Notre Dame de Paris: Fast eine Ruine. Für Steine viele Millionen Euro zu spenden ist jetzt attraktiv und lukrativ!

Fragen und Vorschläge nach der Brand-Katastrophe
Von Christian Modehn

1.
Die Kathedrale Notre Dame de Paris gibt es nicht mehr, vor allem die innere Gestalt der Kirche ist weithin eine Ruine. Einige besonders wertvolle „Schätze“ und Reliquien konnten gerettet werden, wohl auch die Orgel. Geblieben ist die äußere Hülle, die Fassade, wenn man so will, die beiden großen Türme und die Mauern stehen da ohne Glanz, des Nachts wie eine dunkle Bedrohung.
Natürlich ist es sinnvoll, über einen Wiederaufbau der Kathedrale nachzudenken. Dafür ist die Kathedrale von höchster kultureller Bedeutung, förmlich als Symbol des „nationalen Bewusstseins“.
Auffällig ist jedoch, mit welchem Eifer sich der Staat und der Staatspräsident für den sehr eiligen Wiederaufbau aussprechen. Natürlich, aufgrund der Kirche-Staat-Gesetze ist Notre Dame de Paris Staatseigentum. Der Staat wird bei diesem exkluxiven Bauwerk dafür sorgen, dass diese Kirche in neuem Glanz ersteht, eine Kirche, die immer auch als nationaler „Tempel“ angesehen wird; selbst von vielen kirchlich „Nicht-Gebundenen“; auch die Touristen durchschrittten das Bauwerk in zügigem Tempo, 30.000 Besucher waren es 2018 durchschnittlich pro Tag! Ein großes Getrampel also in “heiliger Halle”. Auffällig also ist, dass Präsident Macron offenbar allen Ernstes behauptete, Notre Dame nach 5 Jahren wieder zu eröffnen. Das ist mehr ein frommer Wunsch und ein Ausdruck, politisch stark zu erscheinen. Ein Stück Propaganda vielleicht.
2.
Auffällig ist vor allem, wie die „Magnaten“, die Millionäre und Milliardäre, wie „Libération“ schreibt, für den Wiederaufbau spenden: Kaum ist das Feuer erloschen, fließen schon die vielen Millionen für die Herstellung dieser Kirche. Warum? Vielleicht aus „nationalem Bewusstsein“ der großen Firmenchefs? Vor allem auch, weil die Steuervergünstigungen in dem Fall enorm sind. Bald wird wohl die Kathedrale den Titel „Trésor national“ erhalten und dann könnten 60 % der Spenden von der Steuer abgezogen werden. Damit werden dem Staat viele Millionen Steuern entgehen, die er etwa für seine Sozialpolitik gut gebrauchen könnte.
Auffällig ist diese enorme Spendebereitschaft der Magnaten bzw. der Großkapitalisten, wie die Tageszeitung Libération treffend schreibt, also doch nicht. Man kann sich also wegen einer „nationalen Katastrophe“ (Brand in Notre Dame) noch zum großen Steuer-Sparer entwickeln und durch diese private Steuerersparnis dem Staat letztlich dringend benötigte Steuern entziehen. Die „Pinault“, Eigentümer der Luxus-Gütergruppe Kering (Gucci et.c) spenden 100 Millionen; Der reichste Mann Frankreichs, Bernard Arnault, Chef von LVMH (Luxusprodukte wie Hennessy und 70 weitere Luxusprodukte) hat schon 200 Millionen Euro zugesagt, TOTAL will 100 Millionen spenden, sogar Apple wird unter den Spendern sein. „In kürzester Zeit, innerhalb weniger Stunden, wurden 700 Millionen Euro für den Wiederaufbau des Kulturtempels bzw. der Kathedrale Notre Dame de Paris gespendet. Wenn das so weitergeht, braucht der eigentlich verantwortliche Staat nichts mehr zu zahlen…
3.
Auffällig ist, dass diese Magnaten eher sehr selten (mit so großen Summen) für Menschen in Not spenden, etwa für die Obdachlosen in Paris oder die Sterbenden in Jemen. Tatsache ist, dass die sozial engagierten Vereine in Frankreich (Associations) im letzten Jahr weniger Spenden einnehmen konntenn als sonst. Das Geld für Obdachlose, Flüchtlinge, Alleinerziehende etc. fehlt. Mindestens 150.000 Menschen haben keinen festen Wohnraum (sans domicile fixe, SDF). Das Sozialhilfswerk Emmaus hat die Anzahl der Menschen, die in Frankreich miserabel wohnen müssen, etwa zur Not untergekommen bei Freunden, in Abbruchhäusern wohnen etc., auf fast 4 Millionen Menschen berechnet (Personnes mal logées) Quelle: https://www.fondation-abbe-pierre.fr/documents/pdf/synthese_rapport_2018_les_chiffres_du_mal-logement.pdf
Auffällig also ist, dass die Millionäre und Magnaten lieber für Steine spenden als für lebendige Menschen. Sonst würde ja kein Obdachloser mehr auf der Straße leben, die 700 Millionen, die innerhalb weniger Stunden für die Kathedrale als Stein locker gespendet wurden, hätten für etliche würdige Unterkünfte der Ärmsten verwendet werden können. Warum spenden die Reichen nur so gern für tote Steine? Weil sie meinen, da auf ewig erinnert zu werden. Sie unterschätzen das Erinnerungsvermögen der Armen, die daran denken könnten: Diese Wohnung hat die Firma He. für uns gebaut.
4.
Auffällig ist, dass bei der zweifellos furchtbaren Brandkatastrophe offenbar noch kein Raum ist für neue, kreative Überlegungen:
Aber das Nachdenken könnte doch beginnen: Welche theologische Bedeutung hat die Tatsache, dass so plötzlich eine der berühmtesten Kathedralen in einer der „berühmtesten Metropolen“ Europas faktisch eine nicht benutzbare Ruine ist?
5.
Ist es übertrieben, wenn man dieses Ereignis auch ttheologisch deutet?. Ich meine, man sollte in diese Richtung denken: Mit dem Brand von Notre Dame de Paris ist sichtbar für alle die alte Kirchenwelt zusammengebrochen, die seit dem Mittelalter bestimmend war und noch ist: Bestimmend seit der strengen Dogmatik der Pariser Theologen, der gesalbten Könige, der Glaubenskämpfe, der absoluten Herrscher, der Staatsreligion mit ihren hoch dotierten Bischöfen, der neuen Religion eines Robespierre, der Kollaboration eines Marschall Pétain, dem Tag der libération mit General de Gaulle, der Gedenkfeiern für Staatspräsidenten (etwa Mitterrand), der flammend-polemischen Predigten eines Kardinal Lustiger – all das, diese ganze Kirchenwelt, gibt es an diesem Ort nicht mehr: Sie ist tot. Das große Symbol der mächtigen Kirche ist hier in Flammen aufgegangen. Das kann doch, das sollte doch etwas „Innerliches“, Spirituelles und Theologisches bedeuten? Oder?
Denn dieser verheerende Brand findet in einer Zeit statt, in der die katholische Kirche Frankreichs (und ganz Europas) in einer tiefen Krise steckt, in einer Glaubwürdigkeitskrise. Immer mehr Gläubige distanzieren sich von dieser Kirche, das wird hundertfach statistisch belegt; die Priester sterben aus, die wenigen jungen Pfarrer und Laientheologen nennen sich „ausgebrannt“, was für ein Wort jetzt.
Ist es gewagt zu behaupten: Mit dem verheerenden Brand von Notre Dame de Paris ist auch die alte, immer noch bestimmende mittelalterliche Kirchenwelt in Flammen aufgegangen? Und welchen Sinn macht es, dieses Symbol der mittelalterlichen Kirchenwelt so ohne weiteres wieder aufzubauen? Restauration nennt man diesen Vorgang.
6.
Könnte nicht eine neue Zeit beginnen? Man könnte doch die Fassade als Ausdruck gotischer Bauweise beibehalten; innen aber ganz Neues wagen: Die geretteten Objekte von einst sind in einem Museum separat aufgehoben: Könnte nicht im Innern ein neuer vielgestaltiger Raum entstehen, als ökumenischer Tempel der Menschheit und der Menschenrechte? Respektvoll offen für alle, Christen, Muslime und Juden und Buddhisten und Atheisten? Natürlich, viele Menschen bezeugen jetzt ihre, auch nostalgische “Liebe” zur Kathedrale Notre Dame. Sie sind zwar meistens nicht katholisch-gebunden, lieben aber alte Gemäuer! Aber würde die Begeisterung für dieses alte Gebäude nicht noch größer werden, wenn dann ganz Neues in Notre Dame passiert? Will man sich wirklich den Vorwurf der bloßen Restauration gefallen lassen, so wie man alte verfallene Schlösser wieder in den alten Zustand “authentisch” wieder zurück-baut? Werden nicht die Traditionalisten als restaurative Katholiken (also die Leute in der Nachfolge von Erzbischof Marcel Lefèbvre) genauso denken? Will man sich in dieser Gemeinschaft mit den Traditionalisten wohl fühlen? Die notwendige Erinnerungskultur wird bereits an vielen anderen Orten gepflegt, sie muss sich nicht an einem Ort, in Notre Dame, “bündeln”.
7.
Die Umgestaltung von Notre Dame zu einem “Tempel der Menschheit” ist ein Vorschlag, eine Forderung, die dem Niveau heutiger Theologie entspricht. Sie wird die Herren der Planung, also der Restauration, vielleicht nur ein Schmunzeln wert sein. Vielleicht aber haben sie dann doch an einer bloßen Restauration des Gewesenen kein Interesse mehr? Werden sich die eher konservativ gesinnten Millionen-Spender für den Wiederaufbauch auch noch gegen “all zu viel Neues” wehren? Freilich: Mut zum radikalen Neubeginn, genannt Reformation, war zwar noch nie Sache der katholischen Kirche. Sonst könnte sie ja, für die Inneneinrichtung der Kathedrale per Gesetz zuständig, sagen: Wir wollen jetzt über unseren eigenen dogmatischen Schatten springen und einen Tempel der Menschheit und der Menschenrechte errichten. Wir wollen als Katholiken die Überwindung der konfessionellen Absonderungen sichtbar an vornehmer Stelle jetzt mitten in Paris ausdrücken. Denn schon oft wurde die Kathedrale Notre Dame für interreligiöse Feiern benutzt, etwa, als man am 3.6.2009 in Zusammenarbeit mit AIR FRANCE (!) der 228 Opfer des Flugzeugabsturzes über dem Atlantik gedachte. Oder als 1996 die viel beachtete Trauerfeier für den gar nicht so konfessionell-katholisch gebundenen Staatspräsidenten Francois Mitterrand stattfand. Die Ansätze zur interreligösen Öffnung sind bereits da! Die katholische Wochenzeitung “La Vie” (Paris) nennt jetzt bereits Notre Dame eine “église nationale”, eine Art “nationale Kirche: Auch dies ist ein Ansatz, der ins Weite des Interrreligiösen Tempels weist.
8.
Mit einer Neuorientierung der Kathedrale könnte eine Erfolgsgeschichte eingeleitet werden, die dem vielfachen Zuspruch des benachbarten Centre Pompidou ähnlich wäre. Ein interreligiöses Tempel mit vielen entsprechenden Räumen und Angeboten. Das würde die Menschen neugierig machen und begeistern und zum Nachahmen inspirieren… Nebenbei: Explizit katholische Kirchen in der unmittelbaren Nachbarschaft von Notre Dame gibt es ja in ausreichender Zahl: St. Severin, St. Merri, St. Gervais, St. Paul, St. Eustache. St. Germain de l Auxerrois und so weiter und so weiter. Unter Kardinal Lustiger gab es vor kurzem noch in Paris eine wahren Exzess, neue Kirchengebäude zu errichten.
9.
Es gibt genug konfessionelle Orte, konfessionell geprägte Kirchengebäude. Die Zukunft gehört der großen Ökumene der Menschheit. Sie kann eher den Frieden voranbringen als die konfessionelle Vereinzelung. Vielleicht werden die Herren der Kirche und der Politik diese Sätze erst in 50 Jahren verstehen, wenn die exklusiv konfessionellen Kirchen, Gebäude, längst leer stehen, verkauft wurden, abgerissen wurden. Dieser Prozess ist in ganz Europa bereits im Gange. Aber niemand denkt dabei an die weite Ökumene der Menschheit und der Menschenrechte und gestaltet entsprechend die leer stehenden Gebäude um. So wenig Phantasie und theologische Kreativität war selten.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon

Jeder Mensch ist spirituell. Jeder und jede hat immer schon eine Spiritualität.

Eine Podiumsdiskussion im Kulturzentrum “Radial-System” in Berlin am 14.9.2011 über das Thema: Welche Spiritualität braucht Berlin?

Der Beitrag von Christian Modehn.

Einige Teilnehmer dieser sehr gut besuchten Veranstaltung (200 TeilnehmerInnen) fragen nach dem kurzen Vortrag, den ich am 14.9.2011 hielt. Deswegen diese Publikation!

Ich will in meinem Beitrag einige philosophische Überlegungen zum Thema Spiritualität vorstellen. Wir haben ja ursprünglich den Titel für unsere Veranstaltung gegeben: Welche Spiritualität braucht Berlin?.

Ich bin der Initiator des Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salons Berlin. Entscheidend ist die philosophische Überzeugung:

Philosophie ist von der Sorge um Klarheit und Kritik geprägt.

Sie ist undogmatisch und daran interessiert herauszustellen, was allen Menschen als „Vernunftwesen“ gemeinsam ist.

Philosophieren ist mehr als ein „Werkzeug“ des Denkens, das dem Menschen bloß äußerlich bliebe. Ich meine: Der Vollzug des Philosophierens ist selbst Spiritualität, weil ich im Philosophieren zu grundlegenden Fragen und Antworten komme und in meinen Entscheidungen mein eigenes Leben gestalte.

Spiritualität gibt es stets im Plural. Und stets sind Spiritualitäten verankert sind in einer konkreten Zeit und verbunden mit einem bestimmten Ort.

Die Rede von zeitlosen und ortlosen Spiritualitäten verschleiert nur die Unfähigkeit, sich auf ein konkretes Heute und ein konkretes Hier kreativ zu beziehen. Statt dessen werden dann Formeln und Floskeln von gestern und vorgestern propagiert und als Wahrheit den eher autoritätshörigen Menschen verkauft.

Das kommt für mich nicht in Frage.

Spiritualität auf dem Niveau heutigen Denkens darf nicht fremdbestimmt sein, sie darf niemals bloß blinden Gehorsam fordern und fördern. Spiritualität, die den Namen verdient, muss Freiheit fördern, die eigene Freiheit wie die der anderen, sie muss Fremdbestimmung vermeiden. Sie muss letztlich ein Suchen sein, ein Fragen derer, die die Wahrheit nicht gepachtet haben.

Ich will im Gespräch mit anderen meine Spiritualität, meine Geistigkeit, selbst entwickeln.

Spiritualität „hat“ jeder Mensch. Sie ist kein Privileg von „Hochbegabten“. Das liegt daran, dass der Name Spiritualität auf spiritus, auf Geist, verweist. Spiritualität ist lebendige Geistigkeit. Jeder Mensch hat als Vernunftwesen bekanntlich Geist, jeder hat Spiritualität, bewusst oder unbewusst.

Wir erleben heute einen globalen Wandel im Verständnis von Demokratie, Ökonomie, Wachstum, Gerechtigkeit. Ich bin überzeugt, wir erleben auch einen globalen Wandel, der uns als Akteuren zur kreativen Mitgestaltung aufgetragen ist, auch auf dem weiten Feld der Spiritualitäten. Wir brauchen in dieser Zeit des Umbruchs neue Spiritualitäten: Die Zeit der utalten, vorgegebenen Dogmen und der Hierarchien ist meines Erachtens vorbei. Es kommt auf einen Neubeginn an.

Mir liegt eine Statistik vor, sie bezieht sich auf den 31. Dezember 2008. Danach sind im Bundesland Berlin 600.000 Menschen Mitglieder der evangelischen Kirche, das sind 21 % der Bevölkerung; ferner gibt es 280.000 Katholiken, das sind fast 10 Prozent der Bevölkerung; zum Islam bekennen sich fast genauso viele, nämlich 250.000 und zum Judentum 10.700, wie viele Buddhisten, Hindus, Taoisten, Candomblé – Anhänger usw. im Bundesland Berlin leben, wird nicht gesagt.

Wichtig ist vor allem die Feststellung: 1, 9 Millionen Bewohner Berlins nennen sich konfessionslos, also etwa 60 Prozent.

Jetzt kommt der entscheidende Punkt: Als Menschen haben selbstverständlich auch diese Konfessionslosen ihre je eigene Spiritualität, eben aufgrund der Tatsache, dass sie Geist haben, Vernunft haben.

Auch wenn viele Konfessionsfreie eine große Scheu haben, für sich selbst eine bestimmte Spiritualität anzuerkennen.   Aber ist nicht die Sorge um die Familie, die Nachbarn, die Kranken, das Wohl der Stadt etc. immer schon auch Ausdruck einer Spiritualität, als eines geistvollen Interesses?

Jeder Mensch hat immer schon Spiritualität, weil er als Mensch eben auch vom Geist und der Vernunft geprägt ist und sich in diesem Geist im Laufe seines Lebens, bewusst, oft unbewusst, für bestimmte Lebensentwürfe entscheidet und diese Lebensentwürfe dann auch für sich gut findet. Oder: Wenn man in prekären Lagen ist, träumt man wenigstens von einem glücklichen Leben auf seine Art. Jeder Mensch hat seinen eigenen Mittelpunkt im Leben. Da liebt jemand das Reisen, das Wegfahren, das Aufbrechen, das Entdecken, vielleicht auch die Begegnung mit Fremden, die Solidarität. Dann ist das ein Lebens – Mittelpunkt. Oder jemand lebt seine starke erotische Sehnsucht aus und widmet ihr viel Energie, oder wieder ganz anders, jemand spürt die starke Verpflichtung, andere fürsorglich und unterstützend zu begleiten. Oder jemand ist aktiv bei Greenpeace oder Amnesty International.

Von jedem Mittelpunkt geht immer eine Art Appell aus, so eine Art Imperativ: Dass es gut ist, dieses eigene persönliche Zentrum zu haben: Das ist es, was mich aufrecht hält, was mich leben lässt, daran will ich mich halten, mache sagen dann, „unbedingt“ halten will. Dieser Mittelpunkt spendet mit meine geistige Vitalität aus.

Natürlich gibt es Mittelpunkte im Leben, die nicht konstruktiv sind, die schädlich sind, Gewalt, Geld, Macht, das muss die Philosophie kritisieren, das kann niemals Quelle menschlichen Wachstums sein.

Die nächste philosophische These ist: Es zeigt sich dabei in jedem Leben jeweils unterschiedlich erlebtes Unbedingtes, etwas, das unter möglichst allen Umständen befolgt werden soll, weil ich dabei glücklich werde. Man ist da ganz in der Nähe von dem, was man „heilig“ nennt für einen Menschen.

Ich will es einmal plakativ sagen: das Unbedingte ist bereits in unserem Leben. Wir müssen es uns nicht von anderswo, von fremden Lehren und Lehrern, holen, es ist in uns. Noch einmal: Noch VOR jeder konfessionellen oder religiösen Bindung folgen wir einem von uns gewählten unbedingten Lebensmittelpunkt.

Mit liegt viel daran, diese allgemeine Basis der Spiritualität zu unterstreichen. Sie ist das, was uns Menschen insgesamt verbindet noch vor jeder konfessionellen Aufsplitterung. Ich meine: Berliner brauchen vor allem diese Spiritualität der kritischen Selbstbefragung.

Aber: Welches Unbedingte macht frei? Das die entscheidende Frage.

Und: Wo können sich die unterschiedlich spirituellen Menschen austauschen? Wo sind die Orte dafür? Das müssen nicht exklusive religiöse Orte sein. Das können Wohnzimmer und Cafés sein, alltägliche Räume, geprägt von Stille und Ruhe. Räume, in denen der Small Talk und das bla bla keinen Raum haben.

Wir brauchen neue Orte des spirituellen Austauschs, das können auch alte Orte sein, leere Kirchen, Kapellen, Tempel. Wichtig ist nur, dass immer ein Gespräch zustande kommt, über das was uns Leben, was uns Sinn stiftet in unserem Leben.

Philosophische Spiritualität kommt erst dann zu ihrem Wesen, wenn sie in der Selbstreflexion der Vernunft denkend den Grund des Lebens, das Gründende, erreicht; der späte Wittgenstein sprach von „Berühren“ des Geheimnisses. Von dem ich als Mensch nicht mehr weiß, als dass ich es denkend berühre, aber niemals umfasse und ergreife. Wittgenstein sagte: „Nicht Wie die Welt ist, ist das Mystische, sondern DASS sie ist“. Allen Menschen gemeinsam ist die Frage: warum ist etwas und nicht vielmehr nichts.

Was aber ist das Geheimnis, das Mystische, das wir berühren? Ich denke, dass das Geheimnis irgendwie selbst Freiheit ist, in einem analogen Sinne verstanden, denn vom Geheimnis kann man nicht objektiv fixierend sprechen; deutlich ist aber: Nur Freiheit kann andere Freiheit, also unsere, meine Freiheit, wecken und hervorrufen und gründen kann. Freiheit aber ist selbst immer Geistiges. Wir sind also über unseren Geist mit dem all gründenden geistigen Verbunden.

Aber inhaltlich ausführlicher kann ich das frei Gründende nicht beschreiben, da gibt es keine Dogmatik, keine ausgefeilte Lehre. Ich weiß nur: Menschliches Leben ist freies Leben, das sich einem Gründenden verdankt. Philosophisch können wir über das Lebensgeheimnis als bleibendes Geheimnis ansatzweise sprechen und können einander helfen, frei zu werden – in einer gerechten Gesellschaft. Über den Philosophen Immanuel Kant schreibt Karl Jaspers: „An den Grenzen der Vernunft steht das Unbegreifliche und das Geheimnis. Das Unbegreifliche aber ist nicht das Unvernünftige, sondern das durch Vernunft als Grenze der Vernunft Erfahrene und in das Licht der Vernunft Aufgenommene“ (Karl Jaspers, Die großen Philosophen, S. 511).

Welche Spiritualität braucht Berlin? Jeder kann sich in aller Unterschiedlichkeit kultureller Prägungen auf seine Weise auf dieses gründende Geheimnis beziehen, schweigend, poetisch, musikalisch, erotisch, politisch, kämpferisch, für den gleichen Wert eines jeden Menschen. Darum ist diese Spiritualität in sich politisch. Sie ist interessiert, einen Beitrag zu leisten zum Aufbau einer gerechteren Welt.

Es gibt viele Möglichkeiten, sich auf das Gründenden, das Geheimnis des Lebens zu beziehen. Insofern ist jegliche Bindung mit ihm immer relativ, bezogen auf unterschiedliche Erlebtes und Gedachtes.

Bald kommt der Papst Benedikt XVI. nach Berlin, er wird auch hier wieder warnen vor dem, was er die „Tyrannei des Relativismus“ nennt; dabei will er nur werben für sein eigenes, katholisches und päpstliches, angeblich nicht relatives, sondern absolut wahres Glaubenssystem. Wir sollen dann offenbar den demokratischen Relativismus ablegen zugunsten einer Treue zum Absolutismus.

Philosophen erleben Relativismus als Wohltat, als Befreiung, als Ja zu Freiheit. Wir suchen den Austausch der unterschiedlichen Positionen, wir wollen den Dialog Gleichberechtiger, ohne Meister, ohne Päpste, ohne Gurus. Und das ist für mich philosophische Spiritualität, die in Berlin, aber zweifellos auch anderswo gelten kann. Austausch über das, was uns unbedingt angeht, was uns unbedingt bewegt in unserem Leben, in der Kultur, im sozialen Leben, und auch in den Religionen. In einem solchen permanenten Dialog gleichberechtigter Partner lernen alle, wachsen alle, da entsteht – hoffentlich eine lebenswerte Stadt.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

 

 

 

 

 

Revolution und Spiritualität

Hinweise von Christian Modehn im religionsphilosophischen Salon Berlin am 25. 1. 2019

Wir wollen uns heute über Revolution unterhalten.

Eine entscheidende Erkenntnis im Januar 2019 heißt für mich:

Revolutionen sind nicht nur die großen “welthistorischen Ereignisse”, wie die Französische Revolution von 1789 oder die Oktoberrevolution 1917.

Seit dem Ende der Herrschaft Kommunistischer Parteien, also seit 1989, ist, (abgesehen von sich kommunistisch nennenden Parteien in China, Nord-Korea, Kuba) auch der Begriff Revolution nicht mehr an diese Parteien (als „Instrumenten“ der Revolution) gebunden. Revolution wurde von diesen Parteien als Fortschritt, als Weg in eine bessere Zukunft verstanden.

Heute beanspruchen (wieder) politisch extrem rechte Organisationen und Parteien in allen Teilen Europas den Begriff Revolution. Sie sprechen von „Konservativer Revolution“, propagieren „eine (rechte) Kulturrevolution“. Diese Rechtsextremen schwadronieren ernsthaft davon, das „ganze System der alten Bundesrepublik“ abzuschaffen. Ihre “Revolution” will die Rückkehr zur alten “Ordnung”, sie hat also auch den Charakter des Nostalgischen. Das wird von vielen Demokraten leichtfertig und naiv überhört oder ignoriert. Siehe dazu eine Analyse.

Jedoch: Nach wie vor beschreibt „Revolution“ den grundlegenden Wandel der Machtverhältnisse, der sozialökonomischen Verhältnisse und den Umbau der Legitimierung politischer Herrschaft. Ist dieser allgemeine Revolutionsbegriff etwa obsolet geworden? Ich denke, er gilt noch.

Jetzt, 2019, finden in sehr vielen Staaten Umbrüche statt, die zumindest Elemente von Revolutionen enthalten. Es sind Elemente, die zu einem grundstürzenden Systemwandel führen können. Noch sind es zur Zeit eher Staatstreiche, wenn äußerst finanzstarke Interessengruppen, etwa die stärksten Unternehmer, alle sind Milliardäre, in den USA ihre heiligen kommerziellen Ziele privater Bereicherung mit Gewalt auch politisch durchsetzen;  jetzt unter Trump, den viele kompetente Beobachte einen „Strohmann“ des Großkapitals nennen…Demokratie wird abgeschafft zugunsten von Oligarchie oder Kleptokratie oder Plutokratie, um noch einmal alte Begriffe für neue Phänomene zu verwenden….

Das Paradoxe ist, dass diese Staatsstreiche bzw. „Vor-Revolutionen“ bzw. beginnenden Bürgerkriege heute von gewählten Präsidenten und gewählten Politikern vollzogen werden. Diese Politiker werden von Massen wie Heilsbringer verehrt, von einer Wählerschaft, die von früheren Regierungen schon ausgegrenzt und für dumm verkauft wurde. Es sind Massen, die offenbar nur wenig kritisches demokratisches Reflexionsvermögen einüben konnten oder wollten. Das ist kein Vorwurf, sondern eine Beschreibung von Fakten. Wie sollten auch 10 Millionen tägliche LeserInnen eines bekannten populistischen Massenblattes in Deutschland oder 3 Millionen in Österreich (auch dort gibt es ein populistisches Massenblatt) zu einem kritischen Bewussteinsein und demokratischen Wissen gelangen? Wenn selbst demokratische Politiker diese populistischen Massenblätter dadurch aufwerten, dass sie ihnen Interviews so gern gewähren?

Die heutige extreme Rechtslastigkeit in Europa und Amerika ist also auch Resultat einer früheren Politik…

Es gibt also heute weltweit qualitative Veränderungen in den bisher vertrauten politischen Systemen oder innerhalb der kulturellen Normen. In dem Sinne gibt es heute tiefste Umbrüche, diese sind letztlich sich langsam immer mehr zuspitzende Revolutionen. Diese langsame Entwicklung hin zu Revolutionen war wohl immer schon so.

Heute gibt es also diese Revolutionen in den USA, in Polen, in Ungarn, in der Türkei, in England, in Deutschland (die beängstigende Macht neofaschistischer Gruppen und „Denkschulen“), in Frankreich ebenso und schon wieder in Brasilien usw. Diese tief greifenden Umbrüche wollen die Aufklärung, die Menschenrechte, zerstören., die Demokratie. Sie wollen vielmehr alte vor – bzw. nicht- demokratische Zustände wiederherstellen, vor allem den Nationalismus durchsetzen und die Kapitalisten stärken. Auch die faschistische Ideologie nannte sich einst „revolutionär“.

Darum gibt es in der Steuerpolitik die absolute Bevorzugung der Reichen; darum das offizielle Plädoyer für die klassische Familie mit dem Mann als dem „Oberhaupt“ usw… Dabei vergessen diese nationalistischen Revolutionäre (America first, Polen first, Türkei first etc…): Wenn diese Staaten sich weiter nationalistisch verhärten, kommt es irgendwann zu einem Krieg aller gegen alle.

Nationalismus hat immer Krieg zur Folge.

Angesichts unseres Lebens inmitten von Revolutionen stellt sich für jeden die Frage: Wie verhalte ich mich dazu? Wie kann ich als Mensch mit anderen eine bessere Zukunft mitgestalten?

Wie wollen wir selbst „persönlich“ noch demokratisch als Mensch leben und die Gesellschaft mitgestalten in Zeiten der Revolutionen? Dabei geht es um eine Besinnung auf die Formen des aktiven politischen Widerstandes. Aber mit Widerstand ist immer auch Vernunft und Spiritualität verbunden.

Aktiver Widerstand ohne Spiritualität der Akteure scheitert.

Es geht also um die Frage: Wie können wir mit geistiger seelischer Energie diese globalen Herausforderungen bestehen, die die vielen kleinen und großen Revolutionen weltweit bedeuten. Denn dass der Niedergang der humanen Moral, das Zertreten der Demokratie usw. uns alle seelisch belastet, ist klar, wird aber zu wenig bedacht: Diese Herren des Staatsstreichs mit ihrer gezielten Abschaffung der Menschenrechte gefährden schon jetzt unsere (auch seelische) Gesundheit.

Wir sind also auf irgendeine Weise in die revolutionären Umbrüche der Gegenwart involviert.

In welcher philosophischen und spirituellen Haltung können wir inmitten dieser revolutionären Situation leben?

Der Ausgangspunkt ist: Die Herrschenden üben bereits (tödliche) Gewalt aus gegenüber den Bürgern und den Politikern und Intellektuellen, die für die Menschenrechte eintreten. Siehe etwa die Ermordung des Bürgermeisters von Danzig, Pawel Adamowicz.

Die Herrschenden üben also in irgendeiner Form Gewalt aus, sozialpolitisch, ökologisch, in der Politik gegenüber Flüchtlingen, Minderheiten usw.

Das ist eine nicht zu bezweifelnde Tatsache: Der Bürger befindet sich immer schon in dieser Situation undemokratischer Gewaltanwendung. Dass ein demokratischer Rechtsstaat (!), wenn er denn ein solcher ist, allein Gewalt ausübt und ausüben darf, ist klar. Hier geht um die Verirrungen in post-demokratischen Staaten, Regimen, wie den USA, Polen, Ungarn usw.

Wie können sich demokratische Bürger dem gegenüber verhalten?

Die klassische Form des groß inszenierten Umsturzes durch das revolutionäre Volk und eine Partei kommt schon, rein pragmatisch gedacht, nicht in Frage. Dazu sind rein „rechnerisch“ die Kräfte zu schwach. Und eine „erfolgreiche“ Revolutionsstrategien gibt es nicht (mehr). Zudem ist die Angst groß, dass sich die erfolgreichen Revolutionäre zu Despoten entwickeln, siehe Lenin, siehe Stalin, siehe jetzt Nikaragua mit dem Diktator (und einstigen Revolutionär) Ortega usw.

Revolutionen werden zudem von starken reaktionären Kräften auch sofort kaputt gemacht, häufig auch von der katholischen Kirche, dem Papst etc. Man denke an die Revolution in Nikaragua, die den Diktator Somoza stürzte: Sie war die bisher einzige Revolution, an der entschieden Christen aktiv beteiligt waren. In diesem Jahr 2019 wird im Juli an den Sieg der Revolution vor 40 Jahren gedacht! Aber Papst Johannes Paul II. hat Ernesto Cardenal (Priester und Kulturminister) bei seinem ersten Besuch in Nikaragua (1983) geradezu gedemütigt. “Der Papst war massiv gegen unsere Revolution, die zum ersten Mal in der Welt massiv von Christen unterstützt wurde. Zusammen mit dem US-Präsidenten Reagan hat er =das Böse=, wie Reagan auch schon sagte, in unserem Land bekämpft!” (Ernesto Cardenal).

Aber auch der spirituelle Rückzug, der Verzicht auf die politische Auseinandersetzung, das Sicheinkapseln in eine religiöse Welt scheinbarer Ruhe, kommt für einen kritischen Menschen auch nicht in Frage.

Einige Christen haben sich -etwa in Nikaragua 1979- für Notwehr entschieden und mit Gewalt, auch tötender Gewalt, die Herrschenden aus dem ancien regime ausgeschaltet. Der Diktator Somoza konnte mit seinem ganzen Milliarden-Vermögen nach Miami fliehen….

Und: Ohne tötende Gewalt hätten sich die Revolutionäre in Frankreich nicht durchsetzen können. Immer ist das Dilemma: Ohne tötende Gewalt gibt es offenbar keine grundlegende Revolution. Aber: Wie viele Chancen einer unblutigen Revolution wurden ignoriert im Machtrausch der Bolschewisten etwa? Diesen Bolschewisten galt das einzelne Leben der „anderen“ nichts. Die Ideologie und ihr eigenes Machtkalkül  war ihnen alles. Für die abstrakt entwickelte „Theorie der Revolution“ wurden Millionen Menschen umgebracht.

Es gibt aber viele Philosophen und viele religiöse Menschen, die tötende Gewalt prinzipiell ablehnen.

Es bleibt also die gewaltfreie Aktion. Aber gewaltfreie Aktion ist alles andere als NICHTSTUN. Wichtig sind Streik Boykott, bestimmte Form der Sachbeschädigung, Proteste, Demonstrationen, internationale Solidarität. Da wurden regional tatsächlich gute, d.h. humane Ergebnisse erzielt, man denke etwa an die Erfolge der Bauern auf dem Larzac, Frankreich. Gandhis Leistung ist unvergessen.

Ein interessantes aktuelles Beispiel: Die 16 jährige Greta Thunberg, sie geht an jedem Freitag nicht in die Schule, sondern zum Demonstrieren vor dem Parlament in Stockholm. Um die Umwelt zu retten. Auch in Deutschland haben sich viele tausend SchülerInnen dieser spontanan Bewegung angeschlossen. Greta Thunberg war jetzt in Davos dabei: Ob sich diese dort versammelten etablierten Herren der Ökonomie von einem Mädchen „bekehren“ lassen? Werden sie nach wie untätig bleiben in Sachen sofortigen Umweltschutzes? Oder werden sie in totaler Verblendung weiterhin die Propaganda verbreiten: „Alles halb so schlimm“. Werden sie dem rechtsextremen Staatschef Bolsonaro in Brasilien Einhalt gebieten können, wenn er den Regenwald aus totaler Raffgier abholzen lässt? Wie werden sie der Welt helfen, sich von einem solchen Politiker zu befreien? Die Jugendlichen und Kinder rund um diese Initiative von Greta Thunberg werden hoffentlich noch lange den bornierten Erwachsenen „auf den Wecker“ gehen.

Gewaltfreie Aktion ist aktiv, widerständig, für die Herrschenden gefährlich. Und gewaltfreier Widerstand lebt von einer spirituellen demokratischen Grundhaltung. Diese ist so offen, dass sich Menschen aller Religionen und Weltanschauungen wieder finden können bzw. die je eigene Spiritualität des gewaltfreien Widerstandes entwickeln.

Da will ich auf einen katholischen Mönch aufmerksam machen, der, in den USA vor allem, immer noch viel Interesse findet, als Inspiration für eine widerstandsfähige Spiritualität.

Thomas Merton ist ein außergewöhnlicher spiritueller Lehrer. Er hat in einem der strengsten und sicher rigidesten katholischen Orden gelebt, dem Trappistenorden in Kentucky, USA, aber er fand in diesem von äußeren Strukturen eingezwängten Mönchsleben doch die innere Weite, so dass er zum spirituellen Lehrer werden konnte. Zur Biographie von Thomas Merton kann man sich vielfältig informieren. Hier nur einige Stichworte: 1915 geboren, stammt er aus einer Intellektuellen Künstlerfamilie; in den USA interessiert er sich für kommunistische Bewegung, 1938 konvertiert er zum Katholizismus, 1941 tritt er in den Kloster Gethsemani ein. Er verfasst ca. 60 Bücher und ca. 11.000 Briefe, er steht im Austausch mit zahlreichen Intellektuellen, auch mit Martin Luther King, dem Dalai Lama, mit Erich Fromm, Boris Pasternak, Czeslaw Milosz. Merton öffnet sich der Zen-Meditation. Er stirbt 1968 bei einer Tagung christlicher und buddhistischer Mönche in Bangkok. Er sprach dort über Mönchsleben und Marxismus, im Blick auf Herbert Marcuses Buch „Die eindimensionale Gesellschaft“! Als Todesursache wird allgemein genannt: Durch Stromschlag in der Dusche…

Ich will an Thomas Merton erinnern, weil er von seinem Kloster aus die ANTI-Vietnam – Kriegs Bewegung unterstützte und ermunterte; mit Ernesto Cardenal debattierte er über die Revolution in Nikaragua…Es sind Texte der Ermunterung, im aktiven Widerstand die Kontemplation, die Meditation, nicht zu vergessen!

Eine zentrale Erkenntnis Zitat von Thomas Merton: „Wer versucht, sich für andere oder die Welt einzusetzen und in ihrem Sinne zu handeln, ohne sein eigenes Selbstverständnis, seine Freiheit, Ganzheit, Liebesfähigkeit zu vertiefen, wird nichts haben, was er anderen geben könnte… Es gibt nichts Tragischeres in der modernen Welt als den Missbrauch der Macht und des Handelns, zu dem Menschen durch ihre eigenen faustischen Missverständnisse und Urteile verleitet werden. Wir haben heute mehr Macht zu unserer Verfügung als jemals zuvor, aber wir waren noch nie so entwurzelt und im inneren Grund des Sinnes und der Liebe so entfremdet wie heute. Das Ergebnis liegt auf der Hand…“ (zit. in dem Aufsatz von Gotthard Fuchs in Christ in der Gegenwart)

Insgesamt war er ein Mann, der die eigene Zerrissenheit spürte, sich dann aber in die strenge Form des Ordenslebens begab und dabei sogar die kurze Zeit der Liebe mit einer Krankenschwester erlebte; sie wird immer nur Frau M. in den Publikationen genannt. Aber wie so oft bei Klerikern: Das Ordensleben war ihm wichtiger als die Liebe zu einer Person…Macht dieses Nein zur Liebe zu einer Frau die Spiritualität von Thomas Merton wiederum unbedeutend? Ich denke nein. Thomas Merton zeigt uns auf diese Weise, seine Zerrissenheit, sein Suchen, auch seine Verzweiflung…

Mertons Interesse war die innere Heilung, durch Philosophie, Meditation, Kontemplation: Er spricht über den Weg der Weisen: „Indem sie die Aufspaltungen des Lebens (Arbeit-Ruhe; Aktion-Kontemplation) IN SICH SELBST HEILTEN, trugen sie dazu bei, die Aufspaltungen in der ganzen Welt zu heilen“ (IN: Zeiten der Stille, S. 83).

Merton meint: Nur der geheilte Mensch kann eine humane Gesellschaft schaffen, also eine Gesellschaft vor dem „Entgleisen“ bewahren. (Übrigens eine Einschätzung der Religion, die auch Jürgen Habermas in den vergangenen Jahren den Religionen zuweist).

Thomas Merton verteidigt die „kleinen Schritte“ der Veränderung

Thomas Merton geht es um eine redliche Lebensform, eine solche, die dem eigenen Gewissen entspricht. In einer Korrespondenz mit dem polnischen Autor Czeslaw Milosz (1911-2004) schreibt Merton: Ihm seien im Laufe seines Lebens schlichte Akte solidarischen Handelns immer wichtiger geworden. Vielleicht seien diese politisch wirkungslos. „Aber ich habe den Eindruck, dies ist die einzige Art und Weise, noch etwas zu bewirken….Ich bin immer mehr in Sorge , was den Menschen und mir noch möglich ist zu SEIN. …Was meinen wir wirklich, wenn wir von Politik sprechen?“ (in: Orientierung, Zürich, 2004, S. 257.

Weitere Elemente für die Gestaltung einer Spiritualität des Widerstandes: Mein Protest (meine Unzufriedenheit mit dem Bestehenden) hat mich davor bewahrt, an dem festzuhalten, was bereits erledigt ist. Wenn ein Gedanke gedacht ist, dann lass ihn gehen“ (S. 178, in Thomas Merton, „Sich für die Welt entscheiden“)

In einer Gesellschaft des wahnhaften Materialismus ist es „nur recht, jeder gesunden Reaktion, die sich für die innere Freiheit des Menschen einsetzt, Gehör zu verschaffen. Man darf dem mörderischen Lärm unseres Materialismus nicht erlauben, die unabhängigen Stimmen, die nie aufhören zu sprechen, zu übertönen, der christlichen Heiligen oder der östlichen Weisen (Zen) oder die Stimmen wie Hery David Thoreau oder Martin Buber… Der Mensch darf niemals zu einem Zahnrädchen in einer totalitären Maschine werden, auch nicht in einem religiösen Mechanismus“ (S. 122).

Jedenfalls ist dies die Grundüberzeugung von Merton: Ein Mönch, ein spiritueller Mensch, ein Christ usw. darf sich nicht „in den Elfenbeinturm privater Spiritualität zurückziehen und er darf nicht zulassen, dass sich die Welt in die Luft sprengt. Eine solche Entscheidung wäre unmoralisch und käme einer Kapitulation gleich“ (zit. in Orientierung, Zürich, Beitrag von Kurt Remele, 1984, S. 52.)

Deswegen war Merton – in seinen öffentlichen Stellungnahmen – auch gegen (tötende) Gewalt, auch im Kampf der Revolutionäre gegen das Somoza Regime.

ABER: Ernesto Cardenal, sein alter Freund UND Revolutionär, schreibt in seinen Erinnerungen „Im Herzen der Revolution“(2004, Seite 29): „Vor wenigen Jahren sind die persönlichen Tagebücher von Merton veröffentlicht worden, die auf sein Geheiß erst 25 Jahre nach seinem Tod herausgebracht werden durften. Darin sagte Merton: Es besteht kein Zweifel, dass die Diktatur bekämpft werden muss, wenn es geht, gewaltlos. Wenn dies jedoch nicht möglich ist, auch mit Gewalt“.

Die Vorstellung, dass Revolutionen nur gelingen können, human bleiben, wenn sich die Revolutionäre um eine „Reinigung“, Selbstkritik ihres angestammten Bewusstseins kümmern, war auch Karl Marx nicht ganz fremd: Er schreibt in seiner „Deutschen Ideologie“, (S. 70 MEW 3): „Die Geschichte zeigtdass also die Revolution nicht nur nötig ist, weil die herrschende Klasse auf keine andere Weise gestürzt werden kann, sondern auch, weil die stürzende Klasse nur in einer Revolution dahin kommen kann, sich den ganzen alten Dreck vom Halse zu schaffen und zu einer neuen Begründung der Gesellschaft befähigt zu werden.“

Also: Revolution hat etwas damit zu tun, „sich den ganzen alten Dreckt vom Hals zu schaffen…“ Wie soll das möglich mitten im revolutionären Prozess?

Auf ein weiteres Thema einer revolutionären Spiritualität soll hingewiesen werden: Die Bereitschaft des Revolutionärs, eher das eigene Leben zu opfern als andere zu töten:

Ich erinnere an Rosa Luxemburg:

In dem Buch des Philosophen Volker Caysa „Rosa Luxemburg die Philosophin“ (2018) ist ein Kapitel der „Lebenskünstlerin“ gewidmet.

Caysa zeigt, wie das konkrete Leben Rosa Luxemburgs von einer menschlichen Grundhaltung geprägt ist, die Ausdruck ist für eine Lebensphilosophie. Ich biete nur einige Hinweise für die Einheit von Lebensphilosophie und Leben bei Rosa Luxemburg:

Ein Kapitel ist der „Lebenskünstlerin“ gewidmet. Beschrieben wird die „heitere Gelassenheit“, die Rosa Luxemburg auszeichnete, trotz der vielen Gefängnisaufenthalte und Diffamierungen, auch vonseiten der SPD.

