Glücklich sterben? Hinweise zum Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon am 31. 10.2014

Glücklich sterben? Hinweise zum Gespräch im

Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon am 31.10.2014

Von Christian Modehn

Die folgenden Überlegungen beziehen sich auf das Problem: Warum muss es tatsächlich schwerstkranken Menschen ohne Aussicht auf eine Form der Genesung und Schmerzfreiheit in Deutschland per Gesetz verboten sein, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, um auf selbst bestimmte Art (und ohne sich selbst Gewalt anzutun, wie Sich-Erschießen, Sich-Erhängen usw.) aus dem schwersten Leiden zu treten.

Diesen Schritt des ärztlich assistierten Suizids deuten viele Schwerstkranke selbst als Form der Erlösung. Hans Küng, der katholische Theologe, schreibt in seinem neuen „Glücklich sterben?“ (2014), dass die von ihm angestrebte selbst bestimmte Form des Sterbens mit Hilfe der schweizerischen Organisation EXIT ein Weg zu Gott ist, in der frommen Hoffnung, bei Gott Gnade und Heil zu finden. Für Küng kann es also durchaus dem Willen Gottes entsprechen, wenn ein Christ bei starkem Leiden sich selbst, ärztlich assistiert, definitiv verabschiedet. Für Küng kommt diese Möglichkeit selbst bei „beginnender Demenz“ (S. 23) in Betracht. „Man kann aus Gottvertrauen heraus freiwillig sterben“ (S. 29). „Ich sage immer, das ist für mich die Wahl“ (S. 38).

Dann folgt der Satz, der zu denken gibt: “Es liegt an den Deutschen, die keine Gesetze machen können, damit solch ein Sterbetourismus (in die Schweiz) nicht notwendig ist“ (S. 39). Wobei Deutsche die Hilfen der Organisation EXIT nicht in Anspruch nehmen können; sie ist auf Schweizer Bürger begrenzt, für Nichtschweizer gibt es den –immer wieder umstrittenen- Verein „Dignitas“.

Es sieht allerdings nicht so aus, als würden neue Gesetze für ein selbst bestimmtes Sterben in größter Not der Schmerzen in Deutschland alsbald möglich sein. Da ist die gegenwärtige Regierung viel zu verbissen in der üblichen Abwehr, in der Verbreitung diffuser Ängste (“Dammbruch“), wobei sicher der Blick auf die Macht der Kirchen politisch eine Rolle spielt. Keine Regierung in Deutschland wagt es, mit den Kirchen in einen offenen Streit und Widerspruch zu treten, das gilt auch für Fragen zur tatsächlichen Trennung von Kirchen und Staat oder bei Fragen zur Kirchensteuer und den staatlichen Zuwendungen an die Kirchen gemäß der Gesetze von 1803 usw. Dabei ist allen Beobachtern natürlich klar, wie schwach tatsächlich die Kirchen in Deutschland bereits sind, schaut man nur auf die stetig sinkenden Mitgliederzahlen, auf den stetigen Rückgang in der Teilnahme an den Sonntagsgottesdiensten (außer am Heiligen Abend). Dabei sind die Kirchen in Deutschland finanziell opulent ausgestattete Organisationen mit Milliarden Euro Einnahmen allein durch die Kirchensteuer.

Zum Thema „aktive Sterbehilfe“ wollen wir einige weiter führende, durchaus unbequeme Fragen stellen (nur die ewig gleichen Fragen sind bequem), in dem Bewusstsein, dass dieses Thema niemals leichtfertig besprochen werden darf. Es darf aber auch nicht sein, die seit Jahrzehnten bekannten Vorbehalte und Verbote, auch der Kirchenleitungen, bloß gehorsam nachzubeten und zu wiederholen. Im Gegenteil, es gilt, die legitimen Forderungen der Patienten in ihrer Not endlich zu respektieren und den Forderungen eine rechtliche Form zu geben.

Eine kritische philosophische Prüfung, also in der Distanz von konfessionellen Bindungen, ist nötig. Dabei immer im Blick auf ein ethisches, vernünftiges Leben, um etwas klarer zu sehen und hoffentlich Neues zu erkennen. Dabei müssen wir das weite Umfeld des Themas erst einmal in den Blick nehmen und dabei vielleicht zu überraschenden Erkenntnissen kommen.

Die Kirchen haben seit dem 4. Jahrhundert immer – von ganz wenigen kritischen, oft häretischen Theologen abgesehen – das Töten der Feinde im Krieg für ethisch richtig und geboten gehalten. Sie haben die Waffen gesegnet, mit denen die Soldaten in den Krieg zogen, Christen gegen Christen, in dem festen Wissen, bloßes Kanonenfutter zu sein; die politischen und die mit ihnen verbündeten kirchlichen Herrscher haben also den Tod ihrer armseligen Untertanen, die sich nicht wehren konnten, direkt gern in Kauf genommen, einzig aus nationalistischen, machtpolitischen Gelüsten heraus.

Bis heute sind fundamentalistisch Fromme, Evangelikale und pfingstlerische Kreise die entschiedenen Verteidiger der Todesstrafe, etwa in den USA. Diese Christen haben keine Skrupel, einem anderen Menschen, auch ein Verbrecher ist ein Mensch, den Tod zuzufügen. Diese Menschen, die anderen den Tod zufügen, bedenken nicht die Dialektik, die darin besteht: Wer andere bewusst tötet, der tötet auch seine eigene Seele und seinen Verstand. Insofern ist die Tötung anderer im Krieg oder auf den Elektrischen Stuhl immer auch eine bewusste oder unbewusste Selbsttötung der Tötenden. Das Töten der Seele hat bekanntlich Jesus von Nazareth als viel schlimmer denn das Töten des Leibes betrachtet (Mth 10,28). Insofern ist ein breiter Strom der blutigen Geschichte und der Kirchengeschichte eine lange Geschichte des seelischen Selbstmordes.

Die Märtyrer der frühen Christenheit haben sich oft fröhlich, wie berichtet wird in den Heiligenberichten, in den Arenen Roms und anderswo den Löwen zum Fraß vorgeworfen. So wollten es die heidnischen Kaiser, weil sich diese Christen weigerten, bestimmte einfache Formen der heidnischen Herrscherkulte mit zu vollziehen. Diese dann offiziell hoch gepriesenen christlichen Helden und Heilige kann man durchaus als „begeisterte Selbstmörder“ verstehen, um den Titel eines Buches von Dries van Collie (1960, bezogen auf die Christenverfolgung in China unter Mao) aufzugreifen.

Dieses Verhalten der heiligen, begeisterten Selbstmörder der frühen Kirche hat nie ein Herr der Kirche auch nur ansatzweise kritisiert. Diese Heiligen gelten als gute Selbstmörder, weil sie einer guten Sache dienten, nämlich der Standfestigkeit der christlichen Kirche.

Schlechte Selbstmörder sind jene, die in größter Qual um ärztliche Hilfe zum Tod bitten. Dabei vertreten sie doch eine gute Sache, nämlich den grenzenlosen Respekt vor der subjektiven Freiheit, die ja bekanntlich die klassische Tradition als „der Güter Höchstes“ bewertet.

Wir nehmen uns selbstverständlich die Freiheit, auch zu fragen, ob die Entschiedenheit Jesu von Nazareth, seinen Weg der Gerechtigkeit und Treue seinem eigenen Gottesbild gegenüber nicht auch eine Dimension des Suizids hat: Wir wissen, diese Frage ist ketzerisch und wurde so selten öffentlich gestellt. Tatsache ist: Jesus von Nazareth weiß im Laufe seines Prozesses genau, dass er sich freiwillig dem Tod überliefert, wenn er bei Gericht nicht widerruft. Und er hat nicht widerrufen, ist also freiwillig in den – vorzeitigen, also nicht natürlichen, äußerst schmerzlichen Tod gegangen. Diese Deutung des Todes Jesu überrascht viele orthodox fixierte Christen, die sich nur der Deutung Jesu durch die späteren Theologen anschließen: Jesus habe sozusagen sterben müssen, um Gott mit der Welt zu versöhnen. Dies ist eine theologische Behauptung aus einem alten Weltbild, das heute der kritischen Betrachtung nicht standhält. Jesus von Nazareth ist freiwillig in den Tod gegangen, er hat am Kreuz geschrieen: Mein Gott, warum hast du mich verlassen. Das ist die Basis, auf der man ernsthaft theologisch diskutieren kann. Alle anderen Bilder und Dogmen, die sich durchgesetzt haben, wie Sühnetod, Versöhnung mit dem zornigen Gott usw. haben für aufgeklärte religiöse Menschen eine sehr geringe Relevanz.

Viele andere Menschen, die den eigenen Tod gezielt anstrebten und annahmen, etwa Widerstandskämpfer, haben sich auch bewusst dem eigenen Tod ausgesetzt. Gilt ihr Tun als Wahl des eigenen Todes deswegen nicht als verachtenswerter Suizid, weil ihr Handeln einem „guten Zweck“ diente? Gibt es also gute und selbst von Christen verteidigte gute Suizide und eben schlechte Suizide derer, die nichts anderes anzielen, als endlich keine unerträglichen Schmerzen mehr zu haben. Diese Menschen möchten in ihrem Leiden nichts anderes als sich auch friedlich verabschieden, mit ärztlicher Hilfe wollen sie gern möglichst schmerzfrei sterben, so wollen sie einen Beitrag leisten für eine neue Kultur des Sterbens (!) Noch einmal: Diesen ärztlich assistierten Suizid ziehen sie der üblichen Zwangspraxis vor, vom Staat diktiert, die sie nötigt, sich irgendwo im Wald eine Pistole in den Mund zu stecken und sich abzuknallen wie einen Verbrecher.

Entscheidend ist: Wir sollten die Diskussion über Suizidbeihilfe und über aktive Sterbehilfe in den großen Rahmen stellen der europäischen Emanzipationsgeschichte: Dies ist die Geschichte des Kampfes um Freiheit, um individuelle Freiheit wie Freiheit in Staat und Gesellschaft. Nur einige wenige Beispiele: An dem Kampf um die Rechte der Frauen wäre zu erinnern, an den Kampf um das Frauenwahlrecht oder die schlichte Tatsache, dass Frauen auch ohne Zustimmung des Gatten ein Bankkonto eröffnen können; an den Kampf um den Respekt für Homosexuelle bis hin zu Homoehe und Homo-Elternpaaren mit ihren Kindern wäre zu erinnern; an den Kampf um die „Pille“ oder an den Kampf um die legitimen Forderungen nach Abtreibung in bestimmten gesetzlichen Grenzen usw.

In allen diesen erfolgreichen Kämpfen wurde die individuelle Freiheit durchgesetzt, die Machthaber mit ihrer eigenen rigiden Moral der Unterdrückung der subjektiven Freiheiten wurden sozusagen entthront.

Das heißt aber nicht, dass mit jeder neuen gesetzlichen Regelung im Rahmen der Reformen auch immer rundherum alles Bestens läuft. Eine Gesetzesreform, die rundherum total nur Gutes bringt, gibt es nicht. Dies auch von den bevorstehenden neuen Gesetzen zur Suizidbeihilfe und zur aktiven Sterbehilfe zu verlangen, wäre naiv. Aber die oben genannten Beispiele der Emanzipation zeigen, dass doch die Befreiung gegenüber dem alten Zustand der Unterdrückung und Verfolgung (etwa der Schwulen) ungleich besser und wertvoller ist.

Warum also sind die Kirchenführer und die meisten ihnen gehorchenden Theologen gegen die gesetzliche Neuregelung von Suizidbeihilfe und aktiver Sterbehilfe? Wir vermuten: Weil sie mit dieser Reform tatsächlich ihre aller letzte noch verbliebene Bastion verlieren könnten, von der aus sie die Gewissen lenken und leiten können … und auch die Gesetze. Mit anderen Worten: Der Kampf gegen die neue gesetzliche ärztlich assistierte Suizidbeihilfe ist auch der Kampf der Kirchen um die letzte noch verbliebene gesellschaftliche Macht.

Wir fördern und fordern mehr Hospize, keine Frage, sie sind hilfreich und sinnvoll, auch wenn sie nur eine Minderheit erreichen. Im vergangenen Jahr starben in stationären Hospizen Deutschlands 9.000 Menschen. In ambulanten Hospizen, also in den Wohnungen der Sterbenden, starben 37.000 Menschen. Aber Palliativstationen und Hospize sind aber nicht die absolut beste und einzige Antwort. Selbst katholische Ärzte in Palliativstationen und Hospizen bestätigen das, etwa die katholische Ärztin Corinne van Oost aus Belgien in der neuen Ausgabe der Zeitschrift „Le Monde des Religions“ (Paris, November 2014, Seite 22 f.) Sie betont in dem Interview, aus Mitleid zu handeln, wenn sie Schwerstkranken hilft, durch die in Belgien gesetzlich mögliche Euthanasie sterben zu können. „Es ist die Gewissheit mit meiner ganzen ärztlichen Equipe, dass es keine andere Möglichkeit mehr gibt“. Die übliche Lösung, den Kranken mit hohen Opium Dosen total in den Schlaf zu schicken, hält sie für keine gute Lösung. „Denn da ist der Kranke total von seiner Umgebung abgeschnitten. Die gibt es dann keine Begleitung mehr“.

Philosophisch entscheidend ist ein weiterer Hinweis: Ich muss nicht leben. Es gibt keinen Zwang, dass ich leben muss. Ich darf leben, will leben, kann leben, aber niemals gilt: Ich muss leben: Bestenfalls im Blick auf andere, die mich unbedingt brauchen, für die ich leben will bloß aus Mitleid mit ihnen. Aber das ist die Ausnahme.Nur Diktatoren reden mir ein, ich müsste unter allen Umständen leben. Fidel Castro z.B. war empört, als sich ein Companero selbst tötete. Totalitäre Staaten wollen Menschen zwingen zu leben zwingen, sie wollen sie sozusagen binden an den Aufbau des eigenen Staates usw.

Der zentrale Punkt ist: Das „Geschenk des Lebens“ kann ich auch wieder zurückgeben.

Es ist ja ein klassischer Topos: Das menschliche Leben ist für mich Geschenk, also darf ich es selbst nicht abgeben, zurückgeben. Tatsache aber ist: Das Geschenk wird nicht vom Schenkenden bleibend und ständig bestimmt. Ich bin als der Beschenkte nicht verpflichtet, ein Geschenk ständig zu bewahren. Das gilt, wenn ich Gott personal verstehe oder eher offen an eine schöpferische Urkraft denke.

Gott als der Schenkende „will“, dass wir in aller Freiheit uns selbst mit diesem Geschenk persönlich auseinandersetzen und inmitten unseres Lebens entwickeln. Es gibt den Spruch: Achte auf den Zusammenhang von Gabe und Aufgabe. Es gibt immer den Aufruf zum eigenen, individuellen Handeln mit dem mir gegebenen Leben. Gott spricht nicht unmittelbar in mein Leben hinein, und er sagt mir nicht, wie ich mit seinem Geschenk, also meinem Leben, umgehen soll. Nach Gesetzen der Ethik und der Vernunft, gewiss, aber Gott überlässt mir vollkommen den Umgang mit seinem Geschenk. Und das lässt auch die Möglichkeit offen, dass ich im Fall von äußersten Leiden dieses Geschenk zurückgebe.

Wir zitieren gern eine Einsicht des Renaissance Philosophen Pico della Mirandola (1463 bis 1494): Er lässt Gott zum Menschen sagen
„Du sollst deine Natur ohne Beschränkung, nach deinem freien Ermessen, dem ich dich überlassen habe, selbst bestimmen“ (zit. aus „Enzyklopädie Philosophie“, Band III, S. 2411, in einem Beitrag von Volker Gerhardt).

Wichtig erscheint uns das Buch von Christiane Berkvens-Stvelinck, „Vrije Rituelen“ (2012), in der die Remonstranten Theologin (Rotterdam) zusammen mit Pastor Johan Blauuw einen eigenen Ritus im Falle von Euthanasie beschreibt und zur Nachahmung empfiehlt. Bekanntlich ist ja in Holland seit 2002 Euthanasie gesetzlich möglich, dieses Wort verwenden Holländer, in Deutschland gibt es gegenüber dem Begriff verständlicherweise Vorbehalte).

Angeraten wird der um das Sterbebett versammelten Familie/dem Freundeskreis, etwa eine Kerze anzuzünden, ein Gedicht, ein Gebet, einen Psalm vorzutragen, Erinnerungen auszutauschen, ein buntes Band zu legen, das alle, auch den Sterbenden, verbindet zu einer großen Gemeinschaft. Und dann wird ein Gebet empfohlen, das wir hier in der Übersetzung anbieten:

Ewiger.

Jetzt nähert sich der Moment des Abschiednehmens

Weil das Leben seinen Glanz verloren hat

Und der Körper kein Zuhause mehr ist

Um darin noch zu wohnen.

Deswegen geben wir dir, dem Ewigen, das Leben zurück.

Als ein Geschenk hast du uns das Leben gegeben.

Jetzt, wo dieses Geschenk nicht länger erfreut

Weil die menschlichen Möglichkeiten, um dieses Geschenk zu genießen

Viel zu begrenzt wurden.

Deswegen geben wir dir in Dankbarkeit, dem Ewigen,

dieses Geschenk zurück.

Mögest du es annehmen und aufnehmen

In deiner Barmherzigkeit und in deiner Liebe.

Segne dieses Leben

Mit dem Licht deiner Augen und mit dem Frieden,

der allen Verstand noch einmal überragt. Amen.

Aus: Christiane Berkvens-Stevelinck, Vrije Rituelen“. Untertitel: „Vorm geven aan hat leven“.

Verlag Meinema,in Zoetermeer. 2007. ISBN 978 90 211 4152. Das Gebet befindet sich auf Seite 98. Übersetzt von Christian Modehn

Es kommt in den gegenwärtigen und zukünftigen Diskussionen darauf an, von der bloßen Fixierung auf neue Gesetzestexte wegzukommen zugunsten der umfassenderen Frage: Was ist eigentlich gutes Sterben? Sterben ist kein technisches und auch kein bloß medizinisches Problem. Diese Frage sollte im Mittelpunkt stehen: Wie kann eine Kultur des Sterbens entstehen, in einem Miteinander, das wieder gepflegt werden sollte angesichts des Zusammenbruchs der alten Großfamilien. Wie können würdige Abschiedsfeiern gestaltet werden? Das gelingt nur, wenn sich tatsächlich die zum Sterben entschlossenen Menschen/Patienten bei Bewusstsein und schmerzfrei verabschieden können.

Die Kirchenführer sind fixiert auf den Erhalt der bisherigen Gesetze. Sie haben wie immer Angst vor Neuerungen und Reformen. Sie haben das Wort Zuversicht aus ihrem Vokabular gestrichen, Ist das christlich? Sie sehen auch jetzt wieder die üblichen Dammbrüche und Katastrophen, sind aber nicht in der Lage, einmal nach Holland zu schauen, nach Belgien, in die Schweiz usw., um zu fragen: Ist dort tatsächlich Mord und Totschlag an der Tagesordnung, bedingt durch liberalere Gesetze beim Sterben. Die alles Wissenden deutschen Theologen und Pfarrer, ebenso die mit den Kirchen verbandelten Politiker, sprechen nicht mit Pfarrern und Theologen aus der schweizerischen, belgischen und holländischen Nachbarschaft, die selbstverständlich Menschen in den letzten Stunden begleiten, wenn sie unter ärztlicher Assistenz aus dem Leben scheiden und von schwersten Schmerzen befreit, erlöst, werden.

Die Kirchen in Deutschland könnten ihre eigentliche Aufgabe wahrnehmen, wenn sie den Prozess der Freiheit und Befreiung auch in Fragen des Sterbens zunächst einmal bejahen und aus dieser Bejahung dann auch mitgestalten. Sie sollten sich fragen, wenn sie schon auf die Bibel starren, wo denn in der Bibel der Suizid verboten ist.

Durch das pure Pochen, langweilig, ängstlich und autoritär wie eh und je, begeben sich die Kirchen wieder mal selbst ins Getto.

Religiöse Menschen und religionsphilosophisch Interessierte sollten hingegen den Prozess der Befreiung auch im selbst bestimmten Sterben mitgestalten, statt ihn permanent zu bejammern. Eine starre Haltung hat, wie immer in der Geschichte, keine Zukunft.

Diese Erstarrung aus Angst vor neuen Gesetzen diskreditiert alle Versuche, eine neue Ordnung zu schaffen, in der auch die jetzt qualvoll Leidenden und zum Tode Entschlossenen eine humane Antwort finden. Dann könnte endlich auch einmal nicht nur vom Sterben, sondern von dem viel anspruchsvolleren Thema „TOD – Was ist das?“ gesprochen werden. Die langen Debatten rund um das Sterben haben das Thema Tod und definitive Endlichkeit in den Hintergrund treten lassen. Leider, meinen wir.

Ein Hinweis zum Schluss:

In der katholischen Monatszeitschrift HERDER Korrespondenz Heft 11 (2014 Seite 567 ff.) wird ein Beitrag von Giovanni Maio publiziert, er ist als Arzt in München Uni-Professor für Medizinethik,, (philosophisch M.A.) und Mitglied des Ausschusses für ethische Grundsatzfragen der Bundesärztekammer UND Berater der Deutschen (katholischen) Bischofskonferenz, eine interessante Verbindung und Nähe übrigens.

Sein Beitrag hat den Titel: „Handhabbarer Tod? Warum der assistierte Suizid nicht die richtige Antwort ist“.

Wir können aus diesem viele alte bekannte Argumente wiederholenden Beitrag nur darauf hinweisen, wie da gegen die Menschen argumentiert wird, die in größter Not der Schmerzen aus diesem Leiden befreit werden wollen. Kein einziger Patient, der um assistierten Suizid bittet, wird zitiert, kein Verteidiger dieser Position auch nur namentlich erwähnt. Ein merkwürdiger arroganter Beitrag, meinen wir.

Herr Maio unterstellt, diese um den assistierten Suizid bittenden Menschen würden sich in ihrem Leben jetzt „überflüssig“ fühlen (s. 568), sie würden sich „wertlos vorkommen“, „als Last, als Bürde, ja als Zumutung für andere“ (ebd.). Dass die Überwindung unerträglichen Leidens aus freier subjektiver Kraft die erste Rolle spielt, wird in dem Beitrag nicht gesehen. Das Gefühl lästig zu sein, kann ihnen auch von Geld gierigen Gesunden eingeredet werden. Und das passierte immer schon, auch vor der debatte um die assistierte Sterbehilfe.

Hingegen wird zurecht gesagt, es sei alles Erträgliche zu tun, „um Suizidwünsche zu vermeiden“ (ebd). Das ist ja richtig im Fall eines allgemeinen Suizidwunsches, aus Liebeskummer, mieser Stimmung usw., das gilt aber nicht für den Sonderfall des assistierten Suizides im Falle schwerster und aussichtsloser Krankheit.

Autonomie versteht Herr Maio falsch, indem er Autonomie deutet ,„alles ohne Hilfe Dritter machen zu können“ (S. 569). Autonomie aber kann niemals ohne die Bezogenheit auf andere verstanden werden. Entscheidend ist: Es muss jedoch eine freie und gleichwertige Beziehung sein, keine Beziehung der Herrschaft und des Oben und Unten. Herr Maio verwechselt offenbar Autarkie und Autonomie.

Dann meint er den assistierten Suizid deswegen abweisen zu können, weil dieser ein Mittel sein soll der Leidverhinderung und sogar Leidenslinderung (s. 569). Es geht nicht um die Verhinderung von Leiden im Fall des assistierten Suizides, sondern um die definitive Abweisung eines Lebens, das nichts mehr als Leiden ist. Es geht um Befreiung und Erlösung aus diesem Leib und der Hinkehr zu Gott, so fromme Menschen, wie Hans Küng.

Es geht auch nicht um die Schaffung „einer leidlosen Gesellschaft“, wie Herr Maio suggeriert, sondern nur um die Abwehr des einzelnen, definitiv schmerzhafteste Zustände zu ertragen. Natürlich wird auch ein Schwerstkranker noch das Leiden von Zahnschmerzen etc. ertragen. Indem, wie so oft üblich in konservativen Kreisen, der assistierte Suizid so in maßlose, globale und gerade alberne Dimensionen wie „Forderung nach Leidlosigkeit“ gezogen wird, werden Schreckgespenster wachgerufen. Die Utopie, dass sich in „besserer Zukunft“ (S. 570) „alle sich um den alten Menschen ranken, ihn verehren“ (ebd.) soll bitte den Politikern der CDU und SPD nahe gebracht werden, sollen sich diese Herrschaften einmal dem Gespräch stellen mit den Betroffenen. Und dann sollen sie bitte noch ca. 10.000 weitere stationäre Hospize in Deutschland bauen und dabei zur Finanzierung auf ihr üppiges Salär verzichten zugunsten der alten Menschen, „um die sich alle ranken” (? ) und „die alle verehren“.

copyright: Christian Modehn Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

 

 

 

Das Spiel mit dem Feuer. Zu einem Buch von Alain Finkielkraut

Wenn ein Philosoph mit dem Feuer spielt

Ein Hinweis zu Alain Finkielkraut „L` Identité malheureuse“ (Stock 2013), Paris. 240 Seiten, 19,50€

Von Christian Modehn

Wenn die äußerst rechtslastige, manche Kenner sagen „rechtsextreme Partei“ Front National (FN) unter der Führung von Marine Le Pen bei den Europawahlen 2014 in Frankreich als sehr starke, wenn nicht als stärkste Partei hervorgeht, dann hat das viele Ursachen: die (auch intellektuellen) Schwächen der anderen Parteien, die „ungelösten“ sozialen Differenzen, die Arbeitslosigkeit usw.. Man hört schon förmlich die übliche „Litanei“ der nach der Niederlage etwas betroffen blickenden Politiker der demokratischen Parteien.

Nicht ganz unbeachtet sollte dabei die geistige Stimmung, die kulturelle „Wetterlage“, bleiben, die bekanntlich von geistigen Impulsen, auch von philosophischen Büchern mit –  bestimmt wird. Förderlich, wenn auch im einzelnen naturgemäß nicht exakt nachweisbar, für die Zustimmung zur rechtsextremen Partei FN könnte auch das neue Buch des Philosophen Alain Finkielkraut (geb 1949 in Paris) „L Identité malheureuse“ (Die unglückliche Identität) sein. „Le Monde“ berichtet am 11. 4. 2014, dass bisher 80.000 Exemplare verkauft wurden. Dieses Buch bewegt in Frankreich seit seinem Erscheinen im Herbst 2013 die Gemüter äußerst heftig.

Finkielkraut ist ein extrem viel beschäftiger, damit ein „typisch“ Pariserischer „Intellektueller“. Er ist als Philosophieprofessor an der „Ecole Polytechnique Paris“ vor allem Buchautor … und jetzt wieder einmal Dauergast im Fernsehen. Zudem leitet er eine beachtliche Sendung auf Radio „France Culture“ (sie heißt „Repliques“). Er nennt sich selbst laizistischer und atheistischer Jude, verteidigt den Staat Israel absolut (siehe Le Figaro, 21. 11. 2011), er ist auch regelmäßiger Mitarbeiter bei dem Privatsender „Radio Communauté Juive“ (RCJ). Nun also hat er ein weiteres Buch geschrieben, das genau die Stichworte in den Mittelpunkt stellt, die auch die Getreuen der äußerst rechtslastigen (und explizit „europa-feindlichen“, bei Putin sehr beliebten) Partei FN propagieren: Es ist die Angst um die französische „Identität“. Ihm geht es auch in diesem Buch, das viele zurecht wohl ein Pamphlet nennen, um den Niedergang der alten französische Identität, verursacht durch den Zustrom von Immigranten. Nur ein paar Zitate aus dem Buch: „Europa ist zum Einwanderungskontinent verkommen“. Die Franzosen (welche ? CM) fühlen sich wegen der Einwanderer fremd auf ihrem eigenen Boden“. „Wir sind der Andere des Anderen (also des Immigranten CM), Und hat dieser Andere (also die Franzosen) nicht das Recht zu sein und sein Sein zu bewahren?“ „Der Franzose muss die Auslöschung seines eigenen Gesichts verhindern“.

Bemerkenswert ist hier, dass da jemand schreibt, der, so wörtlich, meint, „bis zum Jahr 1972 sei Frankreich noch eine homogene Nation“ gewesen. Dabei vergisst Finkielkraut, dass 1972 in diesem Frankreich bereits Italiener, Spanier, Polen und Russen usw. lebten, und eben auch Askenazim, zu denen sich Finkielkraut rechnet. Und es lebten auch Franzosen aus Algerien in diesem offenbar so homogenen Frankreich. Die Tendenz von Finkielkraut ist klar: Er will unter allen Umständen auf die angeblichen Gefahren aufmerksam machen, die von den muslimischen Einwanderern aus Afrika verursacht werden.  Er will die „Autochthonen“, also die irgendwie schon lange in Frankreich lebenden Franzosen, retten; er empört sich, dass man heute das Wort Rasse nicht mehr unschuldig verwenden kann, er sieht den Niedergang der (alten) von ihm wie in einer Nostalgie geliebten französischen Kultur der Nähe und Treue verursacht durch … je wen wohl? Durch die Einwanderer aus Afrika in den Vorstädten.

Der französische Philosoph sieht nicht die politischen Fehler, die mit der Ausgrenzung dieser oft in Frankreich geborenen muslimischen Franzosen, begangen wurden. Die (christlichen ?) Herrschaften in Paris wollten besser unter sich bleiben, und haben deswegen die Armen, die „Afrikaner“ und andere Muslims in die hässlichen Vorstädte transportiert. Sie sind eine Last in der Sicht der Herrschaften in Paris.

Aber der für solche Fragen blinde Finkielkraut fürchtet, wie Frankreich zu einer „auberge espagnole“ wird, also zu einem primitivem Schuppen ohne Kultur, was dieses Wort bedeutet. „In dieser Situation wissen die Franzosen (aber welche? CM) nicht mehr , wo sie sind“.

Besonders auffällig ist, dass Alain Finkielkraut sich ohne Skrupel dem Denken und dem Vokabular von Renaud Camus anpasst, „für den Finkliekraut eine vehemente Leidenschaft hat“, wie „Le Monde“ am 23. 10. 2013 schreibt. „Denn dieser Schlossherr und Schriftsteller aus dem Gers wird nicht nur von seinem Freund und Protektor zitiert, er tritt wortwörtlich als dessen Buchredner auf“, heißt es weiter in „Le Monde“. Renaud Camus hat bekanntlich sich klar und deutlich bei Wahlen für die Chefin des Front National ausgesprochen. All das stört offensichtlich Alain Finkielkraut nicht.

Die weltweit geschätzte Historikerin Elisabeth Badinter versucht dieses irritierende Verhalten und Denken ihres Mitbürgers zu verstehen: “Finkielkraut teilt mit einer gewissen Anzahl von Intellektuellen diese Charakteristik: Geboren in jüdischen Familien, eingewandert nach Zentraleuropa; sie widmen dann Frankreich dermaßen eine Liebe, die man sich kaum vorstellen kann, auch einen tiefen Respekt vor den Gesetzen Frankreichs“ (so in Le Monde 1. Nov. 2013).

Die Frage bleibt, bei allem Verständnis für diese psychologischen Hinweise: Wie kann sich ein so „kluger Philosoph“ auf diese Ebene mit einem offensichtlich reaktionären Schriftsteller wie Renaud Camus begeben? Vor allem, dies wäre eine weitere Frage. Welche Bindungen bleiben da noch bei Finkielkraut an einen seiner Lieblingsphilosophen, an  Emmanuel Lévinas. In dem Buch „Die Weisheit der Liebe“ (1984) hatte Finkielkraut z.B. noch geschwärmt, wie „der andere“, auch „der Fremde“,  mich zu meinem wahren Dasein ruft und förmlich „zwingt“. Man lese etwa in der deutschen Ausgabe von 1987 (Hanser Verlag) die Sätze Finkielkrauts: “Die Moral ist eine Konversion im eigentlichen Sinne. Etwas Fremdes – das Antlitz des anderen Menschen – kommt und zwingt mich, meine Gleichgültigkeit aufzugeben. Ich werde durch den anderen … zu einer Verantwortung gerufen“ (S. 154. Im übrigen ist Finkielkraut auch Mitbegründer des Levinas Studienzentrums in Jerusalem!  Wie passt das alles zusammen? Was bleibt von einer geistigen, vor allem radikal ethischen Präsenz von Lévinas in diesem Pamphlet? Vielleicht gar nichts?

Das Pamphlet, viel gelesen, viel besprochen, ist wirksame, wenn auch kulturell nur indirekte Werbung für Madame Le Pen; sie schämt sich vielleicht etwas, öffentlich zuzugeben, nun einen sehr rührigen jüdischen Unterstützer und Maitre à penser zu haben.

Das Buch ist von tiefem Pessimismus geprägt. Finkielkraut sieht Frankreich als ein riesiges Getto, die heutige französische Kultur ist für ihn ein riesiger Friedhof toter Texte… Die Philosophin Elisabeth de Fontenay schreibt auf der website JDD: „Finkielkraut hört nicht den Gesichtspunkt, der sich ihm entgegenstellt. Er hält keinen Dialog mit dem anderen, der sich in ihm selbst befindet und auch außerhalb, im anderen. Er hält nur einen Dialog so, um sich dann ein Stück wegzunehmen, aber nicht um sein eigenes Denken zu verändern“.

Mit (nur) 16 von 28 Stimmen wurde Alain Finkielkraut am 10.4. 2014 zum Mitglied der berühmten “Academie Francaise” gewählt, man nennt die Mitglieder aufgrund ihres Renommees „Die Unsterblichen“. Hoffentlich bleibt das Buch “Identité Francaise” nicht unsterblich.

 

Copyright: Christan Modehn Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

 

Recht und Moral. Einige Thesen zum Salon am 25. 4. 2014

Recht und Moral

Einige These, einige Fragen anlässlich des religionsphilosophischen Salons am 25. 4. 2014.

Von Christian Modehn

1. Recht und Moral sind zwei verschiedene Bereiche. Sie sind verschieden und eigenständig.

Aber sind sie immer getrennt oder gibt es Verbindungen? Dieser Frage wollen wir nachgehen. Tatsache ist:  Wenn in Demokratien Recht gesprochen wird, sollen ausschließlich die Gesetze beachtet werden. Die Moral der Richter sollte da keine Rolle spielen, auch sollte es keine Rücksichtnahme geben  auf herrschende Moralvorstellungen, etwa durch Religionsgemeinschaften verbreitet.

2. Unter Moral könnte man in einem weiten Sinne die “Welt der Werte” meinen, die in einer Kultur dem einzelnen Menschen und der Gesellschaft angeboten werden und die auch verinnerlicht werden, an die man sich hält in einer oft unbewussten Selbstverständlichkeit. Diese Welt der Überzeugungen, „Moral“, gibt es heute immer nur im Plural. Unser Thema muss im Rahmen einer pluralistischen Gesellschaft besprochen werden; da gibt es unterschiedliche religiöse Überzeugungen, etwa zu Fragen: Was ist Leben, was ist der Wert des Menschen usw.

Dazu bringen die religiösen Repräsentanten ihre religiösen Lehren vor, dabei handelt es sich um religiöse Interpretationen des Lebens aus vergangenen Zeiten. Diese Texte entstammen aus Kulturen mit einem vor – modernen Welt – und Menschenbild, sie können nicht ohne weiteres direkt als Weisungen in die Moderne hineingezogen und als automatisch gültig angesehen werden.

Ergänzung am 6. 5. 2014: In dem Zusammenhang weisen wir auf einen Beitrag hin, den Sabine Hark, Prof. für Soziologie an der TU Berlin, am 6. Mai 2014 in “Der Tagesspiegel” veröffentlicht hat: Zum Thema der immer noch heftigen Homophobie sogar in dem angeblich “aufgeklärten” Deutschland. Zur Lektüre dieses wichtigen Beitrags klicken Sie hier. Leider kommt in unserer Sicht die homophobe Propaganda weitester Kreise der christlichen Kirchen und anderen Religionen nicht ausreichend in dem Beitrag zum Ausdruck. Dass es eine explizit und uneingeschränkt “homofreundliche” und homosexuelles Lieben und Leben uneingeschränkt akzeptierende christliche Kirche gibt, die Remonstraten, darauf wurde mehrfach auf unserer zweiten website (klicken Sie hier)  hingewiesen.

3. Die unterschiedlichen Menschen mit unterschiedlichen Moralvorstellungen heute brauchen für ein friedliches und demokratisches Zusammenleben in der pluralistischen Gesellschaft sozusagen zu ihrem eigenen Schutz und um eines menschlichen Lebens willen rechtliche Regelungen. Im Recht und in den Gesetzen wird vom Staat unter Strafandrohnung die Befolgung bestimmter Gesetze verlangt. Moralauffassungen können natürlich nicht unter Strafe eingeklagt und befohlen werden. Beispiel: Ich muss nicht nett und freundlich sein zu bestimmten Menschen und Nachbarn, das gebietet mir meine Freiheit der Moral. Aber ich muss im Notfall aus rechtlichen Gründen helfen; ob mir diese Hilfe gefällt oder nicht. Ich muss sozusagen diese Hilfe äußerlich, auch ohne innere Anteilnahme, leisten. Das ist die Welt des Rechts. Sie kann allerdings bei bestimmten Menschen so absolut hoch bewertet und dauernd praktiziert werden, dass alle menschlichen Beziehungen, auch unter Nachbarn, nur noch unter der Kategorie von Gesetz und Recht und Prozessordung betrachtet werden. Jegliche geistige Lebendigkeit, jeglicher Sinn für Gemeinschaft,  geht dann – bei einem ausschließlichen Respekt vor den formalen und rigide angewendeten Gesetzen – verloren.

4. Deutlich ist jedenfalls: Auch die Gesetze (Beispiel Gebot der Hilfeleistung) enthalten implizit eine gewisse Moralvorstellung, einen bescheidenen Inbegriff an Humanität. Per Gesetz wird also doch eine bestimmte minimale Moralvorstellung eingeklagt und unter Strafe gefordert, die eigentlich alle Menschen einer demokratischen Gesellschaft teilen können und sollen. Hier sehen wir doch unseres Erachtens, dass eine absolute und abstrakte Trennung von Recht und Moral nicht existieren kann.

5. Zu Erinnerung: Die Gesetze werden in demokratischen Gesellschaften durch Beratungen im Parlament geschaffen, dabei gelten Mehrheiten. Dabei gilt es auch, die massive werbende Arbeit der Lobbygruppen zu beachten. Diese müssten öffentlich kontrolliert werden. Es gilt wohl auch zu beachten, dass in den Parlamenten Europas, auch Deutschlands, ganz überwiegend Menschen aus den oberen Klassen vertreten sind, Beamte, Juristen usw., die fraglos auch ihre eigenen (ökonomischen) Interessen in Gesetze fassen wollen. Arbeitslose und Hartz IV Empfänger sind etwa im Bundestag nicht sehr zahlreich vertreten, mit anderen Worten: Unseres Wissen gar nicht!  Aus dieser Konstellation geht hervor: Selbst die demokratisch beschlossenen Gesetze führen doch zur Vermutung, dass da gewisse Standpunkte gewisser Gruppen sich durchsetzen wollen.

Ein Beispiel, aktuell pubiziert in “Der Tagesspiegel” vom 28. April 2014, Seite 14.  Dort berichtet  in einem Interviuew der Direktor des Deutschen Mieterbunds, Lukas Siebenkotten, zu der Frage, ob noch (?) die Vermieter “ordentlich zuschlagen , bevor die Mietpeisbremse (angeblich) kommt: “Paragraph 5 des Wirtschaftsstrafgesetzes untersagt Mieten, die 20 Prozent oder mehr über der ortsüblichen Vergleichmiete liegen. In der Praxis (aber) wird das nicht geahndet. Frage: Warum nicht? “Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass ein Mieter, der sich auf diesen Paragraphen beruft, selber (!!) nachweisen muss, dass er gezwungen war, das =unmoralische Angebot= des Vermieters anzunehme., weil er keine andere Wohnung finden konnte. In Großstädten ist so ein Nachweis aber unmöglich, es gibt doch immer irgendwo eine andere, billigere Wohnung… Dabei müßte man einfach die Beweislast umdrehen und hätte dann ein wirksames Mittel gegen Mietwucher”.   Aber solch ein Gesetz besteht nicht, hingegen das Gesetz des Bundesgerichtshofes, das man als kritischer Bürger eher und mindestens mit einem großen Nein kommentieren sollte…

Dieses kleine Beispiel zeigt nur, wie schwer es kritischen Bürgern heute fallen kann, in so genannten Demokratien den Staat rundherum und im ganzen oder gar immer zu respektieren. Aber mit diesen mehrheitlich beschlossenen demokratischen Gesetzen muss sich die Masse der Bürger eben erst einmal abfinden, muss sie notgedrungen akzeptieren. Selbst wenn es einigen Bürgern zurecht etwa überhaupt nicht gefällt, dass es nicht per Gesetz endlich bessere und in dem Sinne menschlichere, sagen wir ruhig „gerechtere“ Gesetze etwa zum Umweltschutz oder zur so genannten Entwicklungspolitik gibt. Da ist dann die manchmal äußerst mühsame Öffentlichkeitsarbeit und der praktische Einsatz von NGOs gefordert. Sie können die Gesellschaft und langfristig auch die Rechtsordnung verbessern. Man denke etwa an den Kampf ökologischer Basisgruppen und die Tatsache, dass nach jahrzehntelangen Kämpfen doch einige wenige bessere Gesetze durchgesetzt werden konnten.

Diese Kritik an einem so genannten demokratischen Staat, der offenkundig die Bürgerrechte nicht als obersten Wert ansieht, siehe die ganze Hilflosigkeit der herrschenden politischen Klasse Deutschlands am Beispiel des NSA Skandals, muss noch viel stärker besprochen werden. “Atemberaubend ist das Desinteresse unserer Regierenden (an diesem Thema)”, schreibt etwa Christian Schlüter zu recht in der “Berliner Zeitung” vom 3. Mai 2014, Seite 4. Es gibt einfach von staatlicher Seite keine umfassende Aufklärung, keine umfassende Stärkung des Datenschutzes, ein digitales Urheberrecht gibt es nicht…. usw… Christian Schlüter schreibt:”Deshalb der Appell an alle Nutzer des Internets: Wehrt euch!”   Die entscheidende Frage ist nur: Wie kann sich der Bürger wehren gegen einen Staat, der seine elementaren Pflichten zum Schutz der Bürgerrechte versäumt? Gibt es darüber (“Wehrt euch”) eine philosophische Debatte??  Appelle allein sind ja noch keine Philosophie, geschweige denn Politik…

6. Andererseits: Bis zum Beweis der “Rechtlosigkeit” eines Gesetzes bzw. seiner “Immoralität” müssen sich in einem demokratischen Staat auch diejenigen an die Gesetze halten, die eigentlich diese Gesetze nicht befürworten. Beispiel: Abtreibungsgesetze. Oder das Gesetz der Homo- Ehen Verträge, wenn es auch gerade da Widerstände gibt, etwa konservativer Bürgermeister in Frankreich.

7. Es gibt auch kein Zurück hinter moralische UND gesetzliche Standards: Die Wiedereinführung der Todesstrafe ist in Westeuropa ausgeschlossen oder die Folter als mögliches Instrument der Wahrheitsfindung in Strafprozessen. Es gibt also, das zeigt dieses Beispiel, einen gewissen Fortschritt im Bewusstsein hinsichtlich der Würde und Freiheit des Menschen (gegen Folter, gegen Todesstrage usw.). Damit wird erneut deutlich: Noch enmal: Das moralische Bewusstsein wirkt sich auf die Gesetzgebung aus, das sieht man etwa an der Entwicklung, die dann zur gesetzlichen Abschaffung der Sklaverei führten: Zuerst hielten einige Christen (in England) Sklaverei für eine Sünde, dann setzte sich diese Überzeugung durch und fand in Gesetzen einen Ausdruck.

8. Bei der Kritik an bestehenden Gesetzen werden Kriterien geltend gemacht, die logischerweise außerhalb der Gesetze liegen und auch Kriterien, die noch einmal oberhalb der jeweiligen einzelnen, historisch geprägten Moralvorstellungen liegen. Gesetze und Moralvorstellungen können noch einmal von einer höheren Warte der Vernunft kritisiert und verbessert werden. Es gibt also noch einmal etwas Höheres als Recht und Moral. Es ist die sich kritisch reflektierende Vernunft, die da aktiv wird. Ein zeitloses und ewiges und in ewiger gleicher Weise formuliertes Naturrecht kommt da nicht in Frage. Wer dafür plädiert, verschleiert nur bestimmte Machtansprüche. Man könnte modern eher an die sich immer weiter entwickelnden Vorstellungen der Menschenrechte denken.

9. Gesetze, so heißt es, regeln allein das äußere Zusammenleben, also die äußere, friedliche Gestalt einer Gesellschaft. Aber aus welchen Motiven und mit welcher inneren Abwehr ich vielleicht diesem Gesetz folge, interessiert den Gesetzgeber nicht.  Hauptsache ist, alle folgen äußerlich dem Gesetz und entsprechen damit dem Gesetz. Was die Menschen sich bei der praktizierten Gesetzes”treue” (innerlich)denken, ist dem Staat egal. Das äußere Tun allein zählt. Und so sollte es bleiben.

Man könnte diese Veräußerlichung des bloß formalen rechten und richtigen Tuns für problematisch halten. Denn wenn denn dieses Modell des Denkens und Handelns auch auf den Bereich des alltäglichen Lebens insgesamt, also auch der Moral, übergreift und Mentalitäten bestimmt: Und wenn man etwa in einem tugendhaften Handeln, um es mal klassisch auszudrücken, nur so tut, also nach außen hin den puren Eindruck erweckt, tugendhaft zu handeln, dann gibt es im ethischen Sinne eben Probleme in der Einschäzung dieses Handelns. Kant solches bloß veräußerlichte ethische Handeln abgelehnt. Andererseits ist es ein großer Gewinn, der bleiben muss, dass der Staat selbstverständlich nicht die Gesinnung prüft!!

10. Diese Gesinnung kann man auch gar nicht definitiv prüfen, der einzelne kann immer sich der Lüge bedienen in seinen Antworten zur Gesinnungsprüfung. Das offenbart auch den ganzen Wahnsinn der von der Inquisition geforderten öffentlichen Glaubensbekenntisse. Wer die Bekenntnisse korrekt nachspricht, ist nicht automatisch rechtgläubig. Die katholische Kirche setzt bis heute auf diese „Treue-Bekenntnisse“ etwa umstrittener Theologen. Wer Orthodoxes sagt, ist orthodox, denkt man dann in den für Kirchengesetze zuständigen Behörden im Vatikan und anderswo. Diese Ürpfung ist – inzwischen auch durch Umfragen empirisch erwiesener Maßen – falsch und “erfolglos”.

11. Die Gesetze eines demokratischen Staates, werden sie denn befolgt, befördern einen bestimmten demokratischen Geist, so dass von einer bloßen formalen Befolgung der Gesetze keine Rede sein sollte. Es gibt einen bestimmten Geist der Gesetze.

Bloß: Wie, wer und was  bringt man die Menschen dazu, diese Gesetze zu befolgen?  Die Religionen können dabei nicht hilfreich sein (weil sie ja selbst, wie der Katholizismus, eine undemokratische Organisation sind.) Kann es einen allen gemeinsame demokratische Gesinnung sein, eine Art weltliche Spiritualität, wie sie etwa von einigen Vertretern der “laicité” in Frankreich auch heute vertreten wird? Kann es der “Geist der Menschenrechte” sein?

12. Solange ein demokratisch beschlossenes Gesetz besteht, darf ich niemanden schädigen durch Rufmord, der sich an diese Gesetze hält. Etwa im Falle Edathys: Wer bestimmte problematische, aber per Gesetz erlaubte Bilder betrachtet, macht nichts Verbotenes; er darf also nicht mit den Mitteln meiner Moral vorweg und vorschnell abgeurteilt werden, das wäre Rufmord. Man tut also nichts Strafbares, wenn man sich innerhalb des Rahmens des gesetzlich Erlaubten bewegt. Es ist für den Einzelnen oft schwer zu verhindern, dass die eigene Moralvorstellung den Blick auf das gesetzlich Erlaubte verdunkelt.

13. Wir müssen also acht geben, wenn unsere persönlichen Moralvorstellungen die gesellschaftliche (und legale) Praxis bestimmter Menschen verurteilen. Es gilt immer das geltende Recht zu achten. Katholische Krankenhäuser haben Frauen in Not zu behandeln, und, etwa im Falle von Vergewaltigung auch Schwangerschaftsabbruch zu leisten, selbst wenn die katholischen Krankenhäuser, Ärzte, das moralisch nicht wollen.

14. Die besonders Frommen auch im christlichen Bereich haben besondere Mühe, sich mit den in einer Demokratie entstandenen Gesetzen abzufinden. Das Schlechtmachen der heute in einigen europäischen und amerikanischen Staaten doch noch bestehenden Demokratie gehört etwa auch zu den zentralen Polemiken der katholischen Kirche. Stichwort: Das seit Johannes Paul II. wiederholte Wort von der „Diktatur des Relativismus“ der westlichen Demokratie.  Dieser Papst hat bekanntlich die kommunistische Gewaltherrschaft und die moderne liberale Demokratie als Übel auf eine Stufe der Ablehnung gestellt. Ab dem 27.4. 2014 gilt er offiziell als heilig und weltweites Vorbild! Wir dürfen gespannt sein, wie diese päpstlichen und nun heiligen Statements sich auswirken, etwa in Afrika, wo es gegenwärtig selbst in christlich geprägten Diktaturen eine totale Abweisung der Menschenrechte gibt (siehe etwa die Verfolgung homosexueller Menschen in Uganda, Nigeria usw.) Wir wagen die These: Solange die katholische Kirche als religiöse Institution und damit zusammenhängend der Staat Vatikan als Staat des “Heiligen Stuhls” nicht die Menschenrechte an die oberste Stelle setzen noch vor aller dogmatischen Lehre und kirchlicher Moral, solange wird es in den katholisch geprägten Ländern, etwa Lateinamerikas, keine wirkliche praktische Respektierung der Würde eines jeden Menschen geben. Dann werden sich die Oligarchen und die Herrschenden immer damit herausreden können: “Auch der Papst, auch der Vatikan, setzen doch die Menschenrechte gar nicht an die oberste und erste Stelle des Respekts!” So ist es nur verständlich, dass die reiche Schicht Brasiliens es akzeptiert und ohne weiteres auch hinnimmt, dass heute 8 bis 10 Millionen KINDER in Brasiliens Städten aus der Straße leben (Siehe Berliner Zeitung, 3. Mai 2014, Seite 8).

In den USA, so berichtet Prof. Claus Leggewie, gab es wahren Terror auf Abtreibungskliniken vonseiten der so genannten Moral Majority. Es gab dort auch die Christian Identity Movement, die alles Staatliche im Sinne Christi regeln will, weil Christus alsbald als Richter auf der Erde erscheint. Viele fundamentalistische Christen dort halten Abtreibung für Genozid, man glaubt, sich in einem gerechten Bürgerkrieg zu befinden und deshalb auch den moralischen Feind töten zu dürfen.  Die Gesamtzahl der Anhänger wird auf ca. Viertelmillion gezählt. Die USA haben einen Feind, so meinen sie, der sich in den Gesetzen breit macht: Muslims, Juden, Feministen, Homosexuelle. Beispiele aus anderen Religionen, etwa in Kreisen eines sich fundamentalistisch präsentierenden Islam, sind bekannt.

 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

Eine Philosophie der Philosophie. Rücklick auf einen Salonabend am 16.1.2014 als Vorblick

Eine Philosophie der Philosophie:
Vom Nutzen und Nachteil der Philosophie für das Leben
Ein „Religionsphilosophischer Salon“ am 16.1.2014.
Ein Rückblick als Vorblick
Von Christian Modehn

Das Thema unseres Salons ist: „Vom Nutzen und Nachteil der Philosophie für das Leben“. Dabei sind im Titel die Beziehungen zu einem Text Friedrich Nietzsches nicht zu übersehen: Er sprach von „Historie“ anstatt von Philosophie. Diese Nietzsche „Inspiration“ im Titel haben wir (noch) nicht weiter vertieft.
Besonders wichtig erscheinen uns dabei die Beiträge des „praktischen Philosophen“ Michael Braun, Berlin, der wieder einmal bei uns war. Seine Fragen, Ideen, Vorschläge wurden wieder als inspirierend wahrgenommen!
Einige Aspekte (eher aus der Sicht des Autors dieser Hinweise) wollen wir „festhalten“ für weiteres Nachdenken und Debatieren:
Das Thema „Vom Nutzen und Nachteil der Philosophie für das Leben“ gehört zu einer Frage nach der „Philosophie der Philosophie“. Sie wird nicht allzu oft erörtert, bestenfalls in eher populären Büchern „Was ist Philosophie?“ Es geht um ein philosophisches Begreifen des Philosophierens und der vom Philosophieren her geprägten (akademischen, universitären) Philosophie. Sie findet ihren Ausdruck in philosophischen Publikationen.
Es gab schon ein philosophisches Verstehen der Philosophiegeschichte, etwa Hegel ist da an prominenter Stelle zu nennen. Seine „Geschichte der Philosophie“ berücksichtigt das damals zugängliche „Material“. In der Auseinandersetzung mit den Schriften vergangener und lebender Philosophen entsteht dann für Hegel eine Philosophie der Philosophiegeschichte. Entscheidendes Stichwort ist dabei die Interpretationslinie: In der Geschichte des philosophischen Denkens drückt sich das zunehmend immer deutlicher verstehende Bewusstsein der Freiheit aus.
Deutlich wurde in unseren Gesprächen: Nur philosophisch lässt sich angemessen verstehen, was Philosophie ist. Wenn etwa ein Historiker von außen auf das philosophische Geschehen schaut, etwa auf die Institutionen, Publikationen, Biographien usw., sieht er die Außenseite des Philosophierens. Sobald man aber inhaltlich „einsteigt“ und kritisiert und debattiert, ist das bereits eine philosophische Leistung, und keine Sache mehr des außen betrachtenden Historikers.
Wichtig ist, sich beim Einstige in das Thema auf die vier Begriffe des Titels zu besinnen:
Philosophie sollte man in die beiden sprachlichen Elemente auflösen, um mehr zu sehen: „Philia“ meint eine freundschaftliche Haltung, vielleicht sogar eine liebende Faszination gegenüber der „Sophia,“ der Weisheit. Es geht also in der Philo-sophia um die sich selbst klar werdende, auch kritische Liebesbeziehung zur Sophia. Weisheit ist nicht mit Wissenschaft identisch, Weisheit ist umfassender auf das ganze Leben bezogen, hat einen stark praktischen Akzent, im Sinne von Lebensgestaltung und Lebensklugheit. Sophia im griechischen Philosophieren steht oft auch dem Logos nahe. Philosophie ist dann eine Liebe zum Logos, zum Sinn, zur Sprache, zum Dialog, zur Vernunft. Logos ist ein weiter Begriff, der auch ins Religiöse hineinreicht: Der Logos wird Mensch, noch schärfer im Johannes Evangelium formuliert: Er wird sinnliches (erotisches, sterbliches) Fleisch, greifbar als einzelne Person. In unserer „philosophischen Weihnachtsfeier“ am 27. 12. 2013 sprachen wir darüber.
Diese Liebe zur Weisheit, das wurde in Salon deutlich herausgestellt, ist jedem Menschen als Menschen möglich. D.h. Philosophieren ist grundsätzlich Sache aller Menschen. Auch wenn nicht jeder den Schritt (den Sprung?) wagt und vollzieht, sich auf das eigene Nach-Denken einzulassen. Vielleicht sind es Krisen und Erschütterungen, die den einzelnen ins eigene kritische grundsätzliche Nachdenken als Liebe zur (Lebens) Weisheit führen.
Zum Begriff Leben in unserem Titel: Wir sind überzeugt: Es gibt eine Gestalt des alltäglichen Daseinsvollzugs, in der in einer gewissen Selbstverständlichkeit gelebt („vor sich hin gelebt“) wird in einer scheinbar unerschütterlichen Selbstverständlichkeit, wo bestimmte Normen und Gebräuche selbstverständlich angenommen und oft auch praktisch respektiert werden. Viele Menschen haben schlicht keine Zeit, aus diesem alltäglichen Leben ohne große Erschütterungen im Denken herauszutreten.
Obwohl, philosophisch betrachtet, gerade in diesem alltäglichen Leben immer schon das Philosophieren lebendig ist und also Philosophie geschieht: Etwa in den banalen oder wichtigeren Entscheidungen wird angesichts mehrerer Möglichkeit eine Möglichkeit für das eigene Leben gewählt, etwa, weil diese eine Möglichkeit dem noch unbewussten eigenen Lebensentwurf am meisten entspricht.
D.h. auch in dem noch nicht vollständig selbst bewussten Leben des Alltags findet bereits Philosophie statt. Nur weil das so ist, kann dann überhaupt eine intensivere, kritisch fragende selbstbewusste Philosophie im eigenen Leben sich ereignen.
Vor diesem Übergang aus dem nur bewussten in ein selbstbewusstes Leben haben viele Menschen Angst. Sie weigern sich, in diese (offene) „Bewegung“ des Nachdenkens einzutreten, denn er stört, wenn nicht zerstört manche alltäglichen Gewissheiten. Etwa die Überzeugungen: „Mein Leben ist vollkommen richtig. So bin ich, so bleib ich“.

Diese Angst vor der Unsicherheit kann dann mit dem Begriff des Nachteils der Philosophie umschrieben werden. Dieser Nachteil, dieser dunkle, störende Schatten, wird nur in der Position ausgesprochen der Verklammerung an einen alltäglichen, noch nicht voll ausgebildeten selbst-bewussten Lebensentwurf. Wer einmal in die Philosophie eingetreten ist, kann in ihr keinen störenden Nachteil sehen, er wird sich mit der Ungewissheit denkerisch auseinandersetzen, mit der Frage: Warum hat jeder Mensch seine eigene Wahrheit und wie verhalten sich die vielen subjektiven Wahrheiten zu der Frage: Gibt es eine für alle jetzt lebenden Menschen gültige Wahrheit? Gibt es allen gemeinsame Überzeugungen (etwa „Gewalt und Grausamkeit soll unter keinen Umständen sein“, „dauerhafter Schmerz sollte nicht sein“, das „Hungersterben so vieler Ausgebeuteter“ sollte nicht sein usw.).
Als „Nachteil“ kann Philosophie erlebt werden, wenn sich der einzelne Denker ganz an einen bestimmten Philosophen klammert, von ihm nicht los kommt, ihn verehrt usw. Doch dies liegt dann wohl nicht an „der“ Philosophie, sondern an dem einzelnen, sich fixierenden Denker.
Auch die Vielfalt der Philosophien (es gibt ja nie „die“ Philosophie, wenn, dann nur in Diktaturen, die eine einzige Philosophie staatstragend wollen, dann aber handelt es sich um Ideologie).
Alle die vielen Philosophien haben aber doch wiederum gemeinsam, dass sie eben „Liebe zur Weisheit“ sein wollen, deswegen nennen sie sich ja „Philosophie“. Zur Philosophie der Philosophie in dem Sinne gehört also die Erkenntnis, dass es viele Philosophien „wesensmäßig“ geben muss: Denn jeder hat etwa seine eigene, subjektive Ausgangssituation im Denken. Philosophie als notwendig im Plural ist also kein Nachteil.

Damit sind wir schon beim Nutzen der Philosophie:
Philosophie ist tatsächlich nützlich im Sinne der praktischen Hilfe, sagen wir ruhig der Lebenshilfe. Philosophieren ist keine Spielerei, sie ist kein Luxus gelangweilter Seelen, keine hoch bezahlte Beschäftigung von Universitätsprofessoren, kein Hobby von Leuten, die schon mal alles probiert haben usw… Philosophie ist eminent mit dem Dasein und den Lebensfragen selbst verbunden. Und man sollte philosophische Texte immer in dieser praktischen Herkunft aus der Fraglichkeit des Daseins lesen, auch wenn sie manchmal unnötigerweise hoch kompliziert geschrieben sind, weil Philosophen offenbar nicht unbedingt gute Stilisten sein wollen/können.
Daraus wird aber nicht geschlossen: dass Philosophierende solche Menschen verachten, die den Sprung ins eigene Denken nicht (noch nicht) konsequent gewagt haben.
Philosophie nützt insofern, als sie den Menschen in einen wachen Zustand führt. Philosophie ist waches Leben, ein Leben im Licht der Vernunft, die es – ein anderes Thema – trotz aller möglichen Verbundenheiten des Denkens im Naturgeschehen gibt… Erwachen zur Philosophie als dem selbstbewussten Leben wäre eigentlich ein schöner Titel. Da ist dann Philosophie nicht mehr eine bloße formale Klärung der Exaktheit von Begriffsverwendungen, keine bloße Logik, sondern eine Lebensform. Philosophie als Lebensform, als „Schule“, das ist ein Projekt, an dem alle Interesse haben, die etwa auf der Linie von Pierre Hadot im Geiste antiker Philosophie weiter denken und weiter leben wollen. Von Hadot sind Philosophen wie Michel Foucault oder Wilhelm Schmid grundlegende inspiriert.

Copyright:
Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Die Last der Vergangenheit: Die Dominikanische Republik und die Trujillo Diktatur

Zwei Fragen an Dr. Stefanie Hanke, Repräsentantin der “Friedrich Ebert Stiftung” in Santo Domingo, Dominikanische Republik

Findet jetzt Ihrer Meinung nach in der Dominikanischen Republik  eine tiefere “Bearbeitung” der Trujillo Diktatur statt, also die Frage: Wie stark haben Familien, Gruppen, Kirchen den Diktator Trujillo unterstützt?

Nach wie vor findet weder auf gesellschaftlicher noch auf politischer Ebene eine Aufarbeitung des Trujillo – Regimes statt. Bezeichnend ist der Umstand, dass am Jahrestag der Trujillo – Ermordung nur eine kleine Privatinitiative eine Ehrenfeier begeht, zu der zwar auch ein offizieller Staatsvertreter kommt, aber nur ein rangniedriger. Der Präsident war am selben Tag damit beschäftigt, eine neue Strasse einzuweihen. Es gibt noch heute viele „Aktive“ des Trujillo Regimes und vor allem solche seines Nachfolgers Balaguers, die kein Interesse an einer öffentlichen Debatte haben. Die jungen Menschen interessieren sich kaum für das Thema. Insgesamt gibt es unter den jungen Menschen keine kritische „Masse“, die sich mit Trujillo beschäftigt. Das ist also etwa nicht zu vergleichen mit den familieninternen Auseinandersetzungen um Schuld und Täterschaft in den deutschen Familien nach dem zweiten Weltkrieg.

Die katholische Amtskirche spielt keine Rolle bei einer historischen Aufarbeitung und macht weiter wie bisher. Lediglich die Jesuiten haben nach Trujillo einen Kurswechsel vorgenommen und erklärt, nie mehr mit den Herrschenden zu paktieren, sondern nur noch für die Armen und Bedürftigen arbeiten zu wollen.

Welche Rolle spielt dabei jetzt das Museo de la resistencia, also das neue Museum des Widerstands?

Das Museo ist ja relativ neu. Es hat aber offenbar einen guten Ruf, das kann man immerhin in Erfahrung bringen. Ob es angenommen wird, kann ich nicht beurteilen, da ich nicht über Daten wie Besucherzahlen etc. verfüge. In der Presse findet es jedenfalls kaum Beachtung.