Katastrophen abwenden: Zur Aktualität des russischen Philosophen Nikolaj Berdjajew

Ein Hinweis von Christian Modehn

In diesen Monaten wird der Revolutionen gedacht, der russischen, sowie jetzt der Revolution in Deutschland 1918/1919.

1. An einen aus Russland stammenden Philosophen sollte man sich in dem Zusammenhang erinnern, an Nikolaj Berdjajew. Er lebte nach seiner Vertreibung durch die Kommunisten 1922 etwa zwei Jahre in Berlin, danach bis zu seinem Tod am 23. März 1948 in Frankreich, vor allem in Paris.

2. Russische Philosophen in der Mitte des 20. Jahrhunderts – das ist ein Thema, das in Deutschland wenig beachtet wird. Alles Interesse galt (und gilt ?) dem Marxismus, dem Leninismus, Stalinismus in diesen Jahrzehnten. Dabei werden die auch dem Zarenregime oppositionellen Philosophen eher vergessen.

3. Dabei ist eine Gestalt wie Nikolaj Berdjajew herausragend, zweifellos ein „Russe im westlichen Exil“. Aber er ist keineswegs wie so andere „Russen im westlichen Exil“ ein Reaktionär, er ist kein Philosoph, der den radikalen sozialen und politischen Wandel überflüssig und falsch findet.

4. Man sollte sich an Berdjajew erinnern, weil er einen anderen Stil von Philosophie pflegte: Der die Philosophie in kleineren „Kreisen“, in „Zirkeln“, lebendig werden ließ, also in Orten, die sich außerhalb des (staatlich reglementierten) Universitätsbetriebes befanden. Zu diesen eher privaten „Kreisen“, schon seit etwa 1840 eine Realität, gehörten auch Dichter und Schriftsteller, im 19. Jahrhundert etwa auch Dostojewski. Dichtung, Poesie, und Philosophie waren eng verbunden! Wilhelm Goerdt nennt diese „Kreise“ in seiner großen empfehlenswerten Studie „Russische Philosophie“ (Freiburg/München 2002, S. 63) „Laboratorien des Geistes“. „Hier pulsiert das philosophische Leben“.
Diese „Kreise“ existierten in Russland zum Teil, immer bedroht, sogar nach dem Sieg der Bolschewisten bis 1922. Berdjajew gründete eine „Freie Geisteskultur“ im Jahr 1918 in Moskau, Treffpunkte waren zu der Zeit manchmal sogar noch offizielle (staatliche) Bildungsstätten, “weil in diesen Jahren der Totalitarismus des Sowjetstaates noch nicht endgültig vom ganzen Leben Besitz ergriffen hatte“ (schreibt Wilhelm Goerdt, S. 78).
Nach der Niederwerfung des Ungarnaufstandes 1956 gab es in Leningrad sogar einen „Kreis“, der sich auf den inzwischen in Paris verstorbenen Berdjajew berief und sein Werk studieren wollte! Mit viel Mühe gelang es einigen Mutigen, die von den Kommunisten unter strengem Verschluss gehaltenen Werke Berdjajews zu erreichen und einiges mit der Hand abzuschreiben (vgl. Goerdt, S. 91). Dieser freie philosophische Lesekreis wurde „selbstverständlich“ vom KGB aufgelöst und verboten. Unter Stalin wurde selbst ein minimaler Pluralismus innerhalb der parteilichen Sowjetphilosophie verboten.

5. Es ist also diese bis 1922 gültige „Doppelstruktur“ russischer Philosophie, ihre Präsenz in „Kreisen“ UND an Universitäten, die wichtig und „typisch“ ist. In wieweit die philosophischen Salons (Diderot usw.) im Vorfeld der Französischen Revolution als Vorbild dienten, wäre zu untersuchen.

6. Nikolaj Berdjajew – aus „aristokratischem“ Hause stammend, geboren am 6.3.1874 in Kiew, Russisches Kaiserreich – bekannte sich schon in den 1890 Jahren zum Marxismus, er wurde deswegen vom alten Regime deswegen verhaftet und verbannt. Als sich radikale Kräfte in der revolutionären Bewegung, die Bolschewiki, mit Gewalt durchsetzen, geht er auf Distanz zum parteipolitisch organisierten Marxismus. Nikolaj Berdjajew wird 1922 von Kommunisten des Landes verwiesen. Die Revolution hält er nach wie vor für notwendig. Auch unter den russischen Emigranten hält er daran fest.
In Berlin und dann in Paris gründet er wieder philosophische Gesprächskreise, „Kreise“, philosophische „Salons“. In Berlin ist dies die „russische religionsphilosophische bzw. religiös –philosophische Akademie“. In Paris lädt er in seiner Wohnung zu einem philosophischen Gesprächskreis ein.

7. Zum philosophischen Denken Berdjajews nur einige Hinweise: Er stellt den Gedanken der Krise und der sich aus Krisen entwickelnden Katastrophen in den Mittelpunkt. Das Ende der Welt der Menschen ist möglich, aber auch abzuwenden: Inmitten der Krise, so Berdjajew, können schöpferische, positive Kräfte wach werden.
Freiheit und Nonkonformismus bestimmen sein geschichtsphilosophisches Denken. Östliches (russisches) und westliches Denken sollten sich angesichts der Krise versöhnen und vereinen: Eine geistige Grundlage für ein versöhntes Europa sieht er in einer neuen, universalen, ökumenischen Kirche. Deswegen sein Interesse am Austausch mit katholischen und protestantischen Theologen und Philosophen.

8. Die kritische Auseinandersetzung mit dem Sowjet-Kommunismus bleibt Berdjajews Thema: Nicht das Kollektiv, sondern der freie Mensch, die Persönlichkeit, muss gefördert werden, betont er. Nur eine freie Persönlichkeit kann die Gesellschaft menschlich gestalten. Persönlichkeit, so schreibt er, ist der Sieg des Geistes über die Natur, der Freiheit über die Notwendigkeit. Knechtschaft darf es niemals geben, auch nicht in der Beziehung zu Gott. Das ist Berdjajews spekulative Leistung: „Freiheit gründet im Urgrund“, „uranfänglich“, eine Vorstellung, die an Jacob Böhme erinnert.
Die wahre klassenlose Gesellschaft achtet jeden Menschen als Persönlichkeit, sie hat Respekt vor der Gewissensentscheidung eines jeden. Der in der Sowjetunion etablierte Kommunismus ist für Berdjajew eine (falsche) „politische Religion“, also der Glaube an die Machbarkeit einer vollkommen gerechten Gesellschaft in der Zukunft. Dieser Glaube ersetzt förmlich den alten russisch-orthodoxen Glauben. Berdjajew sieht in der Begeisterung vieler Russen für den Kommunismus eine Aktualisierung des alten Glaubens an eine messianische Sendung des orthodoxen Russlands (Moskau als 3. Rom).

9. Mit dem sozialistischen Theologen und Slavisten Fritz Lieb aus der Schweiz verbindet Berdjajew eine intensive Freundschaft, Lieb besucht Berdjajew 1933 nach Clamart, bei Paris. Sie geben unter vielen Schwierigkeiten eine neue Folge der Zeitschrift „Orient und Occident“ heraus. Beide interessieren sich für die geistige Verbindung von biblischer Weisheit und den Lehren von Karl Marx.

10. In seinem wichtigsten Buch gegen Ende seines Lebens: „Selbsterkenntnis. Versuch einer philosophischen Autobiographie“, Paris 1949) schildert Berdjajew seine menschliche, seine philosophische Entwicklung. Leider ist auch dieses Buch in deutscher Sprache schwer erreichbar!
Philosophie war für ihn stets mit den eigenen Lebens-Erfahrungen verbunden, nie bloß akademische Lehre von Philosophen für Berufsphilosophen. Autobiographie ist “ein Akt existentieller philosophischer Selbsterkenntnis“.
Berdjajew – ein Denker, der stets Außenseiter sein wollte, der niemals einen Konformismus unterstützte, der deswegen auch seine Konflikte mit der orthodoxen Kirchenleitung hatte: So war für ihn (gar nicht der orthodoxen Lehre gemäß !) göttliche Gnade bzw. göttliche Erlösung keine einseitige Tat Gottes, sondern immer auch aktive Tat, freie Entscheidung, des Menschen. Eine weiter zu bedenkende moderne Theologie!

11. Als Motto für Berdjajew könnte seine Aussage gelten:
„Den allergrößten Wert lege ich auf Unabhängigkeit und auf meine Freiheit als Denker. Und so passe ich in kein Lager hinein“ (zit. in Goerdt, S. 79)
Und vor allem: Er glaubte daran, „dass sich der freie Gedanke unterirdisch in Russland (während des Stalinismus) verbreitet und dass er lebendig bleibt“ (ebd.).

12. Ein eigenes Thema ist die philosophische Nähe Berdjajews zu anarchistischen/libertären Ideen und Konzepten. Darauf wird in dem Buch “Christlicher Anarchismus” (hg.vom Sebastian Kalicha), Verlag Graswurzelrevolition, 2013, mehrfach hingewiesen, u.a auch auf Berdjajews Buch “Slavery and Freedom, London, 1939).

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Ordentliche Orden? Neue sehr konservative Ordensgemeinschaften im Katholizismus

Ordentliche Orden? Es gibt immer mehr Ordensgemeinschaften, die kritische Theologie ablehnen.

Hinweise von Christian Modehn, zuerst veröffentlicht am 27.3. 2015. Im Jahr 2019 weiter aktualisiert, weil die reaktionären Ordensgemeinschaften weiterhin blühen und Anlass bieten für religionskritische Hinweise…

Ergänzung am 24.1.2019: Das neue Buch von Doris Wagner, “Spiritueller Missbrauch” (Herder Verlag 2019) lenkt das allgemeine Interesse wieder einmal auf die Welt der katholischen Ordensgemeinschaften und so genannten “geistlichen Gemeinschafen” innerhalb der römischen Kirche.

Ergänzung am 26.4.2019: Viel mehr kritische Beachtung in Deutschland verdient die aus Peru stammende neue geistliche (Ordens-und Laien-) Gemeinschaft Sodalicium Vitae Christianae, in Lateinamerika nur sodalicio genannt, dort stark verbereitet, sehr reaktionäre Theologie, Insidern in Peru haben die Korruption, den sexuellen Mißbrauch usw. nachgewiesen. Selbst Bischöfe in Peru fordern eine vom Vatikan ausgehende Auflösung dieser Vereinigung. Vor allem Bischof Eguren von Piura, Peru, sodalicio Mitglied, ist sehr umstritten. Siehe den LINK.

Auch Bischof Anselmi vom Sodalicium in Piura, Peru, muss “wegen Vertuschung!” im April 2024 abtreten. LINK:

In dem Zusammenhang ist es wichtig wahrzunehmen, wie viele sehr konservative Orden und geistliche Gemeinschaften in den letzten Jahrzehnten tatsächlich entstanden sind. Von einem “Aussterben der Orden” kann also nur differenziert berichtet werden: Viele Orden sterben in Westeuropa aus, neue werden gegründet mit einem theologischen Background, den man schlicht reaktionär nennen muss. Die Kirchenführung stört das weiter nicht: Sie ist froh, dass wieder Menschen zölibatär leben wollen und als Männer dann auch die klerikale Priesterkirche weiter stützen. Ich habe auf dieser website ausführlich über die Legionäre Christi berichtet, die Neokatechumenalen, dem Engelwerk mit seinem “Kreuzorden”, dem Instititut des Inkarnierten Wortes usw… andere haben das Opus Dei dokumentiert. Man vergesse nicht, dass Kardinal Joseph Ratzinger als Chef der Glaubenskongregation eng mit den Schwestern der Gemeinschaft DAS WERK verbandelt war, die Damen führten ihm den Haushalt… Diese Dokumentation biete ich an, um der immer notwendigen Religionskritik heute ein greifbares Format zu geben. Damit ist freilich nicht gesagt, dass sich reaktionäres Denken nur in den “neu gegründeten Orden” etc. finden lässt. In den mit Rom versöhnten Klöstern der Traditionalisten wird die sehr konservative Theologie gepflegt, wie in Le Barroux, bei Avignon,  oder in den nach Benedikt XVI. benannten theologischen Hochschule der Zisterzienser in Heiligenkreuz im Wiener Wald…Zur ausführlichen Dokumentation des “rechtslastigen Benedikt XVI.” klicken Sie„Sodalitium christianae vitae“, also mit dem neutral klingenden Titel „Vereinigung des christlichen Lebens“. Ihr Gründer ist der Peruaner Luis Fernando Figari, in kirchenrechtlicher Sicht ein Laie, der jetzt wegen sexuellen Missbrauchs angeklagt wird. Gegründet wurde diese Gemeinschaft 1971 von Mitgliedern der peruanischen Mittel – und Oberschicht mit dem erklärten Ziel, die Theologie der Befreiung und alle linken „Basisgemeinden“ zu bekämpfen, vor allem aber, um die Inkulturation des christlichen Glaubens unter den Indigenas im Süden Perus zu bekämpfen. Es ist bezeichnend, dass diese „Soladicio“, wie man auf Spanisch sagt, von dem nicht gerade linkslastigen polnischen Papst Johannes Paul II. offiziell anerkannt wurde! Er fand bekanntermaßen alle Katholiken toll und heiligmäßig, die theologisch–reaktionär und ebenso politisch absolut anti-links waren. Dafür gibt es tausend Belege…Aber er ist ein „heiliger Papst“…
Aber schon 2016, nach dem Tod des polnischen Papstes, wurde dieser konservative „Club“ von vatikanischen Sonderbeauftragten untersucht. Einzelne intensive Recherchen zu den Soladicio – Leuten haben Parellelen zu sektenähnlichen, stramm autoritären Gruppen gesehen, etwa zu „colonia Dignidad“ in Chile.
Der des sexuellen Missbrauchs beschuldigte Herr Figari versteckt sich wohl zur Zeit in Rom. „Peruanische Abgeordnete und mit dem Fall befasste Journalisten fordern die peruanische Regierung auf, darauf zu bestehen, dass der Vatikan die Rückkehr von Figari nach Peru anordnet, damit er der peruanischen Justiz und einer Untersuchungskommission des Parlaments Rede und Antwort stehen müsse. Ein Aspekt dabei sei auch die Untersuchung wirtschaftlicher Machenschaften; das Vermögen von Sodalicio wird auf ca. 800 Millionen US-Dollar geschätzt“, so der empfehlenswerte Bericht von Heinz Schulze, den die Infostelle Peru in Freiburg im Breisgau herausgegegen hat: : http://www.infostelle-peru.de/web/die-unheiligen-machenschaften-des-sodalicio-in-peru/
……..

Sie prägen das Gesicht der katholischen Kirche, die 1 Million Ordensfrauen und Ordenmänner. (a). Unter 1,2 Milliarden Katholiken bilden sie eine Minderheit. Aber sie sind Avantgarde, wenn es etwa um Menschenrechte oder theologische Forschung geht. Heute haben die Orden vor allem in Europa und Nordamerika Mühe, ihre radikale „Ganzhingabe an Jesus Christus“, wie sie sagen, verständlich zu machen. Manch eine Nonne fragt, gar nicht so witzig, wer denn als Letzte im Kloster das Licht ausmacht. 2013 bereiteten sich in Deutschland insgesamt 62 Novizinnen auf ihren Dienst in einem „aktiven Frauenorden“ vor. 60 Jahre zuvor gab es noch 3.500 Novizinnen (1). Das Durchschnittsalter der Jesuiten in den deutschsprachigen Ordens-Provinzen beträgt 65 Jahre (2) Die meisten anderen Gemeinschaften haben einen noch höheren Altersdurchschnitt. Einige Orden, wie die Unbeschuhten Karmeliter, können in Deutschland nur durch den Zuzug von Mönchen aus Indien bestehen. Die Augustiner haben in den letzten 20 Jahren 11 Klöster in Deutschland aufgegeben … und einen Konvent neu gegründet (3). Der Theologe Ulrich Engel OP fasst die Stimmung zusammen: „Die Lage scheint hoffnungslos und die Zeit der Orden hierzulande vorbei. So zumindest macht der statistische Überblick glauben“ (4)

Papst Franziskus hat 2015 zum „Jahr der Orden“ erklärt. In Deutschland werden die üblichen Veranstaltungen organisiert: Tage der Offenen Tür, Wochenenden der Besinnung, spirituelle Kurse usw. (5) Ein öffentlicher Kongress rund um das Ordensleben hätte im Mai in Berlin eine kritische Bestandsaufnahme leisten können. Die Tagung wurde unvermittelt abgesagt, aus „organisatorischen Gründen“ sagen die Oberen. Aber sie „haben Angst vor der eigenen Courage bekommen“, meint der Dominikaner Pater Ulrich Engel (6). Denn bei dem Kongress wäre mehr Transparenz, mehr Aufklärung, eingefordert worden. Große Orden, wie die Jesuiten, Franziskaner oder Steyler Missionare, können insgesamt nur noch ihr zahlenmäßig hohes Niveau halten, weil viele hundert Inder, Philippinos oder Indonesier in diese Gemeinschaften eintreten. Drängend ist die Frage, welche Bedeutung das Armutsgelübde in einer Umgebung hat, in der Millionen Einwohner bettelarm sind. Wird das Armutsgelübde in den Ländern des Elends zur Farce? Ist das Ordensleben – wie in Europa im 19. Jahrhundert – ein Sprung in die „Mittelklasse? Durchaus, meint heute der Benediktiner Pater Ghislain Lafont aus Frankreich „Unser Leben als Mönch ist doch sehr auf dem Niveau der Mittelklasse, von einer wirklich armen Kirche sind wir weit entfernt“.(c)

Viele traditionell fromme Katholiken lehnen die „bürgerlichen Orden“ ab und wenden sich neu gegründeten Reformorden zu. Dieses Thema ist für die anderen peinlich, es wird theologisch nicht bearbeitet. Da gibt es die „Franciscan Friars of the renewal“: Sie spalteten sich 1987 vom Kapuzinerorden ab und sind mit 120 Mitgliedern bereits weltweit tätig. Sie vertreten eine sehr konservative Theologie und legen allen Wert darauf, stets das Ordensgewand zu tragen. (d). Von den Minoriten hat sich 1970 der Orden der „Franziskaner-Immakulaten“ abgespalten, heute mit über 300 Mitgliedern. Päpstlich anerkannt, sind diese Franziskaner stark ins traditionalistische Milieu abgedriftet. Diese Mentalität findet sich bei vielen anderen neuen, stark wachsenden Orden, wie dem „Institut vom inkarnierten Wort“ (400 Priester weltweit) oder dem „Institut Christus König und Hoher Priester“, 1990 gegründet, heute 150 Mitgliedern. Die Titel dieser und vieler anderer so genannter neuer Reformorden drücken eine Spiritualität aus, die aus dem 19. Jahrhundert stammt.. Mit diesen Gemeinschaften wächst ein extrem konservativer Klerus heran, der nur darauf wartet, den progressiven Konzils-Klerus zu ersetzen. Diese Gemeinschaften verändern das Gesicht des Katholizismus. Richtung Fundamentalismus eigener Art?

Verdrängt wird insgesamt die Frage: Können die drei klassischen Ordensgelübde überhaupt heute noch gelebt werden, sind sie eine seelische Überforderung?

Über das Gelübde der Keuschheit wird seit vor 5 Jahren diskutiert, seit zahlreiche Missbrauchsfälle in Ordensschulen und Internaten offen gelegt wurden. Das römische Verbot, offen homosexuelle Männer in die Orden aufzunehmen, besteht immer noch. Einzelne Orden gehen –aus Angst stillschweigend – einen anderen Weg. Und noch nie wurde offen besprochen, ob lesbische Frauen in den Klöstern ausdrücklich willkommen sind.

Relativ harmlos erscheint heute das Ordensgelübde des Gehorsams. Bei dem Mangel an Personal kann sich heute jedes Ordensmitglied die Arbeit aussuchen, die ihm gefällt und zu ihm passt. Fordert ein Ordensoberer ein Mitglied auf, eine bestimmte Arbeit zu übernehmen, „dann ist der einzelne so frei, sich ganz oder teilweise oder auch gar nicht darauf einzulassen“, schreibt Pater Thomas Eggensperger OP (7). Aus dem Gehorsamsgelübde wird also eine Art „freie Wahl“.

Wirklich brisant wird es beim Ordensgelübde der Armut. Da bieten die Orden keine Transparenz, sie sind nicht bereit, präzise Auskunft zu geben zum Vermögen einer Ordensprovinz oder eines selbständigen Klosters. Arnulf Salmen von der Zentrale der Deutschen Ordensoberen (Bonn) begründet diese Haltung: „Ordensgemeinschaften erhalten keine eigenen Kirchensteuermittel und müssen für ihren Lebensunterhalt, ihre Altersversorgung sowie für die Finanzierung ihrer sozialen und pastoralen Projekte Sorge tragen. Der Deutschen Ordensobernkonferenz liegen keine Erkenntnisse über die Etats ihrer Mitglieder vor“. (13)

Tatsache aber ist: Die Orden profitieren von der Kirchensteuer: „Etwa 70 Prozent der Ordenspriester sind mit so genannten Gestellungsverträgen in den Diensten der Diözesen tätig“, berichtet Pater Ulrich Engel. (8) Das heißt: Ordensprovinzen sind Nutznießer der von Laien bezahlten Kirchensteuern! Hinzukommt: Die Ordensprovinzen sind „Körperschaften des öffentlichen Rechts“, genießen also einige Steuervorteile. Warum ist dann Aufklärung unerwünscht? Sind Orden also doch eine „Familie“, wie sie gern sagen, die sich abschottet? Wer etwa bei der deutschen Jesuitenprovinz nachfragt, erhält die Auskunft: „Die Jesuiten wissen selbst nicht genau, wie viel Vermögen der ganze Orden in Deutschland hat“ (e). Da stellt sich die Frage: Weil die Orden nun einmal offiziell als arm gelten wollen, haben sie Angst, ihre reale Armut bzw. ihren realen Reichtum zu dokumentieren. Dabei hatte der oberste Leiter des vatikanischen „Ordensministeriums“ Kardinal Joao de Aviz, 2014 gefordert: „Das Zeugnis des Evangeliums verlangt eine absolut transparente Verwaltung der Werke…“ (9).

Einen Hauch von Transparenz bieten einige der großen Klöster in Österreich. Die Prämonstratenser in Schlägl beziffern ihren Waldbesitz mit 6.500 Hektar (also 65 Quadratkilometer). Einnahmen bietet ihnen auch die Brauerei, ein Hotel, und die Produktion von Ökostrom in Wasserkraftwerken usw.(9b) Das Augustiner-Chorherren-Stift Klosterneuburg nennt selbst als Eigentum 8000 Hektar Wald! Es hat 108 Hektar Weinanbau, 700 Wohnungen und 4.000 Pachtverträge für Immobilien. Natürlich kostet der Erhalt des prachtvollen Kloster-Palastes viel Geld, allerdings hilft bei Renovationen kräftig der österreichische Staat. Das sehr wohlhabende Klosterneuburg hat 2013 15.000 Euro für Hochwasseropfer gespendet, auch der Armen in Rumänien wird mit Spenden gedacht (9a).

Wie kann ein einzelnes Ordensmitglied arm sein in finanziell gut ausgestatteten Klöstern und Ordensprovinzen? Wenn der Orden reich ist, warum kann sich ein armer Ordensmann nicht sein Privatauto leisten oder eine eigene Kreditkarte? Jeder Mönch und jede Nonne lebt in einem finanziell absolut sicheren Netz. „Wir geloben die Armut“, sagt mir ein Ordensmann, „aber die Armut leben die anderen, etwa die allein erziehenden Mütter“.

Aber manchmal können die Ordensleitungen nicht mehr verheimlichen, über welches Vermögen sie verfügten. So musste der Generalobere der Franziskaner, P. Anthony Perry, Ende 2014 zugeben (10): Die Ordenszentrale der Franziskaner in Rom sei pleite, weil sich ihr Ökonom, P. Giancarlo Lati, mit vielen Millionen Euro, verspekuliert hat: Er hat in das luxuriöse Hotelprojekt „Il Cantico“ in Rom fehl investiert und in der Schweiz dubiose Anlagen, zum Teil im Rüstungsbereich, gemacht. Aus gesundheitlichen Gründen, so wörtlich, wurde der Mitbruder entlassen. Nicht erwähnt wurde von dem obersten Chef der „Minderbrüder“, aus welchen Quellen den Bettelmönchen diese (nicht genau bezifferten) Millionen überhaupt zur Verfügung stehen.

Seine guten Geschäftsbeziehungen zu dubiosen Managern, wie die italienische Presse vorsichtig sagt, wollte sich der Generalobere des Kamillianerordens, Pater Renato Salvatore, nicht nehmen lassen. Um sein Neubauprojekt bei Neapel mit dem Geschäftspartner Paolo Oliveiro durchzuziehen, ließ er einfach zwei kritische Mitbrüder im Orden verhaften, von falschen Polizisten. So hoffte er ohne deren Stimme noch einmal zum Ordensgeneral wiedergewählt zu werden. Pater Salvatore war gern gesehener Teilnehmer auf Synoden und vatikanischen Tagungen. Diese Schmierenkomödie ums Geld eines „armen Ordens“ endete zunächst mit der Verhaftung des Ordenschefs. Auch die „Ordensgemeinschaft der Armen-Brüder des heiligen Franziskus“ in Düsseldorf hat 7, 2 Millionen – Spenden durch Spekulation verloren (12) Und der ohnehin steinreiche Orden der Legionäre Christi hat Teile seines Vermögens in der Finanzoase Panama bei einer fingierten Briefkastenfirma plaziert, wurde auf einem Kongress lateinamerikanischer Journalisten von berichtet. (14)

Selbst wenn diese Beispiele zur gelebten Ordensarmut die Ausnahmen sein sollten: Die Orden können ihr Ansehen nur wiedererlangen, wenn sie Transparenz zu einer ihrer höchsten Tugenden machen. Vielleicht wäre ein viertes Gelübde, das der Transparenz, angebracht?

Fußnoten.

(a) http://www.k-l-j.de/katholische_kirche_zahlen.htm

 

  1. In HK 2015, Seite 66.

2 (https://www.jesuiten.org/wir-jesuiten/der-orden/zahlen.html;)

3 eigene Recherche: Es handelt sich um die Augustinerklöster:

Messelhausen, Walldürn, Weiden, Regensburg, München Maria v. g. Rat in München; Neu Ulm, Bielefeld, Würzburg Pfarrgemeinde, Dülmen, Zwiesel, Stuttgart,

neu gegründet: Erfurt.

4. HK 2015, 66).

www.orden.de

c: http://www.la-croix.com/Religion/Actualite/P.-Ghislain-Lafont-et-F.-Jacques-Benoit-Rauscher-L-un-des-maitres-mots-de-la-vie-religieuse-c-est-l-humanite-2015-02-02-1275830,   2.2.2015

d: http://franciscanfriars.com/

6 HK S 68

7 Pater Eggensperger OP in: Kontakt, Miteilungen der Dominikaner, 2013, Seite 59.

8 HK s 66.

( e) Mitgeteilt an Modehn vom Pressesprecher der Jesuiten Thomas Busch.

9.

Zu Transparenz: Quelle http://www.dbk-shop.de/media/files_public/mntyhcpvoyq/DBK_2198.pdf

9a Klosterneuburg:

Spenden des Klosterneuburg:

http://www.stift-klosterneuburg.at/suche/

9b

Schlägl: Der Waldbesitz beträgt derzeit ca. 6500 ha. Damit liegt das Stift auf dem 6. Rang der Stifte Österreichs.

In: http://www.stift-schlaegl.at/prodon.asp?peco=&Seite=373&UID=&Lg=1&Cy=1

10-

http://www.ilfattoquotidiano.it/2014/12/19/crac-ordine-francescani-investimenti-in-societa-legate-traffici-droga-armi/1288136/

 

Quelle: http://www.panorama.it/news/urbi-et-orbi/francescani-sullorlo-bancarotta/

 

11.

Zu kamillianer [Esplora il significato del termine: confratelli, padre Rosario Messina e padre Puca] confratelli, padre Rosario Messina e padre Puca http://www.corriere.it/cronache/14_gennaio_07/parlamentari-boss-prelati-nell-archivio-segreto-fiscalista-a567a07e-7763-11e3-823d-1c8d3dcfa3d8.shtml

Mit Mafia:

In realtà – come accerta il Ros – si tratta di Paolo Oliverio. Un tipo che di mestiere fa il commercialista, traffica con l’ordine dei Camilliani, e che ha come clienti, tra gli altri, uomini della P3 e che verrà arrestato dalla Finanza nel gennaio scorso. Mettendogli le manette, il Gico scoprirà che

Quelle: http://www.repubblica.it/cronaca/2014/12/08/news/mafia_capitale_diotallevi-102386631/ 8.Dez. 2014.

 

http://www.giornalettismo.com/archives/1204773/padre-renato-salvatore-il-superiore-dei-camilliani-arrestato/

 

Arme Brüder:

 

http://www.welt.de/regionales/duesseldorf/article124742300/Arme-Brueder-verlieren-wohl-7-2-Millionen-Euro.html

 

13 Arnulf Salmen in einer mail an Christian Modehn

14

http://www.lenversdudecor.org/Legionnaires-du-Christ-Panama-la-route-de-l-argent.html

COPYRIGHT: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Brauchen wir ein “Fest der Beschneidung Jesu” im Kampf gegen den Antisemitismus?

Ein Hinweis von Christian Modehn

Die Beilage der Wochenzeitung DIE ZEIT mit dem Titel „Christ und Welt“ bietet in der Ausgabe vom 1. Januar 2018, Seite 1 und 2, ein Plädoyer für die Wiedereinführung des “Festes der Beschneidung des Herrn” (Jesus)  am 1. Januar unter DIESEM Titel. Die Forderung wird damit begründet: Wenn wieder in der ganzen Kirche die Beschneidung des Juden Jesus gefeiert würde, könnte dies den zunehmenden Antisemitismus weltweit zurückdrängen. Soll das ernst gemeint sein? Ein katholischer Beschneidungsfeiertag als Beitrag zum Kampf gegen den Antisemitismus?

Ich muss gestehen, ich empfinde diesen Beitrag eher als Satire. Denn wie kann man heute im Ernst meinen, ein solches Fest unter diesem Namen könnte den Antisemitismus eindämmen?

Antisemitismus wird überwunden durch umfassende Bildung aller; durch Begegnungen mit Menschen jüdischen Glaubens; durch Erinnerung an den von Deutschen begangenen Massenmord an Juden; durch Widerstand gegen neofaschistische und rechtspopulistische Parteien und Gruppen; durch eine vernünftige Erklärung, was die hebräische Bibel bedeutet; durch gesetzliche Regelungen, die Antisemiten wirksam bestrafen; durch das Schuldeingeständnis der Kirchen, mit-schuldig zu sein an dem Jahrhunderte dauernden tödlichen Antisemitismus  etc…

Aber doch bitte nicht durch Messen am 1. Januar, als dem neuen Festtag der Beschneidung des Herrn, also in Messen mit frommen Worten vor wenigen Gottesdienstbesuchern einen Tag nach Silvester…

Das ist doch lächerlich.

Der Kampf gegen den Antisemitismus auch in katholischen Kreisen muss doch wohl wirksamer gestaltet werden.

Das weiß der Autor wohl auch, trotzdem werden 2 lange schöne Druckseiten für ein in meiner Sicht satirisches Plädoyer verwendet. Diese Druckseiten hätte man mit wichtigeren Themen „füllen“ können, etwa mit einer Auseinandersetzung über das irritierende Motto des Weltjugendtages in Panama und den Einfluss des Opus Dei dabei oder mit einer klaren und endlich einmal objektiven Analysen auch zur spirituellen Gestalt von Rosa Luxemburg, um einmal Beispiele aus dem aktuellen Umfeld des Januar 2019 zu nennen…

Wenn schon wieder ein Fest der Beschneidung am 1. Januar, dann bitte auch mit Einbeziehung der muslimischen Mitbürger, die ja auch heute noch fleißig (und schmerzhaft) beschneiden, leider. Sozusagen als interreligiöses Beschneidungsfest, um einmal die Satire fortzuführen.

Gott sei Dank sagt der Autor selbst, dass Paulus absolut zurecht betonte: Für Christen aus den „heidnischen Völkern“ gibt es keine Beschneidung. Von daher löst sich der Vorschlag wieder in Wohlgefallen auf. Nebenbei: Vielleicht finden sich einige Katholiken, die sich aus Solidarität mit Juden und Muslims ehrenhalber beschneiden lassen…Vielleicht in einer gemeinsamen Beschneidungsfeier im Vatikan?

Die Satire will ich zu Ihrer Ermunterung gern fortführen:

Also: Das Fest „Mariä Lichtmess“ am 2. Februar sollte wieder den uralten Titel „Maria Reinigung“ erhalten. Auch dieser Titel wurde ja mit gutem Grund im Rahmen der Reformen des 2. Vatikanischen Konzils abgeschafft…. Nun sollte man allen Frauen, so die Satire,  doch wieder zeigen, dass Geburt etc. doch etwas „Schmutziges“ etc. ist. Das Fest unter dem alten „Reinigungstitel“ wäre vielleicht auch ein Beitrag gegen den Feminismus usw. Passt ja heute für die Fundamentalisten…

Und vor allem: das „Fest der unschuldigen Kinder“ am 28.12. sollte aktuell als internationaler katholischer Trauertag der Erinnerung an die vielen Opfer sexuellen Missbrauchs durch Priester gestaltet werden. Und das wäre schon kein satirischer Vorschlag mehr…

Der Phantasie zur Aktualisierung der katholischen Feste sind keine Grenzen gesetzt: Das Fest des heiligen Pater Pio könnte etwa als Gedenktag aller Priester gefeiert werden, die wie Pater Pio (Kapuziner) dumm und seelisch sehr angeschlagen waren (und sind), aber dann doch glaubhaft machten, Wunder wirken zu können und sich deswegen blutige Hände verschafften. Und das Volk, das an Gott nicht glauben kann, glaubt wenigstens an den Heiligen Scharlatan Pater Pio mit den Stigmata. Immerhin hat diese Scharlatanerie dem Kapuzinerorden und seinem Wohnort viel Geld eingebracht.

Vielleicht sollte auch das “Fest des heiligen Josefs des Arbeiters” am 1. Mai wieder stärker doch das eigentlich Handwerkliche des heiligen Josefs akzentuieren: Selbst kleine Handwerksbetriebe bleiben unter dem Segen Gottes mit einem göttlichen Kind (Jesus).

Ich hatte übrigens zusammen mit dem protestantischen Theologie Professor Wilhelm Gräb, Berlin, das angekündigte Verbot der Beschneidungen (von Jungen) in Deutschland im Sommer 2012 damals verteidigt. Weil Menschenrechte nun einmal in unserem allgemeinen demokratischen Rechtsempfinden ÜBER religiösen Traditionen stehen und stehen müssen. Wo kämen wir denn hin, wenn auch die Scharia oder das katholische Kirchenrecht in demokratischen Staaten Geltung hätten? (Das katholische Kirchenrecht hat diese Geltung ja manchmal immer noch aufgrund der Konkordate…) Leider haben die obersten Gerichte aus welchen (auch ungenannten) Gründen auch immer dieses Verbot der Beschneidung nicht eingesehen. Trotzdem gilt weiter: Menschenrechte sind wichtiger als religiöse Sondertraditionen, die sich fromme Menschen vor langer Zeit einmal ausgedacht haben…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Panama: Weltjugendtage des Papstes. Kritische Hinweise

Hinweise von Christian Modehn zum Weltjugendtag in Panama vom 22. – 27.1.2019

Wer weiß: Vielleicht werden bald neue „Panama Papers“ veröffentlicht. Diesmal geht es um theologisch – politische (und dann auch finanzielle) Enthüllungen. Die so schwer eigentlich gar nicht freigelegt werden können. Sie werden in aller Ausführlichkeit im Umfeld der katholischen „Weltjugendtage in Panama“ veröffentlicht, falls es Journalisten gibt, die sich bei dem Kirchen-Thema für objektive, also kirchenunabhängige Recherche und umfassende Investigation interessieren. Dass die äußerst wohlhabende katholische Ordensgemeingemeinschaft “Legionäre Christi” schon im Dezember 1984 drei OFF-shore Unternehmen in Panama gründete, kann hier nur zum vertiefenden Studium empfohlen werden (8).

Die katholischen, vom Papst und den Bischöfen inspirierten und offiziell vom „Amt“ auch geleiteten internationalen „Weltjugend-Tage“ finden zum 34. Mal in Panama statt. Es war der polnische Papst, der diese Weltjugendtage „erfand“, wohl auch, um zu demonstrieren: Die katholische Kirche hat zumal in den neuen geistlichen, aber sehr konservativen Bewegungen wie den Neokatechumenalen, den Focolarini, dem Opus Dei, dem Regnum Christi etc. doch noch junge Leute vorzuweisen. Sie kann also noch die Jugend „mobilisieren“, die sich von der männlichen Kirchenführung gern leiten lässt. Beim letzten Treffen in Krakau (im Juli 2016) kamen etwa 3 Millionen junge Katholiken zusammen. In Panama rechnen die Veranstalter mit 200.000 TeilnehmerInnen aus etwa 150 Ländern.

Welche Themen müssen in den neuen „Panama –Papers“ kritisch untersucht werden?

Zunächst die neuerbaute luxuriöse Residenz des Botschafters des Vatikans in Panama, dort wohnt der Papst. Man kann sich den Palast des Nuntius im Link ansehen,in einem Land, in dem die überwiegende Zahl der Menschen in Armut lebt, jeder Vierte sogar  “unterhalb der Armutsgrenze”… An dem Beispiel  zeigt sich, was das päpstliche Reden von der “Kirche für die Armen” bedeutet: Sie ist bloß für die Armen, zynisch gesagt: Sollen sich diese noch an den Luxustempeln des Klerus erfreuen…

Es ist das offizielle Motto dieses Welt- Jugendtreffens in Lateinamerika, das tiefe Irritationen hervorruft, selbst unter fest- angestellten Mitarbeitern der Kirche. Die ihre Kritik natürlich nicht, wie üblich, nach außen hin öffentlich machen können/wollen.

Das Motto dieses Weltjugendtreffens ist ein Zitat, das wie immer bei solchen Treffen dem Neuen Testament entnommen ist. Diesmal ist es ein Wort der Jungfrau Maria, wie es das Lukas – Evangelium übermittelt: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast“ (Lukas, 1, 38).

Das heißt: Der biblischen Erzählung, dem „Mythos“, folgend, wird das Mädchen Maria von einem Engel besucht. Und der kündigt ihr als Jungfrau eine Jungfrauengeburt an, also die Geburt ihres Sohnes Jesus, der nicht von ihrem Gatten bzw. Lebenspartner Josef gezeugt ist. Maria ist vorbildlich gehorsam, sie sieht sich ausdrücklich als Magd „des Herrn“, und sie stimmt dieser „wunderbaren“ Empfängnis zu („unbefleckte Empfängnis“ sagte früher die katholische Theologie !, der Titel auch ein Hinweis zum Umgang mit Sexualität in der Kirche: „Befleckung“…)

Ich halte dieses Motto der Weltjugendtage in der Lebenswelt heutiger (junger) Menschen zumal in Lateinamerika und der arm gemachten Bevölkerung weltweit für eine „ideologische Katastrophe“. Denn wer als jugendlicher „Nicht-Theologe“ nur diesen Satz des gehorsamen Mädchens Maria hört und liest, wird förmlich ermuntert, den Gehorsam als entscheidend zu deuten. Gehorsam wird also von der Kirche verlangt! Und vor allem Frauen und Mädchen mögen doch bitte wie Maria gehorsam sein. Also konkret: Den Männern gehorchen.

Die Unterdrückung der meisten Frauen und Mädchen in Lateinamerika ist himmelschreiend: In den meisten lateinamerikanischen Ländern sind dank des politischen Einflusses der römischen Kirche fast alle Formen der Geburtenregelung und des Schwangerschaftsabbruchs gesetzlich verboten. Wie viele tausend Mädchen sterben bei „Kurpfuschern“, die reichen Damen fliegen nach Nordamerika zur medizinisch korrekten Abtreibung. Lediglich Uruguay ist in Lateinamerika eine vorbildliche Ausnahme. Warum? Weil die römische Kirche dort wenig Einfluss hat. Eben ein laizistischer Staat.

Hinzu kommt die ständige Bedrohung junger Menschen, vor allem der Mädchen, die wie Objekte für Vergewaltigungen missbraucht werden, in Zentralamerika, aber letztlich in ganz Lateinamerika: In Zentralamerika herrscht, abgesehen von Costa Rica, die totale Gewalt der Jugendbanden, der so genannten Maras. Diese rekrutieren als brutale männliche Verbrecher eben auch Mädchen. (1) Und die finden nur die Mitgliedschaft bei einer der „Familien“ der Maras, wenn sie sich vorher vergewaltigen lassen. Warum ist es dem so genannten Heiligen Vater nicht bekannt, dass beim Frauenmord, den Femiziden, die Gewalt gegenüber Frauen in ganz Lateinamerika erschreckend hoch ist? (2) Was soll in einer solchen Misere der Mythos von der gehorsamen Maria, die dem HERRN (!) gehorsam folgt und alles annimmt, was der HERR über einen Engel vermittelt ihr da zumutet.

Noch einmal: Diesen Satz aus dem Mythos des Lukas Evangeliums als Motto zu wählen, ist ein skandalöser Fehlgriff.

Die Entscheidung für das Motto soll der angeblich progressive Papst Franziskus selbst getroffen haben: Er und die anderen Herren im Vatikan hätten nur ein paar Verse im Lukas-Evangelium weiter lesen müssen, dann hätten sie DAS wegweisende Motto für die arm gemachten Millionen Menschen gefunden. Da spricht Maria in dem berühmten, sehr politischen Gebet, Magnificat genannt, diese revolutionären Worte:

„Gott stürzt die Mächtigen vom Thron, und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen“. (Verse 52 und 53).

Hätte man diese Worte als Motto gewählt, würden vielleicht ganz andere Jugendliche in Scharen zu den Weltjugendtagen in Panama kommen, nicht unbedingt Mitglieder frommer, eher fundamentalischer Gruppen, sondern eben politisch wache Leute, die Gerechtigkeit fordern und nicht Gehorsam gegenüber den „Herren“. Aber auch für den Vatikan und den Papst selbst wäre dieses Motto gefährlich, möchte er wirklich als Mächtiger im Sinne Marias „vom Thron gestürzt“ werden? Das hat Luther leider vergeblich schon versucht…Das fromme Motto zugunsten der gehorsamen Frau in einer brutalen Macho-Kultur gefällt sicher auch dem Präsidenten Panamas, dem Herrn Juan Carlos Varela Rodriguez (3). Er bekennt von sich selbst, in enger Verbundenheit mit der katholischen Geheimorganisation OPUS DEI zu leben.

Er ist nach außen hin ein sehr eifriger Katholik, er reist gern in den Vatikan mit seiner Familie, er folgt unmittelbar den Reisen des Papstes, wie etwa nach Krakau, zum letzten Weltjugendtreffen der Katholiken. Als engster Freund des Opus Dei hat er sich sogar seine Wahlkampagne vom Opus Dei mitfinanzieren lassen, mindestens 3 Millionen US Dollar hat er von dieser katholischen Geheimorganisation erhalten (4).

Der Opus Dei Staatspräsident Varela und sein Stab mit Verbindungen zur römischen Opus Die Zentrale üben eine großen Einfluss aus, was die Gestaltung der Weltjugendtage im Januar 2019 betrifft. Bei einem seiner Besuche in Rom hat Varela in einem Opus Dei Zentrum förmlich die Leitlinien des Weltjugendtreffens im Januar besprochen (5).

Staatspräsident Varela ist zudem mit dem Erzbischof von Panama Stadt eng befreundet und auch eng liiert mit dem Kardinal Jose Luiz Lacunza, Bischof der Stadt David in Panama. Beide sind mit einem Augustiner Orden verbunden. Sie haben sich zu feierlichen Pontifikal-Ämtern mit Opus Dei Leuten bereit gefunden und dem Staatspräsidenten dadurch viel Freude gemacht. Zahlreiche Dokumente aus der Presse belegen dies!

Über weitere Details wäre zu berichten, über die die noch halbwegs freie Presse Panamas berichtet:So wurde etwa ein roter Teppich für die Begrüßung des Papstes am Flughafen angefertigt, Kostenpunkt: 14.000 US Dollar.

Die Regierung hat in den ersten 19 Monaten ihrer Amtszeit mehr als 16,7 Millionen Dollar für die Kirchen, vor allem die katholische, ausgegeben. Selbst wenn dabei Renovierungen alter Kirchengebäude eingeplant waren: Die Bevorzugung der katholischen Kirche durch den Staat ist schon auffällig, meint etwa der Historiker Ricardo Rios Torres (6):

Die „Neue Panama Papers“ hätten also genug Material, etwa auch zur neu erbauten und luxuoriös ausgestatteten Nuntiatur in Panama – Stadt, wo ja bekanntlich der Reichtum nur in den wenigen monumentalen Türmen der Neoliberalen sichtbar ist und in den entsprechenden Wohnvierteln. Denn die meisten Menschen in Panama leben in Armut, da passt ein luxuriöses Gebäude des päpstlichen „Botschafters“ gut ins Bild: Die Leute wissen, wo Papst und Kirche sich wohlfühlen… Ob Papst Franziskus dort wohnen wird, ist noch unbekannt. (7). Sogar eine offizielle Publikation des katholischen Hifswerkes ADVENIAT erwähnt in “Blickpunkt Latenamerika”, Ausgabe 4, 2018, auf Seite 16, die neue Residenz des päpstlichen Botschafters in Panama, also des Nuntius: “Dieser moderne Prachtbau wurde gerade für mehrere Millionen US Dollar luxuriös saniert und steht deswegen stark in der Kritik”. Ob der Papst als Verkünder der Option FÜR die Armen in der Residenz wohnen wird, ist laut offiziellen Meldungen wahrscheinlich. Über die vorherrschende Gewalt im Land, zumal in der Stadt Colon, berichtet in dem Heft Gaby Herzog: “Kriminaliät gehört bei uns in Panama zum Alltag… Die Straßen werden in Colón von Banden regiert. Die Regierung hat keinen richtigen Plan, wie sie der Gewalt begegnen kann”, sagt der Interviewpartner Yithzak Gonzalez, ein Mitarbeiter von Adveniat in Panama. “Und zu oft schlägt sich die Regierung auf die falsche Seite, lässt Wohnungen abreißen und an die Stelle moderne Wohn – und Geschäftshäuser bauen”….(ebd.)

Panama wird ständig von Korruptionsskandalen erschüttert: 2015 wurden mehrere Ex – Minister verhaftet, der ehemalige Vorsitzende des Obersten Gerichtshofes wurde wegen Urkundenfälschung zu 5 Jahren Haft verurteilt usw.

Man wird in diesem „Sumpf“ den Eindruck nicht los: Das bewusst gewählte,tatsächlich bei den Macho – Verhältnissen  verrückte Motto dieses Weltjugendtages und das Zusammenspiel von Papst Franziskus und dem Opus Dei Staatspräsidenten wecken schlimme Ahnungen … in diesem seit langem bekannten Land der Korruption. Hoffentlich kommen die 200.000 frommen Jugendlichen wie Maria „unbefleckt“ daraus wieder nach Hause.

Zudem werden sich die kritischen Beobachter fragen:

Wie progressiv, um diese etwas abgegriffene Bezeichnung noch mal zu verwenden, ist Papst Franziskus wirklich, wenn er ein solches absurdes Motto für den Weltjugendtag in der von Gewalt geprägten katholischen Kultur Lateinamerikas durchsetzt?

Wie verbunden ist Papst Franziskus, um des eigenen Überlebens willen, mit dem Opus Dei?

Ich meine: Papst Franziskus jongliert hin und her, aber wesentlich ist: Im Grunde aber ist er ein sehr konservativer Theologe. Man lese nur seine Predigten im Haus Santa Marta! Und ein Befreiungstheologe ist er schon gar nicht, auch wenn er von der „Option FÜR (!) die Armen spricht, also von der caritativen Geste „der“ Kirche FÜR die Armen. Und eben nicht MIT ihnen in gleichberechtigter demokratischer Partnerschaft.

–Wie wird des 1971 ermordeten Sozialpriesters Hector Gallego gedacht? Er wurde verschleppt, gefoltert und von Militärs aus einem Hubschrauber  ins Meer geworfen. Gallego organisierte – sozusagen als einer der ersten Begreiungstheologen – arme Landarbeiter. Staat und Kirche nannten ihn in ihrer gemeinsamen Verblendung wie üblich einen Kommunisten. Eine ideologische Redeweise, der sich auch Papst Johannes Paul II. und Ratzinger gern bedienten, um Befreiungstheologen mundtot und dann auch mit staatlicher, d.h. rechtsextremer diktatorischer Hilfe, “tot zu machen”… Siehe Erzbischof Romero etc…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Quellenangaben:

(1)https://de.globalvoices.org/2016/02/14/die-gefahrliche-und-komplexe-wirklichkeit-der-frauen-in-banden-in-zentralamerika/

(2)

https://www.boell.de/sites/default/files/geschlechtergerechtigkeit_in_zentralamerika_2014.

(3)

http://elpostantillano.net/politica/17912-2016-08-08-15-56-08.html

(4)

https://www.panamaamerica.com.pa/nacion/campana-de-varela-recibe-financiamiento-del-opus-dei-911321

(5) https://www.prensa.com/mundo/Varela-todavia-entendido-impacto-JMJ_0_4996000362.html

(6)

Gobierno de Panamá dona millones de dólares a la Iglesia católica

(7)

http://laestrella.com.pa/panama/nacional/bella-residencia-donde-hospedara-papa-francisco/23965851

(8)

En Panamá, por ejemplo, el propio Marcial Maciel estableció el 6 de diciembre de 1984 tres empresas offshore: First Fountain, Dawn Development Company y Southwest International, Inc., con el auxilio del despacho International Legal Advisors, competidor con Mossack Fonseca en la creación de compañías ‘fachada’ en paraísos fiscales.

Quelle: https://contralacorrupcion.mx/web/paradisepapers/legionarios/      Von   RAÚL OLMOS

 

 

Thomas Merton gegen die abgehobenen “engelgleichen” Kleriker

Ein Hinweis von Christian Modehn

Der bekannte spirituelle „Meister“ und Trappistenmönch Thomas Merton (USA) kritisierte 1965 die abgehobene Welt des „engelgleichen Klerus“… Vielleicht braucht ein Bischof, ein Theologe, im Rahmen der Debatten um den sexuellen Missbrauch durch Priester, ein sehr treffendes Zitat von einem Mönch, der auch ein guter Kenner der klerikalen Psychologie war.

“Der Begriff Trennung von der Welt, in den wir im Kloster haben, erweist sich allzu leicht als eine vollständige Illusion. Als die Illusion, dass wir durch die Tatsache, Gelübde abzulegen, zu einer besonderen Art von Wesen werden, zu Pseudo-Engeln, zu „geistlichen Menschen“, Menschen des inneren Lebens oder was immer dergleichen“.

Siehe: Thomas Merton, Zeiten der Stille. Herder Verlag, 1992, S. 80. Eine Übersetzung – von Bernardin Schellenberger – aus dem Buch von Merton: „Conjectures of a Guilty Bystander“, 1965

Wie könnten Christen Weihnachten noch feiern? Abschied von der “Stillen Nacht”: Weil “alles schläft”!

Ein Kommentar und Diskussions-Beitrag

Von Christian Modehn am 29.Dezember 2018

Einige Freundinnen haben mich gefragt: Was denn der “Hintergrund” für diesen Kommentar sei.

Meine Antwort: Weihnachten ist weltweit so ein zentrales Ereignis, dass man sich auch außerhalb der Weihnachtstage mit dem Ereignis befassen sollte. Und vor allem: Weil die bisher üblichen Weihnachtsfeiern/Gottesdienste der Kirchen nicht den gewünschten “Erfolg” zeigen, und dies seit Jahrhunderten: Weihnachten als viel besprochenes “Fest des Friedens” etwa ist eine reine Farce. Wer Jahre lang an Weihnachtsgottesdiensten teilnahm, der ist, soweit man das empirisch feststellen kann, eben nicht friedlicher geworden: D.h.:Die Welt ist trotz der üblichen vielen Weihnachtsgottesdienste eben nicht besser, “erlöster”, “geretteter” geworden. Man denke nur daran, dass in dem “katholischen Kontinent” Lateinamerika die tötende Gewalt, die Korruption, die Verbrechen gegen die Menschenwürde alltäglich sind und immer mehr zunehmen. Haben diese Verbrecher nicht oft an (Weihnachts-)Messen, die so hübsche Krippe verehrt und an Wallfahrten und Prozessionen teilgenommen? Haben sie nicht die “heilige Jungfrau” so oft singend gepriesen, bevor sie zu Massenvergewaltigungen sich entschieden haben? Kann eine Kirche so viele “spirituelle Erfolglosigkeit” auf Dauer ertragen? Ist das nicht alles für die Kirche furchtbar blamabel? Warum sollte man angesichts dieses spirituellen wie politischen Desasters nicht fragen: Dann sollen die Christen und Kirchen z.B. endlich beginnen, radikal anders Weihnachten zu feiern. In unserem religionsphilosophischen Salon am 14. Dezember 2018 hatten wir uns auch schon auf dieses Thema eingelassen. Zu wenig Beachtung findet auch in diesem Text leider die totale Ökonomisierung des Weihnachtsfestes. Weihnachten ist eben total Weihnachts-MARKT geworden. Und die Kirchen machen diesen Trubel und Konsumrausch mit.

Es ist naturgemäß verwegen, die Kirchen in Europa, auch in Deutschland, aufzufordern: Weihnachten in der bisherigen Form nicht mehr zu feiern. Das wäre ein dringendes Thema für die nächsten 12 Monate in 2019.

Denn, so sagen die zahllosen kirchlichen Weihnachtsfreunde: Die Gottesdienste sind doch gut besucht, wenn nicht überfüllt. Die Leute singen halt so furchtbar gern „Stille Nacht“ und „Zu Bethlehem geboren“ in den Kirchen bei Kerzenschein usw. Die Kindern staunen dann auch über die (meist kitschigen) Krippen. Einige gute Summen an Spenden werden gesammelt, für „Brot für die Welt“ und „Adveniat“. Wobei niemand wagt, diese ca. 70 Millionen Spenden in ein Verhältnis zu setzen zu den Milliarden Ausgaben zu Weihnachten für Geschenke. (Von den sinnlos verschleuderten, die Umwelt schädigenden Millionen fürs Herumballern zu Silvester ganz zu schweigen). Hinzu kommt: Die Predigten der Bischöfe und Pfarrer zu Weihnachten werden auch nicht kritisch – theologisch untersucht auf einen nachvollziehbaren Inhalt hin für die heutigen, weithin säkularisierten Weihnachtsgottesdienst-Besucher. Viele Predigten sind nur eine Wiederholung der Weihnachtsmythen der Evangelien. Und wenn es politisch wird, dann immer staatstragend moderat: Dass zu der Zeit, wo „Stille Nacht“ gesungen wird, viele Flüchtlinge in der stillen Nacht des Mittelmeeres herumirren auf ihren Kähnen, wird kaum gesagt, genauso wenig, dass so viele Menschen hierzulande eben keinen Gänsebraten verzehrten, weil die Ungerechtigkeit, d.h. die Armut, so groß ist. Nur Tierschützer können sich über diesen aufgezwungenen Gänsebraten- Verzicht freuen.

Wenn Weihnachtspredigten einen Hauch von Politik, und das heißt Politik-Kritik haben, dann sind sie allgemein, unverbindlich, in den Aussagen eben nicht „hart“ formuliert. Dass Geldspenden nur eine äußerst hilflose Art der Solidarität mit den arm gemachten Menschen in Afrika usw. ist, wagt kein Prediger zu sagen: Er müsste nämlich von einem Umbau unseres kapitalistischen Wirtschaftssystem sprechen. Wer will das schon hören?

Die Menschen verlassen die Gottesdienste der überbeschäftigten Weihnachtspastoren in dem schon von der Großmutter überlieferten kindlichen Wissen: „Christus ist erschienen, uns zu versühnen“, wie es im Lied altmodisch heißt. Oder: „Der Erlöser, der Retter, ist da. Alleluja“. Aber keiner weiß, was das bedeutet: Der Erlöser ist da? Wie bitte? Hier bei uns, in Afrika, bei Mister Trump und Putin und den übrigen so furchtbaren inhumanen Politikern wie in Syrien, Brasilien oder auf den Philippinen. Weihnachten, so der Gesamteindruck, bestätigt nur unverstandenes Geraune: „Der Erlöser ist da“, „Maria geht durch einen Dornwald“, „Tochter Zion freue dich…“ Und so weiter.

Weihnachten ist das Fest der Christen, das einerseits viel populäre Beliebtheit hat und andererseits in seinem Inhalt kaum verstanden wird.

Es ist populär beliebt, weil es mit dem Kaufrausch verbunden ist. Darum wird es auch in Japan gefeiert: Dort sagt man sich: Endlich irgend so ein europäisches Fest, das uns mit bestem Gewissen maßlos konsumieren lässt.

Aber: Der Inhalt wird auch hier in einem einst kirchlichen Europa nicht verstanden: Und der wesentliche Inhalt lässt sich in drei Worten sagen: „Weihnachten ist das Fest der „Vergöttlichung der Menschen“. Man denke an den Mystiker Angelus Silesius: „Wäre Jesus Christus tausendmal in Bethlehem geboren und nicht in dir, du wärest dann verloren“. Weihnachten also heißt: Alle Menschen sind absolut wertvoll, das Ewige wohnt in ihnen; alle Menschen, aber auch alle, haben deswegen ein göttliches Anrecht, umfassend – menschlich zu leben. Weihnachten ist also ganz modern, sehr säkulär und nachvollziehbar für alle Vernünftigen gesagt: Das Fest der Menschenrechte.

Natürlich mag es in dieser zerrissenen Welt für einige hübsch und beruhigend sein, zu Weihnachten in infantile Phasen zurück zu gleiten, Kindheitserinnerungen zu pflegen, „vom Himmel hoch“ zu singen, zu Tränen gerührt zu sein über die sympathischen Heiligen Drei Könige etc. Aber alles das hat mit Weihnachten als dem göttlichen Fest der Menschenrechte nichts zu tun. Wobei Menschenrechte als ideale, aber bindende Forderung verstanden wird, viele verbrecherische Politiker, die Waffenhändler, die “Reformer” der neoliberalen Wirtschaft usw. berufen sich schamlos auf die Menschenrechte, das ist leider Realität, spricht aber nicht gegen die absolute Geltung der Menschenrechte.

Fordern wir also –aussichtslos, aber deutlich – eine Unterbrechung kirchlicher Weihnachtsgottesdienste der alten, „ewig“ wiederholten Art? Ja! Eindeutig!

Warum also nicht zu Weihnachten Alternativen pflegen: die Kirchen öffnen, dort nachvollziehbare Dialoge führen mit Menschen, die auf der Suche nach einem Lebenssinn sind, vernünftig von Jesus von Nazareth sprechen, von seiner Familie, von seinen Geschwistern, seiner späteren Rebellion; dann etwas Musik hören, still sitzen, Kunst betrachten, miteinander Kleinigkeiten essen, Wein trinken, einander kennenlernen, Freundschaften bei solch einem Weihnachtsfest in den Kirchen schließen, Verabredungen treffen, also endlich mal in einer Kirche lebendig werden…

Mal sehen, wie dann die alten Weihnachtsfreunde reagieren, wie sie an den Kirchentüren klopfen und bitten: Erklärt uns doch endlich mal, was Weihnachten wirklich ist. Was die Geburt dieses armen Propheten Jesus von Nazareth eigentlich bedeutet? Gibt es für uns Erlösung, Heil, Rettung? Wenn ja: Wo und wie? Und die Antwort heißt: Erlösung gibt es nur, wenn wir den Vorschlägen und Vorschriften der Menschenrechte praktisch folgen. Und nur das ist der wahre Gottesdienst (im Sinne Jesu). Und dann kann man noch manchmal, aber sehr leise, ein bisschen schamhaft, „Stille Nacht“ singen, dann, wenn die Flüchtlinge im Mittelmeer gerettet sind und die vielen tausend Menschen im Jemen nicht mehr krepieren und die Milliardäre weltweit endlich angemessene, also gerechte Steuern zahlen müssen.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Religion und Religionskritik – das große Thema der Philosophen.

Zum neuen Handbuch „Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie und Religionskritik“ von Michael Kühnlein (Hg)

Eine Buchempfehlung von Christian Modehn

Um einmal persönlich zu beginnen:

Endlich haben wir in unserem „Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin“ überhaupt keinen Grund mehr, uns bei der Zuspitzung unseres philosophischen Interesses irgendwie einsam oder marginal zu fühlen. Das war immer dann der
Fall, wenn fundamentalistisch Fromme aus allen Konfessionen und Religionen die kritische und freie Betrachtung des Religiösen, der Transzendenz, des Unendlichen, des Göttlichen und des atheistischen Nichts als störend für den
(naiven) Glauben (und störend für die selbstsicheren Institutionen vor allem!) abgewiesen haben.

Nun also liegt ein wichtiges Buch über „Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie und Religionskritik“ vor, der Titel in dieser Zusammenstellung ist glücklich gewählt: Denn immer geht es auch um Religionskritik.

Das Buch enthält 80 Beiträge zu religionsphilosophischen Texten von Platon bis Charles Taylor, wobei 47 Beiträge auf Autoren des 20. bzw. 21. Jahrhunderts bezogen sind! Deutlicher kann die breite Aktualität re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­er Überlegungen kaum dokumentiert werden. Die oft vorausgesagte totale Säkularisierung als Verzicht auf „transzendenzoffene Situationen“ (M. Kühnlein) ist also im Denken (und damit auch im Leben der europäisch geprägten Kulturen) nicht eingetreten.

Jedes Kapitel stellt einzentrales Werk eines Philosophen vor. Nach sehr knappen biografischen Hinweisen wird der Kontext des jeweiligen Buches/Textes gewürdigt, dann folgt im 3.Schritt die ausführliche Darstellung des Werkes, es folgen dann Hinweise zur Rezeption und zusammenfassende Überlegungen, bevor die wichtigsten Quellen und Interpretationen genannt werden. Der Herausgeber, der Philosoph Michael Kühnlein (Frankfurt/M.), bedauert selbst, dass einige große Autoren fehlen (müssen – aufgrund des begrenzten Umfangs des Buches). Wer das Inhaltsverzeichnis studiert, wird etwa Lessing vermissen oder Hamann oder Troeltsch oder Martha Nussbaum oder Erich Fromm. Und er wird sehr bedauern, dass Religionsphilosophen aus dem asiatischen, afrikanischen oderlateinamerikanischen Raumvöllig fehlen! Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie ist heute ein weltweites Thema. Vielleicht wäre dies ein Thema für einen Fortsetzungsband. Auch wenn nordamerikanische Religionsphilosophen wie Taylor gewürdigt werden,das Buch ist eben doch noch euro-zentrisch angelegt.

Aber sein Wert liegt in der meistens wohl doch noch für philosophisch Nicht-Promovierte Leser meistens erreichbaren und mitvollziehbaren Lektüre. Ich habe alle Beiträge bisher nicht lesen können, mir fällt nur auf, dass etwa der hoch aktuelle Philosoph Meister Eckart („Opus tripartitum“) in einem leider sehr fachwissenschaftlich orientierten Duktus vorgestellt wird, so, als wollte man damit unter Eckart Spezialisten glänzen, wobei der Autor, Dietmar Mieth, ja durchaus allgemein zugängliche Texte zu Eckart schon anderswo geschrieben hat. Dieser Beitrag weckt dann doch wieder die Befürchtung, dass die Texte eher Fachphilosophen und Hauptfach Studenten hilfreich sein sollen,. Dabei ist etwa der Text über Ludwig Feuerbach (Das Wesen des Christentums) sehr zugänglich, verfasst von Ursula Reitemeier. Philosophieren und Philosophie sollte nach meinem Verständnis immer „Sache aller sein“. Man freut sich, dass Holger Zaborowski die vom Umfang her eher kleine (und nicht so viel beachtete) Schrift „Phänomenologie und Theologie“ (1927) von Martin Heidegger zugänglich macht, selbst wenn ich persönlich eher eine Interpretation der späteren Werke Heideggers, etwa „Vom Ereignis“ (1936), unter re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­er Sicht gewünscht hätte. Aber da hätte man auf die Nazi-Verquickung im Denken Heideggers eingehen müssen…

Wie weit das Verständnis von Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie bei Michael Kühnlein als Herausgeber reicht, zeigt sich deutlich an der Auswahl der Autoren des 20. Jahrhunderts, da werden etwa die Theologen Metz und Moltmann als religionsphilosophisch relevante Autoren verstanden. Auch der äußerst schwierige, explizit katholische Jean Luc Marion ist im Buch vertreten.

Diese Hinweise machen einmal mehr deutlich, dass Religion ein ganz breites Thema ist in der Philosophie sowie der Religionssoziologie (Peter L. Berger) und Psychologie (Freud).

„Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie und Religionskritik“. Ein Handbuch, hg. von Michael Kühnlein. 946 Seiten. Suhrkamp Taschenbuch, 2018, 36 €.

Christian Modehn Berlin