Fast die Hälfte der Katholiken Frankreichs wählte am 24.4. 2022 wieder rechtsextrem.

Hinweis zum 2. Wahlgang am 24.4.2022 von Christian Modehn.

Beim entscheidenden 2. Wahlgang haben

58,54% der Franzosen für den Katholiken Emmanuel Macron gestimmt.
41,46 für Marine Le Pen. Marine Le Pen steht den Traditionalisten der Pius-Bruderschaft nahe. (28 % der Wahlberechtigten haben nicht gewählt oder ungültig gewählt, eine Tatsache, die die Krise der französischen Gesellschaft dokumentiert und alle Aufmerksamkeit verdient).

Beim 2. Wahlgang haben
45% der Katholiken für die rechtsextreme Kandidatin Le Pen gestimmt.
Von den so genannten „regelmäßig praktizierenden Katholiken“ (diese nehmen mindestens einmal im Monat an der Messe teil) haben 39% für Le Pen gestimmt.
Diese Ziffer bewertet die katholische Tageszeitung La Croix als Zeichen des „Widerstandes“ gegen Rechtsextrem. Komisches Urteil, wekch ein Unterschied zwischen 39% und 41,46 %?

Nebenbei die Erinnerung: Die Bischöfe haben bekanntlich vermieden, explizit aufzufordern, NICHT Le Pen zu wählen.

Zur Erinnerung:
Im 1. Wahlgang 2022 hatten sogar 16% dieser frommen, die Messe besuchenden Katholiken den sehr extrem rechtsradikalen jüdischen Politiker Zemmour gewählt, viel mehr als der Landesdurchschnitt! (Zemmour nennt seine Partei: Reconquete, also Rückeroberung, ein Wort, das an die katholische Vertreibung der Muslime und Juden im Spanien des 15. Jahrhundert erinnert).

Ein Vergleich zur Wahl 2017:
Da haben nur 29% der regelmäßig praktizierenden Katholiken die rechtsextreme Le Pen gewählt. Diese Steigerung im Jahre 2022 (39 %!) ist bemerkenswert.

Eine erste Bewertung: Zu den (im übrigens zahlenmäßig wenigen) praktizierenden Katholiken gehören auch in Frankreich ohnehin eher politisch rechts eingestellte Leute, eher gute Bürger, die etwa in den reichen Arrondissements des Pariser Westens wohnen. Sie meinen, die rechten und rechtsextremen Parteien könnten am besten die katholischen Moral – Prinzipien durchsetzen! Bekanntlich ist der Schutz des ungeborenen Lebens absolutes und oberstes Dogma vieler Katholiken, die Ablehnung der aktiven Sterbehilfe sowieso…Und die (klassische Hetero-) Familie ist bekanntlich „heilig“.

Diese Ziffern zu 2022 gehen auf eine Untersuchung der IFOP Sondage zurück. LINK.

Zum Wahlverhalten der Katholiken im ersten Wahlgang am 10.4.2022: LINK

 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Die Grenzen des Verstandes: Novalis wurde vor 250 Jahren (am 2. Mai 1772) geboren.

Ein Hinweis von Christian Modehn

Warum sollten wir uns jetzt an den Dichter und Philosophen Novalis (also an Friedrich von Hardenberg) erinnern, anläßlich seines 250. Geburtstages am 2. Mai (gestorben ist Novalis schon im Alter von 29 Jahren am 25.3.1801)?

1.
Wir dürfen in diesen Zeiten unseren Geist jetzt nicht fixieren lassen, so furchtbar auch der Krieg Putins gegen die Ukraine und die freie, demokratische Welt ist. Es ist für „uns“, im noch sicheren Westeuropa, hilfreich, inmitten der Ängste, einmal auf etwas ganz Anderes zu schauen, zum Beispiel auf die Philosophie und die Poesie der Früh-Romantik. Auf Novalis.
2.
Novalis hat leider nur kurze Zeit die Menschen mit seinem Denken inspirieren können, er ist als ein junger, hochbegabter Dichter und Philosoph der „Frühromantik“ viel zu früh gestorben.
Anläßlich seines Geburtstages sollten wir uns fragen: Was wissen wir eigentlich von der Romantik bzw. der Frühromantik in Deutschland?
Romantik ist alles andere als ein Gefühlsrausch, eine Lust am Irrationalen, am Phantastischen, wie ein volkstümlich-naiver Begriff meint. Die (Früh-)Romantik ist keine pauschale Ablehnung des Denkens, sie ist etwas anderes als der Rückzug in eine angeblich „schöne Innerlichkeit“. Es geht um die Erfahrung der Tiefe des Lebendigen, des Zusammenhangs der Einheit von allem, das meint wohl die von Novalis genannte „Romantisierung der Welt“: „Die Welt romantisieren heißt, sie als Kontinuum wahrzunehmen, in dem alles mit allem zusammenhängt. Erst durch diesen poetischen Akt der Romantisierung wird die ursprüngliche Totalität der Welt als ihr eigentlicher Sinn im Kunstwerk ahnbar und mitteilbar…“ Nur so können Gegensätze zusammengeführt werden.
Die Selbstcharakterisierung der Romantik „ist in einem revolutionierenden, progressive, neue Standards setzenden Sinn verstanden worden“ (zit. Romantik, Enzyklopädie Philosophie III, S. 2345).
3.
Das steht im Zentrum: Ohne eine gründliche und kritische Auseinandersetzung mit dem Absoluten im menschlichen Leben, mit Gott, gibt es keine Romantik. Diese Auseinandersetzung ist alles andere als ein metaphysisches Hobby einiger weniger.
Weil es zum Menschen gehört, kommt es darauf an, sich den Sinn für das Heilige zu bewahren, und angesichts von Krieg und aller Gewalt auf ein universales, ein humanes Christentum nicht nur zu hoffen, sondern den Frieden vorzubereiten. Der persönliche Glaube ist dabei entscheidend, nicht etwa die kirchliche Institution!
4.
Die Dichter und Philosophen, und mit ihnen Novailis, die um 1800 begannen, neu zu denken, wollten also eindringlich zeigen: Das menschliche Dasein ist eingebunden in einen weiten Zusammenhang, zu dem auch die Erfahrung des Absoluten, Göttlichen, gehört. Für Novalis ist entscheidend: Es gibt im Dasein „zwei Welten“, damit meint er das Erleben des Irdischen, Weltlichen UND das Erleben des Geistlichen, Spirituellen, Religiösen. Diese „Welten“ sind miteinander verbunden. Vor allem die Kunst bringt die geistliche Welt zum Ausdruck. Sie spricht von der Überwindung des Todes, der Unsterblichkeit der Seele, das ist für Novalis entscheidend. Darum kann er vom Christentum sagen: „Dies ist der Botschaften fröhlichste“, die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele. Das Gedicht „Das Lied der Toten“, kurz vor seinem Tod geschrieben, ist „Novalis` außerordenlichstes poetisches Werk“, so der Novalis Spezialist, Prof.Gerhard Schulz in seinem Buch „Novalis“ 2011, S.255. Das Gedicht verbindet christlich geprägte Todes-Mystik und Erotik. Im November 1800 schreibt Novalis:“Religion ist der große Orient in uns, der selten getrübt wird. Ohne Religion wäre ich unglücklich.So vereinigt sich Alles in Einen großen friedlichen Gedanken, in Einen stillen, ewigen Glauben“ (zit. in Schulz, a.a.O, S. 273.). Die „blaue Blume“ aus dem Roman „Heinrich von Ofterdingen“ von Novalis wurde zum Symbolder rmantischen Sehnsucht nach dem Göttlichen…
5.
Novalis hatte die Begabung, seinen ihm eigenen Glauben, seine ihm eigene Verbindung mit dem Göttlichen, als seine eigene, auch erotisch geprägte Lebenserfahrung auszusprechen. Dabei grenzte er sich vom überlieferten dogmatischen Kirchenglauben ab. Vermittler der Transzendenz, des Göttlichen, ist für ihn nicht so sehr Christus als der „klassische Erlöser“. Vermittler zu Gott ist – provokativ damals – auch die Geliebte, gerade in der erotischen Liebe wird das Göttliche berührt. Das gilt für Novalis um so mehr nach dem Tod seiner geliebten Verlobten Sophie von Kühn (gestorben am 19.3.1797). In den „Hymnen an die Nacht“ (veröffentlicht 1800) spricht Novalis eindringlich davon.
6.
Entscheidend fürs Denken Novalis` sind seine philosophischen Studien (der auch Bergmann, Salinentechniker und Jurist war) in Jena. Ihm gelang es danach, aus der Philosophie in die Dichtung, die Poesie, zu gelangen.
Philosophie hat er von Oktober 1790 bis Oktober 1791 In Jena studiert vor allem bei Carl Leonhard Reinhold, der als Kant-Interpret bekannt ist und als Begründer der so genannten Elementarphilosophie. Reinhold hat ihn mit Fichtes Philosophie vertraut gemacht, er lernte dort auch Friedrich Schiller näher kennen.
7.
Novalis aber hat sich der Subjektivitätsphilosophie nicht angeschlossen, die meinte aus der Analyse des Subjekts sozusagen die Welt zu konsstruieren. Für Novalis gilt:
„Frühromantisch heiße dagegen die Überzeugung, wonach das Subjekt selbst und das Bewusstsein, durch das es sich kennt, auf einer VORAUSSETZUNG beruhen, über die die Menschen nicht verfügen“, so der Philosoph Manfred Frank, in: „Auswege aus dem Deutschen Idealismus“, Suhrkamp 2007, S 68).
Das heißt: Das Absolute lässt sich – für Novalis – nicht mit einem definitiven Gedanken fassen, das Absolute ist kein Besitz der Reflexion, es ist eher eine kantische Idee. “Wir streben ihr unendlich nach, können sie aber nicht demonstrativ darstellen. Ein berühmtes Novalis-Wort von 1797 besagt: Wir suchen überall das Unbedingte, und finden immer nur Dinge (zit. M. Frank, a.a.O, s 69).

Wesentlich für die romantische Lebensform ist das Suchen, das Unterwegsein, bekannt und viel zitiert: das Wandern. „Wenn sie ihr Ziel erreicht haben, hören sie auf, Romantiker zu sein; sie fangen dann an, Philister zu werden“ (Jochen Hörich in“ Figuren des Glücks in der Romantik. Wanderung ins Anderswo“, Glück. Ein interdisziplinäres Handbuch Stuttgart 2011, S. 219).
Wer an seinem Ziel angekommen ist, der ist dann auch am Ende. Unterwegsein ist das Ziel, der Lebenssinn.. Das ist das Glücksgefühl der Romantiker, im Unterwegsein das Ziel wahrzunehmen. Diese Lebensform wird als solches bejaht, der Klagetopos „wäre ich nie geboren“ passt nicht in diese romantische Haltung. Das große Glück kann hier und jetzt erlebt werden, vor allem in den Augenblicken der Liebe.

8.
Für das philosophische Denken ist der Begriff „Fragmente“ als Denkform entscheidend. Novalis betont: Allwissend kann der Philosoph nicht sein, auch in einem System lässt sich die Wahrheit nicht abbilden. Was der Philosoph im Erkennen ausspricht, bleibt relativ. Und wenn man philosophiert, dann sollte der Philosoph es in Gemeinschaft tun
9.
Diese Denkform des Fragments widerspricht dem Denken Hegels als einem „System-Philosophen“.
Hegel wirft der Romantik im allgemeinen Verirrungen des Geschmacks und eine Missachtung des Objektiven vor, so vor allem in seiner Rezension zu „Solgers nachgelassene Schriften und Briefwechsel“, 1826.
In den „Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie“ spricht Hegel nur kurz von Novalis, er fügt dessen Denken in die „Religiöse Subjektivität“ ein. Ihr unterstellt Hegel eine „Verzweiflung am Denken, an Wahrheit, an und für sich seiender Objektivität, man verlässt sich auf seine Empfindungen, zumal religiöse Empfindungen“. Novalis ist für Hegel der Denker der „Sehnsucht einer schönen Seele“, die mit dem „Weben und Linienziehen in sich selbst“ befasst ist, und Hegel geht in seiner Verurteilung noch weiter: „Diese Extravaganz der Subjektivität (bei Novalis) wird häufig Verrücktheit“ (Suhrkamp, Werkausgabe, Band 20, S 418). Hegel konnte sich das Denken Gottes außerhalb seines Systems offenbar nicht vorstellen. Bescheidenheit im Denken an Gott war ohnehin nicht seine Sache.

10.

Die Christenheit oder Europa“ hat Novalis 1799 verfasst, diese Rede (auch ein Fragment) wurde dann erst post mortem 1802 in Auszügen veröffentlicht und 1826 vollständig publiziert. Es gab schon gleich nach Bekanntwerden dieser Schrift 1799 Bedenken zur Veröffentlichung, weil der protestantisch geprägte Freundeskreis von Novalis (er selbst, Friedrich von Hardenberg, auch ein eher pietistischer Protestant) vermutete, dass  zu viel Ehre und Bedeutung dem Katholizismus zuteil werde. Dabei dachte Novalis wohl eher an eine Christentum, das von seinen konfessionellen Grenzen (wie dem Papsttum) befreit ist. Der romantische Dichter Ludwig Tick sagte 1837, diese Vision von Novalis sei „ein unnützer Aufsatz“, ähnlich hatte sich auch Goethe geäußert. Wilhelm Dilthey hat dann später noch daran erinnert, dass dieser Europa – Text der restaurativen Politik der Fürsten im frühen 19. Jahrhundert als Ideologie gedient habe. Darin erträumt sich Novalis eine politische Utopie, die sich stark an seinem Vorbild der mittelalterlichen Ordnung orientiert. Für die eigene Gegenwart schrieb Novalis diese Vision, dabei war er bestimmt durch die in seiner Sicht verheerenden Wirkungen und Einflüsse der Französischen Revolution und der französischen Aufklärungsphilosophie. Veranlasst zu diesem Traum von einem christlich geeinten Europa wurde Novalis durch die Schrift von Schleiermacher „Über die Religion“. Jedenfalls erhoffte sich Novalis eine neue europäische Friedensordnung durch eine gemeinsame europäische christliche Religion. Sie sollte so etwas wie ein gemeinsamer Nenner der verschiedenen Nationalstaaten werden. Schon damals problematisch war der Eindruck, als leugne Novalis die Pluralität der Religionen in Europa als besten Beleg für Religionsfreiheit und Toleranz…

Ein Zitat aus dem Text von 1826 in der damaligen Schreibweise:
„Die Christenheit muß wieder lebendig und wirksam werden, und sich wieder ein[e] sichtbare Kirche ohne Rücksicht auf Landesgränzen bilden, die alle nach dem Ueberirdischen durstige Seelen in ihren Schooß aufnimmt und gern Vermittlerin, der alten und neuen Welt wird. Sie muß das alte Füllhorn des Seegens wieder über die Völker ausgießen. Aus dem heiligen Schooße eines ehrwürdigen europäischen Consiliums wird die Christenheit aufstehn, und das Geschäft der Religionserweckung, nach einem allumfassenden, göttlichem Plane betrieben werden. Keiner wird dann mehr protestiren gegen christlichen und weltlichen Zwang, denn das Wesen der Kirche wird ächte Freiheit seyn, und alle nöthigen Reformen werden unter der Leitung derselben, als friedliche und förmliche Staatsprozesse betrieben werden. (http://www.zeno.org/Literatur/M/Novalis/Essay/Die+Christenheit+oder+Europa)
Diese Friedens- Zeit für Europa werde eines Tages kommen, Geduld sei nötig, meint Novalis. „Nur Geduld, sie wird, sie muß kommen die heilige Zeit des ewigen Friedens, wo das neue Jerusalem die Hauptstadt der Welt seyn wird; und bis dahin seyd heiter und muthig in den Gefahren der Zeit, Genossen meines Glaubens, verkündigt mit Wort und That das göttliche Evangelium, und bleibt dem wahrhaften, unendlichen Glauben treu bis in den Tod“

11.
Dieser Hinweis nennt nur einige Aspekte der aktuellen Bedeutung von Novalis.

Zum Schluss ein Gedicht aus den „Hymnen an die Nacht“ (aus der 5. Hymne), als Beispiel für die Spiritualität Novalis`. Darin äußert er dann doch eine gewisse Art genauerer Kenntnis der ewigen himmlischen Welt: Aber diese mitgeteielte “Kenntnis” ist Sehnsucht, ist Hoffnung.

„Getrost das Leben schreitet
zum ewgen Leben hin;
Von innrer Glut geweitet
Verklärt sich unser Sinn.
Die Sternwelt wird zerfließen
Zum goldnen Lebenswein,
Wir werden sie genießen
und lichte Sterne seyn
Die Lieb‘ ist frei gegeben.
Und keine Trennung mehr
Es wogt das volle Leben
wie ein unendlich Meer
Nur eine Nacht der Wonne –
ein ewiges Gedicht
Und unser aller Sonne
ist Gottes Angesicht.“

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

 

 

Putin – der Nihilist.

Ein philosophischer Hinweis von Christian Modehn am 10.4.2022.

Ergänzung am 10.5.2022. Nach der Rede Putins am 9. Mai 2022: 

– Putins Rede ist eine einzige Lüge.

– Putin zeigt einmal mehr, dass er von der Lüge total beherrscht ist. Weiß er noch, dass er lügt? Die totale Lüge ist ein Zeichen des Nihilisten.

– Putin will einen Krieg gegen die Ukraine (und den Westen), der sich in die lange Dauer, in die Länge zieht. So kommen immer mehr Menschen ums Leben. Aber das ist ihm egal. So werden immer weniger Menschen in Afrika z.B. Weizen aus der Ukraine beziehen können. So werden die Nerven aller Demokraten weltweit immer mehr strapaziert. Alle reden nur noch von Putin. Die Welt wird insofern “klein”, fixiert auf einen Verbrecher, falls Mister Trump, auch ihn nennen viele einen Verbrecher, nicht wieder das Feld beherrscht.

– So wird einmal mehr evident: Wer nach “dem” Bösen”fragt, verstehe dies bitte als eine personale Bezeichnung, bezogen auf einen Menschen, es geht um den bösen Menschen. Was denn sonst? Wer glaubt denn noch an metaphysische Kräfte DES (neutral  verstandenen) BÖSEN? Etwa an die Erbsünde? Soll den denn der Verbrecher Putin ein Beispiel für die Relevanz der Erbsünde (Adam und Eva) sein? Wie lächerlich, diese Vorstelling.

– Es sind immer nur Menschen, die sich in ihrer Freiheit entscheiden, total böse zu werden. Das erleben wir auch bei Putin. Und seinen Getreuen, auch in den Kirchen, wie dem so genannten Patriarchen Kyrill I. Er darf sich immer noch Christ und sogar seine Heiligkeit nennen. Die Kirchen des Westens sind zu schwach, zu ängstlich, diesen Kriegstreiber aus der Ökumene der Christen raus zu schmeißen.

– Und auch Papst Franziskus hat Verständnis für Putin, der in päpstlicher Sicht von der Nato bedroht ist. Sind das erste Anzeichen päpstlicher Verkalkung? Wahrscheinlich, und ein bißchen verständlich bei einem Alter von 85 Jahren… So wird eine Weltkirche, eine Organisation mit 1,4 Milliarden Mitgliedern,  “regiert”? LINK

…………..

1.
Philosophische Kommentare zu Putin, seinem Krieg gegen die Ukraine und die Demokratien der westlichen Welt insgesamt, sind zwar nicht zahlreich, können aber eigene Relevanz haben. Denn philosophierend versuchen wir die Gegenwart auf den Begriff zu bringen. Jetzt im Krieg Russlands gegen die Ukraine muss man die wichtigste ethische und menschliche Haltung des obersten Kriegsherren Wladimir Putin freilegen.
2.
Ein Begriff ist dabei entscheidend: Der Nihilismus. Dass mit Nihilismus etwas grundlegend anderes gemeint als mit dem philosophischen und religiös/mystischen Begriff NICHTS versteht sich von selbst und muss hier nicht entwickelt werden.

Ein Nihilist glaubt unbedingt an die Allmacht der Zerstörung. Wenn er andere tötet, geschieht dies in Gleichgültigkeit und Gewissenlosigkeit. Andere Menschen, alles Lebendige, sind für den Nihilisten nichts als wertlose Objekte, die dem Täter zur Verfügung stehen und vernichtet werden können. Der Nihilist gibt vor, dass ihn Ideologien leiten, wie Nationalismus, Antisemitismus, Rassismus usw., tatsächlich aber ist für ihn die Lust an der Zerstörung, das Hinabstürzen von Allem ins Nichts, ins total Leere, entscheidend. Aus „diplomatischen“ Gründen bekennen das Nihilisten nicht so deutlich, sie verschleiern ihre Destruktivität noch mit vielen Worten, ein letzter Rest von moralischem Bewusstsein?
3.
Erich Fromm, der Psychoanalytiker und Philosoph, hat den Nihilisten den Nekrophilen genannt, den Menschen, der alles Tote mehr liebt als das Lebendige und die lebenden Menschen. Für Erich Fromm gibt es zwei entscheidende menschliche Existenzformen: Die Biophilie und die Nekrophilie, in ähnlicher Form lässt sich die Existenz auch im Modus des Habens (Besitzers, Herrschers) oder im Modus des Seins (Leben, Lieben) aussagen. In totalitären Systemen lebt der Herrscher seinen Sadismus aus in dem „Wunsch, andere leiden zu machen oder sie leiden zu sehen.. Das Ziel dieser Sadisten ist, andere aktiv zu verletzen, zu demütigen, in Verlegenheit zu bringen oder sie in peinlichen oder demütigenden Situationen zu sehen“ (Erich Fromm, zitiert in Rainer Funk, Mut zum Menschen, Stuttgart 1978, S. 65). Dafür gibt es zahlreiche Beispiele, zuletzt etwa den monströsen surrealen Tisch, an den sich demokratische Politiker offenbar ohne weiteres setzten, der belorussische Diktator wurde von Putin zur gleichen Zeit an einem gemütlichen runden, kleinen Tisch empfangen….
4.
Hier wird vorgeschlagen, nicht so sehr den im ganzen auch hilfreichen psychologischen Interpretationsvorschlägen von Erich Fromm zu folgen, sondern eher den philosophischen Begriffen … und Putin als einen Nihilisten zu verstehen, als einen Menschen, der von der Lust am Nichts , also von einer lange geplanten totalen Vernichtung des Lebendigen, des Demokratischen, beherrscht ist. Diese nihilistische Destruktivität als Hauptmerkmal gilt, selbst wenn Putin noch viel von der alten Ideologie der „russischen Welt“ phantasiert oder von der orthodoxen Religion oder sogar von den Werten des Christentums (gegen den angeblich atheistischen Westen) spricht.
5.
An den Taten erkennt man den Nihilisten, nicht an seinen Worten.
In Putins Angriffskrieg gegen den selbständigen Staat Ukraine fällt auf: Die von ihm heiß begehrten, angeblich russischen Regionen im Osten der Ukraine, vor allem die Städte dort, werden von ihm im Krieg total zerstört, Städte also, die er angeblich mag und für sein Imperium nutzen will. Welch ein Widerspruch!
Es sind barbarische Taten, die da sein Militär begeht.
Putin als Sadisten freut es offenbar, dass in der geplanten Zerschlagung der Ukraine zugleich auch die „Kornkammer des Planeten“, wie es treffend heißt, vernichtet wird und dadurch „ein Hurrikan des Hungers“ (so UN-Generalsekretär Guterres) erzeugt wird. Der russische Diktator verkündet gleichzeitig einen Getreide-Exportstopp aus Russland bis zum 30.6. 2022, eine weitreichende Hungerkatastrophe zumal unter den Menschen in Nordafrika (Käufer russischen Weizens) wird bewusst vorbereitet. Stalin hatte schon einmal eine der schlimmsten Hungerkatastrophen realisiert: 1933 verhungerten in der Ukraine auf seinen Befehl dreieinhalb Millionen Menschen, „Holodomor“ wird das totale Verbrechen genannt.. Auch Stalin war ein Nihilist. Dass ihm seine kommunistische Ideologie nichts bedeutete, zeigte sich an seinem Pakt mit dem Faschisten Hitler.
Diese Haltung des Zynismus hat Putin mit Stalin gemeinsam: Selbst wenn Putin von Völkerfreundschaft die Rede ist, gilt jegliche Handlung dem „Trachten nach Bereicherung und Ausweitung des eigenen politischen Einflusses“ (Mischa Gabowitsch, „Putin kaputt?“, Berlin 2013, S. 64).
Über die nihilistische Mentalität Putins und seines Regime schreibt Katja Gloger in ihrem wichtigen Buch „Putins Welt“, München 2022, S. 135. Sie zitiert die russische Journalistin Jewgenija Albaz: „Um des Geldes willen ist alles erlaubt. Dieses Regime geht davon aus, dass jeder gierig und käuflich ist. Dass niemand Ehre und Würde empfindet“.
„Die russischen Eliten nehmen sich den sadistischen Genuss heraus, den verarmten Massen ihr Dolce Vita zu demonstrieren – um ihre Dominanz zu demonstrieren. In Russland lebten 2017 russische 131 Milliardäre, 180.000 Dollar Millionäre…Acht Prozent der Russen leben unter der Armutsgrenze, im Öl – und Gas – Imperium können manche Bürger von einem Gasanschluss nur träumen…. Ein Drittel der männlichen Bevölkerung lebt nicht lange genug, um einen Rentenanspruch zu stellen…“ (zit. Liza Alexandrova-Zorina, Lettre international, Winter 2017,S.44)
6.
Der Nihilist lebt im Selbst-Widerspruch des Lügners. Angeblich liebt er Dinge und Menschen, die er aber total zerstört. Angeblich ist Putin ein in der Kindheit getaufter orthodoxer Christ, aber den Hungertod von Millionen nimmt er in Kauf, die Gräueltaten seines Militärs . Alle seine Erklärungen zu den Kriegsverbrechen der russischen Truppen in der Ukraine sind eine Lüge, sie wollen verwirren, das klare Denken kaputt machen. Lüge ist das geistige Grundübel, also das geistige Verbrechen der Nihilisten.
Die Russland-Spezialistin und Journalistin Katja Gloger schreibt über den typischen nihilistischen Umgang mit Wahrheit und Lüge im Putin Reich: „Die Grenze zwischen Fakten und Fiktion verschwimmt: Fakten sind Fiktion und Fiktion wird zu Fakten…So schaffen Russlands Medien eine neue, konfuse Realität, der sich kaum nicht jemand anziehen kann…Eine Wanne voller Blut jeden Abend im russischen Fernsehen ist eine politische Realität geworden, sagt der ehemalige Spindoktor des Kreml, Gleb Pawlowskij“, (in „Putins Welt“, München 2022,S. 107).
Immanuel Kant schreibt: „Die Lügenhaftigkeit ist an sich böse. Die Lüge ist zu nichts gut, in welcher Absicht immer; sie ist an sich selbst böse und verwerflich. Lügenhaftigkeit ist “Nichtswürdigkeit, wodurch dem Menschen aller Charakter abgesprochen wird”, zit. In Kant-Lexikon, Rudolf Eisler, https://www.textlog.de/32495.html.
7.
Noch einmal: Der Nihilismus von Putin und seinen Leuten, den Milliardären, Oligarchen und Militärs, zeigt sich in deren permanenten Lügen-Propaganda. Sie ist so dreist und irrational, dass man lachen könnte, wären die Lebensbedingungen der Menschen in dem selbständigen Staat Ukraine nicht so verheerend. An die Lügen hatte sich Putin schon früh gewöhnt und sie als seine Lebensstrategie entwickelt: Zum Putin-Krieg gegen die Ukraine 2014 hat der russische Philosoph Michail Ryklin in „Lette International“ Herbst 2014, Seite 141, geschrieben: Schon damals folgte Putin der alten, lügnerischen Masche., die er als Zögling des KGB gelernt hatte zum Zweck des Machterhalts der Diktatur: „Die Grundlage für diesen Krieg liefert die totale Desinformation mitsamt nachfolgender Bezichtigung des Gegners jener Verbrechen, die man selbst ihm gegenüber begangen hat“. Und weiter schreibt Ryklin im Jahr 2014 !: „Je schlimmer die Torturen sind, welche die Ukraine zu ertragen hat, um so größer ist in Putins Sicht die Schuld der Ukraine selbst daran… Der Putinismus tötet mit seiner Berührung all das Lebendige, was in seinen Untertanen noch enthalten ist“ (ebd).

Putins Krieg ist nicht nur ein Krieg gegen die Ukraine, es ist ein totaler Krieg, der die ganze Welt in eine Zerrüttung führt, ökonomisch, ökologisch, friedensethisch, religiös. Putin und seine “Getreuen” vernichten eine halbwegs noch geordnete Form der Ernährung selbst der ärmeren Länder, Putin zuerstört Vertrauen, beeinflusst die westlichen Demokratien, er will mit allen Tricks und aller Gewalt will diese Demokratien schädigen, etwa in seiner Unterstützung für Trum oder Marine le Pen. Kann man sagen: Mit Putin wird es nie Frieden geben? Bestenfalls einen Waffenstillstand als Pause vor dem nächsten Krieg? Wer mit diesem Putin noch heute, Ende April 2022 noch eng freundschaftlich ergeben und verbunden ist, wie ein gewisser Herr Gerhard Schröder in Hannover, sollte der nicht auch als Partner eines Kriegsverbrechers gelten, wie viele politische Beobachter zurecht sagen?

Für die Philosophie ist die Lüge, zumal die permanente Lüge, der Gipfel menschlicher Verkommenheit.
8.
Es wird jetzt immer wieder auch von Literaten darauf hingewiesen, dass sich in der geistigen Substanz von Putin und den Seinen „ein großes Nichts“ offenbart. Dies betont die tschechische Schriftstellerin Magdalena Platzová. Sie meint dann leicht ironisch, „dieses große Nichts sei etwas, das man am besten mit Wodka runterspült“. Aber: Zu dem großen Nichts in Putin kommt die Autorin durch die Beobachtung der bekannten russischen Puppe Matrjoschka: Diese Matrjoschka ist “ein Großrussland, in das die anderen Länder hübsch ordentlich nach Größe eingeordnet werden: Armenier, Georgier, Ukrainer, Kasachen, Litauer, Esten und andere. Und wenn sich die große Puppe leert, ist sie hohl wie ein Fass. Ein großes Nichts. (Quelle: iLiteratura (Tschechien), 01.04.2022, Perlentaucher, 5.4.2022). Tatsächlich wird im populären Putin Kult dieser Diktator auch schon als Matrjoschka verkauft…
9.
Noch einmal muss betont werden: Putin (und seine Getreuen) als Nihilisten zu bewerten, steht in keinem Widerspruch zu dem vom Diktator nach außen hin gezeigten Bekenntnis zur russischen Orthodoxie. Man denke nur an diese inszenierten Fotos: Putin im Gebet in der Kathedrale, im vertrauensvollen, freundschaftlichen Gespräch mit Patriarch Kyrill (auch er einst KGB-Mitarbeiter), Putins Pilgerfahrten zum heiligen Berg Athos (Griechenland), seine Bereitschaft, prächtige Kathedralen der russischen Orthodoxie in Frankreich zu finanzieren etc. Der christliche Glaube bewegt Putin jedenfalls nicht persönlich, „innerlich“, denn sonst hätte er auf sein mörderisches Treiben verzichtet. Und sein Intimus, der Patriarch Kyrill von Moskau, hat es wohl bisher versäumt, Putin an seine Christen-Pflichten zu erinnern. Vielleicht glaubt der Patriarch selbst nur an die Macht und die Macht des Geldes, über auch der reichlich verfügt. Aber die vielen gläubigen Leute auf dem Land sehen die Fernseh-Bilder des staatlichen Fernsehens, andere Informationsmöglichkeiten haben sie nicht, und sie freuen sich, wie ihr Präsident betet, von Weihrauchwolken umhüllt ist und vor allem den einstigen KGB Kollegen, Patriarch Kyrill, brüderlich umarmt.
Und die russisch-orthodoxe Kirchenführung ist mit diesem Nihilisten Putin Und das aufs engste verbunden. Und das ist der Skandal: Die westlichen Kirchen denken offenbar nicht daran, Patriarch Kyrill als den besonderen Kriegstreiber SOFORT aus der Ökumene offiziell zu werfen. Und das ist eine Schande für alle anderen Kirchen, die noch christlich sein wollen. Immerhin hat jetzt der katholische Bischof von Münster Felix Genn den Putin-Patriarchen Kyrill I. „eine Schande für unseren christlichen Glauben genannt“. (Quelle: https://www.domradio.de/artikel/bischof-genn-kritisiert-russisch-orthodoxen-patriarchen)

10.
Wenn hier also Putin als Nihilist vorgestellt wird, dann ist nicht der „russische Nihilismus“ gemeint, der unter der Regierungszeit von Zar Alexander II. (1855-1881) in Kreisen oppositioneller Intellektueller lebendig war. Für diese Kreise waren Attentate und das Projekt „Zarenmord“ in gewisser Weise die Voraussetzung, um eine neue, menschenfreundlichere Gesellschaft zu schaffen. Nihilismus als Selbstbezeichnung einiger kritischer Intellektueller war damals eine kulturell-politische Bewegung durchaus emanzipatorischer Art, sie wurden auch Radikaldemokraten genannt. Man denke an Alexander Herzen, Nikolai Gawrilowitsch Tschernyschewski….
11.
Hingegen sieht Philosophie das Stichwort Nihilismus als Ausdruck für eine Haltung, dass alle Werte NICHTS sind, dass das Leben NICHTS ist, also sinnlos. Vor allem auf den russischen Dichter Iwan Sergejewitsch Turgenjew geht der heutige philosophische Nihilismus-Begriff zurück; man denke an seinen Roman „Väter und Söhne“ von 1862. Es ist im Roman der angehende Arzt Basarow, der betont:“Es gibt keine moralischen Prinzipien“. Basarow erkennt nichts Wertvolles an und er weiß nichts von Respekt, bewertet alles Lebendige nach Nützlichkeitserwägungen. Bei einem Spaziergang sagt er: „Hoffentlich gibt es in diesen Teichen Frösche… zum Sezieren.“ Er ist ein Mensch, der sich „vor keiner Autorität verbeugt, der kein einziges Prinzip auf Treu und Glauben gelten lässt, gleichgültig welchen Ansehen sich dieses Prinzip auch erfreuen möge“ (Turgenjew, Väter und Söhne).
12.
Putin, so wird in der Presse demokratischer Staaten berichtet, lebt jetzt immer mehr zurückgezogen, als ein Herrscher, der sich isoliert. Aber er hatte und hat ein Team von Ideologen, die ihm die Stichworte für seinen Krieg und seine nihilistische Ideologie liefern. Darauf weist „Le Monde Diplomatique“, Deutsche Ausgabe, April 2022, S. 8 hin : „Wer sind die russischen Falken. Hinter Putin politischer Radikalisierung stehen ultranationalistische Ideologen“ von Juliette Faure. Sie erwähnt einen einschlägigen politisch-religiösen Zirkel, den „Isborsk-Club“, in dem sich antiwestliche reaktionäre Ideologen und Kriegstreiber treffen.
In einem Interview betont Katharina Blum, Leiterin des OIsteuropa-Instituts der FU Berlin: „Zum Klub gehört aber auch jemand wie Tichon, der Metropolit der Russisch-Orthodoxen Kirche ist. Er gilt als Beichtvater von Putin, hat Bücher verfasst und betätigt sich als Regisseur… Orthodoxe Konservative und Monarchisten betonen vor allem die russisch-orthodoxe Kultur. Es ist demnach die Kirche, die Russland eine Identität verleiht. Sie beziehen sich auf das griechisch-orthodoxe Byzanz und sehen sich in der Tradition Dostojewskis, der Moskau als „Drittes Rom“ bezeichnet hat“. (Quelle: https://www.belltower.news/russlands-antiwestliche-ideologien-wichtig-ist-imperiales-denken-128641/ gelesen am 8.4.2022)
13
Putin (und die Seinen) als Nihilisten zu bezeichnen ist eine philosophische Erkenntnis, keine feuilletonistische Unterhaltung. Ein Nihilist geht aufs Ganze, hat den Willen zu zerstören, die anderen, die Feinde sind, zu zerstören und warum nicht auch das Volk, dem er zugehört? Wenn nur er selbst überlebt… Schließlich ist Putin entschlossen, bis 2036 im Amt zu bleiben, also bis ins Greisenalter von 84 Jahren. In der neuen Verfassung, die ihn offiziell bis 2036 regieren lässt, steckt so etwas wie sein Wille zum ewigen Leben, zur totalen Herrschaft … ad aeternum. Dieser Typ wird niemals Ruhe geben und Frieden wahren, solange er nicht mit seinen tödlichen Kriegen seine Ideologie realisiert hat, die Ideologie der totalen Herrschaft.
14.
Zum Schluss eine Erinnerung an Friedrich Nietzsche, der mit großem Elan den Nihilismus studierte und dazu publizierte. Nihilismus war für Nietzsche ein zentraler Begriff seiner Analyse der Moderne. Der Philosoph und Nietzsche Spezialist Prof. Volker Gerhardt schreibt in seinem Buch „Friedrich Nietzsche“ (München 1992), über Nietzsches Einsichten zum nihilistischen Menschen: „In diesem Willen zum Nichts leugnet der Mensch aber alles, was für sein Dasein wesentlich ist. Ja, er wendet sich gegen das Dasein selbst, indem er das durchstreicht, was dem Dasein Ziel und Inhalt gibt. Und so stellt sich hier das Leben gegen das Leben und führt zu einem elementaren Unsinn…“ (S. 155). … „Nihilismus bezeichnet für Nietzsche einen Zustand, in dem der Mensch letztlich nur das Nichts will. Ein solcher Wille zum Nichts kann aber nur ein Ausdruck äußerster Bedrohung oder Verelendung sein“ (S. 154).
15.
Putin hat zwar in seinem nationalistischen Wahn der totalen „Russischen Welt“ immer noch konkrete Ziele, die es zu erobern gilt. Aber diese Eroberung geschieht nur als totale Zerstörung, siehe die Putins Ukraine-Krieg von 2022 vorbereitenden Gräueltaten in Tschetschenien, Georgien, in Syrien oder im Osten der Ukraine und in Libyen usw.. Denn dass er einmal den Mittelmeer-Raum beherrschen will und beherrschen kann, via Syrien und Libyen und Eritrea usw. ist evident, dies macht ihn zum Herrscher des totalen russischen Reiches… Es sei denn, die demokratischen Staaten des Westens können das definitiv verhindern.
16.
Putin als Symbol-Figur des Nihilismus ist insofern auch eine Katastrophe, als er das Fühlen und Denken der Menschen der Welt bestimmt, wenn nicht determiniert: Er erzeugt Angst, nicht nur bei den Leidenden in der Ukraine und bald auch bei den Familien in Russland, die den Tod ihrer Söhne im Krieg bedauern und hoffentlich nicht noch als Helden feiern…
Putin als Nihilist fördert bewusst Irritationen, lässt an jeglicher Aussage zweifeln, sein maßloser Vernichtungswille führt dazu, dass die demokratischen Staaten immer mehr Geld für Rüstung ausgeben müssen … und Waffen sozusagen „das tägliche Brot“ werden, es kommt zu Einschränkungen in den Lebensbedingungen. Putin als Nihilist führt dazu, dass die demokratischen Staaten die Armen und arme Gemachten dieser Welt, etwa in Afrika, vergessen. Die demokratische Welt soll, so will es Putin, zerfallen, im Streit und im Hass gegeneinander, auch dies ist eine Konsequenz seines totalen Nihilismus. Wenn man Demokratie als lebendige Staatsform versteht, als Staat des Streitens um die beste Gestaltung der Menschenrechte, dann ist Putins Hass auf die Demokratie, jetzt auf die jungen Demokratie in der Ukraine, typischer Ausdruck seines Nihilismus.
Ein Nihilist ist der totale Verwirrer und Zerstörer.

Und die russisch-orthodoxe Kirche ist mit diesem Nihilisten aufs engste verbunden. Die westlichen Kirchen denken offenbar nicht daran, Patriarch Kyrill als den besonderen Kriegstreiber SOFORT aus der Ökumene offiziell zu werfen. Und das ist eine Schande für alle anderen Kirchen, die noch christlich sein wollen.
17.
Wie lässt sich Nihilismus überwinden? Diese Frage bewegt in der langen Geschichte die Philosophie. Um nur ein Beispiel zur nennen: Nietzsche sah eine Überwindung des Nihilismus in seiner Idee des „Übermenschen“, der den biederen Spießbürger, den „letzten Menschen“ („letzter Mensch“ im moralischen Sinne) überwinden soll.
Hier aber geht es um die politische und existentielle Frage: Wie kann man einen Nihilisten überwinden bzw. eine ganze Clique, die sich dem Nihilismus als moralischer Verworfenheit hingibt. Diese Nihilisten müssen ihre Macht verlieren, nur so kann die Welt in Frieden UND Demokratie leben. Es geht also im Kampf gegen Putin um einen Kampf gegen den gefährlichsten und barbarischsten unter allen Nihilisten: Dass es Nihilisten als Politiker heute auch anderswo gibt, ist eine Tatsache, und ein anderes Thema.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

 

Gibt es „das“ Böse“? Oder nur „den bösen Menschen“?

Für einen differenzierten Umgang mit „dem moralisch Bösen“.

Ein Hinweis als Diskussionsbeitrag von Christian Modehn.

1.

Es gibt Taten: Folter, Mord, Totschlag und Erschießen Unschuldiger im Krieg, also Taten, die von jedem Menschen verurteilt und bekämpft werden, von Menschen, die sich ihre Menschlichkeit bewahrt haben und ihrem Gewissen entsprechen.
In solcher theoretischen wie praktischen Zurückweisung von Folter, Mord, Totschlag, Erschießen Unschuldiger im Krieg usw. stellt sich, spontan, wie von selbst, bei Menschen mit Gewissen die Erkenntnis ein: Diese Taten sind böse. Sie dürfen nicht sein, sie sollen deswegen verhindert/beendet werden und sie müssen bestraft werden.

2.

Bestimmte Taten bestimmter Menschen, also der Mörder, der hemmungslos mordenden Soldaten, der Politiker und Generäle, die vom sicheren Schreibtisch aus das Morden befehlen, werden von der Vernunft und dem mit ihr korrespondieren Gewissen als böse bewertet: “Diese Taten darf es unter Menschen nicht geben“.
Und genau so wichtig ist die evidente Erkenntnis: Es sind Menschen, Täter, Mörder, die, fast umfassend bestimmt von böser Gesinnung und wegen ihrer freien Entscheidung fürs Böse, als böse Menschen bewertet werden.

3.

Es ist nicht so, dass man, wie so oft in der theologischen und philosophischen Tradition, annehmen muss: Angesichts böser Taten böser Menschen sollte man zuerst und vor allem von „dem Bösen“ sprechen. Dabei wird „das Böse“ als eine objektiv bestehende Macht angenommen, die sozusagen als solche für sich – als „Idee“ etwa – existiert und die dann bei bestimmten Menschen sichtbar wird und sich spürbar durchsetzt. Die Täter werden in diesem traditionellen Denkmodell zu Leuten, die dieses Böse als eine objektive Idee verwirklichen und sichtbar in die Welt setzen.

4.
Einen treffenden Ausdruck für diese traditionelle These bietet die immer noch bestehende Praxis des katholische Exorzismus: Dabei versucht ein speziell ausgebildeter Priester als Teufels-Spezialist durch verschiedene Gebete und Riten, einen Menschen von der (angeblichen) Gewalt des Teufels zu befreien. Der Teufel wird dann als die objektive Macht des Bösen angesehen: Der Teufel bzw. das Böse habe von dem Menschen Besitz ergriffen. Und diese objektive Macht kann durch die Kraft Gottes, vermittelt durch den Priester, aus dem Menschen vertrieben werden.

5.

Ein anderes Beispiel für die traditionelle Bewertung „des Bösen“: Der Theologe Kardinal Karl Lehmann hat auf dem Ökumenischen Kirchentag 2001 in Berlin einen sehr umfangreichen Vortrag gehalten zum Thema: „Ratlos vor dem Bösen?“ Und er begann, selbstverständlich für einen Theologen, sogleich von dem „Geheimnis des Bösen“ zu sprechen, er sprach am Anfang sogar von dem „fast undurchdringlichen Geheimnis des Bösen“, er sprach davon, „das das Böse sich gerne in seinem eigenen Ursprung verbirgt“ usw.
Also: „DAS Böse“ wurde und wird noch immer von vornherein als eine ideelle Realität angenommen, als ein metaphysisches Prinzip, das ins Menschenleben förmlich inkarniert ist.
Nicht der böse Mensch wird dann analysiert, sondern es geht um die metaphysische Frage: Wie kann Gott dieses Prinzip, „das Böse“ , neben sich als dem Allmächtigen zulassen? Ist Gott selbst vielleicht irgendwie auch „ein bißchen böse“ mit einem bösen „Neben-Gott“? Genau dies sind konsequenterweise die Themen, die der traditionell gelehrte Kardinal Lehmann dann „abhandelt“. Aber zur Klärung, der Frage: Wie umgehen mit den sichtbaren und spürbaren bösen Taten böser Menschen (!) und den sich festsetzenden bösen Mentalitäten und Strukturen, findet sich in dieser metaphysischem Spekulation nichts.
Diese traditionelle Reflexion hat für die bösen Täter nur den „Vorteil“, dass sie als solche theologisch und philosophisch gar nicht angeklagt und gegebenenfalls ausgeschaltet werden müssen. Es ist ja „das Böse“, diese „Idee,“ die in den Menschen waltet! „DAS Böse“ muss, wie auch immer, bekämpft werden, also in diesem traditionellen Denken nicht der Böse oder die Böse. Aber „DAS Böse“ zu bekämpfen, ist schon aufrgrund der Allgemeinheit und Unbestimmtheit zum Scheitern bestimmt. Trotzdem wird theologisch davon immer nich geplaudert, wenn das Böse in dieser Optik bekämpft wird, dann nach kirchlicher Vorstellung geistig, spirituell, vor allem sakramental, durch Taufe, Beichte, Kommunion.

Auch die alte theologische Ideologie der Erbsünde muss in dem Zusammenhang genannt werden, also die so genannte totale Verfallenheit aller Menschen seit Anbeginn in einen sündigen Zustand. Die Erbsünde wurde in diesem Mythos von Gott als Strafe verhängt, als die ersten Menschen im Paradies sündigten. Das ist ein Mythos, der keinerlei vernünftige Aufklärung zum Thema Böses erschließt. Man sollte ihn beiseite legen, er hat viel Unsinn bewirkt und seelisches Leiden erzeugt: Etwa: Diese Erbsünde werde in der sexuellen Begegnung und Zeugung/Empfängnis übertragen, so die offizielle Lehre der katholischen Kirche bis heute. Daran wird festgehalten, nur weil dieser heilige Greis Augustinus (gestorben 430) dies einmal gesagt und mit aller Gewalt durchgesetzt hat…Er wollte damit die Kirche und den Klerus als Macht stärken, denn nur der Klerus der Kirche kann die Taufe spenden, die von der Erbsünde befreit…

6.

Der Kampf gegen „das Böse“ wird also für die klassische Reflexion nur metaphysisch, nur religiös, geführt. Entsprechend versteht die Kirche die Bitte, an Gott gewandt, im „Vater Unser“ (Matthäus Evangelium, Kap. 6, 13): “Erlöse uns von dem Bösen“ als Bitte, von der wirksamen Idee und metaphysischen Realität DES (sachlich verstandenen) Bösen erlöst zu werden. Dabei ist diese Deutung einseitig! Auf Altgriechisch heißt es:
ἀλλὰ ῥῦσαι ἡμᾶς ἀπὸ τοῦ πονηροῦ.
O πονηρós bedeutet zweierlei: Die schlechte Eigenschaft von Dingen UND auch die moralisch schlechte, nichtswürdige, boshafte Person. Darum sollte man im Gebet „Vater Unser“ diese Bitte auch so verstehen: Erlöse uns von der bösen und nichtswürdigen Person, etwa dem Diktator, dem Henker, dem Mörder, dem Krieger. So würde Beten politisch analytisch präzise… Nebenbei: Die Bitte „Erlöse uns von dem Bösen“ fehlt in der Überlieferung des „Vater Unser“ im Lukas-Evangelium!

7.

Ich plädiere also dafür, anstelle von „Das Böse“ im ideellen, metaphysischen Sinn nun vor allem und vermehrt DEN und DIE bösen Menschen zu reflektieren und zu analysieren.
Dabei wird nicht geleugnet, dass jeder Mensch in einzelnen seiner Taten auch böse ist, aber diese alltägliche Boshaftigkeit ist etwas anderes als die grausame Tat, wie das(Kriegs-) Verbrechen usw.
Der Philosoph Martin Seel hat in seinem empfehlenswerten Buch „111 Tugenden – 111 Laster“ (Frankfurt M. 2012) gezeigt, dass alle von ihm vorgestellten Tugenden auch zu Lastern werden können und ebenso alle Laster auch zu Tugenden werden können. In diesem “Hin und Her” zwischen Tugend und Laster bewegen sich die Menschen.

Nur ein Laster wird nie eine Tugend: Die Grausamkeit (S. 30-31). „Der Grausame nimmt die Schmerzen seines Gegenüber nicht wahr, oder sie sind ihm gleich – oder er ergötzt sich daran… Er sieht nur sich und seine Begierden und Ideale: Eine Extremform der Egomanie und Bösartigkeit, von der auch staatliche wie nichtstaatliche Vereinigungen befallen sein können…Wer anderen gegenüber habituell grausam ist, ist es zugleich gegen sich selbst. Der Grausame muss eine Härte auch sich selbst gegenüber entwickeln, mit der er die eigenen Regungen under Zartheit und des Mitleids, der zugestandenen Unsicherheit und Schwäche unterdrückt…Sein Tun ist nicht einmal zu seinem Guten“ (S. 31). Hanna Arendt sagt in ihren Vorlesungen “Über das Böse” (München 2015, Seite 42) zum Sadismus als dem Tun des Bösen um des Bösen willen: “Sadismus ist das Laster aller Laster”.

8.

Jeder und jede wird bei diesen Sätzen zu den grausamen Bösen (Sadisten) konkrete Leute nennen, nicht nur Hitler oder Stalin usw., sicher heute auch die jetzige Clique der Führer in der russischen Diktatur. Und man wird sich in dem Zusammenhang fragen, ob die Politiker in Europa, vor allem in Deutschland, die geistige und moralische Kraft hatten, die Bösen (Menschen, Politiker) als solche, etwa in Russland, RECHTZEITIG zu erkennen.

Mit anderen Worten: Wer sich vor allem für DAS Böse als Idee usw. interessiert, übersieht DEN Bösen.

9.

Wer das Böse bekämpfen und überwinden will, muss also konkret den Bösen oder die Bösen verstehen, beim Namen nennen, bekämpfen und überwinden. Wer hingegen auf „DAS Böse“ fixiert bleibt, kann nur noch beten, dass das Böse, das Übel, der Teufel usw. bitte wieder verschwinden.

Wer nur „das Böse“ bekämpfen will, weigert sich, bewusst oder unbewusst, sich auf das politische Analysieren und das politische Handeln einzulassen. Nur dann wird außer Kraft gesetzt das „metaphysische Jammern“, das sich bekanntlich so äußert: „Das Böse hat sich wieder durchgesetzt“. Oder: „Gott hat uns verlassen“, „Die Apokalypse beginnt“, „Der Teufel und der Antichrist beginnen ihre Weltherrschaft“. Gegen solche diffusen Objektivierungen im Erleben böser Taten gilt es zu argumentieren. Sie verhindern den klaren Blick, und der gilt der deutlichen Analyse der bösen Tat eines bösen Menschen.

10.

Zur Erklärung und Vertiefung sollte man sich auf die Erkenntnisse von Immanuel Kant beziehen. Hier nur einige Grundlinien zu dem von Kant selbst als sehr komplex, als sehr schwierig verstandenen Thema „das Böse“.
Für Kant gilt: „Sittlich böse ist nur, was unsere eigene Tat ist“.
Der Ursprung des „Böses Tun“ zeigt sich in der Analyse der menschlichen Freiheit und der aus ihr folgenden Handlung. Es gibt für Kant keinen Naturtrieb im Menschen, böse zu sein.

Das Böses-Tun folgt vielmehr einer Maxime, die sich jemand frei wählt, also einen eigenen, bloß subjektiven Grundsatz, um dann von der allgemeinen Sittlichkeit abzuweichen. Der böse Mensch kennt also die moralischen Gesetze, die zum Guten aufrufen im Gewissen, aber setzt sich in freier Tat von diesen Grundsätzen ab und folgt seinen eigenen bösen Maximen. Dieser Mensch glaubt, für sich selbst Ausnahmen gelten zu lassen hinsichtlich der absoluten Gültigkeit des moralischen Gesetzes. Dieser Mensch, betont Kant, belügt sich selbst. Dabei bietet der kategorische Imperativ eine Art Kompass, der die Entscheidung erleichtert, was gut und was böse ist.

Das Setzen böser Maximen durch die Menschen ist für Kant nicht das Sich-Durchsetzen eines dem Menschen schon bereits vorgegebenen bösen Zustandes. Vielmehr: Das Setzen böser Maximen ist ein Gebrauch der Freiheit.

Aber wer sich für böse Maximen entschieden hat, also dann auch böse handelt und Böses in die Welt setzt, hat für Kant aber noch das Erlebnis einer Pflicht, die ihn aufruft, sich zu bessern. Diese Veränderung der Denkungsart des bösen Menschen ist so umfassend, dass sie Kant eine „REVOLUTION der Denkungsart“ nennt. Diese Änderung entspricht, so wörtlich, der „Heiligkeit der Pflicht“, die fordert, dem Gewissensspruch zu entsprechen. Wer guten Maximen folgt, also dem universalen moralischen Gesetz folgt, lebt als eine Art „neuer Mensch“ dann im Reich der Tugend, und dieses Reich ist so etwas wie das Reich Gottes auf Erden.

Es gibt für Kant also keine böse Natur des Menschen, der Mensch ist für Kant nicht wesentlich, nicht vom Wesen her böse, wie bestimmte (vor allem klassisch-protestantische) Theologen in Treue zu Augustinus aus dem 5. Jahrhundert noch heute sagen.

Es gibt aber für Kant im Menschen einen „Hang“ zur Annahme böser Maximen, einen Hang, nicht moralischen Maximen zu folgen.

11.

Diese Erkenntnisse hat Hannah Arendt vertieft, etwa auch in der genannten Vorlesung aus dem Jahr 1965 “Über das Böse. Eine Vorlesung zu Fragen der Ethik”. Sie legt allen Nachdruck darauf, dass jeder Mensch zum Gespräch mit sich selbst (auch Reflexion genannt) in der Lage ist. In diesem prüfenden Gespräch des Menschen mit seinem eigenen Denken und seinem Tun erlebt der Mensch, wie ihm der eigene Geist, die Vernunft, die Möglichkeit der guten und der bösen Entscheidung freilegt. “Das moralische Gesetz in mir (von dem Kant spricht) erhebt meinen menschlichen Wert, als einer Intelligenz, unendlich, durch meine Persönlichkeit , in welcher das moralische Gesetz mir ein von der Tierheit und selbst von der ganzen Sinnenwwelt unabhängiges Leben offenbart” (ein Zitat, das Arendt auf S. 35 f des genannten Buches bietet, es stammt von Kant selbst aus seiner “Kritik der praktischen Vernunft”, A 289).

Hannah Arendt legt allen Nachdruck darauf, dass das, was Gewissen genannt wird, heute als Bewusstsein seiner selbst verstanden werden sollte, als “die Fähigkeit, mit deren Hilfe wir uns selbst kennen und wahrnehmen” (S. 49). Nur wer zum Gespräch mit sich selbst bereit ist, hat die Chance, Gutes zu tun... “Die größten Übeltäter sind jene, die sich nicht erinnern, weil sie auf das Getane niemals Gedanken verschwendet haben und ohne Erinnerung kann nichts sie zurückhalten” (S. 77). Die schlimmsten Typen sind also “die gedankenlosen Kreaturen” (S. 76). Wer total zum Bösen abgedriftet ist, realisiert das “wurzellose Böse, dann  gibt es keine Person mehr, der man je vergeben könnte” (S. 78).

12.

Zurück zu Kant: Dies sind die Perspektiven, die Kant eröffnet: Der Mensch kann sich in seiner Freiheit entscheiden, er kann gegen sein Gewissen handeln und Böses tun, also etwa aus politischen und wirtschaftlichen Interessen Mord und Totschlag freiwillig begehen. Mit diesem Denken, das als Denken dem verbrecherischen Handeln vorausgeht, wird ein Mensch durch seine Entscheidung ein böser Mensch. Hier ist die Rede von Menschen, die zu einer eigenen Reflexion und zur eigenen freien Entscheidung in der Lage sind, das sind wohl die meisten. Nicht gemeint sind Mörder, die aufgrund einer physischen Abartigkeit etwa ihres Gehirns, zu einem zwanghaften bösen Tun getrieben sind.

13.

Das Handeln in Freiheit hat naturgemäß immer persönliche und genauso auch gesellschaftliche Voraussetzungen. Wenn etwa die Geld-Gier oberste Norm für viele Menschen in der Gesellschaft ist oder der Nationalismus und die Sehnsucht nach dem allmächtigen, starken Staat, dann kann der einzelne sich nur mit Mühe diesem Trend entziehen… und nur mit Mühe moralisch gut leben. Man denke etwa an das Eingebundenen der meisten Menschen in die kapitalistische und neoliberale „Ordnung“, an deren Verheißungen in der total gewordenen Werbung und dem Konsumismus. Unter diesen Bedingungen nicht gierig und böse zu werden, ist schwer und gelingt in alternativen Gruppen.
Diese Gewöhnung an das Böses-Tun kann so stark werden, dass für den Täter bzw. die Täter keine Umkehr zur Vernunft und Menschlichkeit möglich erscheint. Im individuellen Bereich werden solche Täter in Rechtsstaaten bestraft und eingesperrt, in der Politik muss der Rechtsstaat im äußersten Fall diese Leute isolieren und ausschalten.
Dabei steht auch fest: Wer Mörder bestraft oder mörderische Politiker ausschaltet, ist als freier Mensch auch selbst immer gefährdet, seine eigene Freiheit zu missbrauchen. Es gibt also nicht einerseits “den Bösen“ und „den Guten“ auf der anderen Seite. Wer aktuell Böse bestraft, war vielleicht selbst einmal böse oder wird böse.

14.

Wer über Böses nachdenkt, sollte den Menschen analysieren und nicht in ideelle metaphysische Welten ausweichen. Diese vernebeln nur die Klarheit im Verstehen oder sie führen zu Ausreden und Entschuldigungen, etwa: „Nicht ich war schuld am Böses-Tun, es war der Teufel, die Erbsünde, die Partei, die Kirche usw., die mich zur Tat angetrieben hat“.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Patriarch Kyrill I. (Moskau) dreht durch: Jetzt ist Homosexualität Schuld an den „schweren Ereignissen“

Ein Hinweis von Christian Modehn am 7.3.2022

Der Chef der Russisch-orthodoxen Kirche, Patriarch Kyrill I. von Moskau, hat erneut bewiesen, dass er den Krieg Putins gegen die Ukraine unterstützt, mit Argumenten, die nun ans Wahnhafte – Verkalkte grenzen.

Am Sonntag, dem 6. März 2022, hielt er wieder eine „Homelie“, eine Art Kurzpredigt, in der „Christus-Erlöser-Kathedrale“ von Moskau. Er bezog sich auf den „Bereich der internationalen Beziehungen“, das Wort Krieg vermeidet er als treuer Verehrer Putins und spricht nur von „schweren Ereignissen“, die leider die Region Donbass treffen. Nur auf diese Region bezieht er sich. Dort leben, so sagt der Patriarch, viele Russen. Und es würde dort seit 8 Jahren versucht, diese russische Kultur zu zerstören. Putin wird so abermals als Retter der Russen und der russischen Ideen auch im Donbass präsentiert. Wie gesagt, von Krieg spricht Kyrill I. nicht, hat er Angst, in ein Putinsches Straflager zu kommen, und dabei das nachzuerleben, was Stalin einst vielen Bischöfen in seinen Lagern antat? Seine Millionen Euro teure Armbanduhr müsste er dann freilich abgeben…

Der deutlichste Ausdruck für die verworrene Denkweise des Putin-Patriarchen ist sein Hinweis auf die Ursache der „Schwierigkeiten in den internationalen Beziehungen“, also im Klartext, des Krieges: Es sind nämlich, so wörtlich am 6.3.2022, metaphysische Ursachen, nicht politische, die da maßgeblich sind, nämlich die Ablehnung des Gesetzes Gottes und die Ablehnung der Sünde.

Es ist also, wie bei Kyrill I. üblich, einmal mehr der Verlust der alten Werte, der zu dieser „Krise“ geführt hat. Die moderne Gesellschaft sei von exzessivem Konsum und der irregeleiteten Freiheit geprägt. Dabei denkt der Patriarch nicht etwa an die Milliardäre und Millionäre aus dem Putin-Freundeskreis.

Nein, es sind ausgerechnet die Homosexuellen, die ihre Gesetze auch in Russland durchsetzen wollen. „Aber diese Leute sind Sünder, sie leben in der Sünde, die von Gottes Gesetz verurteilt wird. Die Homosexuellen wollen mit Gewalt den Russen die Leugnung Gottes und seiner Wahrheit aufzwingen“, so wörtlich der Patriarch. Die „Krise“ (also de facto der Vernichtungskrieg Putins gegen die Ukraine) habe diese metaphysischen – moralischen Ursachen. Bekanntlich hat Putin in bestem Einvernehmen mit Kyrill bei der Revision der Russischen Verfassung im Jahr 2021 die Ehe als ausschließliche Sache der Heterosexuellen definiert, die homosexuelle „Propaganda“ für eine „Ehe für alle“ wird auch von Putin verurteilt. Er tut so, als sei er ein guter orthodoxer Christ, schließlich wurde er schon als Kind in Leningrad heimlich getauft, behauptet er.

Nun also sind die Homosexuelle Schuld an der „Krise“.

Und der Beobachter fragt sich: Wie viel Schwachsinn darf eigentlich ein Patriarch öffentlich verbreiten? Dieser Herr wird ja in Russland noch ernst genommen, bei den vielen Frommen auf dem Lande etwa, die oft sogar noch stolz sind auf ihre religiöse und politische Anhänglichkeit an diese Kirche und ihre Führer Kyrill und Putin…

Und der Beobachter fragt sich weiter: Wann endlich kommt der „Weltrat der Kirchen“ in Genf zu der Entscheidung, diesen Patriarchen und seine Kirche aus der ökumenischen Gemeinschaft der Christen rauszuschmeißen. Es ist eine Schande, mit diesen Leuten ökumenische Gemeinschaft zu pflegen, man denke daran, im Sommer tagt der Weltrat der Kirchen in Karlsruhe: Wird da Kyrill I. seinen Schwachsinn verbreiten?

La Croix, die Tageszeitung aus Paris, schreibt: „Diese Position des Patriarchen hat nur sehr vereinzelt Kritik gefunden. Eine Gruppe von Priestern seiner Kirche hat eine Petition verfasst, in der sie eine sofortige Feuerpause fordert und die Repression gegen gewaltfreien Demonstranten kritisiert und den Frieden fordert“, so La Croix am 7.3.2022.

Quelle. La Croix.
Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Die Putin-Ideologie des Patriarchen Kyrill von Moskau zum Kriegsbeginn.

Wie das oberste “Oberhaupt” der russisch-orthodoxen Kirche den Krieg Putins gegen die Ukraine banalisiert.

Ein Hinweis von Christian Modehn.    Siehe auch “Homosexualität ist Schuld an der Krise” (Kyrill I.)

………

Notiert am 5.3.2022:

Entscheidend ist: Putin und der Patriarch Kyrill I. von Moskau (und mit ihm die meisten seiner Bischöfe) sind sich einig in der leidenschaftlichen Verurteilung der so genannten “westlichen Ideen”, also der Philosophie der Aufklärung, der Demokratie, der Menschenrechte. 

Entscheidend ist zweitens: Die Jahrzehnte andauernde Mitgliedschaft der Russisch-orthodoxen Kirche in verschiedenen ökumenischen, also westlichen, d.h. protestantischen und auch katholischen Gremien und Konferenzen (wie dem “Weltrat der Kirchen” in Genf) hat für die Russisch-orthodoxe Kirche keinerlei Erkenntnisgewinn gebracht. Diese Kirche war offenbar nur des schönen Scheins wegen in den ökumenischen Gremien, um international mit Pomp und Weihrauch zu glänzen. Und die westlichen Kirchen fragten nie: Wie haltet ihr Russisch-Orthodoxen es mit den Menschenrechten in eurem Land? Seid Ihr als Kirche bereit, bei eurer Macht, auch politische Opposition zu sein?

Mit anderen Worten: Nicht nur westliche Politiker waren naiv im Umgang mit Putin, westliche Kirchenführer waren (und sind ?) genauso naiv im Umgang mit Kyrill I. und Co.

Es klingt geradezu lächerlich, wenn katholische Theologen, selbst die Päpste der letzten Jahre, sagen: Wir brauchen die (russisch ?) Orthodoxen als “unsere zweite Lunge”, so Papst Johannes Paul II. und ähnlich auch Benedikt XVI.

…………….

Ein Hinweis  über die verheerende, d.h. Putin-stützende Bedeutung der (Führung der) Russisch-orthodoxen Kirche.

Dieser Patriarch Kyrill ist die beste ideologische Stütze Putins und durchaus ein Kriegstreiber: “Das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, Patriarch Kirill, hat die Gegner der russischen Armee in der Ukraine als „Kräfte des Bösen“ bezeichnet. In seiner Sonntagspredigt warf der Patriarch den ukrainischen Soldaten vor, die historische Einheit zwischen den beiden Ländern brechen zu wollen. „Wir müssen alles tun, um den Frieden zwischen unseren Völkern zu bewahren und gleichzeitig unsere gemeinsame historische Heimat vor all den Aktionen von außen zu schützen, die diese Einheit zerstören können“, betonte Patriarch Kirill. (Quelle: Deutschlandfunk, 27.2.2022)

Dieser Hinweis umfasst vier Teile.
Erstens: Den Text, den Patriarch Kyrill am 24.2. 2022 zum Kriegsbeginn Russlands bzw. Putins gegen die Ukraine veröffentlichte.

Zweitens: Eine Interpretation dieses Textes.

Drittens: Eine christliche Kirche müsste eigentlich eine Opposition gegen das Regime sein…

Viertens: Nur ein Hinweis auf die praktischen Auswirkungen der ideologischen Macht der russisch-orthodoxen Kirche.

Erstens: 24 Februar 2022 – Aufruf von Patriarch Kirill an die Erzhirten, Hirten, den Klerus und das gläubige Volk der Russischen Orthodoxen Kirche:

Eure Seligkeit! Eure Eminenzen und Exzellenzen! Liebe Väter, Brüder und Schwestern!
Mit tiefem Herzenschmerz sehe ich das Leid der Menschen, das durch die derzeitigen Ereignisse verursacht wird.
Als Patriarch der ganzen Rus’ und Primas der Kirche, deren Herde sich in Russland, der Ukraine und anderen Ländern befindet, habe ich tiefes Mitgefühl mit all denen, die von dem Unglück getroffen sind.

Ich fordere alle Konfliktparteien auf, alles zu tun, um Opfer in der Zivilbevölkerung zu vermeiden.
Ich appelliere an die Erzhirten, Hirten, Mönche wie Nonnen und Laien, allen Leidenden, einschließlich der Flüchtlinge, der Menschen, die ohne Obdach und und ohne Lebensunterhalt geblieben sind, jede erdenkliche Hilfe zukommen zu lassen.

Das russische und das ukrainische Volk haben eine gemeinsame jahrhundertealte Geschichte, die auf die Taufe der Rus’ durch den heiligen apostelgleichen Fürsten Vladimir zurückgeht. Ich glaube, dass diese von Gott geschenkte Gemeinschaft dabei helfen wird wird, die Spaltungen und Widersprüche zu überwinden, die zu dem gegenwärtigen Konflikt geführt haben.
Ich rufe die gesamte Fülle der Russischen Orthodoxen Kirche auf, inständig und inbrünstig für die baldige Wiederherstellung des Friedens zu beten.

Auf den Beistand unserer Allreinen Gebieterin, der Gottesgebärerin, und aller Heiligen möge der Allbarmherzige Herr das russische, das ukrainische und andere Völker, die unsere Kirche geistlich vereint, behüten!
KIRILL, PATRIARCH VON MOSKAU UND DER GANZEN RUS’
(Quelle: https://rokmp.de/de/aufruf-von-patriarch-kirill-von-moskau-und-der-ganzen-rus-an-die-erzhirten-hirten-den-klerus-und-das-glaubige-volk-der-russischen-orthodoxen-kirche/. Gelesen am 26.2.2022)

Zweitens: Hinweise zu einer Interpretation dieses Textes:

Der Patriarch spricht harmlos von „derzeitigen Ereignissen“, nicht vom Krieg Russlands gegen die Ukraine.

Er sieht sich als orthodoxer Führer auch als religiöser Chef der Ukraine, so, wie Putin sich als Machthaber der Ukraine sieht. Bestes Einvernehmen mit dem Machthaber also.
Die „Ereignisse“ sind für Kyrill „Konflikte“ mit unterschiedlichen, gleichwertigen Konfliktparteien, so, als hätte die Ukraine nun Russland angegriffen.
Alle Leidenden sollen caritative Hilfe von der ohnehin Putin hörigen russischen Kirche erhalten. Die übliche Caritas, also als Einzelfallhilfe, nicht die öffentliche politische Kritik ist wichtig.

Der Patriarch erinnert an die uralte Geschichte der Gemeinschaft von Ukrainern und Russen. Er fragt natürlich nicht, warum denn diese Gemeinschaft nun von Putin und Co. zerstört wird. Brudervölker zerstören einander doch nicht, oder?

Kyrill I. tut so dumm, als seien es nur „Spannungen und Widersprüche“ gewesen, die zu dem „gegenwärtigen Konflikt“ geführt haben. Er nennt diese von Putin inszenierte nationalistisch-russische Vernichtung der Ukraine einen „gegenwärtigen Konflikt“.

Und dann folgt das übliche seit Jahrhunderten vertraute Bla Bla der so genanten Bittgebete: Dass doch die Gottesmutter und wer weiß sonst noch, also auch die Gottesgebärerin (!), alle Völker behüten möge.
Diese Floskeln und Formeln sind noch immer nicht so ausgeleiert, dass sie trotzdem noch in den meisten christlichen Kreisen verwendet werden. Der Patriarch und die Christen können also nur eine imaginäre „Gottesgebärerin“ bitten, sie möge doch vom Himmel oder von sonst wo aus für Frieden sorgen. Welch ein Wahn! Was für ein Opium, das da verbreitet wird.

Haben diese Patriarschen, diese Metropoliten und „eure Seligkeiten“ (siehe oben diesen verrückten Titel für einen orthodoxen Metropoliten) nichts anderes, nichts Vernünftiges, nichts Kritisches zu sagen? Ist dieser Kyrill I. (und mit ihm viele andere Bischöfe dieser Kirche) so abhängig von dem Führer Putin, dass er es sich erlaubt, im 21.Jahrhundert so viel theologischen Schwachsinn zu verbreiten?

Wie viel Geld erhält dieser Patriarch von Putin für diese nationalistischen Statements? Eine Frage, die auf die wir nie eine Antwort erhalten?

Und warum regt sich eigentlich kaum jemand auf über so viel offiziell verbreitetes Verständnis für Mord und Totschlag und Krieg aus einem so genannten christlichen, sogar orthodoxen Munde?
Warum wird nicht eine große Debatte in der weiten Christenheit geführt über den Unsinn dieser Bittgebete? Meine Antwort: Wenn man darüber kritisch nachdenken würde, dann müsste das traditionelle Gottesbild – endlich – aufgegeben werden. Aber dazu fehlt dem Patriarchen und dem Papst und den Landesbischöfen etc. der Mut. Dies wäre eine neue Reformation. Und die will „man“ nicht.

Drittens: Diese Staatskirche kann niemals Opposition gegen das Regime werden!

In dem autoritären Putin-Regime könnte die orthodoxe Kirche als die zahlenmäßig starke “Volkskirche” eine wichtige oppositionelle Kraft sein. Es gibt sonst offensichtlich keine starke Opposition in diesem kriegsbesessenen Regime Russlands (mehr).

Aber die russisch-orthodoxe Kirche und ihr Patriarch Kyrill sind nur eine ideologische – religiöse Bestätigung des Regimes. Das zeigt auch sein Text oben.Man möchte sagen: Insofern verrät diese Kirche die zentrale humane und Frieden stiftende Botschaft des Evangeliums. Aber diese Staatshörigkeit ist bekanntlich ein Merkmal orthodoxer Kirchen und ihrer Führer. Für die russisch-orthodoxe Kirche ist die eigene Nation und das Privilegiertwerden durch den Diktator  am wichtigsten. Diese Erkenntnis gibt zu denken, wenn man an die weltlweiten ökumenischen Kontakte (etwa in Genf) dieser Putin-Kirche denkt.

Es wird noch nicht einmal in Ansätzen darüber diskutiert, dass der “Ökumenische Weltrat der Kirchen” in Genf die Mitgliedschaft der Russisch-Orthodoxen Kirche, mit ihrem Chef, dem Patriarchen Kyrill, in diesem führenden ökumenischen Gremium sofort beendet. Es sei denn, diese Kirche gibt die ideologische Propaganda zugunsten des Kriegstreibers Putin sofort auf und wird wieder Kirche anstatt “Abteilung für Propaganda und Agitation” im Putin Regime zu bleiben.

Viertens: Einige “praktische Auswirkungen” der ideologischen Macht der Russisch-orthodoxen Kirche in Russland:

Die Autorin und Columnistin Liza Alexandrova-Zorina schreibt in einem längeren Beitrag für “Lettre International” (Winter 2019) S. 80ff., wie sich durch den Einfluss dieser Kirche die alten Familien-Traditionen nach dem Vorbild des 19. Jahrhunderts wieder durchsetzen. “Seit vielen Jahren versucht die Kirche, sittliche Grundlagen des Familienlebens, wie sie von einem Priester und einer Nonne in einem `Ratgeber` formuliert werden, als obligatorisches Schulfach durchzusetzen. Es versteht sich, dass gemäß dieses Buches die einzige Bestimmung der Frau darin besteht, so viele Kinder wie möglich zu gebären. Der Einfluss der Kirche ist immens…”(S. 80)…. “Kein Wunder, dass die Bewegung ME-TOO nur Ablehnung und Unverständnis hervorruft. Dass sexuelle Belästigung keine Norm ist, muss man bei uns den Frauen erklären…(S. 81) …” “Durch häusliche Gewalt kommen jährlich 14.000 Frauen in Russland ums Leben. Und eine Hoffnung auf Veränderung ist nicht in Sicht” (83).

Weitere Beispiele für die ideologische und politische Macht des Moskauer Patriarchats im Putin-Regime:

Die russisch-orthodoxe Kirche bekämpft mit allen Mitteln westliche, liberale, säkulare, menschrechtliche Ideen. Schon 2008 schrieb der russische Philosoph Michail Ryklin (er lebt in Berlin) in „Lettre international“, Frühjahr 2008, Seite 128: „Die Russisch-orthodoxe Kirche drängt den Staat auf einen gefährlichen Weg, indem sie ihm für all sein Tun automatisch Ablass erteilt und damit jegliche Reformen für unnötig erklärt“.

Michail Ryklin erinnerte schon in „Lettre Internationale“, Herbst 2005, S. 130, an die obskure „orthodoxe Hagiopolitik“, „bei der das Eingreifen von Heiligen und die Einwirkung geweihter Gegenstände anerkannt werden soll“, gegen die wissenschaftliche Annahme, dass der „Mensch den Geschichtsverlauf bestimmt“.

Bekannt sind die andauernden Eingriffe der Kirche in die Freiheit der Kunst: Dass Ausstellungen zur Gegenwartskunst als Irrwege des säkularen Bewusstseins durch die russisch-orthodoxe Kirche verboten wurden, ist ein Skandal: Wer das kritisiert, wird immer häufiger als Feind der Orthodoxie und gleichzeitig des russischen Volkes diffamiert“, so Ryklin ebd. Diese Repressionen seien um so interessanter, als „nur etwas vier Prozent der Bevölkerung regelmäßig ihre Kirche besucht“, so Ryklin, ebd.
In der Erinnerung ist die Zerstörung der Ausstellung „Achtung Religion“ im Sacharow-Zentrum von Moskau im Jahr 2003 besonders wichtig. Diese Ausstellung zeiget auch kritische Auseinandersetzung mit der Religion. Vier Tage nach Eröffnung der Ausstellung, Mitte Februar 20003, wird die Ausstellung z.T. zerstört und geschlossen, entgegen dem Wunsch der Künstler. Ich zitiere aus dem wikipedia Artikel: „Am 12. Februar 2003 forderte das russische Parlament (die Duma) die Generalstaatsanwaltschaft auf, gegen die Organisatoren der Ausstellung tätig zu werden.[2] Gegen die Duma-Resolution und die Anweisung des Strafverfahrens stimmten lediglich 2 der 267 anwesenden Abgeordneten. Einer von ihnen, Sergei Juschenkow, der am Rednerpult erklärt hatte, man erlebe soeben die Geburt des totalitären Staates unter der Führung der Orthodoxen Kirche, wurde einige Wochen später in Moskau ermordet.[3] Der Direktor des Sacharow-Zentrums und Hauptangeklagte, Juri Samodurow, sah davon ab, eine Zivilklage gegen die Eindringlinge wegen des Schadens anzustrengen, die dem Museum durch diese Tat entstanden war. Dies hatte zur Folge, dass die Anwälte des Museums den Gerichtssaal nicht betreten durften.[4] Die gesellschaftlichen Verteidiger der Angeklagten waren die bekannten Menschenrechtler Alexander Podrabinek, Lew Ponomarjow und Jewgeni Ichlow, ebenso Sergei Kowaljow.[5] Samodurow und die für Ausstellungen zuständige Mitarbeiterin des Sacharow-Zentrums, Ljudmila Wassilowskaja, wurden am 28. März 2005 zu einer Geldstrafe von je 100.000 Rubeln (ca. 2900 EUR) verurteilt.[6] (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Sacharow-Zentrum)

Ist Putin etwa ein frommer russisch – orthodoxer Christ? „Bei allem, was das Privatleben von Präsident Putin angeht, müssen wir mit Gerüchten vorlieb nehmen. Schenkt man Bischof Tichon Glauben, so ist er der Beichtvater des Präsidenten, also ein geistlicher, der dem Kreml besonders nahesteht“, so Ryklin in „Lettre International“, Frühjahr 2008, Seite 128, zu Tichon (geb.1958) siehe auch: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/putins-beichtvater-bischof-tichon-im-interview-15563372.html. Tichon ist ein Erzt-Reaktionärer Bischof.

Noch einmal: Die russisch-orthodoxe Kirche betrachtet nicht nur Russland, sondern auch Belarus und die Ukraine als „kanonisches russisch-orthodoxes Territorium“, „kanonisch“ meint: Im Sinne ihres Kirchen- und Staatsrechts. Sie folgt dabei dem Wahn Putins.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

 

Putins Aggression, seine wichtigste Stütze: Der Patriarch von Moskau und die Russisch-Orthodoxe Kirche.

Wie eine Kirche zu einer nationalistischen Ideologie entartet.
Ein Hinweis von Christian Modehn am 23.2.2022

Dies ist ein Hinweis auf eine christliche Kirche, die russisch-orthodoxe Kirche und ihren Patriarchen von Moskau. Diese Kirche versteht Frieden und Humanität nur als Nutzen für die eigene russische Nation.  Kann eine solche Kirche noch Kirche sein und Mitglied im Ökumenischen Weltrat der Kirchen (Genf) bleiben? Warum wird über diese Straf”maßnahme” nicht diskutiert? Dass dies geboten ist, zeigt der folgende Beitrag von Christian Modehn.

Dieser Beitrag zeigt in aktuell gebotener Kürze:

1. In der westlichen, vor allem westeuropäischen Öffentlichkeit wurde und wird kaum wahrgenommen, welche ideologische Macht die Russisch-orthodoxe Kirche als Stütze Putins hatte und hat, auch im Blick auf Putins Aggressionen gegen die Ukraine und letztlich gegen Europa. Dieser Hinweis bietet einige wichtige Details, die vor allem auf kirchenunabhängigen Forschungen in Frankreich basieren. Die Quellenangaben befinden sich am Ende dieses Beitrags.

2. Die Russisch-orthodoxe Kirche mit dem mächtigen Patriarchen und Putin-Vertrauten Kyrill I. in Moskau ist eine typische orthodoxe „Nationalkirche“. Die Führungen dieser National – Kirchen stellen das Interesse ihrer Nation über die Weisungen des Evangeliums, so auch in der Russisch-orthodoxen Kirche.
In Deutschland und anderen Ländern ist das Phänomen der Nationalkirchen (also der von politischen Herrschern bestimmten Kirchen) nicht unbekannt, man denke an die evangelischen Landeskirchen in Deutschland, die den Kaiser als Kirchenchef hatten oder an die Staatskirche in Schweden oder an die spanische katholische Kirche zur Zeit des Franco-Regimes. Dass katholische Bischöfe in Frankreich und in Deutschland begeisterte Propagandisten zugunsten des 1. Weltkrieges waren, ist eine Tatsache.

Die Abhängigkeit der Kirchen von staatlichen Herrschern zieht sich wie ein schwarzer dreckiger Strom durch die ganze Geschichte, man denke an Frankreich im ancien régime, an die Zeiten des Kolonialismus, der Sklaven“haltung“ usw…Aber bei diesem Hinweis geht es aus aktuellem Anlass nur um Russland und die Ukraine.

3. Politologen, Soziologen, Journalisten usw. haben sich in den letzten Jahren sehr viel mit den Verirrungen und Abartigkeiten von Religionen befasst, dabei aber – zurecht – vor allem den Islamismus studiert. Es wird aber Zeit, sich mit dem düsteren theologischen wie politischen Kapitel der christlichen Orthodoxie zu befassen und dringend davor zu warnen, mit diesen Kirchen enge ökumenische Einheit aufzubauen, wie es die Päpste seit Johannes Paul II. betonen. In seinem antiprotesantischen Geist wagte es Papst Johannes Paul II. sogar zu sagen, die katholische Kirche brauche als ihre „zweite Lunge“ die Orthodoxie. Nein, diese braucht die römische Kirche NICHT, sie braucht die Vernunft und die Akzeptanz der Menschenrechte. Aber das ist ein anderes Thema…

Die Russisch – orthodoxe Kirche als Putin-Ideologie. Einige Details.

4. In seiner ausführlichen Fernsehansprache am 21.2.2022 hat Putin auch kirchliche, religiöse Motive genannt für die Anerkennung der „Republiken“ im Osten der Ukraine. Er wolle den dort lebenden russisch – orthodoxen Christen zu Hilfe kommen und sie schützen. Putin sagte: „Kiew fährt fort, eine Repression gegen die ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats vorzubereiten“. (Mehr dazu Nr. 10 und 11). Dass Putin dabei die ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats falsch einschätzte, wurde ein paar Tage später deutlich: Diese Kirche (bzw. die meisten Bischöfe) hat sich im Krieg Putins gegen die Ukraine auf die Seite der anderen Kirchen in der Ukraine gestellt. (La Croix, 25.2.2022, Interview mit Prof. Pavlo Smytsnyk, vom Ökumene-Institut von Lviv).

5. Putin zeigt sich bei hohen orthodoxen Feiertagen gern in Moskauer Kathedralen, immer zusammen mit seinem Freund Patriarch Kyrill I., Putin küßt gern dort öffentlich Ikonen, er will als frommer Orthodoxer gelten.

6. In einer Ansprache in der „Christus-Erlöser“ Kathedrale sagte Putin im Februar 2013: „Die russisch-orthodoxe Kirche war bei ihrem Volk in der langen Geschichte. Wir hoffen, diese positive und mehrfach wertvolle Partnerschaft mit der russisch – orthodoxen Kirche vorzusetzen. Wir müssen unsere Zusammenarbeit und unsere gemeinsame Arbeit fortführen, um die Harmonie in unserer Gesellschaft zu stärken, und zwar mit hohen moralischen Werten“ (Zitat bei Dolya).

Damit wiederholt Putin seine alten Thesen, die er etwa 2013 in Valdai formulierte: “Wir (Russen) haben dieselbe Tradition, die sekbe Mentalität, dieselbe Geschichte, die selbe Kultur wie die Ukrainer. Wir haben sehr nahe verwandte Spraxchen. In diesem Sinne , ich wünsche noch einmal zu wiederholen: Wir Russen und und die Ukrainer sind ein und dasselbe Volk” (zit. bei Kathy Rousselet, L église orthodoxe et la question des frontières, 2017)

7. Diese Zusammenarbeit Putins mit der Russisch-orthodoxen Kirche und dem Patriarchen Kyrill I. hat die Basis in der Ideologie des „Russkiy mir“, der „russischen Welt“: Diese Ideologie – 2007 von Putin als eine Art Stiftung institutionalisiert – sieht die russische Welt nicht nur in den Grenzen Russlands von heute repräsentiert. Auch Belarus sowie ausdrücklich die Ukraine gehören für Putin, schon seit vielen Jahren nachweislich, zur Vorstellung des großen, wahren Russlands! Aber diese russische Welt muss sich noch ausdehnen auf „Eurasien“ hin, also Richtung Ost-Europa vor allem. Das eurasische Projekt wird vor allem von dem Rechtsextremen Alexander Dugin vertreten, „Die Welt“ nannte ihn am 16.6.2014 einen „Einflüstere Putins“.
Die Pariser Historikerin und Politologin Anna Dolya schreibt: „Tatsächlich unterstützt der Kreml die Vorstellung einer nationalen russischen Idee auf dem Territorium der Ukraine, besonders auf der Krim und im Osten der Ukraine. Russland insistiert darauf, dass die Menschen dort zur „Russkiy mir“ gehören“. Das schrieb Anna Dolya schon im Jahr 2015! Warum würde das von Politikern nicht wahrgenommen?
Über Anna Dolya: „Ukrainienne, résidant en France. Titulaire d’une Licence en Lettres modernes et d’un Master en Affaires européennes de la Sorbonne. Chargée de mission pour différentes entreprises“.

8. Das ist heute ganz wichtig:
Im Jahr 1992 trennte sich ein Teil der in der Ukraine lebenden Orthodoxen von der bis zu diesem Zeitpunkt für sie allein zuständigen Kirche des Moskauer Patriarchats. Sie gründeten die „Ukrainisch – orthodoxe Kirche des Patriarchats von Kiew“. Da nicht alle orthodoxen Ukrainer sich dieser ihrer ukrainischen Kirche anschlossen, besteht der Einfluß des Moskauer Patriarchen in der Ukraine noch weiter!
Initiator der Ukrainisch Orthodoxen Kirche des Kiewer Patriarchats ist Metropolit Philaret, der in Zeiten der Sowjetunion eng mit pro-kommunistischen Friedenskreisen, wie der Christlichen Friedenskonferenz CFK, zusammenarbeitete. Theologisch ist er – wie Kyrill I. in Moskau konservativ bis reaktionär.
Philarets Nachfolger in Kiew ist der Metropolit Epiphanius, er ist jetzt das Oberhaupt der „Ukrainisch-orthodoxen Kirche“.  Er genießt in der Ukraine hohes Ansehen, zum Kriegsbeginn am 24.2. sagte er: “Wir glauben, dass die Gewalt und die Waffen, die heute rechtswidrig gegen uns gerichtet werden, sich in Gottes Zorn und Schwert gegen den Angreifer verwandeln werden”, so Epipanius. Man müsse den Feind abwehren und die Ukraine vor der Tyrannei schützen, die der Angreifer bringen wolle. (Quelle: Dom Radio, 24.2.2022). Auch Bischof Onufri, der Metropolit der mit Moskau verbundenen orthodoxen Kirche in der Ukraine sagte am 24.2. in Richtung Putin und Co.: “Stoppt den Bruderkrieg”.

9. Diese Ukrainisch-orthodoxe Kirche hat 2019 die höchste Aufwertung des Ehren-Primas der ganzen orthodoxen Welt, des Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomäus, erhalten. Er hatte diese Kirche als „vollständig orthodoxe und vollständig ukrainisch“ anerkannt, mit dem Titel eines Patriarchen von Kiew. Diese Entscheidung war für die russisch – orthodoxe Kirche ein extremer Schock und ein Machtverlust. Das Moskauer Patriarchat dachte sogar daran, die Gemeinschaft mit dem Ehren-Vorsitzenden, dem Patriarchen Bartholomäus in Konstantinopel, abzubrechen. Der für die Auslandsbeziehungen zuständige russische Bischof Hilarion (er hält sich oft bei Papst Franziskus auf) warnte schon damals: Die Schismatriker, also die Ukrainisch-Orthodoxen, könnten sich der hoch verehrten traditionellen heiligen Stätten in der Ukraine bemächtigen. „Die dem Moskauer Patriarchen treuen ukrainischen Orthodoxen würden diese heiligen Stätten verteidigen. „Also können wir ein Blutbad deswegen erwarten“. Auch die Kosaken-Truppen in Donbass erklärten sich bereit, die heiligen Stätten der Ukraine gegen die abtrünnigen Orthodoxen zu verteidigen, im Sinne Moskaus natürlich. (Siehe Denis Jacqmin)
Somit hat die russisch-orthodoxe Kirche mit dem Patriarchen von Moskau die Allmacht über die Ukraine verloren. 58 % der sich orthodox nennenden Ukrainer sind mit der neuen ukrainisch-orthodoxen Kirche verbunden (La Croix, 22.2.2022).

10. Wenn es jetzt zum Krieg in weiten Teilen der Ukraine durch die Aggressionen Putins kommen sollte, ist die orthodoxe Kirche der Ukraine, und damit das sich mehrheitlich orthodox fühlende Volk, gespalten. „Es kann sein, dass die Moskau-treuen orthodoxen Ukrainer sich patriotisch für Moskau zeigen“, sagte (bzw. drohte) der mit dem Moskauer Patriarchen verbundene Bischof Victor Kotsaba, er sagte weiter: „Unsere Kirche ist bereit im Falle eines totalen Krieges die Leute zu segnen für die Verteidigung ihres Vaterlandes. („La Croix, 22.2.2022)

11. Wenn es also zum Krieg in weiten Gebieten der Ukraine kommen sollte, wäre dies auch ein Krieg zwischen verfeindeten orthodoxen Christen der Ukraine, die einen pro Moskau, die anderen pro Kiew. Ein Religionskrieg unter Christen?
Daran denkt auch das Oberhaupt der selbständigen, also der nicht vom Moskauer Patriarchen abhängigen Ukrainisch-orthodoxen Kirche, Metropolit Epiphanias: „Der Kreml weitet seine Aggression aus, indem er die Rhetorik der Verteidigung der Orthodoxie gebraucht. Ich wende mich an die orthodoxen Christen hier, die dem Moskauer Patriarchen unterstehen: Warten Sie nicht, bis ihre Führer (Bischöfe) es wagen ihr Schweigen zu brechen und endlich etwas sagen, um den Frieden zu verteidigen, um die Ukraine zu verteidigen. Beginnt damit persönlich! Der Aggressor muss sehen, dass ihr orthodoxen Christen des Moskauer Patriarchats kein Bedarf habt an seinen Truppen und seiner Macht. Das ist die Bürgerpflicht und die Pflicht des Christen“. Bisher hat Patriarch Kyrill I. von Moskau zu den neuesten “Aktionen” (.d.h. dem Krieg) Putins gegen die Ukraine geschwiegen. (Siehe dazu ein Zitat von Regina Elsner, Wiss. Mitarbeiuterin im Zentrum für Osteuropoa in Berlin, im DOM-Radio Köln gesendet am 23.2. 2022, siehe Fussnote 1)

12. Metropolit Epiphanias von der Ukrainisch-orthodoxen Kirche wandte sich dann an alle Ukrainer: Unsere Kirche appelliert daran, der Gewalt vorzubeugen, die sich gegen die Güter der Gemeinden des Moskauer Patriarchats richten. Der Feind sucht nur einen Grund, um im Falle von Gewalt seine eigene Aggression zu rechtfertigen. Unsere gemeinsame Aufgabe ist die es, die Pläne des Feindes zu zerstören“ (Zitate in: La Croix, Paris, 22.2.2022, Beitrag von Marguerite de Lasa).

13. Es ist wichtig zu wissen, dass der Moskauer Patriarch Kyrill I. offiziell Putin unterstützt hat bei der Annexion der Krim und der Gebiete im Osten der Ukraine. Diese Unterstützung Kyrills für Putin hat, so Anna Dolya, viele Orthodoxe mit Bindungen ans Moskauer Patriarchat dann doch zur Ukrainisch – orthodoxen Kirche geführt.

14. Die ukrainische – orthodoxe Kirche mit dem Patriarchat in Kiew hat während der Proteste auf dem Maidan Ende 2013 Partei zugunsten der Demonstranten ergriffen und z.B. das Kloster St. Michael als ein Krankenhaus für die Verletzten umgebaut. Die orthodoxen Christen, die sich als Ukrainer dem Moskauer Patriarchat verpflichtet fühlen, haben zum Teil heftig gegen die Maidan-Demonstranten agiert. Popen in der Ostukraine haben sich auch geweigert, gefallene ukrainische Soldaten zu bestatten, Bischöfe wie Thykon oder der Erzpriester Vsevolod Chaplin haben groß und breit die „zivilisatorische Mission der russischen Soldaten in der Ukraine” gelobt (so Denis Jacqmin).

15. Was ich schon in früheren Beiträgen auf der website des Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin betont habe: Die orthodoxe Kirche in Russland kann unter den jetzigen Bedingungen kein Ort gesellschaftlicher Kritik am Staat sein. Sie ist viel zu eng mit dem Staat, mit Putin, verbunden, als dass sie als Opposition überhaupt in Frage käme.
Es wäre ja denkbar, dass angesichts der Unterdrückung jeglicher politischer Opposition die Kirche die Rolle der Opposition übernehmen könnte, wie etwa die Evangelische Kirche in der DDR vor der und während der „Wende“.
Aber damit ist nicht zu rechnen, zumal auch die finanzielle Bereicherung der orthodoxen Kirchenführer „vom System“ so groß ist, dass kein Weg dahin führen könnte, dass diese Organisation von prächtiger Liturgie in uralter Sprache jemals wieder authentische Kirchen werden, die den Namen christliche Gemeinschaft im Sinne Jesu von Nazareth verdienen. Man denke daran, dass der große Dichter Leo Tolstoi einer der heftigsten Kritiker dieser Staats-Kirche damals schon war! Er wurde – natürlich wie üblich im Umgang mit Andersdenkenden – exkommuniziert.

Siehe auch die früheren Hinweise zur Russisch-orthodoxen Kirche auf dieser website des Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin, LINK: https://religionsphilosophischer-salon.de/14346_eine-putin-kirche-zur-russisch-orthodoxen-kirche-30-jahre-nach-dem-ende-der-sowjetunion_aktuelle-buchhinweise

Fussnote 1:

Zum Schweigen des Moskauer Patriarchen Kyrill I. zu Putins Kriegserkläerung vom 21.2.2022 sagt die Osteuropa-Expertin Regina Elsner am 23.2.2022: “Bis jetzt schweigt der Patriarch tatsächlich komplett zu dieser ganzen Situation. Es gibt keine einzige Äußerung von ihm. Und das liegt vermutlich genau an diesen Faktoren. Zum einen ist er in die Enge getrieben, einfach auch durch seine jahrelange Unterstützung der russischen Politik. Wenn Putin kirchliche Argumente nutzt, dann ist es für ihn natürlich unmöglich, hier zu widersprechen. Nachdem man seit Jahren genau diese Erzählung mit gefördert hat. Und zum anderen hat er natürlich die große Gefahr vor Augen, dass er die Gläubigen in der Ukraine endgültig verliert, sobald er sich auf die Seite der russischen Argumentation stellt. Das ist die gleiche Situation, wie mit der Annexion der Krim. Auch in diesem Fall gibt es, glaube ich, bis heute keine offizielle Äußerung der “Russischen Orthodoxen Kirche”. Das erklärt sein Schweigen bis jetzt. Und ich bin gespannt, oder ich erwarte ehrlich gesagt nicht, dass es da irgendeine kritische oder in irgendeiner Hinsicht distanzierte Äußerung vom Patriarchen geben wird.

(Das Interview für DOM Radio Köln führte Renardo Schlegelmilch.

Quellen:
Dolya: Anna Doly, L Eglise orthodoxe russe au Service du Kremlin. Dans: Revue Défense Nationale, Paris, 2015/5, pages 74-78.

Denis Jacqmin, Tremblement de terre dans l église orthodoxe, Forschungszentrum GRIP, Bruxelles, 14. Dez. 2018, (https://grip.org/wp-content/uploads/2018/12/EC_2018-12-14_FR_D-JACQMIN.pdf)

La Croix, Comment Poutine instrumentalise la rivalité entre les église orthodoxes en Ukraine, von Marguerite de Lasa, La Croix, Paris, 22.2.2022

Putin kaputt? Von Mischa Gabowitsch, Edition Suhrkamp, 2013, zur orthodoxen Kirche S. 205 – 223.

Kathy Rousselet, “l Eglise orthodoxe russe et le territorie canonique”, in: “Les Etudes du CERI”, Nr. 228-229, Fevrier 2017.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin