Sarkozy, Ex-Präsident und Ehrendomherr im Lateran, Freund Benedikt XVI., ist verurteilt.

“Das Wort verzichten gehört selten zu meinem Vokabularr”, so Nicolas Sarkozy in seinem Interview-Buch “La République, les religions, l espérance” Ed. du Cerf, Paris, 2004, S. 78)

Von Christian Modehn. Dieser Beitrag erschien Anfang 2008. Er wird nun, anläßlich der Gefängnisstrafe für den Ex – Präsidenten Nicolas Sarkozy, am 1.3.2021 ausgesprochen, noch einmal veröffentlicht. Und bezogen auf Sarkozys Wort: Er habe, so wörtlich, “eine geringe Bereitschaft zu verzichten”, also offenbar auch, was die Annahme von Millionen Euro Geschenken von al Gaddafi und anderen betrifft.
Dieses Zitat könnte das Motto Sarkozys sein. “Das Wort verzichten gehört selten zu meinem Vokabular”.
Das Zitat stammt aus dem oben genannten Buch, an dem u.a. der Dominikaner Pater PHilippe Verdin mitwirkte.Er ist ein alter Freund Sarkozys, der Dominikaner war also DER Stichwortgeber des Buches. Heute gehört Pater Verdin den sehr konservativen Kreisen im französischen Katholizismus an, kürzlich hat er ein Buch über Buch über Papst Pius V. verfasst, den Förderer der lateinischen Messe

Der Beitrag weist auf den merkwürdigen Umstand hin, dass ein französischer Staatspräsident (als Laie im katholischen Kirchenrecht) Ehrendomherr von St. Johannes im Lateran (Rom) werden kann…Die sozialistischen Staatspräsidenten (wie Mitterrand, Hollande) haben es abgelehnt, nun auch noch “Ehrendomherr” zu werden…

Der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy gilt jetzt als der prominenteste Monsieur Bling-Bling, das passt zu seinem Lebensstil: Sein Gehalt hat er bereits saftig erhöht, offenbar, um den Einladungen auf die Privatyachten des Milliardärs Vincent Bollore folgen zu können. Nun darf sich der Präsident auch mit einem ernsthaften Ehrentitel schmücken: Er wurde in einem feierlichen Gottesdienst zum Ehrendomherrn der Lateranbasilika in Rom ernannt. Auf eine Messfeier aus diesem Anlass verzichtete der Papst diplomatischerweise, um den von Benedikt XVI. geschätzten katholischen Staatspräsidenten nicht in Verlegenheit zu bringen: Denn der hätte als zweifach geschiedener Gatte nicht zur Kommunion gehen dürfen, das wäre rein optisch für ihn blamabel gewesen.

Dass französische Staatschefs zu Ehrenprälaten der Lateranbasilika ernannt werden, ist eine alte Tradition, sie geht auf König Heinrich IV. zurück. Aber nicht diese historische Merkwürdigkeit, sondern der merkwürdige Vortrag Sarkozys in Rom erschüttert nicht nur die französische Öffentlichkeit. Denn Nicolas Sarkozy hat heftige Debatten über die Rolle der Religion provoziert. Als französischer Staatspräsident ist er eigentlich zur religiösen Neutralität verpflichtet. In Rom aber hat er seine privaten Glaubensüberzeugungen wie eine offizielle Staatsdoktrin verkündet: Frankreich habe vor allem »christliche Wurzeln«, schärfte er ein.

Tatsache aber ist, dass die Republik ein Ergebnis der – gar nicht frommen – Philosophie der Aufklärung ist. Im Kreise der versammelten Kurienkardinäle fühlte sich Monsieur Bling-Bling so wohl, dass er sich zu der Äußerung hinreißen ließ: »In der Wertevermittlung und im Erlernen des Unterschieds zwischen Gut und Böse kann der Lehrer (staatlicher Schulen) niemals den Pfarrer ersetzen. Denn dem Lehrer fehlt immer die Aufopferung des eigenen Lebens und das Charisma eines Engagements, das von der Hoffnung getragen ist«.

Aufopferung und Engagement haben nur Pfarrer, nicht die »weltlichen Lehrer«? Damit hat der Staatspräsident seinerseits eine Wertehierarchie geschaffen: Zuerst kommen die Glaubenden, dann die Nichtglaubenden. Es ist ja kein Geheimnis, dass die Lehrer an staatlichen Schulen eher zu den religionskritischen Kreisen gehören.

In weiten Kreisen der französischen Gesellschaft wurden Sarkozys Äußerungen wie eine Zerstörung der mühsam erkämpften Gleichheit aller weltanschaulichen Überzeugungen wahrgenommen. Es ist, als wollte Sarkozy die laicité, die typisch französische Trennung des Religiösen vom Politischen, verändern, sagte er doch in Rom: »Ein Mensch, der glaubt, ist auch ein Mensch, der hofft. Und ohne diese hoffenden Menschen kann die Republik nicht auskommen.« Sarkozys Berater und Redenschreiber Henri Guaino ließ ergänzend verlauten: »Wer kann leugnen, dass die Immanenz, also die bloße Weltlichkeit, die Mutter aller totalitären Systeme ist?«

Die Kardinäle und der Papst waren über solche Worte glücklich: Père Guy Gilbert, bekannter »Rockerpfarrer aus Paris«, gehörte zur Delegation Sarkozys in Rom. Er berichtete in seiner drastischen Art: »Ich saß neben den Kardinälen, als Sarkozy seine Glaubenswahrheiten verbreitete. Dabei erlebten die Kardinäle eine Art mystischen Orgasmus.«

In jedem Fall freut sich der Papst Benedikt XVI., einen Mitstreiter für ein christliches Europa gefunden zu haben: Die Gläubigen (und natürlich die sie führenden Hirten) werden politisch wieder »gebraucht«. Gerade in den sozialen Brennpunkten der Vorstädte von Paris, Lyon oder Marseille möchte der Präsident die Geistlichen und ihre Gemeinden als Ordnungsfaktoren etablieren, sozusagen als Hilfstruppen der Polizei. Auch den Imams möchte Sarkozy diese besänftigende Rolle zuweisen. Darum bemüht er sich um die Stärkung des Dachverbandes aller islamischen Gruppen.

Aus den Kreisen seiner Minister verlautet, dass das bestehende Recht zugunsten der Kirchen und Religionsgemeinschaften nachgebessert werden soll, kirchliche Radio- und Fernsehsender sollen zum Beispiel finanziell unterstützt werden. Aber ist der Preis nicht zu hoch? Bischof Claude Dagens von Angouleme meint: »Die Kirchen dürfen nicht als politische Hilfstruppen betrachtet und nur deswegen geschätzt werden, weil sie sozial nützlich sind und etwa die Lücken füllen, die der Staat hinterlassen hat.« Vor allem mit der Ausländerpolitik ihres Ehrenprälaten der Lateranbasilika sind die französischen Bischöfe ganz und gar nicht einverstanden. Ausländer ohne gültige Ausweispapiere werden wie in Gefängnissen gehalten, Familien zerrissen, Hoffnungen zerstört. Auch darum nehmen die »praktizierenden Katholiken« Abstand von ihrem Präsidenten: Nur noch 60 Prozent sind jetzt mit ihm zufrieden, vor einem Jahr waren es noch 83 Prozent! Und die säkularen Kreise sind empört: Sie wollen an der bisherigen Form der Trennung von Kirche und Staat unter allen Umständen festhalten.

copyright: christian modehn

Dieser Beitrag erschien in der Zeitschrift PUBLIK FORUM am 7.3. 2008.

Aktualisiert am 7. März 2021 durch CM

Moderner Katholizismus wird verboten: Das progressive katholische Zentrum St. Merry in Paris muss schließen.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 28.2.2021.
Für alle, die Französisch lesen können, füge ich unten, am Ende meines Beitrags, einen Kommentar der Wochenzeitung Témoignage Chrétien, Paris, vom 4.3.2021 an.

Inzwischen (13.3.2021) hat die Gemeinde, die vom Erzbischof von Paris verboten wurde, eine eigene website gestaltet, sehr interessant…und schön gestaltet:
www.saintmerry-hors-les-murs.com

1.
Eigentlich ist es kein Ereignis von internationaler Bedeutung, wenn eine katholische Kirchengemeinde aufgibt und ihre Aktivitäten einstellt. Hier aber ist es ein Ereignis! Denn es geht nicht um irgendeine, sondern um eine weltweit bekannte, sagen wir „berühmte“ katholische Gemeinde in Paris: Sie hat den eher klassischen Namen „Pastorales Zentrum“. Und dieses hatte in der schönen, spätgotischen Kirche St. Merry (Organist war einst Camille Saint Saens) sein Zuhause. Die Kirche befindet sich in direkter Nachbarschaft zum Kultur-Zentrum Beaubourg/Pompidou. Was für eine Chance für einen offenen Dialog Kirche und Kultur…Darum ist der offizielle Titel auch „Centre Pastoral Halles-Beaubourg“.
2.
Und diese Gemeinde hätte gern weiter gelebt in aller bekannten Vitalität, aber sie wurde vom Pariser Erzbischof Michel Aupetit aufgelöst. Am 28.2. 2021 fand wie üblich um 11.15 Uhr der letzte Gottesdienst statt. Gegen die Entscheidungen von Herrschern, die sich Oberhirten kann „das Volk Gottes“ katholischer Art nichts machen.
3.
Ein ungewöhnlicher Vorgang, eine Gemeinde zu verbieten. Denn eigentlich sollten doch Bischöfe froh sein, wenn überhaupt noch Leben in katholischen Gemeinden ist. Und im „Pastoralen Zentrum St. Merry“ war Leben, viel Leben: Denn diese katholische Gemeinde hatte von Kardinal Marty einst, 1974, ganz offiziell das Privileg erhalten: Priester und Laien sind dort gemeinsam verantwortlich für alles, was in der Gemeinde geschieht. Laien, sonst immer nur als beratende Teilnehmer in kirchlichen Gremien vorhanden, konnten also hier mitentscheiden, über die Form der Gottesdienstgestaltungen, der sozialen und kulturellen Aktivitäten. Selbstverständlich waren auch Homosexuelle und Lesben als verantwortliche Mitarbeiter willkommen, was keineswegs üblich war in katholischen Gemeinden. Kunstausstellungen fanden in der Kirche St. Merry statt, Flüchtlinge fanden Unterkunft, Obdachlosen wurden Mahlzeiten angeboten, die „Restaurants du coeur“ wurden hier inszeniert; „Straßenzeitungen“ der Obdachlosen begründet, Konzerte (gratis!) am Samstagabend veranstaltet, an jedem Nachmittag wurde eine geräumige Seitenkapelle zu einer Art Café umgestaltet, offen für alle. Viele Christen aus der weiten Umgebung sahen St. Merry als ihre spirituelle Heimat an.
4.
Und das wird nun beendet.So will es der Erzbischof. Die französische Presse (Liberation, Le Monde, La Croix, Réforme, Témoignage Chrétien usw.) hat über dieses Durchgreifen berichtet. Aber die Gründe dafür werden nicht so recht klar und deutlich: Es soll in letzter Zeit viel Streit gegeben haben zwischen den Priestern, die vom Erzbischof für das „Pastorale Zentrum“ ernannt wurden. Einige engagierte Laien, so ist der Presse zu entnehmen, hätten sich manchmal sehr heftig den Weisungen und Vorschlägen der Priester widersetzt. Der Erzbischof begründet die Schließung dieses hoch ambitionierten katholischen Zentrums mit, so wörtlich, boshaftem Verhalten der Laien, mit deren „Mangel an Liebe“, sogar vom „Willen zur Zerstörung“ spricht er sowie, man ahnt es, „von einem gewissen „Sektarismus“. So nennt ein Bischof heute Laien, die ihre eigene theologische Meinung haben.
5.
Einige tausend Unterschriften wurden zur Fortführung dieses katholischen Gemeindezentrums gesammelt, auch die protestantische Wochenzeitung REFORME in Paris berichtete und zitierte Pastoren, die voller Lob über diese Gemeinde sprechen. Pastor James Woody etwa, der lange Zeit in der explizit liberal-protestantischen Gemeinde „L Oratoire du Louvre“ in der Nachbarschaft arbeitete, er scheibt: „St. Merry war eine Art Avantgarde, eine Art Laboratorium auch in dem weiten Feld der Kultur und der Ideen. Wir liberal-theologische Protestanten teilen mit St. Merry dieselbe Überzeugung, nämlich dass das Christentum wichtiger ist als die Kirchen und dass man als Christ den geistigen Horizont maximal öffnen muss“.
Diese Öffnung will der Erzbischof offenbar nicht. St. Merry hat sich stets als Experiment verstanden, so wollte es auch Kardinal Marty, der Gründer. Und von partnerschaftlicher Zusammenarbeit von Laien und Priestern spricht doch auch Papst Franziskus ständig. Darauf weisen die empörten Gemeindemitglieder hin. Sie sind päpstlich, aber nicht erzbischöflich. Und die aktiven Gemeindemitglieder geben zu, dass einige wenige Laien allzu selbstbewusst auf ihrer Wahrheit wohl pochten. Aber die übergroße Mehrheit der Laien wollte doch und will doch immer noch das Experiment, „ihre Gemeinde“, fortführen.
6.
Die katholische Kirche in Paris steht nun in der Öffentlichkeit wiedermal ziemlich blamiert da: Ein autoritärer Erzbischof – das passt auch und wieder mal in die allgemeine Vorstellung von Kirche, zumal in Frankreich, die nicht nur von ständigen sexuellen Missbrauchs -„Fällen“ durch Priester erschüttert wird, sondern auch von groben Missständen in den charismatischen Gruppen und neuen geistlichen Gemeinschaften. Noch schlechter kann der Ruf der katholischen Kirche Frankreichs eigentlich im Augenblick gar nicht werden.
7.
Aber die Intelligenten unter den Katholiken wissen genau: Wenn streng konservative Gruppen, wie die Pro Life Kreise oder die Gegner der so genannten „Homo-Ehe“ oder ie Charismatiker mit ihrem missionarischen Singsang oder die mit Rom sympathisierenden Traditionalisten um erzbischöfliche Unterstützung bitten: Dann erhalten diese, auch finanzstarken, Kreise jegliche offizielle bischöfliche Hilfe.
Aber solch ein letztlich doch nur als Ausnahme existierendes, insofern marginales modernes katholische Gemeindezentrum „Halles Beaubourg“ darf nicht weiter bestehen. Das empfinden die wenigen noch verbliebenen linken und progressiven Katholiken als Skandal und auch jene, die sich vom Katholizismus längst verabschiedet haben und vielleicht bei den liberal-theologischen Protestanten Inspirationen erhalten. Jedenfalls hat ein prominenter Jesuit in Paris, Pater Francois Euvé, in der Tageszeitung „La Croix“ angedeutet: dass doch an anderer Stelle „St. Merry“ weitergehen sollte. Ob dies in der Jesuitenkirche St. Ignace im 6. Arrondissement möglich sein könnte, sagt er allerdings nicht. Eine allgemeine Vertröstung also.

PS.1.:
Ich habe diese Ereignisse um St. Merry, Paris, für eine deutsche Öffentlichkeit dokumentiert, Ereignisse, die zum weiten Umfeld der Kritik der Religionen gehören, einem Hauptthema unserer website.
Hinzukommt: Ich habe kurz nach Gründung dieses modernen Gemeindezentrums schon am 8.8.1976 in der Zeitschrift „Christ in der Gegenwart“ (Herder Verlag) auf St. Merry aufmerksam gemacht und ich bin in dem Buch „Kirche in der Stadt“ (Kohlhammer Verlag 1981) in meinem Beitrag über Paris auf St. Merry noch einmal zu sprechen gekommen. Der Titel dieses Buchbeitrags war: „Freiräume für die Menschen“ (S. 42 – 57) Mein Aufsatz endet mit den Worten: “Kirche in der Metropole hat nur Zukunft, wenn sie in sich selbst Vielfalt nicht nur toleriert, sondern fördert“…
Das Buch „Kirche in der Stadt“ hatte ich mit dem evangelischen Theologen Michael Göpfert (München) herausgegeben. Es hat, zumal durch den Einsatz von Pfarrer Göpfert, dazu beigetragen: Das damals noch neue und eher ungewöhnliche Thema „Kirche und Stadt“ in den Mittelpunkt gewisser theologischer Debatten stellen zu können.

PS. 2.:
Mit dem Ende des progressiven Gemeindezentrums St. Merry in Paris beschleunigt sich auch das Ende des linken, des progressiven Katholizismus in Frankreich. Darüber haben die Soziologen Denis Pelletier und Jean-Louis Schlegel die großartige Studie veröffentlicht „Á la gauche du Christ. Les chrétiens de gauche en France de 1945 à nos jours“. (Zur Linken Christi… Die linken Christen in Frankreich…) Edition du Seuil Paris, 2012, 614 Seiten. Das Buch hat in Deutschland keinerlei Beachtung gefunden.
Genauso wenig Beachtung in Deutschland fand ein anderes wichtiges Buch in dem Zusammenhang: „Catholicisme, la fin d un monde. (Katholizismus, das Ende einer Welt), Paris 2003, von der berühmten Religionssoziologin Danièle Hervieu-Léger. 335 Seiten. Bayard-Editions.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Die Wochenzeitschrift TEMOIGNAGE CHRETIEN schreibt am 4.3.2021:

Saint-Merry, c’est fini !

Von Christine Pedotti

La fermeture définitive du Centre pastoral Saint-Merry à Paris, confirmée par les autorités catholiques parisiennes, n’est une bonne nouvelle pour personne. C’est un terrible constat d’échec pour tous les catholiques. Au centre de l’expérience parisienne, il y avait un rêve de « cogestion » entre les prêtres et les baptisés laïcs, hommes et femmes. Et c’est là que s’exprime l’échec.
Le diocèse fait état de « méchants » qui auraient bloqué toute possibilité de dialogue et qui auraient chassé successivement les derniers curés envoyés par l’autorité. De fait, le curé a démissionné en cours d’année, tandis que son prédécesseur, Daniel Duigou, écrivain, prêtre, psychanalyste, qu’on peut difficilement soupçonner d’être un suppôt de la réaction, s’exprime sur son expérience en disant : « Je ne voulais plus être complice d’un lynchage permanent, une véritable maltraitance morale. » Et il ajoute : « Le même processus s’est reproduit avec mon successeur comme il s’était produit avec mon prédécesseur, qui est parti, selon moi, “en morceaux” ! »

Dysfonctionnement donc, indubitablement. Mais est-il le fait de « méchants » ou le fait d’une situation structurellement invivable, tant pour la communauté que pour la hiérarchie catholique ? J’écrivais ici que « le cléricalisme est la loi d’airain du catholicisme ». La « cogestion » prêtres/laïcs, même profondément souhaitée par les deux parties, est impossible dans la structure actuelle du catholicisme, qui concentre entre les mains du clergé toutes les responsabilités : celle d’enseigner, celle de sanctifier et celle de gouverner.

C’est pourquoi un lieu comme celui de Saint-Merry est confié « canoniquement » à un curé/prêtre et non à un laïc, alors que, pourtant, de ce côté, les compétences ne manquent pas. Des expériences comme celle qui s’achève ici dans la désolation sont de facto vouées à l’échec, et peu importe qui sont les « gentils » et qui les « méchants » si le catholicisme ne se réforme pas profondément, ne réforme pas sa structure hiérarchique… ne réforme pas le ministère ordonné. Qui sont les prêtres/les évêques ? Qui les choisit et les forme ? Quelle est leur mission ? Sont-ils des hommes, des femmes, à plein temps, pour toute la vie ?

La communion est brisée, dit le diocèse de Paris, qui ferme le ban. Mais que signifie une « communion » qui toujours donnerait l’autorité aux uns et demanderait l’obéissance aux autres, et jamais l’inverse ?
Lire l’édito sur notre site →

Aktualisiert am 13. März 2021 durch CM

Die Spiritualität von Rosa Luxemburg

Von Christian Modehn am 14.1.2019, erneut bearbeitet am 27.2.2021

Zur Erinnerung: Rosa Luxemburg wurde am 5.3.1871 in Zamosc, Polen, geboren. Am 15.1 1919 wurde sie in Berlin von Rechtsextremen umgebracht. 1899 war Rosa Luxemburg in die SPD eingetreten; 1917 in die USPD, zur Jahreswende 1918/19 gehörte sie zu den GründerInnen der KPD. Rosa Luxemburg war gegen den Begriff “kommunistisch” im Namen dieser Partei.

1.

Die Frage „Welche Spiritualität war lebendig in Rosa Luxemburgs Praxis und Denken?“ wird meines Erachtens bisher nicht explizit und ausführlich diskutiert. Auch jetzt nicht, anläßlich ihres 150. Geburtstatges 2021. Über ihre Verbundenheit mit einer jüdischen Lebensform und jüdischen Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie müsste ausführlicher gesprochen werden.
Als wichtige Ergänzung zum folgenden Beitrag siehe auch meinen Hinweis “Rosa Luxemburg – die Philosophin” mit Zitaten, die auch die spirituelle Grundhaltung Rosa Luxemburgs andeuten. LINK.

2.

In dem kritisch informierenden Heft „Luxemburg“ 3/2018 der Rosa-Luxemburg Stiftung werden in verschiedenen Beiträgen einige wenige Hinweise gegeben, die Ansätze bieten könnten für ein „spirituelles Profil“ von Rosa Luxemburg.
Allgemeiner Ausgangspunkt ist die Tatsache, die noch längst nicht alle heute zur Kenntnis genommen haben: Rosa Luxemburg war keine „bolschewistische Abenteuerin“. Sie wollte keinen blutigen Bürgerkrieg in Deutschland, wie die Rechten und auch Leute der SPD, Noske usw., damals lautstark behaupteten und … direkt/indirekt ihre Ermordung zuließen bzw. förderten. Rosa Luxemburg wollte keine Diktatur des Proletariats, etwa nach dem Beispiel Lenins. Sie wollte um der Menschheit willen eine bessere, gerechte Welt-Gesellschaft, den sie Sozialismus nannte. Dieses globale Projekt ist so etwas wie eine Revolution.

3.

Alex Demirovic nennt in seinem Beitrag „Eine neue Zivilisation“ einige Begriffe, die bei der Darstellung des spirituellen Profils von Rosa Luxemburgs hilfreich sein können: Sie ist immer bereit, den Zauber des Lebens (S.21) zu spüren und in ihrer poetischen Sprache auch zu benennen. Und da gelingen ihr wunderbare Sätze!
Sie will die „äußerste Achtsamkeit für das (und den) einzelne(n)“ auch politisch leben, sie will also nicht hinnehmen, dass die einzelnen Menschen für das „große Ganze“ geopfert werden. „Gefühlskälte“ (S. 20) kommt für sie gar nicht in Frage. Sie liebt die Natur, alle Geschöpfe, die Tiere. In der Natur erlebt sie Erhabenderes als auf Parteikongressen. „Sie bewegt sich im Spannungsfeld des Widerspruchs von Ganzem und einzelnen“ (S. 21). Aber sie wehrt den Zugriff der Macht auf den einzelnen Menschen entschieden ab.

4.

Im Leben und politischen Alltag ist Geduld (S. 22) für sie entscheidend. Sie will den „Sinn für die großen Linien“ bewahren.
Wichtig ist ihr Vertrauen in die demokratisch aktiven „Massen“.
Sie schätzt absolut die Freiheit des Menschen. Freiheit ist für sie kein exklusives Privileg einer herrschenden (ökonomisch alles bestimmenden) Klasse in der Gesellschaft, sondern Freiheit gehört wie eine „Wesensbestimmung“ allen Menschen. Freiheit ist immer auch die Freiheit des anders Denkenden“:  Das sagt sie auch und vor allem zur so genannten Partei – Elite in der Sowjetunion, also gegen Lenin. Es sind die „Macho-Männer“, die mit Gewehren herumstolzieren“, so beschreibt Drucilla Cornell die Haltung dieser Clique, die sich „Avantgarde“ nennt (S. 30). LINK.  Das berühmte Zitat stammt aus dem Buch “Zur russischen Revolution”, verfast 1918. LINK.

5.

„Freiheit als Freiheit des anders Denkenden“ war ja auch in der Geschichte der christlichen Kirchen alles andere als selbstverständlich. Wie Kirchen und Theologen auf Rosa Luxemburg reagierten, zu Lebzeiten, zur Ermordung und in den folgenden Jahren des sich aufbauenden Faschismus wäre ein Thema auch für Kirchenhistoriker…

6.

Es gibt eine zentrale („spirituelle“) Leidenschaft Rosa Luxemburgs: Die Politologin Drucilla Cornell spricht von ihrer Sanftheit, (S. 32.) Man könnte wohl auch sagen „Zärtlichkeit“. Theologen werden sich erinnern, dass der Prophet Jesus von Nazareth ebenfalls immer wieder „sanft“ genannt wurde.
Es ist also bei Rosa Luxemburg, noch einmal, die Liebe zu allen Kreaturen, zu Pflanzen, zu Tieren, zum Kosmos, auch und gerade in den Zeiten ihrer Gefängnis-Aufenthalte: Da war das intensive Erleben des Einssein mit der Natur (der “Schöpfung”?) förmlich lebensrettend für sie. Man lese ihre Briefe aus dem Gefängnis, etwa den Brief an Sophie Liebknecht, aus dem Breslauer Gefängnis im Dezember 1917 (S. 56 ff). Wäre es nicht spannend, einmal diese Gefängnis-Briefe mit den Gefängnisbriefen von Dietrich Bonhoeffer synchron und vergleichend zu lesen?

7.

Drucilla Cornell nennt auch das entscheidende spirituelle Stichwort Luxemburgs: Es geht um die Transformation, „radikale Transformation jedes Einzelnen (S. 29) als Voraussetzung einer „sozialistischen Revolution“, also einer neuen, in Luxemburgs Verständnis besseren, weil gerechten Gesellschaft. Transformation ist ein seelisches, auch therapeutisches Geschehen!
Die Autorin, Professorin u.a. für Gender Studies und Politikwissenschaften, zitiert eine weitere zentrale Kategorie der Spiritualität: Luxemburg schreibt in ihren Überlegungen zur weltweiten Unterdrückung: „Eine Welt weiblichen Jammers wartet auf Erlösung…“ (S. 28). Erlösung wurde von einer dogmatisch eng denkenden Kirche als fast immer als jenseitiges oder nur seelisches Geschehen gedeutet. Dabei ist Erlösung als konkrete, auch materielle Erfahrung einer gerechteren Welt notwendiger Bestandteil eines sich selbst kritisch verstehenden Christentums.

8.

Es wäre hier wichtig, die ausdrücklichen und auch unbewusst lebendigen Verbindungen Rosa Luxemburgs zum Judentum ausführlich zu entwickeln. Michael Löwy, Professor für Philosophie in Paris, gibt einen entscheidenden Hinweis: Er spricht von Luxemburgs Warnungen vor der Allmacht des Imperialismus, Nationalismus und Militarismus. „Diese Warnungen waren nicht im Sinne einer wunderbaren Vorhersage der Zukunft (zu verstehen), sondern im Sinne der biblischen Propheten Amos und Jesaja, die die Menschen vor bevorstehenden Katastrophen warnen, die es gemeinsam zu verhindern gilt“ (S. 38). Welche biblischen Propheten kannte die Jüdin Rosa Luxemburg tatsächlich? Ist der blinde Hass der Rechten und Rechtsextremen damals wie heute auf Rosa Luxemburg (und andere Sozialisten) auch und entscheidend antisemitisch bedingt? Das wird fraglos so sein, sollte aber ausführlicher noch dargestellt werden.

9.

Zusammenfassend: Wenn man sich die Philosophie und Lebensform Rosa Luxemburgs vergegenwärtigt, wird ihre spirituelle Grundhaltung, als Gestalt einer humanistisch-sozialistischen – biblischen, prophetischen Spiritualität, deutlich! Es ist eigentlich an der Zeit, dass sich spirituelle Menschen, auch Christen und Theologen, sehr viel stärker mit Rosa Luxemburgs Werk befassen.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin, veröffentlicht am 14.1.2019.

 

Das genannte Heft „Luxemburg 3/2018“, kann kostenlos bestellt werden: Franz Mehring Platz 1, 10243 Berlin.

Nebenbei: Ein weiteres Thema für religionskritische Untersuchungen wäre die äußerst geringe Lernbereitschaft christlicher und theologischer Kreise, etwa im Blick auf ein differenziertes Bild von Rosa Luxemburg.

Einen Versuch, die theologische Bedeutung Rosa Luxemburgs herauszustellen, bietet der evangelische Pfarrer und SPD Mitglied Eberhard Pausch, Frankfurt/M. in seinem Beitrag für das “Hessische Pfarrblatt”, veröffentlicht im JUNI 2019: LINK

Es muss für weitere Studien berücksichtigt werden, dass gerade Kirchenleute, Päpste, Bischöfe usw. der allgemeinen Ideologie folg(t)en: „Der“ Sozialismus und „der“ Kommunismus seien viel schlimmer, viel “teuflischer” als der Faschismus. Schließlich konnte die römische Kirche mit dem faschistischen Regime in Italien und den NAZIS in Deutschland noch Konkordate abschließen, also die Existenz der Kirche „sichern“; was dabei mit “den anderen”, den Juden, den Kommunisten, den Homosexuellen, den Sintis/Roma, geschah, war dabei kein vorrangiges Interesse für die Kirchenführer.
Der blinde Antisozialismus und Antikommunismus war eine bestimmende Ideologie vor allem in den USA; ihr folgten die Päpste, wie auch Johannes Paul II.: Zusammen mit Präsident Reagan im gemeinsamen Kampf gegen „revolutionäre Priester“ und Befreiungstheologen in Lateinamerika.
So unterstützte die katholische Kirchenführung die sich katholisch nennenden Diktatoren in Argentinien oder Chile (Pinochet), vorher schon in Spanien: Diktator Franco oder Trujillo, Dominikanische Republik, und so weiter…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Aktualisiert am 7. Mai 2025 durch CM

John Rawls, der politische Philosoph, dem das Christentum wichtig ist.

Vor 100 Jahren, am 21.2.1921, wurde Rawls geboren. Am 24.11.2002 ist er gestorben.

Ein Hinweis von Christian Modehn

1.
Die Erinnerung an den großen us – amerikanischen Philosophen John Rawls, anlässlich seines 100. Geburtstages, hat einen besonderen Aspekt: Für religionsphilosophisch Interessierte sollte das Buch „Über Sünde, Glaube und Religion“ wichtig sein, es wurde posthum 2006 in den USA veröffentlicht, 2010 ist es auf Deutsch erschienen. Dass Rawls als politischer Philosoph, zumal zum Thema Gerechtigkeit, viele kritische Impulse Anregungen gegeben hat, ist unter Philosophen bekannt.
Das Buch enthält einen längeren theologischen Text des jungen Studenten Rawls (21 Jahre) zum Thema Sünde und Glaube (S. 123 – 300). Dabei handelt es sich um seine Bachelor-Abschlussarbeit an der Princeton University. Rawls hatte damals sogar vor, Priester der Episkopal – Church, also der amerikanischen Anglikaner, zu werden.
Das Buch „Über Sünde, Glaube und Religion“ bietet zugleich auch einen kurzen, aber aufschlussreichen persönlichen Essay „Über meine Religion“ aus dem Jahr 1997. Deutlich wird darin: Auch als Philosophieprofessor hat sich Rawls sein „tiefes religiöses Naturell“ (wie Thomas Nagel schreibt) bewahrt. Religion und Christentum werden nun in den philosophischen Begriffen der Vernunft formuliert und so auch bewahrt. Und das macht die Lektüre von Rawls Texten besonders anregend.
Umrahmt werden also die Rawls-Texte in dem Buch „Über Sünde, Glaube und Religion“ von einer „Einleitung“, die Joshua Cohen und Thomas Nagel geschrieben haben sowie von einem längeren Aufsatz zum Verständnis theologischer Ethik beim jungen Rawls, verfasst von Robert Merrihew Adams. Sehr wichtig erscheint mir das Nachwort von Jürgen Habermas, er geht den Spuren der religiösen Ethik der „Frühzeit“ in der späteren bekannten umfassenden „politischen Theorie“ nach. Habermas drückte seine Hochachtung für Rawls etwa schon 2005 aus, in seinem Aufsatz „Religion in der Öffentlichkeit“.
2.
Auch wenn sich Rawls nach dem 2. Weltkrieg aufgrund persönlicher Erschütterungen wie auch im Bedenken des Holocaust von seiner konfessionellen Bindung (an die dogmatische Glaubenswelt der Episkopal – Church) befreite: Einige zentrale Grundeinsichten des Christentums wollte er später in der säkularen Sprache des Philosophen bewahren, das ist zentral! Jürgen Habermas weist auf dieses interessante Phänomen hin: „In der Werkgeschichte von John Rawls wiederholt sich eine philosophische Umformung religiöser Gedanken, wie sie als erster Kant vorgenommen hat“ (S. 327). Das deutet Habermas auch im Sinne von Kants Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie: Die Transzendenz nun “operiert in der Welt als eine die Ideen entwerfende, von Innen alles innerweltliche Geschehen transzendierende Kraft“ (S. 328). Auf diese „Umformung religiöser Gedanken“ sollte bei der Lektüre der großen Arbeiten von Rawls geachtet werden, wenn auch in dem grundlegenden Werk „Theorie der Gerechtigkeit“ (1971) Religion als Stichwort direkt nicht vorkommt. Anders ist es dann in der Studie „Politischer Liberalismus“ (1993).
Rawls entscheidende Frage heißt: Wie können Menschen, die auf eine religiöse Lehre, wie etwa die Bibel, zum Mittelpunkt ihres Lebens erklären, „eine vernünftige politische Konzeption haben, die eine gerechte Gesellschaft stützt?“ (Politischer Liberalismus, S. 35), ein Thema, das nicht nur Habermas bis heute bewegt. Und uns heftig interessiert, jetzt, unter den Bedingungen des Islams in Europa oder angesichts der Attacken fundamentalistischer Christen auf das Weiße Haus am 6.1.2021.
3.
Rawls Liberalismus wehrt sich gegen die totale individuelle Freiheit des einzelnen, der sich – privilegiert – nur um sein „gutes“, d.h. materiell – gutes Leben kümmert.
Rawls Liberalismus argumentiert entschieden für allgemeine Grundwerte für alle und die Gleichheit der Chancen für alle. Mit dem Neoliberalismus à la Wallstreet usw. hat Rawls Liberalismus nichts zu tun.
4.
Die theologische Arbeit des jungen Rawls ist geprägt von Impulsen Kierkegaards und Bubers. Dieser Essay aus Jugendzeiten bietet viele theologische und philosophische Anregungen: Etwa: „Die Sünde ist vor allem Geltungssucht und Selbstsucht“ (S. 229). „Die Selbstsucht zielt darauf ab, andere Menschen zu benutzen… Der Kapitalist zum Beispiel scheint seine Angestellten lediglich zu benutzen, er behandelt sie wie Zahnräder an der Maschine, die sein Vermögen mehrt“ (S. 230). „Sünde ist eine Zurückweisung der Gemeinschaft“ (S. 241).
Joshua Cohen und Thomas Nagel äußern sich dazu in ihrer Einleitung zum Buch „Über Sünde, Glaube und Religion“: „Stolz erscheint (im Werk des jungen Rawls) als Überlegenheitsgefühl gegenüber anderen Personen, das sich in der Forderung nach unterwürfiger Bewunderung ausdrückt. So verstanden festigt der Stolz bekanntere Laster wie Egoismus und die Verweigerung zu teilen… Egoismus und das Verlangen, Besitz anzuhäufen, gründen in dem sündhaften Festhalten an entstellten personalen Beziehungen, in denen es Höherstehende und Untergebene gibt. Das ist der Stolz der Kapitalisten, dessen Selbstsucht ein Widerschein der tieferen, viel zerstörerischen Geltungssucht ist“ (S. 27).
Der Philosoph Prof. Rainer Forst, einer der besten Kenner der Philosophie Rawls, schreibt in „DIE ZEIT“ (vom 11.2.2021): Rawls denkt die „äußerst seltene“ Verbindung, nämlich der Grundideen des Liberalismus (verstanden als Demokratie und Respekt der Menschenrechte) „mit der Grundidee des Sozialismus (dies ist die Würde des Menschen als frei von Ausbeutung und Marginalisierung) zusammen. Das Privateigentum an Produktionsmitteln gehört für Rawls nicht zu den primären Grundrechten. Und ausdrücklich hat Rawls den kapitalistischen Wohlfahrtsstaat als unzureichende Realisierung seiner Prinzipien zurückgewiesen.“
5.
Im Jahr 1997 schreibt Rawls dann in seinem persönlichen Rückblick „Über meine Religion“: Manche christlichen Glaubenssätze finde er, so wörtlich, „abscheulich“, “etwa die Lehren von der Erbsünde, von Himmel und Hölle, von der Erlösung durch den wahren Glauben auf Grundlage der Akzeptanz der priesterlichen Autorität“ (S. 306). „Der große Fluch des Christentums seit den Anfangstagen war die Verfolgung von Andersgläubigen als Ketzer“ (S. 307).
6.
Theologen und Repräsentanten kirchlicher Institutionen sollten sich mit dem knappen Text Rawls „Über meine Religion“ auseinandersetzen: Er ist typisch für den Abschied Intellektueller und auch „normaler“ Gläubiger von der traditionellen Dogmatik der etablierten Kirchen. Am treffendsten ist wohl die Analyse Rawls: “Das Christentum ist eine einzelgängerische Religion“, also eine Religion für Leute, die sich um sich selbst kümmern… (S. 307).
7.
Zum Schluss dieses fragmentarischen Hinweises die berühmten Sätze aus dem Buch „Politischer Liberalismus“: „Wenn eine gerechte Gesellschaft, auf vernünftige Weise gestaltet, nicht möglich ist: Dann ist die Frage, ob es sich für Menschen lohnt, auf Erden zu leben“ (dort S. 63).
Der alte katholische Katechismus stellte ganz am Anfang die Frage: Wozu sind wir auf Erden? Um Gott zu ehren, hieß die Antwort.
Rawls gibt auf diese Frage eine letztlich erschütternde, aber doch zum Handeln aufrufende Antwort: „Wir sollen eine gerechte Gesellschaft weltweit vernünftig aufbauen“. Man könnte diesen Satz einen kategorischen Imperativ nennen, an den sich so wenige PolitikerInnen und Bürger halten… Was wieder zu dem von Rawls beschriebenen Egoismus führt…

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de

Die Republik wehrt sich gegen radikale Muslime und ihre Gemeinden: Präsident Macron will eine andere „Laicité“ in Frankreich.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 15.2.2021. Mit einem Hinweis (Nr.12), dass auch christliche Kirchen heute das demokratische Zusammenleben gefährden…

Am 16.2.2021 haben die Abgeordneten der Assemblée Nationale das “Projekt des Gesetzes gegen den Separatismus” mit einer Mehrheit angenommen: 347 Stimmen dafür; 151 Stimmen dagegen; 65 Enthaltungen. Am 30. 3. 2021 wird es nochmals dem Senat zur Überprüfung übergeben. (Quelle: Europe 1, am 16.2.2021)

1.
Die Ängste der Franzosen sind verständlich, die Ängste vor weiteren Terroranschlägen von Leuten, die sich muslimisch nennen. Der Wille der Franzosen ist verständlich, wenn sie unbedingt ihre republikanischen und demokratischen Werte verteidigen und schützen. Wer die Menschenrechte verteidigt, ist bekanntlich nicht in einem eurozentrischen Denken befangen. Er/sie verteidigt schlicht und einfach die Menschenrechte, die universal für alle Menschen gelten. Da spielt die europäische Herkunft für die universale Geltung überhaupt keine Rolle.
2.
Dies muss beachtet werden, wenn auch berechtigterweise sofort der Einwand kommt: Die französischen Politiker (wie eigentlich die meisten Politiker in den wenigen verbliebenen Demokratien der Welt) glänzen ja seit Jahrzehnten nicht gerade als praktische Verteidiger der Menschenrechte, man denke an die Außenpolitik (etwa: Umgang mit Afrika) oder an die Flüchtlingspolitik. Man denke auch an die vielfach sehr unwürdigen Lebensverhältnisse in den Banlieus, wo vorwiegend die Ausgegrenzten, die Armen leben, Franzosen, auch Franzosen mit arabischer oder „schwarz-afrikanischer“ Herkunft.Die meisten von ihnen sind Muslime.
3.
Und jetzt sind wir beim aktuellen Thema:
Am 16. Februar 2021 sollen – nach langen, leidenschaftlichen Debatten im Parlament – sehr umfangreiche neue Gesetze beschlossen werden. Und sie sollen ganz besonders den muslimischen Mitbürgern gelten, auch wenn sie alle Religionsgemeinschaften in ein neues Verhältnis zum Staat setzen können. Die Regierung sieht viele dieser muslimischen Mitbürger als “Islamisten” in einem verwerflichen Verhalten befangen, das nennt die Regierung „Separatismus“. Also den Willen und die soziale wie politische Praxis, jenseits der geltenden Gesetze der Republik eigene, separatistische Wege zu gehen, also etwa die Gebote des Korans im politischen Leben für entscheidender zu halten als die Gesetze der Republik.
Separatismus wird so zum Begriff für die „Abspaltung“ von Muslimes von den Prinzipien der Französischen Republik. Und dieser Separatismus soll ein Ende haben, durch eine umfassende Fülle neuer Gesetze.
4.
Das Projekt begann mit dem eher noch harmlosen Titel: „Die Prinzipien der Republik stärken“. Es ist eine Art Lieblingsidee von Präsident Macron, schon vorgestellt in Vorträgen vor einem Jahr (Februar 2020) in Mulhouse und Les Mureaux. Und schon angedeutet in Macrons Buch „Revolution“ von 2016, LINK
5.
Die neuen Gesetze zur Überwindung des islamischen Separatismus sind grundlegend: Nur einige Beispiele: Es geht um umfassende Kontrolle jeglicher Aktivitäten muslimischer Gemeinden; fremde Staaten dürfen nicht (mehr) Grundstücke kaufen oder die Finanzierung von Moscheen betreiben. Bei grobem Fehlverhalten gegen diese Gesetze der Republik sind auch Schließungen der Gemeinden vorgesehen; ebenso ist geplant, die Internetaktivitäten der Muslime und ihrer Gemeinden zu beobachten, privater Unterricht „zu Hause“ wird verbote; Sportvereine, etwa von muslimischen Gemeinden veranstaltet, sollen vom Staat beobachtet werden.
Aber es werden auch Details beschlossen: Untersagt wird die ärztliche Feststellung der Jungfräulichkeit von jungen Musliminnen… (Die Beschneidung von Knaben bei Muslimen und Juden, die viele kompetente Menschen für eine fundamentalistische Deutung religiöser Gebote halten und für eine Verletzung der Menschenrechte halten, wird nicht verboten!)
6.
Viel Zustimmung finden die Gesetze gegen den Separatismus unter den immer sehr leidenschaftlichen Verteidigern einer möglichst religionsfernen Republik. Dies sind etwa die Freimaurer in ihrer bedeutenden Loge „Grand Orient de France“. Auch Rabbiner finden die Gesetze angebracht, aus bekannten Gründen: Weil sich muslimisch nennender Terrorismus auch in Frankreich gegen Juden und jüdische Einrichtungen wendet.
7.
Die Verantwortlichen der Religionsgemeinschaften konnten sich im Senat (dem „Oberhaus“) zu dem Gesetzesvorhaben äußern: Eher zustimmend zeigte sich der Oberrabbiner Haim Korsia. Sehr kritisch hingegen der Präsident des „Dachverbandes der Muslime in Frankreich (CFCM)“, Mohammed Moussaoui: Er befürchtet, dass nun „der Islam insgesamt unter Verdacht gestellt“ wird. Dabei betonte er gleich am Anfang: „Der Kampf gegen den Extremismus, der sich islamistisch nennt, ist auch unser Kampf“. Aber er erinnerte daran, dass die wahren Separatisten in Kreisen der Rechtsextremen zu suchen seien. Der Präsident der „Fédération Protestante de France“ (FPF), Pastor Francois Clavairoly, betonte auch: „Der Text erzeugt a priori einen Verdacht auf das Religiöse, das als eine potentielle Bedrohung wahrgenommen wird. Das zeigt sich besonders darin, dass der Präfekt (einer Region) die Öffnung eines religiösen Gebäudes autorisieren muss und dass diese Zustimmung alle 5 Jahre erneuert werden muss. Dies sind Verfügungen, die eine Regression für die Republik bedeuten…“
Der Präsident der französischen Bischofskonferenz , Bischof Éric de Moulins-Beaufort, betonte, dass das Gesetz zur laicité, das 1905 als Gesetz der Freiheit gemeint war, sich nun in ein Gesetz der Kontrolle, der Polizei und der Repression entwickelt“.
8.
50 Artikel auf etwa 80 Seiten umfasst das Gesetz, das eine “Stärkung der Republik” vorsieht.
Diese umfassenden Verbote des Staates, vor allem auf Muslime bezogen, sind ein entscheidender neuer Ansatz im Umgang mit der Laicité, also der alten gesetzlichen Trennung von Kirchen und Staat aus dem Jahr 1905: Damals sollte den Kirchen ein freier Raum zur Entfaltung gerade ohne jegliche Unterstützung des Staates gewährt werden. Jetzt geht es darum, im Namen dieser Laicité die muslimischen Religion zu kontrollieren. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts behaupteten noch radikale Republikaner: Katholiken hören mehr auf den Papst als auf die Gesetze der französischen Republik, was so falsch ja nicht war. Auch deswegen gab es die Trennung von Kirchen und Staat. Heute sollen Muslime von jeglicher (arabischer, türkischer, iranischer) „Fernsteuerung“ befreit werden, was dringend erforderlich ist, und sie sollen sich als französische Muslime ausschließlich den Gesetzen der Republik völlig anpassen. Und diese strengen „staatlichen Maßnahmen“ sollen dann den Frieden in Staat und Gesellschaft bringen: Ob das wohl gelingt, wenn die Betroffenen den Gesamteindruck habent, unter einem Generalverdacht zu stehen?
Ist denn nicht die Integration von Muslimen in die Republik auch und vor allem ein soziales, ein pädagogisches Projekt? Sollte nicht endlich die „égalité“ auch für die Armen, die Ausländer und Flüchtlinge (sehr oft Muslime) gelten? Von der „fraternité“ aller (!) Franzosen ganz zu schweigen. Aber nein, da versteift sich die Regierung auf neue Gesetze und entfacht eine ideologisch-religiöse Debatte, wo doch eine neue Sozial und Wohnungspolitik mindestens genauso dringend wäre.
9.
Interessant ist auch: Der französische Staat, der sich in seinen Gesetzen zur Laicité 1905 eigentlich verpflichtet hatte, also sich überhaupt nicht in die „inneren Angelegenheiten“ der Religionen einzumischen, mischt sich nun mit aller Bravour in das Leben der islamischen Gemeinden ein. Schon der staatlich forcierte Wille seit vielen Jahren, einen Dachverband aller muslimischen Gruppen zu schaffen, ließ ja auch die übliche Zurückhaltung der Regierung gegenüber Religionsgemeinschaften vermissen. Der Staat will mit einem muslimischen Dachverband eben die Muslime besser und leichter an den Verhandlungstisch bringen und … kontrollieren…
10.
Manche meinen zurecht, dass diese neuen Gesetze die rechtsextremen Wähler der Partei von Madame Le Pen beruhigen sollen, in der Hoffnung, dass die Rechtsextremen bei der nächsten Präsidentschaftswahl (2022) Macron wählen, weil er ja selbst eine nicht gerade muslimfreundliche Politik betreibt. Dass Macrons Gesetze für Madame Le Pen noch viel zu liberal sind, betont die Führerin der Rechtsextremen schon jetzt.
Die neuen Gesetze können also auch ein Stück Wahlkampf sein für Macrons Partei LREM (La République en Marche): Manche meinen: Mit ihm „marschiert“ die Republik in eine von neuen Gesetzen unterstützte Islamophobie. Ob dadurch der innere Friede und der Verzicht auf terroristische Gewalt gelingt, ist sehr die Frage.
11.
Eine Frage wird wieder in den öffentlichen Raum gestellt: Inwiefern sind im allgemeinen und tendenziell alle Religionen gefährlich für eine Gesellschaft und einen Staat, der die Menschenrechte an die oberste Stelle rückt. Die Abwehr der Menschenrechte ist als oberstes Gestaltungsprinzip auch in den inneren Strukturen im Katholizismus präsent: “Priesteramt ist nichts für Frauen”, “es darf keine „Homo-Ehe“ geben”…
12.
Auch christliche Kirchen, die sich mit ihren eigenen Moral-Gesetzen aufbauschen, können eine Gefahr sein für das humane Zusammenleben in einer demokratischen Gesellschaft. Das lässt sich aktuell am eigensinnigen Verhalten vieler evangelikaler Gruppen in den Pandemie-Zeiten belegen: Diese frommen Leute meinten, auch in Frankreich, aufgrund ihres Glaubens gegen das Virus immun zu sein und sehr fröhlich in großen Gruppen Alleluja etc.in ihren Gottesdiensten singen zu dürfen. Und die sehr frommen Anhänger von Mister Trump, rechtsextreme Evangelikale, auch Katholiken, haben am 6.1. 2021 im Capitol von Washington bewiesen, zu welchen Untaten sie als fromme Gläubige tatsächlich bereit sind. Man denke auch daran, dass sich allen Ernstes viele us-amerikanische Bischöfe von Präsident Biden, dem praktizierenden Katholiken (!), distanzieren: Nur weil dieser die Abtreibung, gesetzlich geregelt, passend für eine pluralistische und nicht kirchen-hörige Demokratie findet. Diese evangelikalen und katholisch konservativen Kreise haben einen neuen Gott, er heißt “Pro life”. Diesem Gott wird alles geopfert, auch die Unterstützung für einen demokratischen Präsidenten…”Dies ist eine Schande für die us-amerikanische Bichofskonferenz”, sagen Beobachter.

Sind also auch christliche Konfessionen – bei allem Respekt für die Diakonie, die Caritas etc. – gefährlich für den demokratischen Staat und die demokratische, pluralistische Gesellschaft? Ja, durchaus, mit allen nötigen Nuancen. Darum sollten nachdenkliche Menschen, etwa Philosophen, dankbar sein, dass in Frankreich diese Debatten geführt werden.

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de

Macron und die Muslime: Was er schon 2016 sagte und was heute (Februar 2021) gelten soll.

Ein Hinweis von Christian Modehn

Am 16. Februar 2021 soll in der “Assemblée Nationale” in Paris ein neues Gesetz verabschiedet werden: Es soll den “Separatimus”, wie Staatspräsident Macron sagt, also den “Sonderweg” von Muslimen in Frankreichs Staat und Gesellschaft beenden. Vorausgesetzt wird von ihm – nach den schlimmen Erfahrungen islamistischen Terrors in Frankreich – die These: Der Islamismus ignoriert die für alle Bewohner Frankreichs geltenden republikanischen Gesetze einer “Republique Laique”. Manche Beobachter meinen, damit werde auch “der” Islam unter den Verdacht “antirepublikanischer” Gesinnung und Haltung gestellt.

Die jetzt von Macrons Regierungspartei (LREM) vorgeschlagenen Gesetze erinnern stark an Macrons Ausführungen schon im Jahr 2016 unter dem hübschen Titel “Revolution”. Es ist interessant, die Identitäten und Verschiedenheiten, damals und heute, in der Auffassung Macrons vom Islam und dem IS herauszustellen. Die Kontinuität der politischen Auffassung ist allerdings dominant!

Beachten auch meine Hinweise vom 8.5. 2017 über Macrons Religiosität, seine Spiritualität sowie seine Verbindungen mit der Philosophie, darin werden auch seine Einschätzungen zur “laicité” deutlich. LINK:

1.
Das erste weit verbreitete Buch von Emmanuel Macron hatte den typisch französischen Titel, möchte man meinen, nämlich “Revolution“. Es wurde veröffentlicht, als sich Macron im November 2016 als Präsidentschaftskandidat präsentierte. Der Untertitel dieses “Revolutions”-Buches war: “Reconcilier la France”: “Frankreich versöhnen”.
2.
Von den 16 Kapiteln ist im Augenblick besonders wichtig das Kapitel 16, wegen der aktuellen heftigen Debatten und der bevorstehenden parlamentarischen Abstimmungen zur Rolle des Islams in Frankreich. Das Kapitel trägt den eher unscheinbaren, keineswegs auf den Islam in Frankreich sofort verweisenden Titel „Vouloir la France“, „Frankreich wollen“, gemeint ist wohl „Frankreich bejahen“ (S. 167 – 1799, hier zitiert nach der Taschenbuch Ausgabe XO Editions, 2017, zum Preis von 5 Euro!).
Es lohnt sich, in aller Kürze einige zentrale Aussagen zu unterstreichen und zusammenzufassen, gerade im Blick auf die aktuellen Debatten im Februar 2021.
Gleich am Anfang betont Macron: „Ja, Frankreich ist ein Wille“ (167). Gemeint: Ein Wille, der den Menschen zur Zustimmung führen sollte.
Aber gleich danach spricht Macron von dem drohenden „Bürgerkrieg“ (168). Von jenen geführt, die „gegen die Gewissensfreiheit sind, gegen die gemeinsame Kultur und gegen eine fordernde und wohlwollende Nation“ sind (ebd.) Der Feind wird DAESH genannt, das ist die Abkürzung für den Islamischen Staat.
Dann spricht Macron ziemlich unvermittelt zum ersten Mal von der sozialen Spaltung (offenbar in den Banlieues sichtbar), die das Feuer legt, das auf Identitäten allen Wert legt. Macron spricht dann von Massenarbeitslosigkeit und wahrhaftigen Gettos „in unseren Städten“ (169). Gemeint sind, immer noch nicht explizit genannt, muslimische Bewohner bzw. muslimische Franzosen in den Banlieues.
Dann folgt wieder unvermittelt ein Absatz über die viel und ständig besprochene laicité, um die es ja jetzt extrem geht, Mitte Februar 2021. Da sagt Macron: „Die Laicité ist eine Freiheit, bevor sie ein Verbot –„interdit“ – ist“. Also, hier schon hoch interessant: Laicité ist eben auch ein Verbot! (S. 169). Und dann folgt: Es gibt eine Unnachgiebigkeit hinsichtlich des Respekts der Gesetze der Republik, und diese Unnachgiebigkeit ist absolut. (S. 170): „In Frankreich gibt es Dinge, die nicht verhandelbar sind“.
Dann folgt eine ziemliche Verfälschung der Geschichte Frankreichs, bezogen auf die Geschichte der Juden: „Wir haben es verstanden, anderen Religionen ihren Platz in der Republik zu geben. Das Judentum hat sich in Frankreich entwickelt im Respekt und der Liebe der Republik. Ein schönes Beispiel dafür, was unsere Geschichte und unsere politischen Entscheidungen zu tun wussten“ (S. 179). Was für eine gewagte These: Da wird die Judenverfolgung unter Pétain unterschlagen, der Faschismus, der damals herrschte, von der Dreyfuss Affäre der Republik ganz zu schweigen.
Und dann folgt wieder die unvermittelte Ermahnung: Bitte nicht in den Bürgerkrieg eintreten, in den uns IS treiben will. Aber: Es ist eben eine Kriegsdrohung. (Mit Kriegen haben bekanntlich immer schwache Regierungen argumentiert, die in einem blinden Nationalismus befangen waren, das am Rande).

3.
Auf Seite 171 kommt Macron endlich zur Sache und er nennt den Hauptfeind, „den radikalen Islam“ (S. 171). Und interessanterweise sagt er in dem Text von 2016: Es geht „nicht darum, neue Texte und neue Gesetze vorzuschlagen“, „wir haben diese“. (S. 171). Jetzt, Mitte Februar 2021, geschieht genau das Gegenteil.
Dann kommt Macron wieder auf die prekären, aber von ihm so nicht genannten Lebensverhältnisse, vor allem der muslimischen Bevölkerung zurück: “Wir müssen unsere Wohnviertel (sic, nos quartiers) neu gestalten und den Bewohnern Möglichkeiten der Moblität und der Würde zurückgeben“, (172) Also: Fehler wurden gemacht, die Elendsquartiere sollten würdiger gestaltet werden. Hier klingt an, dass das Problem Islam und Islamismus ein soziales Problem ist und nicht (nur) ein religiöses!
Und dann kommt der „Knaller“ für einen Politiker eines Staates, der allen Wert darauf legt, sich als Staat gerade nicht in die inneren Angelegenheiten der Religionen einzumischen. Macron hingegen sagt: „Wir müssen dem Islam helfen, seinen Platz in der Republik aufzubauen“. (173)
Es komme alles darauf an, dass der Islam dann „die Werte Frankreichs will“! Diese sind nicht verhandelbar, niemals“ (178) “Frankreich ist groß, wenn es seine Freiheiten denen bietet, die sich Frankreich anschließen wollen“. (178) Aber nur diesen Willigen.
Zuvor hatte Macron noch davon gesprochen, dass wahre Flüchtlinge einen Platz in Frankreich finden können. “Aber alle Personen, die nicht die Berufung (sic) haben (qui n ont pas la vocation..), in Frankreich zu bleiben, weil sie kein Recht auf Asyl haben, müssen wieder zur Grenze zurückgeführt werden“ (177).

4.
Dieses Kapitel über den Islam zeigt: Für Macron ist klar: Islam kann zum Islamismus werden, diesem Islamismus muss der Krieg erklärt werden. Aber über die vielen anderen Muslime spricht Macron nicht. Er erzeugt damit eher Angst vor „dem“ Islam. Wer als Muslim in Frankreich leben will, muss sich anpassen, da ist Macron knallhart. Und paternalistisch hilft der französische Staat, obwohl laique, dass die Muslime sich mit ihren verschiedenen Gruppen bitte schön zu einem einzigen Dachverband vereinigen, damit der Staat besser mit ihnen verhandeln kann und sie besser überschaut.
Insgesamt aber zeigt Macron hier ein Frankreich, das wie ein starres und fixes Werte-System erscheint; das sich nicht dialogbereit und lernbereit zeigt. Warum eigentlich können nicht kluge und liberale Muslime etwas Vernünftiges dem französischen Staat und seinen Bürgern sagen? Macron ist ein Euro-Zentriker, und obwohl nicht konfessioneller Christ, ein Anhänger eines christlichen Frankreich, bei allem Respekt vor den Franzosen, die nicht religiös sind.
Mit anderen Worten: Dieses Kapitel zeigt einen kriegerischen (wie oft ist von Krieg in dem Kapitel die Rede!) und einen ziemlich bornierten und eher traditionellen Geist.

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de

Sizilien heute: Von Menschen die Helden sind, weil sie das Leben lieben, im Kampf gegen die Mafia.

Das neue Buch von Etta Scollo: Essays, Posie, Gesang.

Ein Hinweis von Christian Modehn

„Stimmen von Sizilien“: Welch ein bescheidener Titel für ein wunderbares Buch! Natürlich ist „Voci di Sicilia“ kein „Reiseführer“ mit den üblichen Informationen. Etta Scollo, die bekannte Sängerin, erschließt uns vielmehr das „Innere“ der Insel, das Wesentliche, Menschliche ihrer Heimat: Sie wurde in Catania geboren, als Jugendliche ist sie nach Österreich, dann nach Deutschland gezogen. Aber sie kehrt immer wieder auf die Insel zurück, dieses Land, das seit Jahrtausenden sehr unterschiedliche Kulturen erlebt hat bzw. erleben musste. Und es sind wirklich „Stimmen“, die dieses originelle Buch bietet: Nicht nur Essays und Literatur, sondern auch Poesie, zumal gesungene Poesie von Etta Scollo. In den „Stimmen von Sizilien“ führt sie uns zu den Städten und Orten, die ihr wichtig sind, die aber insgesamt bedeutend sind, um die innere Lebendigkeit, man möchte sagen Aspekte der „Spiritualität“ Siziliens zu zeigen. Denn dass sich Europäer von dem Klischee befreien sollten: „Sizilien = Mafia“ steht wohl fest.

Von der Mafia ist in dem Buch auch die Rede, vor allem in zwei hoch interessanten Essays, die sich auf Palermo beziehen: Allein schon wegen des Essays des bekannten Juristen, Politikers und Bürgermeisters Leoluca Orlando (geb. 1947) sollte man das Buch kaufen und lesen. Der Bürgermeister von Palermo lebt wegen seines Kampfes gegen die Mafia unter permanentem Personenschutz. Aber wie er in dem Beitrag von dem neuen, dem demokratischen Palermo schreibt, das ist ein Ereignis, und der nicht auf Palermo spezialisierte Leser, wie ich, hofft manchmal nur, dass alle die demokratischen, d.h. gegen die Mafia gerichteten juristischen, pädagogischen, sozialen und politischen Aktionen tatsächlich immer noch Bestand haben. Manche Sätze in dem Beitrag Leoluca Orlandos sind förmlich Maximen, die universal in der Menschheit gelten sollen: „Ein Held ist einer, der auf außergewöhnliche Weise normal ist. Und ein Heiliger, fragt Orlando, und antwortet richtig und überraschend: „Ein Heiliger ist (auch nur) einer, der auf außergewöhnliche Weise normal ist“. Was soll bloß der Vatikan dazu sagen, fragt man sich. Leoluca Orlando ist wohl ein Held, er hat entscheidend dafür gesorgt, dass Palermo eine lebenswerte, liebenswerte Stadt geworden ist. Hervorragend, so schildert der Bürgermeister, ist der rechtlich gut, nämlich menschenwürdig gestaltete Umgang mit den neuen Bewohnern, den Flüchtlingen also, die in Sizilien anlanden… „Wer nach Palermo kommt, wer in Palermo lebt, wird Palermitaner“ (S. 108). Die Migranten sollen sich in Palermo zuhause fühlen „und daher die Verpflichtung spüren, ihr Zuhause zu verteidigen, ehe sie noch ihre Religion oder ihr Herkunftsland verteidigen…Das ist der kulturelle Wandel.“ (ebd). Der Bürgermeister ist den neuen Palermitanern dankbar, weil sie die Vielfalt der menschlichen Kulturen repräsentieren. Und in dieser Situation veranstaltet der Bürgermeister („bin nicht homosexuell, niemand ist vollkommen,“ schreibt er schmunzelnd, S. 109) die großen Gay-Prides in der Stadt…

Diese etwas ausführlicheren Hinweise zu einem Beitrag in „Voici di Sicilia“ könnten fortgesetzt werden zu allen anderen Texten (und Liedern!) im Buch. Den Artikel „Über die Globalisierung der Mafia und zu Palermo als einem Ort der Wahrheit“ von Staatsanwalt Roberto Scarpinato (S. 118 – 129) sollte jeder lesen, der sich auf den neuesten Stand der Kenntnisse zu den Mafia-Aktivitäten führen lassen will. „Die Deutschen haben die Mafia völlig vergessen“, schreibt Scarpinato, für Deutsche heißt Mafia, naiv möchte man sagen: Schutzgeldforderung erpressen und dann in Pizzerien investieren (S. 120). Dabei ist die Mafia heute ein internationales Dienstleistungssystem, das Schwarzgeld in Milliardenhöhe erzeugt. Berührend die Ausführungen über „Palermo als Ort des Geistes“ (S. 125 f). Hier ist „man gezwungen Entscheidungen zu treffen, die man in einer normalen Stadt normalerweise nicht trifft: Entscheidungen, die immer Leben oder Tod (durch die Mafia) betreffen“ (S. 127)

Mir fällt bei der Lektüre der verschiedenen Beiträge auf, dass immer wieder Autoren sich als „Atheisten“ bekennen, so auch Scarpianato (S. 129). Religionskritisch betrachtet, möchte ich behaupten: Dieser Atheismus der ja ursprünglich wohl notwendigerweise katholisch erzogenen Menschen ist ein Resultat der Perversion der Kirche, die nur allzu lange auf der Seite der Herrschenden, auch der Mafia vor allem, stand und wohl noch steht. Erwähnt wird der Name eines mutigen Anti-Mafia-Priesters, Pino Puglisi (S. 109 und 126): Er lebte von 1937 bis 1993, er wurde an seinem 56. Geburtstag vor seiner Haustür von der Mafia erschossen, seine letzten Worte waren, so sagte einer seiner Mörder aus: „Damit habe ich gerechnet“. Inzwischen wurde Pater Puglisi offiziell als „Seliger“ zur besonderen Verehrung durch die Katholiken, auch der katholischen Mafia-Leute, empfohlen…Mal sehen, ob das etwas nützt.
Von der widerwärtigen Arbeit in den sizilianischen Schwefelminen berichtet das Buch, zeigt uns den Friedhof der Kinder, die in den Minen schuften mussten und umkamen. Was sagte eigentlich die Kirche damals zu dieser Sklavenarbeit? Für philosophisch Interessierte finde ich den Beitrag der Dichterin und Philosophin Maria Attanasio (S. 186 – 193) besonders inspirierend. Sie berichtet nicht nur von ihrer Bindung an ihre Stadt Caltagirone, sondern auch von der Bedeutung des Schreibens, der Poesie als der Voraussetzung der Literatur, der Imagination im Umgang mit historischen Personen…Sie berichtet von Rosalia Montmasson, auch von der Mühe der Autorin, endlich die einzige Frau zu würdigen, die mit Garribaldi zusammen auf Sizilien kämpfte und von der Herrschaft der spanischen Bourbonen befreite (im Jahr 1860). Von Lampedusa spricht das Buch, etwa von dem Friedhof der Immigranten, besonders lesenswert der eindringliche Brief der Bürgermeisterin von Lampeusa, Giusi Nicolini, an die italienische Regierung und die EU, den Flüchtlingen zu helfen. Etta Scollo hat diesen Appell ins Musikalische übersetzt „Suite per Lampedusa“ (S. 208).

Die Beiträge in dem sehr empfehlenswerten Buch, auch die herausragenden Fotos, laden ein, Sizilien sozusagen mit Etta Scolo zu besuchen, die vielfältigen Stimmen dieses uralten und kreativen Landes zu vernehmen. Gerade jetzt, in Zeiten der Pandemie, führt das Buch „Voici di Sicilia“ zu einer -gedanklichen, auch akustischen – Reise nach Sizilien. Das Buch weckt die Phantasie, weckt auch das philosophische Fragen, etwa nach dem Sinn von Gerechtigkeit und Recht. Und das geht nicht ohne Mut, die Wahrheit freizulegen, die humane Ethik über alles zu stellen. Claudio Fava, Sohn des 1984 von der Mafia ermordeten Schriftsteller Giuseppe Fava, betont: „Hier, in Catania, wie in ganz Sizilien, brauchen wir Rückgrat und Wahrheit, um entschieden eine moralische Priorität ins Zentrum der politischen Aktion zu rücken: Politik nicht mehr als Basis für private Privilegien.“ (S. 32)

Viele Menschen in Sizilien – das zeigen die Beiträge – schätzen trotz aller Probleme die Schönheit ihres Landes, der Natur, des Meeres und des Lichts… Sie lieben das Leben und wollen sich die Sehnsucht nach der Gerechtigkeit nicht nehmen lassen.

Etta Scollo,”Voci di Sicilia. Eine Reise durch Sizilien”. Corso Verlag, Wiesbaden, 2020. Mit Antonio Maria Storch (Fotogr.) und Klaudia Ruschkowski (Hrsg. / Übers.), 256 Seiten.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin