Lob der “Salonchristen”. Eine Korrektur.

Lob der „Salonchristen“
Eine Korrektur
Von Christian Modehn

In der Beilage zur Wochenzeitung „Die Zeit“ mit dem Titel „Christ & Welt“ berichtet Christiane Florin auf Seite 3 der Ausgabe vom 23. Mai 2013, dass Papst Franziskus sich ein „gesundes Maß an Verrücktheit“ für die katholische Kirche wünsche. Sie schreibt, immer jüngste Äußerungen von Papst Franziskus zitierend oder paraphrasierend: „Die Kirche brauche Menschen, die unbequeme Dinge sagten und sich nicht scheuten, die wohlsituierten Verhältnisse zu stören. Die Unverrückten (hingegen) stempelte er, also Papst Franziskus, zu = Salon-Christen = (ab)”.
Nun kann ich mich nur auf die in der Zeitung mitgeteilten Informationen über die päpstliche Kritik an den angeblich wohlsituierten „Salon – Christen“ beziehen. Ich finde allerdings die offenbar hier päpstlich unterstellte logische Verbindung von „Wohlsituiertheit“ und „Salon“ völlig unzutreffend. Richtig wäre es, von einer unheilvollen Verbindung von bürokratischer Struktur bzw. dem Vorrang für finanzielle Interessen innerhalb der Kirche(n) zu sprechen, wenn man denn eine freie Kirche will, die „unbequeme, also verrückte Dinge sagt“. Das muss aber noch einmal festgehalten werden: Verrückte Dinge wünscht sich nun zum ersten Mal, seit Jahrhunderten (?), ein Papst ausdrücklich und erstaunlicherweise. Aber: Wir wollen daran erinnern, dass gerade Salons verrückte Dinge -seit dem 18. Jahrhundert – sagten und auch heute sagen, also solche Dinge, die im Alltagsverstand, als gewagt betrachtet werden, zumal von den Herrschern, die sich bekanntlich Verrücktheiten verbieten im Namen von Ruhe und Ordnung. Verrückte Dinge waren in den Salons Demokratie, Menschenrechte, Religionsfreiheit, Religionskritik usw. Noch einmal: Gerade die „Salons“ waren und sind immer Orte für diese Verrücktheiten im Denken, selbstverständlich auch, wenn es sich um religiöse Fragen handelt. Ein so genanntes „Salon – Christentum“ lebt gerade von der lebendigen und Diskussion gleich berechtiger PartnerInnen. Und wir fragen uns, ob heute etwa katholische Akademien in Deutschland Orte sind, wo die hier skizzierten Verrücktheiten auch in der Theologie diskutiert werden, etwa: Nutzen und Grenzen des Papsttums, Prieterweihe für Frauen als Chance, Homoehe als Bereicherung für die Gesellschaft, ökumenisches Abendmahl praktisch erprobt, liberale Theologie als Chance usw. In unserem Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon können wir nach 5 Jahren Erfahrung bestätigen, dass gerade in einer solchen bescheidenen philosophischen Basisinitiative ungewöhnliche, in der Sicht der Hierarchie auch verrückte Dinge diskutiert wurden, etwa im Blick auf die dogmatisch erstarrten Gottesbilder oder die Kirchenbürokratie, die den Geist tötet, wie der Theologe und Jesuit Karl Rahner so treffend sagte. Wir verteidigen also das Salon – Christentum und die Salon – Christen und dort, selbstverständlich gleichberechtigt willkommen, die „Nicht christen“ oder Atheisten, Menschen, die den freien und unzensierten Disput schätzen. Also: Außerhalb der Gemeinden und in neuen, freien Zusammenschlüssen werden gerade in Salons jene Themen angesprochen, die den Hierarchen als Verrücktheiten erscheinen müssen. Und dabei wird es bleiben, zumal sich immer weniger Menschen an die dogmatischen Vorgaben ihrer Religion halten können und halten wollen. Sie können sich dann also ganz im Sinne des Papstes – endlich einmal – als die so heiß geliebten „Verrückten“ fühlen – und die Verrücktheiten im Salon formulieren. Dabei sind sie dann eigentlich die „Normalen“ und Vernünftigen, wenn man das Feld religiöser dogmatischer Erstarrungen betrachtet.
PS: In einem unserer Salons haben wir uns kürzlich mit der Frage befasst: Können Philosophen Revolutionen auslösen? Zur Lektüre eines kleinen inspirierenden Textes klicken Sie hier.

Copyright: christian modehn

Religionsphilosophischer Salon nun auch in Bremen

Religionsphilosophischer Salon in Bremen gegründet.

Wie uns Prof.Wilhelm Gräb, Humboldt Universität, mitteilt, wurde vor kurzem auch in Bremen ein philosophischer Club gegründet, der auch den in Berlin nun schon seit 7 Jahren bekannten Titel “Religionsphilosophischer Salon” trägt. Wir haben in Berlin ca. 70 Salonabende bisher gestaltet.
Prof. Gräb schreibt uns, dass unser Saon in Berlin dabei für die Bremer inspirierend gewirkt hat. Das freut uns natürlich, dass es da eine gewisse Anregung gibt. Der neue religionsphilosophische Salon ist in der protestantischen Gemeinde Remberti in Bremen zuhause; diese Gemeinde folgt als eine der wenigen Gemeinden ausdrücklich der theologisch – liberalen Position. Wir haben in Berlin immer wert darauf gelegt, einen philosophischen Salon außerhalb kirchlicher oder religiöser Gebäude zu plazieren. Philosophie ist nicht nur öffentlich und “für alle”, sie ist auch als Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie an “weltlichen Orten” am besten plaziert. Wir verweisen im link auf einen Beitrag des Weser Kurier zur Gründung des Salons in Bremen.

Läßt sich Gott beleidigen? Sinn und Unsinn der Blasphemie. Eine Ra­dio­sen­dung NDR Kultur

NDR Kultur am Sonntag, Reihe Glaubenssachen, am 9. Juni 2013 um 8.40 Uhr:

Glaubenssachen

Lässt sich Gott beleidigen?

Sinn und Unsinn der Blasphemie, bitte lesen Sie den ausführlichen Beitrag auf diesem link auf dieser website. klicken Sie hier.

Von Christian Modehn

Fromme Menschen wollen Künstlern, Schriftstellern oder Filmemachern den Prozess machen, wenn die Unantastbarkeit Gottes in Frage gestellt wird. Ist Religionsfreiheit also wichtiger als Meinungsfreiheit? Aber können Menschen den Absoluten und Ewigen in seinem Wesen überhaupt beleidigen und erzürnen? Oder wird nur der oberste Garant einer politischen und kulturellen Ordnung kritisiert und lächerlich gemacht? Im deutschen Strafrecht ist Blasphemie nur noch strafbar, wenn sie den öffentlichen Frieden stört. Und das kommt eher selten vor. Viele Theologen sind heute sogar dankbar, dass Blasphemie Raum schafft für die Frage: Welchen Gott verehre ich wirklich?

Pfingsten – Fest des Geistes. Interview mit Prof. Wilhelm Gräb

Pfingsten – das Fest des Geistes
Interview mit Prof. Wilhelm Gräb

Die Fragen stellte Christian Modehn

Hat das Pfingstfest eine Bedeutung für die heutige moderne Lebenserfahrung, die so oft sagt: Wir leben in geistlosen Zeiten?

Bereits der Gregorianische Hymnus aus dem 9. Jahrhundert ruft nach der schöpferischen Kraft des Geistes. „Veni Creator Spiritus“ – „Komm Schöpfer Geist“. Offensichtlich war der Eindruck schon immer der, dass es an Geist mangelt oder jedenfalls, dass wir um den Geist bitten müssen. Nach dem Geist verlangen, um den Geist bitten wir, weil wir nicht über ihn verfügen, weil wir ihn nicht machen können, aber doch von diesem Geist leben! In uns selbst aufkommend, aber eben unverfügbar aufkommend: ‚Da hatte ich eine Idee!‘ ‚ Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen!‘ Jetzt wird mir die Sache klar!‘ Wir wissen, wie sehr alle menschliche Kreativität vom gelungenen Einfall lebt!

Geistlose Zeiten? Ich weiß nicht, ob man das so sagen kann. Ich bin immer wieder erstaunt, was Menschen alles können, auf den Gebieten von Wissenschaft und Technik, von Kunst und Kultur. Großartiges mit zuvor ungeahnten Möglichkeiten finden wir auch in unserer Zeit, denken wir nur an den Computer und das Internet. Wozu der Mensch fähig ist, das freilich ist auch an Grausamkeit nicht zu überbieten. Der menschliche Geist ist wirklich zu allem fähig!

Ich sehe im Geist die göttliche Kraft in uns Menschen, das Schöpferische und Kreative. Ich sehe in ihm den göttlichen Grund der menschlichen Freiheit. Deshalb, so meine ich, verlangt und ermöglicht zugleich der Geist aber auch, dass wir uns bewusst und d.h. letztlich immer auf verantwortliche, kritische Weise zu ihm verhalten. Wir verfügen nicht über den Geist. Er ist vielmehr die schöpferische Energie aus der wir leben. Genau dies können wir uns jedoch bewusst klar machen. Dann sehen wir darauf, dass wir verantwortlich mit unseren schöpferischen Fähigkeiten umgehen müssen.

Der schöpferische Geist von uns Menschen kann sich in eine teuflische Kraft verwandeln, ins Zerstörerische und Mörderische. Auch deshalb braucht er die kulturelle und ethische Formung. Er muss sich ausrichten können an dem, was dem Leben dient. Er braucht die Einsicht in das, was gut ist für alle Menschen.

Der menschliche Geist ermöglicht aber selbst auch die Selbstthematisierung, in ethischer und in religiöser Hinsicht, die Ausrichtung am Guten, die Vergewisserung dessen, dass der Mensch in Gott gründet – einem Gott, der nichts als Liebe ist. In dieser Selbstbesinnung auf die Kraft des Geistes liegt die Bedeutung des Pfingstfestes.

Wenn der Geist geehrt und gefeiert wird zu Pfingsten: Ist denn der “heilige Geist” in jedem Menschen lebendig?
Der „heilige“ Geist ist keine Größe, die wir uns in gegenständlicher Gegebenheit vorzustellen hätten. Die biblisch fundierte Bildwelt des Christentums hat zwar für solche Vorstellungen gesorgt – Feuerzungen auf den Häuptern; die Taube, die vom  Himmel herabfährt – aber das sind symbolische Zeichen, die dafür stehen, dass der Geist uns Menschen ergreift, dass er über uns kommt, uns erfüllt. Wir spüren seine Kraft, aber wir können dieses Spüren nicht selbst hervorrufen. Wenn wir aber diese uns erfüllende Kraft spüren, dann können wir uns bewusst zu ihr verhalten, ihr eine Form geben und sie zu lebensdienlicher Wirkung bringen.

So verstanden ist der „heilige Geist“ in jedem Menschen lebendig als diese unwahrscheinliche Lebenskraft. Allerdings achten wir zumeist gar nicht darauf, dass wir von Voraussetzungen leben, die wir selbst nicht hervorgebracht haben und hervorzubringen nicht in der Lage sind. Deshalb, wenn wir an Pfingsten den Geist feiern, dann feiern wir im Grunde das Wunder des Lebens, dann zelebrieren wir die Energie, die in uns Menschen steckt, unseren Einfallsreichtum, die elementare Kraft zur Bewältigung dieses oft so komplizierten Lebens.

Alle Menschen haben Geist, haben Vernunft: Haben sie dadurch Göttliches in sich selbst, das sich vielfältig ausdrückt?

Die Kraft des Geistes ist in allen. Insofern kann man auch sagen, alle Menschen haben Göttliches in sich, so wie der Theologe Friedrich Schleiermacher der Meinung war, alle Menschen seien Künstler, ein Dictum, das ebenso von dem Aktionskünstler Joseph Beuys überliefert ist. Gemeint ist das kreative Potential, das in uns Menschen steckt, von dem aber ebenso gilt, dass es in Form gebracht, bewusst gestaltet, mit vernünftiger Einsicht vermittelt werden will.

Wenn der göttliche Geist so allgemein ist: Sind dann die vielen nichtchristlichen Religionen auch von dem einen göttlichen Geist beeinflusst?

Da muss ich die Bibel zitieren: „Der Wind weht, wo er will, und du hörst sein Sausen; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er geht. So ist jeder, der aus dem Geist geboren ist.“ (Joh 3, 8) Der Geist kennt keine Grenzen. Er richtet sich nicht nach den sozialen, kulturellen und religiösen Zugehörigkeiten, in die wir die Menschen und Menschgruppen einteilen. Er ist unverfügbar, in seinem Woher und Wohin nicht manipulierbar. Dadurch ist er der Grund der menschlichen Freiheit, selbstverständlich der Freiheit aller Menschen.

Der heilige Geist ist kein Christ. Die verschiedenen Religionen sind vielmehr verschiedene Formungen des menschlichen Geistes, sofern dieser sich seines göttlichen Grundes bewusst wird. Wo Menschen nicht nur aus der Kraft des ihnen innewohnenden göttlichen Geistes leben, sondern sich dieser Kraft bewusst werden, als einer solchen, die von außen, von Gott her, über sie kommt, dort ist gelebte Religion – in welcher Form auch immer. Jede Religion ist als Religion umso lebendiger, je klarer sie die bewegende Kraft des Geistes feiert, dann aber ihr auch eine lebensdienliche, in der Liebe eifrige Form gibt.

Wir identifizieren oft Geist mit der Fähigkeit zur Kritik. Ist der heilige Geist also auch skeptisch, auch kritisch, aber wem oder was gegenüber?
Das genau gehört entscheidend zur Formung, zu der die Bewusstheit des Geistes diesem selbst verhilft, die Fähigkeit zur Kritik. „Gott ist Geist und die ihn anbeten, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.“ (Joh 4, 24) Wo wir der Lebendigkeit des Geistes in uns selbst bewusst werden, ihn gar religiös feiern, ihm begeistert unsere Lieder singen und unser Herz schenken, da tun wir dies nur dann auf rechte Weise, wenn wir uns zu seiner Wirkung in uns selbst und in anderen kritisch verhalten. Wir müssen prüfen, ob das, was wir in der Kraft des Geistes, der unsere Lebendigkeit ausmacht, tun, auch wirklich dem Leben dient, uns selbst förderlich ist und denen, für die wir da sind und Verantwortung tragen, für diese Welt und ihre Zukunft.

Die sich ihrer bewusst werdende Lebendigkeit des Geistes ist immer kritisch, kritisch sich selbst gegenüber. Sie weiß, dass der Geist  zu allem fähig ist, auch zu teuflischem Tun. Deshalb können wir den Geist nicht feiern, ohne ihn zu prüfen. Das Kriterium der lebendigen Kraft des Geistes liegt aber bereits in ihr selbst. Zu prüfen ist, ob sie dem Leben dient.

copyright: Prof. Wilhelm Gräb und Religionsphilosophischer Salon

Zum 200. Geburtstag Kierkegaards: Die Unvernunft des Glaubens

Glauben gegen alle Vernunft?

Anlässlich von Kierkegaards 200. Geburtstag

Von Christian Modehn

Der „Religionsphilosophische Salon Berlin“ kann den 200. Geburtstag des Philosophen und Schriftstellers Sören Kierkegaard (am 5. Mai 2013) nicht einfach übersehen. Denn Kierkegaards Denken und sein sehr umfangreiches Werk sind fundamental durchdrungen von religionsphilosophischen bzw. theologischen Überlegungen. Er betrachtete sich zeit seines Lebens als Christ, stets auf der Suche nach dem wahren, dem echten, dem tiefen und radikalen Glauben. Darin fühlte er sich „als einzelner“ wahrer Christ durchaus abgehoben von der großen Masse derer, die das Christentum bloß „betrachten“, wie er sagte, und nicht bis zur letzten Konsequenz, also leidend für Christus, Jesus Christus praktisch nachfolgen. Die dänische lutherische Staatskirche erschien ihm viel zu bürgerlich und angepasst, zu „modern“ und „liberal“ könnte man sagen. Darauf wird oft hingewiesen, nicht so oft hingegen auf Kierkegaards radikales Selbstbewusstsein, sozusagen der bessere, der wahre Christ zu sein. Ob man diese Position vernünftig finden kann, ist eine offene Frage, bei allem Respekt vor dem persönlichen Glauben dieses „einzelnen“. Dieses Thema wurde unseres Erachtens in den vielen lobenden und preisenden Zeitungsbeiträgen anlässlich seines 200. Geburtstages nicht erwähnt.

Kierkegaard hatte protestantische Theologie studiert, spielte auch mit dem Gedanken, Pfarrer zu werden, er besuchte regelmäßig die lutherischen Gottesdienste, auch an Werktagen, er ging zur damals noch üblichen lutherischen Beichte, gelegentlich predigte er.

In seinem Buch „Einübung im Christentum“ hat er zahlreiche, auch längere persönliche Gebete notiert.

Angesichts der von ihm erlebten „ganz anderen“ Göttlichkeit Gottes suchte er nicht nach vernunftgesteuerten Glaubensformen; er meinte, dem göttlichen Gott kann der Mensch nur durch bedingungslose Übergabe, gegen alle vernünftigen Argumente, antworten. Totale Hingabe zähle mehr als der Gebrauch der Vernunft auch Gott gegenüber. Manche sagen, Kierkegaard habe auf diese Weise eine breite Tür geöffnet für eine Vernunftfeindlichkeit, die sich später vor allem in evangelischen Kreisen wie selbstverständlich breit machte, bis hin zur Theologie Karl Barths. Leitend war dabei für Kierkegaard sicher auch die tiefe Ablehnung der (Religions-) Philosophie Hegels.

Was aber ist das für ein Gott, so fragen Kritiker, zu denen auch der Religionsphilosophische Salon gehört, der den Menschen so miserabel erschafft, dass die Vernunft sozusagen das Letzte, das Schlimmste ist, was Gott gegenüber aktiv werden kann.

Jedenfalls gilt: Kierkegaard rühmt etwa die Gestalt Abrahams, der gegen alle väterlichen Gefühle, gegen alle ethischen Einsprüche seines Gewissens bereit ist, auf Gottes Befehl sozusagen „blind“ und ohne vernünftigen Einspruch oder Widerspruch, seinen Sohn Isaac zu töten. „Der Glaube ist ein Paradox“, sagte der dänische Philosoph, „welches einen Mord zu einer heiligen, Gott wohlgefälligen Handlung zu machen vermag“. Hoffentlich lesen diesen Satz nicht allzu viele Islamisten… Im Glauben, so scheint es, können also die ethischen Maßstäbe übersehen werden, jene grundlegenden Regeln der Vernunft (und damit des Gewissens), die alle Menschen eigentlich gemeinsam haben.

Kierkegaard fordert die unmittelbare Bindung an Jesus Christus, er spürte in ihm DIE alles entscheidende Offenbarung Gottes. Dabei hält er Jesus für einen „Menschen, der Gott sein soll“. Wir halten diese enge Sicht auf Jesus als Gott für verfehlt und unangemessen, Jesus war nicht (nur) „Gott“, er ist und bleibt in erster Linie ein Mensch. Jedenfalls ist Kierkegaard so überwältigt von diesem „Gott“ Jesus Christus, dass er wider alle Vernunft die totale Entscheidung für ihn fordert. Darin sieht Kierkegaard die Würde des Menschen, als einzelner radikal vor diese Wahl für oder gegen Jesus Christus gestellt zu sein. Darüber hinaus denkt wohl Kierkegaard daran, die gegen alle Vernunft gelebten Glaubensentscheidung als eigene menschliche Lebensform zu verstehen, sozusagen für die (größere, höhere?) Vernunft in der glaubensmäßigen Unvernunft zu plädieren.

Wir halten diese offenbar zentrale Position im Denken Kierkegaards für hoch problematisch, weil der Schritt in den Glauben dann zu einem irrationalen Geschehen wird, bestenfalls mit der Entschuldigung formuliert, das sei alles Gnadengeschenk. Einige wenige sind dann von Gott berufen und auserwählt, die vielen anderen (dummen Christen der Volkskirche) eben nicht. Solche Ideen Kierkegaards erinnern deutlich an Blaise Pascal und seine Bindung an die augustinische Gnadentheologie der Jansenisten rund um das Kloster Port Royal. Auffällig ist auch für Leute, die mit der Theologie des Erzbischofs Marcel Lefèbvre vertraut sind, also dem Gründer der traditionalistischen“ Piusbrüder, wie es da sprachliche Identitäten zwischen Kierkegaard und Lefèbvre gibt in der Beschreibung der von beiden erlebten sogen. Glaubenskrise: Kierkegaard verwendet in seinem Buch „Einübung im Christentum“ mehrfach den Begriff „enthronen“ und „Enthronung“, um zu zeigen, wie in der dänischen Kirche das Christentum, also in seiner Sicht der wahre radikale Glaube, verachtet wird. Eine der wichtigsten Bücher von Erzbischof Lefèbvre hat den Titel „Sie haben ihn entthront“ (1988), damit will er sagen: Die in seiner Sicht liberale und lasche Konzilskirche habe Jesus Christus vom Thron gestürzt, „entthont“. Beide, Kierkegaard wie Lefèbvre sehen, so wörtlich, nur in der „STRENGE“ eine Rettung des Christentums, beide fühlen sich so wörtlich „einsam“ unter diesen angeblich laschen Christen, beide wollen sich, so wörtlich „nicht beliebt“ machen. Dabei loben beide die „veraltete Sprache“ des Christentums von einst, beide glauben, dass man rational den Glauben „nicht verteidigen“ kann. (siehe zu Kierkegaard, Einübung im Christenum, DTV, 1977, S. 236 ff., zu Lefèbvre passim in seinen Publikationen).

Durch diesen Hinweis wollen wir nicht behaupten, Lefèbvre hätte Kierkegaard gelesen oder gekannt. Wichtig ist nur, auf Ähnlichkeiten hinzuweisen bei zwei Männern, die beide von ihrer religiösen „Sonderrolle“ oder „Sonderberufung“ überzeugt waren.

Irritierend ist bei Kierkegaard, dass er die heutige Kirche als die „(real) bestehende Christenheit“ mehrfach nennt, sie sei die triumphierende Kirche im Unterschied zur wahren Kirche, der streitenden und leidenden Kirche. Nur ihr fühlt sich Kierkegaard verbunden.

Unannehmbar ist auch die Meinung des dänischen Philosophen, die christliche Kunst sei Ausdruck des „neuen Heidentums“ (S. 261). Er behauptet, Christus hätte niemals gewünscht, gemalt zu werden, deswegen ist alle christliche Kunst eine Art Wahn. Kierkegaard vergisst, dass seine Beschreibungen zur Gestalt des göttlichen Christus selbst bildhaft ist.

Wir haben Mühe, selbst anlässlich des 200. Geburtstages von Sören Kierkegaard, in seinem Buch „Einübung im Christentum“ (von 1850) wirklich Inspirierendes zu finden, etwas, das in der vernünftigen Auseinandersetzung über Möglichkeiten religiösen Glaubens heute weiter helfen könnte. Aber solche Gedanken hätte Kierkegaard wohl von vornherein zurückgewiesen, ging es ihm doch, so sagte er, um die Rettung des einzelnen. Darum sein Insistieren auf dem Recht des einzelnen gegenüber allgemeinen Strukturen und allgemeinen Gesetzen. Aber sein Buch „Einübung im Christentum“ hat er ja wohl nicht nur als Zeugnis einer einsamen einzelnen Seele verstanden, er wollte etwas bewirken, im Sinne der von ihm gelobten „kämpferischen Kirche“.

copyright:Christian Modehn

 

 

 

Von der Heiligkeit der Person: Ein philosophischer Hinweis zum “16. April, dem Tag der Demokratie und Toleranz”

Ist die Person von sakraler Würde?

Ein Hinweis auf Überlegungen von Hans Joas und Emile Durkheim

Von Christian Modehn

“Wir für Demokratie – Tag und Nacht für Toleranz”: Ein ultrakurzes Motto für ein eigentlich normales Thema: Der 16. April 2013 soll rund um die Uhr im Zeichen der Menschenrechte stehen. So will es die Bundesregierung.

Das Thema Demokratie sollte in einer Staatsform, die sich demokratisch nennt, doch wohl ein all – tägliches Thema sein. Es muss schon ziemlich schlimm stehen, wenn nun einige Ministerien ausdrücklich die Bürger auffordern, sich doch bitte auf die Demokratie und ihre elementare Tugend, die Toleranz, (wieder) zu besinnen und alles zu tun, damit Demokratie als Sache aller (wieder) lebendig wird. Offenbar erinnern sich nur in Zeiten zunehmender Intoleranz viele Demokraten an das, was Toleranz bedeuten könnte.

Welchen Beitrag kann Philosophie und speziell Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie leisten, wenn es um den Einsatz für Demokratie und Menschenrechte – und damit zentral um Toleranz geht? Für Philosophie ist kritisches Denken die störende Begleitung und oft auch der Beginn politischen Handelns. Für den 16. April und natürlich weit darüber hinaus hat der Religionsphilosophische Salon einen Vorschlag der Lektüre und des gemeinsamen Nachdenkens: Und dieser Vorschlag ist alles andere als oberflächlich oder populär. Er erinnert an die wesentliche Dimension jeglichen Menschseins: Wir weisen empfehlend hin auf das Buch „Die Sakralität der Person. Eine neue Genealogie der Menschenrechte“ hin (Suhrkamp Verlag, 2011). Autor ist der  inzwischen weltweit beachtete Soziologe und Sozialphilosoph Hans Joas, u.a. Professor für Soziologie an der University of Chicago. Wir möchten hier nur auf das Kapitel 2 empfehlend verweisen.

Inhaltlich ist dabei interessant: Die hier entwickelte Qualifizierung des Menschen als einer „sakralen Person“ darf keineswegs als Plädoyer für eine neue Konfessionalisierung des menschlichen Wesens oder als eine religiöse Verschleierung oder Überhöhung des Daseins verstanden werden. Sakralität, so betont Joas, hat etwas mit Heiligem zu tun, und die Erfahrung und Geltung des Heiligen liegt allem Religiösen (schon gar dem konfessionell Religiösen) voraus!

Wenn Kant in seiner Philosophie, etwa in der „Grundlegung der Metaphysik der Sitten“, von der „Würde“ des Menschen spricht, erwähnt er auch die „Heiligkeit“ des menschlichen Wesens. „Würde“ hat keinen Preis, sie kann nicht erworben, schon gar nicht gekauft, kann auch nicht durch Willkür anderer beseitigt werden. Menschliche Würde ist mit dem Dasein selbst da, sie steht für sich selbst, sie ist nicht menschlich verfügbar: Wer in dieser Weise von der unantastbaren Menschenwürde spricht, denkt, so Kant, wie von selbst auch an die Heiligkeit, im Sinne des Erhabenen, also des über den Menschen und ihrem Zugriff Stehenden. Im Erleben der eigenen Person wie der Personenwürde anderer tritt deutlich zutage, was man das Heilige nennen könnte: Nur ein Beispiel: Im ungerechten Leiden anderer Personen, etwa der gefolterten Widerstandskämpfer gegen diktatorische Gewaltherrschaft, können Menschen erleben, wie sich vor allem in der Empathie mit den Opfern eine starke Überzeugung auch emotionaler Art bildet, sie ist wie eine umfassend intellektuelle Kraft. Sie sagt absolut Nein zu dem Unrecht, zur Folter, zur Qual. Warum? Weil da die Heiligkeit und Unverletzbarkeit der Person, ihre Unantastbarkeit, verteidigt werden soll.

Diese philosophische Erfahrung der „Sakralität“ der Person hat nichts zu tun mit einer Vergötterung des Menschen, schon gar nichts mit dem Konzept des Übermenschen, der an die Stelle des toten Gottes gesetzt werden soll (Nietzsche). Sakralität der Person bezeichnet nur den absolut zu verteidigenden, unverfügbaren Wert eines jeden Menschen. Dieser Einsatz für die Sakralität ist nichts anderes als das konkrete Engagement für die Menschenrechte; diese sind selbstverständlich stetig weiter zu entwickeln, wie auch die Demokratie niemals etwas Fertiges ist.

Hans Joas lässt sich von dem französischen Soziologen und Ethnologen Emile Durkheim (1858 – 1917) inspirieren, der in seinen zahlreichen Studien, vor allem im Erleben des antisemitischen Dreyfus – Skandals, von der universalen Menschenwürde als der „Religion der Moderne“ sprach (etwa in seinem Aufsatz „Der Indvidualismus und die Intellektuellen“, von 1898). Durkheim schreibt: „Die menschliche Person wird als heilig betrachtet, sozusagen in der rituellen Bedeutung des Wortes. Sie (die Person) hat etwas von der transzendenten Majestät, welche die Kirchen zu allen Zeiten ihren Göttern verleihen…Wer auch immer einen Menschen oder seine Ehre angreift, erfüllt uns mit einem Gefühl der Abscheu, in jedem Punkt analog zu demjenigen Gefühl, das der Gläubige zeigt, der sein Idol profaniert sieht“. (Joas, S. 82f).

Die Sakralität ist für Durkheim die allgemeine, die menschliche Spiritualität, sie gilt für Gläubige und konfessionell nicht – gläubige Menschen. Aber Joas weist darauf hin, dass aus dieser elementaren Heiligkeitserfahrung durchaus Religion werden kann (S. 94) Aber es bleibt dabei: Die Sakralitätserfahrung der Person ist das Erste und Grundlegende.

Die Frage ist natürlich, wie es gelingen kann, in der zunehmend anonym werdenden Massengesellschaft Menschen darauf aufmerksam zu machen: Ihr seid eigentlich von sakraler, also heiliger Würde? Diese Einsicht – auch pädagogisch für alle Altersklassen – zu vermitteln ist genauso wichtig wie das Engagement für die universale Geltung der Menschenrechte und damit der Demokratie.

Menschenrechte sind also nicht nur eine “Verhandlungsmasse” auf politischer Ebene, oft vom Kalkül bestimmt und aufgrund ökonomischer Zwänge allzu häufig verraten und vernachlässigt. Menschenrechte haben eine eigene “Aura”; sie bleiben selbstverständlich der vernünftigen Argumentation verpflichtet. Aber es ist die Vernunft selbst und nicht irgendeine religiöse Phantasie, die die Erkenntnis erschließt: Die Menschenrechte sind etwas Besonderes und absolut zu Verteidigendes. Die Person zu schützen, hat also kaum mit politischer Taktik zu tun; es ist vielmehr elementar auch eine spirituelle Aufgabe, die Person (und mit ihr die Menschenrechte) ganz hoch zu halten und – ja, auch dies – zu ehren. Wie weit die (immer weiter zu entwickelnden) Menschenrechte zum Kernbestand relgiösen Glaubens werden können, ist eine dringende Frage: Sie führt zu dem Problem: Wie können Menschenrechte Teil der Verkündigung – etwa der Kirchen- werden.

Wir weisen auf ein inspirierendes Interview mit Prof. Wilhelm Gräb über die spirituelle Bedeutung der Menschenrechte auf unserer website hin: Klicken Sie hier zur Lektüre.

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Wider den Egoismus der neoliberalen Wirtschaft. Vorschläge von Axel Honneth

Wider den Egoismus der neoliberalen Wirtschaft

Vorschläge von Axel Honneth

Von Christian Modehn

Die Philosophie kann die Ökonomie nicht sich selbst überlassen. Und das führt zu neuen Erkenntnissen. Philosophen haben eigene Vorschläge zur Reform des offensichtlich kaputten ökonomischen kapitalistischen Systems. Das zeigt das neue Buch des Frankfurter Professors für Philosophie und Direktors des dortigen Instituts für Sozialforschung, Axel Honneth. Das überaus anregende Werk von 628 Seiten hat den Titel „Das Recht der Freiheit. Grundriss einer demokratischen Sittlichkeit“ (Suhrkamp 2012). Honneth ist ein viel gefragter Philosoph, wenn es um die Frage der Herausbildung normativer Ordnungen geht. Er will die Sozialphilosophie nicht loskoppeln von der Gesellschaftsanalyse und weist auch eine abstrakte, sozusagen empirie – freie Ethik zurück.

Wir können hier für die Gespräche in unserem Salon zuerst nur einen Aspekt herausgreifen: Das Kapitel über “Markt und Moral”, dort besonders die Ausführungen unter dem Titel “Eine notwendige Vorklärung”.

Der Titel des Buches sagt es schon: Es geht um Moral und Ethik innerhalb des Wirtschaftslebens. Kann der kapitalistische Markt heute zu einem Bereich sozialer Freiheit werden, wo Ausbeutung und Unterdrückung stark reduziert und stetig bekämpft werden, wo Selbstbestimmung als gemeinschaftliches Projekt gilt, also als ein Geschehen, in dem die dort Handelnden von Gerechtigkeit und Respekt geprägt sind? Das ist eine der drängenden Fragen, die der Frankfurter Philosoph Axel Honneth entwickelt und beantwortet. Er erinnert daran, was wir in den letzten zwei Jahrzehnten in der kapitalistischen Ökonomie erlebt haben: Von einer „Institutionalisierung sozialer Freiheit“ kann auf dem neoliberalen Markt eigentlich keine Rede sein. Offenbar handelt es sich, so Honneth, um eine „Expansion kapitalistischer Profitinteressen“ oder auch um  eine „Refeudalisierung“… D.h. wir leben in einer Wirtschaftsordnung, in der die einen Akteure in der (umfassend verstandenen) Freiheit des anderen gerade NICHT die Bedingung auch der eigenen Freiheit erkennen. Wer die anderen übersieht und nur die eigene Freiheit realisiert, hat bald selbst diese nicht mehr, weil tendenziell diese Situation alles andere als den Frieden fördert. Ohne Ethik auch in der Wirtschaft ist sozusagen der “Gesamtbestand der Welt” gefährdet.

Dieser Zustand egoistischer Freiheit in der Ökonomie wird zu recht angeklagt. Axel Honneth geht als Philosoph über das Jammern hinaus, er zeigt Wege, wie das Wirtschaftshandeln von Innen her reformiert werden kann. Und das beginnt mit der Erkenntnis, welche ethischen Implikationen und Voraussetzungen immer schon im Wirtschaftshandeln selbst enthalten sind. Man muss nur genau drauf schauen, um die abstrakte Engführung von Freiheit im kapitalistischen Wirtschaften aufzuarbeiten. Also nicht nachträglich muss dem neoliberalen, „egoistischen“ Agieren ein humaner Touch aufgeklebt werden wie eine reformistische, vielleicht sogar bloß caritative Geste. Vielmehr: Es mangelt dem gegenwärtigen Wirtschaftssystem ein Verständnis dafür, dass schon VOR diesem Wirtschaftshandeln eine wechselseitige Anerkennung der unterschiedlichen Akteure die Basis ist.

Die Bürger dürfen also die Wirtschaftssphäre gerade NICHT den Ökonomen überlassen, die wie Fachidioten nichts als die Ökonomie kennen. Die moderne Entwicklung der Ökonomie zu einer abstrakten, von Geschichte und Philosophie völlig losgelösten Wissenschaft, ist für Honneth ein Irrweg. Denn Wirtschaften ist gerade nicht das strategisch – taktische und  raffinierte Tun von egoistischen Einzelsubjekten; sondern ist ein Geschehen,  in dem intersubjektiv aufeinander bezogene „Kommunikationspartner“ miteinander handeln.

Wir können nur darauf hinweisen, dass Axel Honneth unter anderem zentrale Erkenntnisse aus Hegels „Rechtsphilosophie“ (1820 in Berlin als Buch erschienen) aktualisiert: Das heißt, es wird zurecht damit gerechnet, dass auch Erkenntnis noch die Kraft des Wandels und der Reform  hat. Allen ökonomischen Verträgen voraus liegt die Anerkennung seiner selbst und der anderen als „verantwortlicher Rechtspersonen“ (S. 322 in dem genannten Buch von Axel Honneth), in diesem, allem ökonomischen Agieren voraus liegenden Bewusstsein rechtlicher Freiheit bildet sich der Rechtsstaat: Er ist die Voraussetzung für die rechtlich gestalteten Beziehungen ökonomischen Austauschs unter Privatpersonen. Mit anderen Worten: Erst der Respekt vor dem Rechtsstaat ermöglicht soziale Freiheit auch im Wirtschaftshandeln. Dieses Bewusstsein muss sozusagen prägend sein und prägend bleiben.

Freilich erleben wir heute den „homo oeconomicus“, als den ausschließlich aufs egoistische erfolgreiche Wirtschaften zielenden Menschen. Er ist sozusagen Repräsentant des gängigen Lebens, das nur als beschädigtes sozialen Leben begriffen werden kann. Schon seit dem 18. Jahrhundert wird von Philosophen und Schriftstellern wahrgenommen, wie die Kommerzialisierung der Gesellschaft den einzelnen Menschen erniedrigt, ihn zu einem „bloßen Abdruck des ökonomischen Geschäfts macht“ (F. Schiller). In einem normativen Menschenbild der umfassenden Freiheit muss dagegen gesteuert werden.

Hegel und später dann auch Durkheim drängen auf die Erkenntnis: Es gibt ein Solidaritätsbewusstsein, das allen Verträgen und allem ökonomischen Handeln VORAUS liegt, das also wie eine sachliche Prämisse dieses ökonomische Tun von Innen her bestimmen sollte. Denn nur diese solidarischen Einstellungen, in die sozusagen das ökonomische Handeln „eingebettet“ ist, ermöglichen überhaupt das „reibungslose Funktionieren des Marktmechanismus“ (S. 328). Ohne menschliche Rücksichtnahme, ohne Respekt der unterschiedlichen Partner voreinander, ist kein Marktgeschehen möglich, meint Hegel. Fehlt dies, gerät das ökonomische Handeln zu einem Manöver von Betrug und Aggression. Eine letztlich doch um des Erfolges willen auch angezielte „harmonische Integration der wirtschaftlichen Einzelinteressen“ kann ohne diese „allem voraus liegenden moralischen Regeln“ nicht gelingen. So „pragmatisch“ allgemein nachvollziehbar kann man diesen Hegelschen Gedanken ausdrücken.

Axel Honneth weist darauf hin, dass es aber doch recht unbestimmt bleibt, „wie die von (Hegel und Durkheim) prätendierten  Moralnormen als Bestandteile (!) der Markwirtschaft begriffen werden sollten.“ Der Vorschlag von Honneth ist klar: Das Marktgeschehen braucht die von Hegel und Durkheim entwickelte „sittliche Rahmung durch vor – vertragliche Handlungsnormen“, weil die Wirtschaft nur unter dieser normativen Voraussetzung mit dem Einverständnis aller Beteiligten rechnen kann. „Wie jede andere soziale Sphäre bedarf auch der Markt der moralischen Zustimmung durch alle an ihm mitwirkenden Teilnehmer“ (S. 333).

Diese Erkenntnis ist fundamental: Der Markt braucht also für sich selbst, aus eigenem Überlebensinteresse, die moralischen Normen, die ihm selbst noch als Bedingung seiner Existenz (und seines Erfolges) voraus liegen. Mit anderen Worten: Ein kluger Teilnehmer auf dem Mark ist moralisch. Wer als Kapitalist Fairness und Gerechtigkeit verletzt, schadet letztlich sich selbst. Es gibt also philosophisch gesetzte Grenzen des kapitalistischen Marktes. Versagt der Markt, führt das nicht nur zu ökonomischen Krisen. Schlimmer noch und auch politisch viel erschütternder ist der Verlust an Glaubwürdigkeit und Legitimation durch die Bevölkerung. Ein Phänomen, das wir angesichts der sogen. Bankenkrise seit 2008 immer deutlicher erleben: Die Krise der Banken, also das egoistische, völlig unverantwortliche Verhalten vieler Banker, entwickelt sich heute zur Krise der Demokratie. Darum gilt auch von daher die Einsicht: Die moderne Marktordnung ist alles andere als ein normenfreies System (S. 359). Denn etwa das Unrechtsempfinden, die Selbstzweifel, die Fragen nach Sinn und Legitimation des eigenen (egoistischen) Handelns sind IM Handeln der neoliberalen Akteure ja wenigstens unthematisch anwesend, diese Akteure haben de facto diese moralischen Fragen, auch wenn sie sie unterdrücken oder als irrelevant zurückweisen. Etliche Banker haben ja selbst die Erfahrung (offenbar nur kurzfristig?) machen können, wie es ist, plötzlich arbeitslos auf der Straße zu stehen. Nur wenige haben wohl erkannt, dass diese ihre Situation nur der Ausdruck des Fehlens moralischer Normen IM ökonomischen Prozess ist.

Honneth will diese Erkenntnis förmlich einschärfen: Ein sittliches, die Freiheit garantierendes Verhalten ist nur möglich, „wenn es gelingt, die Sphäre des Marktes als ein in vormarktlichen (also noch logisch vor dem Markt liegenden CM) Solidaritätsbeziehungen begründetes und auf sie zurückgehendes System von wirtschaftlichen Aktivitäten zu beschreiben“(352 f.).

Axel Honneth ist sich bewusst, dass die dargestellte Problematik mit dem Gedanken an Karl Marx (Das Kapital) verbunden werden muss. Vor allem die These müsste hier weiter diskutiert werden, ob die Kapitalisten eine solche Monopolstellung haben, dass sie in jeder Weise erfolgreich, aber unsittlich ökonomisch handeln können. Das dann zu besprechende Ungleichgewicht zwischen „Herren und Knechten“ wäre dann zu diskutieren, etwa der Kampf des Knechtes gegen seinen Herrn.

Um so dringender müssen die von Hegel und Durkheim beschriebenen Möglichkeiten der Einfügung des sittlichen Freiheitsbewusstseins IN den Kapitalismus besprochen werden, zumal wohl nur die grundlegende Reform des Kapitalismus, nicht aber dessen Abschaffung zugunsten eines Staatssozialismus zur Debatte steht. Es geht um die gestaltbare Zukunft eines allseits (!) freiheitlichen, gesellschaftlich kontrollierten Kapitalismus… Wichtiger Schritt ist dabei die städnige öffentliche Freilegung des hässlichen Gesichts des Kapitalismus.

Wir haben uns hier auf einen Ausschnitt aus dem Buch  Honneths begrenzt. Aber dieser Aspekt aus dem wichtigen Buch ist schon inspirierend genug, zeigt er doch die absolute Dringlichkeit, eine sozialen Freiheitsethik weiter zu diskutieren.

Im ganzen zeigte sich Axel Honneth in einem Gespräch (mit “Forschung Frankfurt 1/2012) doch etwas zuversichtlich für die weitere Entwicklung sozialer Freiheit: „Wir haben eine gemeinsame Geschichte, gemeinsame Erinnerungen an normative Rückschritte und moralische Verbesserungen, an Niederlagen und Siege im Kampf um die Verwirklichung der uns gemeinsamen Freiheitsversprechen. Insofern sind die Chancen da.“

Zum Schluss noch ein Hinweis (ebd.) des dänischen Philosophen Raffnsøe-Møller (Aarhus): Für ihn ist das Buch „gegen den Mainstream der politischen Philosophie geschrieben“. Es kann „insofern der Debatte über soziale und gesellschaftliche Gerechtigkeit viele Impulse geben und auch zu einer Erweiterung dieser Diskussion beitragen“.

 

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