Die Last mit der Lust. Zur Aktualität des Hedonismus. Eine Ra­dio­sen­dung NDR Kultur

Die Last mit der Lust. Zur Aktualität des Hedonismus. Eine Ra­dio­sen­dung auf “NDR Kultur” von Christian Modehn
Am Sonntag, 2. März 2014 um 8.40 Uhr.    Zur Lektüre des Sende-Manuskripts klicken Sie hier.

Ohne Lust gibt es kein menschliches Leben. Wir alle sind Geschöpfe erotischer Begierde, das vergessen manchmal gewisse Moralapostel. Sinnlich geprägte Lebensfreude kann aber nur von Dauer sein, wenn sie eine Balance findet. Hemmungsloser Genuss fördert kaum das Wohlbefinden. Andererseits darf sich niemand seine Lebensfreude verbieten lassen. „Lust ist eben keine Abkehr vom so genannten Wesentlichen“, betonen klassische Philosophen wie Epikur. Es gilt, die Hedoné, die Lust, geistvoll zu verteidigen. Eine Herausforderung für Theologen und Philosophen.

Bei schwerstem Leiden: Ein Recht auf Euthanasie. Eine Stellungnahme des katholischen Bischofs Jacques Gaillot

Bei schwerstem Leiden: Ein Recht auf Euthanasie. Eine Stellungnahme des katholischen Bischofs Jacques Gaillot

Der römisch-katholische Bischof Jacques Gaillot, Paris, einst Bischof von Evreux, dann Bischof von Partenia, empfiehlt dringend den Ausbau palliativer Pflege. Angesichts der Debatten in Frankreich hält er diese Hospize für eine hervorragende Möglichkeit, schwerstkranken Menschen beizustehen. Aber…. und so fährt er in einem Beitrag, der kürzlich (Ende 2013) in Frankreich publiziert wurde, fort:
„Es gibt den Respekt vor dem Gesetz, das zu töten verbietet. Aber das bestehende Gesetz vermag nicht alles. Aufgrund der Menschlichkeit und des Mitleids versteht man gut, dass Schwer-Kranke sich in Ausnahme-Situationen befinden. Diese Situationen der Ausnahme finden sich nicht in der gegenwärtigen Gesetzgebung wieder, aber das neue Gesetz müsste auf diese Situationen Rücksicht nehmen! Und zwar aufgrund des Respektes vor den Kranken! In derartigen Ausnahmsituationen sollte es die Möglichkeit und das vollständige Recht geben, seinem Leben ein Ende zu setzen…
Wird man deswegen die Lust am Leben verlieren? Das glaube ich nicht. Man könnte denken, wer diese Möglichkeit kennt, verfügt dann dann vielleicht um so mehr Lust zu leben, selbst unter schwierigen Umständen, weil man diese dann selbst gewählt hat“.

Wir haben auf dieser Website kürzlich auch daran erinnert, dass Bischof Gaillot auch für die vollständige rechtliche Gleichstellung der “Homo-Ehe” eintritt. Zur Lektüre klicken Sie bitte hier.
copyright: Christian Modehn

Thomas Bernhard zum 25. Todestag.

Den 25. Todestag des großen Dichters und Kritikers Thomas Bernhard können wir, vom Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin, aus unserer Perspektive der Religionskritik, einem der wichtigen Themen der Philosophie, “naturgemäß” nicht übersehen. Im Gegenteil, wir wollen gern an sein Werk erinnern und betonen: Thomas Bernhard ist angesichts – auch seiner religionskritischen Perspektiven – nicht tot.
Wir weisen noch einmal auf einen kleinen Beitrag hin, den wir anläßlich seines 80. Geburtstages 2011 publiziert haben.
Klicken Sie hier zur Lektüre.

Glauben ist “einfach”: Was ist das Wesen des Christentums?

Glauben ist “einfach”: Was ist das Wesen des Christentums?
Ein Interview mit Prof. Wilhelm Gräb, Humboldt Universität zu Berlin
Die Fragen stellte Christian Modehn

Papst Franziskus spricht oft von der armen Kirche als dem Ideal christlichen Lebens, also Bescheidenheit und Solidarität sind oberste Tugenden. Aber sollten sich die Kirchen, wenn sie denn arm werden wollen, nicht auch auf eine “arme” Theologie besinnen, also auf eine ganz dem Wesentlichen verpflichtete Lehre? Was wäre in Ihrer Sicht heute, etwa für Westeuropa gesprochen, das Wesen des christlichen Glaubens?

Wie kommt es denn, dass Papst Franziskus vom christlichen Leben spricht, dann von Tugenden wie Bescheidenheit und Solidarität, die das christliche Leben auszeichnen? Deshalb doch hat er sich nach dem hl. Franziskus benannt, als erster in der Geschichte des Papsttums: Weil es ihm wie Franz, dem Begründer des Ordens der „Minderen Brüder“, um die „Imitatio Christi“, um ein Leben in der Nachahmung Christi geht. Das ist nicht allein moralisch, sondern auch religiös gemeint. Der Papst appelliert nicht, bescheidener zu leben. Er ermahnt nicht nur zu mehr Solidarität, indem er die zerstörerischen Auswüchse eines um soziale Gerechtigkeit unbekümmerten Kapitalismus brandmarkt. Es geht diesem Papst tatsächlich um das, was für den christlichen Glauben wesentlich ist: Dass dieser ein bedingungsloses Vertrauensverhältnis zu Gott ist.
Gott ist dem christlichen Glauben die unerschöpfliche Quelle allen Lebens. Aus ihr strömen allem Leben unaufhörlich Mut und Tatkraft, vor allem aber die Hoffnung zu, wenn die Kräfte schwinden und wir ganz und gar am Ende scheinen. Dieses Vertrauensverhältnis zu Gott als dem unergründlichen Geheimnis des Lebens hat Jesus gelebt. Aus ihm heraus war er fähig zu liebender Hingabe an die Kranken, die Armen, die in ihrer Schuld Gefangenen. Aus diesem unbedingten Vertrauensverhältnis zu Gott als der unerschöpflichen Kraftquelle des Lebens hat Jesus Gewalt nicht mit Gegengewalt beantwortet, sondern sich in den Tod am Kreuz dahingegeben. In das unbedingte Vertrauensverhältnis zu Gott, das Jesus gelebt hat, ist insofern auch die Hoffnung auf Auferstehung, d.h. die unendliche Lebensenergie, die aus Gott kommt, einbezogen.
Im biblischen Weltbild ist der Glaube als unbedingtes Vertrauen auf die göttliche Liebe als das Geheimnis des Lebens in Vorstellungen ausgedrückt, die wir Heutigen als Mythen auffassen: Dass Christus von den Toten auferstanden ist, erhöht wurde zur Rechten Gottes des Vaters. Das sind Vorstellungen, die eine jenseitige Parallelwelt voraussetzen, wenn man sie nachvollziehen will. Der Glaube an diese jenseitige Parallelwelt existiert aber nur noch in den kirchlichen Liturgien und in einer komplizierten, den Mythos in eine spekulatives Gott-Denken überführenden, mit metaphysischen Setzungen operierenden Theologie. Aber diese Theologie versteht nur, wer zugleich in der neuplatonischen Philosophie der frühen christlichen Jahrhunderte bewandert ist.
Einfach wird die Theologie erst dann wieder, wenn sie die mythischen Vorstellungen von dem auferstandenen und zur Rechten des Vaters erhöhten Christus als Symbole und Metaphern liest, als bildliche Vorstellungen, mit denen wir die unendliche Liebe zum Leben, die Jesus gelebt hat, in ihrer göttlichen Tiefendimension zum Ausdruck bringen. Wenn wir den Mythos nicht einfach beiseite schaffen, sondern als Mythos, als Bild vom unsagbaren, göttlichen Geheimnis des Leben deuten, dann bleibt der Glaube einfach, aber gewinnt an religiöser Tiefe, wird somit vor einem Abgleiten in trivialmoralische Appelle geschützt.

Wenn man sich theologisch stark konzentriert auf Gott als Geheimnis des menschlichen Lebens: Wie lässt sich dieses Geheimnis heute den Menschen vermitteln, wie kann es Hinweise darauf geben?


Auch da setzt der Papst im Grunde die richtigen Zeichen. Dass Gott das Geheimnis des Lebens ist, das lässt sich niemanden andemonstrieren. Davon kann man Menschen nur überzeugen, wenn man darauf zeigt, zu welcher Lebenshaltung solcher Glaube befähigt. Der Gott, der das Geheimnis des Lebens ist, ist ja gerade kein Gegenstand, nichts, was in dieser Welt auf beobachtbare Weise vorhanden wäre. Gott ist der, der alle Welt und unser Leben in ihr trägt, die Quelle unseres Lebensmutes und unserer auch noch den Tod übersteigenden Lebenszuversicht. Zu einem solchen Gott gehört der Glaube als das bedingungs-, ja grundlose Vertrauen auf ihn. Ohne den Glauben ist auch der Gott nicht. Der „Beweis“ seiner Existenz ist der Glaube. Der Glaube, der grundloses Vertrauen ist, erbringt den Gottesbeweis.
Für jeden, der einiger Selbstbeobachtung und dann auch Selbstachtung fähig ist, zeigt sich in den Erfahrungen des Lebens alltäglich, wie sehr wir angewiesen sind auf Liebe, Zuwendung und Anerkennung. Wir können ohne Anerkennung gar nicht leben und sehnen uns nach der vollkommenen, unaufhörlichen Liebe, solange wir sind. Solange die Liebe nicht aufhört, sind auch wir, eine jeder und eine jede von uns, unendlich. Gottes Liebe hört nimmer auf. Darauf verlässt sich der christliche Glaube. Das Zeichen seiner Wahrheit hat er in dem unserem Lebensvollzug eingeschriebenen, unendlichen Liebesverlangen.

Wenn Gott als Geheimnis verehrt wird, entsteht dann ein völlig bildloser Glaube? Welche Rolle spielen dann noch Kunst und Literatur etwa?


Das Urbild des Glaubens an Gott als Geheimnis des Lebens, der der christliche Glaube ist, bleibt ganz ohne Frage der Mensch Jesus. Er hat diesen grundlosen Glauben gelebt, bis in seine Selbsthingabe in den Tod am Kreuz. Jesus war aus seinem Gottvertrauen heraus fähig zum Tun der Liebe, zu vorbehaltloser Solidarität mit den Verachteten, Armen und Elenden. Damit wurde er zum Christus, zu dem Menschen, der alle anderen zum grundlosen Gottvertrauen ermutigt und dazu, das Leben in Bescheidenheit und Solidarität zu führen.
Wichtig ist, dass wir nicht meinen, wir müssten Jesus als das Urbild des Glaubens in eine himmlische Parallelwelt erhöhen und zum Gegenstand unserer Anbetung machen. Es kommt vielmehr darauf an, dass wir uns von Jesu Glaubenszuversicht und Lebensmut anregen lassen und ihm darin nacheifern. Das freilich fällt oft entsetzlich schwer, angesichts der Ströme von Blut, die nach wie vor die Menschheitsgeschichte durchziehen, angesichts all der Gräuel und Ungeheuerlichkeiten, die Menschen einander angetan haben und fortwährend antun. Denken wir gegenwärtig nur an die Syrien, eines der Länder, in denen das Christentum seinen Ursprung hatte.
Der Glaube ist nicht bildlos. Er hat und behält sein Bild in dem gekreuzigten Christus. Und dessen Darstellung endet eben nicht mit der sog. christlichen Kunst, in dem mit Goldglanz bestückten „Christus Imperator“. Wir finden das Bild des Christus, der sein grundloses Grundvertrauen bis hinein in die Verzweiflung der Gottverlassenheit am Kreuz festhält, in Picassos Guernica ebenso wie in Anrulf Rainers Bildübermalungen. Ganz zu schweigen von der Literatur, die nicht nur voll ist von Erzählungen über die „Liebe in Zeiten der Cholera“, sondern überhaupt davon zeugt, dass das unfassliche Geheimnis des Lebens unaufhörlich danach strebt, in eine Form gebracht zu werden, die es uns möglich macht, dass wir ihm , wenn auch nur mit „Furcht und Zittern“ doch nahe kommen können.

Wenn Gott als Geheimnis ganz im Mittelpunkt des Glaubens steht, ergeben sich dann auch Verbindungen zur Gesellschaft, zur Solidarität? Oder wäre dieser Glaube eher “mystisch” zu nennen?


Dieser Glaube ist ein mystischer Glaube, wenn ein mystischer Glaube meint, dass das, woran der Glaube glaubt, nicht in gegenständlicher Distanz zum Glaubenden verbleibt, sondern der Glaubende auf die Verschmelzung mit seinem Glaubensinhalt aus ist. Mystischer Glaube, so könnte man auch sagen, ist ein in der Lebensgemeinschaft mit Jesus gelebter Glaube, ein mit dem grundlosen Gottvertrauen Jesu eins werdender Glaube. Darin liegt dann aber auch, dass die Lebenshaltung, die aus dem Glauben Jesu folgt, demjenigen, der glaubt, auch zu seiner eigenen wird. Dieser Glaube wird in den Glaubenden zu einem solchen, der zu Liebe und Solidarität, zur Hinwendung zu den Armen und Schwachen befähigt.
Schon der „Altmeister“ der Mystik, Meister Eckhart (1260 – 1328) hat die christologische Dogmatik entgrenzt. Was die Schultheologie Christus alleine vorbehält, spricht er jedem Menschen zu: „Alles, was die Heilige Schrift über Christus sagt, das bewahrheitet sich völlig an jedem guten und göttlichen Menschen.“ Und: „Alles, was Gott Vater seinem eingeborenen Sohn in der menschlichen Natur gegeben hat, das hat er alles auch mir gegeben: hiervon nehme ich nichts aus, weder Einigung noch Heiligkeit, sonder er hat mir alles ebenso gegeben wir ihm.“ (Predigt 5 und Bulle Johannes XXII., Nr. 12 und 11)


Offenbar liegt in Ihrem Vorschlag, Gott als Lebensgeheimnis im Zentrum des christlichen Glaubens zu sehen, auch eine starke Bedeutung im Blick auf andere Religionen, etwa in Richtung Frieden, mit Blick auf Muslime usw. 


Die entscheidende Frage in der Verständigung über Religion, gerade auch wenn wir mit Angehörigen anderer Religionskulturen sprechen, ist nicht mehr primär die nach den Gegenständen des Glaubens. Nicht mehr die Frage, was glaubt ihr, weil es euch die Bibel oder der Koran, die Kirche oder der Imam gelehrt hat, ist dann wichtig. Die entscheidende Frage im Gespräch der Religionen ist jetzt: Wie lebt ihr? Wie lebt ihr, weil das euer Glaube ist, weil ihr darauf euer Vertrauen setzt, weil das für euch die Wahrheit ist. Wenn wir anfangen, uns über unsere Lebenseinstellungen zu verständigen, dann kommt heraus, was an unserem jeweiligen Glauben wesentlich ist. Und möglicherweise merken wir dann auch, dass unter der Decke so verschieden auftretender Religionslehren ein Gemeinsames liegt, nämlich, dass sie uns alle Aufschluss geben über Gott als das Geheimnis des Lebens. Freilich, sie tun es dann eben doch auf sehr verschiedene Weise.
Worauf es also ankäme im Gespräch der Religionen: In dieser Vielfalt sollte die unendliche Fülle der Perspektiven auf das unerschöpfliche Geheimnis des Lebens gesehen werden. Diese Vielfalt würde dann zur Bereicherung. Wir würden sie also gar nicht mehr überwinden wollen, sondern uns an ihr erfreuen. Das würde dann auch für den innerchristlichen Pluralismus gelten. Die Vielfalt der Konfessionen wäre ebenso wenig auf eine Einheitskirche hin zu überwinden. Es braucht die Vielfalt der Konfessionen unabdingbar auf dem unendlichen Weg zu Gott als dem unerschöpflichen Geheimnis des Lebens – selbst wenn dieses Lob des Pluralismus auch dem jetzigen Papst vermutlich nicht gefallen dürfte.


Copyright: Wilhelm Gräb und Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Gelassenheit: Erkennen und üben, damit wir menschlich leben können

Ein religionsphilosophischer Salon am Freitag, den 14. Februar 2014, um 19 Uhr, in der Galerie Fantom in der Hektorstr. 9 in Berlin-Wilmersdorf.
Das Thema: “Gelassenheit: Erkennen und üben” meint nicht nur eine von vielen “Tugenden”, Haltungen in turbulenten Zeiten. Gelassenheit ist eine Art “Grundoption” für ein reifes Leben im Miteinander, aber auch in der Pflege der je eigenen Spiritualität, der “Sorge um sich selbst”. Nur in einer gelassenen Haltung werden wir überhaupt die Möglichkeiten sehen, an einem Punkt dieser Welt für eine gerechtere Welt einzutreten. Gelassenheit ist kein Selbstzweck, auch darüber werden wir diskutieren. Als Fortsetzung unserer letzten Runde über “Nutzen und Nachteil der Philosopie für das Leben” (im Januar 2014)
Wir wollen auch auf Meister Eckart zu sprechen kommen, auf seine Forderung “Gott lassen” und uns fragen, welcher Gott denn da erfahrbar werden kann, wenn wir (unseren) “Gott” lassen. Aber es soll nicht nur hoch spekulativ zugehen, sondern erste Schritte können besprochen werden, aus den Verklammerungen des Alltags herauszufinden, um ein Stück größere innere wie “äußere” Freiheit zu gewinnen.

Herzliche Einladung.Für die Raummiete erbitten wir -wenn möglich- 5 Euro.
Anmeldungen erbitten wir genauso, wegen der begrenzten Anzahl von Plätzen an: christian.modehn@berlin.de

Johann Gottlieb Fichte: Vor 200 Jahren gestorben

Wir erinnern gern an Johann Gottlieb Fichte, anläßlich seines 200. Todestages. Und wir haben den Eindruck, dass Fichtes Denken noch längst nicht “angekommen” ist in der Gegenwart. Darum zwei Hinweise:

Dabei interessieren uns von der religionsphilosophischen Fragestellung Hinweise, die der Philosoph Kurt Flasch in seinem wichtigen Buch “Meister Eckart, Philosoph des Christentums” (2010) gegeben hat. Im 13. Kapitel seines Buches erinnert Kurt Flasch an die Bedeutung des Johannes-Evangeliums im Denken Fichtes (S. 199f), vor allem in dem Buch “Anweisung zum seligen Leben” (1806). Fichte sieht im Johannes-Evangelium einen fundamentalen Text, der neue Horizonte eröffnet für ein Selbstverständnis des Menschen. Fichte sieht – darin eins mit dem Autor des Johannes-Evangeliums – den Menschen als Wesen, das sich vor jedem verdinglichenden Selbstverständnis bewahren muss. Und da gibt es die Brücke zu Meister Eckart. Kurt Flasch schreibt:”Ich behaupte nicht, Fichte biete den Schlüssel zu Meister Eckart, aber es ist kein Nachteil, über sein Konzept von Mensch und Geist nachzudenken, bevor man über Eckart zu sprechen beginnt” (S. 200). Ausdrücklich warnt Kurt Flasch davor, den Menschen, das Ich, als eine Art “Seelending” zu denken, “dem Denken und Wollen anhaften”(ebd.). Gerade davor warnt aber auch Fichte in seinem Buch.

Dringend empfehlen wir auch die Lektüre des Buches “Der ganze Fichte” von Peter L. Oesterreich und Hartmut Traub. Das Buch ist (2007) im Kohlhammer Verlag in Stuttgart erschienen,es hat 366 Seiten.
Schon früher hatten wir im “Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin” auf Fichte aufmerksam gemacht. Zur Lektüre dieses “Impulses” klicken Sie bitte hier.

Das Buch “Der ganze Fichte” ist wichtig, weil
– es versucht, die transzendentalphilosophischen Wissenschaftslehren mit den “populären” Philosophischen Schriften Fichtes zu vermitteln.
– es darauf hinweist, dass Fichte an einer “Philosophie der Philosophie” interessiert war und dabei auch die “Person des Gelehrten” als Ort dieses Philosophierens einführte.
– auch bislang eher unbekannte Eigenheiten Fichtes deutlich macht, etwa sein Interesse an Rhetorik,ja selbst an Predigt.
– weil es zeigt, wie sich Fichte gegen – konfessionalistische – Dogmatismen und Ideologien wehrte.
– weil es zeigt, dass die Wissenschaftslehre von 1804 wohl als der Mittelpunkt des Fichteschen Denkens anzusehen ist.
– weil es an die enge, kritische Verbindung mit Friedrich Heinrich Jacobi erinnert.
– weil es daran erinnert, dass Fichte leider eine Gesamtidee seiner Philosophie nicht mehr selbst darstellen konnte…
Diese Beispiele zeigen, dass auch für anfänglich Interessierte das Buch lesenswert ist.

Eine Philosophie der Philosophie. Rücklick auf einen Salonabend am 16.1.2014 als Vorblick

Eine Philosophie der Philosophie:
Vom Nutzen und Nachteil der Philosophie für das Leben
Ein „Religionsphilosophischer Salon“ am 16.1.2014.
Ein Rückblick als Vorblick
Von Christian Modehn

Das Thema unseres Salons ist: „Vom Nutzen und Nachteil der Philosophie für das Leben“. Dabei sind im Titel die Beziehungen zu einem Text Friedrich Nietzsches nicht zu übersehen: Er sprach von „Historie“ anstatt von Philosophie. Diese Nietzsche „Inspiration“ im Titel haben wir (noch) nicht weiter vertieft.
Besonders wichtig erscheinen uns dabei die Beiträge des „praktischen Philosophen“ Michael Braun, Berlin, der wieder einmal bei uns war. Seine Fragen, Ideen, Vorschläge wurden wieder als inspirierend wahrgenommen!
Einige Aspekte (eher aus der Sicht des Autors dieser Hinweise) wollen wir „festhalten“ für weiteres Nachdenken und Debatieren:
Das Thema „Vom Nutzen und Nachteil der Philosophie für das Leben“ gehört zu einer Frage nach der „Philosophie der Philosophie“. Sie wird nicht allzu oft erörtert, bestenfalls in eher populären Büchern „Was ist Philosophie?“ Es geht um ein philosophisches Begreifen des Philosophierens und der vom Philosophieren her geprägten (akademischen, universitären) Philosophie. Sie findet ihren Ausdruck in philosophischen Publikationen.
Es gab schon ein philosophisches Verstehen der Philosophiegeschichte, etwa Hegel ist da an prominenter Stelle zu nennen. Seine „Geschichte der Philosophie“ berücksichtigt das damals zugängliche „Material“. In der Auseinandersetzung mit den Schriften vergangener und lebender Philosophen entsteht dann für Hegel eine Philosophie der Philosophiegeschichte. Entscheidendes Stichwort ist dabei die Interpretationslinie: In der Geschichte des philosophischen Denkens drückt sich das zunehmend immer deutlicher verstehende Bewusstsein der Freiheit aus.
Deutlich wurde in unseren Gesprächen: Nur philosophisch lässt sich angemessen verstehen, was Philosophie ist. Wenn etwa ein Historiker von außen auf das philosophische Geschehen schaut, etwa auf die Institutionen, Publikationen, Biographien usw., sieht er die Außenseite des Philosophierens. Sobald man aber inhaltlich „einsteigt“ und kritisiert und debattiert, ist das bereits eine philosophische Leistung, und keine Sache mehr des außen betrachtenden Historikers.
Wichtig ist, sich beim Einstige in das Thema auf die vier Begriffe des Titels zu besinnen:
Philosophie sollte man in die beiden sprachlichen Elemente auflösen, um mehr zu sehen: „Philia“ meint eine freundschaftliche Haltung, vielleicht sogar eine liebende Faszination gegenüber der „Sophia,“ der Weisheit. Es geht also in der Philo-sophia um die sich selbst klar werdende, auch kritische Liebesbeziehung zur Sophia. Weisheit ist nicht mit Wissenschaft identisch, Weisheit ist umfassender auf das ganze Leben bezogen, hat einen stark praktischen Akzent, im Sinne von Lebensgestaltung und Lebensklugheit. Sophia im griechischen Philosophieren steht oft auch dem Logos nahe. Philosophie ist dann eine Liebe zum Logos, zum Sinn, zur Sprache, zum Dialog, zur Vernunft. Logos ist ein weiter Begriff, der auch ins Religiöse hineinreicht: Der Logos wird Mensch, noch schärfer im Johannes Evangelium formuliert: Er wird sinnliches (erotisches, sterbliches) Fleisch, greifbar als einzelne Person. In unserer „philosophischen Weihnachtsfeier“ am 27. 12. 2013 sprachen wir darüber.
Diese Liebe zur Weisheit, das wurde in Salon deutlich herausgestellt, ist jedem Menschen als Menschen möglich. D.h. Philosophieren ist grundsätzlich Sache aller Menschen. Auch wenn nicht jeder den Schritt (den Sprung?) wagt und vollzieht, sich auf das eigene Nach-Denken einzulassen. Vielleicht sind es Krisen und Erschütterungen, die den einzelnen ins eigene kritische grundsätzliche Nachdenken als Liebe zur (Lebens) Weisheit führen.
Zum Begriff Leben in unserem Titel: Wir sind überzeugt: Es gibt eine Gestalt des alltäglichen Daseinsvollzugs, in der in einer gewissen Selbstverständlichkeit gelebt („vor sich hin gelebt“) wird in einer scheinbar unerschütterlichen Selbstverständlichkeit, wo bestimmte Normen und Gebräuche selbstverständlich angenommen und oft auch praktisch respektiert werden. Viele Menschen haben schlicht keine Zeit, aus diesem alltäglichen Leben ohne große Erschütterungen im Denken herauszutreten.
Obwohl, philosophisch betrachtet, gerade in diesem alltäglichen Leben immer schon das Philosophieren lebendig ist und also Philosophie geschieht: Etwa in den banalen oder wichtigeren Entscheidungen wird angesichts mehrerer Möglichkeit eine Möglichkeit für das eigene Leben gewählt, etwa, weil diese eine Möglichkeit dem noch unbewussten eigenen Lebensentwurf am meisten entspricht.
D.h. auch in dem noch nicht vollständig selbst bewussten Leben des Alltags findet bereits Philosophie statt. Nur weil das so ist, kann dann überhaupt eine intensivere, kritisch fragende selbstbewusste Philosophie im eigenen Leben sich ereignen.
Vor diesem Übergang aus dem nur bewussten in ein selbstbewusstes Leben haben viele Menschen Angst. Sie weigern sich, in diese (offene) „Bewegung“ des Nachdenkens einzutreten, denn er stört, wenn nicht zerstört manche alltäglichen Gewissheiten. Etwa die Überzeugungen: „Mein Leben ist vollkommen richtig. So bin ich, so bleib ich“.

Diese Angst vor der Unsicherheit kann dann mit dem Begriff des Nachteils der Philosophie umschrieben werden. Dieser Nachteil, dieser dunkle, störende Schatten, wird nur in der Position ausgesprochen der Verklammerung an einen alltäglichen, noch nicht voll ausgebildeten selbst-bewussten Lebensentwurf. Wer einmal in die Philosophie eingetreten ist, kann in ihr keinen störenden Nachteil sehen, er wird sich mit der Ungewissheit denkerisch auseinandersetzen, mit der Frage: Warum hat jeder Mensch seine eigene Wahrheit und wie verhalten sich die vielen subjektiven Wahrheiten zu der Frage: Gibt es eine für alle jetzt lebenden Menschen gültige Wahrheit? Gibt es allen gemeinsame Überzeugungen (etwa „Gewalt und Grausamkeit soll unter keinen Umständen sein“, „dauerhafter Schmerz sollte nicht sein“, das „Hungersterben so vieler Ausgebeuteter“ sollte nicht sein usw.).
Als „Nachteil“ kann Philosophie erlebt werden, wenn sich der einzelne Denker ganz an einen bestimmten Philosophen klammert, von ihm nicht los kommt, ihn verehrt usw. Doch dies liegt dann wohl nicht an „der“ Philosophie, sondern an dem einzelnen, sich fixierenden Denker.
Auch die Vielfalt der Philosophien (es gibt ja nie „die“ Philosophie, wenn, dann nur in Diktaturen, die eine einzige Philosophie staatstragend wollen, dann aber handelt es sich um Ideologie).
Alle die vielen Philosophien haben aber doch wiederum gemeinsam, dass sie eben „Liebe zur Weisheit“ sein wollen, deswegen nennen sie sich ja „Philosophie“. Zur Philosophie der Philosophie in dem Sinne gehört also die Erkenntnis, dass es viele Philosophien „wesensmäßig“ geben muss: Denn jeder hat etwa seine eigene, subjektive Ausgangssituation im Denken. Philosophie als notwendig im Plural ist also kein Nachteil.

Damit sind wir schon beim Nutzen der Philosophie:
Philosophie ist tatsächlich nützlich im Sinne der praktischen Hilfe, sagen wir ruhig der Lebenshilfe. Philosophieren ist keine Spielerei, sie ist kein Luxus gelangweilter Seelen, keine hoch bezahlte Beschäftigung von Universitätsprofessoren, kein Hobby von Leuten, die schon mal alles probiert haben usw… Philosophie ist eminent mit dem Dasein und den Lebensfragen selbst verbunden. Und man sollte philosophische Texte immer in dieser praktischen Herkunft aus der Fraglichkeit des Daseins lesen, auch wenn sie manchmal unnötigerweise hoch kompliziert geschrieben sind, weil Philosophen offenbar nicht unbedingt gute Stilisten sein wollen/können.
Daraus wird aber nicht geschlossen: dass Philosophierende solche Menschen verachten, die den Sprung ins eigene Denken nicht (noch nicht) konsequent gewagt haben.
Philosophie nützt insofern, als sie den Menschen in einen wachen Zustand führt. Philosophie ist waches Leben, ein Leben im Licht der Vernunft, die es – ein anderes Thema – trotz aller möglichen Verbundenheiten des Denkens im Naturgeschehen gibt… Erwachen zur Philosophie als dem selbstbewussten Leben wäre eigentlich ein schöner Titel. Da ist dann Philosophie nicht mehr eine bloße formale Klärung der Exaktheit von Begriffsverwendungen, keine bloße Logik, sondern eine Lebensform. Philosophie als Lebensform, als „Schule“, das ist ein Projekt, an dem alle Interesse haben, die etwa auf der Linie von Pierre Hadot im Geiste antiker Philosophie weiter denken und weiter leben wollen. Von Hadot sind Philosophen wie Michel Foucault oder Wilhelm Schmid grundlegende inspiriert.

Copyright:
Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin