystems. Eine Kirche mit einer Regierung, ausschließlich von (alten) Männern, und dann noch absolut zentriert in einer europäischen Stadt (Rom), hat keine Zukunft. Zumal es sich um eine Autokratie oder “Monarchie” (Papst als Staatschef) handelt,  die die nicht die geringsten Spuren von Demokratie aufweist.

Diese Kirche fordert von allen anderen Organisationen den Respekt der Menschenrechte, also der Werte der Demokratie, aber sie selbst als Kirche lebt diese Menschenrechte NICHT in ihrem eigenen “Innenbereich”. Das versteht kein vernünftiger Mensch mehr, zumal keine Frau. Nur wenn man als Papst sagt, das eigene kirchliche Verhalten und die kirchliche Gesetzgebung sei von Gott höchstpersönlich so gewollt, hat diese Kirche in gewissen Kreisen vielleicht noch Rückhalt. Aber je gebildeter die Menschen (auch die Katholiken) werden, um so mehr wird die Bindung an diese Kirche nachlassen. Und die Sturheit der Hierarchen fördert diesen Prozess!

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Pfingsten, Christi Himmelfahrt, Ostern: Ein “Ereignis”. Und ein Fest!

Zum Text siehe:  LINK