Von der Lust zu reisen: Über Orte der Sehnsucht. Drei Fragen an Prof. Wilhelm Gräb

Drei Fragen an Prof. Wilhelm Gräb

Wo wollen wir hin? Über Orte der Sehnsucht und die Lust zu reisen.

Die Fragen stellte Christian Modehn

Die Reiselust ist in Europa und den reichen Ländern ungebrochen groß. Noch fehlt eine Theologie des Reisens. Befassen wir uns heute mit dem freiwilligen Reisen, also nicht mit dem erzwungenen Weggehen aus der Heimat, das Flüchtlinge erleben, sie „verreisen“ ja eigentlich nicht. Die Frage klingt einfach: Warum wollen so viele eigentlich so oft wie möglich weg von Zuhause? Warum halten wir es zu Hause nicht aus, wie der Mystiker Blaise Pascal einmal behauptete?

„Es ist ein Sehnen tief in uns…“, so beginnt eines der neueren Kirchentagslieder. „Es ist ein Sehnen tief in uns, nach Dir, o Gott“, so geht es weiter. Es mag übertrieben erscheinen, wenn ich behaupte, dass das stimmt. Aber wenn wir denken, dass Gott die Fülle des Lebens ist, das Vollkommene, der absolute Sinn, dann wird verständlich, dass dahin doch recht eigentlich all unser Verlangen geht.

Der Alltag bleibt immer dahinter zu zurück. Das ist es demnach, so denke ich, was uns von Zuhause wegzieht, dieses Gefühl, dass dies nicht schon das Ganze gewesen sein kann. Die Meisten sind mit so vielem beschäftigt, das sie zwar in Bewegung hält, immer schneller und schneller, aber die Stunden und Tage, die wie im Fluge vergehen, sind doch keine erfüllte Zeit. Die Resonanz bleibt aus. Es kommt zu wenig zurück. Es verstärkt sich der Eindruck, nicht gemeint zu sein, eigentlich gar nicht vorzukommen, letztlich belanglos.

Deshalb zieht uns unsere Sehnsucht nach einem intensiveren Erleben des Lebens in die Ferne. Und es ist ja auch so, schon das Zeiterleben verändert sich am fremden Ort. Die Zeit vergeht langsamer. Das nennt man dann heute Entschleunigung. Und wir meinen damit genau dies, dass im Ausstieg aus den Routinen des Alltags und den fremdgesteuerten Beanspruchungen, Resonanzräume entstehen. Dann reagieren die Dinge wieder ganz neu auf uns und wir auf sie.

Das ist es, was wir erwarten, wenn wir verreisen. Endlich wieder Resonanz zu erfahren: Zeit zu gewinnen, die mir gehört, Landschaften zu sehen, die mich ansprechen, in Kirchen oder Museen zu gehen, die meinen Horizont erweitern.

Wo wollen wir eigentlich hin? Selbst, wenn wir am (Ferien) Ziel angekommen sind? Sind wir dann (bei uns selbst) angekommen? Ist jede Reise vielleicht auch mehr, etwa das Verlangen nach einem anderen Leben?

Die Sehnsucht nach Sinn, die uns von zuhause forttreibt, sie hat im Grunde kein konkretes Ziel. Ein solches kann es gar nicht geben. Dennoch müssen wir uns vornehmen, an einen bestimmten Ort zu reisen. Diesen suchen wir danach aus, ob er das Versprechen bei sich hat, dort etwas von dem zu finden, worauf unsere Sehnsucht geht: Ruhe, Natur, Bewegung, Entspannung, Zeit für sich selbst und miteinander.

Ich denke nicht, dass es ein anderes Leben ist, das wir suchen, manchmal vielleicht auch das. Vor allem aber verlangt uns danach, das eigene Leben, das, das wir haben und das uns im Alltag doch zugleich immer wieder entgleitet, intensiver zu spüren, wieder zusammenzufinden, mit dem Partner, der Partnerin, den Kindern. Schlicht der Ortswechsel tut schon gut. Er hilft, die Welt neu wahrzunehmen und wieder neu ein Empfinden dafür zu gewinnen, dass in sie hineinpassen, ja, sie einem sogar entgegenkommt.

Deshalb dürfen die Enttäuschungen auch keinesfalls zu groß sein. So neigen wir dazu, unsere Ferien im Nachhinein eher zu verklären. Wir zehren zudem von der Erinnerung, wenn wir wieder zuhause sind und der Alltag mit seinem Stress wie mit seiner Leere erneut einkehrt. Diese Erinnerung ist zugleich das immer noch nicht ganz eingelöste Versprechen, dass alles viel schöner sein könnte. Dieses Versprechen legt sich über die Wirklichkeit. So kompensieren die Ferien übers Jahr vieles von dem, was unser Leben in ein fades Grau in Grau taucht.

In den biblischen Erzählungen ist oft von Aufbruch und Aufbrechen aus der Heimat die Rede, etwa schon im Mythos von Abraham. Was unterscheidet eigentlich den biblischen „Aufbruch“ vom modernen Reisen? Können, sollten wir heute mehr „Aufbrechen“ (radikale Veränderung), als die kurzfristige Form des Verreisens zu wählen?

Der Abraham-Mythos bringt die religiöse Idee, die auch noch hinter unseren Ferienträumen steht – davon, dass wir in die Ferien „aufbrechen“ reden wir ja auch – zu einer präzisen Vorstellung. Wie wir im 1. Buch Mose, zu Beginn des 12. Kapitels lesen, bekam Abraham von Gott den Auftrag, in ein Land aufzubrechen, das er, Gott, ihm zeigen werde. Das sollte ein Aufbruch ins völlig Ungewisse sein. Doch über dieser Aufforderung zum Aufbruch ins Ungewisse stand zugleich die Verheißung der Fülle, eines gesegneten Landes und einer reichen Nachkommenschaft.

Was den biblischen „Aufbruch“ vom modernen Reisen unterscheidet, ist somit die Ausdrücklichkeit der religiösen Idee, die dahinter steht. Sie motiviert im Grunde aber auch unser heutiges Reisen. Auch wir suchen die Fülle. Auch wir erwarten, dass etwas zu uns zurückkommt, von dem was wir selbst in unsere Arbeit, in unsere Partnerschaft, in unsere Kinder investiert haben. Nur ist uns die religiöse Transzendenz, in die unsere Sehnsucht hineinreicht, vielfach nicht mehr bewusst.

In den Besitz der Fülle des Lebens zu gelangen, das wird uns Menschen nie möglich sein. Genau deshalb sehen wir die „schönsten Wochen des Jahres“, in denen wir, wie wir ebenfalls sagen, „die Seele baumeln lassen können“ immer wieder herbei. Ein Vorgeschmack von der verheißenen Fülle zu erlangen, das zumindest soll es dann doch sein.

Copyright: Prof. Wilhelm Gräb und Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

“Ehe für alle”: Homosexualität ist normal und darum auch die Homo-Ehe.

EHE für alle: Homosexualität ist normal… und darum auch die Homo-Ehe

Philosophische und theologische Hinweise. Sie wurden vor 2 Jahren schon einmal in einer längeren Fassung hier publiziert. Aus aktuellem Anlass erinnern wir an “bleibende” Einsichten zum Thema EHE FÜR ALLE. Es wird dabei als Nebenthema nicht uninteressant sein, am Ende des Beitrags zu lesen: Die Katholische Kirche segnet mit großer Selbstverständlichkeit Autos, Hunde und Katzen und Handys, aber nicht Homosexuelle, wenn sie denn eine religiöse Feier ihrer Ehe in einer katholischen Kirche wünschen…

Ein Kommentar von Christian Modehn am 29.6.2017

Zum Titel dieses Beitrags nur die kurze Erinnerung an gültige wissenschaftliche Erkenntnisse: Homosexualität ist gegenüber der Heterosexualität eine andere,  genauso wertvolle Form der menschlichen Sexualität, also etwas Normales…

Jetzt (d.h. im Moment der ursprünglichen Veröffentlichung 2015) hat der Supreme Court für das Recht auf gleichgeschlechtliche Eheschließung in allen (!) US-Staaten gestimmt. Die Urteilsbegründung durch den konservativen katholischen Richter Anthony Kennedy (er wurde 1988 von Reagan ernannt !) wird als historisches Dokument für die Gleichstellung homosexuellen Lebens und Liebens gelten können. Anthony Kennedy ist Katholik. Er könnte also sehr gut den Papst beraten in diesen Fragen! Anthony Kennedy hat einen Text der Urteilsbebegründung geschrieben, den die Herren der römischen Kirche durchbeten sollten, um in letzter Minute vielleicht noch Anschluss zu finden an eine vernunftbestimmte, allgemeiner werdende Zustimmung zur Ehe für alle. Oder wollen sich die Herren der römischen Kirche und die Führer orthodoxer und evangelikaler und pfingstlerischer Gemeinschaften Seite an Seite wissen mit den erklärtermaßen Homo-hassenden Diktatoren nicht nur in den arabischen Staaten? Können sich Christen in einem solchem Milieu wohlfühlen? Die bis jetzt bestehende geistige Nähe zu diesen Verächtern der Menschenrechte ist zumindest für den Vatikan höchst blamabel. Mit einem offiziellen Schuldbekenntnis des Papstes zur Jahrhunderte währenden Verfolgung und Unterdrückung Homosexueller durch die Kirche wäre ein erster Schritt in Richtung Vernunft getan. Im Evangelium steht die Liebe an allererster Stelle. Von Homosexualität im heutigen Lebenszusammenhang ist im Neuen Testament bekanntlich absolut keine Rede. Das sagen die Bibelwissenschaftler seit 50 Jahren, aber die Institution der Herrschenden, der Kirchenfürsten,  glaubt diese wissenschaftliche Bibelerkenntnis einfach ignorieren zu dürfen im Rahmen ihrer eigenen, ganz auf Herrschaft fixierten Theologie! Die katholischen Bischöfe der USA haben, wie zu erwarten, die Entscheidung des Supreme Court verurteilt, die vielen Stimmen der Bischöfe dort hat die eher progressive katholische Wochenzeitung “National Catholic Reporter” gesammelt, zur Lektüre des Beitrags klicken Sie bitte hier.

Durchaus wegweisend im katholischen Milieu sind die schönen, fast poetischen Worte des katholischen und konservativen US-Richters Anthony Kennedy: “Keine Bindung ist so tief wie die Ehe. Denn sie verkörpert die höchsten Ideale von Liebe, Treue, Hingabe, Opfer und Familie. Wenn zwei Menschen den Bund der Ehe eingehen, werden sie etwas, was größer ist als das, was sie einst waren…”

Der Respekt vor der Ehe wird durch den Willen vieler Homosexueller zu heiraten, ja nur unterstrichen! Der Richter Anthony Kennedy betrachtet es als “furchtbar unfair, dass das Potential eines einzelnen in irgendeiner Weise dadurch begrenzt würde, dass er einer Gruppe (etwa “den” Homosexuellen) zugeordnet würde”. Damit ist natürlich nicht gesagt, dass es nun eine Art Verpflichtung für Homosexuelle gibt, die gesetzliche Möglichkeit der Ehe (mit Kinder-Adoptionselbstverständlich) auch persönlich wahrzunehmen. Vielfalt der Lebensformen bleibt oberstes Gebot bei rechtlicher Gleichstellung.

Die Allianzen von Rechtsextremen und Katholiken gegen die Homoehe im Jahr 2015:

In den konservativ-christlich geprägten Milieus wird der Kampf gegen die “Ehe für alle” oft verbunden mit dem Kampf gegen “Genderismus” und für die “alten” Familienwerte, die nun angeblich durch die Homoehe zerrüttet werden. Dass dabei die alte Heteroehe oft bereits zerrüttet ist und etwa in vielen katholischen Regionen, wie Lateinamerika, als “klassische Liebes-Ehe” kaum noch besteht, ist ein anderes Thema.

Wichtiger ist hier: Es gibt eine direkte Verbindung und Verbrüderung der Gegner von “Familie für alle” mit rechtsextremen Parteien und Politikern, die alles andere sind als”lupenreine Demokraten”. Hier kann nur an den Moskauer Kongress vom 1. September 2014 erinnert werden unter dem Thema: “Große Familien und die Zukunft der Menschheit”. Mit dabei war die katholische Publizistin Gabriele Kuby, sie ist Mitglied im konservativen “Forum deutscher Katholiken”, einer Art reaktionären Alternative zum offiziellen “Zentralkomitee der Deutschen Katholiken” (ZDK). Das Forum deutscher Katholiken wird unterstützt u.a. von den Legionären Christi, von Neokatechumenalen, von einzelnen charismatischen Gruppen, früher war Kardinal Ratzinger dort gern gesehener Vortragender. Die Tagungen haben den hübschen Titel “Freude am Glauben”. Die mit diesen Kreisen eng verbundene katholische Zeitschrift/Tageszeitung “Deutsche Tagespost” (Würzbunrg) veröffentlichte einen Jubelbericht zur Moskauer Tagung, verfasst von Gabriel Kuby. Auch bei den Evangelikalen, beim Pressedienst IDEA, ist Frau Kuby schriftstellerisch tätig. Da haben sich also, von einer breiteren Öffentlichkeit kaum bemerkt, ganz neue Formen einer reaktionären Ökumene. Frau Kuby lobte in Moskau die hochrangigen Politiker, die in Moskau dabei waren: Es handelte sich um Aymeric Chauprade von dem sehr rechtslastigen Front National, Frankreich; auch ein führender Politiker der rechtslastigen und populistischen FPÖ war dabei: Johann Gudenus, Wien, er beklagte die angebliche weltweite Homolobby…Der Dominikanerpater Wolfgang Ockenfels, Prof. für katholische Theologie an der staatlichen Universität Trier, wollte Putin verteidigen, er klagte über “die Medien, die ihren Hass auf den Teufel Putin kaum noch zügeln können”. Putin gilt in reaktionären Kreisen weltweit, auch unter französischen Katholiken, als Lichtgestalt eines ordentlichen, der alten Familie verpflichteten gläubigen Europas. Die “Herder Korrespondenz” erwähnt in ihrer Ausgabe vom Januar 2015, Seite 52, dass ein deutscher Prälat in Rom, ein Mitarbeiter der Kurie, so wörtlich, “die wachsende Übereinstimmung des Heiligen Stuhls mit Russland unter dem praktizierenden Christen Putin” lobte.

Nur wer sich die internationalen Netzwerke vergegenwärtigt, im Rahmen einer rechtslastigen Ökumene, die reaktionäre Katholiken, Evangelikale und selbstverständlich Orthodoxe vereint, der kann die Bedeutung des “Kampfes für Ehe für alle” ermessen. Der kann aber auch ermessen, in welchem Licht das offizielle katholische Anti-Homo-Verhalten steht. Diese Bündnispartner im Kampf gegen die “Ehe für alle” zu haben, ist eigentlich noch peinlicher als der Kampf gegen die Homoehe selbst!

Wenn in Deutschland die Debatte um die so genannte Homoehe die Gesellschaft zu spalten droht, so gibt es in unserer Sicht, auch vom Forum der Remonstranten Berlin, einen Vorschlag, in dieser Diskussion weiterzukommen:

Religiöse Menschen innerhalb der Kirchen sollten erkennen, dass in der Auseinandersetzung mit der Homosexualität nicht die Bibel oder andere heilige Bücher leitend sein können. Es gilt, nicht alte Sprüche heiliger Texte nachzusprechen, sondern die Vernunft anzustrengen und im gemeinsamen Disput den Weisungen einer vernünftigen Ethik zu folgen. Christen müssen müssen also die Homosexualität diskriminierenden Texte ihrer eigenen religiösen Traditionen beiseite legen, d.h. nur noch der Historie wegen studieren; diese Texte haben aber keine existentielle Bedeutung (mehr). Christen sollten also wissen: Bei diesen “homofeindlichen” neutestamentlichen Texten handelt es sich um fromme Poesie von vorgestern. Erst wenn religiöse Menschen aufhören, bestimmte angeblich heilige Bücher in ihrer Wortwörtlichkeit unmittelbar als Gottes Wort zu verstehen, kann Gleichberechtigung und Respekt und damit Demokratie möglich werden. Warum stellen sich fromme Leute nicht die Frage: Will denn nun der „liebe Gott“ Menschlichkeit oder will er Ausgrenzung und Diskriminierung? Will er die besseren “korrekten” Fundamentalisten allein als Gläubige? Aber was wäre das für ein lieber Gott, der Diskriminierung will? Einen solchen sollte man getrost beiseite lassen. Wann wird man in Europa solche Worte von Kirchenführern und Theologen hören, von islamischen Gelehrten ganz zu schweigen?

Erst wenn Bibel und Koran historisch-kritisch gelesen werden, kommt die Emanzipation voran. Menschenrechte sind wichtiger als religiöse Weisungen frommer Leute, die vor etlichen hundert Jahren mit einem ganz anderen Weltbild gelebt haben. Die menschliche Vernunft entwickelt sich, auch das Verstehen des Religiösen entwickelt sich. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, daran zu erinnern. Viele religiöse Menschen benutzen z.B. vorbehaltlos moderne Technik, sind aber religiös auf dem Niveau des Altertums stehen geblieben. Dabei vergessen sie zudem, dass das Bild der Heterofamilie und Hetero-Ehe selbst aus dem 18. oder 19. Jahrhundert stammt, aus einer Zeit, als sich die bürgerliche Heteroehe durchsetzte. Die Päpste und Prälaten haben komischerweise nie etwas gegen die üblichen Mätressen der Fürsten und Könige gehabt und selbst die mittelalterliche Kirche duldete die Prostitution. Etwas mehr historische Bildung würde den leidenschaftlichen Hetero-Ehen-Vorkämpfern also sehr gut tun. Wie hieß doch das Motto des Evangelischen Kirchentages in Stuttgart kürzlich? „damit wir klug werden“. Klug werden heißt doch wohl, der kritischen Vernunft den absoluten Vorrang zu lassen. Hat der Kirchentag in Stuttgart dazu beigetragen? Bisher sehen wir dafür keine Anzeichen.

Die Gleichberechtigung homosexueller Menschen in den wenigen demokratischen Staaten ist das Ergebnis eines politischen Kampfes, eines schmerzvollen Kampfes um Emanzipation und Menschenrechte. Eigentlich kann von diesem offenen Eintreten für den Respekt für Homosexuelle erst seit 100 Jahren die Rede sein. Vorher war, sozusagen seit Adam und Eva, von Homosexualität als Normalität und als Wert wie die Heterosexualität nie öffentlich die Rede. Die Geschichte der Homosexualität ist seit Adam und Eva eine Geschichte des Verschweigens und Verfolgens, eine Leidensgeschichte, oft eine Geschichte der Lügen (man rettete sich, indem man sich heterosexuell nannte usw.).

Der Kampf um die Gleichberechtigung war ein Kampf gegen die etablierten und mächtigen Religionen, er war in Europa immer auch ein Kampf gegen die Deutungshoheit der Kirchen. Die Kirchen haben bis ca.1980 die gut bürgerlichen Vorstellungen der Ehe sozusagen heilig gesprochen und alle sexuelle „Andersheit“ ignoriert bzw. verfolgt.

Wenn es heute in demokratischen und halbwegs demokratischen Staaten keine Verfolgung von Homosexuellen mehr gibt: Dann nur als Sieg über die Ansprüche der religiösen und kirchlichen Traditionen „seit Adam und Eva“. Kirchlich und religiös definiert sich eben bis heute als unkritisch, alten Sprüchen verhaftet usw.

Eine kleine protestantische Kirche, die Remonstranten in Holland, folgte 1986 der vernünftigen Einsicht, stellte also die uralten antihomosexuellen und menschenverachtenden Texte der Bibel beiseite und erklärte: Wir segnen selbstverständlich auch homosexuelle Paare, auch jene, die nicht Mitglieder dieser Gemeinschaft sind.

Entscheidend ist, dass eine neue Kirchenordnung der Remonstranten existiert, jetzt werden alle Beziehungen zwischen Menschen, ob nun hetero – oder homosexuell, einfach nur „Levensverbintenis“ genannt, also, wörtlich übersetzt:„Lebenskontrakt“ bzw. „Lebensvertrag“ nennt. Auf den Begriff „Ehe“ wird verzichtet, weil er zu exklusiv noch an die Verbindung zwischen Heterosexuellen erinnert. „Der Grundgedanke dabei war, dass alle Theologie eben auch von der Gnade der Neuinterpretation (etwa der Bibel) lebt“, so Tom Mikkers, damals der “Allgemeine Sekretär der Remonstranten” in dem empfehlenswerten Buch „Coming Out Churches“, Meinema Verlag, 2011, Seite 68). „Gnade der Neuinterpretation“: Dieses Wort mögen bitte die Gegner der Homoehe auf ihrer spirituellen Zunge genießen.

Dieser Schritt der Remonstranten, homosexuelle Menschen als absolut gleichwertig in jeder Hinsicht zu sehen, wurde damals von anderen Kirchen heftig kritisiert. Aber es gab auch vereinzelte katholische Stimmen, die der Veränderung der Kirchenordnung der Remonstranten zustimmten: So sagte der damalige Studentenpfarrer in Amsterdam, der Jesuitenpater Jan van Kilsdonk, Homosexualität sei „eine gute Erfindung des Schöpfers“,

Der niederländische Gesetzgeber hat dann im Jahr 2001 als erstes Land der Welt überhaupt die bürgerliche Ehe auch für homosexuelle Menschen geöffnet, das geschah 15 Jahre nach dem Beschluss der Remonstranten. Nebenbei: Die Remonstranten gehören selbstverständlich zum „Ökumenischen Rat der Kirchen in Holland“, sie sind Mitglied im „Weltrat der Kirchen in Genf“…

Tom Mikkers dokumentiert zusammen mit dem Reformierten Pastor Wiellie Elhorst in dem Buch ein Stückweit die Wirkungsgeschichte der Initiative der Remonstranten von 1986: Denn inzwischen sind auch etliche Gemeinden der offiziellen Protestantischen Kirche der Niederlande (PKN) „zum Segen bereit“, sowie grundsätzlich die Kirche der Mennoniten (Doopgezinde in NL), die „Apostolisch Genootschap“ und die „Vrijzinnige Geloofsgemeenscap NPB“. Hinzukommen auch die Amsterdamer „Basisgemeiden“ wie „Dominikus“ , „de Duif“ oder die „Studentenecclesia“ (gegründet von Huub Oosterhuis).

Die Remonstranten haben sich jedenfalls gefreut, als sie im Jahr 2010 von dem landesweit hochgeschätzten (und gar nicht immer kirchlich gesinnten) Verein zur homosexuellen Emanzipation (COC) einen Preis der Anerkennung erhielten. Die Hetero –Ehe- Paare verlieren gar nichts, schon gar nicht werden sie diskriminiert oder gar verfolgt und ins Elend getrieben, wenn es auch Homo (Ehe) Paare gleichberechtigt gibt und diese heiraten und Kinder adoptieren und erziehen. Wovor haben die Hetero-Eheleute eigentlich Angst? Ihnen wird nichts weggenommen, wenn auch Homosexuelle heiraten wollen und als Ehepaar Kinder adoptieren.

Autos und Handys und Tiere werden katholischerseits gern gesegnet, aber nicht alle liebenden Menschen

Die katholische Kirche pflegt nach wie vor die Autosegnungen. Kürzlich sah ich, wie im Stift St. Paul im Lavanttal/Österreich, sogar Oldtimer und Motorräder von Priestern gesegnet werden. Ich hatte ja früher schon einmal katholischen Homopaaren -ironischerweise – empfohlen, wenn sie denn katholischen Segen wünschen: Sich am besten in ein Auto zu setzen bei einer Autosegnung. Dann werden diese Menschen, die die römische Kirche NICHT segnen will, vielleicht indirekt mit-gesegnet. Der Vatikan hat bisher auf diese liturgische Mit-Segnung nicht reagiert. Zur Lektüre dieses Beitrags klicken Sie bitte hier. Tatsache aber ist: Auf andere Weise ist eine Homo-Ehe-Segnung innerhalb der römischen Kirche wohl nicht zu bekommen. Und daran wird auch der angeblich so progressive Papst Franziskus nichts ändern. Eigentlich ist diese theologische Haltung nichts anderes als eine menschenverachtende Verdinglichung, sagen wir: eine theologische Liebe zum Gerät: Man will modern erscheinen, indem man Autos segnet oder eben auch Tiere, Kühe, Hunde, Katzen usw. …etwa am Tag des Heiligen Franziskus von Assisi).

copyright: Religionsphilosophischer Salon Berlin und Forum der Remonstranten Berlin.

 

 

 

 

Glück oder Sinn? Zwei kontroverse Kategorien einer Philosophie des Lebens

Glück oder Sinn?

Einige einleitende Hinweise zum Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin am 26.6.2015

Von Christian Modehn

Philosophie ist für unseren Salon keine abstrakte Theorie, sondern der Vollzug des selbstbewussten und selbstkritischen Lebens, also Philosophieren.

Diesmal wollen wir, etwas zugespitzt, zwei zentrale Dimensionen alltäglichen Lebens bedenken: Die Suche nach Glück und die Suche nach Sinn; die Erfahrung von Glück und die Erfahrung von Sinn.

In der heutigen Zeit, so das Vorverständnis, steht im Mittelpunkt der Lebensgestaltung das Glück. Bedingt durch eine mediale Propaganda, die in einer totalitären Konsumwelt alles Konsumieren als Glück anpreist. Als kurzfristiges Glück, das durch den Kauf neuer Produkte zu einer neuen (aber ähnlich konsumistischen) Beglückung, zu Genuss, Spaß, Ablenkung usw. führt. Dabei wird nicht übersehen, dass sehr viele Menschen selbst in Westeuropa in einem, arbeitsmäßig bedingt so öden Alltag leben, dass die Sehnsucht nach konsumierenden Glücksmomenten sehr verständlich ist. Als kleine Flucht aus dem eher wenig inspirierenden Alltag. Entsprechende Ratgeber-Bücher werden massenweise publiziert: Vorschläge zur Selbstoptimierung werden gemacht, Ideen verbreitet, wie man noch produktiver funktionieren kann in einer Gesellschaft, die nicht an Identität ihrer Mitglieder, sondern an deren Flexibilität und ökonomischen Verfügbarkeit interessiert ist.

Insofern ist die Suche nach Glück zugleich der Versuch, Unglücklichsein, Eingeschränktsein, der Monotonie Ausgesetztsein usw. zu überwinden. Glückmomente sollen eher langfristiges seelisches und körperliches Leiden überwinden. So die propagierten Verheißungen. Aber nach den Glücksmomenten kehrt man in den Zustand des eher dauerhaften Leidens zurück. Dann kann schnell die Sucht nach immer neuen Glücksmomenten wachsen, auch die Sucht nach dem Vergessen des Leidens. Also auch die Sehnsucht nach dem Schlaraffenland als dem totalen immer währenden Glück.

Nebenbei: Es ist ein Verdienst von Kant, dass er in seiner praktischen Philosophie nicht das Glück, sondern die Freiheit und Autonomie in den absoluten Mittelpunkt stellt. Im kategorischen Imperativ begegnet mir die Aufforderung, aus Pflicht das Gute zu sein. Da gibt es keine Neigung, keine Lust, die dann möglicherweise als Glück erlebt wird. Dieses tugendhafte Leben der Pflicht muss nicht immer glücklich machen. Das Glück bleibt unverfügbar. Der Mensch wird im Tun des Guten aber würdig, glücklich zu sein. Dann bildet sich eine Art Moraltheologie: Der gut Handelnde (aber manchmal Leidende) kann hoffen, dass er dereinst eine volle Glückseligkeit erleben kann. Aber aus dieser Idee darf keine fremdbestimmte, Jenseits orientierte Moral werden.

Und heute? Eine Philosophie, die wirklich „ihre Zeit in Gedanken fassen“ will, wie Hegel sagt, muss diese aktuellen gesellschaftlichen Tendenzen und Zwänge berücksichtigen: Das heißt: Wir werden heute zum kurzen Konsum Glück gedrängt. Aber diese Glückserfahrungen sind nur Fragmente im Leben. Die Frage entsteht wie von selbst: Was macht mein Leben lebenswert? Was macht mein Leben sinnvoll?

Aber die Sinnerfahrung, das sinnvolle Leben? Was ist das? Sinn hat zunächst auch mit Sinnlichkeit zu tun. Mit dem über alle meine Sinne vermittelten Bezogensein auf Welt. Ich erlebe mit allen Sinnen die Welt, und bin so einbezogen in die Vielfalt der Welten. Ich erlebe mich dabei selbst als Wesen, das nur als Bezogenheit und im Netzt mit anderen und anderem existiert.

Dieses Bezogensein sollte jeder beachten, der nach dem eigenen Lebenssinn fragt: Etwa, wenn Gefühle der persönlichen Sinnlosigkeit sich breit machen: Dann bin ich aus einem vorherigen Sinnbezug herausgetreten oder er wurde mir genommen, ich stehe sozusagen zurückgeworfen auf mich allein da, ohne Netz und ohne sinnliche Verknüpfung mit anderem und anderen. Die Aufgabe einer neuen Sinnstiftung durch mich ist das Knüpfen neuer Verbindungen in dem Netz der Verbindungen und Beziehungen, in dem ich lebe. Diesen Sinn kann jeder und jede nur für sich selbst suchen und finden. Freunde oder manchmal (reife) Gemeinschaften können mit Vernunft beratend durchaus helfen.

Philosophisch scheint mir wichtig zu sein, dass wir erkennen: Wir leben IMMER SCHON in einem Sinnzusammenhang. Ein Beispiel: Wenn ich mich fortbewege, dann mache ich das um einer Sache willen, etwa, um an einer Konferenz teilzunehmen. Diese Teilnahme erscheint mir sinnvoll. Und diese Sache ist wieder verbunden mit einer größeren: Ich will etwa lernen, wie ich anderen Menschen besser nahe sein kann, ihnen vielleicht helfen kann. Aber wenn ich das dann tue, dann frage ich mich: Warum will ich den anderen helfen? Was ist der Sinn der Hilfe? Und wer hilft mir?

Das heißt, im praktischen Alltag setzen wir immer schon unseren Sinn, der sich dann immer ausweiten kann in grundlegendere Sinnerfahrungen: Etwa die Zufriedenheit darüber, dass ich anderen Menschen behilflich sein kann. Diese Erfahrungen können längere Zeit dauern, können uns langfristig prägen. Sie beglücken also, sie stiften Glück, aber anders als das kurzfristige durch Konsum entstandene Moment-Glück. Sinnglück ist von längerer Dauer und Intensität.

Wichtig ist also die Erkenntnis: Wir stehen immer schon im Sinnhorizont; das erkennt man freilich erst in der Reflexion auf das gelebte Leben, also auch im Abstandnehmen vom Alltag.

Wichtig ist ferner: Wir werden diesen anwesenden Sinnhorizont nicht „los“, selbst wenn wir ihn ablehnen. Selbst ein Suizid-Begehender findet, falls bei klarem Bewusstsein, diesen seinen Schritt für sich noch sinnvoller als Weiterzuleben.

In jedem Fall: Wir „machen“ unseren jeweiligen kurzen, „Etappen“-Sinn durchaus; wir „setzen“ ihn für uns. Wir sind dabei aber unabwerfbar gebunden an die ständige allgemeine „Sinn-Fähigkeit“ unseres Geistes überhaupt. Erst diese allgemeine geistige Dynamik ermöglicht überhaupt erst die konkrete und begrenzte Sinnsetzung im Alltag.

Das heißt: Wir „machen“ unseren Sinn, indem wir von der gegebenen (!) Sinn-Fähigkeit leben. Diese Aussage korrigiert die volkstümliche Behauptung: „Der Mensch „macht“ seinen Sinn, Basta“.   Diese Aussage ist demzufolge viel zu eng und „naiv“. Sinn ist immer gemacht und GEGEBEN (durch die Geiststruktur)

Dabei können sich Perspektiven für eine Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie ergeben:

Wir können den Sinnhorizont, in den wir gestellt sind, nicht abstellen, nicht auslöschen. Er ist uns unzerstörbar gegeben. Wir haben also in unserem Leben immer schon mit etwas Unzerstörbarem zu tun. Wir leben in einer unabwerfbaren „Gabe“ der Sinnfähigkeit. Aber: Wir können diesen „letzten“ Sinn, also die eher formale und allgemeine Sinnfähigkeit, nicht noch einmal umgreifen, können also nicht im Umgreifen möglicherweise sagen: Jetzt haben wir die allgemeine und vorgebene Befähigung zum Sinn gepackt. Wir können nur im Hineingestelltsein in den Sinn sagen: Er ist eine Dynamik, die uns bewegt, die uns nie fixiert, die uns nie zur Ruhe kommen lässt, die uns immer weiter fragen lässt.

Letztendlich stellen wir uns dem Sinnhorizont in einer Form des allgemeinen Glaubens: Wir glauben eben, der Sinn und der Sinnhorizont seien etwas Positives für uns ist. Das unser Leben nicht ermöglicht, sondern in eine tiefere Zufriedenheit führen kann.

Von daher ergeben sich je individuell und in je verschiedener Perspektive Einsichten zur Frage: Was ist der Sinn „des“ Lebens? In dieser Abstraktheit und sozusagen universal einmal für immer lässt sich diese Frage NICHT beantworten. Das heißt aber NICHT, wie manchmal schnell behauptet wird: dass „das“ Leben sinnlos wäre. Wir erleben ja – unabwerfbar – den ständigen „Auftrag“, unseren je eigenen, aber immer humanen Sinn zu stiften.

Insofern kann man sagen: Was Leben langfristig gestaltet und glücklich macht, ist nicht das momentane „Glück“, sondern die Suche und das Erleben von Sinn als Leben in einem Netz von Beziehungen voller Verantwortlichkeiten und Freude.

Copyright: Christian Modehn

 

 

 

 

Bloß nicht zuviel Gehorsam: Ein Salonabend am Freitag, 24. Juli 2015

“Bloß nicht zu viel Gehorsam”.

Der Religionsphilosophische Salon Berlin im Monat JULI 2015 hat sich am Freitag, den 24. Juli, wieder ein schwieriges, auch deutsches, natürlich auch ein religiöses, aber immer aber philosophisches -ethisches Thema vorgenommen: Wem wollen und wem sollen und wem können wir noch gehorchen? Eine Gewissensfrage…

Weitere Infos folgen. Interessant wäre vorweg eine Besichtigung im Jüdischen Museum Berlin zum Thema Gehorsam (und Gott)…
und natürlich auch die Lektüre des Buches von Henry David Thoreau: “Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat”. (Diogenes Verlag. Für ganze 5 Euro)

Weitere LEKTÜRE Empfehlung: Von Erich Fromm, Über den Ungehorsam: “Der Mensch hat sich durch die Akte des Ungehorsams weiterentwickelt. Nicht nur, daß seine geistige Entwicklung nur möglich war, weil es einzelne gab, die es wagten, im Namen ihres Gewissens und Glaubens zu den jeweiligen Machthabern >>nein<< zu sagen – auch die intellektuelle Entwicklung hatte die Fähigkeit zum Ungehorsam zur Voraussetzung, zum Ungehorsam gegenüber Autoritäten, die neue Ideen mundtot zu machen suchten, und gegenüber der Autorität lang etablierter Meinungen, die jede Veränderung für Unsinn erklärten”. Zur ausführlicheren Lektüre:  http://www.irwish.de/Site/Biblio/Fromm/Ungehorsam.html

 

Jan Hus vor Jahren 600 auf dem Scheiterhaufen verbrannt: Erinnerungen an einen radikalen Reformator

Jan Hus vor 600 Jahren auf dem Scheiterhaufen verbrannt: Erinnerungen an einen radikalen Reformator

Ein Hinweis von Christan Modehn

Jan Hus, der tschechische Reformator, wurde am 6. Juli 1415, vor 600 Jahren,  während des Konzils von Konstanz auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Sein Verbrechen: Er forderte eine grundlegende Reform der katholischen Kirche.

ARTE sendet am Mittwoch, den 1. Juli, einen wichtigen Film des tschechischen Fernsehen über Jan Hus, als Zweiteiler: Der erste Film beginnt um 20.15, der zweite um 22.15 Uhr.

Wir haben schon vor einigen Monaten auf das empfehlenswerte neue Buch des tschechischen Historikers Pavel Soukoup “Jan Hus”, hingewiesen, erschienen ist es als Kohlhammer-Taschenbuch 2015.

Einen grundlegenden Eindruck vom Anliegen des Reformator HUS vermittelt Pavel Soukup in einem Interview für den NDR (Info-Programm, Reihe Blickpunkt Diesseits).

Jan Hus – Die Urkirche als Vorbild: Der Reformator aus Prag

Eine Ra­dio­sen­dung von Christian Modehn

Vor 600 Jahren fand in Konstanz, auf deutschem Boden, ein Konzil statt. Die Zusammenkunft am Bodensee sollte nicht nur die Krise des Papsttums beenden, tatsächlich gab es zu dem Zeitpunkt drei Päpste, die um Anerkennung kämpften. Vor allem aber sollte auch ein radikaler Kirchenreformer zur Raison gebracht werden, ein böhmischer Theologe, den viele für einen Vorläufer Martin Luthers halten. Jan Hus.

Der Historiker Pavel Soukoup betont: „Ganz allgemein gesagt, wollte Hus die Kirche so haben, wie sie zur Zeit der Apostel war, also die Urkirche. Was das praktisch bedeutete: Also der Lebenswandel der Kleriker sollte besser sein; sie sollten sich auf die Predigt konzentrieren, und arm leben.“

Pavel Soukoup von der „Prager Akademie der Wissenschaften“ befasst sich seit Jahren mit dem Reformator Jan Hus, weil er weiß: Die Vorschläge von Hus zur Kirchenreform sind bis heute von Bedeutung! Im Jahr 1400 wurde Hus, kaum dreißigjährig, zum Priester geweiht. Schon bald verehrten ihn die Gläubigen, war er doch der führende Intellektuelle und populäre Prediger an der Prager „Bethlehems Kapelle“. Er wagte es nicht nur, in tschechischer Sprache anstelle des üblichen Latein die Bibel auszulegen. Er forderte radikal eine bessere, eine reformierte Kirche. Pavel Soukoup: Wenn Hus die Kirche und die Priester beobachtete, verlor er allmählich sein Vertrauen in die Kirche als Institution. Und er wollte eine Kirche haben, die sich auf das Evangelium orientiert und die nicht so stark als Institution hervortritt und sich auch machtpolitisch durchsetzt.

Unter Kirche verstand Jan Hus vor allem als eine geistige Gemeinschaft, die ohne Macht und Herrschaft auskommt. Wie sein Zeitgenosse John Wyclif, ein englischer Reformator, wollte der Böhme Jan Hus einen einfachen, elementaren Glauben fördern, betont Pavel Soukoup: „Hus und die meisten Hussiten haben die kirchliche Tradition nicht als ganze verworfen. Von daher wollten sie diejenigen Teile der kirchlichen Tradition anerkennen, die nach ihrer Interpretation mit dem Gesetz Christi übereinstimmen. Wenn dann etwas im Gegensatz zu Christi Gebot steht, sei es ein päpstlicher Erlass, dann muss das verboten werden“.

Aber die Bischöfe hatten die Macht. Sie sprachen das Verbot aus und untersagten dem beliebten Theologen Jan Hus die pastorale Arbeit. Er aber ließ sich nicht einschüchtern; als Wanderprediger kämpfte er für die Kirchenreform. Seine Sache wollte er beim Konzil in Konstanz verteidigen, freies Geleit wurde ihm offiziell zugesichert. Aber schließlich wurde er genötigt, seine Reformvorschläge zu widerrufen. Hus ließ sich nicht beirren, er folgte seinem Gewissen, beharrte auf seiner Lehre. Am 6. Juli 1415 wurde er in Konstanz verbrannt. Seit der Zeit ist er eine Art Nationalheld des Tschechischen Volkes. Als 1919 die Republik ausgerufen wurde, gründeten römisch – katholische Theologen eine unabhängige tschechische Nationalkirche, eine Art katholische Reformkirche mit der Messe in der Landessprache, auch die Priesterehe wurde zugelassen. Diese Kirche führt bis heute Jan Hus in ihrem Namen, berichtet der Münchner Historiker Martin Zückert: „Hervorgegangen aus einer Reform orientierten Bewegung der katholischen Kirche, konnte die Tschechoslowakische Kirche bis kurz vor dem 2. Weltkrieg auf knapp eine Million Mitglieder kommen. Allerdings immer begrenzt auf die böhmischen Länder, also das heutige Tschechien. Heute zählt die Tschechoslowakisch Hussitische Kirche nur noch knapp 100.000 Mitglieder, spielt also keine Rolle mehr“.

Aber diese Kirche kann, wie die anderen protestantischen Kirchen Böhmens, die Erinnerung an die böhmische Reformation immerhin wach halten: Und dies ist um so dringender, angesichts des bevorstehenden Gedenkens an die Hinrichtung von Jan Hus vor 600 Jahren. Denn die Kommunisten haben das Bild des Kirchenreformators für ihre Zwecke missbraucht und damit den guten Ruf von Jan Hus beschädigt, betont der Historiker Pavel Soukoup:

„Dann wurden die Hussiten als Vorkämpfer der kommunistischen Revolution angesehen, in der allgemeinen Meinung kann man vielleicht eine Reaktion beobachten: Weil Hussitismus von den Kommunisten so positiv angesehen wurde, dann neigt man heutzutage dazu, ignorieren oder sogar negativ anzusehen“.

Copyright: Christian Modehn

 

 

 

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