Papst Franziskus schafft einen Paragraphen 175 für den Klerus

Ein aktueller Hinweis von Christian Modehn am 2.12.2018

Am 3. Dezember 2018 erscheint als Buch, weltweit, ein Interview, das der spanische Priester Fernando Prado mit Papst Franziskus führte. Das Interview bezieht sich auf die so genannten geistlichen Berufungen, also auf Priester und Ordensleute. Erwartungsgemäß spricht der Papst auch wieder von Homosexuellen, das heißt hier von homosexuellen Priestern und Ordensleuten (offenbar denkt er nur an Männer, lesbische Nonnen sind bislang noch nicht im päpstlichen Visier, kommt wohl noch).

Was bisher als Auszug aus dem neuen Buch vorliegt, ist schlicht ein Skandal. Es hinterlässt bei gebildeten Lesern die schon von Freunden in Spanien gestellte Frage: Dreht der Papst jetzt durch? Was sagt der Papst? Die Kirche muss „anspruchsvoll sein“, deswegen hätten bekennende Homosexuelle im Klerus nichts zusuchen. Anspruchsvoll soll bedeuten: Homosexuelle Priester vermindern das Niveau des Katholizismus…

Denn diese schwulen Priester können ein  „Doppelleben führen“. Wenn das so ist, so der Papst, sollten homosexuelle Priester besser, „das Priesteramt und das geweihte Ordensleben verlassen“. Also Rausschmiss und vorher die Bespitzelung durch treue Spione. In Zeiten des § 175 war es auch nicht anders: Schwule wurden von den Nazis mindestens aus ihren Ämter und angesehenen Berufen entfernt. Man kann also sagen: In der katholischen Kirche soll der § 175 fortbestehen. Papst Franziskus hat so viel Mut, sein sexualwissenschaftliches Niveau zu dokumentieren, indem er tatsächlich, so wörtlich, meint, „Homosexualität sei in Mode“. Als würden sich homosexuelle Menschen aus einer modischen Laune heraus diese ihre Sexualität wählen. So viel Unsinn hat man schon im zurückliegenden 20. Jahrhundert kaum noch unter ernstzunehmenden Leuten gelesen.

Der Papst empfiehlt zudem erneut, wie religiöse und rechtslastige Fundamentalisten aller Couleur, dass Homosexuelle wieder „psychologisch  und affektiv gesund“ werden sollten. Homosexualität also als Krankheit: Man glaubt zu träumen, wie ungebildet sind eigentlich diese geistlichen Herren im Vatikan? Der Papst empfiehlt eine tief schürfende Analyse der Priesterkandidaten hinsichtlich ihrer Homosexualität. Dabei, so wörtlich, „sollte man auf die erfahrene Stimme DER Kirche hören“. Seit wann hat DIE Kirche (also die Hierarchie ist immer gemeint, wenn von DIE Kirche die Rede ist) auch nur die geringste Ahnung von dem, was Sexualitäten heute betrifft? Was weiß DIE Kirche von Gender, von Feminismus, von sexueller (normaler) Vielfalt? Der Text des Papstes ist ja der beste Beleg fürs Nichtwissen. Der Papst gibt zu, dass Bischöfe aufgrund mangelnder Kenntnis völlig irritiert sind, wenn sich in ihrem  Klerus Priester als homosexuell zeigen. Ja, ja, so muss der Papst eingestehen, „auch im Ordensleben gibt es keinen Mangel an Fällen“. Mit „Fällen“ meint der oberste Hirte der Kirche homosexuelle Menschen. Sie sind „Fälle“! Die Verwendung dieses Wortes auf Menschen nannte man nach der Nazi –Zeit die „Sprache des Unmenschen“, aber das am Rande. Selbst wenn dem Papst ein Ordensoberer sagt, es gebe halt eine Zuneigung zwischen Männern, hält der Papst dies, so wörtlich, für einen Fehler. Der Papst denkt wohl: Priester sind bessere Maschinen, die ohne jede noch so leise Form von Erotik, von Nähe und Freundschaft auskommen müssen. Der Papst und die oberste Clique im Vatikan wollen also Priester als neutrale Wesen, als Funktionäre. Der Papst ist verlogen: Er verschweigt, dass viele heterosexuelle Priester ja doch auch Erotik erleben und Kinder zeugen, die sie meistens dann verbergen und verleugnen, die Alimente zahlt der Bischof oder die Ordensleitung. Das sind beträchtliche Summen an Kirchensteuern etwa… An die verstoßenen Frauen und an die Kinder, die ihren Vater nicht kennen, nicht nennen dürfen, denken die wenigsten hohen Klerus-Funktionäre. Sie zahlen ja, das ist alles. Das System bleibt erhalten… Ein regelrechter Hass auf Homosexuelle zeigt sich erneut in der römischen Kirche bis hinauf zu diesem Papst, den einige einst noch für akzeptabel aufgeschlossen hielten, bloß weil er ein paar linke Thesen zur Ökonomie unters Volk brachte oder Obdachlosen die Füße wusch oder Erzbischof Romero heilig gesprochen hat. Nun zeigt Papst Franziskus, dass er ins reaktionäre Lager abgerutscht ist. Vielleicht aus Angst vor den machtvollen, noch „reaktionäreren“ Prälaten in der päpstlichen Kurie… Mal sehen, was er alles verbreiten wird beim Weltjugendtreffen in Panama im Januar 2019. Kondome werden bestimmt nicht offiziell verteilt, und es wird das ungeborene Leben erneut aufs höchste verteidigt und nicht das geborene Leben im Elend und der Gewalt Zentralamerikas. Dass der unsägliche Machismus auch gewalttätig, tötend, anti—schwul ist, weiß jeder Gebildete. Wird es einen päpstlichen, kirchlichen Aufstand in Panama geben gegen den Machismus – Wahn? Wohl kaum, denn dann müsste die Kirche die Frauen endlich absolut gleichberechtigt und gleichwürdig behandeln, also etwa zum Priesteramt zulassen… Noch einmal: Der Papst schießt sich erneut auf die Homosexuellen ein, weil dies wohl auch eine Besänftigungsgeste ist bei den, sorry, völlig reaktionären Kardinälen, die so dumm sind und nicht wissen: Wer sich als Schwulen-Hasser etabliert, ist selbst schwul. Das wissen allmählich schon die Oberschüler.

Der Papst empfiehlt also dringend, wie einst schon der Ratzinger – Papst, Männer mit homosexueller Neigung nicht in den Dienst des Priestertums oder der Orden aufzunehmen. Wird diese Weisung befolgt, sind die Priesterseminare und Ordenshäuser bald völlig leer oder nur bewohnt von Lügnern, die als Schwule ihre tiefe Zuneigung zu Frauen bekennen müssen (auch diese Zuneigung dürfen sie dann ja auch nicht ausleben). Die römische Kirche ist eine Kirche, die es sich erlaubt, sich auf Jesus zu berufen, auf den Mann, den Liebhaber, den Freund (etwa zum Lieblingsjünger Johannes), die aber Liebe als erotische Liebe für ihre Priester und Ordensleute verbietet. Kann man sich etwas Unmenschlicheres in dieser Welt vorstellen: Du darfst nicht lieben als oberstes Gebot für Seelsorger! Die römische Kirche sollte sich vom Zölibat befreien. Das wurde millionenfach seit Jahrhunderten gesagt von klugen Theologen und klugen Psychologen. Sie sollte sich der Wissenschaft und den Lebenserfahrungen reflektierter Menschen anschließen und lehren: Homosexualität ist eine ganz normale Variante menschlicher Sexualität. Basta! Und die Bischöfe und der Papst sollten die Gemeinden befragen, ob sie denn so furchtbar leiden unter homosexuellen Priestern. Wahrscheinlich ist dies eher nicht der Fall. Ich kannte –als ehemaliges Mitglied eines Ordens-  tatsächlich sehr viele homosexuelle Priester und Ordensleute, sehr viele, die waren und sind wahrlich alles andere als Ungeheuer. Die Gemeinden leiden wohl mehr unter der Raffgier und den Machtgelüsten heterosexueller Priester und Bischöfe.

Der Papst betreibt Homophobie. Und diese ist eine Form des Rassismus. Der Vatikan setzt die Politik des § 175 fort. Es könnte die Zeit sehr bald kommen, wo etwa katholische Homosexuelle, die dermaßen diskriminiert werden von Papst und Co., zahllose Namen nennen von homosexuellen Priestern und Ordensleuten und Bischöfen und Päpsten, so dass deutlich wird: Eigentlich ist dieser Klerus immer schon schwul gewesen, er hat sich nur selbst gehasst,  weil er der offiziellen unmenschlichen Kirchen – Ideologie/Moral dann doch entsprochen hat. Und, dies sehen wir heute: Weite Kreise des Klerus sind wegen dieser Unterwürfigkeit seelisch krank geworden. Kranke Priester sind also die Seelsorger der Gemeinden… Quelle: https://www.aciprensa.com/noticias/papa-francisco-un-homosexual-no-puede-ser-sacerdote-ni-consagrado-89755 Papa Francisco. La fuerzade la vocación. La vida consagrada hoy. Una conversación con Fernando Prado( Publicaciones Claretianas)

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

Von Schleiermacher heute lernen. Ein Hinweis von Prof. Wilhelm Gräb

Von Prof. Wilhelm Gräb, Berlin, November 2018  – anlässlich des 250. Geburtstages von Friedrich Schleiermacher

Veröffentlicht im Interview „Religion gefährlich und unentbehrlich“

Friedrich Schleiermacher wird von Theologen und Kirchenleitungen gern der „Kirchenvater des 19. Jahrhunderts“ genannt. Es gibt jetzt sogar eine Sonderbriefmarke zu Ehren seines 250.Geburtstages. Als diese im Berliner Dom vor kurzem der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, ist auch wieder an diesen angeblichen „Kirchenvater des 19. Jahrhunderts“ erinnert worden. Doch er wurde dies leider nicht und auch heute müsste sich in unseren Kirchen erst noch enorm viel ändern, bevor Schleiermacher seine Ideen zu einer Kirche, die in die moderne Zeit passt, auch nur einigermaßen verwirklicht sähe.

Gewiss, Schleiermacher ist seiner Zeit selbst auch Kompromisse mit der dem landesherrlichen Kirchenregiment unterstehenden preußischen Kirche eingegangen. Aber er hat sich doch mit dem König, Friedrich Wilhelm III., aufs heftigste angelegt als dieser im sog. Agendenstreit auch noch über die gottesdienstlichen Ordnungen bestimmen wollte. Schleiermachers Ideal war eine sich von unten, durch die Selbsttätigkeit der Gemeinden aufbauende Kirche, die radikale Trennung von Thron und Altar, Kirche und Staat. Er wollte eine christliche Gemeinde, die ihre Angelegenheiten selbst regelt, weil sie durch die Mitbeteiligung aller an einer Verständigung über die alle gleichermaßen betreffenden Belange des Lebens zusammengehalten wird. Die Religion gehörte für ihn essentiell zum Menschsein, weil ihm das Bewusstsein der Gottesbeziehung zugleich der Grund menschlicher Freiheit war. Den religiösen Glauben verstand er als eine unerschöpfliche Quelle der Lebenskraft, als Grund einer allen Menschen mitgegebenen Befähigung zu Autonomie, zur Selbstbestimmung in den religiösen wie in allen anderen Dingen des Daseins.

In seinen „Reden über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern“ (1799), 10 Jahre nach der französischen Revolution, entwickelte Schleiermacher sein bis heute inspirierendes Kirchenideal. Er sprach von der Kirche als einer „vollkommenen Republik“, in der alle wechselseitig aufeinander wirken, Geben und Nehmen allen gleichermaßen eigen, die Unterscheidung zwischen Priestern und Laien aufgehoben ist. Eine Kirche, die dennoch nicht nur ein frommer Zirkel ist, sich nicht aus der Welt zurückzieht, sondern die „Anschauung des Universums“ betreibt, die Suche nach dem Sinn des Ganzen und unseres eigens Dasein zu ihrer Sache macht.

Es braucht Orte und Gelegenheiten in der Gesellschaft, wo wir uns über die existentiellen Fragen des eigenen Lebens und wie über das, was die Gesellschaft im Innersten zusammenhält, verständigen können. Dass die Kirche ein solcher Ort in der Gesellschaft sein könnte, das war Schleiermachers Traum. Ich meine seine Impulse sind aktueller denn je!

copyright: Wilhelm Gräb, Berlin.

 

Wird der Katholizismus rechtsextrem vergiftet ?

Ein Hinweis von Christian Modehn

Immer mehr aktuelle Ereignisse zeigen: Der gegenwärtige Katholizismus wird weltweit von rechtsextremen Führern und damit von rechtsextremen Ideologien durchsetzt. Das wird nicht umfassend genug wahrgenommen, weil das kritische Interesse in der Kirche wie der Öffentlichkeit – zurecht ! – auf die weltweiten Verbrechen des sexuellen Missbrauches durch Priester usw. fixiert ist. Aber es gibt viel mehr Gefährliches…

Leider gibt es seit Jahrzehnten auch rechtsextreme Gruppen in evangelischen bzw. evangelikalen und pfingstlerischen Kreisen. In den USA gehören fundamentalistisch Bibelgläubige zu den leidenschaftlichsten Anhängern des großen Lügen-Propagandisten Trump. In Brasilien haben jetzt auch dort politisch (und in den Medien) einflussreiche Evangelikale den allgemein so bezeichneten Neofaschisten Bolsonaro zum Präsidenten gewählt. Ich habe nirgendwo gehört, dass sich etwa deutsche Evangelikale oder Freikirchler von ihren brasilianischen Freunden distanziert haben. Die katholischen Bischöfe Brasiliens sahen sich außerstande, in einem gemeinsamen Wort ausdrücklich vor der Wahl Bolsonaros zu warnen. Sie zeigten sich zögerlich – sympathisch – neutral, unterstützten also indirekt die Wahl Bolsonaros.

Ergänzung am 15. November 2018 von Christian Modehn: Evangelikale – eine politische Schande für die USA und Brasilien

1.Sehr viele Europäer wussten es schon, nun bestätigen es „Nachwahlbefragungen“ erneut: So genannte praktizierende Christen, vor allem Evangelikale, haben bei den US Kongresswahlen 2018 mehrheitlich (61 %) für Trump und die Republikaner gestimmt.

Aber was heißt „praktizierend“? Sonntags an den Gottesdiensten teilnehmen; pro life Aktionen mit absolutem Eifer unterstützen; den Pastoren viel Geld spenden; die Bibeltexte wortwörtlich lesen, also fern von jeglicher theologischer Kritik. Die sehr konservative website kath.net hat das (am 9.Nov. 2018) berichtet: Atheisten und Christen, die eher selten oder nie Gottesdienste besuchen, haben Demokraten gewählt. Dabei können diese Menschen wohl noch zwischen Götzen, Führern, und Gott unterscheiden… Und sie praktizieren an der politischen Basis oft die Menschenrechte, den Schutz der Flüchtlinge usw. Eine Praxis, die dem Denken Jesu von Nazareth zweifelsfrei sehr nahe steht…Vom Tempel/Gottesdienst-Besuch hielt Jesus von Nazareth bekanntlich nicht  viel… Empathie, Nachdenken, Solidarität waren ihm wichtiger… Bei den US-Katholiken hat jeder Zweite für die Republikaner (Trump) gestimmt…

2.Mit dem Wahn und dem offenkundigen intellektuellen, politischen und theologischen Niveauverlust der Evangelikalen in Brasilien werden sich hoffentlich sehr bald auch in Deutschland Religionswissenschaftler und Soziologen befassen. In Brasilien sind die Evangelikalen die leidenschaftlichsten Unterstützer des neuen Präsidenten Bolsonaro. Darauf habe ich schon mehrfach hingewiesen. Nun wird es im „Tagesspiegel“ durch Philipp Lichterbeck, Rio de Janeiro, erneut bewiesen (am 15. November 2018). Die unflätigen Reden Bolsonaros werden dokumentiert, seine Hasstiraden, seine Politik der Ausgrenzung und Menschenverachtung, oder, wie Beobachter treffend sagen, sein „Neofaschusmus“. „Die Pastoren der konservativen evangelikalen Kirchen beten inbrünstig für Bolsonaro“, so Lichterbeck.

Wann können wir berichten: Die deutschen Evangelikalen (die Evangelikalen in den USA können es ja nicht wegen ihrer Bindung an Bolsonaros Vorbild Trump) distanzieren sich also wenigstens deutsche Evangelikale und Pfingstler explizit von ihren „Glaubensbrüdern“ in Brasilien?

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Der Religionsphilosophische Salon Berlin befasst sich auch zentral mit der Kritik der Religionen und Konfessionen.

Von daher unser Interesse an dem Thema, das ich hier nur für den katholischen Bereich andeuten will. Dies als Aufforderung, wahrzunehmen, was heute katholische Kirchenführer politisch äußern. Etwa zum Ende des 1. Weltkrieges, zur AFD, zur Partei Marine Le Pens, zur FPÖ, zu Italiens Neofaschisten oder Polens Katholiken, besonders zu dem rechtsextrem-katholischen Radiosender Maryja unter dem Redemptoristen Pater Rydzyk, der immer noch seine nationalistischen und antisemitischen Beiträge senden darf, ohne dass etwa Rom diesen rechtsradikalen Priester zum Schweigen bringt. Auch die anhaltende Bemühung um Versöhnung Roms mit den katholischen Traditionalisten der Bewegung Lefèbvre, die gerade in Frankreich oft rechtsextrem orientiert sind, gehört hierher.

Darum der erste und entscheidende Gesamteindruck: Die katholische Kirchenführung duldet rechtsextreme Positionen innerhalb der Kirche sehr viel mehr als – vergleichsweise – linksextreme Positionen. Beide Extreme sind falsch. Aber für den Katholizismus sind spätestens seit den Konkordaten mit Mussolini und Hitler Rechtsextreme bzw. Faschisten irgendwie sympathischer als etwa Kommunisten. Von den widerwärtigen Polemiken etwa Papst Gregor XVI. gegen die Menschenrechte einmal ganz abgesehen….

Diese Bevorzugung des Faschismus sah man auch in der politischen Haltung des polnischen Papstes etwa gegenüber den faschistischen Diktaturen in Chile, Argentinien, Brasilien usw. Und in dem Zerstören angeblich linksextremer Positionen in „der“ Befreiungstheologie durch die Glaubensbehörde unter Ratzinger.

Die römische Kirche hat stets den Rechtsextremen mehr verziehen als den Linksextremen. Aber diese Blindheit der Kirche muss ausführlicher studiert werden. Das liegt daran, dass die Rechtsradikalen und Faschisten eher noch von „Gott“ sprechen als die Kommunisten etwa. Die wollen, so die katholische Kirchenführer, eine antigöttliche Gegenwelt, ein gottloses „Reich Gottes“ aufbauen… Das bloße Gerede von Gott durch Faschisten und Rechtsradikale finden offenbar viele Bischöfe, Prälaten usw. also sympathisch. Man denke an Spanien, an Franco, usw… Dies gilt bis heute.

Im Focus der aktuellen Aufmerksamkeit sollte der us –amerikanische Katholik Steve Bannon stehen. Bannon ist politisch Interessierten bekannt, er war (und ist im Hintergrund?) der Chefstratege von Mister Trump, verbandelt mit US – Milliardär Robert Mercer. Ich habe 2017 schon ein rhetorische Frage gestellt: Sollt der Papst Bannon, wie Mafiabosse bereits auch, exkommunizieren? Denn Bannon ist bekennender Katholik und bemüht sich nun in zahlreichen Treffen in Europa, ein rechtsradikales Netzwerk der rechtsextremen Parteien Europas zu festigen, dieses Netzwerk heißt „The Movement“. Damit will er Einfluss nehmen auf die Europawahl 2019.

In Rom/Vatikan hat sich der rechtsextreme Katholik Bannon etablieren können. Er ist eng mit dem offiziell katholischen Institut „Dignitatis Humanae“ in Rom verbunden. Dieses Institut nennt sich unbescheiden „Denkfabrik“, zum Beirat gehören unter anderen die bekannten sehr konservativen (und Franziskus – feindlichen) Kardinäle des päpstlichen Hofes (curia) Peter Turkson, Robert Sarah und der deutsche Reaktionär Kardinal Walter Brandmüller. Dazu gehört auch der Feind des Papstes, Erzbischof Viganò.

Nun haben diese Herren ein neues Tagungshaus ausbauen können, das wunderschöne, herrlich gelegene ehemalige Karthäuserkloster „Certosa di Trisulti“. Steve Bannon hält – auch per Videoschaltung – dort Vorträge. Der Journalist Thomas Migge (Rom) berichtete im Deutschlandfunk am 25.10. 2018 über dieses rechtsextreme katholische Studienzentrum und er nennt in dem Zusammenhang auch den Priester Don Curzio Nitoglia aus den Traditionalistenkreisen: Er ist davon überzeugt, berichtet Migge, dass das „christliche Europa“ bedroht sei, von den, so der Geistliche, islamischen „Horden“ aus Afrika und von „gottlosen Kapitalisten“ und Juden aus den USA. Don Nitoglia: „Die USA gründen sich auf drei Ideen: das Freimaurertum, den Judaismus und einen liberalistischen Protestantismus. Dann sind da noch die Hochfinanz, die Banken und eben die Juden. Diese Kräfte sind die Feinde der römisch-katholischen Kirche. Sie wollen sie zerstören. Das haben sie schon mehrfach versucht: erst mit dem Proletariat in Russland, dann mit der Studentenbewegung und jetzt versuchen sie es mit den Horden aus Afrika, die das zerstören wollen, was noch vom christlichen Europa übrig geblieben ist.“ Bannon, so wird berichtet, hat sich bereit erklärt, in diesem l ehemaligen Karthäuser – Kloster als rechtsextremem Think – Tank Vorträge zu halten. Mit Italiens Innminister Salvini ist Bannon befreundet…

Befreundet ist Steve Bannon auch mit der Regensburger Prinzessin Gloria von Thun und Taxis und auch mit deren Freund Kardinal Gerhard Ludwig Müller, dem einstigen Bischof von Regensburg und abgesetzten Chef der obersten Glaubensbehörde im Vatikan. Diese drei haben sich, laut Spiegel, getroffen. Die Prinzessin begrüßte, so ist zu hören, die Initiative Bannons, die rechten, gemeint sind die rechtsextremen Parteien in Europa zu bündeln. Dadurch werde der Wahlkampf zur Europa Wahl „spannender und farbiger“. Die Nähe der Frau Thurn und Taxis zur AFD ist bekannt: „Im September 2018 hatte Gloria von Thurn und Taxis zusammen mit der rechtspopulistischen AfD und dem konservativen Bündnis „Ehe-Familie-Leben“ in Regensburg demonstriert. Das Bündnis kritisierte unter anderem den in seinen Augen zu frühen Sexualkundeunterricht von Kindern. Hunderte Regensburger hielten dagegen und traten für „Vielfalt statt Einfalt“ ein“, so die Mittelbayerische Zeitung am 20. Oktober 2018. Kardinal Müller nützt offenbar nun alle Möglichkeiten, gegen Papst Franziskus zu agieren und seine politische Haltung und Sympathie offen zu legen. Denn er weiß genau, wer Bannon ist, als er sich mit ihm traf. Geradezu lachhaft ist in dem Zusammenhang die oft von Müller selbst oft dokumentierte Freundschaft mit dem greisen Befreiungstheologen aus Peru, Gustavo Gutierrez. Kann Müller gleichzeitig Freund von Bannon und Gutierrez sein?

Mit der AFD Stiftung arbeitet auch der ziemlich bekannte, einst bloß als konservativ bekannte Dominikaner Theologe Prof. Wolfgang Ockenfels zusammen, dieser offenbar in Freundschaft wiederum verbunden mit dem einst äußerst kirchenkritischen schwulen Aktivisten, nun aber reaktionär orientierten Laien-Theologen David Berger, der seit langer Zeit mit Kreisen im Dominikanerorden verbandelt ist. Auch David Berger arbeitet mit in der AFD Stiftung zusammen. Es ist absehbar, dass alsbald ein katholischer Arbeitskreis innerhalb der AFD gegründet wird?

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

Zur Aktualität der Schrift „Die Anweisung zum seligen Leben“ (1806). Von Johann Gottlieb Fichte.

Ein Gastbeitrag von Wolfram Chemnitz, Hannover

Johann Gottlieb Fichtes „Die Anweisung zum seligen Leben“ ist wohl die Schrift aus der klassischen Moderne, die über das Verhältnis von Philosophie und Lebenshilfe am gründlichsten Auskunft gibt. Lebenshilfe erinnert an die Bedürftigkeit des Menschen. Fichtes Schrift ist der Versuch, aus der Philosophie heraus dem Menschen in seiner Gratwanderung zwischen Eigenliebe und Nächstenliebe nicht allein zu lassen. Es ist wohl hier der Ort, an dieses großartige Werk zu erinnern.

Von Kant herkommend hatte es Fichte zunächst abgelehnt, dessen Lehre von einer „Welt an sich“ zu übernehmen. Zu einer unerkennbaren „Welt an sich“ kann der Mensch nicht in ein freies Verhältnis eintreten. Der Bruch zwischen Mensch und Welt bleibe nach Kant fixiert. Dies sei unvereinbar mit der Freiheit, zumal nach Fichte alles, was mit dem Ich geschieht, eine Sache seines eigenen Tuns sein muss. So gibt es zunächst nur das „absolute Ich“.

Das „Ich“ bedarf aber, um sich selbst zu erkennen, eines anderen Ichs. Das freie Ich kann sich nur in einem ebenfalls freien Ich wiederentdecken. So bleibt das Ich in der Differenz bei sich selbst.

Der späte Fichte erkennt, dass auch die Idee der Freiheit einer Schranke bedarf, um da sein zu können. Im Ruf des Gewissens wird der Mensch gewahr, dass Freiheit nicht Beliebigkeit heißt. Der Ruf des Gewissens ist die stete Erinnerung, dass die Besonderung eigentlich nicht sein soll. An die Stelle des absoluten Ichs tritt der absolute Gott als das uneingeschränkte Allgemeine. Dies ist der ideengeschichtliche Ort, aus dem Fichtes Schrift „Die Anweisung zum seligen Leben“ hervorgegangen ist.

Hier sind Leben, Liebe und Seligkeit eigentlich dasselbe. Jedes Leben ist bewegt von einem Ziel oder Telos, in welchem es seine Erfüllung findet. Der Gedanke eines unseligen Lebens enthält einen Widerspruch, denn unselig ist nur der Tod, mithin der Stillstand jedweder Bewegtheit. Die Liebe teilt das an sich unbewegte, tote Sein in ein zweifaches Sein, zumal Liebe heißt: im Anderen bei sich selbst sein. Die Liebe ist von der Sehnsucht bewegt, im Gegenüber sich selbst anzuschauen und von sich zu wissen. So schafft die Liebe ein Ich oder selbst, in welchem die Wurzel seines Lebens ruht. Ohne Liebe würde das Ich sich nur kalt und ohne alles Interesse anschauen. Das durch die Liebe bewegte Leben ist selig in der Freude des Wiederentdeckens.

Nicht alles, was als lebendig erscheint, ist selig. Das Unbewegte ist allein auf sich selbst zurückgeworfen. Es ist fixiert auf die Eigenliebe und so ausschließend. Allein in der Sehnsucht, sich mitzuteilen, ist es noch mit der Welt verbunden. Das natürliche menschliche Dasein existiert in dem Streit zwischen Eigenliebe und Nächstenliebe. Es bleibt so notwendig unvollkommen. Die wahre Individualität im Sinne Fichtes gibt sich wohl einen ausschließenden Charakter; diese Besonderheit besteht aber in dem, was jeweils als liebenswert oder erstrebenswert angesehen wird: „Offenbare mir, was du wahrhaftig liebst, was du mit deinen ganzen Sinnen suchest und anstrebest, wenn du den wahren Genuss deiner selbst zu finden hoffest – und du hast mir dadurch dein Leben gedeutet.“

Das vermeintlich unbewegte Sein wird Lebendiges in der bewussten Individuation. Die Individuation geschieht, indem wir uns selbständig und selbsttätig dem zuwenden, was wir lieben.

Fichte unterscheidet das einfache, unveränderliche und ewig sich gleichbleibende Sein von dem im unaufhörlichen Wechsel zwischen Werden und Vergehen stehenden Dasein. Dem wahrhaftigen Leben ist die Liebe der Mittelpunkt; die Liebe, wie sie in dem Wechselhaften das Gleichbleibende sucht. Die Fixierung auf das Vergängliche ist ein bloßes Scheinleben, welches notwendig unselig ist, zumal ihm die Freude der Wiederentdeckung des eigentlichen Selbst verwährt bleibt.

„Jener geliebte Gegenstand des wahrhaftigen Lebens ist dasjenige, was wir mit der Benennung Gott meinen, oder wenigstens meinen sollten; der Gegenstand der Liebe des nur scheinbaren Lebens, das Veränderliche, ist dasjenige, was uns als Welt erscheint und was wir also nennen.“

Die Negation des Göttlichen ist empfindbar in der Sehnsucht und in der Reue. Indem sie bloß gefühlt wird, ist sie noch nicht verstanden. Worin die Glückseligkeit zu finden ist, wird oft nicht gewusst. Es geht hier um die Frage, wie kommt der je individuierte Mensch in ein Verhältnis zu Gott als dem uneingeschränkten Allgemeinen. Der Mensch ist sowohl denkend als auch fühlend. Im Gefühl kann jeder zufällige Inhalt sein: Gutes und Schlechtes. Entscheidend ist der Inhalt; diesen aber bringt der Gedanke hervor. Den Gegensatz von individuierter Besonderheit und Alleinheit vermag nur der Geist in der Form des Gedankens zugleich zur Einheit zu bringen. In der Natur sind die Gegensätze nacheinander. Aus dem Samen entsteht die Pflanze, aus dieser die Blüte, aus dieser die Frucht. Der Mensch aber ist Geist und Persönlichkeit, insofern er den Gegensatz von Trieb und Vernunft oder Eigenliebe und Nächstenliebe zugleich zur Einheit führt. Für Fichte ist das Element, die substantielle Form des wahrhaftigen Lebens der Gedanke.

Den seligen Gedanken einer Einheit des Menschlichen und Göttlichen vermag nur eine seiner selbst bewusste Persönlichkeit hervorzubringen und zu genießen.

Das frühe Christentum machte den Glauben zur ausschließenden Bedingung des seligen Lebens und dieser Glaube ist für Fichte dasselbe wie der hier erörterte Gedanke. Erst nach dem Verschwinden des Glaubens hatte man die Bedingung des seligen Lebens in die Tugend gesetzt „und so auf wildem Holze edle Früchte gesucht.“ Die uralte Frage, ob Seligkeit das Resultat eines Verdienstes oder einer Gnade ist, kommt hier zur Sprache.

Fichte erörtert ausführlich den Prolog zum Johannes-Evangelium: „Am Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott.“ Somit war das Wort oder die Form vor aller Zeit.

In der Kraft zur Unterscheidung, also im Ur-teilen, sind wir selbständig und frei; wie Gott. Es ist mithin das menschliche Bewusstsein, in welchem sich die göttliche Kraft zur Unterscheidung offenbart. Das menschliche Bewusstsein ist so die Offenbarung Gottes als Logos oder sinnhafter Kosmos.

Fichte tritt der Aussage der Genesis entgegen, in welcher es heißt: „Am Anfang schuf Gott …“ Mit der Lehre von der Schöpfung wird, so Fichte, ein Ursache/ Wirkungsmechanismus behauptet. Das, was eigentlich ein überzeitliches Geschehen ist, wird als zeitliche Abfolge angesehen. Die zeitliche Kausalität, welche der menschliche Erkenntnisapparat zu seiner Orientierung in der Welt benötigt, wird hier unzulässig auf die Ewigkeit übertragen. Mit der Unterscheidung von Schöpfer und Geschöpf wird ein unüberwindbarer Bruch zwischen Gott und Mensch fixiert. Allein der Gedanke, dass das Wort oder die Form sowohl am Anfang der Zeit als auch in der überzeitlichen Ewigkeit, also bei Gott, ist, kann das Zugleichsein scheinbar Entgegengesetzter fassen.

Die Lehre vom allmächtigen Schöpfergott sei geeignet, so sinngemäß Fichte, als Folie für die Legitimation von Herrschaftsstrukturen gebraucht zu werden.

Die Liebe ist die Form, in welcher die Einheit des Seins (Gott) sich in das Dasein übersetzt. Diese Form war bei Gott, also schon vor der Zeit. Das menschliche Bewusstsein als der Ort der göttlichen Offenbarung bringt die Welt und in ihr Menschen, Tiere unmd Pflanzen nach der überzeitlichen Form der Liebe hervor. So wird unser reflektiertes Handeln zu einem Werkzeug der Einheit des Seins. Das Sollen ist hier nicht eine äußerliche Pflichtenlehre, sondern das Handeln entfließt still und ruhig in der Liebe. Johannes sagt: „Wer in der Liebe bleibet, der bleibet in Gott und Gott in ihm.“

Copyright: Wolfram Chemnitz

 

Bolsonaro, Brasilien, wird von fundamentalistisch frommen Christen gewählt. …Wenn das „Opium des Volkes“ politisch wirkt.

Ein Hinweis von Christian Modehn zu der Tatsache: Dass fundamentalistische Kirchen die Politik vergiften.

Für die Arbeit des Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salons Berlin ist, wie der Name sagt, auch wichtig: Die Rolle der Religionen und Kirchen in der Gesellschaft, damals und heute, zu studieren und zu dokumentieren. Und Klartext zu reden. Auch über Religionen, die nicht auf dem Niveau der Menschenrechte agieren!

Und zum Wahlsieg von Jair Messias (sic!) Bolsonaro in Brasilien müssen einige, leider in Deutschland selten ausführlich dokumentierte, Erkenntnisse mitgeteilt und zur Diskussion gestellt werde.

Dabei geht es zentral um die Rolle fundamentalistisch orientierter evangelikaler Kirchen in Brasilien, die Bolsonaro, zwar nicht als die einzigen, aber sicher entscheidend die Herrschaft ermöglicht haben. Klar ist auch, es gibt sicher Minderheiten sozial engagierter und politisch reflektierter Evangelikaler und Pfingstler, etwa auch in den vielen Elendsvierteln. Nicht alle Evangelikaen haben Bolsonaro gewählt, aber eben doch eine absolute Mehrheit, angetrieben von den einflussreichen Führern (genannt Prediger).

1.Religionskritik ist also die entscheidende philosophische Reflexion. Theologie hilft bei der Kritik der Konfessionen nicht weiter. Denn die Theologie ist viel zu befangen und abhängig von den Weisungen der Chefs dieser Kirchen.

2.Bolsonaro wird übereinstimmend, international, in der demokratischen und auf Menschenrechte verpflichteten Presse, als Rassist, als Faschist, als Neofaschist oder als Wegbereiter einer Militärdiktatur in Brasilien bezeichnet. Dies sind Titel, die aus den unsäglichen Hasstiraden, dem Verhalten und dem Parteiprogramm Bolsonaros begründet entnommen werden.

  1. Noch einmal: Die Evangelikalen und Pfingstler in Brasilien haben ganz entscheidend zum Sieg Bolsonaros beigetragen. Schon im ersten Wahlgang haben fast zwei Drittel dieser fundamentalistisch Frommen Bolsonaro gewählt. Man muss sagen: Diese angeblich so Bibel treuen Frommen ermöglichen mit ihrer Bindung an Bolsonaro eine neue Ära rechtsextremer Gewalt und rechtsextremer Bündnisse in Lateinamerika und den USA vor. Religionspsychologen würden wohl von frommer Dummheit ohne Sinn für Demokratie sprechen.

4.Diese evangelikalen Kreise in Brasilien unterstützen Bolsonaro, weil ihr Wertesystem getrimmt ist auf den Schutz des ungeborenen (!) Lebens, auf das rigide Verbot von Abtreibung, auf die klassische Familie, auf die Abwehr des Feminismus, den Hass auf Homosexuelle usw. Diese Christen zeigen deutlich: Die Pflege der Menschenrechte ist nicht ihre Sache. Ob man in evangelikalen Kreisen Deutschland eine öffentliche und deutliche Distanzierung von den Glaubensbrüdern in Brasilien erlebt?

5.Diese theologisch fundamentalistisch denkenden Evangelikalen in Brasilien lieben es, wenn Bolsonaro „Gott über alles stellt“, nachdem er kurz zuvor „Brasilien über alles“ (dem Beispiel von Mister Trump folgend) predigt.

  1. Diese theologisch fundamentalistisch (d.h. unaufgeklärt denkenden Evangelikalen) sind also nicht primär an den Werten der Demokratie und der Menschenrechte interessiert. Sie sind durch die Bibellektüre und die einpeitschenden Predigten ihrer sich ständig bereichernden Chefs, „Prediger“ genannt, so verblendet, dass sie eine rassistische Führergestalt, Bolsonaro, unterstützen.

Die wortwörtliche Bibeldeutung dieser Kreise entspricht genau der wortwörtlichen also fundamentalistischen Bibeldeutung der portugiesischen Kolonialherren vom 15. bis ins 19. Jahrhundert. Die heutigen Evangelikalen und Pfingstler dort sind also die theologische Fortsetzung des Kolonialismus. Was für eine Schande, die diesen Leuten selbst wohl kaum bewusst ist. Mit Bolsonaro wird auch das kolonialistische Verhalten gegenüber den indianischen Völkern fortgesetzt werden, indem zugunsten des Profits der weißen Kapitalisten der Lebensraum dieser armen Menschen rund um den Amazonas eingeschränkt und zerstört wird.

7.Mit anderen Worten: Diese evangelikalen Menschen sind sozusagen aufgrund ihrer Religiosität politisch völlig desorientiert, wenn man die demokratischen Werte als Norm ansetzt. Dabei spielen natürlich für sie auch ökonomische Interessen mit, etwa das Versprechen der in den Kreisen üblichen Theologie des Wohlstands, die Überwindung der Gewalt in den Städten usw.

  1. Sie meinen, der Rassist Bolsonaro und seine Militärs könnte mit massivster Gewalt die bestehende Gewalt in den Städten und auf dem Land ausrotten. Diese Christen meinen auf eine Vernunft geleitete Gesellschaftsanalyse verzichten zu können, um Gewalt zu beenden, also durch Umverteilung des Reichtums, durch humane Ökologie, durch bessere Bildung für alle, würdige Wohnungen für alle usw. Dieses Projekt kann auch in Brasilien nur gelingen, wenn die Reichen sich zur Gerechtigkeit bekehren. Aber daran denken nur wenige dieser fundamentalistisch frommen Massen. Anstelle der Vernunft werden Emotionen, Hass, Neid, dumme Sprüche der Herrschenden hochgeschätzt.

9.Den evangelikalen Kreisen hat es sehr gefallen, dass der getaufte Katholik Bolsonaro offenbar aus taktischen Gründen 2017 nach Israel reiste und sich von Predigern der reaktionären, aber auch in denMedien mächtigen Pfingstkirche „Assemblies of God“ taufen ließ. Der sehr einflussreiche evangelikale Pastor Silas Malafaia sagte über seinen Freund Bolsonaro: „In Brasilien haben wir einen Macho wie ihn nötig, der alle Normen und Werte der christlichen Familie verteidigt“.

10.Die Brasilianer haben sich bereits zu mindestens 30 Prozent diesen evangelikalen und pfingstlerischen Gemeinschaften zugewendet. Brasilien ist längst nicht mehr das „stärkste“ katholische Land der Welt. Das hat Gründe. Vor allem die Zurückweisung einer echten Autonomie der katholischen Basisgemeinden durch den Vatikan, vor allem unter Ratzinger und den polnischen Papst hat für den massenhaften Exodus aus dem Katholizismus gesorgt. Die Befreiungstheologie wurde von allen reaktionären Medien, auch den katholischen, verunglimpft und wie üblich als marxistisch bzw. kommunistisch missverstanden und diffamiert. Dies reaktionären klerikalen Machthaber in Rom und Brasilien haben rigoros verboten, dass ausgebildete Laien, Frauen und Männer, in den Basisgemeinden offiziell als PriesterINNen arbeiten können, also Gemeinde bilden und die Messe feiern. Die katholischen Gemeinden verödeten also. Schuld daran ist eindeutig die katholische Kirchenführung. Und jetzt jammert man in Rom, dass Brasilien nicht mehr katholisch ist…Rom ist also mitschuldig am Sieg des Rassismus, Faschismus usw. in Brasilien jetzt.

11.Die katholische Kirchenführung begeht nun aber seit Jahren den Fehler: sie empfiehlt aus taktischen Gründen sozusagen evangelikale und pfingstlerische Elemente innerhalb der katholischen Kirche, um diese fest und fixierte Kirchen-Institution förmlich zuretten, etwa in der Bewegung der katholischen Charismatiker oder der politisch völlig uninteressierten Neokatechumenalen.

  1. Die katholische Kirchenführung kann ohnehin selbst nicht umfassend glaubwürdig für Demokratie und Menschenrechte eintreten, weil sie selbst in ihrer eigenen Verfassung und Struktur weder Demokratie praktiziert noch die Menschenrechte umfassend für alle Mitglieder respektiert (etwa am Beispiel der umfassenden Gleichberechtigung von Frauen, der Ehe von Homosexuellen). Im übrigen folgen reaktionäre Katholiken der Vorstellung, das ungeborene Leben zu schützen sei absolut wichtiger als den vor Hunger sterbenden Armen beizustehen und für eine gerechte und humane Gesellschaft zu sorgen. Ich bin ja kein Feind des Lebens, wenn ich von einem fundamentalistischen Wahn für den absolutesten Schutz des ungeborenen Lebens spreche…
  2. Die katholische Kirche in Brasilien ist nicht nur unglaubwürdig in ihrer Praxis und Lehre. Sie ist auch mitschuldig, dass so viele fromme Leute in den Wahn eines naiven, unreifen und Menschen unwürdigen fundamentalistischen Bibel-Glaubens abdriften … und nun konsequenterweise eben Bolsonaro wählen.
  3. Ein Problem ist auch, dass die brasilianischen Bischöfe überhaupt nicht mit einer einzigen gemeinsamen und dadurch massiven Stimme vor der Wahl von Bolsonaro gewarnt haben! Im Fall dieser höchsten Not hätten sie die Katholiken sozusagen einmal explizit und mit der ihnen vertrauten Macht auffordern müssen, NICHT Bolsonaro zu wählen. Diese präzisen Wahlempfehlungen sind normalerweise in demokratischen (!) Staaten völlig überflüssig und theologisch höchst problematisch. Aber in Brasilien ging es jetzt darum, wie ein Journalist schreibt, zwischen Schnupfen und der Pest zu wählen. Die Bischöfe haben die Pest mit ihrer angeblich neutralen Haltung nicht verhindert, vielleicht denken einige Bischöfe ohnehin sehr autoritär und Frauen-feindlich und Schwulen-feindlich wie Bolsonaro. Die katholische Kirche Brasiliens wird wohl sich alsbald mit sexuellem Missbrauch durch Priester auseinandersetzen müssen. Vielleicht hilft Bolsonaro dann den Bischöfen, die Fakten möglichst zu verschleiern. Denn auch den katholischen Bischöfen muss er ja dankbar sein, haben sie doch so hübsch neutral und nur in Gemeinplätzen sprechend sich letztlich doch für ihn, den Rechtsextremen und Rassisten, eingesetzt.

Nebenbei: Man stelle sich vor: Anstelle des Neofaschisten Bolsonaro wäre ein kommunistischer Kandidat an die Macht gekommen: Die gesamte katholische Weltkirche hätte einen Sturm der Entrüstung losgedonnert, wie üblich hält die katholische Kirchenführung Faschismus für weniger schlimm als den Kommunismus. Auch Bolsonaro spricht ja so viel vom lieben Gott….

  1. Diese frommen Fundamentalisten werden also erleben, wie die Grundrechte verschwinden, Oppositionelle erschossen, die Indigenas unterdrückt, die Wälder abgeholzt werden etc.
  2. Nur wenn man den Mut hat, innerhalb der weiten christlichen Ökumene auch von katastrophalen fundamentalistischen Wahngebilden zu sprechen, kann ernsthaft eine Wahrhaftigkeit entstehen. Und vielleicht noch in letzter Minute sich die Vernunft durchsetzen.
  3. Wer sich heute noch Christ nennt, muss sich oft schämen über diese verblendeten antidemokratischen Mit“christen“, wie jetzt in Brasilien. Das ganze Phänomen drückt eine unglaubliche intellektuelle und moralische Schwäche des so genannten christlichen Glaubens in dieser zerrissenen modernen Welt aus.

18.Es ist bezeichnend, dass der Meister der Lügen, Mister Trump, einer der ersten „Prominenten“ war, der seinem Schüler Bolsonaro, auch er ein Spezialist für Lügen und ein Profi für alle Unverschämtheiten, gratuliert hat. Auch die konservativen Regierungschefs in Chile, Kolumbien und Argentinien gratulierten dem Faschisten. Es bildet sich ein neuer brauner Block in Südamerika, wie einst, um 1970 bis ca. 1990.

  1. Wie die zahlreichen Mitglieder der afrobrasilianischen Candomblé Kulte gewählt haben, ist noch unbekannt; werden sie der Vernunft gefolgt sein oder den dort üblichen Emotionen? Wie haben die zahlreichen Atheisten gewählt und die dort zahlreichen Anhänger des Spiritismus? Auch das ist noch unbekannt…

Ein Literaturhinweis: Die Journalistin Lamia Oualalou hat in ihrer Studie über Kirchen in Brasilien mit dem Titel „Jésus t’aime !: La déferlante évangélique“ (Editions du Cerf, Paris, 2018) dokumentiert, wie Pastor Josué Valandro aus Rio des Janeiro seine Gläubigen um Geld bittet: „In der Bibel steht es: Gott wird seine Pforten dem öffnen, der spendet“. 500 Jahre nach Luthers The­sen­an­schlag sind es Pfingstler, die den Ablass wieder einführen.

COPYRIGHT: Christian Modehn,Religionsphilosophischer Salon Berlin

Die Angst der katholischen Kirche vor ihren Theologen

Von Christian Modehn am 1.11.2018. (In kürzer Form veröffentlicht in PUBLIK FORUM ONLINE am 22.10.2018)

Ein Motto, veröffentlicht am 11.11.2018: Zitate von Pater Klaus Mertes SJ, in “Die Zeit”, 11. Okt. 2018, Seite 58:

“Die penetrante Selbstsicherheit, mit der Vatikanbeamte in seriöse theologische Lehre und Seelsorge eingreifen, ist bildungsfeindlich”.

Und noch ein verstärkendes Zitat von Pater Mertes, im “Tagesspiegel”, 23. Oktober 2018, Seite : “Das Raumschiff Vatikan beherbergt zu viele Menschen, die sich im Besitz der Wahrheit wähnen. Das gibt ihnen ein Gefühl der Unverwundbarkeit”. Und dann in indirekter Rede: Diese Leute im Vatikan würden getrieben von dem zerstörerischen Wahn der Unverwundbarkeit”.

Mein Text vom 1.11.2018:

Sie entscheiden, was katholische Theologie ist und wer sie lehren darf: Vatikanische Behörden ignorieren Erkenntnisse der historisch-kritischen Bibelwissenschaft und verweigern dem Jesuiten und Bibelwissenschaftler Ansgar Wucherpfennig die Fortsetzung seines Amtes als Leiter der Hochschule St. Georgen. Die römischen Behörden erteilen ihm nicht das für katholische Theologen weltweit immer noch erforderliche »Nihil obstat«, die Unbedenklichkeitserklärung. Dabei hatte Wucherpfennig nur den allgemeinen Stand der Forschung ausgesprochen, als er in einem Interview bereits vor zwei Jahren auf die historische Bedingtheit (und damit sachliche Begrenztheit) biblischer Aussagen zur Homosexualität aufmerksam machte. Das zeigt, wie groß die Angst der Kirche vor der historisch-kritischen Arbeit ihrer Theologen ist. Denn diese Methode müsste eigentlich auch auf ethische und dogmatische Lehren angewendet werden. Und dann würde auch etwa über das Entstehen des Erbsündedogmas oder der Trinität ganz anders nachgedacht werden oder über den Anspruch, der Papst sei in Glaubens – und Sittenfragen unfehlbar. Dann müssten also auch Dogmen korrigiert, möglicherweise aufgehoben werden.

Der Vatikan und die meisten Bischöfe haben deswegen enorme Angst, dass sich die historisch – kritische Forschung umfassend durchsetzt. Darum gibt es die Zurückweisung des Bibelwissenschaftlers Wucherpfennig!

Theologen als Wissenschaftler müssen frei forschen dürfen. Wer letztlich in Deutschland die Theologie bestimmt, demonstriert gerade wieder der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki. Er verhinderte bereits 2016 durch seine Intervention im Ministerium die vorgesehene Berufung des Theologen Joachim Negel an die Universität Bonn. Für Woelki besteht der Auftrag der Theologie nur darin, so wörtlich, »die Glaubenslehre (also die in Rom) wissenschaftlich zu vermitteln«. Dabei müsste Theologie frei und umfassend das plurale Christentum studieren und dann mit der Kirchenführung in ein partnerschaftliches Gespräch eintreten. Laut Katechismus aber sollen Theologen »Helfer« des Lehramtes sein. Die Beamten im Vatikan haben also ihre eigene Theologie, die sie für absolut maßgeblich halten.

Die Hauptfrage ist also: Ist bei dieser Abhängigkeit von der Kirchenleitung katholische Theologie noch freie Wissenschaft? Man stelle sich vor, die Bundesregierung würde bei der Berufung von Politologen das letzte Wort haben! Oder das Landwirtschaftsministerium müsste seine Zustimmung geben für die Berufung von Agrarwissenschaftler und Ökologen.

Die aktuellen Ereignisse sind alles andere als Theologengezänk. Es geht um die Rolle der kritischen Vernunft. Die Forderung ist aus wissenschaftlicher und demokratischer Sicht eindeutig: Das kirchenoffizielle Berufungsverfahren muss um der Freiheit der Theologie willen verschwinden. Aber bis heute gilt das mit Hitler abgeschlossene Reichskonkordat von 1933. Darin wird den Bischöfen alle Leitungskompetenz in der universitären Theologie zugestanden. Wird das Eintreten vieler Theologinnen und Theologen für freie Forschung Erfolg in Rom haben? Wohl kaum.

Man muss also tatsächlich skeptisch bleiben, was die vernünftige Neuordnung des Verhältnisses von Theologie/TheologInnen und Lehramt heute angeht, so sehr auch einzelne Bischöfe in Deutschland jetzt eine verbale Solidarität etwa mit Pater Wucherpfennig andeuten. Würde Kardinal Marx vor die römische, die Ansgar Wucherpfennig strafende Bürokratie im Vatikan zitiert, würde er dann noch entschieden für ihn eintreten? Die eigene gut bezahlte Bischofskarriere geht bekanntlich immer vor allen Entscheidungen zugunsten einer Kirchenreformation!

Zumal: Die übliche Überordnung von Papst und Bischöfen über alle Theologen ist fest verankert im katholischen Rechts – und Lehrsystem, das ja bekanntlich Papst und Bischöfe selbst und zu eigenen Gunsten seit Jahrhunderten geschaffen haben und schaffen. Und diese Strukturen sind weltweit im ganzen Katholizismus und seinen Theologien gewichtiger als das erst in der Zukunft wohl revidierbare Reichskonkordat von 1933 und dem Vatikan für Deutschland. Denn in dem von den Vatikan-Theologen für nahezu unabänderlich gehaltenen »Codex Iuris Canonici« (Kodex des römisch-katholischen Kirchenrecht) heißt es in Kanon 812 deutlich: »Wer an einer Hochschule eine theologische Disziplin vertritt, muss einen Auftrag der zuständigen kirchlichen Autorität haben«. Es ist aber Überzeugung der vatikanischen Glaubenslehrer: Was einmal als Dogma oder wichtige Lehre definiert wurde, darf nicht korrigiert werden. Auch das viel gerühmte Zweite Vatikanische Konzil hat daran nichts geändert! Würde also das »Nihil obstat« als letzte Verfügungsmacht des Lehramtes über allen Theologen vernünftig neu geregelt, also sinnvollerweise um der Wissenschaftlichkeit der Theologie abgeschafft, würde auch das Lehramt der römischen Kirche einer Reformation (nicht bloß Reform!) unterzogen werden müssen. Wäre aber der Macht habende Klerus im Vatikan und anderswo zu diesem Machtverzicht bereit? Wo er doch alles getan hat, zu eigenen Gunsten einige Sätze aus dem Munde Jesu von Nazareth zur Stärkung eigener Macht zu deuten?

Hinzukommt: Dieses bisherige Kontrollsystem der Hierarchie über die Arbeit der Theologen erzeugt eine Ängstlichkeit, einen vorauseilenden Gehorsam unter den TheologInnen. Wer will schon seine gut bezahlte Karriere wegen eines freien Forschens gefährden? Vielleixht sind deswegen katholisch – theologische Publikationen oft so langweilig, voller Wiederhoung, wer kann noch die ins tausende gehenden Studien zählen etwa über die Confessiones des heiligen Augustinus oder die Summa des Thomas von Aquin? Und: Wer will sich schon als schwuler Theologe outen und heiraten, wenn diese normale schwule Lebensform den Herren im Vatikan absolut nicht gefällt? So wird selbst das Menschenrecht auf freie Gestaltung des eigenen Lebens durch die Glaubensbehörden eingeschränkt.

Insofern ist die Debatte um eine freie theologische Wissenschaft von einer gewissen Aussichtslosigkeit.

Der einzige Ausweg wäre meines Erachtens, über den in Deutschland nicht einmal ansatzweise diskutiert wird: Katholische Theologen, die sich als freie Wissenschaftler in einer demokratischen Kultur verstehen, gestalten ihr Fach neu: Sie betreiben eine freie, vom kirchlichen Amt unabhängige »Religionswissenschaft der katholischen Religion« mit allen Themen einer breiten Kulturwissenschaft, um auch der Enge der üblichen theologischen Disziplinen zu entkommen. In den USA und wohl auch in Nijmegen (Holland) gibt es eine solche »Religionswissenschaft katholischer Religion«, und da entstehen zum Beispiel wissenschaftliche Arbeiten von großer Relevanz für Religionen und Gesellschaft. Dann müsste allerdings die Kirchenleitung sehen, wie und wo sie ihre ohnehin wenigen verbliebenen Priesteramtskandidaten ausbildet, vielleicht in den absolut romtreuen konservativen Hochschulen wie Stift Heiligenkreuz im Wienerwald. Dann würde echte Pluralität und damit freie Debatte möglich. Und Menschen, die Katholiken zumal, könnten entscheiden, ob sie den Erkenntnissen einer freien theologischen Forschung folgen oder den Erkenntnissen, die sich aus der Abhängigkeit einiger Theologen von den Leitern der Institution Kirche ergeben.

 

Zum „Fall“ des katholischen Theologen Ansgar Wucherpfennig sowie zum Angriff von Kardinal Woelki auf die Freiheit der Wissenschaft an der Universität in Bonn.

Ein Hinweis von Christian Modehn, Oktober 2018.
1.
Vatikanische und bischöfliche Behörden entscheiden, was katholische Theologie ist und wer sie lehren darf: Diese Herren ignorieren Erkenntnisse der historisch-kritischen Bibelwissenschaft … und verweigern dem Jesuiten und Bibelwissenschaftler Ansgar Wucherpfennig die Fortsetzung seines Amtes als Leiter der Hochschule St. Georgen. Die römischen Behörden erteilen ihm nicht das für katholische Theologen weltweit immer noch erforderliche »Nihil obstat«, die Unbedenklichkeitserklärung. Dabei hatte Wucherpfennig nur den allgemeinen Stand der Forschung ausgesprochen, als er in einem Interview bereits vor zwei Jahren auf die historische Bedingtheit (und damit sachliche Begrenztheit) biblischer Aussagen zur Homosexualität aufmerksam machte. Das zeigt, wie groß die Angst der Kirche vor der historisch-kritischen Arbeit ihrer Theologen ist. Denn diese Methode müsste eigentlich auch auf ethische und dogmatische Lehren angewendet werden. Und dann würde auch etwa über das Entstehen des Erbsündedogmas oder der Trinität ganz anders nachgedacht werden oder über den Anspruch, der Papst sei in Glaubens – und Sittenfragen unfehlbar. Dann müssten also auch Dogmen korrigiert, möglicherweise aufgehoben werden.
2.
Der Vatikan und die meisten Bischöfe haben deswegen enorme Angst, dass sich die historisch – kritische Forschung umfassend durchsetzt. Darum gibt es die Zurückweisung des Bibelwissenschaftlers Wucherpfennig!
Theologen als Wissenschaftler müssen frei forschen dürfen. Wer letztlich in Deutschland die Theologie bestimmt, demonstriert gerade wieder der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki. Er verhinderte bereits 2016 durch seine Intervention im Ministerium die vorgesehene Berufung des Theologen Joachim Negel an die Universität Bonn. Für Woelki besteht der Auftrag der Theologie nur darin, so wörtlich, »die Glaubenslehre (also die in Rom) wissenschaftlich zu vermitteln«. Dabei müsste Theologie frei und umfassend das plurale Christentum studieren und dann mit der Kirchenführung in ein partnerschaftliches Gespräch eintreten. Laut Katechismus aber sollen Theologen »Helfer« des Lehramtes sein. Die Beamten im Vatikan haben also ihre eigene Theologie, die sie für absolut maßgeblich halten.
3.
Die Hauptfrage ist also: Ist bei dieser Abhängigkeit von der Kirchenleitung katholische Theologie noch freie Wissenschaft? Man stelle sich vor, die Bundesregierung würde bei der Berufung von Politologen das letzte Wort haben! Oder das Landwirtschaftsministerium müsste seine Zustimmung geben für die Berufung von Agrarwissenschaftler und Ökologen.
Die aktuellen Ereignisse sind alles andere als Theologengezänk. Es geht um die Rolle der kritischen Vernunft. Die Forderung ist aus wissenschaftlicher und demokratischer Sicht eindeutig: Das kirchenoffizielle Berufungsverfahren muss um der Freiheit der Theologie willen verschwinden. Aber bis heute gilt das mit Hitler abgeschlossene Reichskonkordat von 1933. Darin wird den Bischöfen alle Leitungskompetenz in der universitären Theologie zugestanden. Wird das Eintreten vieler Theologinnen und Theologen für freie Forschung Erfolg in Rom haben? Wohl kaum.
4.
Man muss also tatsächlich skeptisch bleiben, was die vernünftige Neuordnung des Verhältnisses von Theologie/TheologInnen und Lehramt heute angeht, so sehr auch einzelne Bischöfe in Deutschland jetzt eine verbale Solidarität etwa mit Pater Wucherpfennig andeuten. Würde Kardinal Marx vor die römische, die Ansgar Wucherpfennig strafende Bürokratie im Vatikan zitiert, würde er dann noch entschieden für ihn eintreten? Die eigene gut bezahlte Bischofskarriere geht bekanntlich immer vor allen Entscheidungen zugunsten einer Kirchenreformation!
5.
Zumal: Die übliche Überordnung von Papst und Bischöfen über alle Theologen ist fest verankert im katholischen Rechts – und Lehrsystem, das ja bekanntlich Papst und Bischöfe selbst und zu eigenen Gunsten seit Jahrhunderten geschaffen haben und schaffen. Und diese Strukturen sind weltweit im ganzen Katholizismus und seinen Theologien gewichtiger als das erst in der Zukunft wohl revidierbare Reichskonkordat von 1933 und dem Vatikan für Deutschland. Denn in dem von den Vatikan-Theologen für nahezu unabänderlich gehaltenen »Codex Iuris Canonici« (Kodex des römisch-katholischen Kirchenrecht) heißt es in Kanon 812 deutlich: »Wer an einer Hochschule eine theologische Disziplin vertritt, muss einen Auftrag der zuständigen kirchlichen Autorität haben«. Es ist aber Überzeugung der vatikanischen Glaubenslehrer: Was einmal als Dogma oder wichtige Lehre definiert wurde, darf nicht korrigiert werden. Auch das viel gerühmte Zweite Vatikanische Konzil hat daran nichts geändert! Würde also das »Nihil obstat« als letzte Verfügungsmacht des Lehramtes über allen Theologen vernünftig neu geregelt, also sinnvollerweise um der Wissenschaftlichkeit der Theologie abgeschafft, würde auch das Lehramt der römischen Kirche einer Reformation (nicht bloß Reform!) unterzogen werden müssen. Wäre aber der Macht habende Klerus im Vatikan und anderswo zu diesem Machtverzicht bereit? Wo er doch alles getan hat, zu eigenen Gunsten einige Sätze aus dem Munde Jesu von Nazareth zur Stärkung eigener Macht zu deuten?
6.
Hinzukommt: Dieses bisherige Kontrollsystem der Hierarchie über die Arbeit der Theologen erzeugt eine Ängstlichkeit, einen vorauseilenden Gehorsam unter den TheologInnen. Wer will schon seine gut bezahlte Karriere wegen eines freien Forschens gefährden? Vielleixht sind deswegen katholisch – theologische Publikationen oft so langweilig, voller Wiederhoung, wer kann noch die ins tausende gehenden Studien zählen etwa über die Confessiones des heiligen Augustinus oder die Summa des Thomas von Aquin? Und: Wer will sich schon als schwuler Theologe outen und heiraten, wenn diese normale schwule Lebensform den Herren im Vatikan absolut nicht gefällt? So wird selbst das Menschenrecht auf freie Gestaltung des eigenen Lebens durch die Glaubensbehörden eingeschränkt.
Insofern ist die Debatte um eine freie theologische Wissenschaft von einer gewissen Aussichtslosigkeit.
Der einzige Ausweg wäre meines Erachtens, über den in Deutschland nicht einmal ansatzweise diskutiert wird: Katholische Theologen, die sich als freie Wissenschaftler in einer demokratischen Kultur verstehen, gestalten ihr Fach neu: Sie betreiben eine freie, vom kirchlichen Amt unabhängige »Religionswissenschaft der katholischen Religion« mit allen Themen einer breiten Kulturwissenschaft, um auch der Enge der üblichen theologischen Disziplinen zu entkommen. In den USA und wohl auch in Nijmegen (Holland) gibt es eine solche »Religionswissenschaft katholischer Religion«, und da entstehen zum Beispiel wissenschaftliche Arbeiten von großer Relevanz für Religionen und Gesellschaft. Dann müsste allerdings die Kirchenleitung sehen, wie und wo sie ihre ohnehin wenigen verbliebenen Priesteramtskandidaten ausbildet, vielleicht in den absolut romtreuen konservativen Hochschulen wie Stift Heiligenkreuz im Wienerwald. Dann würde echte Pluralität und damit freie Debatte möglich. Und Menschen, die Katholiken zumal, könnten entscheiden, ob sie den Erkenntnissen einer freien theologischen Forschung folgen oder den Erkenntnissen, die sich aus der Abhängigkeit einiger Theologen von den Leitern der Institution Kirche ergeben.

copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon