300 Jahre Jean – Jacques Rousseau

300 Jahre Jean – Jacques Rousseau

Von Christian Modehn

Zum 300. Geburtstag des vielseitigen Philosophen am 28. 6. möchten wir noch einmal kurz auf die Aktualität seiner Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie hinweisen. Dabei ist entscheidend:

Rousseau nimmt teil am Kampf der Aufklärung gegen die “betrügerischen Priester”  und den Aberglauben (in) der Kirche.  Die Gestalt Jesu sieht er als Vorbild eines Erziehers der Menschlichkeit, seine Worte erreichen direkt das Herz des Menschen. Jesu brutaler Tod am Kreuz ist der Tod eines Einzelgängers, von allen Seiten verleumdet. Irgendwie “erlösend”, sozusagen automatisch für alle Menschen aller Zeiten, ist dieser Tod aber nicht. Wer Jesus nachfolgen will, muss einzig auf die Stimme seines Gewissens hören. Das Gewissen ist die Quelle der Wahrheit. “Darin zeigt sich die göttliche Dimension, die unsterbliche und himmlische Stimme”, so Rousseau im “Emile”. Für Rousseau haben die christlichen Kirchen den wahren Geist des Christentums verloren. “Die Herrschaft, die die Theologen ausüben, geschieht über einen priesterlichen Despotismus in der Auslegung der Heiligen Schrift. Dabei wird das Wesentliche vergessen, das Hören auf das Wort Gottes und die die Praxis seiner Gebote”, schreibt Dominique Julia in dem Buch “Histoire de la France religieuse”, Band 3, Seite 153. Für Rousseau ist die bestehende Kirche nicht in der Lage, humanistische Ethik in der Welt zu verbreiten und zu fördern, weil ihre Prinzipien auf Willkür und Macht beruhen. “Die Kirche und ihre Lehre dient nur dazu, unter den Menschen Spannungen zu erzeugen, Kriege aller Art”, so Rousseau in einem Brief an Christophe de Beaumont, Erzbischof von Paris. Von daher wird der Wunsch Rousseaus immer stärker, das “Glaubensbekenntnis des Vikars aus Savoyen” zu fördern, für den sich Gott in der Vernunft zeigt und im Gewissen. “Und wenn Gott sich für Rousseau zeigt, dann nicht über kirchliche Vermittler. =Jean Jacques=, wie er von sich selbst schreibt, versteht sich so nicht als Schüler der Priester, sondern als Schüler Jesu Christi”.  (ebd. S. 154.) In der Kritik der bestehenden Religion in Frankreich damals stimmt Rousseau weithin mit – seinem Gegner –  Voltaire überein. Diese Philosophen waren die ersten, die für die Freiheit und Selbständigkeit der Glaubenden gegenüber den – als willkürllich – autoritär erscheinenden – kirchlichen Institutionen eintraten; deren Überzeugung, so bestätigen Religionssoziologen heute aus Umfragen, setzt sich jetzt immer mehr durch. Wir leben also in einer Gesellschaft, in der die Menschen mit ihrer Vernunft und ihrem Gewissen entscheiden, was sie selbst religiös für wirklich entscheidend halten. Ist das Ende der Institutionen also absehbar, selbst wenn sie faktisch und äußerlich noch bestehen, fragt Rousseau. In jedem Fall: Rousseau lebt, auch sein Denken über Religionen… und lädt ein zum Disput.

Rousseau zum 300. Geburtstag: Wo sind die wahren Menschen?

Wo sind die wahren Menschen?

Erinnerung an den Philosophen Jean Jacques Rousseau

Von Christian Modehn

Wie lebt ein Mensch, der die Üblichkeiten und Moden seiner Zeit zurückweist und die „angesagten“ Meister – Denker ablehnt? Jean Jacques Rousseau, Dichter, Komponist, Philosoph, hat sich im 18. Jahrhundert, in Zeiten politischer Rechtlosigkeit, für diesen Weg individueller Freiheit entschieden. Kein Wunder, dass er sich auch anders kleidet, auf die üblichen Kniestrümpfe und Perücken verzichtet; erst recht auf die zur Schau gestellten Accessoires, etwa den Degen. Er will nur eins: Authentisch leben und niemandem untertan sein. Dabei entdeckt er, dass er gerade in der alternativen Lebensform zum kreativen Denken findet. Die feinen Salons der Pariser Philosophen lernt er zwar kennen, die Aufklärer, Holbach, Diderot, Voltaire. Aber er zieht es vor, seine eigenen Ideen zu entwickeln. Selbstbewusst lehnt Rousseau sogar eine großzügige Rente des Königs ab. Er will lieber arm als abhängig leben. Einen freien Geist finden die Despoten unerträglich: Sie zensieren seine Bücher, lassen sie verbrennen, verfolgen den Autor.

Vor 300 Jahren, am 28. Juni 1712 in Genf geboren, wird er von seinem Vater, einem Uhrmacher, privat unterrichtet. Eine Schule besucht er nicht. Alle erreichbaren Bücher studiert er leidenschaftlich, etwa den antiken Schriftsteller Plutarch oder die gängigen philosophischen und theologischen Autoren, wie Bayle oder Fénélon. In lebt in der Gewissheit: Den Menschen zeichnet die „Sprache des Herzens“ mehr aus als der rechnende Verstand. Mit 16 Jahren verlässt er seine Heimatstadt. Sein unstetes Leben beginnt, das Wandern zwischen Frankreich, Italien und der Schweiz. Selbst nach England verschlägt es ihn. Es ist die Suche nach einer dauerhaften Bleibe. Nie wird er sie finden. 1778 stirbt er in Ermenonville (bei Paris). Calvinistisch getauft, konvertiert er im Alter von 16 Jahren zum Katholizismus, später (1754) wendet er sich wieder dem  Protestantismus zu. Vielseitig begabt, verdient er zuerst sein Geld als Hauslehrer, Notenkopist, Sekretär. „Autodidakt“ ist für ihn kein Schimpfwort.

Ungewöhnlich und vielschichtig sind die Anregungen seiner Bücher  bis heute. Etwa die Frage: Wie kann ich meine Privatsphäre schützen, meine Eigenheit als Individuum entwickeln und bewahren? Angesichts allgegenwärtiger öffentlicher Video – Kontrollen oder der Selbstpreisgabe vieler Menschen im Facebook ist die Antwort Rousseaus radikal: Nur in dauernder Distanz zur Gesellschaft ist authentisches Leben möglich. „Es wäre aber zu einfach, die hochmütige Einsamkeit Rousseaus als Beweis für eine Neurose zu deuten. Man muss in ihr die Glorifizierung des Privaten als Grundlage der philosophischen Wahrheitsfindung sehen“, schreibt der Historiker Jean Marie Goulemot. Rousseau hat den Anspruch, alle Erkenntnisse mit dem eigenen Gewissen zu konfrontieren. Nur in der engen Verbundenheit mit dem echten Gefühl des eigenen Herzens entsteht die eigene, unvertretbare Identität. Sein „eigenes“ Leben offenbart er in Briefen und Bekenntnissen, in Gesprächen und den „Träumereien eines einsamen Spaziergängers“. „Ich will vor meinesgleichen einen Menschen in aller Wahrheit zeigen“, schreibt er in seinen „Bekenntnissen“, „und dieser Mensch werde ich sein“. Nicht mehr Gott ist der Adressat der „Confessiones“, der Bekenntnisse, wie im gleichnamigen Buch des Heiligen Augustinus (5.Jahrhundert). Rousseau „beichtet“ sozusagen bei seinem besseren Ich … und den anderen.  Der Philosoph Jürgen Habermas hat darauf hingewiesen, dass sich „Rousseaus Bekenntnisse nicht an der Wahrheit historischer Aussagen bemessen, sondern an der Authentizität der Selbstdarstellung. Sie setzen sich, was Rousseau weiß, dem Vorwurf der Doppelzüngigkeit und der Selbsttäuschung aus, nicht aber dem Vorwurf der Unwahrheit“.

Diese ungewöhnliche „Selbstdarstellung“ ist ein Wagnis, aber sie wird Schule machen: „Rousseau will die Transparenz der Herzen fördern, die das Merkmal nicht – korrumpierter Gesellschaften ist“, so der Historiker Jean Marie Goulemot. „Darum gesteht er öffentlich seine masochistische Lust an Züchtigungen in der Jugend, seine Liebesaffären, seine vielfältigen Versuchungen. Er will den tiefsten Grund seines Ichs verstehen, er begibt sich auf die Suche nach Schlüsselerlebnissen, die seine Persönlichkeit erklären“. Dazu gehört auch das Eingeständnis von Schuld: Seine Kinder, fünf insgesamt, hat er gleich nach der Geburt (in den Jahren 1747 bis 1752) in ein Heim für Findelkinder gegeben, aus Angst, wie er später bekennt. Er fürchtet nämlich, für die Kinder angesichts seiner eigenen Krankheiten und des alsbald bevorstehenden Todes nicht mehr sorgen zu können. Zudem lebte er mit seiner Partnerin, der Wäscherin Thérèse Levasseur, unverheiratet zusammen. Sie wäre, im Falle seines Todes, nicht imstande gewesen, sich um die Kinder zu kümmern. Mit „starken Gewissensbissen“ erinnert sich der alte Rousseau an die Fortgabe der eigenen Kinder. Der Philosoph Bernhard H.F. Taureck weist immer wieder darauf hin, dass Rousseaus Leben von „Dissonanz“ geprägt sei, also von „Missklängen“ und fehlender Harmonie. Ein „Heiliger“ war er nicht, wie manche seiner Verehrer im 19. Jahrhundert meinten, als sie „ihren“ Rousseau auf Amuletten stets bei sich hatten oder mit  Büsten des „Verewigten“ ihr Zimmer schmückten.

Viele seiner Erkenntnisse bestimmen das geistige Leben bis heute.

Mit der schonungslosen Offenlegung des eigenen Ich gerät Rousseau in Opposition zu den viel beachteten Philosophen Holbach oder d  ` Alembert. Sie halten sich, so meint er,  an „den kalten und objektiven Verstand“. Sie sprechen nur von anderen oder von dem „Abstrakt – Allgemeinen“, nicht aber von sich selbst. Mit diesen Philosophen kann Rousseau auf Dauer keine Freundschaft schließen.

Zum eigenständigen Denker wird er im Jahr 1749. Unterwegs in Vincennes bei Paris „empfängt“ er, so sein Bericht, „wie im Rausch Inspirationen und wird von tausend Lichtern geblendet“. Rousseau entschließt sich, auf die aktuelle Preisfrage der Akademie von Dijon zu antworten: „Hat die Wiederherstellung der Wissenschaften und der Künste zur Verfeinerung der Sitten beigetragen“? Seine Antwort, ein klares Nein, überrascht die tonangebenden Meisterdenker: Denn Rousseau findet den zur Schau gestellten Optimismus der Intellektuellen unerträglich. Er zeigt, wie die viel beschworenen Tugenden nur leere Floskeln sind. „Tatsächlich reden unsere Staatsmänner von nichts als von Handel und Geld“. Die Geschichte insgesamt erscheint ihm als Abkehr von dem, was die Menschen auszeichnet: Respekt vor dem Gewissen, Respekt vor der Würde. Fortschritt bedeutet also nicht „Verbesserung des Menschlichen“.

Rousseau ist überrascht, dass seine Thesen tatsächlich von der Akademie angenommen und prämiert werden. Mit einem Schlag ist er berühmt … und von vielen angegriffen, die meinen, technischer Fortschritt sei insgesamt heilsam für die Menschheit. Schuld am Niedergang der Humanität sei aber der exklusiv und heilig gehaltene Privatbesitz, meint Rousseau. Auch darin ist er inspirierend bis heute. „Die herrschende politische Ordnung sichert das Eigentum weniger. Der Besitzlose wird diesem System unterworfen. Der Dämon des Eigentums infiziert alles, was er berührt“, schreibt er. Und weist dann darauf hin, wie die Reichen beim Raffen sich selbst fremd werden. „Ein Reicher will eben überall der Herr sein. Deswegen will er immer dort hin, wo er gerade nicht ist. So ist er gezwungen, auch sich selbst stets zu fliehen“. Aber schaffen diese entfremdet lebenden Reichen nicht doch auch Wohlstand für viele, wie schon damals behauptet wird. Rousseau meint: „Der Luxus mag nützlich sein, um den Armen Brot zu geben. Doch wenn es keinen Luxus gäbe, dann gäbe es auch keinen Armen. Denn der Luxus nährt vielleicht 1000 Arme in unseren Städten, aber er bewirkt den Tod von 100.000 auf dem Lande“.

Darum muss die feudalistische Ordnung verschwinden, meint Rousseau, nur eine Republik kann die Gleichheit aller Menschen respektieren. In seiner viel beachteten Schrift „Vom Gesellschaftsvertrag“ hat sich Rousseau dazu ausführlich geäußert. Seitdem wird leidenschaftlich die Frage diskutiert: Wie kann der einzelne Mensch erkennen, dass es gut für ihn ist, mit anderen gerechte Gesetze zu schaffen. Von dieser republikanischen Ordnung kann der einzelne in seiner Freiheit geschützt werden und die vielen anderen auch, die von einem gerechten System profitieren. Wahre Freiheit besteht in der freiwilligen Bindung an die Gesetze, die sich alle gegeben haben. Zu Zeiten Rousseaus war das noch ein Traum. Aber mit diesen Thesen wird der Feudalismus ins Wanken gebracht und die Französische Revolution vorbereitet. Robespierre hat sich später auf Rousseau berufen. Aber von der Guillotine hat der  Philosoph nichts geschrieben.