Sie schreibt: „Menschsein ist vor allem die Hauptsache. Und das heißt: Fest und klar und heiter sein, ja, heiter sein trotz alledem…(Brief vom 28.12. 1916). Heiterkeit verhindert eine Lähmung im Handeln. Es gibt für Rosa Luxemburg eine Anerkennung dessen, dass nichts Wirksames mehr getan werden in einem bestimmten Moment. Sie denkt an den Begriff „amor fati“, Liebe zum Unausweichlichen. „Das kann auch bedeuten, die blinde Grausamkeit, die Unvernunft des Lebens anerkennen zu müssen, durchleiden zu müssen, damit die Erlösung vom Leid für alle, damit die Vernunft in der Geschichte in Zukunft Wirklichkeit werden kann“ (Caysa, S. 55). (Man beachte, dass von „Erlösung vom Leid“ die Rede ist; von der „Vernunft in der Geschichte“, einem Begriff Hegels, der damit die „göttliche Vorsehung“ in der Welt-Geschichte meinte).

Rosa Luxemburg anerkennt die amor fati, sie lebt die Akzeptanz des Unausweichlichen. Dies bedeutet, „sich mit dem grimmigen Gedanken zu trösten, dass man vielleicht bald ins Jenseits befördert wird – vielleicht durch eine Kugel der Gegenrevolution, die von allen Seiten lauert. Aber so lange man lebt, heißt amor fati auch, seinen Freunden in wärmster, treuester, innigster Liebe verbunden zu bleiben und mit ihnen jedes Leid, jeden Schmerz zu teilen“( zit. in Caysa, S. 55, mit Verweis auf Luxemburg, „Gesammelte Briefe“, Bd , S. 405).

„Rosa Luxemburg hat ein bejahenswertes, schönes Leben geführt, insofern sie ein bis in Tod konsequentes, wahrhaftiges Lebe geführt hat…Dieses Leben kann als Vorbild neuer Lebensform dienen“ (Caysa, S. 57).

Da klingen Werte an, die zwar in anderer Sprache, aber bezogen auf dieselbe Sache auch Erzbischof Oscar Romero bestimmten.

Ich erinnere deswegen an Erzbischof Oscar Romero, in El Salvador, der am 24. März 1980 von katholischen rechtsextremen Militärs (in den USA ausgebildet) ermordet wurde.

Romero hatte sich im Bürgerkrieg in Zentralamerika eindeutig auf die Seite der Unterdrückten gestellt, und ohne jede Angst Gerechtigkeit gefordert.

Er rechnete selbst damit, eines Tages umgebracht zu werden. einem Journalisten sagte er kurz vor seinem Tod:

„Ich bin oft mit dem Tod bedroht worden. Ich muss ihnen gestehen, dass ich als Christ nicht an einen Tod ohne Auferstehung glaube. D.h.: Sollte ich umgebracht werden, so werde ich im Volk von El Salvador auferstehen. Als Bischof bin ich verpflichtet aufgrund göttlichen Auftrags, mein Leben hinzugeben für jene, die ich liebe, und dies sind alle Menschen in El Salvador, selbst für jene, die mich vielleicht töten werden. Aber sofern Gott das Opfer meines Lebens annimmt, so sei mein Blut ein Same der Freiheit und ein Zeichen, dass die Hoffnung bald eine Wirklichkeit wird“.

Nebenbei: An der Totenmesse für Erzbischof Romero nahmen die „Offiziellen“, selbst die anderen Bischöfe (bis auf einen) NICHT teil. Einer seiner Nachfolger als Erzbischof wurde von 1995 bis 2008 Fernando Saenz Lacalle vom Opus Dei, ein „Ehrengeneral des Militärs“. Saenz Lacalle trat für die Wiedereinführung der Todesstrafe ein. Solche „Typen“ wurden vom Papst Johannes Paul II. als Erzbischof eingesetzt: Bester Ausdruck dafür, wo die „Konterrevolution“ sitzt?

(Quelle: Orientierung, Zürich, 2001, S 5. Dieser Beitrag von Prof. Giancarlo Collet ist noch im Archiv der inzwischen leider eingestellten Zeitung abrufbar.)

The Thomas Merton Center at Bellarmine University http://www.merton.org/collection.aspx

–The international Thomas Merton society: http://www.merton.org/

In diesem Zusammenhang muss an Albert Camus erinnert werden, an seine Unterscheidung von Revolte und Revolution.

Für Camus entsteht – etwa die Russische – Revolution von 1917- aus einer theoretischen, prinzipiellen abstrakten Ideologie, die eine fanatische „Avantgarde“ „verwirklichen“ will. (Man denke an die ewigen Sprüche, dass man die Beschlüsse des KP Parteitages realisieren muss, also aus der Abstraktion ins Leben „einfügen“ muss…) Lenin und Stalin dominieren als Diktatoren den Staat und löschen dabei alle Freiheiten der Gesellschaft aus: Die Lager, die Verhaftungen, das Spitzelwesen usw. sind Ausdruck einer Revolution, die von einer fanatischen Minderheit ohne Rücksicht auf Menschlichkeit durchgesetzt wurde. Diese Erkenntnisse stellt Camus in seinem Buch „Der Mensch in der Revolte“, Paris 1951, dar. Daraufhin wird er von den zahlreichen begeisterten Stalinisten und Kommunisten in Frankreich, auch von Sartre, förmlich kaputt gemacht. 1953 schreibt Camus: „Das große Ereignis des 20. Jahrhunderts war der Verzicht (l abandon) auf die Werte der Freiheit durch die revolutionäre Bewegung, und das Zurückweichen des Sozialismus der Freiheit vor dem autokratischen (césarien) und militärischen Sozialismus“ (zit in „Dictionnaire Albert Camus“, Paris 2009, s 789). Der Revolutionär lebt von der Berechnung, „er zieht den abstrakten Menschen dem Menschen aus Fleisch und Blut vor. Der Revolutionär hat keinen Sinn für die Schönheit der Gegenwart, er liebt nicht die Gegenwart, er opfert aber gern die anderen für eine ferne Zukunft. (S. 343 f., „Der Mensch in der Revolte“, Rowohlt Verlag 2006).

Demgegenüber schätzt Camus die Revolten, wenn sie Aktionen grundlegender Reformen sind bzw. grundlegende Reformen anzielen, wie etwa der Aufstand in Ungarn 1956, den Camus begrüßte oder den 17. Juni 1953 in Ost-Berlin. „Die Revolte ist der jahrhundertealte Wille, sich nicht zu beugen“ (Mensch in der Revolte, D. 340). Der Mensch der Revolte verurteilt sich dazu, für die zu leben, welche nicht leben können, die Gedemütigten“. „Die Revolte ist die Bewegung des Lebens selbst“ (ebd.). Die Revolte ist die freie Tat der einzelnen, der kleinen Gruppe, die nicht die ganze Welt verbessern wollen, sondern punktuell im kleinen Rahmen für Verbesserung der Menschlichkeit sorgen.

COPYRIGHT: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Die „gelben Westen“ und die katholische Kirche in Frankreich

Ein Hinweis von Christian Modehn am 20.1.2019

Die Bewegung der „gelben (Warn-)Westen”, im Oktober 2018 entstanden, hat sich zu einer breiten Protestbewegung gegen die Regierung von Staatspräsident Emmanuel Macron entwickelt. Zu den Aktivisten der „gelben Westen“ gehören politisch sehr unterschiedliche Gruppierungen, von rechtsextrem bis linksextrem, aber auch klassisch – bürgerliche Kreise machen da mit. So richtig zu „greifen“ für Soziologen ist diese pluralistische Bewegung bisher nicht.

Bisher wurde in Deutschland nicht dokumentiert, inwiefern sich die katholische Kirche in Frankreich gegenüber dieser radikalen Protestbewegung positioniert.

1.Am 11. Dezember 2018 hat die Katholische Bischofskonferenz zum Thema ein Papier veröffentlicht. Die Bischöfe sprechen in allgemeinen Worten „von einer Krise, die eine sehr tiefe und sehr alte Krankheit offenbart. Diese Krise erzeugt ein tiefes Misstrauen gegenüber den politisch Verantwortlichen“. Die Bischöfe meinen, dass offene Gesprächskreise für alle Bürger eine Hilfe sein könnten: „Deswegen sollen in den Pfarrgemeinden Möglichkeiten des Austauschs geschaffen werden“ . Da und dort finden solche Gespräche statt, etwa in Caen, Normandie. Aber das Ansehen der katholischen Kirche in Frankreich ist nach der Freilegung so vieler sexueller Missbrauchsuntaten durch Priester so schlecht, dass die Bereitschaft nicht katholischer Kreise Gemeinderäume zu betreten, eher begrenzt ist. Viele Gerichts-Prozesse wurden gegen Bischöfe geführt wegen Verschleierung der Untaten.

Siehe: https://eglise.catholique.fr/conference-des-eveques-de-france/textes-et-declarations/468109-appel-aux-catholiques-de-france-a-nos-concitoyens/

2.Ein Bischof will sich nicht mit Worten begnügen: Der Bischof von Montauban (Département Tarn-et-Garonne), Bernard Ginoux, hat sich schon Anfang Dezember eine gelbe Weste übergezogen, „um zu zeigen: Ich bin zwar kein militanter Kämpfer, aber ich komme als Freund“). Seitdem ist er immer wieder an den Aktionen am Rond-point d Aussonne von Montauban bei den „Gelben Westen“. Am 5. Januar 2019 schrieb er: „Was ich hier sehe, sind sehr belastete Menschen, die ihr Leiden heraus schreien“. Und er ist so mutig, öffentlich einzugestehen: „Ich habe einfache, bescheidene Menschen gesehen, denen ich zuvor keine Aufmerksamkeit schenkte“. Nebenbei; Wie „abgehoben“ ein Bischof also leben kann.

Der Bischof erscheint mit seiner gelben Warnweste und einem großen Kreuz auf der Brust, damit jeder weiß: Aha, da ist der Bischof. Und der hat inmitten dieser Menschen auch ein „pastorales Anliegen“. „Ich habe bei der Demonstration Personen entdeckt, die gar nicht entchristlicht waren, sondern ein religiöses Gefühl haben. Viele von ihnen machen auch Pilgerfahrten. Diese Menschen zeigen mir ihre Medaillen der Jungfrau Maria. Meine Entscheidung ist: Wenn die Leute nicht zur Kirche gehen, muss die Kirche zu ihnen gehen“. Mit einer gelben Weste also missionieren? Wahrscheinlich. Politische Analysen wären da wohl noch einfacher und zunächst sinnvoller.

Nebenbei: Ginoux gehört zum sehr konservativen Flügel in der Bischofskonferenz, er unterstützt auch den „Marsch für das Leben“, der am 20. Januar 2019 stattfand.

3.Auch die katholischen Laien und ihre Organisationen schalten sich in die Debatte ein, in der ganzen politischen Vielfalt, die Frankreichs Kirche eben auch auszeichnet.

Einige haben einen „Appell für einen neuen sozialen Katholizismus“ Anfang Januar 2019 veröffentlicht. Die 17 Unterzeichner dieses Dokuments wollen die alte katholische Soziallehre wieder neu beleben. „Und was wir wollen, ist eine beruhigte, befriedete Gesellschaft (une société apaisée)“. Zu den Initiatoren gehört Joseph Thouvenel von der (kleinen) Christlichen Gewerkschaft CFDC. Er bekennt, bei seinen Begegnungen mit den „Gelben Westen“ im Département Val-de-Marne, „braves gens“, brave Leute, getroffen zu haben. Nette Typen also? Den Ausdruck von Macron, es handele sich um eine von Hass getriebene Masse, findet er schockierend.

Was einigen gar nicht so gut gefiel, dass in diesem Dokument die konservativen Autoren explizit von Volk und Nation sprechen: “Der Zusammenhalt des Volkes und der Nation sind bedroht“, sagen sie. Beide Begriffe, so abstrakt verwendet, werden heute in Frankreich sehr oft mit rechtsextremen Organisationen assoziiert…

Darum haben auch die eher kritischen Verantwortlichen der Caritas und der katholischen Studiengruppen „Semaines sociales“ sich von diese Text distanziert, vor allem auch, weil dort die wirklichen sozialen Probleme, die Ungleichheit in der Gesellschaft, nicht deutlich formuliert werden.

4.Deutlich ist für viele Beobachter auch, dass ultrakonservative Kreise des Katholizismus sich unter die “Gelben Westen-Bewegung“ mischen. Sie haben eine eigene Website: www.giletsjaunescatholiques.fr, da wird im Ernst behauptet: Gilets jaunes und Pro Vie, bzew. „Marche pour la vie“ seien „le meme combat“, derselbe Kampf.

Das sind auch finanziell oft starke Gruppen, die schon die Massenproteste gegen die „Ehe für alle“, also die „Homo Ehe“, organisierten. Jetzt demonstrieren sie fromm und wütend „aufs Establesment“ mit gelben Westen, zeigen Banderolen mit dem Wort des katholischen Schriftsteller Charles Peguy „Es gibt ungerechte Ordnungen, die nur noch schlimmere Unordnungen verbergen“. Das heißt: Macrons Regierung ist von Übel, meinen diese sehr konservativen Katholiken. Bei ihren Demonstrationen gegen die Homoehe wurden sie immer von der rechtsextremen Partei Front National von Marine Le Pen unterstützt. Diese frommen Katholiken wagen es, so die katholische Wochenzeitung La Vie, die Orte und Plätze der Demonstrationen zu segnen, dabei wollen sie auch „evangelisieren“. Einer der Wortführer ist Guillaume de Prémare, einst Präsident der Demos gegen die Homoehe.

Im ganzen hat man den Eindruck: Konservative Katholiken benutzen die gilets jaunes, um ihre eigenen klerikalen Ziele durchzusetzen: Das ist Forderung nach einer Ablösung der liberalen Demokratie zugunsten einer autoritären Führung unter der Rechtsextremen Madame Le Pen. Und dann diese weltweit katholischerseits soübliche totale Fixierung auf das ungeborene Leben: Diese Katholiken tun so, als seien alle sozialen Probleme letztlich durch die Abtreibungsgesetze verursacht. Einmal mehr wird deutlich, wie dieser totalen Pro Life Wahn der Katholiken weltweit alles kritische Denken bei ihnen vergiftet hat. Anstatt für eine neue Sozialpolitik zugunsten der Armen zu streiten, zeigen sie auf ihren websites breit lachende schwangere Frauen. Man könnte glauben: In konservativen Kreisen ersetzt der Glaube an das ungeborene Leben seit der ersten Sekunde der „Empfängnis“ den Glauben an einen Gott, der befreit…

5.Einen dringenden Appell hat der katholische Publizist Michel Cool publiziert: Er verlangt. Dass bald mindestens 100.000 “Gelbe Westen“ gemeinsam demonstrieren: Vor allem Christen sollten dabei sein: Um für die Demokratie und die Solidarität mit den Migranten einzutreten. Denn Frankreich so der Publizist Cool, ist in Gefahr….Vielleicht herrschen bald „italienische Verhältnisse“.

Dieser Beitrag verdankt viele Informationen der Wochenzeitung LA VIE: http://www.lavie.fr/religion/catholicisme/les-chretiens-face-aux-gilets-jaunes-16-01-2019-95741_16.php

Copyrigt: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Die Ehe für alle ist selbstverständlich! Nicht aber für “evangelikale Christen”. Der Nashville-Erklärung widerstehen!

Gegen die „Nashville-Erklärung“ protestieren die Remonstranten

Von Christian Modehn

Die Remonstranten sind eine freisinnige, liberal-theologische protestantische Kirche in Holland. Sie sind die einzige christliche Kirche weltweit, die als solche kein verpflichtendes dogmatisches Bekenntnis von ihren Freunden und Mitgliedern verlangt.

Die für Toleranz eintretenden Remonstranten lassen sich von konservativen Kirchen nicht alles bieten. Theologisch liberal sein heißt auch widersprechen, wenn die Freiheit der Menschen und ihre Würde bedroht sind.

Darum widersprechen jetzt die Remonstranten offiziell, wenn in diesen Tagen von den zunehmend mächtiger werdenden Kreisen der konservativen Kirchen der USA ein theologisches Dokument auch in Holland verbreitet wird, mit entsprechenden Unterschriftensammlungen: Es handelt sich um die so genannte Nashville-Erklärung aus dem Jahr 2017, die weltweit schon Irritationen auslöste. In dem Text wenden sich zahlreiche evangelikale US-Theologen (unter ihnen Pastor John Piper, auch in den entsprechenden Kreisen in Deutschland bekannt) gegen die Gleichwertigkeit von Homosexualität und gegen die Rechte von Transsexuellen. Die Autoren der „Nashville Erklärung“ lesen wie üblich und unbelehrbar die Mythen der Bibel wortwörtlich, was Sexualität betrifft. Was die Worte Jesu gegen die Herrschaft des „Klerus“ betrifft, bekanntlich nicht, die werden je nach Laune evangelikal interpretiert. Der ehemalige Generalsekretär der Remonstranten und Theologe Tom Mikkers hat zusammen mit der Politikerin Mirjam Sterk (CDA) in der Amsterdamer Tageszeitung “de Volkskrant” der Nashville Erklärung widersprochen.

Diese immer mächtiger werdenden evangelikalen Kreise (man denke an ihre aktuelle Unterstützung des brasilianischen rechtsextremen Präsidenten Bolsonaro) wollen damit die Muster einer für Europa längst vergangenen Kultur der absoluten Dominanz der „Hetero-Ehe“ fortschreiben und damit auch an einem entsprechenden Familien- und Frauenbild festhalten. Insofern ist das Nashville Dokument auch ein politisches Pamphlet. Und ein Dokument einer in der aufgeklärten, gebildeten westlichen Welt längst untergegangen Kultur. Es ist förmlich ein Kulturkampf um die Bibelinterpretation entstanden!

Darum haben jetzt, am 7.1. 2019, die Remonstranten gegen die sogen. Nashville Erklärung protestiert. Diese Kirche war bekanntlich die erste, die schon 1986 als christliche Kirche die Segnung von Paaren des gleichen Geschlechts in ihren Kirchen gestaltete und damit diese Lebensform als normale Alternative zur Hetero-Ehe ansieht.

Es scheint, als hätten die Evangelikalen in dieser unserer Gegenwart der politischen Verwirrung (Nationalismus, Kriege, Rechtsradikalismus, Öko-Krise, Armut, Ungerechtigkeit weltweit) keine anderen Sorgen, als dieses uralte Thema der absoluten Geltung der Hetero-Ehe wieder zu propagieren. Als solle ein letztes Gefecht dieser Kirchen stattfinden um eine Kultur, die mit dem 20. Jahrhundert de facto, aber noch nicht in allen Köpfen, überwunden wurde. In Afrika sind die Kirchen die heftigsten Feinde des Respekts für Homosexuelle. Der Kardinal von Tanzania sagte kürzlich noch, besser sollten die Menschen in Tanzania verhungern, als Hilfen anzunehmen, die irgendwie mit „Gay“ (Schwul) etwas zu tun haben.

Man mache sich nur keine Illusionen: Wer heute noch christlich sein will, bindet sich oft an diese dogmatisch starren Kirchen. Diese Menschen suchen Sicherheit, Führung, sie wollen von anderen hören, was Gott will. Sie fragen nicht selbst, suchen nicht selbst. Alte Antworten in alten Floskeln und Sprüchen werden nachgesprochen…

Und vor allem: Die Nashville Erklärung könnte der Vatikan auch jetzt nicht besser formulieren. Selbst Papst Franziskus ist alles andere als ein Verteidiger der Gleichberechtigung der Homosexualität und der Homosexuellen. Er ist theologisch sehr konservativ, das hören die wenigen progressiven Katholiken nicht gern, aber es die Wahrheit. Man lese bitte auch den offiziellen, immer noch gültigen römischen Katholizismus von 1996, dort gibt es beste inhaltliche Übereinstimmungen mit der Nashville Erklärung!

Und man vergesse nicht: Die Nashville Erklärung können die meisten Muslime mit Begeisterung unterschreiben, jedenfalls solche, die in den Herrschaftsgebieten der arabischen Diktatoren leben.

Die Nashville Erklärung ist insofern leider ein ökumenisches, man möchte fast sagen, interreligiöses Dokument.

Man darf gespannt sein, wie etwa in Deutschland sich die Evangelische Kirche offiziell von diesem theologischen Unsinn aus Nashville distanziert. Kaum zu erwarten, wenn man nur an die Macht evangelikaler Kreise etwa in der Württembergischen Landeskirche denkt…Die offizielle katholische Kirche in Deutschland wird – nicht nur stillschweigend – jubeln. Das ist ja das richtige Thema für die katholischen, d.h. päpstlichen Weltjugendtage in Panama im Januar 2019. Sie haben das Motto: “Siehe, ich bin die Magd des Herrn. Mir geschehe nach deinem Worte“. Haben auf solch eine antifeministische Theologie die jungen (armen) Frauen in Lateinamerika gewartet, die in dieser Macho-Gewalt-Unkultur um Überleben kämpfen müssen?

Die Nashville Erklärung richtet viel Schaden an: Sie weckt den Eindruck bei vielen LeserInnen: Ja, so denken halt „die“ Kirchen. Ist ja leider nicht ganz falsch! Die Menschen haben also einen Grund mehr, sich von den Kirchen zu verabschieden.

Die Remonstranten feiern in Holland in diesem Jahr 2019 ihr 400 Jahre dauerndes Bestehen. Ein Thema der aktuellen Auseinandersetzungen wurde ihnen nun mit der niederländischen Nashville-Erklärung vorgelegt, ein Thema, das in den Gedenk- und Denkfeiern jetzt nicht fehlen wird.

Die Remonstranten sind eine zahlenmäßig sehr kleine Kirche, aber sie sind ein Ort der Zuflucht für jene, die eine Verbindung von Moderne, Vernunft, Menschenrechten UND christlichem Glauben erleben und gestalten wollen.

Copyright: Christian Modehn, Forum der Remonstranten Berlin.

Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht: Vor 100 Jahren ermordet.

„Freiheit ist immer Freiheit des anders Denkenden“
Nachtrag am 22.2.2019: Ein Hinweis auf das wichtige Buch von Sebastian Haffner. Am Ende dieses Beitrags.

Hinweise von Christian Modehn

1.Die so genannten „bürgerlichen, liberalen Kreise“ sollten jetzt Korrekturen ihrer Denkmuster vornehmen. Und am 15.1. 2019, ein hundert Jahre nach der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zu einem Buch greifen und es lesen. Es ist eine Studie, die von einem auch in bürgerlichen Kreisen anerkannten Historiker und Publizisten geschrieben wurde: Sebastian Hafner hat in sein Buch (252 Seiten) „Die deutsche Revolution 1918/19“ schon 1969 unter dem Titel „Die verratene Revolution“ veröffentlicht, darin das ausführliche Kapitel über die Zusammenhänge der Ermordung von Luxemburg und Liebknecht. Die Ermordung der beiden Sozialisten sei bereits „spätestens Anfang Dezember 1918 geplant und systematisch betrieben worden“ (S. 174, in der Ausgabe des Rowohlt Verlages 2018): Von wem? Von Mitarbeitern des offiziellen „Stadtkommandanten Wels“ (SPD). Auch der für Bürgerkriegs –Belange zuständige Gustav Noske (SPD), enger Mitarbeiter von Friedrich Ebert (SPD, war in der Verfolgung und Ermordung Luxemburgs und Liebknechts sehr engagiert (S. 176). Warum wurden diese beiden Sozialisten, Gegner der staatstragenden Mehrheits-SPD, ermordet? Sebastian Hafner schreibt: Luxemburg und Liebknecht „verkörperten in den Augen von Freund und Feind die deutsche Revolution. Sie waren ihre Symbole. Und mit ihnen erschlug man die Revolution“ (S. 180). Beide erkannten das „Spiel“, das von Anfang an mit der deutsche Revolution von ihren angeblichen Führern (der SPD, C.M.) getrieben wurde, und sie schrieen ihre Erkenntnis täglich laut heraus. Sie waren sachverständige Zeugen, die man erschlug, weil man ihrem Zeugnis nichts entgegenzusetzen hatte“ (ebd.) „Die „Mordhetze wurde auch und gerade von der sozialdemokratischen Presse betrieben“ (S. 181). Ein brisantes Thema und man ist gespannt, wie die SPD am 15. 1. 2019 sich zu einer Stellungnahme aufrafft. Dass im Hintergrund die reaktionären Kräfte um General Erich Ludendorff agierten und die Republik von vornherein kaputt machen wollten, ist auch klar.

Über Ebert und Noske schreibt Otto Friedrich in “Morgen ist Weltuntergang”, Berlin in den Zwanziger Jahren, Berlin 1998, S. 55.: “Wie für Ebert bedeutete Sozialismus auch für Noske, aus der Armut aufzusteigen und am Glanz des Kaiserreiches teilzuhaben…”

2.Den Interessen des religionsphilosophischen Salons entsprechend ein Wort zur „Spiritualität“ bzw. „religiösen Dimension“ von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Denn „religiöse Dimensionen“ sind wohl in jedem lebendigen Menschen lebendig, selbst wenn oder gerade weil er/sie NICHT an die Dogmen einer bestimmten Konfession gebunden ist. Bei Rosa Luxemburg wird der Gedanke der Revolution sozusagen mit einer transzendenten Aura beschrieben. In ihrem letzten Beitrag, am 15.1. 1919, schrieb Rosa Luxemburg als Redakteurin der „Roten Fahne“: „Ihr stumpfen Schergen! Die Revolution wird sich morgen schon rasselnd wieder in die Höhe richten und zu eurem Schrecken mit Posaunenklang verkünden: „Ich war, ich bin, ich werde sein“. Revolution also als Ewigkeit, am Ende der Zeiten (?) siegreich gedacht. Seinen Glauben drückte Karl Liebknecht am gleichen Tag mit den Worten aus: “Leben wird unser Programm. Es wird die Welt der erlösten Menschheit beherrschen, trotz alledem“. (Von Sebastian Hafner zitiert auf der Seite 177). Hafner schildert auch, mit welcher bestialischen Brutalität Luxemburg und Liebknecht von den Mördern, die von den SPD-Führern engagiert, hingerichtet wurden. Die SPD, überglücklich, parlamentarisch reagieren zu dürfen, fühlte sich als Repräsentantin der alten Ordnung, zu der nun einmal eine blinde Wut auf alles gehörte, was Revolution sich nannte. Und Hafner zeigt weiter: Der Mord an Luxemburg und Liebknecht war „der Auftakt zu den tausendfachen Morden in den folgenden Monaten der Noske Zeit, zu den millionenfachen Morden in den folgenden Jahren der Hitler Zeit“ (S. 182).

3.Auch das berühmte Zitat Rosa Luxemburgs „Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden“ sollte heute ausführlich reflektiert werde, es bezieht sich auf die Zustände der bolschewistischen Herrschaft Lenins. Geschrieben hat dieses Wort Luxemburg im September/Oktober 1918, also wenige Monate vor ihrer Ermordung. Dieser berühmte Luxemburg Satz gehört zu ihrer größeren Studie „Zur russischen Revolution“, die erst 1922 von Paul Levi aus dem Nachlass veröffentlicht wurde. Welche Bedeutung hat dieser viel zitierte, so gar nicht „kommunistische Satz“ heute angesichts der Zunahme von rechtsradikalen Untaten in ganz Europa und weltweit? Wie weit können die Feinde der Demokratie sich der demokratischen Grundsätze bedienen, um gegen die Demokratie zu agieren? Rosa Luxemburg schrieb also die „berühmten Worte“: “Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für Mitglieder einer Partei– mögen sie noch so zahlreich sein – ist keine Freiheit. Freiheit ist immer Freiheit des anders Denkenden. Nicht wegen des Fanatismus der »Gerechtigkeit«, sondern weil all das Belehrende, Heilsame und Reinigende der politischen Freiheit an diesem Wesen hängt und seine Wirkung versagt, wenn die »Freiheit« zum Privilegium wird.” (Die Russische Revolution, Hrsg. Paul Levi, Verlag Gesellschaft und Erziehung G.m.b.H., 1922, S. 109 ).

André Brie ergänzt: „Luxemburg kritisiert auch, dass die Bolschewiki den Kapitalisten die Pressefreiheit verweigerten, denn „ohne eine freie, ungehemmte Presse, ohne ungehindertes Vereins- und Versammlungsleben“ sei „gerade die Herrschaft breiter Volksmassen völlig undenkbar“. Ihre Vorstellung ist offenbar, dass die „politische Schulung und Erziehung der ganzen Volksmasse“ nicht anders als im offenen Streit zwischen ihr und den Kapitalisten erfolgen kann. An dieser Schulung aber, und das ist der Kern ihrer Kritik, hätten Lenin und Trotzki gar kein Interesse: Es sei die „stillschweigende Voraussetzung“ ihrer Diktaturtheorie, „dass die sozialistische Umwälzung eine Sache sei, für die ein fertiges Rezept in der Tasche der Revolutionspartei liege, das dann nur mit Energie verwirklicht zu werden brauche“ (in „Standpunkte“, 10/2011)

4.Es ist eine historische Katastrophe, dass sich Kommunisten später nie an diese grundlegende Einsicht der Sozialistin Rosa Luxemburg hielten. Sie veranstalteten ihr zu Ehren Jubelfeiern, etwa in der DDR; diese grundlegende Einsicht Luxemburgs wollte man schon gar nicht wahr –nehmen, … angesichts der Diktatur der alles bestimmenden Partei. Und: Welche Rolle spielt Rosa Luxemburg heute in den sich noch kommunistisch nennenden Regimen Chinas und Nord-Koreas? Gar keine! Ist damit aber Luxemburgs Erkenntnis „Freiheit ist immer die Freiheit der anders Denkenden“ hinfällig? Überhaupt nicht. Wie könnten wir Menschen denn noch menschlich leben, wenn wir dieses „Ideal“ aufgäben.

5.Die Organisationen im „bürgerlichen Bereich“ waren auch nicht gerade Vorbilder in der Gewährung der Freiheit der anders Denkenden. Man erinnere sich an die frühe Geschichte der Bundesrepublik, an den Nazi –Freund Hans Globke, von Adenauer gefördert; an die Dominanz der alten, aus NS Zeiten stammenden Richter und Beamten, an die Hetzjagden auf Linke damals etc. Man denke auch an die Kirchen und ihre Verfolgung der Ketzer, der Abweichler bis heute, an die Exkommunikationen usw. bis heute..

6.Im Jahr 2014 erschien Band 6 der „Gesammelten Werke“ Rosa Luxemburgs, er bezieht sich auf die Jahre 1893 bis 1906. Darin wird auch das Thema „Luxemburg und die Religion“ dokumentiert. Der Kulturwissenschaftler Horst Groschopp schreibt zu diesem Band 6: „Rosa Luxemburg, selbst säkularisierte Jüdin, ist eine humanistisch gebildete und religionsgeschichtlich kundige Autorin. Ihre Gegnerschaft trifft nicht Kirche und Religion schlechthin, schon gar nicht religiöse Menschen (“niemals … Kampf gegen religiöse Überzeugungen”), sondern den Klerikalismus und die “Kirche als geistige[n] Generalstab der herrschenden Klassen”. Kirche und Religion verklären die kapitalistische Weltordnung, meinte Rosa Luxemburg. (Quelle: https://hpd.de/node/17915). Wer würde leugnen, dass diese Erkenntnis Luxemburgs bis heute Gültigkeit hat? Wie viele Veranstaltungen in kirchlichen Akademien Deutschlands wird es zur Ermordung von Rosa Luxemburg geben? Wie viele (selbst-)kritische Gedenkartikel in kirchlichen und theologischen Zeitschriften? Wir werden uns in dieser Sache wieder melden…Wird es möglich sein, endlich der Erkenntnis zu folgen: Rosa Luxemburg war KEINE “Bolschewistin”! Viele Jahre haben bürgerlich-konservative wie auch kommunistische Interpretationen – je auf ihre Weise – Rosa Luxemburg als Bolschewistin entweder verurteilt oder verklärt.

Eine Ergänzung am 22.2.2019:

Ein Hinweis von Christian Modehn zur Mitschuld der SPD am Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht

Der „Religionsphilosophische Salon Berlin“ hat auf die Bedeutung von Rosa Luxemburg, auch auf ihre selten explizit thematisierte „humanistische Spiritualität“, hingewiesen. Und anlässlich des Gedenkens an die Ermordung von Rosa Luxemburg auf das große Werk von Sebastian Haffner empfehlend verwiesen: Haffner hatte schon 1969 sein Buch zum Thema Revolution in Deutschland 1918/19 unter dem Titel „Die verratene Revolution“ publiziert. Diese maßgebliche Studie erscheint nun unter dem Titel „Die deutsche Revolution 1918/1919“ (Rowohlt Verlag).
Der Tagesspiegel (19.2.2019) macht in einem Beitrag von Uwe Soukup darauf aufmerksam: Entgegen vieler polemischer Äußerungen stimmt die grundlegende Einsicht des (nicht-kommunistischen) Autors Haffner nach wie vor, nämlich: „Die Teilhabe der SPD an unfassbaren historischen Verbrechen wie den Morden an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht“. Uwe Soukoup berichtet von dem letzten Pressegespräch Haffners für DIE ZEIT. Er sagte: „Ebert und Noske haben die Revolution verraten, sie sind schuld an der Ermordung von Liebknecht und Luxemburg, ohne sie (die SPD) wäre Hitler nicht an die Macht gekommen“.
In seiner Kritik an der vor allem an Regierungsgewalt interessierten SPD sagte Haffner: „Ich habe es immer als sehr unangenehm empfunden, dass die Parteistiftung der SPD `Friedrich Ebert Stiftung heißt“.
Die SPD Vorsitzende Andrea Nahles musste am 9.11. 2018 einräumen, dass der SPD Politiker Gustav Noske „bei den Morden an Luxemburg und Liebknecht seine Hände im Spiel gehabt hatte“. Aber aus dieser noch vorsichtig formulierten Einsicht folgte keine Neuorientierung der SPD gegenüber Noske und seinem Meister: Ebert.
Ich hatte der Friedrich Ebert Stiftung geschrieben und an die im Hintergrund laufende Verquickung der SPD mit den Rechtsradikalen seit 1919 hingewiesen. Darauf erhielt ich am 18.1.2019 diese Antwort von Dr. Peter Beule, Mitarbeiter der Friedrich Ebert Stiftung in Bonn, Projekt Netzwerk Demokratie/Geschichte: Diese Antwort kann ich gegenüber dem nun auch aktuell im „Tagesspiegel“ Freigelegten nur als Ausrede bezeichnen, Beule schreibt: „Der Forschungsstand macht deutlich, dass die Rede von einem Mittun Friedrich Eberts bei der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, so Ihre Formulierung, jedweder Quellenbasis entbehrt. Auf die Ermordung der ehemaligen Sozialdemokrat“_innen durch rechtsradikale Freikorps am 15. Januar 1919 reagierte Ebert mit Abscheu und Bestürzung“. Was heißt schon „Mittun“? Jemand, der eine Tat inszeniert und bewusst zulässt, „tut auch mit“…
Peter Beule, SPD, meint also, Sebastian Haffners Studie sei veraltet. Das Gegenteil ist ja der Fall. Und: Keine Frage, Ebert musste nach außen hin mit Abscheu über den Mord reagieren. Hätte er öffentlich jubeln sollen, dass die in seiner Sicht „Bolschewistin/Revolutionärin“ Rosa Luxemburg endlich ermordet wurde?
Ebert hatte doch keine größere Angst als die vor einer revolutionären demokratischen Wandlung Deutschlands.
Und nebenbei: In meiner Mail hatte ich auch eine Änderung des Namens der SPD nahen Stiftung vorgeschlagen, wie Sebastian Haffner schon. Aber dazu nahm Herr Beule gar nicht Stellung. Aber wenn die SPD noch einmal selbstkritisch mit ihrer Vergangenheit umgeht: Dann darf ihre Stiftung sich nicht mehr mit dem Namen Ebert „zieren“. „Willy Brandt Stiftung“ wäre treffender!

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Wie könnten Christen Weihnachten noch feiern? Abschied von der “Stillen Nacht”: Weil “alles schläft”!

Ein Kommentar und Diskussions-Beitrag

Von Christian Modehn am 29.Dezember 2018

Einige Freundinnen haben mich gefragt: Was denn der “Hintergrund” für diesen Kommentar sei.

Meine Antwort: Weihnachten ist weltweit so ein zentrales Ereignis, dass man sich auch außerhalb der Weihnachtstage mit dem Ereignis befassen sollte. Und vor allem: Weil die bisher üblichen Weihnachtsfeiern/Gottesdienste der Kirchen nicht den gewünschten “Erfolg” zeigen, und dies seit Jahrhunderten: Weihnachten als viel besprochenes “Fest des Friedens” etwa ist eine reine Farce. Wer Jahre lang an Weihnachtsgottesdiensten teilnahm, der ist, soweit man das empirisch feststellen kann, eben nicht friedlicher geworden: D.h.:Die Welt ist trotz der üblichen vielen Weihnachtsgottesdienste eben nicht besser, “erlöster”, “geretteter” geworden. Man denke nur daran, dass in dem “katholischen Kontinent” Lateinamerika die tötende Gewalt, die Korruption, die Verbrechen gegen die Menschenwürde alltäglich sind und immer mehr zunehmen. Haben diese Verbrecher nicht oft an (Weihnachts-)Messen, die so hübsche Krippe verehrt und an Wallfahrten und Prozessionen teilgenommen? Haben sie nicht die “heilige Jungfrau” so oft singend gepriesen, bevor sie zu Massenvergewaltigungen sich entschieden haben? Kann eine Kirche so viele “spirituelle Erfolglosigkeit” auf Dauer ertragen? Ist das nicht alles für die Kirche furchtbar blamabel? Warum sollte man angesichts dieses spirituellen wie politischen Desasters nicht fragen: Dann sollen die Christen und Kirchen z.B. endlich beginnen, radikal anders Weihnachten zu feiern. In unserem religionsphilosophischen Salon am 14. Dezember 2018 hatten wir uns auch schon auf dieses Thema eingelassen. Zu wenig Beachtung findet auch in diesem Text leider die totale Ökonomisierung des Weihnachtsfestes. Weihnachten ist eben total Weihnachts-MARKT geworden. Und die Kirchen machen diesen Trubel und Konsumrausch mit.

Es ist naturgemäß verwegen, die Kirchen in Europa, auch in Deutschland, aufzufordern: Weihnachten in der bisherigen Form nicht mehr zu feiern. Das wäre ein dringendes Thema für die nächsten 12 Monate in 2019.

Denn, so sagen die zahllosen kirchlichen Weihnachtsfreunde: Die Gottesdienste sind doch gut besucht, wenn nicht überfüllt. Die Leute singen halt so furchtbar gern „Stille Nacht“ und „Zu Bethlehem geboren“ in den Kirchen bei Kerzenschein usw. Die Kindern staunen dann auch über die (meist kitschigen) Krippen. Einige gute Summen an Spenden werden gesammelt, für „Brot für die Welt“ und „Adveniat“. Wobei niemand wagt, diese ca. 70 Millionen Spenden in ein Verhältnis zu setzen zu den Milliarden Ausgaben zu Weihnachten für Geschenke. (Von den sinnlos verschleuderten, die Umwelt schädigenden Millionen fürs Herumballern zu Silvester ganz zu schweigen). Hinzu kommt: Die Predigten der Bischöfe und Pfarrer zu Weihnachten werden auch nicht kritisch – theologisch untersucht auf einen nachvollziehbaren Inhalt hin für die heutigen, weithin säkularisierten Weihnachtsgottesdienst-Besucher. Viele Predigten sind nur eine Wiederholung der Weihnachtsmythen der Evangelien. Und wenn es politisch wird, dann immer staatstragend moderat: Dass zu der Zeit, wo „Stille Nacht“ gesungen wird, viele Flüchtlinge in der stillen Nacht des Mittelmeeres herumirren auf ihren Kähnen, wird kaum gesagt, genauso wenig, dass so viele Menschen hierzulande eben keinen Gänsebraten verzehrten, weil die Ungerechtigkeit, d.h. die Armut, so groß ist. Nur Tierschützer können sich über diesen aufgezwungenen Gänsebraten- Verzicht freuen.

Wenn Weihnachtspredigten einen Hauch von Politik, und das heißt Politik-Kritik haben, dann sind sie allgemein, unverbindlich, in den Aussagen eben nicht „hart“ formuliert. Dass Geldspenden nur eine äußerst hilflose Art der Solidarität mit den arm gemachten Menschen in Afrika usw. ist, wagt kein Prediger zu sagen: Er müsste nämlich von einem Umbau unseres kapitalistischen Wirtschaftssystem sprechen. Wer will das schon hören?

Die Menschen verlassen die Gottesdienste der überbeschäftigten Weihnachtspastoren in dem schon von der Großmutter überlieferten kindlichen Wissen: „Christus ist erschienen, uns zu versühnen“, wie es im Lied altmodisch heißt. Oder: „Der Erlöser, der Retter, ist da. Alleluja“. Aber keiner weiß, was das bedeutet: Der Erlöser ist da? Wie bitte? Hier bei uns, in Afrika, bei Mister Trump und Putin und den übrigen so furchtbaren inhumanen Politikern wie in Syrien, Brasilien oder auf den Philippinen. Weihnachten, so der Gesamteindruck, bestätigt nur unverstandenes Geraune: „Der Erlöser ist da“, „Maria geht durch einen Dornwald“, „Tochter Zion freue dich…“ Und so weiter.

Weihnachten ist das Fest der Christen, das einerseits viel populäre Beliebtheit hat und andererseits in seinem Inhalt kaum verstanden wird.

Es ist populär beliebt, weil es mit dem Kaufrausch verbunden ist. Darum wird es auch in Japan gefeiert: Dort sagt man sich: Endlich irgend so ein europäisches Fest, das uns mit bestem Gewissen maßlos konsumieren lässt.

Aber: Der Inhalt wird auch hier in einem einst kirchlichen Europa nicht verstanden: Und der wesentliche Inhalt lässt sich in drei Worten sagen: „Weihnachten ist das Fest der „Vergöttlichung der Menschen“. Man denke an den Mystiker Angelus Silesius: „Wäre Jesus Christus tausendmal in Bethlehem geboren und nicht in dir, du wärest dann verloren“. Weihnachten also heißt: Alle Menschen sind absolut wertvoll, das Ewige wohnt in ihnen; alle Menschen, aber auch alle, haben deswegen ein göttliches Anrecht, umfassend – menschlich zu leben. Weihnachten ist also ganz modern, sehr säkulär und nachvollziehbar für alle Vernünftigen gesagt: Das Fest der Menschenrechte.

Natürlich mag es in dieser zerrissenen Welt für einige hübsch und beruhigend sein, zu Weihnachten in infantile Phasen zurück zu gleiten, Kindheitserinnerungen zu pflegen, „vom Himmel hoch“ zu singen, zu Tränen gerührt zu sein über die sympathischen Heiligen Drei Könige etc. Aber alles das hat mit Weihnachten als dem göttlichen Fest der Menschenrechte nichts zu tun. Wobei Menschenrechte als ideale, aber bindende Forderung verstanden wird, viele verbrecherische Politiker, die Waffenhändler, die “Reformer” der neoliberalen Wirtschaft usw. berufen sich schamlos auf die Menschenrechte, das ist leider Realität, spricht aber nicht gegen die absolute Geltung der Menschenrechte.

Fordern wir also –aussichtslos, aber deutlich – eine Unterbrechung kirchlicher Weihnachtsgottesdienste der alten, „ewig“ wiederholten Art? Ja! Eindeutig!

Warum also nicht zu Weihnachten Alternativen pflegen: die Kirchen öffnen, dort nachvollziehbare Dialoge führen mit Menschen, die auf der Suche nach einem Lebenssinn sind, vernünftig von Jesus von Nazareth sprechen, von seiner Familie, von seinen Geschwistern, seiner späteren Rebellion; dann etwas Musik hören, still sitzen, Kunst betrachten, miteinander Kleinigkeiten essen, Wein trinken, einander kennenlernen, Freundschaften bei solch einem Weihnachtsfest in den Kirchen schließen, Verabredungen treffen, also endlich mal in einer Kirche lebendig werden…

Mal sehen, wie dann die alten Weihnachtsfreunde reagieren, wie sie an den Kirchentüren klopfen und bitten: Erklärt uns doch endlich mal, was Weihnachten wirklich ist. Was die Geburt dieses armen Propheten Jesus von Nazareth eigentlich bedeutet? Gibt es für uns Erlösung, Heil, Rettung? Wenn ja: Wo und wie? Und die Antwort heißt: Erlösung gibt es nur, wenn wir den Vorschlägen und Vorschriften der Menschenrechte praktisch folgen. Und nur das ist der wahre Gottesdienst (im Sinne Jesu). Und dann kann man noch manchmal, aber sehr leise, ein bisschen schamhaft, „Stille Nacht“ singen, dann, wenn die Flüchtlinge im Mittelmeer gerettet sind und die vielen tausend Menschen im Jemen nicht mehr krepieren und die Milliardäre weltweit endlich angemessene, also gerechte Steuern zahlen müssen.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin