Osterpredigten heute: Theologisch, d.h. religionskritisch betrachtet!

Ein Hinweis von Christian Modehn: Auf welchem Niveau bewegen sich Predigten/Ansprachen zu Ostern?

Ich möchte die LeserInnen auffordern, auf die Oster-Predigten (auch der Bischöfe) zu achten und zu fragen: Wiederholen diese Prediger bloß zum hundertsten Mal die bildreichen Predigten der vier Evangelisten? Oder machen sie sich als Leute, die sich Theologen nennen, manchmal auch als Dr. theol., die Mühe, die Ergebnisse theologischer Forschung zur Auferstehung Jesu wahrzunehmen und in den Predigten zu erläutern?

Wer als Prediger, auch als predigender Bischof, nur die alten Floskeln und Formeln wiederholt, sorgt schlicht und einfach für die weitere Unbildung, wenn nicht Verdummung der wenigen noch verbliebenen Gemeindemitglieder.
Hier also eine naturgemäß unvollständige Sammlung zentraler Sätze aus den Osterpredigten 2021.

1.
Erzbischof Dr. Heiner Koch, Berlin sagt in seiner Osterpredigt in Berlin, Kirche St. Joseph, 2021. (Titel seiner Doktorarbeit: „Befreiung zum Sein als Grundperspektive christlicher Religionspädagogik“): “Doch dann geschah Ostern: Das Grab war leer und Menschen begegneten ihm, dem von den Toten Auferstandenen“.
2.
Erneut bedient Koch die uralte Üblichkeit: Die Auferstehung Jesu gibt es nur, wenn sein Grab leer ist, also ohne den Leichnam.
Der verstorbene Jesus tritt also in der Welt auf. Koch sagt „Menschen begegneten ihm“, dem Auferstanden, also der auferstandenen Leiche? Man denke an das irreführende Gemälde von Caravaggio, auf dem Thomas, der Apostel, der leibhaftig auferweckten Leiche Jesus förmlich in dessen Seitenwunde grabscht… Ist dies „Begegnung“? Für wie dumm halten eigentlich Prediger ihre Zuhörer?
3.
Interessant ist, dass Koch nicht sagt, wie es die Schriften des Neuen Testaments ständig betonen: „Jesus erscheint (nur) den Jüngern“, also einer kleinen Gruppe. Nein, Koch sagt: „Menschen“ also viele, ganz unterschiedliche Leute, trifft der Auferstandene.
Damit wird suggeriert, als sei die Auferstehung Jesu eine Art historisches Ereignis, das „Menschen“ im allgemeinen wahrnehmen konnten. Dem ist nicht so. Die Auferstehung ist kein datierbares Ereignis! Den Fehler macht Koch noch einmal, wenn er von den Menschen spricht, die wussten, „dass Jesus auferstehen werde am dritten Tag (!). Menschen erfuhren ihn als den Lebenden und bezeugten ihn gegen alle Zweifelnden und gegen alle Einwände“.
4.
Auch die Erwähnung des „dritten Tages“ wird nicht erläutert, es wird wie immer suggerier: Drei exakte Tage nach Karfreitag sei, sozusagen datierbar, die Auferstehung geschehen. Kein Sinn für die Symbolsprache der Bibel wird geweckt.
5.
Diese Predigt könnte man fundamentalistisch nennen. Ich vermute, dass evangelikale Gemeinden diese Predigt gern übernehmen können. Es fehlt jede politische Dimension, etwa Solidarität mit den Armen in den armen Staaten, die keine Impfstoffe erhalten. Oder naheliegend, ein Hinweis auf das politische Friedensengagement. Es gibt doch die katholische friedensbewegung PAX Christi und die Ostermärsche… Nichts davon in der Oster – Predigt Kochs.

Wer lesen will: Diese Koch-Predigt ist über die Pressestelle des Erzbischöflichen Ordinariats Berlin in voller Länge verfügbar.

Die Predigt am Ostersonntag 2021 des katholischen Bischofs Dr. Gerhard Feige, Magdeburg.

Diese Predigt hat die akuelle Situation der Pandemie und auch die dringende Suche nach Reformen in der katholischen Kirche als Schwerpunkt. Seine Argumente leitet Bischof Feige her von einer knapp gehaltenen, aber auf dem Niveau der kritischen Bibelwissenschaft befindlichen Interpretation des “Auferstehungsgeschens”. Bischof Feige sagt:“Das leere Grab hat keine Bedeutung mehr. Es geht auch gar nicht darum, was mit dem Körper Jesu passiert ist. Es geht darum, dass Jesus von nun an nicht mehr unter den Toten, sondern unter den Lebenden zu finden ist. Er ist auferstanden”

Eine treffende Aussage, die keinen falschen Wunderglauben erzeugt: Der tote Körper Jesu ist für uns unerheblich, sagt Bischof Feige. Mit anderen Worten: Im Grab kann auch noch der Leichnam liegen. Jesus ist trotzdem der auf andere Art lebendig. Wichtig sind für Bischof die Konsequenzen dieser Einsicht: “Ja, der Auferstandene ist uns längst vorausgegangen, und es ist an uns, ihn zu erspüren: in den Problemfeldern und Wunden dieser Welt, in unserer eigenen Angst und Ohnmacht, aber auch in unserer Sehnsucht und Hoffnung – und in unserem Mut und unserer Kreativität, womit wir versuchen, der Resignation zu trotzen und als Kirche neue Wege zu gehen”.
Die Predigt kann nachgelesen werden: LINK

Zu den Aussagen zur Auferstehung Jesu von Kardinal Rainer Maria Woelki, KÖLN 2021

1.
Zum eher kurz gefassten „Ostergruß“ (offenbar bestimmt an alle Gemeindemitglieder) Kardinal Rainer Maria Woelkis am 3.4.2021:
Woelki bezieht sich dabei auf die von ihm so genannte „Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs“, dabei erlaubt er sich, diese mit dem Wegwälzen des Steins am Grabe Jesu zu verbinden. Wörtlich schreibt Woelki:

„Auch im Zusammenhang mit der schmerzlichen Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch im Erzbistum Köln liegen schwere Monate hinter uns. Mit dem kürzlich vorgestellten Gutachten ist nun ein erster Stein weggewälzt. Jetzt müssen wir hinschauen, um Entscheidungen für eine bessere Kirche zu treffen. Erste Schritte haben wir bereits eingeleitet, weitere müssen und werden folgen. Ich habe die Hoffnung, diesen Weg mit Ihnen gemeinsam gehen zu können. Lassen Sie uns dabei verbunden im Glauben auf den auferstandenen Christus schauen“. Quelle: https://www.erzbistum-koeln.de/news/Ostergruss-2021-von-Kardinal-Woelki/)

2.
Zur Oster – Predigt im Hohen Dom zu Köln am 4.4.2021:
Woelki erzählt, vermischt aus Zitaten mehrerer Evangelien, die ja bekanntlich je Unterschiedliches zur Auferstehung Jesu sagen, vor allem die Begegnung der Frauen am leeren Grab und dort mit dem Auferstandenen Jesus wieder. Eine übliche und seit Jahrhunderten praktizierte Nacherzählung also.

Interessant ist, was Woelki dann sagt: Dass Maria am Grabe Jesu vom auferstandenen Jesus „jenseits der Todesgrenze, nämlich von der Zukunft Gottes her, beim Namen“ gerufen wird. Eigentlich ein richtiger Ansatz. Aber es wird nicht erklärt, dass der auferstandene Jesus selbstverständlich kein lebendiger Leichnam ist, sondern eine geistige Realität, die in der unsterblichen Seele aller Menschen ihre Begründung hat. Genauere Erklärungen werden aösp nicht geboten. Woelki driftet sofort ab zur religiösen Praxis der Katholiken heute, also Hinweise auf die Taufe, den Zweifel überwinden usw.
Also: Klarheit über die Auferstehung wird nicht geboten.
Das Grab Jesu ist NICHT leer und Jesus lebt trotzdem: Diese selbstverständliche Aussage wagt auch Woelki nicht zu sagen. Er schwadroniert also, wie die meisten, ignoriert die theologische und bibelwissenschaftliche Forschung… Alles bleibt wie immer in einem frommen Nebel. Man möchte wünschen, dass diese Prediger das Buch des katholischen Theologen Hans Kessler „Auferstehung?“ (Grünewald -Verlag, 2021) lesen und ihre Gemeinden auch zu Ostern auf den Stand theologischer Erkenntnis bringen.

Quelle: https://www.erzbistum-koeln.de/erzbistum/erzbischof/dokumente/210404_rcw_pr_ostersonntag.pdf

Fortsetzung folgt alsbald

Das Nachwort:
Was geschieht, wenn etwa praktische Ärzte unbestrittene Erkenntnisse der medizinischen Forschung ignorieren? Sie werden aufgefordert, ihre Praxis zu schließen.
Was geschieht, wenn heute demokratische Politiker politische und ökonomischen Idealen des 18. Jahrhunderts folgen: Sie verlassen die politische Bühne.
Was aber passiert mit Predigern, Priestern und Bischöfen, die die Ergebnisse der theologischen Wissenschaft zur Auferstehung Jesu ignorieren, aus Angst, Unfähigkeit oder Faulheit, wie auch immer: Diese Herren der Kirche brauchen keine theologische Fortbildung, so predigen sie theologischen Unsinn weiter wie bisher. Bis die Kirchen leer sind.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Kardinal Joachim Meisner duldete als „Marienkind“ sexuellen Missbrauch. Er war selbst ein „Bruder im Nebel“.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 19.3.2021

Ein Vorwort:
Kardinal Meisner hatte als Erzbischof von Köln (1989 – 2014) einen eigenen Aktenordner angelegt mit dem Titel „Brüder im Nebel“. Darin sammelte er fleißig alle Vorwürfe sexuellen Missbrauchs gegen seine Priester. Diese wurden dann nicht bestraft. Er konnte doch seine „Mitbrüder“ nicht verraten!
„Brüder im Nebel“ – auf diesen Titel konnte Kardinal Meisner nur kommen, weil er selbst spirituell und theologisch im Nebel lebte. Das zeigen die folgenden Hinweise. Erzbistum Köln also im Nebel?
—-2017 habe ich einen Beitrag geschrieben: Kardinal Meisner – Ein Kirchenfürst ist tot. LINK

1.
Kardinal Meisner kann nach den Erkenntnissen des 18. März 2021 nicht mehr zurücktreten. Er ist im Himmel, wahrscheinlich. Umbetten, also sein Grab aus dem Kölner Dom entfernen, wird Kardinal Woelki nicht planen. Wo sollte „Eminenz“ denn dann hin? Zurück in seine schlesische (polnische) Heimat Breslau? Ins Land seines intimen Freundes, Papst Johannes Paul II.? Würde der Eminenz sicher gefallen, wo er doch in Köln nie so richtig „warm wurde“…

2.
Die beste Strafe für den „Pflicht verletzenden“ Kardinal Meisner könnte es sein, wenn sich kritische Journalisten und kritische Theologen intensiver mit Meisners „Theologie“ auseinanderzusetzen. Und diese Theologie bzw. Spiritualität hat einen zentralen Mittelpunkt in mythologischen, ausschweifenden Bildern zur Gestalt MARIAs, der Mutter Jesu von Nazareth.

3.
Die These könnte also sein: Kardinal Meisner verehrte Maria wie eine Art Göttin. Und neben dem sanften und bei Meisner ins Spinöse abrutschenden weiblichen göttlichen Prinzip „Maria“ stand das streng männliche, das inquisitorische Prinzip des männlich gedachten Gottes. Ihn setzte Kardinal Meisner mit Macht durch. Gegenüber anders Denkenden, etwa Progressiven, aber nicht gegenüber seinen „Mitbrüdern“, die Untaten begangen hatten im sexuellen Missbrauch. Im Fall des Klerus, der „familiären Mitbrüder“, galt für ihn das marianische Prinzip, des alles Verstehens und Verschweigens.

4.
Ich kann diese Hypothese nur kurz belegen:
Das Argument beginnt am 18.3.2021 in Köln:
“Herrn Dr. Meisner trifft ein Drittel der von uns festgestellten Pflichtverletzungen,” betont der Strafrechtler Björn Gercke bei der Vorstellung seines Gutachtens zum Umgang des Erzbistums Köln mit sexuellem Missbrauch am 18.3.2021.
Bei Erzbischof Meisner seien 24 Pflichtverletzungen in Zusammenhang mit Missbrauch festgestellt worden. Dabei gehe es größtenteils um die Aufklärungs- und Meldepflicht, aber auch um die Sanktionierungspflicht, die Verhinderungspflicht und um die Opferfürsorge.

5.
Also: Meisner, auf der Seite der alles liebenden Muttergottheit stehend, verzeiht alles, was den Klerus betrifft. Schließlich muss Meisner das alte, angeblich schöne Gesicht der katholischen „Mutter Kirche“ bewahren. Und dieses makellose Gesicht der römischen Kirche wird durch wenigstens nach außen hin makellose Priester garantiert.

6.
Vielleicht dachte Kardinal Meisner beim Verschleiern und Verschweigen der Untaten an seinen Wahlspruch als Bischof und Kardinal: „Spes nostra firma est pro vobis“, „Unsere Hoffnung steht fest für euch“. Das heißt übersetzt: „Ich hoffe für euch Kleriker das Beste, wenn ich eure Untaten verschweige…“ Dieses Zitat hat Meisner dem 2. Korintherbrief Kapitel 1, Vers 7 entnommen. Der vollständige Satz heißt: „Unsere Hoffnung steht fest für euch, weil wir wissen: Wie ihr an den Leiden teilhabt, so werdet ihr auch am Trost teilhaben“. Sah Meisner die sexuellen Missbrauch vollziehenden Priester vielleicht als „Leidende“? Wollte er sie mit seinem Schweigen und Übersehen „trösten“.

7.
Jeder, der Meisner etwas näher kannte, erlebte ihn als weitschweifenden Prediger, er hielt Ansprachen, die immer leicht mysteriös waren und zu abwegigen spirituellen Bonmots neigten, er war halt ein schwadronierender Redner.
Etwa: „Wir werden keinem anderen Stern (gemeint ist der rote Stern der Kommunisten) folgen als dem Stern von Bethlehem“. So Meisner im Jahre 1987 (Siehe etwa: https://www.fr.de/politik/abschied-kantigen-kardinal-meisner-11022873.html)
Dieser Spruch aus der DDR Zeit ist wohl bekannt, aber er zeigt seine Bindung an mythische Bilder als einer Form der Realitätsbeschreibung. Wie soll jemand dem Stern von Bethlehem folgen, wo dieser Stern als solcher bestenfalls den Heiligen Drei Königen bekannt war, diese drei Könige aber sind ihrerseits nur Legende!

8.
Es ist diese Verschiebung des religiösen und (am Beispiel dieses in der DDR geäußerten Spruches) auch des politischen Bewusstseins ins Mythische – Irreale und Spinöse: Am schlimmsten ist wohl die Deutung der Rolle des Priesters durch Meisner: „Wer den Priester berührt, berührt Christus“. Dies sagte Meisner im Rahmen von Priesterweihen, Joachim Frank weist in dem oben genannten Artikel darauf hin. Siehe dazu noch als Ergänzung NR. 15. vom 20.3.2021 weitere Argumente, CM.

9.
Es ist zynisch im Sinne Meisners zu sagen: Wenn ein missbrauchtes Kind gezwungenermaßen einen Priester an bestimmten „Stellen“ berührte, dann hat dieses Kind sicher auch Christus berührt? Vielleicht tröstete sich Meisner mit diesem Gedanken in seinem Verschweigen und Vertuschen?

10.
Diese totale klerikale Meisner Welt wurde abgestützt durch seine spinöse Marien-Frömmigkeit. Theologen, zumal solche im kirchlichen Dienst, würden das Wort spinöse Frömmigkeit sicher nicht verwenden. Religionskritiker und Religionsphilosophen werden niemals darauf verzichten können, es trifft die Sache. Am Beispiel Meisners wird abermals deutlich, wie schnell Religion zum Opium, also zum Stillstand der Vernunft, führen kann.

11.
Kardinal Meisner wollte allen Ernstes ein „Marienkind“ sein. Ja, ein Kind wollte er sein. Behütet und geführt von der Himmelsgöttin Maria. Und er war geradezu ein fanatischer Verehrer der Gestalt Marias, der Mutter Jesu von Nazareth, das verband ihn ganz eng mit dem polnischen Marien-Fanatiker, Papst Johannes Paul II. Und über diese dicke Freundschaft mit dem Papst (Meisner soll mehrfach im Monat bei seinem päpstlichen Freund geweilt haben, auch um Geldspenden abzuliefern) wurde es ihm ermöglicht, allen seinen Einfluss bei der Ernennung von Bischöfen in Deutschland durchzusetzen: Woelki ist ein Meisner „Produkt“, Erzbischof Koch ebenso usw.
Bei unserem Thema ist entscheidend: Die Liebe zur Jungfrau Maria hat förmlich das klare Denken Meisners blockiert im Umgang mit den Verbrechern unter den Priestern. Er sagte am 31. 5. 2009: „Maria bringt uns den Heiligen Geist ins Haus“….Aber es war der heiige Geist des Klerikalismus.

12.
Meisner bekannte ganz offen, dass sein allerliebstes Kirchenlied das Marienlied „Segne du Maria, segne mich dein Kind“ ist. (Quelle: Zeitschrift „Tag des Herrn“, 13.12.2013)

Es lohnt sich, dieses urlalte Lied zu analysieren:
Die liebende Mutter der Kirche beruhigt mit ihrem Segen den erwachsenen Mann Meisner, alles zu tun, um seine eigenen Priester vor der Bestrafung ihrer Untaten zu schützen. Meisner wollte die Opfer des Missbrauchs nicht hören und unterstützen, sondern er vertraute, sozusagen in einem transzendenten Sprung, diese armen Menschen, die Opfer des Missbrauchs, Maria an, wenn er dann in der dritten Strophe des Liedes voller Inbrunst singen konnte:
„Segne du, Maria, alle die voll Schmerz,
gieße Trost und Frieden in ihr wundes Herz.
Sei mit deiner Hilfe nimmer ihnen fern;
sei durch Nacht und Dunkel stets ein lichter Stern“.
Nicht mehr der Mensch, etwa der verantwortliche Kardinal, muss die wunden Herzen trösten, sondern eine imaginierte Maria als Himmelskönigin. Als ein verträumtes spinöses frommes Marien – Kind fühlte sich Meisner, als er am Ende der 1. Strophe singen durfte:
„Laß in Deinem Segen Tag und Nacht mich ruhn!“
Um eine Kirche, die Gerechtigkeit für die Opfer schafft, brauchte sich Meisner dann selbst nicht zu kümmern, er durfte und konnte ja singen: „Deine Mutterhände breit auf alle aus,
„ Segne alle Herzen, segne jedes Haus!“

13.
Seine Eminenz Meisner, das müssen Psychologen (die selbstverständlich nicht kirchenabhängig sind) weiter prüfen, war letztlich ein spinöser und naiv erscheinender mystizierender Frommer, der einfach „abschwebte“. Mit schriller Stimme konnte er predigen, mit vielen Gesten und immer voller Rührung über seine eigenen Worte, mit Tränen in den Augen…
Andererseits war er ein launischer, herrischer Machtmensch, der alle Progressiven vergraulte, wie es ja auch sein päpstlicher Intimus Johannes Paul II., mit Leidenschaft tat. Ich erinnere mich nur an den medialen Aufstand, den Bischof Meisner in West – Berlin anzettelte nach der Sendung meines kritischen Beitrags zum Katholikentag 1980 in Berlin.LINK
Meisner verwandelte Berlin (vor allem West – Berlin) in eine theologische Wüste, alle vernünftigen Priester hatten Angst, es war ein Klima der Einschüchterung. Der bekannte progressive Pfarrer in Berlin – Kreuzberg, Dr. theol. Klaus Kliesch, wurde willkürlich aus seiner Gemeinde vertrieben, Protest nützte selbstverständlich gar nichts.

14.
Mit dem Marienkind Kardinal Meisner war es in Berlin ein Graus. In Köln ja auch. Das müsste nun detailliert aufgebarbeitet werden – bevor Meisners Sarg vielleicht nun doch in seine geliebte schlesische Heimat, auch ein „Marien -Land“, zurückkehrt.

15.
In dem empfehlenswerten Buch „Mythos Maria“ der Germanisten Herman Kurzke und Christiane Schäfer (C.H.Beck Verlag 2014) werden etliche alte Marienlieder historisch – kritisch und literarisch untersucht, darunter auch „Segne du Maria…“(S. 123 – 146). Wichtig ist: Es gibt eine Textfassung, die als „Lied für die Priester“ gesungen wurde (S. 144f.) Die Autoren des genannten Buches schreiben, dieser Text sei „eine mit einer konservativen Priesterideologie parfümierte Version“ (S. 144). In dem Lied aus drei Strophen werden die Priesterhand, das Priesterwort und das Priesterherz beschworen. Vor allem die Priesterhand soll rein bleiben, und die Autoren erinnern daran, dass bei der Priesterweihe die Priesterhand eigens gesegnet wird, sie „sollen stets heilig und ehrfürchtig sein“ (S. 145)… Die Perspektiven, die sich zum sexuellen Missbrauch durch Priester ergeben, sind offensichtlich.

16.
Das liebste Lied Kardinal Meisners, des Marienkindes, in voller Länge:

Segne Du Maria, segne mich Dein Kind.
Daß ich hier den Frieden, dort den Himmel find!
Segne all mein Denken, segne all mein Tun,
Laß in Deinem Segen Tag und Nacht mich ruhn!
– Segne Du Maria, alle die mir lieb,
Deinen Muttersegen ihnen täglich gib!
Deine Mutterhände breit auf alle aus,
Segne alle Herzen, segne jedes Haus!
– Segne du, Maria, alle die voll Schmerz,
gieße Trost und Frieden in ihr wundes Herz.
Sei mit deiner Hilfe nimmer ihnen fern;
sei durch Nacht und Dunkel stets ein lichter Stern.
– Segne Du Maria, unsre letzte Stund!
Süße Trostesworte flüstre dann Dein Mund.
Deine Hand, die linde, drück das Aug uns zu,
Bleib im Tod und Leben unser Segen Du!

Den Text verfasste die Konvertitin Cordula Wöhler (1845 – 1916) am 31. Mai 1870. Karl Kindsmüller (1876 – 1955) hat diese „Poesie“ vertont. Er war ein niederbayerischer Lehrer, Kirchenmusiker und Komponist zahlreicher geistlicher Lieder…
In einigen Bistümern ist dieses Lied noch im offiziellen katholischen Gesangbuch „Gotteslob“ vertreten.

17.
Vielleicht ließe sich mit protestantischen Theologen beim Ökumenischen Kirchentag demnächst ein ökumenischer Workshop zu diesem Lied veranstalten.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Homosexuell Liebende erhalten nicht den Segen Gottes!

Die Glaubensbehörde im Vatikan weiß genau, wen Gott segnet und wen nicht.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 15.3.2021 anläßlich eines vatikanischen Papiers vom 15.3.2021

Ein Vorwort:
Die katholische Kirche diskriminiert durch ein offizielles, von Papst Franziskus unterzeichnetes Dokument wieder einmal Homosexuelle in ihrem Leben und in ihrem Lieben. Das erläutere ich in dem folgenden Text. Hier erst mal zur Einstimmung eine interessante Statistik, in welchem Umfeld weltweit sich der Vatikan und der Papst bewegen, in einer Welt voller Diskriminerung und Hass auf “den anderen”. Julius Thesing schreibt in seinem neuen Buch “You don`t look gay” (Bohem Press, Münster):
In 73 Staaten der Welt wird Homosexualität als Straftat behandelt und verurteilt.In 12 der 73 Staaten steht gleichgeschlechtliche Aktvität unter Androhung oder Garantie der Todesstrafe”.
Der Vatikan als Papststaat hatte einst auch sehr gern Homosexuelle verbrannt.Jetzt entwürdigt er vornehm, vom Schreibtisch aus, auf der Basis einer abstrusen Theologie, erneut Homosexuelle. Der Vatikan und der Papst machen in ihrem neuesten Papier – nach dem eigentlich niemand verlangt oder gefragt hat – Homosexuelle zu Menschen zweiter Klasse. Warum: “Diese Menschen sind nicht geeignet, den Segen Gottes für ihr Lieben und Leben zu erhalten”.
Gott höchstpersönlich will “die” nicht segnen, unter seine Liebe stellen: Das ist die verletzende, wenn nicht seelisch tötende Botschaft dieser Kleriker. Die Frage bleibt, was können etwa Journalisten und mutige Menschen tun angesichts dieser Degradierung bestimmter Menschen? Dazu unten, Nr.15, eine Frage, vielleicht ein Vorschlag! CM.

1.
Zunächst das „Erfreuliche“: Die oberste Glaubensbehörde der katholischen Kirche im Vatikan erklärt NICHT: Dass die üblichen und seit langem beliebten katholischen Segnungen von Autos, Handys, Kühen, Hunden und Häusern unterbleiben sollen. Vielmehr: Segnungen von Autos, Motorrädern, Handys, Kühen, Häusern und Wohnungen sind nach wie vor guter und Gott gefälliger Ritus in dieser Kirche. Waffen wurden bekanntlich immer schon gesegnet, katholische Kirchengebäude mit den Knochen der Heiligen, Reliquien genannt, ebenso, auch Altäre und Orgeln wurden gesegnet und so weiter. Diese Liebe zur Segnung von Objekten nennt der große Psychotherapeut Erich Fromm treffend und richtig die „Liebe zu toten Dingen“ (Nekrophilie). Tote Dinge segnen, so betont er, nur Menschen und Organisationen, die selbst seelisch längst tot sind und den lebendigen Wandel als das entscheidende Prinzip des Lebens erstickt haben. In dem Sinne gilt: Aus den toten Mauern des Vatikans kommt erneut ein Lehr-Schreiben, zum gefühlten 10. Mal zum Thema „Katholische Homosexuelle“.
2.
Weite Teile der Menschheit leben jetzt in Diktaturen, in ständigen Kriegen, werden vertrieben, Flüchtlinge finden keine Aufnahme in sich Demokratien nennenden Staaten, Millionen Menschen müssen hungern und verhungern, das Klima wird zur Katastrophe, das Impfen klappt nur partiell, Politiker in sich christlich nennenden Parteien offenbaren ihre Korruptheit: All das interessiert die alten Herren, die Kardinäle und Bischöfe und Substituten und Patres in der Glaubensbehörde nicht. Sie arbeiten sich ab, wälzen alte Dokumente hin und her zum Thema: Segnungen ja und nein für bestimmte ausgewählte Menschengruppen, für homosexuell Liebende.

Wer sich weiter für das Thema der Tiersegnungen, Handysegnungen, Waffensegnungen und Autosegnungen usw. durch die katholische Kirche interessiert, sollte den spannenden, das Gesicht dieses so “volkstümlichen” Katholizismus offenbarenden Bericht lesen. LINK.
3.
Nun also das Nicht-Erfreuliche, die Nicht-frohe Botschaft aus dem Vatikan: Sie gilt für die wenigen, in Europa noch katholisch interessierten Homosexuellen. Die unfrohe Botschaft vom 15.März 2021 also lautet: Katholische Homosexuelle werden NICHT und NIEMALS und Nirgendwo für ihre Liebe und Partnerschaft den Segen Gottes erhalten. Die alten Herren im Vatikan setzen sich also unbescheiden an die Stelle Gottes und verfügen: Diese Leute, diese Schwulen und Lesben, werden nicht von mir, dem lieben Gott, gesegnet. Der große Menschenfreund, Papst Franziskus, hat dieser anmaßenden Verfügung der Vatikanischen alten Herren zugestimmt.

Theologisch ist diese erneute Stellungnahme ein Skandal:
-Bestimmte Herren maßen sich an zu wissen, wen Gott liebt. Ein solches Denken und Verhalten nennt man Gotteslästerung.
-Wenn Gott als „Schöpfer“ der Menschen gedacht wird: Dann hat er auch Homosexuelle erschaffen. Und Homosexuelle haben als Menschen das Recht zu lieben, erotisch und sexuell natürlich auch. Und wenn diese Menschen als Katholiken um den Segen bitten, den die Kirche in einer Zeremonie feiert, auch im Sakrament der Ehe, dann hat kein Kleriker das Recht, diese Segnung, diese Eheschließung, zu verweigern. Die Pfarrer, selbst die Herren im Vatikan, sind doch nur Diener Gottes, nicht aber die verfügenden allmächtigen Männer direkt neben Gott.
-Mit diesem Schreiben zeigen die Autoren, dass sie mit ihrem perversen Denken offenbar ablenken wollen von sexuellem Missbrauch durch Priester und der entsprechenden Ignoranz der „Herren der Kirche“.
4.
Man bedenke die Konsequenzen: In fast allen Staaten Afrikas werden homosexuell Lebende und Liebende verfolgt, diskriminiert, getötet, sogar in Staaten, in denen so genannte Katholiken als Präsidenten bzw. Diktaturen herrschen. Kardinal Sarah aus Guinea, inzwischen ohne offizielle vatikanische Funktionen, wird sich als oberster afrikanischer Schwulen – Feind freuen. Mit anderen Worten: Die Herren im Vatikan wissen genau, welchen Schaden sie anrichten mit solch einem Schreiben, es zerstört weiter die Menschenwürde, zerstört die Menschenrechte einer Gruppe von Menschen. Eigentlich könnte ja mal jemand auf die Idee kommen und den Vatikan und diesen Klub der greisen Kardinäle und Bischöfe vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu bringen – wegen Volksverhetzung und Aufruf zu Diskriminierung und Verfolgung Homosexueller. Mein Freund, der katholische Priester und „Grün-Links“ Politiker Herman Verbeek aus den Niederlanden hatte das vor Jahren schon vorgeschlagen. Es ist meiner Meinung nach sehr bedenkenswert: Ob die Diskriminierung homosexuell Liebender („Gott segnet sie nicht, sie sind unwürdig“) eine Form des Rassismus ist.
5.
Man sollte also diesen Schrieb oberster klerikaler Bürokraten des Vatikans nicht so schnell nach einem kurzen Lachkrampf beiseite legen. Am schimmsten ist – noch einmal muss daran erinnert werden – das furchtbare Gottesbild der Vatikan -Bürokraten und dieses Papstes, der ja eigentlich viel von Barmherzigkeit erzählt hat früher. Also: Diese Herren, vielleicht sind selbst homosexuell, glauben allen Ernstes zu wissen: Wen ihr so oft zitierter „lieber Gott“ Gott segnen will und wen nicht. Man möchte wie Luther zornig schreien und diesen Kleriker Club zum Verschwinden bringen. Aber das hat ja selbst Luther leider nicht geschafft.
6.
Die spirituelle Unterdrückung durch die römische Kirche ist bekanntlich so groß, dass es immer noch katholische Homosexuelle in Europa gibt, die betteln und jammern bei diesen alten Hierarchen: „Seid doch mal nett zu uns armen Sündern, segnet doch bitte, bitte unsere Liebe“. Solange diese eingeschüchterten katholischen Homosexuellen noch betteln, haben die Vatikan Bürokraten noch Adressaten für ihre Papierchen.
7.
Über das Papierchen, dürftig in den theologischen Argumenten wie gewohnt, ließe sich eigentlich kein weiteres Wort verlieren. Nur so viel: Der offizielle Text wurde von Kardinal Luis Francisco Ladaria Ferrer – auch er, wie der Papst, ein Jesuit – und von einem Monsignore Giacomo Morandi unterzeichnet. Mittelpunkt der alten Leier der Uralt – Argumente ist: Die römische Kirche dürfe nur „Vereinigungen segnen von Mann und Frau, weil diese offen sind für die Weitergabe des Lebens“. Leben weitergeben, eine banale biologistische Auffassung von Ehe wird da wieder verbreitet, als käme es nicht auf die Liebe der Partner, die humane Erziehung der Kinder usw. an. Und diese gute liebevolle Erziehung können nachweislich viele Homo-Ehepaare mit Kindern genauso gut, wenn nicht besser als die katholischerseits oft „intakt“ genannten, tatsächlich aber manchmal öden katholischen Hetero-Ehen. Dann noch ein Zitat aus dem Vatikan – Papierchen, der die Menschheit für dumm hält: Die Segnung homosexueller Paare könnte, so wörtlich, „verwechselt werden mit einer Ehe-Schließung“. Man könne also nicht mehr so genau erkennen, ob vorn am Altar Mann und Frau oder Mann und Mann oder Frau und Frau stehen…
8.
Zusammenfassend: Wer als homosexueller Mann oder als homosexuelle Frau nach diesem jüngsten Dokument der Vatikan Bürokraten immer noch Mitglied der katholischen Kirche ist und diese auch noch finanziell unterstützt, dem und der ist nicht mehr zu helfen.
9.
Eine lebendige christliche Spiritualität kann bekanntlich jeder und jede auch für sich selbst allein oder in kleinem Kreis entwickeln oder sie in den wenigen noch verbliebenen progressiven und undogmatischen protestantischen Kirchen leben.
10..
Diese katholische Kirche, die sich an die Stelle Gottes setzt und lieber Autos und Waffen segnet als sich liebende Menschen, hat die Unterstützung durch demokratisch gesinnte und jesuanisch empfindende Menschen nicht verdient. Das Motto könnte nun sein: “Ecclesia catholica – causa finita“. Das sagen ohnehin schon viele Frauen, viele Opfer von sexueller Gewalt durch Priester, viele Priester, die nicht mehr als Priester arbeiten können, nur weil sie das Zwangszölibats – Gesetz nicht leben können oder auch die vielen wiederverheiratet Geschiedenen, die von der Kommunion ausgeschlossen sind und so weiter und so weiter.
11.
Man glaubt bei dieser Aufzählung, dass eigentlich die Bürokraten im Vatikan bald allein in der Kirche rumhocken und ab und zu Papierchen in die Welt loslassen… zur Freude der afrikanischen Diktatoren und anderer Menschen – Verächter.
12.
Es gibt also für die vatikanische katholische Kirche eine neue Ökumene: Der Vatikan ist mit diesem Papier in die ökumenische Bruderschaft mit anderen Verächtern homosexuellen Lebens und Liebens eingetreten: Mit den reaktionären muslimischen Kreisen; mit den Homohassern in evangelikalen Kirchen und Pfingstkirchen; mit den Bischöfen vieler orthodoxer Kirchen, etwa in Moskau oder schlimmer noch in Georgien; mit der PIs Partei in Polen und den verkalkten katholischen Bischöfen, mit dem antisemitischen riesigen Radio Marya in Polen unter Leitung des Redemptoristenpaters Rydzyk,auch er ein Menschenverachter, der immer noch Schrott und Schund verbreiten darf mit Zustimmung der Bischöfe und des Papstes(wenn das anders wäre, hätte ihn der allmächtige Papst längst in die Südsee versetzen können und so weiter.
13.
Wir gratulieren dem Vatikan: Jetzt wissen wir, wo die wahre katholische Ökumene ist. Es ist der Verein der Reaktionären weltweit!
14.
Und auf Deutschlands Katholiken, etwa auf das ZK der Katholiken, bezogen: “Hört auf, eure Energie noch in Ökumenische Kirchentage etc. zu stecken. Das lohnt sich nicht, der Vatikan und auch der Papst ticken längst ganz anders. Es wird Zeit zu erkennen: Es ist vorbei, die katholische Kirche bleibt steinhart und lebensfeindlich, die wenigen anders denkenden Bischöfe setzen sich nicht durch, jammern und klagen. Aber keiner hat den Mut, diesen Herren in Rom ein Nein entgegen zu halten. Der letzte, der den Mut dazu hatte, war Bischof Jacques Gaillot. Er wurde vom Vatikan rausgeschmissen. Welcher deutsche Bischof hat den Mut, sich vom Vatikan rausschmeißen zu lassen? Das kann besser sein, als eines Tages mit allen anderen Bischöfen vom Amt zurückzutreten, wegen des Missbrauchs…
15.
Bekanntlich hat der französische Journalist und Soziologe Frédèric Martel eine große Studie über homosexuelles Leben unter katholischen Priestern kürzlich veröffentlicht, sie wurde in viele Sprachen übersetzt (auf Deutsch im S. Fischer Verlag 2019). Der Titel: “Sodom. Macht, Homosexualität und Doppelmoral im Vatikan”. LINK
Angesichts dieses aktuellen aggressiven Papiers des Vatikans wäre doch die Frage der Notwehr zu debattieren, ob nicht anders als im Buch von Martel nun im Team-work Klarnamen genannt werden von homosexuellen Priestern, Patres, Bischöfen, Kardinälen und Päpsten, einst und heute. Das könnte vielleicht weitere entsprechende Papiere aus dem Vatikan verhindern.
16.
Natürlich ist Homosexualität, gelebte Homosexualität, etwas völlig Normales für die Menschenrechte, für Demokratien und in einer vernünftigen, säkularen Ethik.

Im Falle des vatikanischen Papiers aber geht es erneut um die sich bewusst abschließende Sonderwelt der katholischen Kirche mit eigenen Gesetzen und eigener Moral. Und darin sind laut offiziellem Katechismus (1993) homosexuelle Handlungen “in keinem Fall zu billigen” (§ 2357).
Was aber ist, wenn Priester und Bischöfe diese in keinem Fall zu billigenden Handlungen bekanntermaßen und dokumentierbar begehen? Und gleichzeitig, wie jetzt wieder in Rom, gegen die völlig normale Gleichberechtigung der Homosexuellen hetzen? Oder als homosexuelle Priester und Bischöfe NICHTS, aber auch gar nichts für den Respekt der Homosexuellen tun? Wer darüber informiert, verletzt nicht staatliches, demokratisches Recht, sondern macht nur auf Widersprüche in dem abgeschlossen, aber scheinheiligen System der Kirche aufmerksam. Dieses zu tun ist wohl doch Aufgabe der Religionskritik und eine kritischen Journalismus, oder nicht?
17:
Eine weitere Frge ist: Warum dürfen sich eigentlich Homosexuelle nicht wehren, wenn so viel Verletzendes und Verrücktes vom Vatikan und vom Papst verbreitet wird? Denn diejenigen, die da als Kleriker die Homosexuellen verachten und hassen, sind selbst meist homosexuell, leiden aber unter ihrem Verstecktsein, unter ihrer verklemmten Angst. Darauf weisen alle Psychologen hin, auch Frédéric Martel zeigt dies in seinem nach wie empfehlenswerten Buch.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

„Beichtväter“ plaudern: Ein Skandal zur Schweigepflicht der Priester.

Das absolut geltende Beichtgeheimnis wird „ein bisschen“ gebrochen
Die Neuerscheinung „Je vous pardonne tous vos péchés“ von Vincent Mongaillard

Ein Hinweis von Christian Modehn am 13.3.2021. Am Ende dieses Beitrages siehe auch eine von vielen Stellungnahmen in Frankreich.

1.
Ein Skandal: 40 katholische Priester in Frankreich berichten jetzt vom Inhalt der Beichten, die sie von Frommen und weniger Frommen „gehört“ haben. Und diese Plaudereien sind so umfassend, dass sich daraus ein Buch von 480 Seiten machen ließ, das sehr preiswert für 14,90 € im Verlag „Edition de l Opportun“ (Paris) am 12.März 2021 veröffentlicht wurde, also im „Verlag des Günstigen“, der seinen interessanten Untertitel auf der Website mitteilt: „Découvrir, rire et surprendre“, also “Entdecken, Lachen, Überraschen bzw. Überrumpeln“. Ein Verlag, der durchaus seriös ist, auch wenn er in der intellektuellen Szene nicht so bekannt ist; zum Verlag gehört auch der auf Studenten spezialisierte Verlag „L Etudiant éditions“.

2.
Zum Lachen (rire) ist das Buch für die Katholiken und ihre Bischöfe und Theologen ganz und gar nicht. Denn es ist das Dokument eines ungeheuerlichen Tabubruches: Erst im Juli 2019 hatte Papst Franziskus eindringlichst gelehrt: „Das Beichtgeheimnis betrifft das Wesen der Kirche und des Christentums. Das Beichtgeheimnis muss durch den Priester absolut bewahrt werden“. Auch der offizielle Katechismus von 1993 betont im § 1467, „dass jeder Priester unter strengsten Strafen verpflichtet ist, über die Sünden, die seine Pönitenten ihm gebeichtet haben, Stillschweigen zu wahren…Dieses Beichtgeheimnis lässt keine Ausnahmen zu…“

3.
40 Priester haben sich jetzt diese Ausnahme erlaubt: Sie sprechen von den Sünden ihrer Pönitenten (Beichtenden), aber sie nennen keine Namen, die Priester wie die Beichtenden bleiben im Nebel des Anonymen. So entsteht trotzdem ein soziologisch interessantes Bild: Welche Sünden heute und in den letzten Jahren im Beichtstuhl einem Priester anvertraut wurden.

4.
Aber so 100 prozentig anonym sind dann doch die Berichte der Priester nicht: Die katholische Tageszeitung La Croix weist etwa darauf hin, dass auch Namen von Städten genannt werden, auch die Namen von weiteren Orten, „so dass gewisse Leute sich wiedererkennen oder erkannt werden“. Einer der plaudernden Priester berichtet etwa von Beichten, die er „gehört“ hat, bei großen Pfadfindertreffen im Wallfahrtsort Paray-le-Monial. Die Pfadfinder werden wohl in Zukunft nicht mehr so begeistert ihre Pfade zu einem Beichtstuhl finden…

5.
Das Buch von Vincent Mongaillard ist systematisch gegliedert, je nach der „Natur“, d.h. der Schwere und Bedeutung der Sünde. Der Autor ist als Journalist auf religiöse Themen spezialisiert in der eher populären Tageszeitung „Le Parisien“ (Auflage 2020 ca. 180.000 Exemplare) seit mehr als 20 Jahren tätig. Er betont in seinem Vorwort, die Bekenntnisse der Beichtenden seien präzise wiedergegeben. „Wir haben darauf geachtet, dass kein Sünden – Bekenntnis das hochheilige Geheimnis der Beichte verrät. Denn wir wollen nicht, dass wir, die „Wohltäter der Information“, nun förmlich entblößt dastehen aufgrund unseres profanen Werkes (Buches).“

6.
In jedem Fall ist das Vertrauen der Katholiken erschüttert, sie werden kaum noch den Drang verspüren, überhaupt noch zur Beichte gehen. Tatsächlich hat die Praxis des „Bußsakramentes“ in den Beichtstühlen seit Jahren rapide abgenommen. Während sich noch vor 50 Jahren lange Schlangen vor den Beichtstühlen bildeten, zumal vor Ostern, sind die Beichtzeiten in den Kirchen heute auf ein halbes Stündchen pro Woche geschrumpft.

7.
Insofern fördert dieses Buch den weiteren Niedergang der Beichte. War dies vielleicht auch die Absicht der 40 Priester, die da den Tabubruch begehen? Weil sie wissen, wie wenig seelische Hilfe tatsächlich eine Beichte im Beichtstuhl bieten kann, die meistens nicht länger als 3 Minuten dauert. Vielleicht sehen die anonym bleibenden Priester auch das Defizit der Beichte: Denn die Priester können dem Sünder nur empfehlen, die Schuld, die er gegenüber anderen Menschen auf sich geladen hat, zu korrigieren. Über die Motive der Priester, an dem Buch mitzuarbeiten, wird man noch weiter forschen, falls die Priester überhaupt noch einmal etwas sagen.

8.
Papst und Bischöfe werden die 40 Priester nicht zwingen können,ihre Identität preiszugeben. Die kirchlichen Autoritäten stehen also sehr hilflos da. Strafe ist aufgrund der Anonymität unmöglich. Und auch der Staat wird nicht eingreifen können, er lässt die Kirche doch ohnehin nach eigenen Gesetzen im Staat gewähren. Und dass sich ein Beichtender so präzise wiedererkennt, ist unwahrscheinlich.

9.
Warum also dieses Buch? Weil das Thema förmlich in der „Luft liegt“ bei all den nicht enden wollenden Affären zum sexuellen Missbrauch durch Priester. Im Tagesspiegel vom 13.3.2021, Seite 3, wird berichtet, dass ein Beichtvater einer jungen Frau die Abtreibung empfohlen hat, der Vater war ein anderer Priester. Im Beichtstuhl “brennt” es, wenn ein Priester dort das schlimmste aller Übel in der Sicht katholischer Moral empfiehlt: die Abreibung, eine Empfehlung, die übrigens schon der Priester – Vater der jungen schwangeren Frau gegeben hatte. Wieder einmal: Der gute Ruf des Klerus ist sogar wichtiger als der viel beschworene Lebensschutz. Wahrscheinlich geht de Beichtvater nach dieser Beicht – Empfehlung zu einer “Pro – Life – Demo….”

10.
Das Buch „Ich vergebe euch alle eure Sünden“ wird die letzten Phasen der Debatte über die Beichte erneut noch einmal beleben, das Buch wird zu der Frage führen: Wie kommt der Klerus eigentlich dazu, als Mittler zwischen dem einzelnen und Gott, zwischen dem Sünder und Gott, aufzutreten und bindend und lösend zu agieren? Zumal der Verdacht des sexuellen Missbrauchs jegliches Ansehen des Priesters verdorben hat. Und nun auch die 40 französischen Priester, die etwas aus dem Beichtstuhl plaudern…Das ist sozusagen ein weiterer „Gau“ im Katholizismus.
Die Debatte wird also noch mal über die anmaßenden Rechte des Klerus gehen, ein Thema, das seit der Reformation virulent ist. In ihrer wissenschaftlichen Studie. „Pratiques de la Confession“ (Praxis der Beichte), Edition du Cerf, Paris, 1983, weisen die Autoren darauf hin, dass über die Beichte bis dahin wenig studiert und publiziert wurde. Das Detailwissen ist im allgemeinen gering. Erst im 7. Jahrhundert wurde in Irland die individuelle Beichte eingeführt (S.17). Die Studie weist auch auf die klerikale Macht hin, denn bis ins 19.Jahrhundert war der Beichtvater meist der Gemeindepfarrer. Er kannte also viele seelischen Aspekte seiner Mitbewohner, hatte ein geheimes Herrschaftswissen. Er kannte die Familien, wusste, welche Kinder aus welchen „guten“ Familien vielleicht mit einem kirchlichen Stipendium zu fördern seien und welche nicht. Zu Ostern mussten ohnehin alle Angehörigen einer Pfarrei zur Beichte gehen, sie erhielten nach der Beichte ein Zettelchen oder ein Heiligenbild, das die erfolgte Beichte dokumenterte. Nur wer dieses Dokument vorweisen konnte, durfte an der Osterkommunion teilnehmen.

11.
Einem Bekannten kommt diese Buchpublikation etwas mysteriös vor. Ich will gern den – wahrscheinlich doch wohl unbegründeten – Verdacht eines auch mal anonym bleibenden Bekannten weitergeben: Nichts ist leichter für einen Autor, der etwas Aufsehen erregen und Geld verdienen will, als ein Buch zu schreiben, in dem anonym Priester von der Beichte plaudern und von den Süden der Beichtenden erzählen. Niemals wird bewiesen werden können, ob die Stories authentisch sind oder der Phantasie eines Kenners entsprungen sind.
Wie gesagt: Die Kirchenführung hat kein Mittel, die 40 Priester, falls es sie gibt, zum Sprechen zu bringen. Und der Staat auch nicht. Und auch den Autor kann wohl kein Staat zwingen, Namen zu nennen. Die Kirche kann höchstens die Zeitungsredaktion so lange bearbeiten, bis der Journalist seinen Job verliert…
Aus diesem Stoff ließe sich gut ein „Tatort“ oder ein ähnliches Krimi-Stück realisieren. Die Geschichte: Erst wenn der erste plaudernde Priester identifiziert ist und stirbt und dann auch der Journalist angeschossen wird, kommt die Sache „ins Rollen“. Diese Idee hat Christian Modehn am 13.3.2021 formuliert.

12.
„Ins Rollen“ ist die Beichte in jedem Fall gekommen, sie wird wohl “fortrollen”. Die Beichte wird als flüsterndes Gespräch bzw. Getuschel in eher unbequemen, manchmal etwas muffigen Beichtstühlen mindestens in Europa verschwinden.Weil auch das Bewusstsein schwindet, ob der Mensch nun Sünden begangen oder schwere Fehler gemacht hat. Der Gott mit dem drohenden Zeigefinger ist verschwunden.
Leider sind die besseren Seelsorger, also die Psychotherapeuten, absolut ausgebucht.

13.
In einigen Staaten wird darüber debattiert, ob das Beichtgeheimnis der Priester bei „schweren Verbrechen“ gelten kann, so in Australien (Vicoria) oder im Bundesstaat Louisiana, USA.
Nach kirchlichem Recht hat der „Beichtvater“, wenn ihm ein schweres Verbrechen gebeichtet wird, nur die Pflicht, den Übeltäter aufzufordern (!), sich den staatlichen Justiz – Behörden zu stellen. Eine sehr vornehme Art der Kirche, mit beichtenden Schwerverbrechern umzugehen. Dies gilt besonders auch fürs süditalienische Mafia-Milieu, die Maffia Bosse haben ja bekanntlich ihre eigenen Wallfahrtsorte und damit Orte des Beichtens, wie etwa die Kirche Notre Dame de Polsi in Calabrien. “Le Monde” berichtete darüber am 12.2.2021, Seite 19.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

…………………………………………….
Ein Beitrag des Radio – Senders Europe1 am 11.3.2021:

Dans “Je vous pardonne tous vos péchés”, Vincent Mongaillard a recueilli les confidences de 40 prêtres qui, tout en préservant l’anonymat des fidèles, ont accepté de lever le voile sur ce qu’ils entendent en confession. Si certains aveux prêtent à sourire, d’autres relèvent du Code pénal.
C’est une règle d’or depuis des siècles : face aux fidèles venus faire pénitence de leurs péchés, les prêtres sont tenus au secret. Les paroles chuchotées dans la petite alcôve d’un confessionnal sont protégées par le silence du clerc, quelle que soit la gravité du crime avoué. Dans Je vous pardonne tous vos péchés, publié ce jeudi par Vincent Mongaillard aux Éditions de l’Opportun, 40 prêtres dévoilent ce qu’ils ont pu entendre en confession au fil des années, tout en préservant l’anonymat de leurs ouailles.

Un travail de longue haleine pour le journaliste du Parisien, à qui il a fallu trois ans pour arriver à bout de ce livre.”On a établi un rapport de confiance avec ces prêtres et on a gardé que le prénom. Qu’ils se rassurent, ils ne seront pas excommuniés puisqu’ils ne brisent pas le secret de la confession. On ne peut pas identifier les pénitents”, assure-t-il au micro d’Europe 1. Mais comme il l’écrit, certains secrets sont plus lourds à porter que d’autres.

Un crime confessé devant le prêtre

Il y a en effet les petits péchés, comme ce chauffeur de taxi qui confesse prendre des chemins plus longs pour faire payer plus cher ses clients, ou encore ce septuagénaire qui raconte, 60 ans plus tard, avoir bu du vin de messe lorsqu’il était enfant. Il y a également ce jeune scout qui a tué une fourmi. Mais le livre évoque aussi des secrets très lourds. Ainsi, cet homme en détention provisoire qui a confessé son crime à un prêtre. Quelques mois plus tard, il plaide non coupable devant la justice des hommes et se voit acquitté. De quoi placer un énorme poids sur les épaules du prêtre, mais qui assume, comme tous les autres, le secret absolu de la confession.
Les prêtres encaissent en confession beaucoup de souffrance et doivent parfois improviser des solutions pour empêcher le pire. Vincent Montgaillard raconte comment l’un d’eux décide de récupérer l’arme d’un jeune homme de 20 ans qui vit en roulotte avec sa mère… dont il veut se débarrasser. Le prêtre finira par déposer le revolver au commissariat sans donner l’identité de son propriétaire.

C’est très dur pour eux parce qu’ils portent sur leurs épaules tous les vices, toute la misère de notre société. Certains vont vous dire que c’est le Seigneur qui fait le travail mais après une journée de confessions, ils sont épuisés. C’est extrêmement éreintant”, reconnaît l’auteur.
Des confessions plus cocasses
“Certains prêtres m’ont confessé que deux tiers des pêchés étaient liés au-dessous de la ceinture, à des histoires d’adultère, d’addiction”, a encore expliqué Vincent Montgaillard. Comme cette confession cocasse d’un couple : la femme raconte tromper son mari avec un ami du couple, mais juste après, le mari confesse lui aussi tromper sa femme avec un ami. Le prêtre comprend vite qu’il s’agit de la même personne. Mais l’avantage, c’est que tout, devant Dieu, est pardonnable.

Die Pariser Commune – vor 150 Jahren, lebendig, dann ermordet.

Zwei Beiträge von Christian Modehn über “Die Pariser Commune und die katholische Kirche”

1. Die Pariser Commune 1871 als Experiment der Republik unter reaktionären Bedingungen.
Dieser Beitrag erschien auch in einer – von der Redaktion veränderten Form – in der Zeitschrift PUBLIK – FORUM (12.3.2021).
Dieser Artikel von Christian Modehn hier ist besonders wichtig, weil er auch auf die Beziehungen der Communarden zur katholischen Kirche hinweist. Dieser Zusammenhang wurde bislang eher selten dokumentiert.

2. Ein anderer Beitrag bietet ergänzende Details, um zu weiteren Studien zu ermuntern. CM.

1.
Die Feindschaft der „zwei Frankreich“
Über die Pariser Commune

Von Christian Modehn
Die Pariser Commune konnte nur 72 Tage überleben, von Mitte März bis Ende Mai 1871: Die Communarden hatten eigenmächtig ein demokratisches und soziales Gemeinwesen aufgebaut. Es war ein Aufstand der Handwerker, Arbeiter und Intellektuellen, unerträglich für die reaktionären, monarchistischen Führer der jungen „Dritten Republik“. Ihre „heilige Ordnung“ wollen sie mit einem Bürgerkrieg retten, darin unterstützt vom katholischen Klerus und den „anständigen Bürgern“. Die Communarden waren zwar „linke“ Demokraten und antiklerikal, aber doch auch getaufte Katholiken. Sie wurden von ihren eigenen „Glaubensgenossen“ zu tausenden abgeschlachtet. Ein Trauma, das bis heute wirkt.
Paris – „die“ Metropole Europas voller Glanz und Gloria, der Stolz Kaiser Napoléons des Dritten. Er lässt Baron Haussmann riesige Boulevards mit „Sichtachsen“ errichten, sie sollen bei Aufständen dem Militär den schnellen Zugriff erlauben. Arme, Handwerker und Arbeite sind für das Regime eine Bedrohung.

Im Juli 1870 erklärt Napoleon III., im Wahn des Nationalismus befangen, Preußen den Krieg. Das Gemetzel endet für Frankreich schnell mit einer Niederlage, der Kaiser kapituliert. Die „Dritte Republik“ startet offiziell am 13.2.1871 mit der Wahl zur Nationalversammlung. Die Monarchisten und die Getreuen von Papst Pius IX. erreichen die absolute Mehrheit. Wenige Tage später wird der „Vorfrieden“ mit Bismarck unterzeichnet.
Die Bürger von Paris erleben, dass ihre Stadt immer noch von deutschen Truppen umzingelt ist. Das stärkt ihre Entschlossenheit, aus eigener Kraft eine selbstverwaltete republikanische Stadt aufzubauen. Ein unerträglicher Gedanke für Regierungschef Adolphe Thiers. Nach der Niederlage gegen Preußen will nun er endlich einen Sieg vorweisen, im Kampf gegen die eigenen Landsleute in Paris. Aber die verfügen über eine Nationalgarde mit 300.000 Mann, und sie besitzen noch die Waffen, bestimmt für den Krieg gegen die Deutschen.
Am 17. März 1871 wollen Regierungstruppen Paris entwaffnen. Aber die Soldaten verweigern den Befehl, auf die Bürger zu schießen. Empört über den Bürgerkrieg nehmen die Pariser zwei Generäle fest, sie werden erschossen. Nun kann die Regierung, das „Morden und Töten der Commune“ groß herauszustellen. Bis zum 21.Mai 1871 aber wird „von Seiten der Communarden kaum Blut vergossen“ (Johannes Willms).

Die Regierung mit ihren Truppen flieht am 18. März 1871 nach Versailles. Und sofort beginnen die Pariser Bürger mit dem Aufbau ihrer „direkten Demokratie“. In ihrer demokratisch gewählten Selbstverwaltung sind 92 Abgeordnete unterschiedlicher politischer Optionen vertreten, vor allem Sozialisten verschiedener Orientierung, auch liberale Bürgerliche sowie einige Anarchisten sind dabei. Sie alle wollen eine Republik, die den Namen verdient: Die Stadtverwaltung fördert die Gewerkschaften; das öffentliche, kostenfreie Schulwesen – auch für Mädchen – wird ausgebaut; Künstler schaffen ihre eigenen Vereine, sie unterstützen die Commune. Frauen haben das Recht, als politische Akteure selbständig zu handeln. Sie gehören zu den Mutigsten, wie die Lehrerin Louise Michel in ihren Erinnerungen betont.
Die Commune lebt von der Begeisterung der Bürger in den neu gegründeten Debattierclubs. Man trifft sich in mehr als 20 (von insgesamt 67) katholischen Kirchen: Dort wird eine „Umwidmung“ durchgesetzt: „Gotteshäuser sind auch Menschenhäuser“. Und dafür gibt es unterschiedliche Modelle: Manche dieser „Club-Kirchen“ sind wie üblich tagsüber für Gottesdienste geöffnet, am Abend treffen sich die „Clubs“. Dann wird der Altar beiseite geräumt und nach der Debatte mit Brot, Wein und Tabak mit Hunderten gefeiert. In anderen Kirchen wird der Klerus vertrieben, Messgewänder für ein frivoles Spektakel gebraucht. Der antiklerikale Geist ist seit der Französischen Revolution (1789) unter „einfachen Leuten“ noch immer bestimmend. Die Commune ist überzeugt: Der Katholizismus, „die Religion der allermeisten Franzosen“, darf nicht länger die staatlich privilegierte Konfession bleiben. Die Trennung von Kirche und Staat ist das erste Dekret der Commune: Der Klerus soll nicht länger vom Staat gut bezahlt werden. Und die Ordensleute dürfen nicht länger das Schulwesen bestimmen und den Lehrstoff nach kirchlicher Weisung gestalten. Trotzdem: In den meisten Kirchen geht das übliche Leben weiter.

Es gibt jedoch nur sehr wenige Priester, die auch nur die geringsten Sympathien für die Commune haben: Abbé Jean-Hippolythe Michon betont: „Die Arbeiter haben die Sehnsucht, dass die Leiden des Proletariates gelindert werden. Die Arbeiterklasse will endlich ihre Emanzipation, es geht um das schreckliche Problem des nicht gelösten Ausgleichs von Kapital und Arbeit“. Der Kirchenhistoriker Pierre Pierrard fasst zusammen: „Im Ganzen war die Kirche 1871 contra-revolutionär aus Überzeugung. Die Commune deutete sie als einen Aufstand, der von der Hölle und dem Teufel angestoßen wurde“. Zahllose Pamphlete und Artikel dokumentieren den abgründigen Hass des Klerus auf die Demokraten. Abbé Vidieu schreibt: „Die Leute der Commune sind undurchsichtige Schurken, ehrgeizige Proleten, sie beleidigen Gott, zerstören die Kirche“. Die Priester und ihre Bischöfe sind fixiert auf Weisungen Papst Pius IX.: Er hat 1864 in seiner Erklärung, dem „Syllabus“, Menschenrechte, Republik und Religionsfreiheit heftigst verurteilt. Weil er sich seit 1870 unfehlbar nennt, muss er wohl recht haben…

Am 21. Mai beginnt die katholische monarchistische Regierung, ihren finalen Rachefeldzug. Es ist die „Blutwoche“, ein unvorstellbares Inferno mitten im „christlichen“ Europa. Wahllos erschießen die Regierungstruppen Communarden auf offener Straße. Die völlig enthemmten Soldaten wurden gerade aus Kriegsgefangenen-Lagern Preußens entlassen: Bismarck hatte sie „freigegeben“, damit viele Sozialisten vernichtet werden. In Pariser Kasernen finden Massen-Hinrichtungen statt: „Bald floss von der Kaserne Lobau das Blut in zwei Bächen Richtung Seine, deren Wasser lange rot bliebt“, schreibt Louise Michel.

Und die Communarden? Sie kämpfen verzweifelt auf den Barrikaden. Und: Sie töten den Pariser Erzbischof Georges Darboy. Ihn hatten die Bürger festgenommen, als Geisel sollte er gegen einen ihrer gefangenen politischen Führer, Auguste Blanqui, ausgetauscht werden. Aber der Regierungschef lehnt ab: „Ein toter Erzbischof ist für uns propagandistisch wertvoller als ein lebender“. Erzbischof Darboy wird mit 6 anderen Klerikern erschossen.
Der verzweifelte Kampf der Commune auf den Barrikaden endet auf dem Friedhof Père Lachaise. Bis zum Juni geht diese „Orgie des Klassenhasses“ (Johannes Willms) weiter: Erst der Gestank der Leichenberge sorgt für ein Ende. Es wurden, so schätzen Historikern übereinstimmend, etwa 30.000 Communarden hingerichtet. Und die Communarden? Sie haben 1.300 Soldaten im Kampf erschossen.

Die katholische Kirche hat keinen Versuch gemacht, Frieden zu stiften. Anders die damals bedeutenden Freimaurer: In Paris unterstützen sie die Commune, während in Versailles Logenbrüder“ der Regierung nahestehen. Trotzdem suchen die Logenbrüder das Gespräch mit der Regierung und erreichten einen Waffenstillstand, um Menschen im Ort Neuilly zu evakuieren.
Die Kirche unterstützte auch nach der Auslöschung der Commune die antirepublikanischen und zunehmend auch antisemitischen Kräfte. Die reationäre Regierung setzte sich für den Bau der Basilika Sacré-Coeur auf dem Montmartre ein, als „Sühne für die Verbrechen der Commune“. Vom Massenmord an den Pariser Bürgern sprach niemand. Später wird sogar eine Kirche „Unsere liebe Frau der Geiseln“ gebaut.
In der marxistischen Geschichtsphilosophie wird die Commune als eine wichtige Etappe der „Revolution“ gewürdigt. Aber mit dem Bolschewismus hat sie nichts gemeinsam.
Die katholische Kirche hat die Commune nur als Unglück gedeutet. 1905 setzten die Republikaner die Trennung von Kirche und Staat durch. Die Kirche versucht zwar die Arbeiter zu gewinnen, richtet Vereine ein oder fördert das caritative Engagement der Laien, etwa in Suppenküchen. Die tiefe Kluft zu den Linken und Republikanern wird so nicht überwunden. Einige katholische Intellektuelle verteidigten die Republik, und sie wurden von 1930 -1970 öffentlich beachtet, aber sie haben kaum Nachfolger gefunden.
Erst nach 1945 begann die katholische Kirche, sich langsam mit der Republik zu versöhnen. Aber Demokratie, Aufklärung, Selbstbestimmung sind der Kirche immer noch suspekt. Heute nennen sich nur noch 35 % der Franzosen katholisch. Vor 75 Jahren z.B. waren es noch 90 Prozent.

Zum Thema “Pariser Commune und Katholische Kirche”: Pierre Pierrard, L église de France face aux crises révolutionnaires (1789 – 1871), Le Chalet, 1974. ders.,”l Eglise et la Révolution”, ed. Nouvelle Cité, 1988, dort die Seiten 213 – 246.

copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin
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2.
Die Pariser Commune – damals und heute: Hinweise, um weiter zu studieren.Von Christian Modehn

1.
Die Pariser Commune ist kein „Ereignis unter vielen“. Sie ist ein Einschnitt in der politischen, sozialen, kulturellen und religiösen Geschichte nicht nur Frankreichs. Dieser kurze Aufstand der Republikaner gegen die Herrschaft der Reaktionäre der 3. Republik wird nie vergessen werden: Denn es waren die Herrschenden, Bürger, die sich brav nannten und katholisch waren und die rebellischen, „linken“ republikanischen Mitbürgern in Paris abschlachteten. Dies ist ein Trauma, das bis heute Frankreich ideologisch – politisch spaltet.
Und die katholische Kirche? Sie stand auf Seiten der Schlächter. Die Katholiken fühlten sich ideologisch – theologisch unterstützt von Papst Pius IX., der ganz offiziell von seinem Thron herab Menschenrechte als Verirrung und Sünde titulierte. Und dieser Stellvertreter Jesu Christi wurde auch noch im Jahr 2000 (!) „selig gesprochen“. Eine Tat Papst Johannes Paul II.

2.Zur allgemeinen politischen Situation:
Es gab Versuche, auch in anderen Städten „Communen“ der Selbstverwaltung der Bürger aufzubauen. Etwa in Lyon, vom 22.3 bis 25. 3. 1871, danach auch in Marseille, Narbonne, Saint Etienne und Toulouse. Sogar in Limoges gab es den Versuch, eine Commune zu errichten.
In Paris war die Gründung einer Commune deswegen sehr wichtig, weil die Bürger endlich eine eigene, selbstgewählte Stadtverwaltung haben wollten. Diese wurde ihnen vom zentralistischen Regime verwehrt.

3. Zur politischen Situation nach der blutigen Zerschlagung der Pariser Commune:
Bis 1876 wurden noch Mitglieder der Pariser Commune von der 1871 von der mordenden Regierung verurteilt. Erst 1880 wurde eine Amnestie für die Verurteilten und Verbannten ausgesprochen. Auch die bekannte Aktivistin und Autorin Louise Michel kehrte aus der Verbannung zurück und wurde von Georges Benjamin Clemenceau (zur Zeit der Commune war er Bürgermeister des 18. Pariser Arrondissements) empfangen.
Bei den Wahlen 1876 erlangten dann die Republikaner die Mehrheit in der Assemblée Nationale. Danach gab es Entscheidungen zugunsten der Republik und entsprechend zu Ungunsten der katholischen Kirche.
1880 wurden die ersten Gedenkfeiern an die Pariser Commune gestaltet.
Und am 14. Juli 1880 wurde wieder der – unter der reaktionären Regierung verbotene – Nationalfeiertag gefeiert, in Erinnerung an den Beginn der Revolution 1789.
Mit der Niederschlagung der Commune wurden die Arbeiter in Paris – aufgrund der radikalen Umgestaltungen der Wohnverhältnisse durch Haussmann – in die Vororte von Paris vertrieben (Banlieue). (siehe: Johannes Willms, „Paris, Hauptstadt Europas“, München, 1988, S. 451). Diese Vertreibung der Arbeiter, der einfachen Leute, der „Ausländer“, aus Paris, hat wohl bisher wohl kein Ende gefunden, die Gentrifizierung ist total: Paris gehört den Reichen.

4. Die „Belle Epoque“: Oder wie die (reichen) Bürger die Commune vergessen:
Die Ausführungen von Johannes Willms sind sehr aufschlussreich: Nach der Zerschlagung der Pariser Commune ist Paris nach außen hin wieder die glanzvolle Metropole, die Welt der Café – Concerts und der Music-Halls; das Paris, in dem „nicht immer (!) schamlos gesungen, getanzt und geschauspielert wurde“ (S.452). Paris, als „das Paradies der Libertinage“ (ebd.). An das Gemetzel und die Ströme von Blut auf den Straßen im Mai 1871 dachten die oberen Schichten und die vielen neugierigen Touristen, vor allem aus England, nicht mehr. Drei Weltausstellungen fanden in der so genannten „Belle Epoque“ in Pais statt. Walter Benjamin sprach in dem Zusammenhang von den „Wallfahrtsstätten zum Fetisch Ware“ (Passagen-Werk). Maupassants Roman „Bel ami“ ist das erhellende literarische Zeugnis für dieses Paris. „Es wurde von einer geldgierigen und machthungrigen Gesellschaft beherrscht“ (Johannes Willms, S. 457). Wenige Jahre nach dem Versuch, eine demokratische Commune zu errichten, herrschte also in Paris „das trügerische Versprechen käuflicher Freiheit von den alltäglichen Zwängen der Moderne“ (S 457)

5. Zur Situation der Katholiken bzw. der katholischen Kirche vor der Commune:
Der Katholizismus war seit dem Konkordat von 1801 die anerkannte und „wichtigste Religion der Franzosen“, der tatsächlich weit mehr als 90 Prozent der Einwohner durch Taufe angehörten. Unter Napoléon III. gab es zwar Spannungen mit der französischen Kirche wegen dessen sehr unterschiedlichen Eintretens für den Kirchenstaat. Das berühmte Gesetz „Loi Falloux“ brachte 1850 der Kirche aber viel finanzielle Unterstützung für die katholischen Schulen. Insgesamt war der offizielle, sich nach außen so furchtbar gläubig zeigende Katholizismus unter Napoléon III. sehr bürgerlich, sehr monarchistisch und sehr antirepublikanisch. Die Kirche blühte auf, die Klöster füllten sich mit neuen Mitgliedern, die Marienverehrung war kaum zu bremsen, zumal Maria in Lourdes (im Jahr 1858) angeblich „höchstpersönlich“ dem Mädchen Bernadette Soubirous als Wunder erschienen war.
Auch schon in den Jahren vor der Pariser Commune gab es keinen Raum für ein freies theologisches Denken. Das wird am Schicksal etwa der Theologe Lamennais, Lacordaire oder des Schriftstellers Montalambert deutlich. Ihr Bemühen, Katholizismus und individuelle Freiheit, Gewissensfreiheit und Religionsfreiheit endlichzu verbinden, wurde von Papst Pius IX. verboten. Katholizismus und geistige Tyrannei – dieser Gesamteindruck herrschte im Volk, auch in Paris vor, bei einem republikanischen Volk, das nicht länger an Wunder und päpstliche Unfehlbarkeit (1870) glauben wollte.

6. Der Gebrauch der Pariser Kirchengebäude während der Commune:
Es muss genau beachtet werden, in welcher Vielfalt die in sich politisch auch vielfältige Pariser Commune mit der Nutzung der Kirchengebäude umging. So hatte die Commune den Beschluss gefasst, die berühmte „Sühnekapelle zum ehrenden Gedenken an König Ludwig XVI. und Marie Antoinette“ (im 8. Arrondissement) abzureißen. Diese Kapelle sollte vor Gott Abbitte leisten für die Untaten des Volkes, also die Tötung des Königspaares während der Revolution. Aber die „Sühnekapelle“ rührten die Communarden nicht an. Nur ein Kirchengebäude wurde zerstört: Notre Dame de Bercy. Die Kirche St. Pierre de Montmarte wurde geschlossen und im großen Kirchenschiff wurde ein Schneiderwerkstatt eingerichtet, zur Produktion von Uniformen der Pariser Nationalgarde. Sehr beliebt war die Kirche St. Ambroise im 11. Arrondissement, dort gaben die Debattierclubs sogar eine eigene Zeitung heraus.
Diese Clubs in den Kirchengebäuden spielten für die Commune eine wichtige Rolle: Es ging um die „Befreiung des Wortes“ auch bei denen, die bisher ihre Meinung eher selten frei äußern konnten.

7. Die Entwicklung des katholischen Glaubens nach der Commune:
Der Glaube, nach außen hin jedenfalls, blühte auf. Die royalistischen und reaktionäre Politiker unternahmen als fromme Katholiken Wallfahrten nach Chartres. Die riesige Kirche Sacre Coeur de Montmartre wurde von höchster politischer Seite gefördert: Dort, wo die Rebellion der Pariser Commune begann, sollte eine monströs wirkende Kirche, hoch oben auf Paris herabblickend, Sühne leisten für die Verbrechen der Communarden. Diese Verbrechen waren zwar auch schlimm, aber als Widerstand gegen den Aggressor, zahlenmäßig betrachtet, her unbedeutend gegenüber den viel umfassenderen Verbrechen und Morden der katholischen Regierung.
Als die Republikaner die Mehrheit im Parlament hatten, wurde die Macht und der Einfluss der katholischen Kirche – wie zur berechtigen Strafe, möchte man sagen – immer mehr eingeschränkt, bis hin zum Gesetz zur Trennung von Kirchen und Staat im Jahr 1905. Dieses Gesetz der „laicité“ des Staates bestimmt bis heute die Debatten der Politik. Der Antisemitismus gehörte zu der Zeit förmlich zum Glaubensbekenntnis der Katholiken, in der schrecklichen Dreyfus – Affäre war die katholische Presse (aus dem Verlagshaus der französischen Augustiner „La Bonne Presse“, sic) führend in der unverschämten Polemik. Dann war in den zwanziger Jahren die ebenfalls antisemitische katholisch sich gebende „Action Francaise“ einflussreich; Marschall Pétain wurde als guter Katholik verehrt, später gründete dann Erzbischof Marcel Lefèbvre seine traditionalistische Priesterbruderschaft, tatsächlich eine eigene Kirche am Rande des römischen Katholizismus. Sie ist in Frankreich bis heute sehr bedeutend und hat Neugründungen, die so tun, als wären sie auf der Linie des Papstes, wie das „Institut du Bon Pasteur“, de facto aber sind diese Kreise (auch das Kloster le Barroux bei Avignon) so reaktionär wie schon seit 1920. Aber mit diesen reaktionären Kreisen wollte sich schon Papst Benedikt XVI. unbedingt versöhnen, d.h. diese Leute in der römischen Kirche integrieren, auch von Papst Franziskus werden ähnliche Ambitionen berichtet. Es geht dabei um eins: Die römische Kirche braucht die vielen jungen Priester, die tatsächlich in diesen eher fundamentalistischen Kreisen ihre „göttliche Berufung“ finden, wie man so sagt.

8. Über einen „linken Katholizismus“ in Frankreich
Eine „ferne“ Wirkung des Geistes der Pariser Commune ist bei den Arbeiterpriestern lebendig. Es gab bekanntlich ab ca. 1950 Arbeiterpriester in den Fabriken, die dann Mitglieder der Gewerkschaft CGT (und bewusst nicht der christlichen Gewerkschaft CFTC) wurden, diese CGT war kommunistisch orientiert. Sie wurde 1895 von Aktivisten gegründet, die dem Geist der Commune nahestanden, sie wurden „Liberatier“ genannt (vgl. den Aufsatz von Alain Dalotel, Die Pariser Commune 1891: https://transversal.at/transversal/0805/dalotel/de)

Nach einem anfänglichen Misstrauen der CGT gegenüber den Priestern in der Fabrik entwickelte sich bald ein Vertrauensverhältnis. „Die Arbeiterpriester mussten, um militante Gewerkschaftler zu sein, Partei ergreifen, sie mussten die übliche Neutralität des Priesteramtes verlassen, es bildete sich – etwa bei dem Arbeiterpriester Henri Barreau, eine vitale Synthese von christlichem Bewusstsein und Klassenkampf.“
( zit in: https://books.openedition.org/pur/18915?lang=de, ein Artikel von Nathalie Vier-Depaule).
Ein Arbeiterpriester wird in dem Aufsatz zitiert, er lässt förmlich den Geist der Commune noch einmal ahnen:“ Für uns Priester geht es nicht darum zu evangelisieren im Sinne des Indoktrinierens. Sondern es geht um die aktive Zusammenarbeit mit den Kollegen, die sich um die ihre Befreiung bemühen… Durch unsere Gegenwart in der Fabrik wie in der Gewerkschaft CGT heben wir eine schreckliche Last auf, die des Schweigens, des Unverständnisses und der Feindschaft der Kirche gegenüber den Taten der Arbeiter.“ 1954 hat dann Papst Pius XII. in seiner panischen Angst vor den Kommunisten das Experiment der Arbeiterpriester verboten. Das war eine Katastrophe für den Versuch, einen pluralen Katholizismus zu leben, der auch solidarisch verbunden mit den Arbeitern ist. Alle Versuche, „die“ Arbeiter wieder in eine Nähe zur Kirche zu bringen, sind seitdem gescheitert. Die Kirche ist die Kirche der biederen, wohlhabenden mindestens der „honnetes gens“ bis heute: Wer noch Priester wird, kommt in Frankreich aus diesen Kreisen (aus Versailles oder den wohlhabenden Arrondissements von Paris oder aus Neuilly etc) .

9.
Wirkungen der Pariser Commune in der Theologie des Katholizismus heute:
In der frühen Geschichte der lateinamerikanischen Befreiungstheologie, also Mitte der neunzehnhundertsiebziger Jahre, wurde diskutiert: Mit welchen politischen Aktionen können sich die Menschen und die christlichen Gemeinden aus der Dependenz, also der Abhängigkeit vom Imperialismus und den USA, befreien. Die einen gaben die „klassische“ Antwort: Dies kann mit Hilfe der sozialistischen und kommunistischen Parteien geschehen. Andere bezogen sich auf die Selbstverwaltung und die Arbeiterräte, und sie sahen darin eine Inspiration in der Selbstverwaltung der Pariser Commune. Der Historiker Agustín d Acunto (Buenos Aires, Argentinien) berichtet im Jahr 2012 in der Zeitschrift „Virajes§ über die entsprechenden Forschungen von Miguel Mazzeo zum Thema: (http://vip.ucaldas.edu.co/virajes/downloads/Virajes14(2)_4.pdf)
Dies ist eine der wenigen Studien über eine Wirkungsgeschichte der Pariser Commune in katholischer Theologie und Praxis.
Das bedeutet: Die Pariser Commune hat wegen der maßlosen Hetze der katholischen Konservativen, der Anti-Republikaner, einen ganz üblen Ruf in der Kirche behalten. Manchmal mag der Geist der Commune noch aufgeflackert sein bei einzelnen Theologen, wie dem Dominikanerpater Jean Cardonnel und seinen Predigten bzw. Vorträgen im Pariser Mai 68.

10.
Die Protestanten und die Juden waren zur Zeit der Pariser Commune zahlenmäßig sehr unbedeutend. Und sie waren eher aufseiten der Republikaner, weil sie wussten: “Erst die Französische Revolution hat uns Protestanten und Juden in Frankreich die Möglichkeit geboten, frei unseren Glauben zu leben”. Sie waren also schon aufgrund früherer Verfolgung durch die Monarchie selbstverständlich republikanisch…

11.
Die französische Nationalversammlung hat am 29. November 2016 die Pariser Ciommunarden, die Opfer der staatlichen Repression, offiziell rehabilitiert. Die Initiative dafür ging von den regierenden Sozialisten aus mit der offenen Verurteilung durch die Parteien der Rechten. Der Präsident der Kommission für kulturelle Angelegenheiten, der sozialistische Abgeordnete Patrick Bloche (Paris), nannte diesen feierlichen Akt des Staates eine Pflicht der Geschichte und der Gerechtigkeit!

12.
Der „Verein der Freunde und Freundinnen der Pariser Commune“ (Adresse siehe unten) hat im Jahr 2020 dagegen protestiert, dass der berühmten Basilika „Sacre Coeur de Montmartre“ der Ehrentitel „historisches Monument“ verliehen wird. „Diese Kirche ist wie ein Symbol der damaligen sogenannten „moralischen Ordnung“ (der mordenden Regierung in Versailles) und diese Kirche ist auch ein Symbol par excellence für den Geist der „Anti-Commune“. Diese Auszeichnung ist nicht würdig für die heutige Republik und sie passt auch nicht zu einem jenem Teil der christlichen Welt, der sich heute in den Werten der Pariser Commune wiedererkennt“. (Bekanntlich war die Kirche Sacre Coeur de Montmartre als Sühnekirche für die Verbrechen der Communarden gedacht, von den Verbrechen der Regierung sprach niemand).

13.
Es wurde auch eine weitere Kirche in Paris zur Verehrung derer errichtet, die von den Communarden als Geiseln festgehalten, dann aber erschossen wurden, weil sich Staatschef Thiers weigerte, die Geiseln gegen einen der großen Inspiratoren der Commune, Louis – Auguste Blanqui, auszutauschen:
Über diese katholische Gemeinde „Notre Dame der Geiseln“ in Paris 20. LINK

14.
Es gibt in Paris einen sehr aktiven „Verein der Freunde der Pariser Commune“ mit vielen Informationen und Publikationen: LINK
15.
Zum weiteren Studium empfehle ich den Beitrag: “Aux origines de la commune”, 2018, von Marc Lagana, LINK

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Macron und die Muslime: Was er schon 2016 sagte und was heute (Februar 2021) gelten soll.

Ein Hinweis von Christian Modehn

Am 16. Februar 2021 soll in der “Assemblée Nationale” in Paris ein neues Gesetz verabschiedet werden: Es soll den “Separatimus”, wie Staatspräsident Macron sagt, also den “Sonderweg” von Muslimen in Frankreichs Staat und Gesellschaft beenden. Vorausgesetzt wird von ihm – nach den schlimmen Erfahrungen islamistischen Terrors in Frankreich – die These: Der Islamismus ignoriert die für alle Bewohner Frankreichs geltenden republikanischen Gesetze einer “Republique Laique”. Manche Beobachter meinen, damit werde auch “der” Islam unter den Verdacht “antirepublikanischer” Gesinnung und Haltung gestellt.

Die jetzt von Macrons Regierungspartei (LREM) vorgeschlagenen Gesetze erinnern stark an Macrons Ausführungen schon im Jahr 2016 unter dem hübschen Titel “Revolution”. Es ist interessant, die Identitäten und Verschiedenheiten, damals und heute, in der Auffassung Macrons vom Islam und dem IS herauszustellen. Die Kontinuität der politischen Auffassung ist allerdings dominant!

Beachten auch meine Hinweise vom 8.5. 2017 über Macrons Religiosität, seine Spiritualität sowie seine Verbindungen mit der Philosophie, darin werden auch seine Einschätzungen zur “laicité” deutlich. LINK:

1.
Das erste weit verbreitete Buch von Emmanuel Macron hatte den typisch französischen Titel, möchte man meinen, nämlich “Revolution“. Es wurde veröffentlicht, als sich Macron im November 2016 als Präsidentschaftskandidat präsentierte. Der Untertitel dieses “Revolutions”-Buches war: “Reconcilier la France”: “Frankreich versöhnen”.
2.
Von den 16 Kapiteln ist im Augenblick besonders wichtig das Kapitel 16, wegen der aktuellen heftigen Debatten und der bevorstehenden parlamentarischen Abstimmungen zur Rolle des Islams in Frankreich. Das Kapitel trägt den eher unscheinbaren, keineswegs auf den Islam in Frankreich sofort verweisenden Titel „Vouloir la France“, „Frankreich wollen“, gemeint ist wohl „Frankreich bejahen“ (S. 167 – 1799, hier zitiert nach der Taschenbuch Ausgabe XO Editions, 2017, zum Preis von 5 Euro!).
Es lohnt sich, in aller Kürze einige zentrale Aussagen zu unterstreichen und zusammenzufassen, gerade im Blick auf die aktuellen Debatten im Februar 2021.
Gleich am Anfang betont Macron: „Ja, Frankreich ist ein Wille“ (167). Gemeint: Ein Wille, der den Menschen zur Zustimmung führen sollte.
Aber gleich danach spricht Macron von dem drohenden „Bürgerkrieg“ (168). Von jenen geführt, die „gegen die Gewissensfreiheit sind, gegen die gemeinsame Kultur und gegen eine fordernde und wohlwollende Nation“ sind (ebd.) Der Feind wird DAESH genannt, das ist die Abkürzung für den Islamischen Staat.
Dann spricht Macron ziemlich unvermittelt zum ersten Mal von der sozialen Spaltung (offenbar in den Banlieues sichtbar), die das Feuer legt, das auf Identitäten allen Wert legt. Macron spricht dann von Massenarbeitslosigkeit und wahrhaftigen Gettos „in unseren Städten“ (169). Gemeint sind, immer noch nicht explizit genannt, muslimische Bewohner bzw. muslimische Franzosen in den Banlieues.
Dann folgt wieder unvermittelt ein Absatz über die viel und ständig besprochene laicité, um die es ja jetzt extrem geht, Mitte Februar 2021. Da sagt Macron: „Die Laicité ist eine Freiheit, bevor sie ein Verbot –„interdit“ – ist“. Also, hier schon hoch interessant: Laicité ist eben auch ein Verbot! (S. 169). Und dann folgt: Es gibt eine Unnachgiebigkeit hinsichtlich des Respekts der Gesetze der Republik, und diese Unnachgiebigkeit ist absolut. (S. 170): „In Frankreich gibt es Dinge, die nicht verhandelbar sind“.
Dann folgt eine ziemliche Verfälschung der Geschichte Frankreichs, bezogen auf die Geschichte der Juden: „Wir haben es verstanden, anderen Religionen ihren Platz in der Republik zu geben. Das Judentum hat sich in Frankreich entwickelt im Respekt und der Liebe der Republik. Ein schönes Beispiel dafür, was unsere Geschichte und unsere politischen Entscheidungen zu tun wussten“ (S. 179). Was für eine gewagte These: Da wird die Judenverfolgung unter Pétain unterschlagen, der Faschismus, der damals herrschte, von der Dreyfuss Affäre der Republik ganz zu schweigen.
Und dann folgt wieder die unvermittelte Ermahnung: Bitte nicht in den Bürgerkrieg eintreten, in den uns IS treiben will. Aber: Es ist eben eine Kriegsdrohung. (Mit Kriegen haben bekanntlich immer schwache Regierungen argumentiert, die in einem blinden Nationalismus befangen waren, das am Rande).

3.
Auf Seite 171 kommt Macron endlich zur Sache und er nennt den Hauptfeind, „den radikalen Islam“ (S. 171). Und interessanterweise sagt er in dem Text von 2016: Es geht „nicht darum, neue Texte und neue Gesetze vorzuschlagen“, „wir haben diese“. (S. 171). Jetzt, Mitte Februar 2021, geschieht genau das Gegenteil.
Dann kommt Macron wieder auf die prekären, aber von ihm so nicht genannten Lebensverhältnisse, vor allem der muslimischen Bevölkerung zurück: “Wir müssen unsere Wohnviertel (sic, nos quartiers) neu gestalten und den Bewohnern Möglichkeiten der Moblität und der Würde zurückgeben“, (172) Also: Fehler wurden gemacht, die Elendsquartiere sollten würdiger gestaltet werden. Hier klingt an, dass das Problem Islam und Islamismus ein soziales Problem ist und nicht (nur) ein religiöses!
Und dann kommt der „Knaller“ für einen Politiker eines Staates, der allen Wert darauf legt, sich als Staat gerade nicht in die inneren Angelegenheiten der Religionen einzumischen. Macron hingegen sagt: „Wir müssen dem Islam helfen, seinen Platz in der Republik aufzubauen“. (173)
Es komme alles darauf an, dass der Islam dann „die Werte Frankreichs will“! Diese sind nicht verhandelbar, niemals“ (178) “Frankreich ist groß, wenn es seine Freiheiten denen bietet, die sich Frankreich anschließen wollen“. (178) Aber nur diesen Willigen.
Zuvor hatte Macron noch davon gesprochen, dass wahre Flüchtlinge einen Platz in Frankreich finden können. “Aber alle Personen, die nicht die Berufung (sic) haben (qui n ont pas la vocation..), in Frankreich zu bleiben, weil sie kein Recht auf Asyl haben, müssen wieder zur Grenze zurückgeführt werden“ (177).

4.
Dieses Kapitel über den Islam zeigt: Für Macron ist klar: Islam kann zum Islamismus werden, diesem Islamismus muss der Krieg erklärt werden. Aber über die vielen anderen Muslime spricht Macron nicht. Er erzeugt damit eher Angst vor „dem“ Islam. Wer als Muslim in Frankreich leben will, muss sich anpassen, da ist Macron knallhart. Und paternalistisch hilft der französische Staat, obwohl laique, dass die Muslime sich mit ihren verschiedenen Gruppen bitte schön zu einem einzigen Dachverband vereinigen, damit der Staat besser mit ihnen verhandeln kann und sie besser überschaut.
Insgesamt aber zeigt Macron hier ein Frankreich, das wie ein starres und fixes Werte-System erscheint; das sich nicht dialogbereit und lernbereit zeigt. Warum eigentlich können nicht kluge und liberale Muslime etwas Vernünftiges dem französischen Staat und seinen Bürgern sagen? Macron ist ein Euro-Zentriker, und obwohl nicht konfessioneller Christ, ein Anhänger eines christlichen Frankreich, bei allem Respekt vor den Franzosen, die nicht religiös sind.
Mit anderen Worten: Dieses Kapitel zeigt einen kriegerischen (wie oft ist von Krieg in dem Kapitel die Rede!) und einen ziemlich bornierten und eher traditionellen Geist.

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de

Von der Inquisition zur Mafia und wieder zurück: Über eine Studie von Leonardo Sciascia

Ein Hinweis von Christian Modehn

1.
Was ist Inquisition? Sie ist nichts „Mittelalterliches“. Inquisition ist der Anspruch einer Organisation, total über Menschen verfügen zu können. Der Anspruch einer Organisation, die Wahrheit total zu besitzen, um die eigene angemaßte Macht bewahren zu können. Und daraus folgt: Der Anspruch, selbstständige, freie und dem System widersprechende Menschen zu quälen, zu foltern und auslöschen zu dürfen.
Diesen Anspruch praktizierte an prominenter Stelle Jahrhunderte lang die katholische Kirche: Viele andere totalitäre Organisation folgten dem Vorbild: Nazis, Stalinisten, die extremen Nationalisten… und aktuell: die Mafia.
2.
Es ist das Verdienst des sizilianischen Historikers, Journalisten, Autors und Politikers Leonardo Sciascia, eines prominenten Intellektuellen, das Wesen der katholischen Inquisition auf Sizilien im 17. Jahrhundert genau zu beschreiben. Aber nicht, um dabei nur die alte, vergangene Welten historistisch zu rekonstruieren, sondern um zu zeigen: Die Inquisition lebt – auch in Sizilien -, der Wille zu quälen und zu morden um des eigenen Machterhaltens zerstört das Zusammenleben der Menschen. Das Thema Inquisition gehört also nicht nur in die Religionsgeschichte, es gehört ins Zentrum der Debatten über die Menschenrechte. Sciascia, 1921 – 1989, hatte intensiv die Mafia auf dem Höhepunkt ihrer Aktivitäten und auch einiger Prozesse erlebt, analysiert und verurteilt.
3.
Endlich liegt also in deutscher Sprache die Studie von Leonardo Sciascia über wesentliche Aspekte der Inquisition in Sizilien im 17. Jahrhundert, also unter spanischer Oberherrschaft vor. Sein Buch sollten alle lesen, die von dürren Lexikon-Artikeln bedient sind und mehr wissen wollen: Sciascia bietet anschaulich Details, zeigt Zusammenhänge, vermittelt insgesamt ein Einblick in die dunklen Zeiten der sich katholisch nennenden Herrscher.
4.
Mit seiner akribischen „detektivischen“ Genauigkeit will Sciascia den Blick auf die Inquisition schärfen. Die „Edition Converso“ hat seine umfangreiche Arbeit (aus dem Jahr 1967) mit dem Titel „Tod des Inquisitors“ in dem Buch „Ein Sizilianer von festen Prinzipien“ herausgegeben. Den „Tod des Inquisitors“ erscheint anlässlich des 100. Geburtstages Sciascias am 8. Januar 2021 in kurzer Zeit schon in 2. Auflage.
Die Studie gilt dem Leben und Leiden des Augustinermönchs Fra Diego La Matina, wie Sciascia in Rocalmuto geboren, im Jahr 1622. Auf dem Scheiterhaufen wurde er 1658 in Palermo als „Ketzer“ verbrannt. Die gemeinsame Herkunft hat das Interesse Sciascias für diesen herausragenden, aber in Deutschland bislang unbekannten Ketzer sicher verstärkt.
5.
Über die Inquisition der katholischen Kirche als Form der Verfolgung und Auslöschung von Irrlehrern ist allerhand schon bekannt. Es war immer die totale Herrschaft des Klerus, die sich auf der Seite göttlicher Weisheit wusste und Andersdenkende, Andersglaubende, verurteilte und auch vernichtete.
Was das Buch von Sciascia wichtig macht: Es bietet bewegende Details, etwa, dass der Akt der Verbrennung wie eine Art religiöses Volksfest begangen wurde. Die Kirchenoberen nannten ihr Morden feierlich „Glaubensakt“. Denn in letzter Minute konnten die „Ketzer“ immer noch zum wahren katholischen Glauben zurückkehren. Andere blieben standhaft, sie verbrannten bei lebendigem Leibe.Und die fromme schaulustige Menge beschimpfte diese „Ketzer“. Zuschauer waren also auch höchst willkommen, als der Augustiner Frau Diego verbrannt wurde. Es gab einen riesigen Aufbau nach Art eines Freiluft-Theaters, mit Getränken und Speisen, wurden zumal die klerikalen Herrschaften die Inquisitoren bestens versorgt. Und vor allem: Den Teilnehmern an diesem Mordsspektakel wurde der Ablass gewährt: Sie würden also in den Himmel kommen, das häretische Brand-Opfer natürlich nicht.
6.
Fra Diego, der Ketzer, gehörte als Diakon dem Reformorden der Augustiner an, den „Augustinern von Sant Adriano“ (S. 59). Er war schon mehrfach wegen Häresie aufgefallen, dreimal wurde er verhaftet, ins Gefängnis gesteckt, auf die Galeeren verurteilt. Einmal konnte er sogar aus dem Gefängnis der Inquisition fliehen, er wurde wieder verhaftet und nahm dann alle Kraft zusammen, den dort bestimmenden spanischen Inquisitor Don Juan Lopez Cisneros so schwer zu verletzen, dass er an den Folgen alsbald, am 4.4.1657, starb. Sciascia zeigt, mit welcher Verlogenheit dann die Propaganda der offiziellen Kirche diesen inquisitorischen Agenten von Verfolgung und Tötung mit Lobeshymnen überhäufte.
7.
Sciascia konnte trotz aller ausgiebiger Forschungen mangels eindeutiger Dokumente nicht zur Erkenntnis gelangt, was denn inhaltlich gesehen als Häresie Fra Diego vorgeworfen wurde (vgl. S. 97, auch S. 66). Sciascia kann nur aus einzelnen Hinweisen schließen, dass der Augustiner mit aller Leidenschaft für den Respekt des Evangeliums in seiner Kirche und in der weltlichen Herrschaft eintrat. Evangelium hieß für ihn immer: Das Tun der Gerechtigkeit, vor allem für die Armen. Seine letzten Worte kurz vor dem Flammentod werden überliefert: „Also ist Gott ungerecht“. Damit bezog sich Frau Diego auf die willkürliche Bibelinterpretation eines offiziellen Theologen, der mit ihm noch in letzter Minute sprach. Der junge Augustinermönch wird von Sciascia als Verteidiger humaner Werte dargestellt, der – letztendlich – schon damals die gemeinte Sache der Menschenrechte tausendmal wichtiger fand als Kirchenlehren. Fra Diego lebte in der Erinnerung weiter: Wiederum ein Augustiner, Fra Romualdo aus Caltanisetta, befasste sich mit dem „Ketzer“ Fra Diego, und nannte ihn, 50 Jahre nach dessen Hinrichtung, einen Märtyrer. So viel Lob für Fra Diego konnten die Kirchenoberen nicht ertragen, darum wurde der arme Fra Romualdo nun seinerseits am 6.4.1724 von der Inquisition verbrannt.
8.
Man sollte Sciascias Buch lesen und dabei auch seine Ironie, seinen Zorn gegen die Kirche, in den Zeilen und zwischen den Zeilen erkennen. Sciascia kennt auch die Kirche in der Mitte des 20. Jahrhunderts, er weist z.B. darauf hin, dass der Kölner Kardinal Joseph Frings auf dem 2. Vatikanischen Konzil heftig die Inquisition kritisierte (am8. November 1963). Er nannte die Inquisition und ihre personell bestens ausgestattete Behörde im Vatikan „eine Gefahrenquelle für die Gläubigen“ (S.103). Wohl wahr und …wie nett: „Eine Gefahrenquelle“, die man als Gläubiger also besser meidet und ergeben die allgemein vorgegebenen ethischen und dogmatischen offiziellen Lehren befolgt…

Leonardo Sciascia, Ein Sizilianer von festen Prinzipien. Edition Converso, Bad Herrenalb, 2021, aus dem Italienischen von Monika Lustig. 192 Seiten, 23 €.
Das Buch enthält darüber hinaus ein Grußwort der Übersetzerin Monika Lustig sowie die kleine, aber unglaublich bewegende Studie aus der Zeit der Pinochet – Diktatur in Chile mit dem Titel „Der Mann mit der Sturmmaske“. In diesem Beitrag Sciascias wird auch auf Verbindungen zur verbrecherischen, faschistischen, von Deutschen gegründeten „Colonia Dignidad“ hingewiesen. Erhellend ist auch ein umfangreicherer Essay über Sciascias Leben und Werk von Maike Albath mit dem Titel „Klarheit, Vernunft und Häresie“ sowie ein kurzer Essay von Santo Piazzese über „Die ironie – ein sizilianisches Instrument des Überlebens“.

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de