Die Überzeugung, dass Gleichheit aller Menschen gut und wertvoll ist, braucht für Rousseau eine religiöse Fundierung. Auch darin ist er aktuell: Ohne eine allen gemeinsame Spiritualität, so Rousseau, fällt die Gesellschaft aus Menschen unterschiedlicher Überzeugungen auseinander. Feindseligkeiten entstehen, wenn jede Religion sich für die wahre hält. Darum plädiert Rousseau für eine neue, allen gemeinsame überkonfessionelle „Zivil – Religion“. Sie folgt den Einsichten der Vernunft, nicht den Weisungen heiliger Bücher. Ohne den Glauben an einen vernünftig handelnden transzendenten Gott kann es keine guten Bürger geben, meint Rousseau. Am wichtigsten bleibt für ihn die absolute Verpflichtung aller zur Toleranz und zum Kampf gegen die Intoleranten: „Ich bezeichne als intolerant einen Menschen, der glaubt: Man könne kein wahrer Mensch sein, ohne auch das zu glauben, was er selber glaubt. Und der alle verdammt, die nicht denken wie er“.

Was hat Rousseau selbst geglaubt? Obwohl er für eine allgemein menschliche Vernunftreligion eintrat, „fühlte er sich als ein Jünger Jesu Christi“, wie Pater André Ravier SJ betont. Er hat allerdings die Lehren des Evangeliums seiner eigenen Prüfung unterworfen. Er kann  nur die christlichen Lehren beibehalten, die seinem inneren Gefühl und der Vernunft entsprechen. Auch darin ist er aktuell.

Entscheidend bleibt für ihn am Lebensende die enge Verbindung mit der Natur. Sie schenkt ihm Gefühle unendlicher Geborgenheit: „Das Hin – und Herfließen des Wassers, sein gleichmäßiges Geräusch, zugleich in Intervallen anschwellend und mein Ohr und meine Augen ohne Unterlass erreichend, ersetzte meine inneren Bewegungen, so dass die =Träumerei=  in mir erlosch, also die Unordnung meiner Gedanken“. Jean Jacques Rousseau erinnert sich an einen Abend am Bieler See, am Rande des schweizerischen Jura. Es sind Augenblicke, die ihm Lebensenergie schenken. Das überraschende Einswerden mit der Natur, so schreibt Rousseau in seinen „Träumereien eines einsamen Spaziergängers“, „genügte, um mich mit Lust meine Existenz fühlen zu lassen“. Es gibt also doch etwas Glück und ein bisschen Trost, auch in Zeiten der Selbstzerstörung der Menschheit.

Copyright:; christian modehn. Dieser Beitrag erschien in der empfehlenswerten Zeitschrift PUBLIK FORUM, dort aucn Probeabonnements bestellen!

Wir empfehlen als ersten „Einstieg“  die RoRoRo Monographie „Jean Jacques Rousseau“ von Bernhard H.F.Taureckt, Reinbek bei Hamburg 2009.

 

 

 

Natur und Philosophie: Ein Spaziergang

Der Religionsphilosophische Salon macht einen Spaziergang: Natur erleben – Natur bedenken

Ein philosophischer Spaziergang am Freitag 20. Juli 2012, Beginn um 16. 30.

Nun kann jeder Spaziergang zum Philosophieren verführen. Wir versuchen es etwas gezielter:

Wir wollen von Waidmanslust aus ein Stück des Tegeler Fließes Richtung Lübars  entlang gehen, innehalten, besprechen, wie wir Natur und Park erleben: Gibt es überhaupt noch Natur? Ist alles längst Kultur? Wäre das schlimm? Kann, wie im Mittelalter, noch ansatzweise Natur ein Denkweg zum Göttlichen sein? Warum brauchen wir das Abstandnehmen in der Natur? Welchen Sinn macht eine “Natur – Spiritualität”?

Nebenbei werden Impulse gegeben, etwa zur Parklandschaft, zu den englischen und französischen Parks…Oder Themen, die von den TeilnehmerInnen in dem Zusammenhang vorgeschlagen werden.

Darüber werden wir dann weiter austauschen in der Labsaal bzw. im Lübarser Dorfkrug.

Ist es zu viel verlangt, wenn jede und jeder, die/der wirklich teilnehmen will, vorher sich anmeldet? Denn wir wollen danach noch etwas in Lübars zusammen bleiben und weiter diskutieren… Da will ich einige Plätze reservieren. Darum bitte ich bei Interesse um Anmeldung an:christian.modehn@berlin.de

Ausgangspunkt unseres Spaziergangs ist der (kleine) Robinienweg Ecke Berliner Str., dicht am S Bahnhof Hermsdorf und dicht am Fließ um 16.30.

Auch diese Veranstaltung des Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salons ist kostenlos, aber sicher nicht “umsonst”.

 

 

Auch diese Veranstaltung des Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salons ist kostenlos, aber sicher nicht “umsonst”.

“Die Gestalt des Windes” – Eine Ausstellung von Bingyi in Berlin

“Die Gestalt des Windes” –  Zu einem Galerie – Besuch des Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salons am 15. 6. 2012

Die Ausstellung „Die Gestalt des Windes –  In den Fuchun Bergen“ der Künstlerin Bingyi (New York – Beijing) erleben die TeilnehmerInnen unseres Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salons als eine Zusammenfügung moderner Malweise und klassischer chinesischer Landschaftsmalerei. Modern ist diese ungewöhnliche Arbeit, weil sie als „action painting“ entstanden ist. Die Künstlerin gestaltet ihr Werk – zusammen mit einem Assistenten – in einigen Stunden; sie arbeitet mit dem freien Spiel von Wasser, Asche, Wind (Luft), ja sie tanzt dabei auf dem Papier in weißem Gewand, wie uns die Kuratorin der Ausstellung, Frau Zhang Jue, berichtet. Klassisch ist die Dimension dieser 160 Meter langen Arbeit, die an der Kuppel der St. Johannes Evangelist Kirche in Mitte befestigt ist, weil an der Dreiheit von „Himmel – Erde – Mensch“ festgehalten wird. Der Raum der (evangelischen Kultur – ) Kirche reicht leider nicht aus, um tatsächlich die ganze 160 Meter lange Arbeit auszurollen. Dieses “fragmentarische Zeigen” kann man aber wohl durchaus als Teil der Kunst selbst verstehen. Die Verwendung von Asche ist nur ein Hinweis, dass mit der Vergänglichkeit (des einst benutzten, nun zu Asche gewordenen Papiers) gearbeitet wird, aber aus dem Vergänglichen und Toten entsteht wieder ein Werk, das zur Meditation anregt und durch die Inspirationen Leben weckt  und den Geist wach macht. Eines Tages aber wird diese Kunst aber auch vergangen und verschwunden sein, sie wird wieder verwendet zu neuem Werk. Kunst und philosophische Meditation fügen sich zur Einheit.

Die Arbeit von Bingyi wurde von der Galerie WiE der Öffentlichkeit präsentiert, hinter dem Kürzel WiE verbirgt sich West Information East, damit wird ausgedrückt, dass die Galerie in der Heidestr. in Berlin – Mitte dem Kulturaustausch verpflichtet ist, so werden etwa auch Konzerte von der Galerie WiE organisiert. Gegründet hat diese wichtige Kulturinitiative Frau Cheng Yang.

Der Besuch der Ausstellung „Die Gestalt des Windes“ in der evangelischen Johannes Kirche ist für uns ein Impuls, noch deutlicher auch den philosophischen Blick nach China zu richten. Wir hoffen auf eine gemeinsame Veranstaltung, die sich etwa mit dem Thema der „Mitte“ in klassischen chinesischen Denken  (etwa bei Konfuzius) und  der europäischen Philosophie (etwa bei Hegel) befasst. Interessant zu hören und zu lesen ist es schon, wie sehr auch chinesische Künstler Berlin als einen kreativen „Umschlagplatz“ für interkulturelle Begegnungen erleben. Wir weisen gern auf die Zeitschrift YISHU hin, die im Jahr 2002 als Englisch – sprachiges Magazin für zeitgenössische chinesische Kunst in Kanada gegründet wurde.

Die Ausstellung ist noch bis zum 8. Juli 2012 von Diestang bis Sonntag von 12 Uhr bis 20 Uhr zu sehen, der Eintritt ist frei. Deutsch sprachige Führungen sind von Donnerstag bis Samstag um 15 Uhr. Am 22.6. udn 23. 6.wird ein Konzert geboten unter dem Titel “Eine Reise der Seele”. Der Ort: Auguststr. 90, 10117 Berlin.

“Zivilreligion”: Ein Vorschlag von Jean – Jacques Rousseau

Civil religion – ein Vorschlag von Jean Jacques Rousseau

Hinweise anlässlich seines 300. Geburtstages am 28. Juni 2102

Von Christian Modehn

Unter den zahlreichen Vorschlägen Jean Jacques Rousseaus (1712 – 1778)  zur Pädagogik, Literatur, Musik und Philosophie ist sein Beitrag zur „religion civile“, zur überkonfessionellen „Religion aller Bürger“ in der Republik,  immer noch interessant und der Diskussion wert. Dabei ist es keine Frage: Seine Vorschläge von damals können heute nicht als solche übernommen werden. Aber seine Frage bleibt dringend: Was eint die Bürger unterschiedlicher Ideologien, Weltanschauungen und Religion in einem Staat, der die Fürsten vertrieben hat? Ausgangspunkt für Rousseau war, dass die überlieferte Offenbarungsreligion, also für ihn vor allem das Christentum, vor den Ansprüchen der Vernunft keinen Bestand hat und deswegen als „religion civile“ nicht in Frage kommt. Diese christliche Religion wird wegen ihrer ungeklärten diffusen Vorstellungen von Gott („unfassbare Mysterien“, „sinnlose Widersprüche“) und dem Menschen zurückgewiesen; vor allem aber, weil sie aufgrund ihres absoluten Wahrheitsanspruchs zur Intoleranz aufruft und kein friedvolles Miteinander fördert. „Anstatt den Frieden auf Erden einzuführen, bringen die (kirchlichen) Dogmen Eisen und Feuer dorthin“. Darum konzipierte Rousseau – wie andere Kollegen aus dem Kreis philosophischer Aufklärung in Frankreich – zunächst auf seine Weise eine „natürliche Religion“. Darum ist ein oberster Grundsatz: „Die Intoleranz der fanatischen Religionen muss überwunden werden“.

Das Besondere ist: Rousseau will die „natürliche“, also die vor der Vernunft beständige Religion, ausweiten auf das politische Feld. Aus seiner natürlichen Religion wird die „religion civile“.  Sie soll die Volkssouverenität in der Republik verbindlich machen.  Alle Bürger sollen dieser religion civile anhängen und sich einfachen Einsichten, Dogmen genannt, bekennen, wer dazu nicht bereit ist, hat im Sinne Rousseaus mit Strafen zu rechnen. Dabei spielt die Existenz eines mächtigen und wohltätigen und voraussehenden Gottes eine zentrale Rolle. Es wird die göttliche Bestrafung der Bösen gedacht; es ist von der „Heiligkeit des Sozialvertrags und der Gesetze“ die Rede. Ausgeschlossen ist in dieser Religion die Intoleranz. Dabei ist die Tendenz problematisch, faktische Gesetze als heilig zu betrachten….

Rousseau wollte angesichts der intellektuellen Schwäche und Verderbtheit des Christentums zu seiner Zeit einen Ausweg aufzeigen, sozusagen eine nach  – christliche Religion konzipieren, die der Republik Dauer und Bestand verleiht. Für Atheisten ist in dieser Republik, die der religion civile folgt, kaum ein Platz. Rousseau unterstellt, Atheismus impliziere Formen des Egoismus und eine Nachlässigkeit gegenüber dem Guten, eine Position, die noch gegenüber der von Voltaire milde ausfällt: Voltaire meinte, „der Atheismus führe zu allen Arten von Verbrechen“.

Praktisch hat sich diese religion civile von Rousseau kaum durchgesetzt, am ehesten finden sich Anklänge in der Religion der Theophilanthropen, die während der Französischen Revolution entstanden bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts ihre Kulte gestalteten, oft in katholischen Kirchen, wo man sich, wie in St Merri in Paris, den Kirchenraum teilte. Unter Napoleon wurden die Theophilanthropen verboten. Sie waren eine humanistisch – deistische Konfession mit starkem Akzent auf der Pflege ethischen Bewusstseins.

In Frankreich wurde 1905 die Trennung von Kirche und Staat per Gesetz vollzogen. Der Staat definiert sich weltlich und ohne jeden Bezug auf Gott und ohne Bevorzugung einer Religion. In dieser Situation kam eine „religion civile“ nicht in Frage: Man musste auf die faktische Konfessionsvielfalt Rücksicht nehmen, auch auf den Atheismus und konnte keinen deistischen Gott als oberste Einheit propagieren. Als das einende Band der Republik wurde die Moral angesehen, die republikanische Moral, die in den Schulen gelehrt wird und den Geist der Laizität verbreitet; also den Geist der völligen rechtlichen Gleichberechtigung aller Religionen in der Republik und der Neutralität des Staates gegenüber diesen Religionen. Diese Laizität, immer weiter entwickelt, ist die (auch moralische) Basis Frankreichs (oder sollte es zumindest sein).

In den USA hingegen spielt die „civil religion“ als nicht – konfessioneller Überbau über (!) allen Religionen immer noch eine entscheidende Rolle. „Gott“ wird dort ständig beschworen (von ihm ist auf Dollarnoten die Rede), es ist nicht der Gott der Bibel, sondern ein abstraktes transzendentes Wesen, eine Art absoluter Schutzschirm für die Nation. Deswegen haben dort auch Atheisten keinen leichten Stand, obwohl sie immer zahlreicher werden….

Durch Rousseau wird die Frage wieder aufgeworfen: Welche Ideen, welcher „Glaube“,  bindet die Menschen in der zunehmenden Vielfalt an die Republik? Sind es die Menschenrechte? Können sie fundamentalistischem Wahn Einhalt gebieten? Können Fundamentalisten zur Republik, zur Demokratie, den Menschenrechten „erzogen“ werden? Wie kann das gelingen? copyright: christian modehn, berlin.

Als Lektüre empfehlen wr:

La Laicité à l epreuve. Dirigé par Jean Baubérot. Edition Universalis, Paris 2004.

Karlfriedrich her und Bernard H.F.Taureck, Rousseau brevier, Wilhelm Fink verlag, München 2012.

Lob der Lauheit. Ra­dio­sen­dung WDR 3 am 29.7.um 8.30 Uhr

 

Dämpfer für Hitzköpfe und Unterkühlte.

Ein Lob der Lauheit

Von Christian Modehn – Eine  Ra­dio­sen­dungin WDR 3 um 8.30 bis 9.00.

Wer den Normen religiöser Autoritäten nicht entspricht, wird von ihnen gern „lau“ genannt: Wahre Bekenner sollten glühen, zur Hingabe, möglichst zum Martyrium, bereit sein. Der Autor des neutestamentlichen Buches „Apokalypse“ will die „Lauen“ gar „ausspeien“, also vernichten. Heute reagieren die Menschen darauf eher gelassen: Sie gehen ihren „lauen Weg“ der Mitte“. Und der ist alles andere als mittelmäßig oder von Gleichgültigkeit geprägt. „Laue Menschen“ möchten nur nicht spirituell verglühen, wollen ein religiöses „burn out“ vermeiden. Ein desinteressiertes, „erkaltetes Herz“ kommt für sie aber auch nicht in Frage. Ihnen gelten Toleranz, Respekt und Nachsicht als oberste Tugenden. Das Freund – Feind – Denken weisen sie zurück und das radikale „Entweder – Oder“  lösen sie auf  – zugunsten eines friedvollen „Ja – Aber“.

 

> Michael aus Münster schrieb: (Eingereicht am 30.07.2012 um um 18:20 Uhr am Montag, 30. Juli 2012):

> gerade habe ich die Sendung Lob der Lauheit gehört: > http://www.wdr5.de/sendungen/lebenszeichen/s/d/29.07.2012-22.35.html

> Anders als früher wird heute

>  im immer noch katholisch dominierten

>  Münsterland durchaus scharf gegen laue

>  Christen gepredigt, was aufstößt.

> Einige Predigten haben sogar Wagenburg-artigen Charakter.

>  In Münster, der Stadt der Täufer, und im Münsterland wirkt sowas abstossend,

>  insbesondere, wenn die Prediger – wie meist – keine rhetorischen Leuchten

>  sind oder der Sermon als Doppelmoral daherkommt.

> Man kann diese Predigten auch als Reflex auf Kirchenkritik an

>  Schließung und Abriss von Kirchengebäuden nehmen,

>  wo die Kirchenhierarchie-Kämmerer sich wie ein Landlords

>  aufführen und sich weigern, die mittels Lohnverzicht

>  über die Kirchensteuer hinaus *aller* Ansässigen in den 50ern erbauten Gebäude

>  den klammen Komunen zu finanzierbaren – nicht marktwert orientieren – Preisen

>  für gemeinnützige Ziele zugänglich zu machen.

> Arm sind die Bistümer in den von den Kirchenschließungen betroffenen, früher

>  erzkatholischen Gegenden – wie das Münsterland – nicht, man konnte die Schulden

>  des Bistums Berlin aus der Portokasse bezahlen.

> Die Lauheit könnte z.B. mal als fehlende Transparenz in den Finanzen der im

>  Reichshauptdeputationsschluss 1803 säkularisierten Bistümer bekämpft werden.

> Was da brennt,  sind nicht die Herzen, sondern die Belege, Überweisungsträger und

>  in nur kleinsten Kreisen bekannten Bilanzen.

 

Der heilige Geist wird noch skeptischer angesichts der “Vatileaks”. Ein Brief aus Rom

Der heilige Geist wird noch skeptischer angesichts der “Vatileaks”: Ein Brief aus Rom

Von Christian Modehn

Unser kleiner Hinweis auf dieser website kürzlich auf den heiligen Geist, der als Geist eben auch skeptisch ist, prüfend und immer fragend, hat selbst in Rom, der Papststadt,  Aufmerksamkeit gefunden.

Wir freuen uns, dass ein Leser – angesichts der ersten bescheidenen Freilegungen etlicher älterer und jüngerer Skandale – uns aus Rom schreibt: „Der heilige Geist wird wohl noch skeptischer“.

In dem Text heißt es, und das ist neu in der Debatte: Es werde immer fraglicher, wie von diesem Staat aus, dem so genannten Heiligen Stuhl, die absolute Bestimmung zufallen kann, für alle Katholiken weltweit zu definieren, was zu glauben ist und wie „man“ moralisch zu leben hat.  Kurz: Ein offenbar korruptes, absolutistisches System, das an die „Glanzzeiten“ der Renaissance erinnert,  maßt sich an, zu definieren, was Evangelium ist, was Jesus von Nazareth tatsächlich wollte, was die große humanistisch- universale Vision Reich Gottes bedeutet.

Die Freilegung struktureller Korruptheit des römischen Systems heute ist vielleicht eine noch größere Erschütterung als die Freilegung des sexuellen Missbrauchs durch Priester weltweit über viele Jahre.

Da ist, so wird von unserem Leser betont, eine absolute Monarchie, so versteht sich der Vatikan auf seiner offiziellen Website selbst.

(„Die Regierungsform ist die absolute Monarchie. Staatsoberhaupt ist der Papst, der die absolute gesetzgebende, ausführende und richterliche Gewalt inne hat“.

Gewaltenteilung gibt es also nicht, siehe: http://www.vaticanstate.va/DE/Staat_und_Regierung/Geschichte/Die_Vatikanstadt_heute.htm

Und diese absolute Monarchie, wo alles in den Händen – eines (nun 85 jährigen) Papstes liegt – kennt keine Gewaltentrennung, also keine demokratische Kontrolle und vom Wesen her keine Transparenz. Indem Benedikt XVI. jetzt beteuert, trotz allem weiterhin auf dem Felsen Petri zu stehen, betont er auch die Unveränderlichkeit des absolutistischen Regimes, also des Fehlens jeglicher Transparenz. „Man sollte für die Freilegung einer Dokumente sehr dankbar sein“, schreibt unser römischer Leser. Das römische System, bestehend aus älteren Herren und Höflingen (Curia ist ja der “Hof”) maßt sich an, in göttlichem Auftrag, Werte und Tugenden, Glauben, Lieben, Hoffen verbindlich für alle Katholiken zu lehren. Der Widerspruch zu einem demokratischen Leben heute könnte – einmal mehr jetzt  – dokumentiert, kaum größer sein.

Der Brief des Lesers aus Rom fragt weiter: Hat dann noch die These der heutigen  kritischen Reformer recht, man könne von Innen her dieses Renaissance – System reformieren? Unter welchen Bedingungen sind Renaissance – Systeme verschwunden, wird diese Frage diskutiert?, fragt der Leser.

Werden da nicht von Reformern Illusionen geweckt und gutwillige Leute in die Irre geführt, wird ihnen in DIESEM Engagement für Reformen kostbare Lebenszeit geraubt?

Wir geben die Fragen aus Rom gern weiter zur Diskussion.

Weiter schreibt der Leser aus Rom: Warum schweigen zu dem Thema die einst etwas mutigeren Ordensgemeinschaften?

Warum schweigen die protestantischen Kirchen zu den aktuellen “Freilegungen” im Vatikan?

Wir erlauben uns, unabhängig  von dem “Brief aus Rom”, ein Zitat aus dem neuen Buch des international geschätzten katholischen Theologen und Philosophen Prof. Dr. Tomás Halik (Prag),  “Nachtgedanken eines Beichtvaters” (geschrieben 2005, auf Deutsch 2012, Herder) , wieder zu geben. Auf Seite 293 schreibt Tomás Halik:

“Unsere Zeit ist eine Zeit der Erschütterungen…So ist eines der großen Paradoxa, die wir derzeit durchleben … wohl darin begründet, dass gerade derjenige Bereich der (römischen) Kirche, der diese weiterhin für eine =feste Burg= hält, meiner Meinung nach wie ein auf Sand errichtetes Gebäude zusammenstürzen wird”.

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