Remonstranten und ihre wichtigsten Tugenden

Überlegungen anlässlich des 400 jährigen Bestehens der freisinnigen Kirche der Remonstranten
Hinweise von Christian Modehn

Anlässlich des 400 jährigen Bestehens der Remonstranten Kirche in den Niederlanden in diesem Jahr (2019) werden dort weitere Überlegungen publiziert zur Frage: Was ist den Remonstranten wichtig? Was ist für sie, bei aller Liebe zur eigenen innerkirchlichen Pluralität, entscheidend?
Zu der Frage ist jetzt eine Broschüre publiziert worden von fünf TheologInnen der Remonstranten zu fünf „Arikeln“, also Grundbegriffen, sozusagen „Kernwerten“, im Leben und Denken dieser freisinnigen protestantischen Kirche. Alle fünf Artikel bzw. Grundhaltungen beginnen interessanterweise mit einem V in der niederländischen Sprache. Es handelt sich um Vrijheid, Verdraagzaamheid, Verantwoordelijkheid, Vrede und Vriendschap. Also um Freiheit, Toleranz, Verantwortlichkeit, Friede und Freundschaft.
1.
Freiheit ist schon von der Geschichte der Remonstranten her eine zentrale Haltung/Tugend. Bekanntlich haben die ersten Remonstranten-Theologen stark die freie Mitwirkung des einzelnen Menschen in der Entscheidung für den christlichen Glauben betont! Eine absolut umfassende Vorherbestimmung der Glaubenden durch Gott lehnten sie vernünftigerweise ab und so wurden sie deswegen von der Mehrheit der strengen Calvinisten 1619 durch die Synode von Dordrecht ausgeschlossen, verfolgt und ausgegrenzt.
Ein Wunder, dass diese kleine Kirche über all die Jahre Bestand hatte. Sie ist etwas ganz Besonderes, Wichtiges, wohl auch „Einmaliges“ in der Hinsicht, in der weiten Ökumene, denke ich.
2.
Bei der Freiheit, die fürs theologische Denken typisch und normal ist, hätte man natürlich auch die sehr dringenden heutigen Tugenden Solidarität, Gerechtigkeit, Vielfalt als „Kernwerte“ nehmen können. Aber darüber kann man ja weiter sprechen…Die fünf „V“ als „Kernwerte“ haben natürlich einen eigenen Charme.
3.
Ich kann nur empfehlen, Niederländisch mal vorausgesetzt, diese Broschüre (42 Seiten) zu lesen. Ich will kurze Hinweise geben: Sigrid Coenradie, Theologin in Eindhoven, schreibt über „Freiheit“. Sie kümmert sich dort um Verbindungen von Menschen außerhalb und innerhalb der Kirche, ein neues Dialog – Projekt der Remonstranten. Keine Missionsveranstaltung, sondern eben Dialog! Und sie weist in ihrem Beitrag über die Freiheit auch darauf hin, dass die Remonstranten in der internationalen, interreligiösen Vereinigung IARF (International Association for Religious Freedem) vertreten sind. Zur Freiheit gehört, so Sigrid Coenradie, auch das Eintreten für die Menschen, die heute mit dem etwas seltsam anonymen Kürzel LHBTI beschrieben werden: Also das Eintreten für lesbische Frauen, homosexuelle Männer, Bisexuelle, Transgenders und intersexuelle Personen. Diese Menschen haben selbstverständlich ihren gleichberechtigten Platz in der Remonstranten Kirche.
4.
Koen Holtzappfel, Theologe und Pastor in Rotterdam, stellt in seinem Beitrag über Verantwortlichkeit kritische Fragen: „Fühlen wir uns als (Niederlande), Land verantwortlich für das, was in Srebrenica passierte? …Wie weit reicht unsere Verantwortlichkeit, wenn es um die Frage der Natur und des Naturschutzes geht. Nicht umsonst gehen uns heute Schüler voraus in ihrem Protest gegen die als zu sehr vom Kompromiss bestimmte Klimaverträge“.
5.
Ein Hinweis noch auf den Beitrag des Amsterdamer Theologen und Pastors Joost Röselaars über „Freundschaft ist Bruderschaft“. Er erinnert an den alten Titel der Remonstranten: „Bruderschaft“! Der Titel Bruderschaft wird vielleicht in feministisch geprägtem Denken als problematisch empfunden, deswegen spreche viele eher von Remonstranten – Kirche. Aber aktuell ist die Idee der gelebten „Bruderschaft“ nach wie vor, auch wenn man ihn in Richtung Geschwisterlichkeit weiten sollte. Joost Röselaars erinnert an Martin Luther King, der einmal sagte: “Ich habe einen Traum. Wir werden mit unserem Feind zusammensitzen.Wir sollen mit unserem Feind an einem Tisch, einer Tafel, zusammen sitzen…“ Und Röselaars nennt Beispiele: „Das ist vollkommene Bruderschaft: Der Türke sitzt mit dem Kurden an einem Tisch. Der PVV Anhänger (aus der rechtsextremen Partei von Wilders, CM) sitzt zusammen mit dem Flüchtling an einer Tafel“…
Wahrscheinlich ist die Wiederbelebung des Begriffes und der Realität „Bruderschaft“ auch zentral für die Zukunft der Remonstranten Kirche: Die sehnsucht der meisten Menschen, die noch eine christliche Gemeinde suchen, ist ja auch und oft vor allem dieses emotionale Sichwohlfühlen in der Gemeinde, so sehr man auch die intellektuelle, rationale Debatte pflegt. Kopfarbeit und „Seelenarbeit“ also sollten vielleicht stärker verbunden sein.

Die Remonstranten sind eine Kirche, die den theologischen Pluralismus sehr weit reichend auch für ihre eigenen Gemeinden, also für die Glaubensüberzeugung der einzelnen Freunde und Mitglieder nicht nur zulässt, sondern wünscht. Auf der Basis des kurzen allgemeinen Bekenntnisses: „Die Remonstrantische Bruderschaft ist eine Glaubensgemeinschaft, die – verwurzelt im Evangelium Jesu Christi und getreu der Freiheit und Toleranz – Gott ehren und dienen will“.
Diese innere Pluralität ist selbstverständlich im Alltag nicht immer einfach zu gestalten. Eine Glaubensgemeinschaft mit einer inneren Pluralität ist so selten, dass für die Mitglieder dieser Gemeinschaft der offene Dialog untereinander entscheidend ist. Sigrid Coenradie stellt in ihrem Beitrag dazu kritische Fragen.
Ich frage mich angesichts des Jubiläums, ob die Remonstranten eine fast ausschließlich auf die Niederlande begrenzte Kirche bleiben dürfen. Ist in Europa – und darüber hinaus in einer immer mehr fundamentalistisch werdenden Welt – eine freisinnige Kirche nicht enorm wichtig, selbst mit nur kleinen Stützpunkten, „Aktions-, Studien- und Debattenzentren?
Und ich frage weiter, ob die Remonstranten nicht viel mehr Menschen anderer Kulturen, allochthonen sagt man in Holland, und anderer Religionen und Weltanschauungen als Freunde und Mitglieder einladen und aufnehmen. Erst dann, vermute ich, finden die fünf Vs ihre umfassende Gestalt. Koen Holtzappfel gibt schon die auf Zukunft hin orientierte wichtige Antwort:“ Remonstranten können den Zusammenhalt begünstigen, indem sie ihre Türen öffnen und den anderen begegnen. Sie können ein Platz bieten, wo gleichsam Vögel mit unterschiedlichem Gefieder einander entgegenkommen, lernen Respekt für einander aufzubringen und gemeinsam erleben, wie bereichernd Begegnungen sein können…“

Zum Schluss noch ein Hinweis auf die Monatszeitschrift ADREM der Remonstranten. Da berichtet in der Ausgabe Mai 2019 Janny Harmsen von ihrer Gemeinde in Doesburg: Dort orientiert sich die Gemeinde neu, weil sie sehr bald keine eigene Pastorin mehr haben kann. „Darum haben wir eine liturgische Gruppe ins Leben gerufen, in der ich bis vor kurzem auch Mitglied war. Es ist schön, um out of the box zu denken über Liturgie, aber selbst predigen ist für uns möglich. Wir probieren viel Kunst und Poesie in den Gottesdienst zu bringen“.

Die Praxis, dass die Gemeindemitglieder (Laien oft genannt, sie sind aber keine „Laien“, CM) selbst liturgische Verantwortung übernehmen und predigen, wenn kein Pastor da ist, finde ich großartig, auch für die Zukunft der Kirche. Das ist die Grundidee der Basisgemeinden, von dort kann man noch viele gute Inspirationen holen. So braucht keine noch so kleine Gemeinde nur einmal im Monat Gottesdienste zu haben, wenn eben mal ein Pastor gerade da ist…. Die Gemeinde selbst gestaltet auch die Gottesdienste. Ein Projekt für die Zukunft. Sicher ganz dringend, auch was Bildungsmöglichkeiten für „Laien“ am Institut der Remonstranten an der Freien Universität von Amsterdam angeht.

Die Broschüre „de vijf artikelen van de remonstranten“ ist 2019 erschienen. 42 Seiten. Sie kann bestellt werden im Büro der Remonstranten, Nieuwe Gracht 271, 3512 Utrecht. www.remonstranten.nl

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin. Forum der Remonstranten Berlin.

Für eine demokratische, republikanische Kirche: Erinnerungen an Abbé Grégoire

Hinweise von Christian Modehn
Erinnerungen an einen ungewöhnlichen Priester: Er war als Politiker aktiv seit dem Beginn der Französischen Revolution und ein glühender Verteidiger der humanen Werte der Revolution: Sein Name Abbé Grégoire. In Deutschland sollten wir mehr von ihm wissen: Als Ausnahmegestalt eines demokratischen organisierten Katholizismus, der aber diese Kirche, als Hort des Konservativen und damals heftig Reaktionären, nicht verändern konnte. Aber er hatte doch Erfolge, als Verteidiger der Menschenrechte, vor allem auch zugunsten der Juden und der „Schwarzen“ in den Kolonien.

Der katholische Priester Abbé Grégoire heißt mit vollständigem Namen Henri Jean-Baptiste Grégoire. Er war der berühmte „Priester-Bürger“, „citoyen par excellence“, schreibt der Historiker Bernard Plongeron (Concilium, 1969, Heft 1, Seite 31, französische Ausgabe).
Abbé Grégoire ist eine Ausnahme – Gestalt in dem damaligen antirepublikanischen, antidemokratischen und reaktionären Katholizismus, repräsentiert im Vatikan. Aber er hat dafür gesorgt, dass sich mindestens für ein paar Jahre die Ideen des katholischen Glaubens mit den richtigen Ideen der Französischen Revolution versöhnen konnten. Er ist die entscheidende Gestalt unter den Abgeordneten des revolutionären Parlaments, der die rechtliche Gleichberechtigung der Juden durchsetzte sowie auch die Abschaffung der Sklaverei. Die Bevölkerung der Republik Haiti, die erste unabhängige Republik in den damaligen südamerikanischen Kolonien, hat ihn hoch verehrt! Und bei seinem Tod 1831 mehrere Tage eine Staatstrauer begangen.
Er hat für die Eingliederung des katholischen Klerus in die Verfassung der Republik gestimmt („Constitution civile du Clergé“): „Alle Bischöfe und Pfarrer müssen von nun an von den Bürgern gewählt werden“. Der Papst wurde dann lediglich von der Wahl benachrichtigt. Alle Priester sollten – wie er auch es ganz entschieden tat – auf die Verfassung der Republik schwören. Seit der Zeit ist der französische Klerus der Revolutionsepoche gespalten, republikanisch oder königstreu und dem Papst absolut ergeben. Abbé Gregoire hat niemals darauf verzichtet, an dieser Konzeption einer Art „nationalen“, also weithin von Rom unabhängigen katholischen Kirche festzuhalten. Deswegen hatte der Erzbischof von Paris auch verboten, dass ein Priester ihn in seinen letzten Stunden besucht, der Erzbischof hatte sogar eine kirchliche Bestattung verboten.
Geboren wurde Grégoire am 4. Dezember 1750 in Vého bei Luneville in Lothringen, einer Region, in der sich unterschiedliche philosophische und aufklärerische Bewegungen versammelten. Er war zuerst Pfarrer und Theologe, bevor er als Abgeordneter ins Pariser Parlament kam. Als Dorfpfarrer setzte er sich entschieden für die Bildung der Bauern ein, er stellte seine private Bibliothek allen Interessierten zur Verfügung, er hat entschieden gegen den „Obskuratismus“ gekämpft, also gegen die übliche Mischung von Glauben und Aberglauben unter Katholiken. Er sprach drei Fremdsprachen, auch etwas Deutsch. Seine befreundeten Rabbiner empfahlen ihm die Lektüre philosophischer, aufklärerischer Zeitschriften in Berlin.
In seinen Lebenserinnerungen („Mémoires“) schreibt Abbé Grégoire: „Nachdem ich die Zweifel förmlich verschlungen hatte durch die Lektüre so genannter philosophischer Werke, habe ich alles neu geprüft und bin nun Katholik, nicht etwa, weil meine Eltern katholisch waren, sondern weil mich die Vernunft, unterstützt von der göttlichen Gnade, zur Offenbarung (der Bibel) geführt hat“.
Viele theologischen Impulse bezog er auch aus dem Studium der alten, der ursprünglichen Kirche („ecclesia antiquior“). Er verfasste zahlreiche politische und theologische Studien, 427 Titel von ihm sind bis jetzt zusammengetragen und tausende von Briefen: Ein Intellektueller und ein Verteidiger der Menschenrechte, und das alles ab 1789, zu einer Zeit, als die Päpste die Menschenrechte und die Freiheit verfluchten. Abbé Grégoire ließ sich nicht unterkriegen. Dabei hatte er gar nichts gegen die Dogmen der Kirche, er wollte nur die menschlichen Verhältnisse in Staat und Kirche grundlegend durch vernünftige Gesetze verbessern.
Er fand es normal, dass man katholische Bischöfe wählte: Er selbst wurde etwa zum Bischof von Blois gewählt. Er setzte es durch, dass Französisch die Sprache in katholischen Messen wurde; er organisierte Synoden als Orte des freien katholischen Disputs. Er setzte sich für eine Versöhnung der römischen mit der orthodoxen Kirche ein.
Natürlich, möchte man sagen, wurde dies alles vom Vatikan verboten, untersagt, zerschlagen. Die zerstörerische Kraft alles Lebendigen und Neuen war im Vatikan immer schon sehr groß. Aber Abbé Grégorie ließ sich nicht in die Verzweiflung treiben, er kämpfte für die Menschenrechte, für die Befreiung der “Schwarzen“. Michelet sagte von ihm: „Abbé Grégoire hat zwei Gottheiten gehabt, Christus und die Demokratie. Beide vermischten sich seiner Meinung nach zu einer einzigen Überzeugung, denn beide haben dasselbe Ideal, die Gleichheit und die Brüderlichkeit“ (Histoire et dictionnaire de la Révolution Francaise, Robert Laffont, 1987, Seit 860)
1950, zum 200. Gedenken an die Geburt dieses freien, republikanischen Priesters, Bischofs und Politikers war es ausgerechnet der vietnamesische Politiker Ho-chi-Minh, der seiner gedachte: Er nannte ihn einen „Apostel der Freiheit der Völker“.
Am 28. Mai 1831 ist Abbé Grégoire in Paris verstorben. An seiner Bestattung auf dem Friedhof Montparnasse, Paris, nahmen 2.000 Studenten und Arbeiter teil, berichtet Bernard Plongeron (ebd., S. 43).
Ein der Hierarchie gegenüber kritischer Priester (Abbé Guillon) war dann noch bereit, eine kirchliche Bestattung zu feiern.
1989, im Rahmen der Feiern „200 Jahre Französische Revolution“, erhielt dieser republikanische, demokratische Priester endlich ein Ehrengrab im berühmten Pariser Panthéon. Die französischen Bischöfe, immer noch im Zorn auf ihren großen republikanisch-katholischen Vorgänger, nahmen selbstverständlich NICHT an den Feiern im Panthéon teil. Lediglich der progressive Außenseiter unter den Bischöfen damals, Jacques Gaillot, Bischof von Evreux, war – für Gaillot selbstverständlich – bei den von Staatspräsident Francois Mitterrand geleiteten Zeremonien im Panthéon dabei.
Es wird Zeit, in Deutschland umfassender an Abbé Grégoire zu erinnern. Leider sind seine Werke in deutscher Sprache nicht verfügbar. In Frankreich gibt es förmlich einen Boom an Grégoire – Forschung, siehe etwa die entsprechende französische website von wikipedia.
Ich finde diesen Mangel an deutschsprachigen Büchern über Abbé Gregoire in gewisser Weise typisch: Wie viele Bücher wurden in den frommen Verlagen über die Karmeliter-Nonne Theresia vom Kinde Jesu in Lisieux oder über den angeblichen Mystiker, den Pfarrer von Ars publiziert? Und eben nicht über einen revolutionären, republikanischen Priester und Bischof, einen Kämpfer für die Menschenrechte und eine demokratisch verfasste Kirche!

Es gibt ein kleines Abbé Grégoire Museum in Emberménil, Département Meurthe-et-Moselle, in der Region Grand Est.
https://musee-abbe-gregoire.fr/un-musee

Über „Haiti und Abbé Grégoire“ gibt es etliche differenzierende Studien, etwa: https://www.persee.fr/doc/outre_0300-9513_2000_num_87_328_3804

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Be

Jacques Gaillot – Filme von Christian Modehn, in der ARD

Über Bischof Jaques Gaillot hat Christian Modehn zwei Halbstunden – Dokumentar – Filme für die ARD (Das Erste) realisiert, von Magazinbeiträgen etwa für den HR oder SWF einmal ganz abgesehen.

1. “Machtlos und frei”, Saarländischer Rundfunk, 1989, Red. Norbert Sommer.

2. “In die Wüste geschickt”, WDR 1995, Red. Friedhelm Lange.

Unter zahlreichen Aufsätzen und Ra­dio­sen­dungen von Christian Modehn über Bischof Gaillot möchte ich vor allem aufmerksam machen auf den Beitrag “Aus Gewissensgründen Nein sagen. Die konstruktive Kritik von Jacques Gaillot”.in: “Jacques Gaillot – Die Freiheit wird euch wahr machen”, hg. von Roland Breitenbach, Katharina Haller und Christian Modehn. Dort S.73 – 82. Reimund Maier Verlag, Schweinfurt, 2010.

Katholische Theologie an der Humboldt Universität Berlin: Ist katholische Theologie bei der Abhängigkeit vom Vatikan überhaupt eine freie Wissenschaft?

Ein Hinweis von Christian Modehn am 29.3. 2019

1.
Nun haben sich also Staat und Kirche in Berlin in treuer Verbundenheit festgelegt: Ab Wintersemester 2019 wird es ein „Institut für katholische Theologie“ an der Humboldt Universität geben.
2.
In der am 29.3. 2019 verbreiteten Presse-Erklärung heißt es: „Das Studium soll für Tätigkeiten im Schuldienst, in der außerschulischen Bildungsarbeit in religiösen Organisationen, Verbänden, Medien und in der Wissenschaft qualifizieren und beruht auf einem modernen Konzept, das auch die pluralistische und säkulare Situation in Berlin einbezieht. Es verfolgt zudem eine globalgeschichtliche Perspektive, die es ermöglicht, den Blick über Europa und die westliche Welt hinaus auszuweiten“.
3.
Klingt verheißungsvoll, so etwa, könnte man denken, dass nun die Ursachen der so genannten „Säkularisierung“ (nicht nur in Berlin) und damit die Mitverantwortung der Kirche an diesem Säkularisierungs-Prozess vorbehaltlos untersucht werden. Oder es klingt verheißungsvoll, dass im „Blick über Europa hinaus“ auch die Theologie der Befreiung in Lateinamerika objektiv dargestellt wird, mit all den wohlwollenden Bindungen, die einst der Vatikan mit Präsident Reagan und mit den lateinamerikanischen Militärregimen pflegte, um Befreiungstheologen auszugrenzen, kaputt zu machen und selbständige Basisgemeinden zu zerschlagen. All das sind Fakten, tausendfach belegt, man muss nur die objektiven Studien zu dem Thema heranziehen. Aber die Vergesslichkeit ist groß! Und gewollt!
4.
Damit sind wir beim Hauptproblem: Die katholische Theologie, so wie sie bis jetzt weltweit und auch in Deutschland (seit dem Konkordat 1933 mit Hitler-Deutschland bestens geregelt zugunsten der Kirchenführung) an den staatlichen Unis betrieben werden kann, ist keine freie und unabhängige Wissenschaft. Soweit bekannt, wurde in Berlin über diese Fragen jetzt nicht diskutiert, denn dann hätte der Senat oder die Universitätsleitung ein katholisch-theologisches Institut nicht zulassen können. Nicht ohne Schmunzeln liest man, dass ein paar Tage später, im April 2019, an der HU eine Tagung über „Freiheit der Wissenschaft“ stattfindet. Der Vatikan als “Hort der Freiheit der Wissenschaft” wird nicht erwähnt, Feinde sind einzig wohl Diktaturen weltweit…
Diese Bindung einer frei forschenden Wissenschaft an die oberste Leitung einer Institution ist ein Skandal, wie im Fall der katholischen Theologie. Wie wäre es, wenn bestimmte Bauernverbände die Professoren für Landwirtschaft mitbestimmen dürfen, oder Theater-Direktoren mitbestimmen, wer Theaterwissenschaftler an einer Uni wird etc. ?
5.
Bis heute ist die Abhängigkeit der katholischen Theologie vom Vatikan, vom Papst und seinen Behörden sowie von den Bischöfen absolut Realität. Dort werden die Weisungen letztlich gegeben, was als wissenschaftliche Forschung gelten darf, dort wird bestimmt, wer als Professor an einer deutschen Universität lehren darf. Immer geht es um das berühmte „Nihil obstat“ aus päpstlichem Munde: „Nichts steht entgegen“ bei der Berufung eines Theologen an eine Universität. Aber wehe, dieser bewährt sich nicht so, wie es die geistlichen Führer wollen: Dann wird ihm das nihil obstat eben, wie im Absolutismus einst, meist ohne lange Begründung, entzogen. Man denke an den Fall des Jesuiten Prof. Wucherpfennig, der – kürzlich – als Bibelwissenschaftler nicht mehr Rektor der Hochschule St. Georgen sein durfte, weil er sich positiv über homosexuelles Leben und Lieben auch in der römischen Kirche geäußert hatte. Erst ein gewaltiger medialer Aufschrei von Professoren und einer breiten Öffentlichkeit bewegte die Herren in Rom dann doch, das nihil obstat dem Jesuitenpater wieder zu gewähren. Es lag sicher auch an dem Thema, der Homosexualität, dass einfach vernünftige Menschen und vernünftige Theologen jegliche Degradierung homosexueller Menschen nicht mehr hinnehmen wollen. Zumal, wie jetzt soziologische Untersuchungen zeigen, es in den vatikanischen Behörden von Homosexuellen nur so wimmelt… Diese Herren können doch gegenüber Menschen ihrer eigenen „Präferenz“ nicht so böse werden, oder? Gerade sie sind aber nach außen hin die schlimmsten “Homohasser”, hat Martel erkundet! Siehe dazu das großartige Buch des Soziologen Fréderic Martel, Paris, mit dem Titel „Sodoma“. Das Buch, Ergebnis vier Jahre dauernder Forschung, wurde in mehrere Sprachen übersetzt. Leider noch nicht ins Deutsche. https://www.rtl.fr/actu/debats-societe/sodoma-livre-enquete-frederic-martel-homosexualite-vatican-7796955681
6.
Die Liste ist lang, die all die Namen umfasst, die in den letzten Jahrzehnten aus dem Kreis der päpstlich genehmen katholischen Theologen rausgeschmissen worden. Prominente Beispiele sind Hans Küng, Leonardo Boff oder in Berlin Michael Bongardt. Dieser hatte als Theologieprofessor an der FU die „Unverschämtheit“ begangen zu heiraten: Darauf durfte Bongardt durch bischöfliche Verfügung (Sterzinsky) nicht mehr katholische Theologie an der FU lehren. Der Staat musste dann dafür sorgen, dass ihm – wie schon im Falle von Küng – ein von den Kirchen unabhängiger eigener Lehrstuhl eingerichtet wurde. Es sind die Steuerzahler, die alle Launen der Kirchenleitung bezahlen müssen, wenn mal ein Theologe „unangenehm“ wird. Und der Staat muss das alles mitmachen in der treuen herzlichen Verbindung mit der Kirche.
7.
Man könnte denken, dass sich unter dem angeblich so progressiven Papst Franziskus alles zum Guten, also zum Offenem, zum Ja zu einer freien Forschung geändert hätte. Aber Irrtum! Einige einleitende Sätze des Lehrschreibens „Veritatis gaudium“ (2017) sprechen die Sprache der Offenheit. Aber die uralte Gesinnung schlägt dann schließlich doch durch, schreibt der an der Universität Erfurt lehrende katholische Theologe
Prof. Benedikt Kraneman:
Quelle: https://www.katholisch.de/aktuelles/aktuelle-artikel/veritatis-gaudium-professor-fordert-anlaufstelle-fur-theologen)
„Der zweite Teil (des päpstlichen Textes), die Normen, hingegen sind von anderem Kaliber. Sie sprechen von Abhängigkeit wissenschaftlich-theologischer Einrichtungen von der Kirche. Ein Nihil obstat Dekane wird eingeführt (Art. 18), was nichts anderes bedeuten würde, als dass eine neu gewählte Leitung einer Fakultät durch Rom bestätigt werden müsste. Die römische Bildungskongregation ist offensichtlich für alle Änderungen von Statuten und Studienordnungen der Fakultäten einzubeziehen. Die Liste von Vorschriften ist lang, bei denen die Kontrolle der Theologie im Vordergrund steht. Es wird sogar ein Zeugnis über die “sittliche Lebensführung” der Studenten verlangt (Art. 31). Man fragt sich als kritischer Leser, wie frei die Theologie wirklich ist, wenn sie dieser Konstitution unterworfen wird. Der katholisch-theologische Fakultätentag hat zurecht eine ‚Kultur des Gehorsams‘ beklagt, die hier eingefordert werde. So wird von der Theologie tatsächlich eine “Haltung der Ergebenheit gegenüber dem Lehramt der Kirche” gefordert (Art. 38 §1. 2° b). Dass eine Wissenschaft sich durch “Ergebenheit” gegenüber wem auch immer auszeichnet, ist schon eine merkwürdige Erwartung. Eine Theologie, die im Modus der Ergebenheit arbeitet, ist nach heutigem Wissenschaftsverständnis völlig unakzeptabel. Würde das wirklich umgesetzt, würde es die Theologie aus der Welt der Wissenschaft herauskatapultieren. Auch wenn mit Absprachen zu rechnen ist, die dieses Dokument für die deutschen Verhältnisse anpassen: Der Geist, der sich in diesem Normen äußert, ist das Problem, und daran wird sich nichts ändern lassen“.
Papst Franziskus spricht in seinen Predigten, etwa im Haus St. Martha, ständig von der Macht des Teufels, darin sehr treu, die uralten Begiffen der Bibel heute ohne weiteres zu übernehmen. Über dieses problematische theologische Niveau des Jesuiten Papst Franziskus schreibt sein Mitbruder, der Jesuit Klaus Mertes, sehr treffend:”Lass das Reden vom Teufel. Sowie du es tust, verbindest du einige Dinge falsch, wie deine Vorgänger auch schon. Der Effekt ist verwirrend. Du lenkst ab…” Schon bemerkenswert, dass ein Jesuit einen anderen, ziemlich prominenten Jesuiten, den Papst, so öffentlich kritisiert! Pater Mertes zeigt nur das de facto gelebte theologische Niveau des Papstes,dieses kann verschieden sein von offiziellen Statements etc. (Zit. in “Die Zeit”, 14.3.2019, S. 52)
8.
Es gibt in Deutschland 11 katholisch-theologische Fakultäten und ca. 30 weitere katholisch-theologische Institute. Wie groß ist der Beitrag dieser wissenschaftlichen Einrichtungen zum Verständnis der Gegenwart, der großen Probleme der Menschheit? Ist die Zahl der StudenTinnen so gewaltig groß, dass nun auch in Berlin ein katholisch-theologisches Institut eingerichtet werden muss, also wieder ein übliches Institut, wie man es seit 1948 allüberall kennt. Ist das nur der Prestige-Ehrgeiz der katholischen Kirchenführung, eben ein bisschen auch hauptstädtisch wissenschaftlich mitzureden? Der etwa 60 Millionen teure und von vielen als sinnlos bezeichnete Umbau der St. Hedwigs-Kathedrale jetzt reicht nicht als Prestige-Projekt, das übrigens treu vom Staat mit finanziert wird..
9.
Warum aber wagt man nicht etwas Neues, ein großes freies religionswissenschaftliches Forschungs – Institut, auch unter anderen mit der religionswissenschaftlichen Erforschung der katholischen Religion? Warum kein Mut, warum immer dieselbe Leier? So langweilig alles. Will man wirklich die 1000. Dissertation über den Heiligen Augustinus hier produzieren oder die 500. Promotion über den Begriff der Seele beim späten Ignatius? All das und Ähnliches, Relevantes, wird doch tausendfach durchgekaut an den katholisch-theologischen Fakultäten, vor allem in Rom. Man schaue sich nur um, was die Themen der Doktorarbeiten sind! Sind denn die theologischen Forschungen an den religionswissenschaftlich orientierten Fakultäten etwa in Nijmegen (Holland) oder in den USA so furchtbar unergiebig? Für Rom vielleicht ja, nicht aber für die Entwicklung der Religionswissenschaften.
Wie Priester predigen und wie sie Gottesdienste, Messen, Maiandachten etc. würdevoll und im römischen Sinne korrekt (!) halten, muss man ja nicht an einer staatlichen Universität lernen…
10.
Nun gibt es seit vielen Jahren in Berlin-Biesdorf ein speziell nur (!) für Priesterkandidaten einer bestimmten katholischen Gemeinschaft reserviertes Priesterseminar: Es heißt “Redemptoris Mater” und gehört der sehr konservativen Bewegung “Neokatechumenat”, ihr Motto: “Der Katechismus ist unsere Theologie”. Dies gefällt den Herren in Rom natürlich sehr! Die Dozenten für Biesdorf werden z.T. aus Rom eingeflogen. Diese dort in “abgeschottetem Raum” ausgebildeten Priester werden dann zur “Freude” der Katholiken in die Gemeinden entsandt. Viele dieser neokatechumenalen Priester verlassen nach Protest der Gemeinden schnell wieder die Gemeinden… Es ist nicht bekannt, ob diese jungen Neokatechumenalen auch der HU ausgebildet werden. Zu wünschen wäre es fast, weil sie dann wenigstens noch etwas modernen Lebensstil und modernes Leben an einer Universität mitbekämen…
11.
Man lese zur Vertiefung die ausgezeichnete Studie des katholischen Bibelwissenschaftlers Theologen Georg Schelbert SMB, so der Titel, über „Diffamierung der historisch-kritischen Methode in der Bibelwissenschaft“ in der katholischen Kirche. Er zeigt mutig: Grauenhaft, wie unter Kardinal Ratzinger als Chef der römischen Glaubensbehörde noch die historisch-kritische Methode verteufelt wurde, dies zeigt Schelbert. Auf die Lehre von den Dogmen, etwa zur Erbsünden-Ideologie, wird die historisch – kritische Methode gar nicht erst angewendet. Da gilt: Was die Kirchenführung einmal, und sei es im Jahre 430 beschlossen hat, gilt für immer und ewig… Der Beitrag von Georg Schelbert wurde in dem Piper-Buch „Katholische Kirche wohin?“ 1986 veröffentlicht, s 141 ff. Man lese ihn!
12.
Die Idee, eine spezielle Hochschule der Orden in Berlin zu errichten, ist dann wohl erst mal “gestorben”. Über diese Ordenshochschule in Berlin wurde ja von den Dominikanern P. Thomas Eggensper und Pater Ulrich Engel mehrfach berichtet, etwa in der Zeitschrift “Kontakt” 2017, S. 44 ff. Auch die Kapuziner in Münster hatten sich dafür ausgesprochen, die sehr wenigen noch verbliebenen jungen Ordensleute verschiedener Orden an der Hochschule in Berlin auszubilden. Aber für die wenigen wird wohl eine eigene Hochschule nicht mehr not- wendig sein.
13.
In jedem Fall hat sich Frau Annette Schavan(CDU) und bisherige Botschafterin beim Heiligen Stul dann doch (etwas) durchgesetzt: Sie hatte sogar acht “gut ausgestattete Professuren” gefordert, schon im Frühling 2017! Sie hat sich auch durchgesetzt in der Abwehr des Neuen, etwa einer interrreligiösen Fakultät der Theologien”. Plural lieben ja Katholiken im Dogmatischen nicht, deswegen empfahl Frau Schavan, dieses kreative, neue Projekt erst mal zu verschieben. So wunschgemäss geschehen. Damit die alte altbekannte Leier weitergeht.
14.
Der Tagesspiegel berichtet heute, am 30.3. 2019, dass sich Erzbischof Koch an diesem neuen katholisch-theologischen Zentrum der HU als Student einschreiben will. Er möchte, so wörtlich, die Säkularisierung studieren…Die Feinheiten religionssoziologischer Säkularisierungsforschung sind tatsächlich ergiebig. Sie zeigen u.a., dass Menschen, die etwa aus der katholischen Kirche in Deutschland ausgetreten sind, sich keineswegs automatisch als Atheisten verstehen. Sie können nur vor ihrem Gewissen einfach keine längere Mitgliedschaft in der römischen Kirche rechtfertigen. Und haben dann ihre je eigene Spiritualität entwickelt, von der die offizielle Kirche so wenig weiss. Ein Freund schrieb mir in dem Zusammenhang sehr treffend: „Wenn Erzbischof Koch säkularisierte Menschen kennen lernen will, in Berlin sind das mindestens ca. 60 % der Bevölkerung: Dann muss er sich nur oft in Orte des säkularen, städtischen und nicht mehr nur „katholischen (Gemeinde-)Lebens“ begeben, also in die Cafés und Kneipen, in die verschiedenen „Bürgerintiativen“ und NGOs, in die Frauenhäuser und Kinderläden, in Schwulen Kneipen und in literarische Debatten oder in die zahlreichen Treffpunkte des humanistischen Verbandes HVD und so weiter: Da sind doch so viele Menschen anzutreffen, die sich säkular nennen. Da kann ein Bichof vieles lernen, an Lebenserfahrungen, an Ängsten, spirituellem Suchen, Kritik an der Kirche etc. Vorausgesetzt ist natürlich: Weniger Pontifikalämter mit Weihrauch und Te Deum feiern, dafür mehr menschlichen Dialog mit Säkularen“.
Pontifex heißt übrigens Brückenbauer.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Der Theologe Johann Baptist Metz: Ein Hinweis auf das Buch „Theologie in gefährdeter Zeit“.

Von Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin
1.
147 Professoren, zumeist Theologen, unter ihnen 12 Frauen, haben sich einladen lassen, kurze Beiträge über den „politischen Theologen“ Johann Baptist Metz zu schreiben. Anlass ist der 90. Geburtstag des von den Autoren in den meisten Fällen gelobten, wenn nicht bewunderten Theologen in Münster. Im Jahr 2018 feierte er seinen 90. Geburtstag. Herausgekommen ist also eine Art Metz – Schmöker, ein Buch von 580 Seiten Umfang, erschienen im LIT Verlag in Münster.
Niemand wird wohl in absehbarer Lese-Zeit ein vielschichtiges Opus so vieler Theologen angemessen „besprechen“ können.
Vorweg: Die „einfachen Leute“, die Arbeitslosen, die Obdachlosen, die Überlebenden der Elendsviertel, wird man in dieser “Festschrift” zugunsten eines sich „politisch“ nennenden Theologen unter den AutorInnen leider vergeblich suchen, auch „Menschenrechtler“ aus NGOs sind nicht dabei, nicht die Mitglieder militanter ÖKO-Gruppen, nicht die schwulen und lesbischen Aktivisten für die Ehe für alle, auch nicht die Leute der ökumenischen Basisgemeinden: Sie alle sind offenbar von der Metzschen Theologie nicht (so stark) berührt, eigentlich erstaunlich, wenn man an die von Metz selbst viel beschworene theologisch-spirituelle Leidenschaft für „die anderen“, die „Ausgestossenen“ bedenkt.
So also ist eher ein zwar theologiegeschichtlich interessantes Buch entstanden, aber ein Buch wohl von Theologen für Theologen; einige wenige jüdische Autoren sind dabei. Soweit ich sehe, ist aber kein buddhistischer oder muslimischer Gelehrter unter den Autoren oder gar ein expliziter Atheist oder Humanist..
Erstaunlich, wie oft Verehrung für Metz aus manchen Beiträgen vornehmlich katholischer Autoren spricht. Die meisten Autorinnen betonen den globalen und großen prophetischen Gestus ihres Anregers, Doktorvaters, „Meisters“. Rühmen seine Sensibilität, uralte katholische theologische Lehren (wie die Apokalyptik) auf politische Verhältnisse zu beziehen, vor allem aber: Die christliche Botschaft selbst im ganzen als politische Provokation zu deuten, etwa im Sinne eines Eintretens für die Opfer; mit der zentralen Frage, die Metz stets wiederholt: Wie kann man Christ sein und katholische Theologie „treiben“ im Angesicht des von Deutschen begangenen Massenmordes an den Juden. Das KZ Auschwitz wird dabei zum viel beschworenen Symbol für alle Juden-Vernichtung der Antisemiten und ihrer Millionen Mitläufer. Dieses Thema ist enorm wichtig, wird immer wichtiger. Gar keine Frage! Aber wer würde leugnen, dass auch viele andere ganz dringende Probleme, wie die Überwindung der Atomkraft heute, die Klimakatastrophen, die Frage der Geburtenkontrolle angesichts des enormen Bevölkerungszuwachses, oder die Schritte zu einer Überwindung des Neoliberalismus unglaublich viel (mehr) Aufmerksamkeit verdienten von den sich politisch nennenden Theologen. Aber diese Themen werden von Metz und seinen in dem Buch präsentiertem „Schülern“ kaum diskutiert. Insofern wirkt die politische Theologie von Metz doch thematisch sehr „eingegrenzt“.
2.
Hans Küng, nicht gerade ein Intimus von Johann Baptist Metz, weist mit Recht in seinem dann doch etwas – wohl ausnahmsweise – ausführlicheren Beitrag darauf hin: Metz hat sich für die innerkirchlichen Kirchenreformen, etwa zum Papsttum, zur synodalen Struktur der Kirche oder gar zum Zölibat kaum geäußert. Ein großer Kirchen-Reformator im engeren Sinne ist er wohl nicht. Er ist ein Mann der Visionen, der globalen Perspektiven, wie etwa sein Text für die längst vergessene und völlig wirkungslose bundesdeutsche Synode in Würzburg. Aufgrund dieser Begrenzung aufs “Globale”, wie die “Gotteskrise” konnte Metz Gesprächspartner der Hierarchen bleiben, etwa mit dem damaligen Kardinal Ratzinger.
Interessant ist, dass Jürgen Habermas, eigentlich ziemlich wohl gesonnen gegenüber Metz, auf die tiefe emotionale Bindung des Klerikers Metz an die römische Kurie hinweist: Wie Metz also bei einem Besuch von Habermas nervös, offenbar aber durchaus erfreut schien, weil er eine Einladung zu einer gemeinsamen Messe im Vatikan ausgerechnet mit dem polnischen Papst Johannes Paul II. erhalten hatte (S. 159).
Die Vielfalt der Themen, die in dieser „Festschrift“ angesprochen werden, zeigt: Wahrscheinlich ist die entscheidende Leistung von Metz, neue Fragen in dem damals wie heute ziemlich verkrusteten und ängstlichen katholisch – theologischen Milieu gestellt zu haben. Seine Fragen und Visionen passten auch in die Mentalität der damals Studierenden, weckten die Zuversicht, dass mann/frau als katholische Theologin in moderater Form links sein könne. Obwohl, mit Verlaub gesagt, Metz als politischer Theologe und irgendwie dann ja doch wohl auch linker Theologe sich nie persönlich zu einer sozialistischen Position oder gar Partei bekannt hat. Es wäre wohl nicht so klug gewesen. Es ist auch nicht überliefert, dass Metz aktiv an Friedensdemonstrationen in den achtziger Jahren teilgenommen hat. Aber man kann wohl sagen, im katholischen Milieu herrschte (und herrscht) eine solche Tristesse, dass sich so viele leidenschaftlich an diesen so neuen, kreativen und irgendwie progressiven Denker banden und binden. Dabei bleibt Metz stets der Essayist, der Vortragende, der Herausgeber von Aufsätzen, von Fragen, Provokationen.
3.
Die politische Theologie von Metz hatte vor allem in Lateinamerika theologische und politische Auswirkungen, auch das wird in dem Buch (kurz) deutlich, etwa in dem Beitrag es Brasilianers Alberto da Silva Moreira. Einen Beitrag des Peruaners Gustavo Gutierrez (und Metz – Freundes) habe ich in dem Buch vermisst. Wer den grundlegenden theologischen Wandel eines anderen Metz – Freundes nachvollziehen will, lese den Beitrag des Brasilianers und einst führenden Befreiungstheologen Leonardo Boff: Er hat, endlich möchte man sagen, verstanden, dass es heute auf eine einfache, nicht mehr dogmatisch fixierte Theologie ankommt, sondern auf eine einfache spirituelle Lehre, die alle Menschen darauf aufmerksam macht auf die „Urquelle, aus der alle Menschen leben“ (S. 47). Das ist Weisheit, Theo-logia, in meinem Verständnis, für Menschen aller Religionen und Humanismen offen. Das hat Zukunft. Ob Metz und seine Getreuen da mitgehen, wage ich zu bezweifeln. Wahrscheinlich werden politische Theologen diese Position von Boff als „liberal-theologisch“ kritisieren…
Einzelne Beiträge finde ich besonders wichtig, wie den Hinweis zur Misere der „katholischen Soziallehre“, verfasst von Hermann-Josef Große-Kracht (S. 154). Ohne einen unmittelbaren Bezug auf Metz ist der Beitrag des Historikers Hans-Ulrich Thamer über den “Nationalsozialismus als politische Religion” lesenswert. Etwas verstörend und darin doch anregend ist der Beitrag von Hans Conrad Zander über den heutigen „Umgang“ mit Auschwitz…Immerhin fanden sich drei Bischöfe bereit, ein paar Zeilen über Metz zu schreiben. Der Bischof von Münster, Felix Glenn, bekannt sogar: „Ich habe als Student so intensiv (Metz) zugehört, dass ich im Anschluss an die Vorlesung Zeit brauchte, um wieder zu mir kommen“ (S. 144). War es eine politisch-theologische Trance, darf man fragen.
4.
Die Leser werden sich freuen, dass in der 2. Auflage ein kritischer Beitrag des bedeutenden Kenners der Theologie Karl Rahner vertreten ist, nämlich von Albert Raffelt: „Aufgrund eines redaktionellen Versäumnisses fehlte dieser Text in der ersten Auflage“, schreiben die Herausgeber( S. 384). Die Beziehung des Lehrers Rahner zu seinem Schüler Metz und umgekehrt war ja nicht ganz einfach. Rahner sprach in seinem Buch „Bekenntnisse. Rückblick auf 80 Jahre“ (Herold Verlag 1984, S. 37) ziemlich offen von einer gewissen Arroganz des politischen Theologen und Rahner-Schülers Metz ihm gegenüber, ihm, dem „transzendentalen“ (d.h. auch der philosophischen Tradition der Aufklärung verpflichteten) und spekulativen Theologen UND Kirchenreformer. Wahrscheinlich ist die Abwehr der Metaphysik, als “griechisch” fast denunziert, etwas, was mich am meisten an der politischen Theologie ärgert. Die Gottes-Rede einzig mit der Bibel, und dann noch ziemlich unvermittelt, zu begründen, kann meines Erachtens auch für eine christliche Theologie nicht gelingen. Was nicht heißt, dass ich mich jetzt als Ratzinger-Fan oute.
Da und dort sind noch heute TheologInnen tätig, die sich der Grundintention einer politischen Theologie von Metz in ihrem Denken und Handeln (!) bewusst sind. Wo diese etwas jüngeren TheologoInnen Spuren hinterlassen in ihrer Kritik des weltweiten sexuellen Missbrauchs durch Priester, ist unklar; wo sie Spuren hinterlassen in der exakten politisch-theologischen Recherche und Analyse der reaktionären Bewegungen in der römischen Kirche, ist auch unklar. Wo sie sich von Lobeshymnen auf Papst Franziskus, den „Progressiven“, verabschieden, ist ebenso unklar.
5.
War also politische Theologie im Sinne von Metz, trotz aller in dem Buch versammelten interessanten Denkanstöße, nur ein kurzes, kritisches Wehen? Wahrschienlich nicht! Hat „trotzdem“ die Reaktion in der römischen Kirche gesiegt? Ja. Diesen Sieg der politisch agierenden Reaktion im Katholizismus hat Metz nicht vorausgedacht.
Und ein gravierender Mangel dieser politischen Theologie von Metz und seinen Getreuen ist vor allem ihre polemische Abwehr eines liberal-theologischen Denkens, das eben betont: Viele der überlieferten Dogmen und Glaubenslehren sollten wir heute “als freie Christenmenschen” beiseite legen, zugunsten eines humanen, Sinn stiftenden Glaubens, der einfach ist. Welche Befreiung wäre das für die Christen, die in einem diffusen Wunderglauben und Heiligenkult noch verhaftet sind? Und immer noch Kirchenbindung mit Bindung an eine göttliche Wirklichkeit verwechseln….
6.
Was wir heute brauchen meiner Meinung nach, ist eine exoterische, d.h.von möglichst vielen Menschen vernünftig nachvollziehbare, einfache Theologie im Dialog mit anderen Religionen und Humanismen. Diese ist, noch einmal tatsächlich vernünftig, also nachvollziehbar,sicher nicht apokalyptisch aufgeladen. Warum sollten denn in christlichen Gottesdiensten nicht auch meditative Texte der Sufi-Tradition, von Laotse, oder Gedichte heutiger Autoren vorgetragen und meditativ erschlossen werden? Der christliche Glaube ist ein offenes, heilsames Geschehen und, wie viele Mystiker sagen, tatsächlich einfach, wahrscheinlich in drei Sätzen vernünftig sagbar und … wegen der inneren Wandlung des einzelnen dann auch politisch. Vielleicht wäre dies eine politische Theologie 2. Teil, selbstverständlich auch außerhalb der bestehenden römischen Kirche formuiert.
Insofern lohnt die Lektüre des Buches in jedem Fall, weil sie auf neue, bislang eher verdrängte, aber sicher produktive Gedanken bringt.

Hans-Gerd Janssen, Julia D.E. Prinz, Michael J. Rainer, „Theologie in gefährdeter Zeit“, Stichworte von nahen und fernen Weggefährten für Johann Baptist Metz zum 90. Geburtstag“.
LIT Verlag Münster, 2. ergänzte Auflage 2019, 580 Seiten, 39,90€.

Buchmesse Leipzig 2019: An den Philosophen Milan Machovec erinnern

„Es gibt Jesus ähnliche Menschen unter den Marxisten“ (Machovec)

Ein Hinweis von Christian Modehn

Hat er sich dem Marxismus zugewandt, weil er die Lehren der katholischen Kirche ablehnte? Sicherlich. Hat er als Marxist die Herrschafts-Ideologie der Kommunisten abgelehnt und dann die Bedeutung Jesu von Nazareth für unersetzlich gehalten: Wahrscheinlich ist auch das so!
Die dialektische Spannung hat das Leben des Prager Philosophen Milan Machovec ausgezeichnet. Es wird Zeit, sich an ihn wieder zu erinnern. Nicht (nur) deswegen, weil er sich seit dem Prager Frühling 1968 entschieden von der herrschenden Marx-Ideologie der Kommunisten abwandte. Und auch nicht (nur) deswegen, weil er dann die Jesus-Gestalt schätzte: Es ist vielmehr diese Bewegtheit in seinem Leben selbst, sein dauerndes Unzufriedensein mit fix und fertigen Ideologien, heißen sie nun Kommunismus oder Katholizismus, die den Philosophen Machovec so wertvoll machen. Seine Bücher sind Ausdruck für dieses Suchen nach einem möglichst herrschaftsfreien Menschsein in Freiheit und Gerechtigkeit. Machovec ist ein Humanist im umfassenden Sinn. Darum sollten philosophisch und religiös Interessierte ihn wieder beachten. Denn die Zeit der alles erklärdenden, „totalen“ Ideologien ist vorbei: Der marxistisch sich nennende Kommunismus ist vorbei, und die dogmatische Institution der katholischen Kirche besteht zwar noch als (üppiges) Gerippe. Aber wer würde nicht auch sagen: Diese Institution in der jetzigen Form ist am Verschwinden? Falls sie sich nicht zu einer Refomration (nicht bloß Reform !) entschließt.

Geboren wurde Milan Machovec am 23.8.1925 in einer streng -katholischen Familie in Prag, er besuchte das Gymnasium der Benediktiner Mönche, studierte, noch kurz vor der Herrschaft der KP, von 1945 bis 1948 Philosophie und katholische Theologie, obwohl ihn eigentlich auch die Musik sehr faszinierte. Er wendet sich dem Marxismus zu, wird 1953 Dozent für Philosophie an der Prager Karls-Universität, 1968 wird er zum Professor ernannt, aber wegen kritischer Äußerungen zum Kommunismus seines Amtes enthoben. Er engagiert sich zuvor schon im christlich – marxistischen Gespräch, unter anderen mit dem katholischen Theologen Karl Rahner. Danach, als „Dissident“, lebt er unter sehr bescheidenen und bedrückenden Verhältnissen. Als Organist in einer katholischen Kirche Prags kann er etwas Geld verdienen, er gehört zur Charta 77. Erst nach der Wende 1989 kann er frei als Philosophie-Professor arbeiten.
Über sein Leben und seine auch auf Deutsch noch vorliegenden antiquarisch erreichbaren Bücher kann man sich detaillierter informieren.
Ich will hier an den Aufsatz „Die Sache Jesu und marxistische Selbstreflexion“ erinnern, an einen Beitrag, den Machovec für das Buch „Marxisten und die Sache Jesu“ geschrieben hat, das er zusammen mit Iring Fetscher 1974 auf Deutsch (Kaiser-Verlag, Grünewald-Verlag) veröffentlichte.

Warum lohnt es sich, diesen Aufsatz von 17 Seiten noch einmal zu lesen und mit anderen zu diskutieren? Weil da ein Philosoph das Faszinierende des Denkens von Marx (das ja, noch einmal, etwas anderes ist die bolschewistische Ideologie) und das Faszinierende der „Sache Jesu“ (die ja bekanntlich etwas anderes ist als die offizielle Kirchenlehre) konfrontiert. Und zwar auch so, wie sie lebensmäßig von den jeweils Gläubigen „umgesetzt“ werden.
In dem Aufsatz von 1974 sieht sich Machovec immer noch als Marxisten, vom Kommunismus ist keine Rede. Er ist Marxist geworden und geblieben, um es einmal auf eine Formel zu bringen, weil ihm das nette Almosengeben der Christen als Hilfe für die Leidenden absolut nicht ausreicht. Dieser ins „Strukturelle“ reichende, humane Impuls ist bei ihm entscheiden! Er sieht im Marxismus eine Art Leitidee, für die Unterdrückten auf Dauer Humanität zu erreichen. Dabei meint Machovec provozierend: Marxisten seien eigentlich überzeugt, die humanen Forderungen Jesu „besser zu verwirklichen“ (S. 86). Also: Nicht spirituelles kirchliches Schwärmen von der Barmherzigkeit, sondern alles tun, dass die klassenlose Gesellschaft Gestalt annimmt. Man bedauert in dem Zusammenhang, dass Machovec offenbar die lateinamerikanische Theologie der Befreiung nicht kannte.
Machovec kritisiert das kommunistische System, die Kleinkariertheit der Bürokraten, die Verlogenheiten, die Zensur, die Unterdrückung, die Inquisition: Und er zeigt, wie bekannt, wie ähnlich manche Verhältnisse in der katholischen Kirche, und nicht nur in dieser Kirche, sind.
Einen Ausweg aus der inneren Krise des Marxismus als Staats-Kommunismus sieht Machovec kaum: Es sind die „geschlossenen Herrschaftskreise“ (S.97), die im Kommunismus wie im Katholizismus das freie geistige Leben ersticken, so sah das Machovec im Jahr 1974. Ob das heute in der Kirche besser ist?
Aber Machovec schreibt, als ein authentischer Marxist, darin genauso wie ein authentischer Christ oder ein Philosoph (Sokrates): „Lieber sterben, als den Sinn für die Wahrheit und seine Brüder zu verraten“ (S. 100).
Es ist keine Frage: In dem Beitrag zeigt der marxistische (nicht kommunistische!) Philosoph Machovec seine tiefe Sympathie für die Jesus-Gestalt, und das ist bemerkenswert. Die letzten Sätze in dem genannten Aufsatz heißen: „Aber falls ich in einer Welt leben sollte, die die Sache Jesu absolut vergessen könnte, dann möchte ich gar nicht mehr leben…Es scheint mir, dass in einer solchen Welt ohne die Sache Jesu auch der richtig verstandene Sieg der Sache von Karl Marx unmöglich wäre“ (S. 102).
Also: Ohne die Pflege jesuanischer Traditionen wird es auch heute keinen Gedanken mehr geben, dass eigentlich diese verrückte Welt mehr Gerechtigkeit, vielleicht eine klassenlose Gesellschaft als Ziel bräuchte. Für eine humane Revolution brauchen wir also den jesuanischen Geist. Und dies ist, nebenbei gesagt, wiederum ein Gedanke, der heute von Jürgen Habermas auf mildere Weise formuliert wird („Ohne das Christentum entgleist die Gesellschaft“ usw.)… Schon 1972 hatte Machovev ähnliche Gedanken in seinem Buch “Jesus für Atheisten” vorgelegt. Mit einem präzisen,auch theologisch kenntnisreichen Verständnis der Gestalt Jesu will der Marxist Machovec zeigen: Jesus ist nicht etwa (nur) ein Sozialrevolutionär, sondern seine umfassende Forderung heißt:”Der ganze Mensch soll sich wandeln”: “Jesus reißt den Menschen mit, weil er die gelebte Zukunft (des umfassend menschlichen Reiches Gottes) mit seinem ganzen Wesen verkörpert” (S. 103). Sogar über das Gebet Jesu schreibt Machovev:”Es ist das Vermögen ganz bei sich selbst, bei seinem eigenen Ich, zu sein” (S. 104). Auch eine Philosophie des Dialogs hat Machovec vorgelegt: In seinem Buch “Vom Sinn des menschlichen Lebens” (1971) erklärt er: Der Dialog mehr ist als ein oberflächlicher Meinungsaustausch, sondern ein Geschehen, in dem sich die Gesprächspartner voll und ganz selbst einbringen, also auch Menschen zum existentiellen Wandel bereit sind. Es ist traurig, dass die Bücher von Machovec in den Antiquariaten allein noch erreichbar sind. Liegt dies daran, dass den Verlegern die Beziehungen dieser Texte auf den Marxismus obsolet erscheinen? Aber wer sagt denn, dass nicht wichtige Grundideen von Marx (wie Machovec sie präsentiert) “vorbei” und nicht aktuell mehr hilfreich sind? Dann müssten ja auch die neutestamentlichen Texte über Jesus vorbei und wenig hilfreich sein, bloß weil sich die Kirchen(führer) in ihrer Geschichte bis heute total blamieren, was die Lebensgestaltung und Kirchengestaltung aus dem Geiste Jesu angeht…

Ist dieser zentrale Gedanke Machovecs von der humanen Notwendigkeit der Sache Jesu heute verloren gegangen? Man könnte das sicher meinen. In der Tschechischen Republik (und nicht nur dort) verschwindet der jesuanische Geist wahrscheinlich auch mit dem Niedergang und Tod der kirchlichen Institutionen, die diese Sache Jesu eigentlich noch aussagen sollten. Und selbst der kritische Marxismus ist ebenfalls total marginal. Ist es die totale flache Mentalität der Konsumenten, die in Tschechien nach der Samtenen Revolution von 1989 sich durchgesetzt hat? Wo sind die Bewegungen für ein anderes, „alternatives“ Leben?

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Geheimnis ein Thema der Philosophie und Theologie: Ein Kapitel philosophischer (Über)Lebenskunst

Hinweise von Christian Modehn

Es folgt, am Ende dieses Beitrags, eine Ergänzung der Künstlerin Ursula SAX, Berlin, die oft an unseren religionsphilosophischen Gesprächen teilnimmt.

Geheimnis ist nichts Mysteriöses. Manche Menschen tun aber geheimnisvoll, um ihre eigene Leere oder „Besonderheit“ zu betonen. Wer ein Geheimnis für sich beansprucht, fühlt sich wichtig. Geheimnisträger gibt es in der Diplomatie. Wie oft haben sie ihre Funktion missbraucht?
Es gilt, den sinnvollen Gebrauch der Rede vom Geheimnis zu erkennen. Da muss man wieder differenzieren: Was sind echte, bleibende Geheimnisse oder bloß neurotisch aufgeladene mysteriöse Dinge? Etwa Spuk oder fliegende Untertassen oder Geister, die in spiritistischen Sitzungen sprechen…
Mit jeder neuen Erkenntnis (der Natur) gibt es neue Fragen. Es gibt neue Probleme, die „gelöst“ werden müssen. Man nennt diese Probleme auch Rätsel. Naturwissenschaftler lösen nicht Geheimnisse, sondern Rätsel. Aber dann entstehen neue Rätsel.
Rätselhaftes ist nichts Geheimnisvolles. Diese Unterscheidung ist für mich grundlegend.
Geheimnisse entziehen sich dem verfügenden Durchblick, der alles umgreifenden Definition. Geheimnis ist etwas, das nie total durchschaut werden kann. Geheimnis berührt die Qualität unserer Beziehung zur Frage: Gibt es etwas Gründendes, Tragendes, Göttliches? Geheimnis ist ein Thema der Philosophie, der Kunst, der Literatur.
Wer vom Geheimnis spricht, der weiß also mit Ludwig Wittgenstein: Auch wenn alle unseren wissenschaftlichen Probleme gelöst sind, bleiben doch die existentiellen Fragen. Und diese kann man nicht endgültig und ein für alle mal begreifend durchschauen: Dass es etwas gibt, ist (nicht nur für Wittgenstein) das entscheidende Geheimnis.
Drei Fragen stehen im Mittelpunkt unseres Salon-Gespräches am 15. 3.2019:
A)Was ist mein eignes, individuelles Lebensgeheimnis?
-Es ist über den Begriff der Intimität zu sprechen. Intimität nicht (nur) auf den erotischen, sexuellen Bereich bezogen. Es gibt eine personale Intimität.
Wir erleben heute total den Verlust der Intimität. Dies ist die freiwillige Preisgabe dessen, was mein Ich ausmacht. Man denke an bestimmte populäre Fernsehshows der „Privatsender“: Diese Shows zielen auf Verlust jeder Intimität: Etwa: „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ (oft als Dschungelcamp bezeichnet). Im Januar 2019: 37 % Marktanteil der 19 bis 49 Jährigen. Und ca. 2,7 Millionen Zuschauer.
-Unsere Gesellschaft, regiert von Politikern, die sich auch oft gern „entblössen“, lässt kaum noch Intimität zu: Man denke auch an die Wohnverhältnisse. Man vergesse nicht die Millionen Hütten der Slums, dort kennen die Menschen keine Intimität. Die vielen Kinder schlafen im gleichen Raum wie die Eltern. Das betrifft viele tausend Millionen Menschen.
In Japan weichen Liebenspaare in „Liebeshotels“ aus. Weil die Wohnungen keine Intimität zulassen, es sind die „Love Hotels“. Diese sind nicht Orte der Prostitution.
-Es gibt andererseits eine falsche Tendenz im Verschweigen der Identität. Männer sprechen nicht von sich selbst und ihren „tiefen, verborgenen“ Problemen. Diese Sprechunfähigkeit hat nichts mit der Bewahrung eines Geheimnisses zu tun. Es ist oft schlicht die Unfähigkeit, aus sich herauszugehen, sich zu äußern.
Wann ist die Öffnung meines „Lebensgeheimnisses“ gegenüber Partnern, Freunden, Bekannten sinnvoll, wann eher für mich destruktiv?
Hinzu kommt: Der einzelne kann sich selbst auch nicht total durchschauen. Wir wissen nicht umfassend und total klar, wer wir eigentlich sind.
Aber: Die falsche Zurückhaltung, das je eigene Lebensgeheimnis wenigstens ansatzweise mitzuteilen, führt zu Spannungen und Krisen: Man denke an das Verschweigen der Nazi-Vergangenheit durch die Eltern. Das Verschweigen ist für betroffene Eltern selbst ein Leidensweg.
Dennoch lebt die Kommunikation gerade in der Liebe von einem Sich – Offenbaren, Sich Anvertrauen, das persönliche und je einmalige Gesicht zeigen.
Das Maß der Öffnung und des Verschweigens des je eigenen Geheimnisses zu erkennen, ist die große Lebenskunst. Das Maß der Öffnung des Geheimnisses zu erkennen, ist die große Lebenskunst.
Das Thema führt in die Ambivalenz der reflektierten Daseinsgestaltung im ganzen.
Der total für andere durchsichtige Mensch jedenfalls ist geheimnislos, er kann wie eine durchschaute Maschine benutzt werden. Und wird auch benutzt, etwa bei Wahlen, siehe Trumps Wahlkampf in den USA.
Der Umgang mit dem je eigenen Lebensgeheimnis ist ein ständiges Abwägen, ein Differenzieren, eine Suche nach dem Gleichgewicht.
B: Geheimnis und der Schutz meiner Privatsphäre heute.
Wir leben im Zeitalter der totaler werdenden Transparenz. Wir werden allmählich in der digitalen Welt total durchschaut, in Zeiten der Big Data. Der Imperativ lautet: „Alles muss Daten und Information werden“, so der Philosoph Byung-Chul Han. (in: “Psychopolitik“, S. 80) Er spricht von Dataismus: „Diese digitale Aufklärung, Dataismus, kann in Knechtschaft umschlagen“. D.h. Ich hinterlasse überall Spuren im Netz. Die digitale Welt weiß mehr von meiner Geschichte als Konsument als ich selbst (in meiner Erinnerung). Ich werde so total verfügbar. Dataismus verzichtet auf jeden Sinnzusammenhang. (81) Alle meine Daten werden vermessen und gesammelt und eingesetzt von der Industrie/Werbung/Politik als Diktatur…
Aber: Wir brauchen den Kampf um Transparenz, um die Restbestände von Demokratie zu schützen. Transparenz ist ein hoher politischer Wert.
Es ist soweit gekommen, dass demokratische Organe, etwa Justiz und Polizei, die umfassende Transparenz bereits behindern. Weil sie die Restbestände der Demokratie zerstören wollen.
Sehr beliebt ist in den sozialen Netzwerken, facebook, e-mail usw. die Verwendung der Pseudonyme. Man entscheidet sich – auch aus Angst – gegen die Klarnamen. Dann kann auch alles schreiben, was man will, dumme, gemeine Behauptungen etc. Man will sich verstecken. Aber: Geheimnisse erzeugen kann lebensrettend sein. Die geheime Wahl ist ein absoluter Wert.
Die Fake-News haben ihren festen Platz in der privaten Welt der Geheimnistuerei. Wir leben in einer Welt, in der der Grundsatz gilt: Der Schein trügt. Was du siehst und hörst von anderen, etwa im email Verkehr, stimmt oft wahrscheinlich nicht.
Diktaturen neigen zu Attacken auf die Anonymität, auf das Geheimnis. Aber Diktaturen machen aus diesen ihren eigenen Attacken wiederum ein Geheimnis.
Sie wollen Zensur durchsetzen, damit die Staatsgeheimnisse nicht öffentlich werden.
In China gibt es Zensurfabriken, eine große Mauer der Zensur wird um google, facebook in China gezogen. Es gilt dort nur noch das „innere Netz“.
C: Ein Hinweis zur Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie und Theologie:
Geheimnis als der einzig treffende Begriff, wenn wir von einem letzten Grund in unserem Dasein sprechen, einem Nichts oder einem Gott, je nach eigener Weltanschauung: Dieses Letzte, alles Gründende, das wir im Denken und Fühlen berühren, können wir, weil es das Letzte ist, niemals fassen, niemals be—greifen, nie definieren. Aber im konsequenten Denken sind wir dieser Wirklichkeit ausgesetzt. Was ist der tragende Sinn-Grund von allem? Mit dieser Frage erreichen wir das alles gründende Geheimnis.
Es gab einmal die Überzeugung, als würde die Menschheit einer geheimnislosen Zeit entgegen gehen. Der Soziologe Max Weber sprach von der „Entzauberung der Welt,“ in seinem Vortrag „Wissenschaft als Beruf“ von 1919. Darin erklärte er „dass es also prinzipiell keine geheimnisvollen, unberechenbaren Mächte gebe, dass man vielmehr alle Dinge – im Prinzip – durch Berechnen beherrschen könne. Das aber bedeutet die Entzauberung der Welt. ….Und er fährt fort: Man muss nicht mehr, wie der Wilde einst, zu magischen Kräften greifen, um die Geister zu beherrschen…“sondern technische Mittel und Berechnung leisten das“, das heißt, Max Weber verwechselt wissenschaftlich immer zu durchschauendes Rätsel und Geheimnis.
Eine total entzauberte Welt wird es nicht geben. Kann es nicht geben, so lange nach dem alles gründenden Sinn oder je nach Weltanschauung Unsinn gefragt wird. Bloß viele Leute plappern die These von der „entzauberten Welt“ gedankenlos nach.
Und die tiefste und wohl letzte philosophische Frage, die ohne Antwort bleibt, heißt: “Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr Nichts?“ (Später dann auch bei Heidegger, Was ist Metaphysik, 1929)
Leibniz hat sich mit dieser Frage befasst, in seiner Schrift „Auf Vernunft gegründete Prinzipien der Natur und der Gnade“ (1714, 1716 ist Leibniz gestorben)

Nach Leibniz muss es also einen Grund geben, warum es etwas und nicht vielmehr nichts gibt, doch muss dies ein Grund sehr spezieller Art sein, „der keines andren Grundes bedarf“ oder der „den Grund seiner Existenz in sich selbst trägt“. „Leibniz nimmt hier eine weit ältere Tradition der westlichen Philosophie wieder auf, denn seit frühester Zeit hat das Rätsel der Existenz die Menschheit zu einem Schöpfer hingetrieben, einem Wesen außerhalb dieser Welt, dessen Handlungen die Welt als Ganzes entstehen ließen“ (Blackburn S. (2011) Warum gibt es überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?. In: Die großen Fragen Philosophie. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg)

Bei Wittgenstein sollte man vor allem das Spätwerk beachten.
Etwa die „Vermischten Bemerkungen“: Dort ist ein „tiefer Ernst und überzeugende Ehrlichkeit“ zu finden, so Friedo Ricken in „Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie“, S. 29.
Es geht nun Wittgenstein um das Durchbrechen der engen Sprachwelt der Wissenshaften. Ricken spricht in dem Zusammenhang, im Sinne von Wittgenstein, von Klaustrophobie: D.h. Wir können in einem engen Raum der Wissenschaften nicht leben. (S. 33 Ricken).

Der späte Wittgenstein bringt uns zu der Einsicht, dass es etwas gibt, das nicht gesagt werden kann. Aber dies wird verstanden: Im Sinne des klaren und eindeutigen Sprechens.
In den „Philosophischen Untersuchungen“ schreibt Wittgenstein, dass es für ihn unmöglich ist, auch nur ein einziges Wort zu sagen, „was die Musik für mich in meinem Leben bedeutet“.
Aber: Er weiß auch: Wir berühren das Unaussprechbare. Und sagen auch, dass es auch unaussprechbar ist. Dann können wir also doch andeutend etwas von dem Unaussprechbaren sagen?
„Das Unaussprechbare, /das, was mir geheimnisvoll erscheint und ich nicht auszusprechen vermag/, gibt vielleicht den Hintergrund, auf dem das, was ich aussprechen konnte, Bedeutung bekommt“ (in Wittgenstein, Vermischte Bemerkungen, Nr. 472).

D: Zur Theologie:

Die katholische Kirche als dogmatische Institution ist die große Geheimnis-Erzeugerin und Geheimnis–Propagandistin: Sie ist die Förderin der Vorstellung, überall gebe es Mysteriöses, Verzaubertes, Zauberhaftes, Grauenhaft – Teuflisches. Aber viele sehen auch heute darin den „Charme“ des Katholizismus…

Die Lehre vom Teufel wird wieder zur Begründung von Verbrechen herangezogen (wie jetzt durch Papst Franziskus im Fall des sexuellen Mißbrauchs durch Priester).

Der Status des Klerikers gilt als erhoben über den anderen Gläubigen, auch dies ist etwas Mysteriöses, also von der Macht der Kirche gemacht. Ähnliches gilt von der Lehre von der Unfehlbarkeit des Papstes.

Es gibt den mysteriösen Kult um Wallfahrtsorte, wo Maria persönlich erschienen ist usw.

E: Einige katholische Theologen zeigen den eigentlichen Geheimnis-Begriff:
Darum: Erinnerung an Karl Rahner. Er ist DER Theologe, der die Rede vom göttlichen Geheimnis im Christentum in den absoluten Mittelpunkt stellte: „Was sagt das Christentum? Was verkündet es? Es sagt trotz des Anscheins einer komplizierten Dogmatik und Moral eigentlich doch nur etwas ganz Einfaches. Ein Einfaches, als dessen Artikulation alle einzelnen Dogmen erscheinen.
Was sagt das Christentum eigentlich? Doch nichts anderes als: Das Geheimnis bleibt ewig Geheimnis. Dieses Geheimnis will sich aber als das Unendliche, Unbegreifliche, als das Unaussagbare, Gott genannt, als sich schenkende Nähe in absoluter Selbstmitteilung dem menschlichen Geist mitten in der Erfahrung seiner endlichen Leere mitteilen.“ (In: Karl Rahner, Lesebuch, S. 20).

Das Göttliche ist IM Menschen, die Konsequenz ist: dann „Wer sich selbst als Mensch annimmt, nimmt das ihn gründende Geheimnis seines Lebens auch schon mit an, er nimmt also indirekt und unthematisch Gott, mit an“. (S. 21).

Rahner: „Gott ist der, hinter den man prinzipiell nicht kommt“. (Lesebuch, S 143). Man kann von Gott nicht „exakt“ reden. Nur stammeln, nur indirekt reden.
Aber man darf von ihm nicht darum schweigen, weil man von ihm nicht „eigentlich“ und exakt reden kann.
Ein Auszug aus „Gott ist keine naturwissenschaftliche Formel,“ (https://www.einjahrzitate.de/?p=787) „Gott ist nicht „etwas„ neben anderem, das mit diesem anderen in ein gemeinsames, homogenes System einbegriffen werden kann. „Gott” sagen wir und meinen das Ganze, aber nicht als nachträgliche Summe der Phänomene, die wir untersuchen, sondern das Ganze in seinem unverfügbaren Ursprung und Grund, der unumfasslich, unumgreiflich, unsagbar hinter, vor und über jenem Ganzen liegt, zu dem wir selbst und auch unser experimentierendes Erkennen gehören. Und in jedem Leben, auch des exakten Naturwissenschaftlers und Technikers, kommen in die Mitte des Daseins zielende Augenblicke, in denen ihn die Unendlichkeit anblickt und anruft. Man kann das Leben, insofern man zwischen diesem und jenem hindurchfinden muss, mit Formeln der Wissenschaft meistern. Wenigstens auf weite Strecken mag das gelingen, und man greift glücklicherweise morgen noch ein gutes Stück weiter. Der Mensch selbst aber gründet im Abgrund, den keine Formel mehr auslotet. Man kann den Mut haben, diesen Abgrund zu erfahren als das heilige Geheimnis der Liebe. Dann kann man es Gott nennen“.
F: Auch der katholische Theologe Edward Schillebeeckx (1914-2009) spricht theologisch vom Geheimnis: Etwa in: Edward Schillebeeckx, „Im Gespräch“, Luzern 1994, S.112).
„Man kann nicht die Existenz Gottes beweisen…SONDERN: „Es geht nur darum zu beweisen, dass es rational begründet ist, von Gott zu sprechen. Man kann nur beweisen, dass es vernünftig sein kann, von Gott zu reden“ (112)
Es gibt ein rationales Fundament für die Beziehung des Menschen zu Gott. Die Rede von Gott ist nicht absurd.
„Der Mensch, der an Gott glaubt, weiß, dass Gottes Schweigen nicht seine Abwesenheit bedeutet“. 112.
Die absolute Gegenwart Gottes ist schweigende Gegenwart. 113. (Man kann also auch das Schweigen Gottes als Gottes Nichtexistenz deuten, so Schillebeeckx, S. 113.)
„Weder der Theismus noch der Theismus können bewiesen werden. Beide sind INTERPRETIERNDE Erfahrung der Wirklichkeit, (S. 113).
„Auch Atheisten sind Glaubende“ (nämlich an das Nichts Glaubende, CM) (S. 114.)

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Der Beitrag von URSULA SAX:
Wie wir das Wort Geheimnis landläufig benutzen, ist nicht sehr geheimnisvoll. Es hat doch etwas Verborgenes, hat eine größere Dimension, als wir es kürzlich in den Fokus nahmen.
Wir sprachen von Familiengeheimnissen, z. B., die sind oft verhängnisvoll, für den einzelnen, doch sie sind von der Familie selbst gemacht, aus Scham oder anderen Gründen, sie wollen Umstände / Vorkommnisse verschleiern, zum Beispiel, um einen Image-Verlust zu vermeiden, wenn da etwas bekannt würde, das dem Ansehen der Beteiligten schaden würde.

Ich sehe das Geheimnis unpersönlicher – Universeller. Ist nicht unsere ganze Existenz ein Wunder und ein Geheimnis? Sind wir uns nicht selbst Geheimnis? Es ist mir selbst ein Geheimnis, dass sich bei mir künstlerische Ideen einstellen.
Manchmal völlig fertig, so dass ich sie nur noch zu machen brauche, manchmal schwer erarbeitet, Annäherung über längere, oder lange Zeit. Wir, unser ICH, ist völlig identifiziert mit unserem Körper und kritisiert ihn lieblos oder schämt sich seiner.
Wir behandeln uns oft schlecht, als ob wir uns selbst zu verantworten hätten – vor wem ? Vor den andern, die sich genauso irren in ihrer Person.

Ich war jetzt ein paar Tage lange schwer erkältet und hatte Zeit zum Nachdenken / Nachspüren: Wer bin ich ? Die uralte Frage. Die Antwort: Alles ist Geheimnis!
Ursula Sax am 1.4. 2019.