In Afrika sind Religionen Hindernisse für eine humane Zukunft der Menschen

Die psychischen Spätschäden, die Kolonialismus und Sklaverei bei Schwarzen hinterlassen haben: Selbsthass und zerstörtes Selbstbewusstsein

Von Veye Tatah, Dortmund

Vorweg: Dieser Gastbeitrag der Afrika – Spezialistin Veye Tatah (Dortmund) erinnert daran, dass die Religionen in Afrika, im Zuge des Kolonialismus vor allem etabliert, auch heute nicht a priori als Segen für die Menschen dort verstanden werden sollten. Ein Beitrag also zu einem Thema, das unseres Erachtens in den Kirchen (und dem Islam) und ihrer Theologien (“Missiologie”) eher verdrängt und vernachlässigt wird. Dieser Gastbeitrag passt gut zum Thema: Religionskritik. Denn Religionen, Theologien, ohne Selbst – Kritik verfehlen sich selbst. Und TheologInnen können sich fragen: Wie war es möglich, dass so viele Menschen in Afrika die Religion ihrer Kolonialherren annehmen mussten. Mit diesem Diskussionsbeitrag wollen wir nicht ignorieren, dass durchaus “an der Basis” christliche Gemeinden versuchen, Elend zu überwinden und den Menschen lebenswerte Perspektiven zu erschließen. Christian Modehn.

……

Die psychischen Spätschäden, die Kolonialismus und Sklaverei bei Schwarzen hinterlassen haben: Selbsthass und zerstörtes Selbstbewusstsein
Die Entkolonialisierung konzentriert sich meist auf die Politik, die Kunst und die Wirtschaft. Aber wir neigen dazu, die psychologischen Schäden zu vergessen, die den kolonisierten Völkern zugefügt wurden.

In letzter Zeit gab es viele Gespräche und Aktionen in verschiedenen Bereichen, die unser tägliches Leben betreffen, nämlich über den wichtigen Entkolonialisierungsprozess. Von der Politik, Wirtschaft, Kultur, Forschung bis hin zur Sprache. Auf dem afrikanischen Kontinent gibt es viele Bewegungen, aber diese sind meistens nur in die gleiche Richtung orientiert: Entkolonialisierung der Gesellschaften, der Politik und der Wirtschaft.

Als schwarze Frau, die in Deutschland lebt und in einem afrikanischen Land aufgewachsen ist, habe ich einige der schriftlichen Beiträge und auch die Aktionen einiger dieser Gruppen analysiert.
Und aus meiner Sicht kann ich sagen, dass in vielen afrikanischen Ländern sowie in vielen afrikanischen Gemeinschaften im In- und Ausland der tatsächliche Kernschaden des Kolonialismus nicht ernsthaft angegangen wird, nämlich der psychologische Schaden in der Denkweise. Man kann durchaus von einer Vergewaltigung der Schwarzen Seele sprechen, deren Folgen immer noch sicht- und spürbar sind. Um deren Folgen zumindest abzumildern, bedarf es jedoch mehr als den bloßen Blick auf das Materielle.

Die Religion ist eines der Haupthindernisse für die Entwicklung Afrikas

Wie kann ein Volk, das von einer Gruppe von Menschen versklavt und kolonialisiert wurde, dieselbe Religion akzeptieren und praktizieren, die die Sklavenhalter und Kolonialherren zur Rechtfertigung ihrer Versklavung benutzt haben? Wie kann man eine Religion praktizieren, die besagt, dass Menschen, die wie man selbst aussehen, fühlen und denken, böse sind? Ist dies Teil eines zeit- und völkerübergreifenden Stockholm-Syndroms? Schauen Sie sich die Art des Christentums an, die sich in afrikanischen Ländern und in den afrikanischen Gemeinschaften durchsetzt. Sie ist definitiv von radikalen amerikanischen Ideen durchsetzt. Viele Betroffene ziehen es vor, viel Zeit damit zu verbringen, zu einem weißen Jesus und auch zu Allah zu beten, damit er kommt und ihre Probleme löst. Außerdem ist es leichter, zu sagen/denken, irgendetwas sei „Gottes Wille“, als selbst als eigenständige Person die Verantwortung für Handeln oder Nichthandeln zu übernehmen.

Anstatt ihre Hände und ihren Verstand zu benutzen, um ihre Probleme selbst zu lösen, ziehen solche Leute es vor, die Problemlösung auf Gott und Allah auszulagern. In vielen Ländern Afrikas schießen Megakirchen wie Pilze aus dem Boden. Man stelle sich vor, deren schwarze „Eigentümer“ würden statt Kirchen Fabriken bauen, um in ihren Ländern dringend benötigte Güter zu produzieren und damit Arbeitsplätze für die Jugend zu schaffen. Stattdessen ziehen sie es vor, den armen Menschen das wenige Geld aus der Tasche zu ziehen und ihnen zu versprechen, dass Gott kommen und alle ihre Schwierigkeiten beseitigen wird, wenn sie den Kirchenbesitzern mehr Geld geben. So als wären die himmlischen Kräfte bloße Auftragnehmer, von denen man für die Bezahlung auch anständige Arbeit erwarten könne.

Dieselben Schwarzen, die vom „Weißen“ und den „Arabern“ versklavt und einer Gehirnwäsche unterzogen wurden, sind es auch, die ihren eigenen Schwarzen Mitmenschen „im Namen von Jesus“, „Allah“ und Politik dasselbe antun, was ihnen selbst geschah. Wieso? Diese Frage stelle ich mir immer wieder: Ist das Leben der Schwarzen für die anderen Schwarzen selbst wirklich wichtig? Oder ist „Black lives matters“ eine reine Phrase?
Wie können wir unsere Gesellschaften aufbauen und weiterentwickeln, wenn alle darauf aus sind, sich gegenseitig auszubeuten? Die korrupten Politiker und Militärs, die die Ressourcen der Länder abschöpfen sowie die so genannten Pastoren oder Gottesmänner (man beachte, alles Männer!), die den Armen und wenig gebildeten Hoffnungslosen Jesus verkaufen. Und keine Argumente und Fakten können die ausgebeuteten Menschen überzeugen, diesen falschen Führern nicht mehr zu folgen. Das Stockholm-Syndrom in voller Aktion.

Veye Tatah

Dieser Hinweis ist ein Zitat aus dem Beitrag von Veye Tatah in der aktuellen Ausgabe der empfehlenswerten Zeitschrift “Africa Positive” (https://www.africa-positive.de/category/aktuelles/)

https://veye-tatah.de/mein-profil/

Arm an Mitgliedern, reich an Immobilien: Die Kirchen, nicht nur in Berlin…

Die Finanzspekulationen der Kirchen heute: Immer noch ein Tabuthema.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 7.8.2024

Ergänzung am 24.8.2024: Eine wissenschaftliche Studie zeigt: 2,3 Prozent der Agrarfläche in Deutschland sind Eigentum der Kirchen, sie können durchaus Großgrundbesitzer genannt werden. LINK

Was die Kirchen in Deutschland an Immobilien und Boden als Eigentum haben, darüber wird jetzt intensiver geforscht. Das Thema ist wichtig, wenn man umfassend den tiefgreifenden religiösen Wandel in Deutschland, etwa auch in Berlin, verstehen will. Wir konzentrieren uns bei der Darstellung der Fakten und Beispiele vor allem auf die katholische Kirche besonders in der deutschen Hauptstadt.

1.
In Berlin lebten 2023 – laut Information des Erzbischöflichen Ordinariates vom 24.6.2024 – 275.399 Katholiken; 31.000 weniger als im Jahr 2020. An der Sonntags-Messe nahmen in Berlin 2023 noch 27.814 Personen teil. Die „Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz“ (EKBO) hatte Ende 2022 in der Hauptstadt 486.899 Mitglieder. Die Teilnahme am Gottesdienst wird – deutschlandweit – durchschnittlich mit etwa 3 Prozent angegeben, in manchen Bezirken Berlins werden es nach meinen Beobachtungen Gottesdienstteilnehmer  sehr viel weniger sein (wenn man von den überfüllten Gottesdienst an Heiligabend absieht).LINK

Jeder fünfte Berliner ist also Mitglied der beiden, einst groß genannten Kirchen. Berlin – ein christliche Stadt? War Berlin etwa früher, in der Weimarer Republik und danach, christlich? Sicher auch nicht, selbst wenn sich viel mehr Leute zu den Gottesdiensten in die großen Kirchen setzten.

2.
Das ist allgemein bekannt: Die Kirchen sind heute – nicht nur in Berlin, sondern in vielen Bundesländern – Organisationen von Minderheiten.
Die Kirchen sind, gegenüber früher, arm an Mitgliedern und TeilnehmerInnen an den Sonntagsgottesdiensten, reich aber an Immobilien und Eigentum an Boden und Gebäuden.

3.
Darüber versuchen jetzt einige Soziologen intensiver zu forschen, um Details zum Kircheneigentum freizulegen. Der TAGESSPIEGEL hat in seinem BERLIN -Teil am 2. August 2024 auf den Seiten B6 und B7 einige Erkenntnisse mitgeteilt, AutorInnen des Berichtes sind Katja Demirci und Nina Dreher. Sie weisen darauf hin, dass sich die entsprechenden Kirchen – Verwaltungen bei genaueren Nachfragen zum Thema sehr bedeckt halten und nicht allzu Konkretes in ihren Statements der Öffentlichkeit mitteilen wollen. Das Verhalten ist also nicht gerade kooperativ, Fachleute und Journalisten, die Fakten freilegen wollen, sind nicht besonders willkommen. Die Autorinnen fühlten sich in zutiefst bürokratische Verhältnisse versetzt, sie schreiben: „Antworten auf die Frage Baut die Kirche sozialen Wohnraum? – da wird bei beiden Kirchen(Behörden) auf einzelne Pfarreien verwiesen, die dann aber wiederum nicht frei sprechen kann, dürfen oder wollen“. Die AutorInnen schreiben weiter: „Jedes offizielle Statement wird intern intensiv abgesprochen, teilweise wochenlang“ (Seite B7 des „Tagesspiegel“ vom 2. 8.2024.

Die AutorInnen des Beitrags wissen natürlich, dass bei ständig sinkenden Mitgliederzahlen und damit auch wohl sinkenden Kirchensteuereinnahmen dieses Immobilien – und Boden – Eigentum den Kirchen als eine gute Vorsorge gilt für spätere, finanziell schlimmere Zeiten. Die dann noch verbliebenen Pfarrer und Prälaten müssen z.B. ihre beträchtlichen Gehälter noch weiter beziehen.
Andererseits wagen die AutorInnen am Ende die entscheidende sozialethische Frage angesichts Wohnungsnot, des Mangels an Mietswohnungen: „Wird auf den Berliner Kirchengrundstücken bezahlbarer Wohnraum gebaut? Oder wird der Profit im Vordergrund stehen?“ Mit dem Wort: „Die Hoffnung stirbt zuletzt“, d.h. die Hoffnung auf ein sozialethisches Verkaufen der kirchlichen Eigentümer stirbt zuletzt. Nicht gerade ermunternd diese Worte, sie legen nahe: Die Kirche klammert sich wie jede andere Organisation in der kapitalistischen Welt ans Eigentum. Eigentum ist heilig, heißt es ja in der klassischen kirchlichen (und kapitalistischen) Ethik. Immerhin werden vielleicht einige Theologen außerhalb Berlins das Thema hoffentlich weiter vorantreiben, wie etwa der katholische Sozialethiker Prof. Martin Schneider in Eichstätt. Er plädiert sogar ausdrücklich „für eine innerkirchliche Bewegung, die sich der Immobilienfrage annimmt“ (Tagesspiegel, 2.8.2024, Seite B6)

4.
Einige Fakten:
„In Berlin lässt sich der kirchliche Bodenbesitz aus Liegenschaftsplänen berechnen: 1206 Hektar. Das sind 1,3 Prozent der Stadtfläche oder 3,4 mal so viel wie das Tempelhofer Feld,“ berichtet der „Tagesspiegel“. Den größten Teil dieser Liegenschaften machen landeskirchlich – evangelische und römisch katholische Grundstücke aus, heißt es dort. Und weiter: „Elf Prozent aller Kirchenflächen sind für Wohnhäuser vorgesehen – fast dreimal so viel Fläche wie der rund 50 Hektar große Park Hasenheide in Neukölln.“ Und dann: „Diese 139 Hektar Wohnbauflächen der Kirchen wären laut aktuellen Bodenrichtwerten rund 1,4 Milliarden Euro wert, wie aus den Berechnungen des Tagesspiegel Innovation Labs hervorgeht. Dafür haben wir die Berliner Bodenrichtwerte für Wohnraum ausgewertet. Besonders viele Flächen gibt es ausgerechnet in den von Wohnungsnot und Mietsteigerungen besonders betroffenen Bezirke: In Friedrichshain-Kreuzberg besitzt die Kirche mit 2,9 Prozent der Gesamtfläche anteilig am meisten Boden, in Mitte am zweitmeisten“, so die „Tagesspiegel“ – AutorInnen auf Seite B 6.
Wir ziehen eine Art Bilanz des ingesamt höchst anregenden Beitrags: „Aus den beiden großen Kirchen ist bezüglich am Gemeinwohl orientierter Planungen nichts Konkretes herauszubekommen. Protestantische wie katholische Verantwortliche für dieses Thema bleiben, so wörtlich, „vage“, sie „verweisen auf den langwierigen Prozess“ (B 7). Jedenfalls gibt es in den Kirchen eine weitgehende Tabuisierung des Themas Immobilienbesitz der Kirchen“ (B7). Und auch ein echter Skandal wird im Tagesspiegel mitgeteilt: Es geht bei der katholischen Kirche wirklich eher um materiellen Profit: Beispiel: Das bistumseigene Wohnprojekt „Petruswerk“ mit seinen 2.300 Wohnungen ging Anfang der 2000 Jahre „in den Besitz des Investors Douglas Fernando (Unternehmen: Avila Management & Consulting GmbH in Potsdam) über“. Und dann diese Information: Der Unternehmer Fernando vermietet sein neues Wohnprojekt in Neukölln „mindestens zehn Euro über dem Mietspiegel für vergleichbare Wohnungen“ (B 7, letzte Spalte). Und das ist ein weiterer Skandal: „Obwohl es damals in der katholischen Kirche Berlins offenbar Zweifel gab – woher kamen Fernandos Millionen ? – verkaufte das Erzbistum an den unbekannten Unternehmer Fernando“ (B 7).
Zum Unternehmer Douglas Fernando (er stammt aus Sri Lanka und ist Dr. theol. In katholischer Theologie, berichtet DIE WELT LINK
Diese Zeitung berichtet weiter: „Die Millionen für den Kauf (der Wohnungen des Petruswerkes) kamen von einer katholischen Hausbank in Essen. Eigentümer wurde die Firma Avila Management & Consulting GmbH, die neben Douglas Fernando zu je einem Drittel den Orden der unbeschuhten österreichischen und deutschen Karmeliter in Linz und München gehört“. Auch in Österreich ist Fernando aktiv, im Verbund mit den armen „Unbeschuhten Karmeliten“: LINK
Zur Karmel-Missionsstiftung: LINK

5.
Zu Gesamt-Deutschland:
„Neben den Kirchenbauten besitzen evangelische und katholische Kirche laut eines zwei jähre alten gemeinsamen Positionspapiers deutschlandweit 142.500 Gebäude!“ Der Religionsphilosophische Salon hat vor Jahren schon zu einem noch schwierigeren Thema recherchiert: 2015 wurde mein Beitrag in PUBLIK FORUM veröffentlicht: LINK :https://religionsphilosophischer-salon.de/6355_ordentliche-orden-neue-sehr-konservative-ordensgemeinschaften-im-katholizismus_religionskritik

Es geht um das absolute Tabuthema Eigentumsverhältnisse der sich arm nennenden katholischen Ordensgemeinschaften, von Frauen und Männern. Diese Orden betteln ja förmlich unter ihren Wohltätern um Geld, oft mit viel Erfolg, sie verschweigen aber, wie hoch ihre Gewinne sind aus dem Verkauf ihrer leerstehenden Klöster. Nur ein Beispiel: Wie viele tausend Euro hat etwa der Augustinerorden erhalten für den Verkauf seiner sehr schönen Klosteranlage im badischen Schloss Messelhausen im Jahr 2013? Das wird natürlich nicht verraten. (Quelle: LINK UND: LINK
Man soll wohl glauben, dass der Gewinn durch Verkauf nur für die Pflege der vielen alten und uralten Mönche und Nonnen verwendet wird? Die sterbenden Orden sorgen sich also nur um ihre Sterbenden? Die Orden mauern noch stärker, absolut möchte man sagen, wenn man es nur wagt, nach der Finanzlage einer Ordensprovinz etwa zu fragen.
Weitere Beispiele anstelle für viele andere: In Italien erlebt man etwa, dass Teile von bestens gelegenen Klöstern,. Jetzt mindestens halbleer wegen „Nachwuchsmangel“ in Luxus – Hotels umgebaut werden, so etwa das große Kloster-Hotel „Residenz Paolo VI“ des Augustinerordens unmittelbar in der Nähe der St. Peter Kathedrale, LINK
Erwähnt werden sollte auch das Luxus – Hotel, das die Augustiner von Prag in einem Teil ihres Klosters einrichteten. LINK

Lediglich von den Eigentumsverhältnissen einiger großer Abteien in Österreich waren damals für mich einige ganz kleine Informationen erreichbar, kurz beschrieben in dem PUBLIK – Forum Artikel aus dem Jahr 2015!

6.
Das ist klar: Die ohnehin schon reichen Kirchen und Klöster wollen mit dem Verkauf ihrer leerstehenden Häuser, Kirchen und Klöster noch mehr Geld für sich selbst ansammeln, wie viel und warum darf niemand wissen. Über die riesigen Eigentumsverhältnisse (Wohnungen!) Des Vatikans in ganz Rom, ist oft geschrieben worden, aber Genaues weiß man bis heute nicht aufgrund der absoluten Verschwiegenheit der Päpste und Prälaten. Immerhin haben sie irgendwie Armut als Ideal, aber diese gilt nur theoretisch, man denke an die Luxuswohnungen der Kardinäle im Vatikan.

7.
Als Berliner will ich doch noch an einige Verkäufe und Abrisse katholischer Gemäuer erinnern:
Die schöne Kirche St. Raphael in Gatow an der Havel wurde unter der Herrschaft von Kardinal Sterzinsky 2005 profaniert, danach vom neuen Eigentümer abgerissen. Wer seitdem als Katholik in dem seit Jahren schon expandierenden Gatow noch an einer Messe teilnehmen will, muss etliche Kilometer bis nach Kladow oder Spandau fahren, laufen, radeln. Für alte fromme Menschen äußerst „angenehm“. Seelsorge sieht anders aus.

Auch das Exerzitien- und Meditationshaus „Maria Frieden“ in Kladow, Lüdickeweg 5, wurde unter der Herrschaft von Kardinal Sterzinsky verkauft, viele Jahre lagen aufgrund eigener Beobachtungen Haus und Grundstück brach. Und es gibt noch einige spirituelle Menschen, die empfinden es als Schande, wie eine Kirche, die Seelsorge angeblich so wichtig nimmt, ausgerechnet dieses wunderbar an der Havel gelegene Meditationshaus verscherbeln konnte. Hätte nicht eine Gehaltskürzung der Prälaten und Pfarrer auf Dauer denselben Effekt gebracht? Aber daran denken diese Herren nicht.
Die Kirche „St. Albertus Magnus“ in Berlin wurde 2021 geschlossen und mit ihr gleich die ganze Gemeinde.., Sollen die Katholiken doch sehen, wo sie in weiter Entfernung noch Treffpunkte haben oder Gottesdienste feiern. An Alternativen wurde offenbar gar nicht erst gedacht, um wenigstens das Gemeindehaus als Treffpunkt zu erhalten, einige Laien hätten sich wohl gefunden, dieses Zentrum zu leiten…

8.
Man beachte: Alle Kirchenschließungen und Kirchenverkäufe oder Klosterverkäufe im katholischen Raum sind immer auch begründet durch den stetig zunehmenden Mangel an Priestern. Nur wenn diese Kleriker vorhanden sind, kann eine katholische Gemeinde – nach dem Kirchenrecht – überhaupt bestehen. Das war ja einst das Verbot der Basisgemeinden in Lateinamerika: Laien dürfen keine Eucharistie feiern, angeblich hat das Prophet Jesus so gewollt, behauptet der allmächtige Klerus allen ernstes bis heute. Wer wagt es, dies verrückte Theologie einen Wahn zu nennen? Luther ist lange tot….Jedenfalls: Nur der Priester darf und kann das angeblich wichtigste in der katholischen Glaubenslehre, nämlich die Eucharistie, feiern. Ist kein Priester da, fehlt der noch so kompetenten Laiengemeinde nach päpstlichem Verständnis eigentlich alles. Darum werden Priester aus aller Welt, aus Indien, Afrika, Philippinen etc. nach Deutschland als Gastarbeiter geholt, um die Lücken im vergreisten klerikalen Betrieb Deutschland (oder Frankreichs usw.) etwas zu füllen. Wie lange dieses misslingende Lückenstopfen geht, ist fraglich: Bald werden auch junge Inder und Philippinen merken, dass der Zölibat doch nicht so menschenfreundlich/männerfreundlich ist…

9.
Zurück nach Berlin: Heute hat die katholische Kirche in Berlin seltsamerweise „Man hat ja keine Geld“, heißt es, doch viele Millionen Euro zur Verfügung, um die St. Hedwigs-Kathedrale in Berlin – Mitte umzubauen, natürlich der Staat hilft kräftig, wir haben ja die offiziell geltende (Nicht-) Trennung von Kirche und Staat. Dieser riesige Umbau wurde von kompetenten Kritikern als sinnloser Eingriff natürlich vergeblich kritisiert, zudem wurde so eine beachtlich schöne Architektur zerstört. Nun steht nach der Renovierung der Altar “ENDLICH“ in der Mitte, weil eben der Priester, der Bischof zumal, nach katholischen Verständnis absolut in die Mitte gehört. Auf ihn sollen sich alle Blicke richten, auf ihn muss man in allem Glanz der Gewänder und Mitren etc., sehen und hören… Zu den Kosten des Umbaus berichtet das „Dom-Radio – Köln: „Weiterhin geht die Diözese von Gesamtkosten für die Sanierung der Kathedrale von rund 60 Millionen Euro aus.“ Zudem wird auch das benachbarte Bernhard Lichtenberg-Haus – wohl auch als Residenz der Herren Bischöfe – für etliche Millionen umgebaut.“  LINK

10.
Repräsentanz in der Mitte Berlins nahe der Oper und der Ministerien ist für Katholiken ganz wichtig. Auch wenn dieses Kirchen – Gebäude, von Friedrich II. einst entworfen, nur noch eine winziger werdende Minderheit beglückt.
Eine katholische Kirche ist nach offizieller Auffassung ein heiliger Tempel, ein „Gotteshaus“: Wer solche Gebäude schafft und restauriert, tut etwas für explizit religiöse Gefühle wahrscheinlich, aber nicht für die Kommunikation der unterschiedlichen Menschen im Sinne der Menschlichkeit Jesu von Nazareth.

11.
Also: Glanz und Gloria werden geschaffen als Illusion: Demnächst wird auch der neu gebaute „authentische“ Turm der evangelischen Garnison-Kirche in Potsdam eröffnet, am 22. August 2024 soll dies geschehen, der Ort des Hitler – Nazi-„Tages von Potsdam“ (21.3.1933) ist also fast original wieder da. So wie ja auch das Schloß der Preußen-Könige, dieser Kolonialherren und Kriegsherren, wieder fast original nachgebaut wurde…“Schöne“ veraltete Welt „Unter den Linden“…

12.
Die Einweihung des Turms der Garnisonkirche: Das überflüssige und hoch umstrittene, öffentlich bekämpfte Projekt wird u.a. von dem evangelischen Ex- Bischof Wolfgang Huber immer unterstützt. Die Initiative für den Wiederaufbau der Kirche ging nach dem Mauerfall von EX Bundeswehroffizier Max Klaar aus, einem Rechtsradikalen, wie die TAZ am 7..8.2024 Seite 2 schreibt. Auch die CDU Frau Gründers hatte sich für das Projekt stark gemacht. Die dort bald stattfinden sollende Friedensarbeit hätte die Kirche an jedem anderen bereits bestehenden Ort gestalten können, diese offizielle Begründung für den Sinn dieses Turms ist eine Farce. Dieses ganze Gerde ist „Versöhnungsrhetorik“ wie der Architekt Philipp Oswalt schon in PUBLIK Forum ausführlich darlegte. „Das Geld, das der Rechtsextremist Klaar für die Garnisonkirche gesammelt hatte, ist über Umwege doch in den Bau des Turms geflossen“, so Oswalt in TAZ, 7.8.2024 Seite 2. Und zu allem: Präsident Steinmeier hat die Schirmherrschaft für dieses verrückte Projekt übernommen….Der Geist soll sich noch rückwärts wenden, ist das die Botschaft dieses Garnison – Kirchen – Turmes???

13.
Dieser Neubau des Turms der Garnisonkirche passt aber sicher sehr „gut“ zu den hohen Wahlergebnissen der rechtsextremen Partei AFD bei den Wahlen in Brandenburg, Sachen und Thüringen wenige Wochen später, im September 2024. Man darf gespannt sein, wie es bei der Eröffnung des Turms der Garnisonkirche gelingt, begeisterte Rechtsextreme in freudigen Wut vom Gebäude fernzuhalten.

14.

Das ist zynisch: Vielleicht gibt es bald wieder einen neuen Tag von Potsdam, etwa mit dem rechtsextremen Herrn Höcke?
Dagegen müsste die Kirche alles tun, und nicht Türme eines widerlichen Nazi-Ortes wieder aufbauen! Gleichzeitig scheinen die Kirchen entschlossen zu sein, AFD – Mitglieder aus kirchlicher Verantwortung (Pfarramt, Gemeindekirchenrat etc.) auszuschließen. Aber das ist wohl nur Symbol – Politik! So kann man öffentlich gut demokratisch dastehen…und gleichzeitig sagen, wie die katholische Kirche ganz offiziell und lautstark: Die Kirche selbst sei selbstverständlich keine Demokratie! Warum? Weil der liebe Gott keine demokratische Kirche will, behaupten die Kleriker, denen eine demokratische Kirche gefährlich werden könnte. Siehe “Synodaler Weg” in Deutschland…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

Das “letzte Abendmahl” der Olymischen Spiele und die klerikale Ideologie

Ein Hinweis von Christian Modehn am 4.8.2024

Ergänzung am 5.8.24: Am Sonntag, 4. August, fand vor der Kathedrale Notre Dame de Paris ein interreligiöses Treffen statt, auf Wunsch von Thomas Bach (!), dem Präsidenten des Olympischen Komitees (CIO). Von der Kritik an der Darstellung eines “letzten Abendmahles” zur Eröffnung der Spiele war direkt keine Rede mehr. Man war sich interreligiös einig, wie Thomas Bach sagte: “Sport kann die letzten Fragen der Menschheit nicht beantworten, das kann nur die Religion”. (LINK)

Ergänzung am 6.8.24: Dass es noch vernünftige Theologen in der katholischen Kirche gibt, zeigt ein Kommentar des Benediktinerpaters Martin Werlen (Schweiz) zum Abendmahl bei der Eröffnung der Olympischen Spiele in Paris; dieser Kommentar wurde sogar im Vatikan veröffentlicht: LINK

1.
Die Frage ist dringend: Wie dumm und begrenzt sind eigentlich katholische Oberhirten im Jahr 2024? Haben sie keine anderen Sorgen? Denn jetzt verteidigen immer mehr geistliche Herren, auch Kardinäle, inbrünstig das Gemälde „Das Abendmahl“ von Leonardo da Vinci. Aber dies ist der intellektuelle Skandal: Sie verteidigen dieses Gemälde aus dem 15. Jahrhundert, als sei es DER absolut gültige Ausdruck des letzten Abendmahls Jesu und seiner Jünger. Welch ein Wahn. Eines von vielen Kunstwerken zum Abendmahl zur theologischen Norm zu erklären! Und als DEN Ausdruck der katholischen Eucharistiefeier zu deuten.
Zur Erinnerung: Bei seinem letzten Abendmal feierte Jesus von Nazareth, so die Erzählung, mit seinen 12 Jüngern kurz vor seinem Prozess und der folgenden Hinrichtung noch einmal ein ordentliches Abendessen, selbstverständlich mit Wein…

2.
Die Herren der Kirche fühlen sich also beleidigt und zutiefst empört: Bei der Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele in Paris 2024 seien ganz üble, gotteslästerliche Assoziationen geweckt worden, Erinnerungen an da Vincis Gemälde „Letztes Abenmahl“. Denn die Feiernden in Paris waren Schwule und Lesben. Queers, an einem Tisch vereint zu sehen, wie sie da ordentlich bzw., je nach Wertesytem, „unordentlich“ feierten, tanzten und tranken. Eine nur ferne Assoziation an da Vinci…

3.
Das Problem der geistlichen Herren: Was soll denn da der liebe Gott bloß denken, und vor allem der himmlische Jesus, wenn nun in Paris das da Vinci Gemälde verunreinigt und dadurch (!) die Erinnerung an Jesu Abendmahl beschmutzt wird … auch noch durch diese  “üblen” Queeren – Menschen? Die Eucharistiefeier kann nur mit einem Priester und frommen Leuten dargestellt werden…”aber doch nicht mit diesen zum Teil halbnackten Gestalten”…

Man erinnere sich: Papst Franziskus hatte erst kürzlich gefordert: “Die Olympischen Spiele sollten Frieden vermitteln, nicht Hass”. Nun aber wird Unfrieden gestiftet durch die Intoleranz klerikaler und fundamentalistischen Kreise, sie können die Freiheit der Kunst nicht ertragen und zeigen letztlich ihre Ablehung queeren Lebens.

4.
Einen freien, lockeren und deswegen künstlerisch immer freizügigen Umgang mit dem Gemälde halten die Herren der Kirche in ihrer Ideologie für Blasphemie, für Gotteslästerung.

5.
Lassen wir diese wirre Interpretation, sie ist lächerlich, weil die Herren der Kirche den  Denkfehler begehen und ein Gemälde ALS Ausdruck ihres dogmatischen Glaubens verstehen. Leonardo da Vinci wird sich freuen über so viele  „Ehre“.

6.
Das Abendmahl Jesu war sicher noch einmal ganz anders als das „Abendmahl da Vincis, denn damals haben, kulturell üblich, die Beteiligten zu Tische gelegen, nicht brav am Tisch gesessen. Die Kirche St. Petri in Seehausen, Altmark, zeigt ein solches ungewöhnliches, authentisches Wand – Gemälde, eine noch zu besprechende Rarität.

7.
Man erinnere sich: Schon einmal – wie so oft vorher – regten sich die Kirchenleute maßlos auf und die mit ihnen verbundenen reaktionären Politiker der Weimarer Republik, weil der Künstler George Grosz es wagte: Jesus am Kreuz mit einer Gasmaske angetan zu zeigen.

8.
Die Herren der römischen Kirche sollten sich, ehrlich gesagt, schämen, dass sie nun, nach diesem ihrem Blödsinn, heftige Unterstützung  von rechtsextremen Politikern (Marine le Pen) und sogar von Putins klerikalem Kriegstreiber Patriarch Kyrill I .in Moskau erhalten. (Fußnote 1) Auch der fundamentalistische Präsident Erdogan hat sich eingeschaltet und nach bekannter Sicht behauptet: Durch diese Darstellung des letzten Abendmahls sei die menschliche Würde in den Schmutz gezogen worden. Dass die sehr vielen Diktaturen weltweit die Würde der Menschen  de facto, politisch, in den Schmutz ziehen, wäre das große Thema der Kirche. Aber nein, sie sorgt sich, verblendet, um eine queere Interpretation des Gemäldes da Vincis.

9.
Der Vatikan und die römische Kirche befinden sich im weltweit großen Club der Reaktionären, der Kunst – und Freiheitsverächter. Wollen sie in dieser Position es wagen, das Evangelium des Propheten und Weisheitslehrers Jesus von Nazareth zu verkünden?

Fußnote 1: “Die russisch-orthodoxe Kirche und das Außenministerium in Moskau äußerten sich entsetzt über die Eröffnungsfeier, weil bei einer Darstellung des letzten Abendmahls die Apostel von „Transvestiten“ verkörpert worden seien. „Ein kulturell-historischer Selbstmord geht in einer der einst christlichen Hauptstädte der europäischen Zivilisation vor sich“, sagte der Geistliche Wachtang Kipschidse, der im Moskauer Patriarchat der russisch-orthodoxen Kirche für Kontakte zur Gesellschaft und zu den Medien zuständig ist.” (Quelle: Welt, 27.7.2024, LINK

PS: Wer all das hier Dokumentierte nicht glaubt, lese etwa: LINK
Und LINK.

Und am 5.8.2024 die Päpstliche Kritik am “letzten Abendmahl” in Paris: LINK

10.

Die Katholische Kirche mit ihrem exzessiven Bilder – Kult hatte trotzdem immer schon Probleme, wenn Künstler etwa  – noch recht anständig – halbnackte Jesus Christus Bilder malten. Auf Kreuzesdarstellungen erscheint Jesus sehr oft fast ganz nackt, über die homoerotisch gestylte Figur des heiligen Sebastian ist viel geschrieben worden. Und die hübschen Sebastians – Darstellungen fehlen fast in keiner Kirche in Südeuropa. Hanno Rauterberg, Redakteur in der Wochenzeitung DIE ZEIT schreibt dort am 15.2.2024, Seite 45: “Bei vielen Künstlern wird der Penis Jesu zwar verhüllt, doch notdürftig nur, denn kunstvolle Falten im Lendentuch lenken den Blick erst recht auf die mächtige Beule. Das Leben nach dem Tode – vitaler denn je”.

11.

Angesichts der so oft halbwegs tolerierten Nackheit der größten Gestalten des Christentums fragt man sich, was sollte eigentlich die Aufregung in Paris im Juli 2024 bedeuten über “Das letzte Abendmahl”, gefeiert von Queers? Die Antwort kann nur sein: Eigentlich mag die katholische Kirche offiziell die queeren Menschen ganz und gar NICHT, trotz vieler hübscher Sprüche des angeblich progressioven Papstes Franziskus. Die queeren Menschen sollen brav sein, sich etwa in einem Nebenraum der Kirchen diskret in ihrer Partnerschaft (natürlich NICHT Ehe!) segnen lassen und dann bitte wieder diskret im Untergrund oder Hintergrund verschwinden.

12.

Es reicht also, wenn die noch verbliebene katholische Öffentlichkeit mit weiblich gekleideten, in bunte Gewänder gehüllten Talar-Trägern konfrontiert wird oder den süßlich lächelnden Seminaristen, die selbst verständlich alle gar nicht Tunten sind. Nein, Respekt und Gleichberehctigung gibt es in dieser Kirche faktisch nicht.

Und von der Freiheit der Kunst und der Künstler hat diese Kirche in den allermeisten Fällen  keine Ahnung. Darüber haben schon die wenigen Kunst-gebildeten katholischen Theologen Jahre lang gesprochen. Ihre kreative, aufklärerische Arbeit ist wohl gescheitert…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophiischer Salon Berlin.

„Post-Katholisch“: Über das langsame Verschwinden der katholischen Kirche in Frankreich.

Hinweise von Christian Modehn am 28.6.2024.

Ergänzt am 30.6.2024, 19 Uhr:

Ein Freund aus Frankreich sagte mir: “Es gibt im Augenblick zwar politisch gesehen wichtigere Themen für uns Franzosen als dein Thema hier. Aber die so starke Verbundenheit der praktizierenden Katholiken mit den Rechtsextremen, dokumentiert nach der Europawahl am 9. Juni, ist schon erschütternd.”

Ich antwortete ihm: “Weil die katholische Kirche nicht im entferntesten demokratisch strukturiert und organisiert ist, also auch von offizieller Seite keine demokratischen Werte als “göttlich”, als “absolut wertvoll” vertreten kann und so auch predigt, ist die starke Nähe der praktizierenden Katholiken zu Rechtsextremen durchaus verständlich... ”

Anläßlich der Wahlen zum Europaparlament und zu den Parlamentswahlen Ende Juni 2024 sollte sich das Interesse auch auf den Zustand der Religionen in Frankreich richten, etwa auf die katholische Kirche. Und dies nicht nur, weil bei den Europawahlen am 9.Juni 42 Prozent der „praktizierenden Katholiken“ für die rechtsextreme Partei „Rassemblement National” und die noch rechts-extremere Partei „Reconquete“ stimmten. Wichtig ist, dass sich im Jahr 2023 nur eine Minderheit von 29 Prozent der Franzosen „katholisch“ nennt, und: die meisten dieser Katholiken gehören der älteren Generation an…

1.
Die katholische Kirche in Frankreich, als die „älteste Tochter der römischen Kirche“ gepriesen, ist tatsächlich uralt. Seit dem 1. Jahrhundert gibt es in Gallien christliche Präsenz, etwa in Lyon. Und bis heute ist der Katholizismus sichtbar durch zahlreiche gotische Kathedralen, romanische Kirchen und große, zum Teil noch bewohnte Abteien oder auch durch die vielen tausend christlich geprägten, auf Heilige bezogenen Straßen – und Ortsnamen.

2.
An der populären Verehrung der gotischen Kathedrale „Notre Dame in Paris“ gibt es keinen Zweifel. Das uralte Gebäude schätzen die meisten, zumal die 12 Millionen touristischen Besucher etwa im Jahr 2017.
Aber, die permanente „Fotografier – Sucht“ der durch die Kirche Eilenden zeigt: Die Kathedrale wird als Museum, als Monument des Mittelalters und der nationalen Identität wahrgenommen. Von plötzlichen Bekehrungen zum Katholizismus durch einen Besuch in „Notre Dame“ – wie es einst dem Schriftsteller Paul Claudel geschah – wird nichts mehr berichtet. Immerhin, die Kirchenfernen, zumal die materiell stark Begüterten, spendeten für den Wiederaufbau der Kathedrale nach dem verheerenden Brand am 15. Juli 2019. Staatspräsident Macron versprach sofort in seiner übereilten Art, der Wiederaufbau werde etwa ein Jahr dauern, jetzt wird Ende 2024 die Kathedrale feierlich eröffnet.

Nebenbei: Hoffentlich wird dann NICHT im Jahr 2027  Marine Le Pen („Rassemblement National“) als neue Präsidentin um den Segen des Erzbischofs in “Notre – Dame” bitten. Vom katholischen Glauben, so sagte Madame Le Pen bisher, halte sie nicht viel, bestenfalls in der traditionalistischen Variante der Pius-Brüder. Mit denen war ihr Vater Jean-Marie Le Pen als Rassist und Antisemit sehr eng verbunden. Zu Marine Le Pens Beziehung zum katholischen Glauben: LINK

3.
Diese äußere Sichtbarkeit der katholischen Kirche darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die katholische Kirche in Frankreich – wie in anderen westeuropäischen Ländern – am Verschwinden ist. 1950 nannten sich 90 Prozent aller Franzosen katholisch, 1998 waren es 53 Prozent; 2023 waren es nur noch 29 Prozent der Franzosen, die sich katholisch nannten. (Quelle: https://www.insee.fr/fr/statistiques/6793308?sommaire=6793391)

Nebenbei: Immer waren und handelt es sich um repräsentative Umfragen zur Religion der Franzosen, denn die Republik („laique“!) verbietet sich selbst seit dem 19. Jahrhundert, nach der konfessionellen Bindung seiner Bürger zu fragen.

Auch die Zahlen zur Beteiligung der Katholiken an der Sonntagsmesse sind deutlich:
1946: 37 Prozent regelmäßige Teilnehmer an der Sonntagsmesse,
1969: 25 Prozent,
1975: 16 Prozent. (Quelle: Delumeau, „Stirbt das Christentum?“, Seite 21).
2023: 8 Prozent Katholiken, die mindestens einmal im Monat an der Sonntagsmesse teilnehmen. (Quelle: https://www.insee.fr/fr/statistiques/6793308?sommaire=6793391

Die Zahl der Priester in Frankreich geht ständig zurück: Ein wichtiges Thema, denn ohne immer nur männliche Priester, so die offizielle Lehre, kann die katholische Kirche nicht bestehen.
1965: 40.000 Priester in Frankreich
1984: waren es 30.000.
(Quelle: „Les Francais sont-ils encore catholiques“, S. 41.)
2000: 25.353
2022: 11.644 (Quelle: https://eglise.catholique.fr/guide-eglise-catholique-france/statistiques-de-leglise-catholique-france-monde/statistiques-de-leglise-catholique-france/ministres-ordonnes-religieux/) Der Altersdurchschnitt des französischen Klerus liegt heute bei 70 Jahre. Selbst viele 75 Jährige Pfarrer sind noch „im Einsatz“. Mindestens 1000 Priester aus dem Französisch sprechenden Afrika sind in Frankreich wie „Gastarbeiter“ im Einsatz, sie sind in machen Bistümern, die einzigen, die noch nicht 60 Jahre alt sind. Diese „Gastarbeiter“ ersetzen den aussterbenden französischen Klerus und verlängern so noch einmal um ein paar Jahre die Klerus – Herrschaft.

Die Zahl der neu geweihten Priester ist seit 60 Jahren minimal geworden.
1965: waren es noch 646 Neupriester
1974: nur noch 170. (Quelle Delumeau, Stirbt das Christentum, S. 22):
2010: 96 Neupriester
2022: 114 Neupriester. (Quelle: https://eglise.catholique.fr/guide-eglise-catholique-france/). Die Zahl der Sterbefälle im Klerus ist sechsmal höher als die Zahl der „Neupriester“.

Hinweise zum Ende der Klerus – Kirche werden vertieft in FUßNOTE 2:

Die Zahl der Taufen von Babys und Kindern geht ständig zurück.
2000: 400.000 Taufen
2022: 198.000 Taufen
Quelle: https://eglise.catholique.fr/guide-eglise-catholique-france/statistiques-de-leglise-catholique-france-monde/statistiques-de-leglise-catholique-france/les-sacrements-en-france/)

(Bekannte französische Historiker der religiösen Mentalitäten wie Prof. Jacques Delumeau haben in ihren Studiendarauf hingewiesen: Die Bindung der sich kathaolisch nennenden Franzosen an die Lehren des Evangeliums, etwa seit dem 17. Jahrhundert, war alles andere als vorbildlich. Siehe dazu am Ende dieses Hinweises die Fußnote 1. )

4.
Diese aktuelle Situation sollte man religionsphilosophisch und religionssoziologisch „auf den Begriff bringen“:
In Frankreich ist in der Philosophie der Begriff „postmodern“ für den Zustand der Gesellschaft und der Mentalitäten des 20.Jahrhunderts entstanden. Anderswo spricht man von „post-kolonial“ oder „post-demokratisch“, um den politischen Umbruch der Gegenwart zu bestimmen. Auch wenn das „Post-Moderne“ allmählich an Akzeptanz wegen „allzu heftiger subjektiver Beliebigkeit“ verloren hat: An dem Wort „Post- “, „Nach-“ , steckt ja auch die Einladung, den geistigen Zustand einer Gesellschaft kurz und bündig zu beschreiben.

5.
Nun könnte also für Frankreich ein neuer „Post“ – Begriff gebräuchlich werden: Es ist das Wort „Post – Katholisch“.
Das heißt: Frankreich ist – schon vor einigen Jahren – in eine neue religiöse Epoche eingetreten. Sie ist bestimmt vom stetigen Abschied von katholischen Glaubenswelten und vom Abschied von der Bindung an die katholische Kirche als Institution. Frankreich lebt in Zeiten, in denen Katholisches als gelebte Orientierung weithin Vergangenheit ist: „Post – katholisch“ eben, selbst wenn die französische Kirche noch über ein großes Gerüst an Institutionen verfügt und viele Kathedralen und Abteien Zeugnisse sind für den Glauben „von einst“.

6.
Wer Verantwortung oder gar Schuld hat an diesem „post-katholischen Zustand“, ist eine wichtige Frage. Unsere These: Es ist die klerikale Herrschaftsform dieser Kirche selbst und ihre absolute Unbeweglichkeit, die auf nicht mehr nachvollziehbare Dogmen nicht verzichten kann und die Menschen aus der Kirche treibt… Es ist also die starre Herrschaft erstarrter Kleriker, die diese „post – katholische Epoche“ hervorgebracht hat. Kleriker nennen gern als „schuldig“ für diesen Zustand diffus „die Säkularisierung“, den fehlenden “Respekt vor den Werten“, die „Konsumgesellschaft”, früher sagte man auch gern „das Fernsehen“… Wenn die Kleriker dann heute vornehm „Reformen“ vorschlagen, dann sind es, wie üblich, immer nur solche, die ihre eigene Macht nicht gefährden.

7.
Es ist dabei interessant zu sehen, dass mit diesem post – katholischen Zustand Frankreichs jetzt eine „post – demokratische Zeitenwende“ gleichzeitig korrespondiert, also die wahrscheinliche Machtübernahme durch die nur nach außen hin gemäßigte, nicht-rechtsradikale Partei von Marine Le Pen, das „Rassemblement National“. Das zentrale Motto dieser Partei ist der egoistische Nationalismus, „La France d abord.“ Egoismus zuerst also. Und deswegen die Forderung: Flüchtlinge und Fremde: Raus…
Weil die Katholiken wahrscheinlich besser die Paragraphen des römischen Katechismus kennen als die Menschenrechte und die Werte der Demokratie, haben gerade die „praktizierenden Katholiken“ am 9.Juni bei den Europa-Wahlen sehr heftig die beiden rechtsradikalen Parteien gewählt (42 % aller praktizierenden Katholiken). Die französischen Bischöfe haben nicht explizit die Katholiken vor den Rechtsextremen gewarnt, sie schweigen sich auch jetzt aus, nach den Ergebnissen der Europawahl. Manche kompetente Beobachter meinen: Vielleicht denken ja auch einige Bischöfe so wie die Führer der Rechtsextremen, die Bischöfe sind wie diese Politiker gegen die „Ehe für alle“, für den absoluten Schutz der heteronormativen Familie, der Liebe zum „alten Frankreich“ usw… Von den Bischöfen Rey (Toulon) oder Aillet (Bayonne) kann man das gewiss sagen.

8.
Ob dieser Zustand des „Post-Katholischen“, also der katholischen Minderheit, sich in Zukunft weiter bestätigt, hängt von vielen Faktoren ab: Gibt es Kräfte, die zur grundlegenden Reformation (nicht zur „Reform”, diese ist viel zu bescheiden angesichts der Probleme) in der Lage sind? Sind die engagierten Laien in den Gemeinden in der Lage, eine Präsenz des Katholischen zu garantieren? Bekanntlich sind sie nur HelferInnen des Klerus, die Eucharistie leiten dürfen sie nicht. Die Feier der Eucharistie wird offiziell vom Klerus als der absoluteste aller Mittelpunkte katholischen Lebens behauptet, aber die Eucharistie dürfen nur zölibatäre Priester leiten, so behalten die Priester nach wie vor die Macht in der absolut wichtigsten aller katholischen „Ereignisse“… Wenn der Klerus ausstirbt, sterben also auch die Gemeinden. Das weiß der Klerus, und er akzeptiert diesen Weg ins Ende des Katholizismus.

Und die eigentlich irgendwann einmal etwas prophetisch gesinnten Ordensleute fallen auch in Frankreich weithin aus, nicht nur weil die Orden, männliche wie weibliche, am Aussterben sind in Frankreich, sondern weil auch das Renommee der neu gegründeten, oft charismatischen Ordensgemeinschaften einfach miserabel ist, wegen der vielen Fälle sexuellen Missbrauchs vor allem durch männliche Ordensleute.

9.
Wer heute noch in dieser Kirche mitwirkt, ist meistens dem konservativen Lager zuzurechnen: Und diese Kreise sind froh, dass auch heute alles der Tradition und den angeblich unwandelbaren Dogmen entsprechen… alles Katholische soll also so bleiben, wie es – angeblich – immer schon war.
In dieser versteinerten Haltung wird die katholische Kirche zur sehr „kleinen Herde“, wie man kirchenintern gern voller Trost im Blick auf ein Jesus-Wort sagt, also zur abgeschotteten Sekte in einer „post – katholischen Gesellschaft“.
Noch einmal: Jetzt nennen sich noch 29 Prozent aller Franzosen, vor allem ältere Menschen, katholisch. Die stärkste „Konfession“ sind heute die Religionslosen, mit über 50 Prozent. Und ihr Anteil wächst. Sind diese Religionslosen aber wirklich ohne Religion? Wenn nein, welche Religion haben sie, suchen sie, das sind offene Fragen, die bisher kaum religionsphilosophisch bearbeitet werden.

10.
Mit den Menschen „sans religion“ , „ohne Religion“, sowie den 5 Millionen Muslims sowie den einigen hunderttausend Evangelikalen und 500.000 Juden und den zahlreichen Buddhisten wird sich also der Minderheiten – Katholizismus irgendwie verständigen müssen, in einer Zeit alsbald, die man dann allgemein nur „post-katholisch“ nennen wird. Nietzsche fragte einst: Wird die Kirche zum Grab Gottes? In Frankreich ist man geneigt, diese frage mit Ja zu beantworten. Man lasse sich nur vom schönen Schein der so schönen Kathedralen etc. täuschen oder von den Wallfahrtsorten und Pilgerrouten, die selbst für „Religionslose“ wichtig geworden sind, als Formen des „Besonderen“, „Anregenden“ und durchaus „Unterhaltsamen“…

………………………

FUßNOTE 1:

Man studiere die Katholizismus-Geschichte etwa seit König Ludwig XIV.: Auch wenn es im seit dem 18. Jahrhundert zahlreiche katholische Ordensgründungen und mystische Bewegungen auch volkstümlicher Art (Pascal, Jansenisten etc.) gab: Eine tiefere, reflektierte und bewusst gelebte Orientierung am Evangelium Jesu gab es weithin nicht.
Darauf hat unter anderen der bekannte Historiker der religiösen Mentalitäten Prof. Jacques Delumeau in seinen zahlreichen Studien seit Mitte der 1970er Jahre hingewiesen. Etwa in dem Buch „Stirbt das Christentum?“ (Walter Verlag Olten, 1978).
Delumeaus wichtige Erkenntnis: Die Katholiken der viel gerühmten früheren Zeiten, etwa des Barock und danach, waren nicht vorbildlich christlich oder katholisch-fromm, selbst wenn sie noch in vielen Regionen sehr oft an der Messe teilnahmen.
Man lese in dem Zusammenhang auch die empirischen, schön geschriebenen journalistischen Beobachtungen und Studien von Sébastian Mercier (geb. 1740 – 1814) „Mein Bild von Paris“ (Insel-Verlag, 1979). Darin etwa das Kapitel „Messen“ (s. 134 ff.) „Sonn-und Feiertage“ (235 ff) oder „Beichtväter“: Deutlich wird die Oberflächlichkeit des Glaubens der meisten Katholiken in Paris kurz vor der Revolution (1789). Deutlicher kann der Glaube der „ältesten Tochter der römischen Kirche“ in Paris nicht beschrieben werden.

Bekannt ist auch, dass etliche französische Bischöfe schon seit 1930 deutlich sahen: Frankreich ist wieder Missionsland geworden, weil trotz der formellen Bindung an die Kirche durch die übliche Taufe die wichtige innere Verbundenheit mit dem Glauben fehlt. Das waren und sind religions-soziologische Feststellungen, die das Äußere der „religiösen Praxis“ betreffen, was aber bekanntlich nichts aussagt über den „inneren Glauben“ des einzelnen Menschen.

Jedenfalls wurden dann durch die Bischöfe Initiativen erlaubt, die ein neues Gesicht der Kirche in Frankreich zeigen sollten: Es waren seit 1940 etwa die Arbeiterpriester, die als Pfarrer und Ordensleute als „normale“ Arbeiter in den Fabriken vor allem tätig waren und keine Verantwortung in Pfarrgemeinden hatten. Die Arbeiterpriester und die entsprechenden katholischen Laienbewegungen der Arbeiter (ACO und JOC) wollten durch ihre solidarische Präsenz mit den Arbeitern zeigen: Christen sind nicht nur (groß)bürgerlich, sie stehen an der Seite des Proletariates, bis hin zur Mitgliedschaft von Arbeiterpriestern und Theologen in der Kommunistischen Partei oder der Gewerkschaft CGT, dies als Ausdruck der echten Verbundenheit mit dem Proletariat. Auch aus politischen Gründen wurde es 1954 von Papst Pius XII.Priestern untersagt, in der Fabrik zu arbeite. (das übliche vatikanische Nein zum Kommunismus und Sozialismus mit dem bekannten Ja und milden Nein zum Faschismus (Mussolini-Konkordat usw. )
Erst nach dem 2. Vatikanischen Konzil 1965 erlaubte Rom wieder das „Experiment der Arbeiterpriester“, heute sind nur 20 Priester als Arbeiter tätig, weil es zu wenige Priester heute gibt… Und die wenigen jungen Priester sich in gut ausgestatteten bürgerlichen Pfarreien mit lateinischen Messen möglichst noch am wohlsten fühlen. Dass die jungen französischen Priester eher sehr rechts stehen und konservative Theologien vertreten, wurde in den letzten Monaten oft dokumentiert.

FUßNOTE 2:

Hinweise zum Ende der Klerus – Kirche:

Der Klerus in Frankreich ist noch stärker überaltert als etwa in Deutschland: In Paris und Versailles, dort, wie es schön und bequem ist, arbeiten noch etliche junge Priester. Aber in den kleinen Bistümern in der Provinz ist die Ausstattung mit den im Katholizismus immer noch für unersetzlich gehaltenen Klerikern äußerst prekär. Und dies schon seit Jahrzehnten.

Nur ein Beispiel: Die aktuelle Website des Erzbistums Sens-Auxerre in Burgund nennt in seiner aktuellen Website, gelesen am 26.6.2024, noch 64 Priester. Schaut man aber genauer hin, dann sind 2 Priester in anderen Bistümern tätig, 11 meist noch jüngere Priester stammen aus Afrika, und von den anderen, in Frankreich geborenen, sind nach meiner Recherche mindestens 20 über 70 Jahre. Die Website erwähnt sogar im Bistum tätige Priester im Alter von 94 Jahren oder 85 Jahren oder 92 Jahren.

Ich habe 1998 in dem Bistum Sens – Auxerre einen Film für die ARD realisiert, „In letzter Minute“ war der Titel, der schon das bevorstehende Ende der Kirchenstrukturen im Bistum andeuten sollte. Damals führte das Jahrbuch des Bistums „Eglise dans l Yonne“ (1998) noch etwa 100 Priester auf, wobei viele auch sehr vorgerückten Alters waren.damals lebten 320.000 Menschen im Bistum bzw.im Département. Heute, laut website des Bistum, leben dort 340.000 Menschen. Der Anteil der „praktizierenden, d.h. an der Sonntagsmesse teilnehmenden Katholiken in den ingesamt 30 Pfarreien ist minimal. Manche sprechen von 2 Prozent „praktizierender Katholiken“ in diesen Gegenden Burgunds , oft sind es Pariser mit einer Ferienwohnung dort, die an der Messe teilnehmen. Die absolut minimalen Zahlen der „praktizierenden Katholiken“ ist ähnlich in den Bistümern Troyes, Nevers, Moulins, Limoges (Guéret), Perigeux usw. usw. und es sind ganz überwiegend ältere Menschen, die sich noch in die leeren Kirchen sonntags zur Messe setzen, und es sind ältere Frauen, die in den Dörfern als „Ansprechpartner der Kirche“ noch eine gewisse Präsenz der Kirche zeigen…

Aber wer durchs Land fährt, sieht überall verfallene Kirchen, oft schon Ruinen seit 100 Jahren. LINK.

Eine gewisse Melancholie stellt sich ein: Denn die Frage nach der Schuld an diesem Zustand stellt sich ein. Es evident, dass die Herren der Kirche auch für diesen Niedergang Verantwortung tragen, weil sie katholisches Gemeinde – Leben ohne den zölibatären Klerus für unmöglich halten, also Laien nicht Verantwortung geben, die Eucharistie in neuer Form zu feiern. Selbst wenn das heute ab sofort möglich wäre, diese Reform käme zu spät. Es gibt nur wenige Laien, die diese Reformen – schon altersmäßig – mittragen können und wollen. Es ist also vorbei, mit dem Katholizismus in Frankreich, selbst wenn er nach außen hin noch als alte kulturelle Tradition sichtbar ist.

……

Einige Bücher, die für diesen Hinweis wichtig sind:

Céline Béraud et Philipe Portier, Metamorphosen catholiques. Editions de la Maison des sciences de l` homme, Paris, 2015.

Patrick Cabanel, „Le droit de croire. La France et ses minorités religieuses 16.-21. siècle“. Edition Passés Composés, Paris, 2023.

Guillaume Cuchet, „Comment notre monde a cessé d être chrétien“. Ed.du Seuil, Paris, 2018.
Ders., Le catholicisme a-t-il de l avenir en France?“ Ed. du Seuil, 2021.

Jérome Fourquet, „Á la Droite de Dieu“. Ed. du Cerf., Paris, 2018.

Danièle Hervieu – Léger, „Catholicisme, Fin d` un Monde, Ed. Bayard, Paris, 2003.

Danièle Hervieu – Léger, Jean Louis Schlegel, „Vers l `implosion? L` avenir du catholicisme“. Ed. du Seuil, 2022.

Guy Michelat und andere, „Les Francais sont – ils encore Catholiques?“, Ed. Du Cerf, 1991.

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de

Parlamentswahlen in Frankreich: Jetzt hilft nur noch beten, glauben die Bischöfe.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 21.6.2024

Ergänzung zum Wahlverhalten des Ehepaars Klarsfeld: Veröffentlicht am 24.6.2024:

Unsere Hinweise zur Zustimmung zu den rechtsextremen Parteien in Frankreich (vor den Parlamentswahlen am 30.6. und am 7.7.2024) bezieht sich, unseren Schwerpunkten folgend, vor allem auf Katholiken und deren Führer.

Um der Objektivität und der umfassenden Information willen:
Wir finden es skandalös, dass jetzt das bekannte Ehepaar Serge und Beate Klarsfeld (Paris), geehrt wegen ihrer langjährigen Verfolgung von Nazi-Tätern, ihr Wahlverhalten zur Parlamentswahl 2024 öffentlich erklärt:
Sie wollen die Partei Marine Le Pens wählen, also den „Rassemblement National“ (RN). Dies ist die Nachfolgepartei des rechtsextremen „Front National“ des offen antisemitischen Vaters von Marine, also Jean-Marie Le Pen.

Man kann nur hoffen, dass dieses skandalöse Statement nicht Nachfolger findet, denn „die Klarsfeld“ sind doch „wer“…

Unsere Frage: Warum entscheiden sich Juden, die nach außen hin normalisierte, nach außen hin also nicht mehr antisemitische, hingegen immer noch explizit überaus muslimkritiische und sehr ausländerkritische Partei „Rassemblement National“ zu wählen?

Die Antwort des Ehepaars Klarsfeld: Sie wählen diese rechtsradikale, europafeindliche Partei RN aus dem einen Grund: Weil dieser Rassemblment National nicht explizit antisemitisch sein soll.

Das heißt: Für die beiden Klarsfeld wird ihre eigene Identität, also die Verbundenheit mit Israel und das Jüdischsein, zum entscheidenden und alleinigen Kriterium, eine insgesamt demokratie-feindliche Partei zu wählen.

Die beiden Klarsfeld halten ihre begrenzte jüdische Identität für wichtiger als die universalen Werte der Demokratie.
Wir haben im Zusammenhang der wichtigen Bücher des Philosophen Omri Boehm (Israel/USA) zum Thema mehrfach darauf hingewiesen. LINK.

Zurecht wurde wohl auch von den Klarsfeld früher einmal kritisiert, dass sehr viele Katholiken den Nazi-Freund, Général Pétain einst unterstützten, aus einem formal gleichen Motiv: Der Pétain förderte und unterstützte die katholische, die konfessionell Sache, die katholischen Schulen, die katholischen Werte der katholischen Familie etc. Er förderte die nun einmal begrenzte katholische Identität, die viele Katholiken (auch Bischöfe) wichtiger fanden, als für die Menschenrechte und die Demokratie in Frankreich einzutreten…

So haben sich Fixierungen auf begrenzte Identitäten gegen universalen demokratischen Werten am Leben gehalten und fortgesetzt, auch beim Ehepaar Klarsfeld.

Man muss diese Statements wohl eine Schande nennen. Juden in Frankreich urteilen ähnlich darüber, so befinden sich Kritiker in Deutschland in guter Gesellschaft. Siehe: LINK

Ein Vorschlag: Das Ehepaar Klarsfeld könnte alles tun, um ihren jüdischen Mitbürger Erich Zemmour davon abzuhalten, seine rechtsextreme Partei „Reconquete“ weiter auszubauen.

Zur Vertiefung: siehe die verschiedenen lesenswerten Beiträge der TAZ etwa. LINK. https://taz.de/Ehepaar-Klarsfeld-ueber-Frankreich/!6016087/

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de

………………….. DER BEITRAG VOM 21.6.2024:

1.
Sie haben lange geschwiegen, die katholischen Bischöfe Frankreichs nach dem starken Rutsch ins Rechtsextreme auch unter den so genannten praktizierenden Katholiken, also nach den Europawahlen am 9. Juni 2024.
Im Unterschied zu den Verantwortlichen der protestantischen Kirche Frankreichs, die haben sofort präzise vor den Rechtsextremen gewarnt! (Siehe Fußnote 1)

2.
Am 20.6. hat sich nun die französische Bischofskonferenz aufgerafft, eine Stellungnahme zu den bevorstehenden Parlamentswahlen zu veröffentlichen, nachdem zahlreiche katholische Medien und einige katholische Laiengruppen das Schweigen der Hirten zum Sieg der Rechtsextremen am 9.6. 2024 öffentlich kritisiert hatten.

Am 23.6.versammelten sich doch noch einige Christen in Paris, um zu erklären: Die Rechtsextremen sind mit dem christlichen Gkauben nicht zu vereinbaren. (Quelle, Tageszeutung La Croix, Pars, 23.6.2024): “Un rassemblement de chrétiens « contre l’extrême droite » a été organisé, dimanche 23 juin, devant les Invalides à Paris. Un événement qui fait suite à la parution d’une tribune de 6 000 chrétiens expliquant refuser le Rassemblement national au nom de leur foi. Zur “christlichen Protest – Demo” am 23.6. selbst schreibt diese Zeitung: « “Nous sommes ici car nous voulons montrer que nos valeurs chrétiennes sont incompatibles avec celles prônées par l’extrême droite. » C’est le mot d’ordre que reprennent participants et organisateurs du rassemblement de chrétiens « contre l’extrême droite », dimanche 23 juin. Ils sont plus de 200 à s’être réunis, devant les Invalides à Paris.” Immerhin, einige politisch Vernünftige gibt es noch unter Frankreichs Christen vor der Wahl, sie raffen sich auf und demonstrieren. (CM)

3.
Im Mittelpunkt der Erklärung der Bischofskonferenz LINK  steht die Aufforderung, vor den Wahlen ein bestimmtes, neu formuliertes Gebet zu sprechen, siehe dazu Nr. 6. Von politischen Debatten jetzt in den Kirchen und Gemeindehäusern keine Rede, ebenfalls keine Rede, an den großen Demonstrationen gegen Rechtsextreme sollten Katholiken teilnehmen (das machen einige wenige Laien trotzdem). Kurz: Die Bischöfe sind eingeschlossen in ein ängstliches, nur frommes Weltbild.

4.
Zuvor ein Hinweis zu der Erklärung, die die Bischöfe als eine Art „Begleitung“ zu dem Gebet vor den Wahlen verstehen.
In dieser Erklärung ist deutlich: Die Bischöfe sehen durchaus, dass die Auflösung der Nationalversammlung das Land in unerwartete Unruhe („trouble“) führt.
Die Bischöfe fordern die Katholiken auf, verantwortungsbewusste Bürger zu sein, nicht etwa, weil sich diese Katholiken auf die Werte der Demokratie und der Menschenrechte zu allererst stützen. Sondern weil die katholische citoyens an „das Geheimnis von Tod und Auferstehung Jesu“ glauben und daraus ihre politische Hoffnung beziehen… Schuld an dem aktuellen „Malaise“ (Not) seien, so die Bischöfe, Individualismus und Egoismus, die Schwächung des Sinns für den Respekt für das menschliche Leben und die „Auslöschung Gottes im allgemeinen Bewusstsein und Gewissen.“ Außerdem sollen die Franzosen doch bitte die Meinungen der anderen Mitbürger respektieren, fordern die Oberhirten…
Es fällt auf. Mit keinem einzigen Wort werden die rechtsradikalen Parteien als Gefahr für die Demokratie und für den europäischen Zusammenhalt genannt. Die Bischöfe geben sich irgendwie neutral, sie geben – angesichts des langsamen Untergangs der Demokratie – keine konkrete Warnung oder gar konkrete Wahl – Empfehlung. Sie äußern sich jetzt vornehm neutral, als ob die Wähler es nur mit demokratischen Parteien zu tun hätten, bei denen Katholiken natürlich unterschiedliche Meinungen haben dürfen. Aber jetzt ist die Demokratie, ist Europa, bedroht. Irgendwie wirken die französischen Bischöfe, als wären sie aus der Gegenwart gefallen, als hätten sie die vielen hundert Skandale um ihre Priester (Sexueller Missbrauch) in tiefe Depressionen geführt.

5.
Dieses Schweigen der Bischöfe über die rechtsextremen Parteien, diese Angst, konkret Namen der problematischen Führer zu nennen, den Rassismus der rechtsextremen Parteien als solchen zu nennen sowie die Abwehr der Fremden… dieses Schweigen, diese klerikale Angst, sind ein Skandal.
Man kann also interpretieren:
Nicht nur die praktizierenden Katholiken, auch ihre klerikalen Führer, die Bischöfe, glauben nun an Marine Le Pens neues „moderates“ Programm der „dédiabolisation“ ihres Rassemblement National (RN). Madame Le Pen nannte ja ihr nach außen hin moderates Programm eine „Dédiabolisation“, eine „Entteufelung“ dieser Partei.
Wie naiv dürfen eigentlich Bischöfe sein? Oder haben diese Kleriker gar – wie ihre Vorgänger im 20. Jahrhundert – eine meist verstecke, manchmal offene Liebe gegenüber autoritären Politik-Entwürfen und rechtsextremen Politikern? Man denke nur an die Ergebenheit vieler französischer Bischöfe gegenüber dem autoritären Nazi – Freund Marschall Pétain…Oder sind die Bischöfe erfreut, dass der neue Parteichef des RN mal auf einer katholischen Schule war und deswegen so einbrechen katholisch angehaucht ist, oder dass die graue Eminenz des RN, Renaud Labane eifriger Katholik sein will, wenn auch im schismatischen Lager der Pius-Brüder, aber das muss ja nicht sooo schlimm sein, Hauptsache katholisch .. und Kämpfer für die Rechte der hetero-normativen Familie, für PRO LIFE und gegen den – angeblichen – Gender – Wahnsinn. Denn diese Kämpfe sind doch jetzt identisch mit katholisch!

6.
Jetzt hilft nur noch beten: Das bedeutet für klassischen katholischen Theologen: Gott wird schon vom Himmel aus das Flehen seiner Leute auf Erden erhören: Nur, er weiß selbst wahrscheinlich NICHT, was denn nun dieses Gebet seiner Leute in Frankreich konkret für ihn im Himmel bedeutet: Wo soll er denn nun mit seinem heiligen Geist eingreifen? Vielleicht Marine Le Pen zur Demokratin machen? Die Aufforderung zu beten, ist in den letzten Monaten unter Katholiken geradezu inflationär geworden, das nennt man Wunderglauben alter Art.
Gebet hat nur nachvollziehbaren Sinn, wenn mit diesem Wort „kritische Selbstreflexion“ mit dem Ziel demokratischen politischen Handelns gemeint ist. Daran denken die Herren der Kirche offenbar nicht im entferntesten. Sie glauben wider alle von Gott gegebene, deswegen heilige Vernunft, dass Gott im Himmel hört und erhört…Und die armen Katholiken hier jammern und leiden… und je nach Laune entscheidet.

7.
Das Gebet vor der Parlamentswahl:

« Dieu de vérité et de bonté, en ces temps de décisions fortes
pour notre pays la France,
aide-nous à discerner correctement ce qui est juste.
Renouvelle en nous, chaque matin, le goût de servir, pour que nous accomplissions nos tâches avec cœur
et garde-nous de mépriser quelque être humain que ce soit.
Viens, Esprit-Saint, éclairer ceux et celles qui seront choisis comme députés ou auront à gouverner notre pays.
Qu’ils puissent ensemble chercher le meilleur pour nous tous. 
Imprime en eux un grand sens du service du bien commun.
Sainte Vierge Marie, sainte Jeanne d’Arc, sainte Thérèse de l’Enfant Jésus, patronnes de la France, veillez sur notre pays.
Qu’il soit une terre de liberté, de justice, de fraternité et se tienne à la hauteur de son rôle dans l’histoire.
Aidez-nous à y être, à notre modeste place mais selon toute notre responsabilité, des disciples de l’Évangile.
Amen. »
Die Übersetzung kann jeder und jede leicht über die Übersetzungsdienste erhalten.
Es fällt mir in dem Gebet auf, wieder werden in totaler unpolitischer Haltung floskelhaft einige Sätzchen daher gesagt. Und vor allem: Die heilige Jungfrau Maria, die heilige Jeanne d Arc (sic, die kämpferische Heilige, die England besiegte!) und die heilige Theresia vom Kinde Jesu aus Lisieux, sie sind die Patroninnen Frankreichs … diese himmlischen heiligen Damen sollen „veillez sur Notre pays“, also „über unser Land wachen“.
Auch im Gebet wird kein Name, keine rechtsextreme oder antisemitische Partei genannt, die der liebe Gott doch bitte einschränken möge…
Ein Text, der heute schon Geschichte macht, ist eine Blamage, eine theologisch – politische Dummheit der Kirchenführer.
Fußnote 1:
Les instances de „l’Église protestante unie de France“ ont réagi dès le 13 juin 2024:
« Les résultats français des élections au Parlement européen nous accablent […] L’Église protestante unie de France ne peut pas se taire. […] Se tenir à l’écoute de l’Évangile a nécessairement des conséquences politiques qui s’opposent au programme du Rassemblement national. » (Quelle. Internet Zeitschrift „Témoignage Chretien“, Paris, 20.6.2024, LINK
Übersetzung:
„Die französischen Resultate der Wahlen zum Europaparlament bedrücken uns. Die Vereinigte Protestantische Kirche Frankreichs (also die Reformierten und die Lutheraner, CM) kann nicht schweigen. Wenn man auf das Evangelium hört, hat dies notwendigerweise politische Konsequenzen, die sich dem Programm des Rassemblement Nation (RN) widersetzen“.

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de

 

Welttag der Flüchtlinge – Eine Initiative im Berliner Dom! 20. Juni 2024.

100 BOOTE – 100 MILLIONEN MENSCHEN und BEIM NAMEN NENNEN!
Wir geben zunächst eine Information des protestantischen Berliner Doms weiter und dann einige Hinweise von Christian Modehn zum Thema:
Zum BERLINER DOM am 20.6.2024:
Namenslesung und Gottesdienst im Berliner Dom
zum Weltflüchtlingstag am 20. Juni 2024
Inzwischen können mehr als 110 Millionen Menschen nicht bleiben, wo sie leben. Sie fliehen vor Krieg, HungerundNaturkatastrophen, vor Diskriminierung und Armut. Für viele von ihnen endet die Flucht tödlich. 60.620 Opfer der Festung Europa. Stand heute (18. Juni 2024)

Zum Weltflüchtlingstag am 20. Juni setzt der Berliner Dom ein Zeichen der Solidarität mit den Menschen auf der Flucht.Von 10 bis 18 Uhrwerden Namen der auf der Flucht nach Europa Umgekommenen im Berliner Dom verlesen. Begleitend gibt es zu jeder vollen Stunde einen musikalischen Impuls. Wir wollen erinnern und nicht wegschauen. Das ist das Mindeste, was wir tun können. Als Christinnen und Christen glauben wir, dass wir Fluchtursachen bekämpfen müssen, nicht Flüchtende.Um 18 Uhrbeschließt ein Gedenkgottesdienst den Tag und die Aktionen. Es predigt Bischof Dr. Christian Stäblein, der Flüchtlingsbeauftragte der EKD.
Zum Hintergrund
Am 3. Juni begannen zwei Kunstaktionen im Vorfeld des Weltflüchtlingstags im Berliner Dom:
„100 Boote – 100 Millionen Menschen“
Auf eine Initiative der Arbeiterwohlfahrt Sachsen-Anhalt (AWO) wurden 100 XXL-Origami-Boote gefaltet und mit individuellen Botschaften gestaltet. In vielen Einrichtungen bundesweit erinnern sie an die Hoffnungen und Schicksale der Flüchtenden. Auch im Berliner Dom steht ein solches Boot. Es wird am Weltflüchtlingstag in den Lustgarten hinausgetragen, um dort mit den anderen 99 Booten zusammengeführt zu werden. Im Rahmen einer von der AWO organisierten Gedenkveranstaltung erinnern sie an das Elend der weltweiten Flüchtlingsbewegungen.
„Beim Namen nennen!“
Bei der Aktion “Beim Namen nennen!“ werden die Namen der auf der Flucht nach Europa Umgekommenen, ihre Sterbedaten und die Umstände ihres Todes auf Papierbändern öffentlich gemacht. Die von Hilfsorganisationen gesammelten Informationen über die Verstorbenen lassen das Ausmaß ihrer Verzweiflung auf erschütternde Weise spürbar werden. Die Besucher des Berliner Doms waren eingeladen, sich in einer extra dafür eingerichteten „Schreibstube“ einen Moment der Ruhe und Besinnung zu nehmen und die Namen, Daten und Todesumstände auf Papierbänder zu schreiben. Sukzessivewurden alle Bänder in den Arkaden des Domes aufgehängt.
Christian Modehn ergänzt:
1.
Der “Welttag der Flüchtlinge” ist nicht auf diesen einen Tag (20.Juni) begrenzt, jeder Tag sollte in Demokratien ein Tag sein, in dem die universell geltenden Menschenrechte auch für Flüchtlinge erinnert werden. Und Flüchtlinge dürfen nicht pauschal als Gefährder, sondern als Gäste und spätere Mitbürger angesehen und respektiert werden. Dieser Gedanke fällt vielen in Europa schwer, angesichts der zunehmenden rechtsradikalen Hetze und Gewalt gegen Flüchtlinge und “Menschen aus anderen Kulturen. “
2.
Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) betont jetzt: 120 Millionen Menschen sind auf der Flucht, 120 Millionen Menschen sind Flüchtende.
Ein entscheidender Faktor für diese hohe Zahl leidender, hungernder, vertriebener Menschen ist auch der verheerende Krieg im Sudan, den so wenige in Europa beachten. 10,8 Millionen sind dort auf der Flucht. Wir kennen allmählich in Europa fast jede Stadt und jedes Dorf im Gaza-Streifen (zurecht!) mit Namen, haben aber überhaupt keine genauere Kenntnis, wie es den 10,8 Millionen Flüchtenden dort geht, n welchen Wüstenorten sie hungern und sterben. Es handelt sich offenbar um die “weniger wichtigen Leidenden” in der Sicht vieler… LINK.
Man vergesse auch nicht: Die meisten Flüchtlinge werden in “Zielstaaten” aufgenommen, in denen die Bevölkerung selbst meist in bitterer Armut lebt, etwa West-Afrika.
3.
Ministerin Svenja Schulze (SPD) warnt vor allen Taktiken der sich liberal nennenden FDP, den liberal – dogmatischen Sparkurs auch auf die deutsche Entwicklungshilfe auszudehnen.
4.
Wenn schon die großen Wirtschaftsunternehmen sich für Flüchtlinge interessieren sollten: Dann sollten sie doch bitte wissen: 5,3 Millionen Menschen, “Ausländische Arbeitskräfte”, darunter auch Flüchtlinge, leisten bereits jetzt einen Beitrag in Deutschland angesichts des massiven und größer werdenden Mangels an Arbeitskräften.
Also, liebe Unternehmer, liebe konservative und “liberale” Politiker: Denkt wenigstens strategisch – ökonomisch und laßt mehr Ausländer und Flüchtlinge wenigstens unter dem Titel  “Arbeitskräfte” nach Deutschland. Aber bitte schnell.

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de

Aphorismen von Jürgen Große: “Von schwankender Gestalt”.

Ein Interview: Anläßlich des neuen Buches von Dr. Jürgen Große, Berlin.

Veröffentlicht am 17.6.2024

Herr Große, Sie haben als Historiker und Philosoph schon etliche Bücher auch zum Thema “Religion und Philosophie” vorgelegt. Nun ist Ihre neue Sammlung von Aphorismen mit dem Titel „Von schwankender Gestalt“ erschienen, mit den drei Kapiteln Kunst, Religion und Philosophie.
Um auf den Titel zu kommen: Ist für Sie der Aphorismus ein schwankendes, suchendes, umstrittenes, vielleicht auch gefährdetes Aussagen von Erkenntnissen, vielleicht sogar von Wahrheiten?



Ob umstritten, müssen die einschlägigen Literaturräte entscheiden, ob gefährdet, hängt selten vom Inhalt ab. Was unter dem Titel „Aphorismen“, heutzutage veröffentlicht wird, ist ja oftmals recht bieder, eine Kundgabe von gefestigten Überzeugungen, die nun auch bitte die restliche Welt teilen möge! Wobei viele Autoren sich in ihrer Unschuld tatsächlich für gefährdet glauben durch die unerhörten geistigen Kühnheiten, mit denen sie sich ans Licht wagen …
Doch selbst in der Karikatur wird eine Norm sichtbar, wie der Aphorismus, die Sentenz, die Maxime, um einmal ältere Ausdrücke zu benutzen, sein sollte. Mit der sogenannten Kleinen Form, also auch dem Aphorismus, geht man ein Risiko ein. Es besteht da ein literarischer Zwang zum Apodiktischen, Verkürzten, oft Einseitigen. Wenn man zudem noch in anderen Genres schreibt, riskiert man mit Aphorismen seinen guten Ruf. Dennoch, man muß es wagen, sich nackt in seinen Meinungen, Gefühlen, Vorurteilen zu zeigen, auch in der ganzen Ideologiehaltigkeit der eigenen Existenz. Sonst ist es bloße eitle Feierabendschreiberei und Ich-Dekoration.

Wer schreibt Aphorismen?

Es gibt heute Unmengen von „Aphorismen“-Büchern. Aber die lesbaren Aphorismen werden meistens nicht unter diesem Titel veröffentlicht, sondern finden sich in Nachlässen, Notizen, Nebenarbeiten von Schriftstellern. Aphorismen sind interessant, wenn der Autor gerade nicht das Schatzkästlein seiner gut abhangenen Lebenserfahrung und Weltsicht literarisch überhöht, um sie dem Leser schön formuliert aufzubinden. Sondern im Gegenteil, wenn der Schreiber seine eigenen Defizite literarisch auslebt, in einer gewissen Exhibition und Übertreibung. Steht ihm hierbei ein gewisses philosophisches Vokabular zu Gebote, dann kann das hilfreich sein – wenn es sich nicht als Bildungswissen, als Überzeugungswut in den Vordergrund drängt.
Gerade Philosophen oder einschlägig Studierte sind da gefährdet. Literarisch aufgepeppte Philosopheme interessieren keinen! Doch ächzen professionelle Philosophen, die sich in der Kleinen Form versuchen, oftmals unter ihrem akademischen Bildungsbuckel. Egal, ob solche Menschen ihre sonstige geistige Existenz literarisch auflockern oder feierlich gestalten wollen, es wirkt angestrengt, künstlich, weil das Verhältnis zur Sprache instrumentell bleibt.

Als Aphorismenschreiber hat man sicherlich eine Nähe zur Philosophie, doch im literarischen Idealfall dreht man das Verfahren der professionellen Philosophie um. Man sublimiert und objektiviert seine Subjektivität nicht, sondern man macht sie – gern mit dem Begriffsrepertoire philosophischer Objektivität – scharfumrissen sichtbar. Was dann umgekehrt auch die philosophischen Denkformen und -resultate in einem anderen Licht zeigt, in ihrer versteckten persönlichen Bedingtheit etwa.
Amüsant – und für Autor und Leser erträglich – wird das alles erst bei einer gewissen Natürlichkeit literarischer Sprache und philosophischer Bildung, das heißt eben nicht als Sonntagsschreiberei, sondern schon im Vollzug der Normalexistenz. Dennoch, die Unsicherheit des Autors über den Wert solcher Elaborate wird immer bleiben, somit auch das, was Sie vielleicht mit „Schwanken“ meinen.

Wer oder was bringt diese Gestalten (Aphorismen) denn zum Schwanken? Äußere, gesellschaftliche Kräfte oder der denkende Autor selbst? 



Offensichtlich ein Mißverständnis! Ich meinte mit der schwankenden Gestalt im Untertitel erst einmal das, was bei Hegel die Erscheinungsformen des absoluten Geistes sind, also Kunst, Religion, Philosophie. Eine liebe-, aber auch respektvolle Ironie meinerseits; Stabilisierungsversuche erzeugen bei mir jedenfalls immer Respekt! Denn ich bin überzeugt, daß besagtes Schwanken von Kunst, Religion, Philosophie eine Tatsache ist. Es zeigt den gefährdeten, krisennahen Zustand einer als autark gewollten Kunst, Frömmigkeit, Begriffsdichtung. Das Schwanken resultiert schlicht aus deren Emanzipation.
Man setzt diese Gefährdung pauschal, aber nicht unbegründet mit „der“ Moderne gleich, diese Ansprüche einer Kunst um der Kunst willen, eines Denkens um seiner selbst willen, aus sich selbst gegründet. Zum Aphorismus kommt man angesichts dessen vielleicht, weil er eine literarisch und intellektuell angemessene Ausdrucksform der Unruhe, der Unsicherheit ist. Wobei – es sind auch schon Systeme in Aphorismen entworfen worden …

Sind (für Sie) Aphorismen bevorzugte Formen philosophischer Aussagen? Oder „nur“ Anreize, Impulse, Irritationen, Provokationen?

Ich schreibe auch langatmige Sachbücher und Essays! Aber tatsächlich ist für mich der Aphorismus die philosophische Königsform, weil sie zur Reduktion und somit zur Selbstkonfrontation zwingt: Was will ich sagen? Wollte ich das sagen? Was habe ich da eigentlich gesagt? War das wirklich notwendig?
Es ist ein Selbstgespräch, aber im Rahmen akzeptierter sprachlicher Regeln. Eine Verbindung von Strenge und Freiheit. Ich muß da keine Rücksicht auf tatsächliche oder – wie beim Sachbuchschreiben – imaginierte Gesprächssituationen nehmen, wo es ein Gegenüber argumentativ oder rhetorisch zu bezwingen gilt, wo man die ganze Sprachlast des „also“, „somit“, „daher“ mitschleppt. Kurz, das intuitive Element dominiert, nicht das kausale oder narrative. Der Aphorismus reißt Phänomen- oder Problemzusammenhänge überhaupt erst an, fixiert sie in einem sententiösen Kürzel.
Es ist auch geistige Selbsterziehung. Ich erkenne mich in meiner subjektiven Begrenztheit, meinen Vorurteilen und Denkängsten, ich möchte mich davon befreien, doch nicht, indem ich meine Subjektivität scheinobjektiv und sachlich schick mache für die Öffentlichkeit, sondern indem ich sie mit literarischen Mitteln übertreibe, sie zur Größe von religiösen Dogmen und philosophischen Systemen aufblase und erkenne: Das ist zu groß für einen Menschen, um darin zu leben; der Mensch ist ein vielleicht mängelbehaftetes, aber lebendiges Ganzes; dieses wiederum ist nur in Teilen durch Systeme und Dogmen zu erfassen …

Wie würde sich Ihrer Meinung nach eine geeignete Form der Lektüre Ihrer Aphorismen gestalten? Könnte man sagen: meditativ, verweilend, protestierend, die Irritation als Antwort ausdrückend?

Nichts davon muß, alles kann. Wenn mir Menschen schreiben, daß sie hier und da etwas zu lachen fanden, bin ich glücklich und zufrieden.

In Ihren Aphorismen steckt sozusagen Ihre eigene Philosophie, also das, was Sie als Philosoph für „wesentlich“ halten. Welche Elemente würden Sie da nennen?

Eine gute Fangfrage! Sie läuft letztlich auf die Trennbarkeit von philosophischem Gehalt und literarischer Form heraus, mit der ein Aphoristiker aber seinen Bankrott erklärt hätte. Man kann aphoristische Texte nur bedingt nach ihrem Wesensgehalt referieren. Deshalb bin ich auch bei meinen eigenen Büchern zu Nietzsche oder Cioran an gewisse Grenzen gestoßen.
Doch Ihre Frage zu dem, was ich an der Philosophie wesentlich finde, kann ich beantworten. Philosophie muß Selbst- und Welterkenntnis verbinden können, auf eine sprachlich wie logisch überzeugende Weise. Vielleicht auch auf einmalige, einseitige Weise. Deshalb wohl die unausrottbare Vorstellung, es gäbe so etwas wie Primärautoren, eben Klassiker, auf deren originäre Einsichten man zurückgreifen könnte.

In dem Kapitel „Religion“ wird für mich deutlich, dass Sie mit den Formen des religiösen Glaubens ringen, dass Sie aber auch die Konkretheit von Glaubensformen und Glaubensinhalten ablehnen, aber dann doch daran denken: Irgendeine vernünftige und gute Gestalt von religiösem Glauben könnte es doch geben. Verstehe ich Sie da richtig?

Daß ich konkrete Glaubensinhalte ablehne, wäre zu viel gesagt. Überhaupt kann man ja Glaubensinhalte nicht kritisieren oder ablehnen wie Protokollsätze! Aber als Intellektueller, als Schriftsteller, erfasse ich sie natürlich von einem Standpunkt aus, der seinerseits kein religiöser, zumindest kein religiös-dogmatischer ist. Das ist jedoch keine Metaposition oder geistige Konsumhaltung. Das Religiöse wird bei mir nicht vernutzt, auch nicht aufgeputzt! Intellektuelle und Schriftsteller, die den Glauben zu sozialen Distinktionszwecken benötigen, als Einstecktüchlein an die bürgerliche Ausgehuniform geheftet – die finde ich einfach peinlich. [Herr Mosebach, Sie sind gemeint!]
Und weiter: „Vernünftig“ und „gut“ wären schon sehr starke Ausdrücke für meine Klärungsversuche an dem, was „Glaube“ bedeutet. Keine Frage, Glaube kann Lebensform und Institution werden, auch spezielle Bewußtseinsform, in all diesen Fällen ist er dann deutlich von anderen Erfahrungsregionen abgehoben. Ich stelle mich da bewußt etwas ahnungs- oder vorurteilslos und suche die Gläubigkeit erst einmal auf einer alltäglichen, vielleicht banalen Ebene auf. Im banalen wie im anspruchsvollen Sinne kann nun aber niemand von sich selbst mit Sicherheit sagen, ob das sein „Glaube“ ist, was er denkt und fühlt!* Das ergibt sich erst aus Kontrasten mit anderen Erfahrungs- und Denkformen, natürlich auch mit anderen Glaubensinhalten, sprich, das geschieht im sozialen Raum. Und dann zeigt sich zum Beispiel: Gläubig wird jemand genannt, der von den – für andere Menschen – wirklichen Dingen behauptet, daß sie nicht wirklich sind oder wertvoll sind, und der von den – wiederum für andere Menschen – unwirklichen Dingen behauptet, daß sie wirklich sind oder wertvoll sind. So gelten dann schließlich ganze Menschengruppen als gläubig, andersgläubig oder ungläubig. In solchen Adjektiven drückt sich unvermeidlich das Glaubensverhältnis derer aus, die sie anderen anhängen.
*Speziell beim christlichen Glauben habe ich den Eindruck, daß sich sein Bekenner nie ganz sicher sein darf, ob er glaubt, ja auch nur, ob er richtig glaubt; die Sicherheit wäre dann wohl schon zu nahe beim Hochmut.

Die drei Kapitel des Buches, also Kunst – Religion – Philosophie, spielen also auf Hegels Überzeugung vom absoluten Geist an, der sich in drei Stufen zur Philosophie hin als höchster Form des Geistes entwickelt. Ist für Sie auch die Philosophie auch das Höchste der vernünftigen Leistungen des Menschen?

Ihrer Tendenz und ihrem Anspruch nach liefe das auf ein Ja hinaus. Aber das würde als Antwort wohl weder Sie noch mich befriedigen. Mir selbst käme eine Hierarchie entlang der (philosophischen) Vernünftigkeit arrogant und auch ein wenig borniert vor. Ich will damit nicht auf eine doppelte Wahrheit oder ähnliches hinaus, sondern sehe das Problem so ähnlich wie beim Glauben überhaupt: Seinem Ideal nach bringt jeder – dogmatisch befestigte – Glaube seine eigenen Maßstäbe mit, was als „seines“ zu gelten habe. Deshalb könnte es sein, daß auch die Philosophie sich nur im philosophischen Selbstgespräch befände, wenn sie die Vernunftquote von Kunst oder Religion zu ermitteln versuchen würde.

Menschen machen sich ihre Götter, das ist sicher ein zentraler Gedanke für Sie. Wie wäre es mit dem Gedanken: Gott als „schöpferische Kraft“ hat selbst in die Menschen diese seine göttliche Kraft (Geist, Vernunft) gelegt, dass sich die Menschen Götter machen? Die Götter und die Glaubensformen wären also Gottes „Produkt“! Dies wäre eine Überwindung der altbekannten Projektionslehre von Feuerbach.

Ein Entwicklungszirkel also, ein evolutionärer Pantheismus? Eventuell mit einer Perspektive auf die Konvergenz der Weltreligionen? Ich finde das spekulativ interessant und oft kühn und geistreich ausgeführt. Mein leichtes Unbehagen an solchen Spekulationen ist nicht prinzipiell inhaltlich-dogmatisch, sondern denkökonomisch begründet. Wenn man nämlich den Begriff Gott so weit von positiver Offenbarung hinweg ausdehnt (was bei einschlägig hermeneutischer Kunstfertigkeit ja theologisch machbar ist), dann leidet man vielleicht bald an einem Zuviel an Freiheit, weniger nett gesagt: an Beliebigkeit. Mich fesseln eher Denker und Autoren, die sich in engerem Rahmen abmühen. Die haben meine höchste Aufmerksamkeit, auch mein Mitgefühl. Mir fällt dazu das etwas grausame Nietzschewort von der ungeheuren Dummheit ein, daß man Jahrtausende nur gedacht habe, um etwas zu beweisen – und daß diese Dummheit erst den Geist groß gemacht habe.
Und zu Ihrer Eingangsformel: Da fällt mir ein anderer Titan des 19. Jahrhunderts ein, Karl Marx. Gewiß, Menschen machen sich ihre Götter wie ihre Geschichte selbst, aber eben auch unter vorgefundenen, nicht restlos frei wählbaren Bedingungen!

Jürgen Große, Von schwankender Gestalt, Kunst, Religion und Philosophie nach ihrer Befreiung. Taschenbuch, edition fatal, Potsdam 2024, 15 Euro.

Ebenso zum Thema von Jürgen Große: „Der Glaube der anderen. Ein Weltbilderbuch“ (2021),

“Der sterbende Gott” (2020).

Die Fragen stellte Christian Modehn.

Copyright: Dr. Jürgen Große, Berlin