Die Korruption im Katholizismus – verursacht von der katholischen Moral, den Kirchengesetzen und der Dogmatik.

Ein Hinweis von Christian Modehn

Ich lasse mich von einem berühmten Titel von Max Weber inspirieren: “Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“. Dazu hat sich Weber bekanntlich in viel-beachteten Studien geäußert. Wichtig ist ihm dabei die Freilegung eines Begründungszusammenhangs: Protestantische Ethik (von Calvin inspiriert) ist eine der Ursachen für die Entwicklung und Herrschaft des „Geistes des modernen Kapitalismus“ .

Es wird die These zur Diskussion gestellt: Die Führung der Katholischen Kirche ist durch ihre Moral, Gesetzgebung und Dogmatik so tief mit dem Geist des Kapitalismus und dessen Praktiken verbunden, dass sie sich der Korruption kaum entziehen kann. Dabei wird impliziert, dass Korruption im kapitalistischen Wirtschaften in gewisser Hinsicht (sehr) oft „üblich“ ist. Und diesen üblichen Verhältnissen im Kapitalismus können sich (und wollen sich) selbst Kleriker, die oft das Gelübde der Armut „abgelegt“ haben oder sich als spirituelle Vorbilder präsentieren, kaum entziehen. Wer eine mächtige, starke, gesellschaftliche einflussreiche katholische Kirche will, mit tausenden, bestens ausgestatteten Behörden, Schulen, Ämtern usw. braucht viel Geld, wissen diese Kirchenführer, und zu diesem „sehr vielen“ Geld kommen sie oft nur auf dem Wege korrupten Verhaltens.

In der DDR sprachen führende Repräsentanten der Evangelischen Kirche dort von „Kirche im Sozialismus“. Sie meinten dies vor allem als Ortsbeschreibung, nicht als Hinweis auf eine Verquickung der Kirche mit dem Sozialismus à la DDR.

Jetzt ist also die Rede von „Kirche im Kapitalismus“, der Titel meint anderes: Gemeint ist eine Kirche, die sich den Gepflogenheiten des Kapitalismus nicht entziehen kann und will, sie ist „eingebunden“ in die Korruption, die auch den Kapitalismus beherrscht.

Damit wird auch ein anderes Thema berührt: Wie könnte – sozusagen utopisch betrachtet – eine Kirche aussehen, die sich den jesuanischen Geboten der Einfachheit, Schlichtheit, der Armut und des „Machtverzichtes“ verpflichtet wüsste. Wer dieses Thema anspricht, beginnt zu ahnen, wie weit auch heute Kirchen entfernt sind von einer Gemeinschaftsidee, „Kirche“, die Jesus von Nazareth mit seinem Kreis lebte und die vielleicht noch im 1. und 2. Jahrhundert für die ersten Gemeinden gültig war …und dann später nur noch gebrochen, marginal, in einigen Gestalten (Franz von Assisi, Petrus Valdes, Jan Hus) gelebt wurde. Diese Genannten, Heiligen, wurden bezeichnenderweise von der Kirchenführung eingeschränkt bzw. verfolgt und getötet.
Der Katholizismus ist bei diesem Thema kein Einzelfall: Alle Religionen heute lassen sich als „Religionen im Kapitalismus“ definieren. Man denke im christlichen Bereich nur an die evangelikalen und pfingstlerischen Kirchen weltweit, man denke nur an korrupte evangelikale Gründergestalten und Führer von Pfingstgemeinden: Sie haben ihre oft armen Gemeindemitglieder zu maßlosem Spenden aufgefordert und sind dabei zu Millionären geworden. Dies wird sichtbar in den schon längst dokumentierten evangelikalen bzw. pfingstlerischen Kirchen etwa in Nigeria oder Brasilien.

Und es wird nicht behauptet, dass schlechterdings alle Verantwortlichen im Katholizismus von der Korruption betroffen sind.
Hier werden “nur” katholisch geprägte Mentalitäten freigelegt, die die Korruption unter Katholiken, vor allem im herrschenden Klerus, fördern und bewirken.

Meine Hinweise haben zwei Teile:

Erstens: Die tatsächliche Korruption im heutigen Katholizismus, aufgezeigt an nur einigen wenigen zentralen Erfahrungen und Personen.

Zweitens geht es um eine inhaltliche Erhellung der Tatsache, dass Korruption im Katholizismus einen spezifischen spirituellen und theologischen Grund hat: In diesen Hinweisen zeigen sich sozusagen die Anregungen von Max Weber. Da muss also von der traditionellen katholischern Moral und Dogmatik sowie vom Rechtssystem, wie sie von der Kirchenführung vertreten werden, die Rede sein. Es muss sozusagen die entscheidende „innere“ Voraussetzung der Korruption in der katholischen „Lehre“, „Theorie“ bzw. Ideologie freigelegt werden.

Es wäre schon viel gewonnen, wenn dieses Thema, auch von Soziologen und Religionswissenschaftlern ausführlicher untersucht werden könnte. Den Theologen selbst traue ich diese kritische Leistung nicht zu, weil sie immer noch zu stark gebunden und abhängig sind von der Kirchenführung. Ob durch diese Bindung der Theologie an die letztlich alles bestimmende Hierarchie (Bischöfe, Papst) diese Theologen selbst schon korrumpiert werden, indem sie bestimmte „gefährliche“ Themen gar nicht erst öffentlich diskutieren aus Angst vor Entlassungen und finanzieller Not, ist eine weitere grundlegende Frage.

1.Einige Fakten

In allgemeinen Korruptionsstudien, etwa auch von NGOs, werden die Kirchen als Organisationen der Korruption nicht eigens dokumentiert. Das ist bedauerlich! Auch in einem der wenigen Aufsätze in katholischen Zeitschriften zum Thema kommt Korruption in der katholischen Kirche nicht vor, so in dem Aufsatz in „Stimmen der Zeit“ 2014. (https://www.herder.de/stz/hefte/archiv/139-2014/2-2014/integritaet-wider-dunkle-geschaefte-transparency-international-und-der-kampf-gegen-korruption/).
„Transparency International“ (T.I.) nennt auf seiner deutschen Website 20 so genannte “Risikofelder“ für Korruption, darunter sehr richtig auch den Sport,. T.I. nennt aber nicht die Kirchen. Dass damit die Kirchen von Korruption in der Sicht von T.I. freigesprochen werden, ist natürlich ausgeschlossen.

Ich übernehme von „Transparency International“ die allgemeine knappe Definition: „Korruption ist der Missbrauch anvertrauter Macht zum privaten Nutzen oder Vorteil“.

Nun sind in den letzten Jahren viele aktuelle korrupte Verhaltensweisen von katholischen „Würdenträgern“ („Hochwürden“) bekannt geworden. Historiker wissen viele andere Beispiele aus früheren Zeiten, ich nenne nur eine Studie über einen – zumindest kurzzeitig – korrupten Orden: „Fallen Order“ von Karen Liebreich, New York 2004, über die frühe Geschichte des Ordens der Piaristen (Schulpriester). Aber historische Studien zum Thema sind noch einmal eine andere Herausforderung.

Zur Gegenwart:
Während ich diese Hinweise schreibe, am 5. Juni 2020, meldet die offizielle vatikanische Nachrichten-Agentur einen, so wörtlich, einen „Skandal“ in höchsten Kreisen des Vatikans wegen des Kaufs einer Luxusimmobilie durch das „Vatikanische Staatssekretariat“. Der internationale katholische Nachrichtendienst CNA (aus den USA) spricht, so wörtlich, von einem „Fall von Veruntreuung, schwerem Betrug und Geldwäsche“ im Vatikan. Hier können gar nicht alle Details dieses aktuellen, zweifelsfrei ziemlich ungeheuerlichen Vorgangs beschrieben werden.
Nur so viel: Das Vatikanische Gericht hat jetzt den entscheidenden Vermittler dieses riesigen Deals, den Geschäftsmann Gianluigi Torzi, in Untersuchungshaft genommen. (Der Vatikan besitzt tatsächlich ein eigenes Gericht und ein Gefängnis!). Es geht um ein komplexes Geschehen, um den Kauf einer Luxus – Immobilie in London – Chelsea an der Sloane Avenue durch den Vatikan zum Preis von 300 Millionen US Dollar. (https://www.vaticannews.va/de/vatikan/news/2020-06/vatikan-torzi-immobilie-london-staatssekretariat-anlage-betrug.html)
Das päpstliche „Staatssekretariat“ war seit Februar 2014 mit diesem Kauf befasst, berichtet Vatikan News: „Vor sechs Jahren, am 28. Februar 2014, steckte das Staatssekretariat zweihundert Millionen fünfhunderttausend Dollar in den „Athena Capital Global Opportunities Fund“ – eigene Gelder, wie jetzt betont wird, „die der Unterstützung der Aktivitäten des Heiligen Vaters galten“. Gemeint ist die Kollekte des „Peterspfennig“, C.M.
„Diese Mittel wurden durch eine komplexe Finanzarchitektur gewonnen: Durch die Gewährung von Kreditlinien des Crédit Suisse und einer weiteren Bank, gegen die Verpfändung von Vermögenswerten in Höhe von 454 Millionen Euro, die sich im Besitz des Staatssekretariats befanden und aus Spenden stammten. Die mehr als 200 Millionen Euro waren zum Teil für den Kauf von 45% des Eigentums und zum Teil für bewegliche Investitionen bestimmt“. CNA meldet: „Im Raum stehen dabei auch Vorwürfe, dass Verantwortliche im Vatikan sich unter anderem des “Peterspfennigs” – Spendengelder von Katholiken für karitative Anliegen des Papstes – bedient haben könnten, um sich Gelder auf Kredit für fragwürdige Investitionen zu leihen: Deals, an denen sich dann “Geschäftsmänner” bereicherten, und mit denen der Vatikan Verlust machte“ (https://de.catholicnewsagency.com/story/veruntreuung-schwerer-betrug-und-geldwasche-festnahme-im-finanzskandal-des-vatikans-6373).
Es wird von vatikanischen (!) Richtern geprüft, in welcher Weise hochrangige Kardinäle, wie Pietro Parolin, Chef des Staatssekretariates, verwickelt sind und vor allem Bischof Angelo Becciu steht im Visier der Untersuchungen. Zur Zeit des Deals war Becciu hoher Mitarbeiter im Vatikanischen Staatssekretariat. Papst Franziskus ernannte ihn, offensichtlich den Initiator dieses Deals, im Jahr 2018 zum Kardinal und – auch das – zum „Präfekten“ der „Kongregation für die Heiligsprechungsverfahren der Kirche“. Dieser Spekulant, Kardinal Becciu, soll sich nun auch noch im Auftrag des Papstes darum kümmern, den „Malteser Orden“ spirituell und moralisch zu erneuern“. Auch diese Form des Versetzens und Beförderns von mutmaßlichen „Tätern“ ist also nach wie vor üblich und sie wurde nicht, wie oft behauptet, durch die vielen Skandale sexuellen Missbrauchs durch Priester „abgeschafft“…Man kann diese Form des Versetzens und Beförderns auch bereits Korruption nennen…

WIKIPEDIA berichtet: „Gegen Becciu wird seit 2019 durch die vatikanische Staatsanwaltschaft ermittelt. Becciu soll 2014 und 2018 Investitionen in ein Londoner Immobilienprojekt in Höhe von insgesamt 250 Millionen Euro genehmigt haben. Demnach handelte es sich um Luxus-Wohnungen, an denen der Vatikan über einen Luxemburger Investment-Fond beteiligt war. Diese Investitionen hätten zu hohen finanziellen Verlusten des Kirchenstaates geführt, deswegen ermitteln vatikanische Behörden gegen diesen Kardinal“. Weitere Infiormationen siehe auch: https://www.katholisch.de/artikel/23266-vatikan-finanz-ermittlungen-gegen-kurienkardinal)
Interessant ist aber, dass trotz der Ermittlungen gegen Kardinal Becciu zunächst einmal ein Laie, Gianluigi Torsi, in Untersuchungshaft sitzt.
CNA zitiert zu dem aktuellen Fall von Korruption auch Papst Franziskus: „Auf einer Pressekonferenz im November vergangenen Jahres (also 2019) wurde Papst Franziskus zu den Investitionen in London direkt befragt. Er bestätigte zwar, dass er persönlich die Razzien vom Oktober (im Staatssekretariat) genehmigt hatte, betonte aber, dass die Beweise für korrupte oder illegale Aktivitäten “noch nicht klar” seien, bevor er zu dem Schluss kam, dass “passierte, was passierte: ein Skandal”…Sie haben Dinge getan, die nicht sauber erscheinen, sagte der Papst“.
Schon 2012 hat Kardinal Rainer Maria Woelki, der seinen theologischen Doktor an der Opus Dei-Universität in Rom erworben hatte, ganz offen die Korruption im Vatikan im allgemeinen beklagt. Er hat die Geldwäsche und die Vorteilsnahme im Papst-Staat angeprangert. Der Wochenzeitung die ZEIT sagte er im Juni 2012: „Korruption bleibt ein Problem, in der Kirche arbeiten wir so gut wie möglich an seiner Überwindung… Vorteilsnahme oder gar Korruption sind ohne Zweifel ein Problem, das schwer wiegt, auch bei uns in Deutschland.” Woelki fügte hinzu: “Vor dem Hintergrund müssen wir uns bekennen und sagen, dass es Schuld und Schuldige gibt.” Namen nannte er nicht.
Mit dieser allgemeinen Anerkenntnis von Korruption in der Kirche befindet sich Woelki in bester Gesellschaft: Der SWR berichtete am 27.11. 2019, dass Papst Franziskus einmal mehr die Korruption in der Kirche im allgemeinen angesprochen hatte. Dabei verwies er u.a. auf die Finanzskandale im Vatikan, der Papst sprach ausdrücklich von „Fällen der Korruption“, Verantwortliche hätten Sachen gemacht, „die“, so der Papst, noch vorsichtig, „nicht sauber zu sein scheinen“. Siehe die Hinweise oben. Tatsächlich wurden im Zuge des Immobilienskandals fünf Mitarbeiter des Staatssekretariats und der Finanzaufsicht von ihrem Dienst suspendiert usw…

Um die Dimensionen der Korruption etwas konkreter an Führungspersonen im Vatikan aufzuzeigen, nur einige Beispiele: Da sollte an den süditalienischen Bischof Nunzio Scarano erinnert werden, der im vatikanischen Finanzwesen eine Rolle spielte, gegen den im Jahr 2012 wegen Betrug und Korruption ermittelt wurde. Laut der Zeitung “La Repubblica” soll der Bischof einen Geheimdienstmitarbeiter gebeten haben, mehrere Millionen Euro in bar aus der Schweiz in einem Privatjet zu transportieren. Dafür soll ihm der Geistliche demnach Geld gezahlt haben. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, dass Scarano bereits vor einigen Wochen vom Dienst suspendiert wurde, nachdem er ins Visier der Ermittler geraten war. Demnach wird ihm vorgeworfen, insgesamt 600.000 Euro in bar von einem Konto der Vatikanbank genommen und an Freunde verteilt zu haben. Im Austausch hätte er Schecks erhalten, die er dann auf ein italienisches Konto einzahlte – angeblich, um eine Hypothek abzuzahlen.

Auch Kardinal Tarcisio Bertone, Mitglied im Salesianer Orden Don Boscos, sollte hier erwähnt werden, er war die so genannte „Nummer zwei“ nach dem Papst im Vatikan, ein Vertrauter Papst Benedikt XVI. Bertone ist ein weiteres Beispiel für exzessive Korruption. Die katholische Kirchenzeitung „Kirche und Leben“ in Münster (15.10. 2017) berichtete: „Bis zuletzt blieb die Geschichte verwickelt und rätselhaft. Tarcisio Bertone, ab 2006 Kardinalstaatssekretär, sollte 2013 seinen Alterssitz im Palazzo San Carlo im Vatikan beziehen und sah Renovierungsbedarf. Sein Anwalt sprach von einer „Bruchbude“ von 150 Quadratmetern, nach anderer Darstellung soll es sich um eine geräumige Dachwohnung von 300 bis 425 Quadratmetern handeln, Gartenblick, feiner Marmor, eine 19.000-Euro-Stereoanlage. Für die Arbeiten hatte Bertone einen alten Freund an der Hand, Gianantonio Bandera. Dieser taxierte die Kosten für seine Baufirma Castelli Re zunächst angeblich auf 616.000 Euro, gewährte dann aber großzügig Rabatt. Als verbrieft gilt, dass Bertone 300.000 Euro aus eigener Tasche zahlte und 422.000 Euro, die er nie angefordert haben will, aus der Kasse der Kinderklinik „Bambini Gesu“ flossen. Im Gegenzug dafür sollte der Kardinal ab und zu großzügige Wohltäter in seinen Räumen bewirten. Inzwischen ist die Baufirma Castelli Re bankrott, das Geld der Klinikstiftung mutmaßlich bei einem anderen Unternehmen Banderas in London gelandet. Als die neue Präsidentin des Bambino Gesu, Mariella Enoc, von Bertone die 422.000 Euro zurückforderte, ließ der Kardinal erklären, er schulde dem Krankenhaus nichts; als „Zeichen der Großzügigkeit“ überwies er aber 150.000 Euro…“ Zur Vertiefung(auch über Bertone) empfehle ich die Studie (254 Seiten) zur Korruption im Vatikan: „Avaricia. Los documentos que revelan las fortunas, los escandalos y secretos del Vaticano de Francisco“, („Habsucht. Die Dokumente, die das Geld-vermögen, die Skandale und die Geheimnisse des Vatikans freilegen unter past Franziskus“). Verfasst hat das Buch der bekannte italienische investigative Journalist (u.a. bei „Corriere della Sera“) Emiliano Fittipaldi, die genannte spanische Ausgabe erschien 2015).

Fittipaldi erwähnt übrigens auch (S. 150f.) den Reichtum und die vielen Spenden bis heute, die der angeblich stigmatisierte Pater Pio der Kirche und seinem Kapuzinerorden in Süditalien eingebracht hat. Dass Pater Pios „Wundmale, Stigmata, Christi“ an den eigenen Händen von ihm selbst herbeigeführt und dann auch als solche „gepflegt“ wurden, wird heute allgemein festgestellt. Mit anderen Worten: Die zum Heiligen gemachte Gestalt Pater Pios wurde und wird inszeniert, sie sollte viel Geld bringen…

Erinnert werden muss hier an die tiefe Verstrickung in die Korruption des Gründers der Legionäre Christi, Pater Marcial Maciel, der sich Schein-Identitäten (etwa US- Manager) zulegte, um bei reichen Witwen Millionen – nach vollzogenem Liebesakt – finanziell „abzusahnen“, wobei er es sich nicht „verkneifen“ konnte, die Söhne der Damen sexuell zu missbrauchen. Der Orden der Legionäre wurde durch dieses betrügerische „Finanzgenie“ in der Spanisch sprechenden Welt treffend und ohne Widerspruch von den Beschuldigten „Orden der Millionarios Christ“ genannt…Alle diese und viele weitere Tatsachen über Pater Maciel sind inzwischen weltweit bekannt; genauso, dass dieser pädophile Verbrecher und Erbschleicher ein enger Freund von Papst Johannes Paul II. war. Dieser von einem korrupten Pädophilen gegründete Orden der Legionäre Christi besteht immer noch weiter. Die Fotos des nun verstorbenen (aber niemals von staatlichen Gerichten bestraften) Ordensgründers wurden in den Legionärs-Klöstern einfach abgehängt (eine Art „Entstalinisierung“) und sein Name verschwand auf den Websites des Ordens. So kann man auch mit heftigster Korruption in der „heiligen römischen Kirche“ umgehen.

Zur Korruption in der obersten Leitung von katholischen Ordensgemeinschaften:

Der Generalobere der Franziskaner, P. Anthony Perry, musste Ende 2014 zugeben: Die Ordenszentrale der Franziskaner in Rom ist pleite, weil sich ihr Ökonom, P. Giancarlo Lati, mit vielen Millionen Euro, “verspekuliert” hat: Er hat in das luxuriöse Hotelprojekt „Il Cantico“ in Rom fehl investiert und in der Schweiz dubiose Anlagen, zum Teil im Rüstungsbereich, gemacht. Aus gesundheitlichen Gründen, so wörtlich, wurde der Mitbruder entlassen. Nicht erwähnt wurde von dem obersten Chef der „Minderbrüder“, aus welchen Quellen den Bettelmönchen diese (nicht genau bezifferten) Millionen überhaupt zur Verfügung stehen. (Dazu in dem genannten Buch von Emiliano Fittipaldi, S. 200). Sowie: https://www.washingtonpost.com/national/religion/franciscan-order-on-verge-of-bankruptcy-after-financial-fraud-is-uncovered/2014/12/19/9d4675c8-87a7-11e4-abcf-5a3d7b3b20b8_story.html

Zum Orden der Kamillianer, der: Seine guten Geschäftsbeziehungen zu dubiosen Managern, wie die italienische Presse vorsichtig sagte, wollte sich der Generalobere des Kamillianerordens, Pater Renato Salvatore, nicht nehmen lassen. Um sein Neubauprojekt bei Neapel mit dem Geschäftspartner Paolo Oliveiro durchzuziehen, ließ er einfach zwei kritische Mitbrüder im Orden verhaften, von falschen Polizisten. So hoffte er ohne deren Stimme noch einmal zum Ordensgeneral wiedergewählt zu werden, um das Projekt mit seinem „Partner“ zu realisieren. Nebenbei: Pater Salvatore war gern gesehener Teilnehmer auf Synoden und vatikanischen Tagungen. Seine Ordenskarriere beendete Padre Renato Salvatore 2013 mit seiner Verhaftung. (Quelle: https://roma.corriere.it/notizie/cronaca/13_novembre_06/intrigo-nell-ordine-camilliani-f753ad88-46ee-11e3-a177-8913f7fc280b.shtml)
https://www.theguardian.com/world/2013/nov/07/italian-religious-order-leader-arrested-camillians

Unter den hochrangigen und einflussreichen Kardinälen sollte an den kolumbianischen Kardinal Alfonso Lopez Trujillo erinnert werden, was seine lukrativen Verbindungen zu den kolumbianischen Drogenkartellen angeht? Siehe dazu u.a. : https://caracol.com.co/radio/2006/02/11/judicial/1139656560_248075.html)
Zudem war der Kardinal öffentlich, nach außen hin, ein heftigster Feind der Homosexualität und der Homosexuellen. Er selbst, privat, aber engagierte in Kolumbien wie später auch in Rom sehr häufig Stricher. Und, parallel dazu, für die fromme Öffentlichkeit verfasste er als Chef der päpstlichen Familienbehörde hübsche Texte über den Wert der katholischen Familie. Man lese über diese korrupte Gestalt an der Spitze des Vatikans das ausführliche Buch des Journalisten Frédéric Martel, „Sodom“, S. 362 ff., erschienen 2019 im Fischer Verlag. Ein kolumbianischer Insider, der Schriftsteller Fernando Vallejo, geboren in Medellin, berichtet in seinem Roman „Die Madonna der Mörder“, Wien 2000, S. 91 oder 94f. von Kardinal Lopez Trujillo: „Es ist ihnen (Kardinal Lopez Trujillo und anderen Bischöfen) das Natürlichste von der Welt, sich die Taschen mit öffentlichen Reichtümern zu füllen“. Auch andere kolumbianische Autoren sprechen sehr kritisch über diese Gestalt (wie der Autor Hector Abad, „Brief an einen Schatten“)
Schon in seiner berühmten Weihnachtsansprache an die Kardinäle im Vatikan, im Jahr 2014, hat Papst Franziskus heftig diese klerikalen Herrschaften an seinem päpstlichen Hof attackiert und dabei, so wörtlich, auf diese Männer bezogen von „mentaler und spiritueller Versteinerung“, „existentieller Schizophrenie“, „Gleichgültigkeit gegenüber anderen“, „Vergöttlichung der Oberen“, und auch dies: von „Anhäufung materieller Güter“ sowie von der „Sucht nach weltlichem Profit“ gesprochen. Diese Weihnachtsansprache 2014 für die Kardinäle ist ein absolut wichtiger, zentraler Text, um die ganze Feindschaft der Kurie gegen Papst Franziskus von Anfang an bis heute zu verstehen! Weil der Papst die Wahrheit sagte, wird er verfolgt.
Ich breche hier diese Dokumentation von korrupten Gestalten im heutigen Katholizismus ab. Sie ist förmlich – auch aktuell – eine unendliche Geschichte.

2.Die Ethik, die Dogmatik und die Gesetze der katholischen Kirche und der Geist der Korruption:

Die katholische Kirche zeigte sich in ihrer klassischen Gestalt bis 1970 als Organisation, die explizit gegen die Gültigkeit der Menschenrechte in der Politik argumentierte und in ihren eigenen Reihen die Menschenrechte nicht respektierte. So wurde auch die UNO – Menschenrechtserklärung vom Vatikan nicht unterzeichnet. Die Katholische Nachrichten Agentur schreibt am 10.12.2018: „Dafür gibt es viele Gründe: Der Vatikan ist kein normaler Staat und auch nicht Mitglied der Vereinten Nationen. Und er bezieht sich auf eine grundsätzlich andere, von Gott her definierte Rechtsgrundlage. So gelten auf dem kleinen vatikanischem Staatsgebiet bis heute auch weder die Religionsfreiheit noch die Rechte-Gleichheit von Mann und Frau“.(https://www.katholisch.de/artikel/19912-warum-die-kirche-gegen-die-menschenrechtserklaerung-war)

Das heißt: Aufgrund dieser offiziell vertretenen Mentalität wurde das demokratische Rechtsempfinden den Katholiken weltweit nicht als grundlegend gelehrt und vermittelt. Die Kirche und ihre Hierarchie wurde in den Mittelpunkt gestellt, der Eindruck einer „heiligen Kirche“ sollte unter allen Umständen zentral sein. So wurden kirchliche Praktiken wichtiger als die Pflege der demokratischen Tugenden und der praktische Respekt für die unversalen Menschenrechte. Wallfahrten, Heiligenverehrung, Teilnahme an Messen, Wunderglaube und Magie, Reliquienverehrung, Hochschätzung des Klerus als der „Hochwürden“ usw. galten hingegen als zentrale Leistungen, als äußere und äußerlich leicht zu vollziehende Leistungen für einen „normalen“ katholischen Gläubigen. Ihm wurde in der Lehre, im Unterricht, in der Predigt vermittelt: Diese religiösen Äußerlichkeiten „als Glauben“ zu pflegen!

Das heißt: Der Respekt der Menschenrechte wurde unter den Katholiken nicht als absolut maßgebend für die eigene Lebensführung empfunden! So entstand die prägende Mentalität: Menschenrechte und katholischer Glauben haben nichts miteinander zu tun. Die Demokratie wurde bis noch in die Mitte des 20. Jahrhunderts von Päpsten verteufelt.

Damit wurde ideologisch und auch spirituell förmlich der Boden vorbereitet, auf dem Korruption gedeihen und sich entwickeln konnte, also Gesetzlosigkeit, Recht des Stärkeren, Entsolidarisierung, totaler, auch ökonomischer Egoismus. Diese Entwicklung kann man besonders in den bis 2000 noch ganz überwiegend katholisch geprägten Ländern Lateinamerikas beobachten: Diese Länder haben mit ganz wenigen Ausnahmen nie zur dauerhaften Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, nie zum dauerhaften Respekt der Menschenrechte, gefunden.
Die von der katholischen Kirche propagierte Mentalität unter den Katholiken war und ist: Man kann – zumindest nach außen hin – gut katholisch sein und gleichzeitig ein politischer Verbrecher, Diktator, oder Ausbeuter oder Krimineller sein, etwa als Mafia-Boss oder Drogen -“Boss“. Man kann nach außen hin fromm sein, also als ein braver Bürger gelten, tatsächlich aber auch als Politiker ausschließlich an dem eigenen finanziellen Profit mir allen krummen Touren interessiert sein. Der Katholizismus in Lateinamerika ist ein weites Forschungsfeld für Studien über die Frömmigkeit von Politikern und ihrem korrupten Agieren. Dass diese Korruption jetzt in Brasilien von einem verbrecherischen evangelikalen Präsidenten, Bolsonaro, betrieben wird, ist ein neues Thema in der „Ökumene“ christlicher korrupter Politiker…
Diese Missachtung demokratischer Werte und der Menschenrechte bewies der Vatikan, als er mit politischen Verbrechern, Tyrannen, wie Trujillo oder Franco Konkordate abgeschlossen hat. Diese Verbrecher wurden päpstlich also hochgeschätzt. Aber die Kirche und der Klerus profitierte, auch finanziell, die Kirche wurde privilegierte Staatskirche, katholische Schulen wurden vom Staat bezahlt usw.

Noch tiefer führt eine Analyse der Beichtpraxis: Sie erlaubte es, dass sich Verbrecher, etwa Mafia – Bosse, nach der Beichte, wieder „katholisch, also gesellschaftlich akzeptiert wohl fühlen“ konnten. So konnte auch der Klerus Teil des Mafia- Systems werden und „profitieren“. Der Ort San Luca in Kalabrien galt im August/September sogar ganz offiziell als Wallfahrtsort de Mafiosi, der Ndrangheta… Das duldsame Verhalten der katholischen Priester gegenüber der Mafia hat sich allmählich zugunsten einer kritischen Distanz verändert.

Papst Franziskus hat am 13.November 2015 in einem Vortrag in Rom für die Mitglieder der Guardini-Stiftung deutlich erklärt: Es käme im Falle eines schweren Vergehens, eines Verbrechens, wie der Ermordung des zwar gewaltätigen Gatten durch dessen Ehe-Frau, einzig auf die Reue an:

Dabei bezieht sich der Papst – von Guardini angeregt – iauf einen Text von Dostojewski: „Der Starez (der russische Mönch) sieht, dass die Frau in ihrem verzweifelten Schuldbewusstsein ganz in sich verschlossen ist und dass jede Reflexion, jeder Trost, jeder Rat wie an einer Mauer abgleiten würde. Die Frau ist überzeugt, verworfen zu sein.
Der Priester (Mönch) zeigt ihr aber einen Ausweg: Ihr Dasein hat einen Sinn, weil Gott sie annimmt im Moment der Reue. „Fürchte nichts, und fürchte dich niemals“, sagt der Starez. „Wenn nur die Reue in dir nicht verarmt, wird Gott dir alles verzeihen. (…) Kann doch der Mensch nie und nimmer eine so große Sünde begehen, dass sie die endlose Liebe Gottes ganz erschöpfte“. In der Beichte wird diese Frau verwandelt und erhält wieder Hoffnung“. Dem stimmt der Papst also ganz offen zu!

Das heißt: Selbst im Falle von Mord genügt allein die Beichte und die sprachlich geleistete Reue, der dann die Lossprechung von der Todsünde durch den Priester folgt. Der Mörder wird vom Priester nicht den staatlichen Justizbehörden übergeben. Dies kann und darf der Priester ja auch gar nicht aufgrund des absolut geltenden Beichtgeheimnisses. Selbst wenn der Priester keine Absolution erteilt, darf er den Täter nicht den Justiz-Behörden melden.
(zu der Ansprache von Papst Franziskus: https://w2.vatican.va/content/francesco/de/speeches/2015/november/documents/papa-francesco_20151113_romano-guardini-stiftung.html)

Aber noch eine weitere religiöse Praxis kann die Korruption fördern: Es ist der typisch katholische Umgang mit „Ausnahmen“ für einzelne, die Liebe zu dem „Besonderen“ für besondere Menschen: Für sie werden Kirchengesetzte hin und her gedehnt. Die Hierarchie gewährt – wie einst die absolutistischen Herrscher in Frankreich – Ausnahmen, auch Ausnahmen in der Bindung an (gerechte) Gesetze. Man denke auch an die übliche Möglichkeit der Eheannullierungen (katholische „Ehescheidung“) für Katholiken, bei denen die Priester ganz offen dem einen Partner sagten: „Diese Ehescheidung, Annullierung genannt, kriegen wir schon hin: Da soll die Braut doch zum Beispiel nur – den Fakten zwar widersprechend – behaupten, ihr Gatte hätte ein Kind für diese Ehe ausgeschlossen, und schon ist die sakramental geschlossene Ehe aufgehoben, annulliert…“ Wie oft habe ich das selbst gehört… Und der „vermittelnde, liberale“ Priester wurde bei Erfolg der Annullierung selbstverständlich reichlich beschenkt und dann zur 2. Hochzeit eingeladen…Also, es ist dieser laxe Umgang mit eigenen Gesetzen und Geboten, die förmlich die Lust gefördert hat, auch noch sehr viel wichtigere (gerechte) Gesetze guten Gewissens zu übertreten…

Es gab und gibt ein Dulden seitens der Hierarchie von Vergehen und Verbrechen des Klerus, etwa beim sexuellen Missbrauch, wenn denn dieses Dulden und Wegsehen dem guten, selbstverständlich nur äußerlich „guten Ruf“ der Kirche als Institution förderlich war und ist. Diese Zusammenhänge wurden jetzt allerorten freigelegt in der Verfolgung des sexuellen Missbrauchs durch Priester oder des sexuellen Missbrauchs von Ordensfrauen durch katholische Priester etwa in Afrika und Indien usw. Korrupt ist das Nicht-Freilegen von Untaten, um die eigene Institution (und damit immer auch die Spendenbereitschaft für diese Institution!) zu schützen. Und dieses korrupte System bestand weltweit viele Jahre. Es wurde erst seit 2010 langsam freigelegt.

Noch immer ist der Ablass eine Selbstverständlichkeit. Natürlich hat er nicht mehr die krassen Dimensionen („für viele Geldspenden in den Himmel) wie zur Zeit Martin Luthers. Aber der Gedanke ist vorherrschend: Der Priester kann es möglich machen, dass ich mit gutem Willen – und einer Spende für die Kirche – meinen Aufenthalt in der Vorhölle verkürze. Die Vorstellung, auch mit Gott in einer Art Handel eintreten zu können, ihn „zu kaufen“, ist eine Variante der katholischen Korruption, passend in diese Zeiten des Kapitalismus. Der Theologe Norbert Reck hat in der Zeitschrift CONCILIUM (2014) über eine ähnliche religiöse Praxis berichtet: „Theologinnen und Theologen lächeln meist milde über die Menschen, die (beim Priester) „Messen bestellen”, um etwas dafür zu tun, dass verstorbene Angehörige in den Himmel kommen. Sie lächeln über Menschen, die täglich Kerzen in den Kirchen anzünden,, um Gott oder die Heiligen auf ihre Probleme aufmerksam zu machen usw. Diese Verhaltensweisen haben ja in der Tat etwas rührend Frommes. Doch das Lächeln darüber belässt die Menschen in einer Untertanenreligion, in einer Einübung in die alltägliche Korruption, gegen die in der Bibel auf vielen Seiten protestiert wird.“

Eine Kirche ohne Korruption – wird es sie geben? Wahrscheinlich nicht, weil in der Kirche wie überall Menschen tätig sind, die zuerst an den eigenen finanziellen Vorteil denken und spirituelle Bindungen, religiöse Versprechen oder sogar Gelübde nur nach außen hin „zelebrieren“, um aufzufallen und Karriere zu machen. Und wenn dann Kritiker dieses scheinheiligen Systems auftreten, und seien es Heilige, wie Franziskus von Assisi oder wie Jan Hus, werden sie vom herrschenden System bedroht, wenn nicht „ausgeschaltet“.

Wer die Korruption pflegt und lebt, hat immer etwas „Mörderisches“, im Sinne. Darunter leiden die vielen Journalisten, die, etwa in Mexiko, als investigative Journalisten ermordet wurden, weil sie die Korruption auch innerhalb der Polizei freilegten. Und auch an die wenigen Priester und Nonnen muss erinnert werden, die etwa in Brasilien ihr Leben lassen mussten, weil sie die nach außen hin katholischen, aber zutiefst korrupten Großgrundbesitzer anklagten in ihrer Gier nach Land und Wald. Während diese mutigen Katholiken von Killern der Großgrundbesitzer bedrängt, beleidigt und oft erschossen wurden, reichte der Kardinal von Rio de Janeiro, Dom Orani Tempesta, dem rechtsextremen Präsidentschaftskandidaten Bolsonaro unterstützend und freundschaftlich verbunden die Hand…Dieser Kardinal wurde nun (2019) beschuldigt, in Korruptionsaffären katholischer Krankenhäuser verwickelt zu sein (https://www.domradio.de/themen/weltkirche/2019-02-27/katholische-krankenhaeuser-schmiergeldaffaere-verstrickt-erzbistum-rio-weist-korruptionsvorwuerfe) ….

Unser Thema – eine endlose Geschichte! Zweifellos ist die Erkenntnis: Korruption ist eine feste, kaum zu überwindende Struktur der Kirche. Weil die Lehre, die Dogmatik, die Moral wie auch die spirituelle Mentalität der Kirche Korruption nicht verhindert, sondern oft – zumindest indirekt – fördert. Die Kirche, das heißt der an der Macht sitzende Klerus, der sich seiner Privilegien erfreut, hat sich entschieden, Teil der kapitalistischen Welt – UN-Ordnung zu sein und zu bleiben und deswegen alle Spielchen des Kapitalismus mitzumachen, um die eigene äußere Macht zu bewahren.
Dabei hat die spirituelle Bedeutung des katholischen, des offiziellen Glaubens selbst bei Katholiken – zumindest in Europa und Amerika – längst rapide abgenommen.
Mit ihrer Einbindung in den Kapitalissmus und damit in die „Unkultur“/das Verbrechen der Korruption hält also die Kirche heute mindestens in Europa und Amerika nur ein äußeres, allmählich wackliges Gerüst am Überleben.

„Der Katholizismus und der Geist der Korruption“ bleibt ein dringendes Thema, um die Religionen in der heutigen Welt zu verstehen. Von verändern… sprechen nur noch Optimisten.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Warum Dorfkirchen in der Mark Brandenburg so wichtig sind bzw. sein könnten: Als Erinnerung an Theodor Fontane

Hinweise und Vorschläge von Christian Modehn. Anlässlich des 200. Geburtstages von Theodor Fontane.

Der Beitrag über Dorfkirchen in Brandenburg wurde in der Publikation des “Förderkreis Alte Kirchen Berlin-Brandenburg e.V“ im Jahr 2020 in gekürzer Form  veröffentlicht.

1.
Was wäre die Mark Brandenburg ohne ihren „märkischen Wanderer“, ohne Theodor Fontane? Er hat den Menschen dort mehr Selbstbewusstsein, vielleicht sogar Stolz, geschenkt. Die Mark Brandenburg ist für Fontane keine “öde Gegend”, “am Rande der Kultur”. Ihre Dörfer und Städtchen sind zwar nicht von „überwältigender Schönheit und Pracht“, wie Fontane etwa in Erinnerung an Italien und Rom bemerkte. Aber es ist die Stille, die Schönheit der Natur, die Schlichtheit, die Bescheidenheit des Lebens, der Erinnerungen an die Kultur einst, es ist „diese Landschaft!“, die Fontane so mochte. “Die einfachen Leute” dort: Die schätzte er besonders. So dass er – der Sohn von Hugenotten – sagen konnte: Diese auf den ersten Blick eher kulturell anspruchlose Mark Brandenburg ist auch “meine Heimat”, so sehr er an Berlin auch gebunden blieb. Wenn sich heute die (auch „zugereisten“ ) Berliner für die Mark begeistern und sich dort (zeitweise) niederlassen und alte Dörfer „beleben“, dann wirkt da vielleicht etwas „unterschwellig“ die Hochschätzung Fontanes für diese Region weiter. Ohne Fontane also keine „lebens- und liebenswerte Mark Brandenburg”. Diese schöne, lebenswerte Mark Brandenburg will kein Demokrat den Rechtsextremen überlassen. Die Mark Brandenburg muss demokratisch bleiben bzw. immer mehr werden.

2.
In seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“, begonnen 1859, in Büchern publiziert von 1862 bis 1889, stehen, neben den Schlössern und „Herrenhäusern“, den Seen und den Klosterruinen, die noch erhaltenen Kirchen im Mittelpunkt vieler Berichte. Und ihre Pastoren sind oft die besten Kenner der Geschichte ihrer Gegend. Davon hat “der Wanderer” sehr profitiert. Das alte Dorf – Pfarrhaus mit dem oft gebildeten Pastor hat Fontane noch erlebt, auch wenn er – etwa im „Stechlin“ – genau weiß, dass es mehr konservative und leider nur einige mutige, vorwärts denkende Pastoren gibt: Nur sie lösen sich langsam aus der Bindung der Kirche an die wilhelminische Monarchie, die ja tatsächlich eine Abhängigkeit er Kirche vom konservativ – national bestimmten Staat war. Eine Bindung der Kirche, die über das Ende der Monarchie bis in die Weimarer Republik unerfreulich weiter dominierte!
Man denke also vor allem an die sympathische Gestalt des Pastor Lorenzen im “Stechlin”, der schon Ende des 19. Jahrhunderts mit sozialen, „linken“ Ideen sympathisierte. Er zweifelte an der Gültigkeit der Maxime der Konservativen: „Was einmal galt, soll immer gelten“…Eine neue Zeit bricht an. Ich glaube, eine bessere und glücklichere“, so Pastor Lorenzen im Roman „Der Stechlin“. Der selbst eher dem Konservativen zuneigende Fontane war im Alter eben doch so liberal gesinnt, dass er voller Sympathie diesen Pastor förmlich zu einer der Hauptpersonen im Roman „Der Stechlin“ machte…

3.
Unter den vielen Themen, die in dem so langen „Fontane-Jahr 2019“ dokumentiert und debattiert wurden, finde ich die Frage wichtig: „Welche Bedeutung haben die Kirchen auf den Dörfern der Mark Brandenburg, für Fontane damals, und vor allem auch für die Gegenwart und Zukunft“ ? Ist diese wichtige Frage angemessen debattiert worden?
Über „Fontanes Umgang mit alten Kirchen“ hat Prof. Hubertus Fischer, Ehrenpräsident der Theodor Fontane Gesellschaft, einen einführenden Aufsatz verfasst in dem schönen Jahresheft „Offene Kirchen 2019“ (https://www.altekirchen.de/offene-kirchen/broschuere/2019-2/zwischen-barbarei-und-apathie)
Hubertus Fischer zitiert Fontane: “Nur unsere Dorfkirchen stellen sich uns vielfach als Träger unserer ganzen Geschichte dar und die Berührung untereinander zur Erscheinung bringend, besitzen sie und äußern sie den Zauber historischer Kontinuität“ (S.5). Der Autor weist darauf hin, wie sehr Fontane sich kritisch auseinandersetzte mit den Architekten, die damals alte Dorfkirchen einfach abrissen und neue „Basilika-Kirchen“ bauten. „Sie haben mit der (langen) Vergangenheit gebrochen… sie sind eine Schale ohne Kern“. Fontane denkt dabei an die „Basilika-Kirchen“ in Petzow, Bornstedt, Sakrow, Caputh, Werder usw.. “die das Havelufer auf Geheiß und nach den Ideen Friedrich Wilhelm IV. umstellten“. Der Eindruck des Mittelalterlichen, des Erhabenen, sollte dadurch geweckt werden. Kirchenarchitektur also als Beispiel für Herrschaftsideologien. Dieser Friedrich Wilhelm IV. hat auch das Kreuz auf das Stadtschloss setzen lassen, was heute für das Humboldt – Forum leider wieder geschehen ist. Ein anderes Thema…
Der aus der reformierten, also eher „bilderfeindlichen“ Tradition des Protestantismus stammende Fontane kann es gar nicht verstehen, wie denn aus einem gewissen anti-katholischen Geist bestimmte Objekte und Gemälde aus den alten, einst ja katholischen Kirchen, entfernt werden. „Ein von Borniertheit eingegebener Antikatholizismus ist mir immer etwas ganz besonders Schreckliches gewesen“ (S. 6). Hubertus Fischer erinnert an den Unterschied zwischen einfachen Dorfkirchen und den oft gepflegten und „sehenswerten“ Patronatskirchen: Diese sind Kirchen, die unter der Obhut eines Landesherren oder der Grundherren stehen. Die Dorfkirchen sind eher von schlichtester Ausstattung, gekennzeichnet „durch eine Abwesenheit alles Malerischen und Historischen“. In Schmöckwitz (in Berlin, Stadtteil Köpenick) erlebte Fontane z.B. „einen tristen Bau“. Obwohl Fontane zurecht weiß: Selbst triviale Dorfkirchen können „noch das Rührendste und Schönste verbergen“. In Schmöckwitz fiel dem Wanderer durch die Mark Brandenburg ein „verstaubter Altar unter den Kanzel“ auf. „Was hier so niederdrückend wirkte, war die melancholische Abwesenheit alles Freien und Selbständigen; die Armut kann poetisch sein, die Armseligkeit nie“.

4.
Nach der Wende wurde erst allgemein bewusst und bekannt, in welchem miserablen baulichen Zustand hunderte von Dorfkirchen in der Mark Brandenburg sich befinden. Dem „Förderkreis Alte Kirchen Berlin-Brandenburg e.V.“ ist es seit vielen Jahren schon gelungen, Kirchen vor dem Verfall zu bewahren, sie zu renovieren, die Kunstwerke dort zu retten. Auch in den Dörfern selbst haben Initiativen der Bürger, auch der “religiös Nichtgebundenen”, dafür gesorgt, “ihre Kirchengebäude”, oft die einzigen Zeugen für eine Kultur, die “von weit her” kommt und eigentlich so gar nicht in einen oberflächlichen Alltag passt, vor dem Verfall zu bewahren. So entstanden in renovierten und “umgewandelten“ Kirchen Orte der Begegnung, der Kultur.
Aber: In vielen Dörfern nimmt die Anzahl der Einwohner ständig ab: Wer kümmert sich dann noch um die mit viel Mühe und viel Geld renovierten, umgewandelten Dorfkirchen? Wer will sie oft nutzen? Wo sollen die TeilnehmerInnen möglicher Veranstaltungen herkommen?
Natürlich gibt es viele Beispiele für Kirchengebäude, die kreativ genutzt werden, als „Hörspielkirche“ etwa oder als „NABU-Kirche oder als Ort für Vorträge und Konferenzen. Hinsichtlich der Nutzung umgewandelter Kirchen hat die Phantasie viel Raum, wenn denn das nötige Geld vorhanden ist.
Ganz andere Probleme ergeben sich, wenn man fragt: Was wird, langfristig gesehen, aus den nun z.T. aufwendig renovierten Kirchen auf den Dörfern, die noch vorwiegend als Stätten des Gottesdienstes, der Meditation, der Segnungen von Ehepaaren, der Bestattungen usw. genutzt werden? Bernd Janowski, Geschäftsführer des Förderkreises Alte Kirchen Berlin-Brandenburg e.V.“ hat in der Broschüre „Offene Kirchen 2019“ einen Aufsatz zu dem Thema verfasst. „Das Problem besteht in der Frage, wer in zehn oder zwanzig Jahren überhaupt noch in diese Kirchen hineingeht. Bereits heute gibt es nicht wenige Dorfkirchen in den Berlin fernen Regionen, die nicht mehr oder nur äußerst sporadisch gottesdienstlich genutzt werden“ (S. 73). Die Gemeindemitglieder sind sehr oft überwiegend ältere Menschen, die in einer „Diaspora“ leben, wo nur ca.15 Prozent der Bevölkerung evangelisch sind. Die Zahl der Katholiken ist dort noch viel kleiner.
Es wäre eine ziemliche Katastrophe, wenn etwa die mühsam und kostspielig renovierten Dorfkirchen nach etlichen Jahren dem Ungenutztsein, also der Vernachlässigung und damit dem langsamen Verfall (wieder) preisgegeben werden müssten. Kann die kommunale Nutzung da weiterhelfen? Haben die (kleinen) staatlichen Kommunen Geld, Kompetenz und Konzeptionen, um diese Kirchen, oft der einzige Mittelpunkt im Dorf, weiter zu pflegen, zu “bespielen”, wie man im kulturellen Umfeld gern sagt? Müsste sich da die Kirche im Verbund mit gesellschaftlichen Gruppen nicht Neues einfallen lassen?

5.
Sicher wird man da meiner Meinung nur weiterkommen, wenn man auch theologisch Neues zu denken wagt, selbst wenn dies einigen Konservativen nicht gefällt.
Wie sieht denn die ökumenische Zusammenarbeit aus? Damit meine ich nicht, dass in den evangelischen Dorfkirchen gelegentlich katholische Messen von den wenigen durchreisenden Priestern gelesen werden. Warum ist nicht möglich, die wenigen Katholiken in den Dörfern, oft „treue Kirchgänger“, einzuladen, an den evangelischen Gottesdiensten am Sonntag teilzunehmen? Dann wäre der Kreis der Gottesdienst-Gemeinde nicht nur größer, es könnte auch ein weiterer ökumenischer Austausch stattfinden. Ökumene praktisch werden. Dass da die katholische Kirchenleitung Bedenken hat, ist klar. Aber die Gemeinden könnten sich kreativ über Bedenken und Verbote auch hinwegsetzen… um des Glaubens willen.
Wenn in den Kirchen nicht Bänke, sondern Stühle als Sitzgelegenheiten aufgestellt sind: Könnten IN den Kirchen selbst werktags, vor allem am Wochenende, (Gesprächs-) Kreise angeboten werden, mit einem kleinen Café in der Kirche selbst. Man sollte sich von dem Gedanken befreien, Kirchengebäude nur für „sakrale“ oder „hochkultuelle“ Veranstaltungen (Konzerte etc.) zu gebrauchen. Kirchengebäude sind spirituelle UND menschliche Lebensräume. Wenn es schon keine Gaststätten in vielen Dörfern mehr gibt: Wie wäre es, die Kirche umfassend selbst als “Stätte für Gäste” zu verstehen?
Warum könnte die Kirchenleitung nicht die „Provinz -“ bzw. „Dorfbegeisterten Berliner gewinnen, „ihre Dorfkirche“ sozusagen zu adoptieren: Warum könnten nicht Künstler und Musiker, Schauspieler und Politiker, sofern sie denn spirituell bewegt und kompetent sind, in „ihren“ adoptierten Dorfkirchen Veranstaltungen organisieren, vielleicht auch spirituelle Übungen, Meditationen, Yoga, Zen, Lektürekurse der Bibel und anderer Schriften? Wenn man sich allerdings auf das uralte und zweifellos überholte Modell fixiert: „Ein Pfarrer und seine Kirche“ (mit dem Gemeindekirchenrat) wird man nicht weiterkommen. Menschen und Gruppen, die ihre Dorfkirche „adoptieren“, könnten auch Verantwortung übernehmen, wenn sie selbst zumindest am Wochenende in den Dörfern wohnen und diese Kirchen offen halten.

6.
Mit anderen Worten: Nur neue Experimente, also Übertragung von Verantwortlichkeiten an „Laien“ über die Pfarrer hinaus, werden die vielen Kirchengebäude auf den Dörfern „retten“, also als lebendige Gebäude bewahren.
Aber im letzten geht es doch gar nicht um die Kirchen als Gebäude: Es geht um die Bewahrung und Weiterentwicklung der Kultur, auch der Religion, auch der Kirche, auf den Dörfern. Es geht um die Pflege und Entwicklung einer demokratischen Kultur. Auch und gerade in den Kirchen.
Diese neuen Projekte lassen sich mit dem alten, eingefahrenen, üblichen Denken wohl kaum mehr garantieren. Wenn es immer weniger Dorfpfarrer gibt: Warum könnte die Kirche nicht den neuen Beruf eines „Dorf-Moderators“ realisieren, also junge Frauen und Männer, auch Pädagogen, auch arbeitslose Philosophen etc. einladen, auf dem Dorf wohnend für die „Belebung“ der Dorf-Kirchen ihrer Umgebung zu sorgen. Sie könnten in den alten, dann renovierten Pfarrhäusern wohnen und ihre Kirchen spirituell- religiös „bespielen“, wie man so gern sagt. Und dafür natürlich honoriert werden.
Bekanntlich sind ca. 70 Prozent der Bewohner in der Mark Brandenburg kirchlich „nicht gebunden“, wie man sagt. Sind sie aber alle kämpferische Atheisten? Wohl kaum. Es sind diese kirchlich kaum wahrgenommenen Menschen, die auf eigene Art ihr Leben gestalten, suchend, fragend, wie auch immer. Oder die sich bescheiden mit dem Alltäglichen zufrieden geben, oft resigniert, oft voller Wut…
Mit diesen Menschen gilt es in den Dörfern und IN den DORFKIRCHEN Gespräche und gemeinsame Aktionen zugunsten der Menschen zu inszenieren. Dafür werden diese von mir geforderten neuen „Moderatoren der Dörfer“ gebraucht. Und sie sollen alle diese Menschen, die, oft mit dem Gefühl der Einsamkeit, des Vergessenseins, des Verlorenseins, am Rande der Kirche stehen, einladen: IN diese Kirchen zu kommen als ihre Orte, in dem sie Gemeinschaft finden, sich wohlfühlen, sich bejaht wissen. Ob getauft oder nicht, ist dabei völlig egal. Es gilt allein die „jesuanische Großzügigkeit“. Selbstverständlich sind dann auch Atheisten willkommen, auf der Suche nach Gesprächen, die vernünftig gestaltet werden, also ohne Dogmatismus auf beiden Seiten.
. Nur wenn die Kirche über ihren Schatten springt, den Schatten der Dogmen und des permanenten (finanziellen) Machterhalts, wird sie mit weniger Schatten und weniger Angst den Weg in eine neue Zukunft finden … zugunsten der Menschen auf den Dörfern.

7.
Vielleicht sind also die Dorfkirchen, diese neuen Orte der geistvollen Kreativität, der Ausgangspunkt für eine Kirchenreform…Dies ist natürlich angesichts der real existierenden Kirchen-Behörden eine Utopie. Aber können wir ohne Utopien leben?
Es ist ermutigend, dass sich Anfang 2020 der evangelische Landesbischof Ralf Meister (Hannover) und der katholische Bischof von Hildesheim, Heiner Wilmer, gemeinsam ausdrücklich für ökumenische Gemeinden zumal in der „Diaspora“, in den Dörfern, ausgesprochen habe. Dieser Vorschlag verdient weite Beachtung und sollte nicht gleich wegen eines offiziell katholischen Widerstandes konservativer Bischöfe ad acta gelegt werden.

8.
Nebenbei gesagt: Theodor Fontane war stets ein kritischer spiritueller Mensch: „Ich persönlich kenne keinen Menschen, habe auch nie einen kennen gelernt, der den Eindruck eines Vollgläubigen auf mich gemacht hätte“. (Maximilian Harden über Theodor Fontane 1898, in : Deutsche Abschiede, München 1984, S. 247.) Theodor Fontane, der sich als religiösen Skeptiker sah, der gar nicht dogmatisch, im Sinne der Kirchenführung, dachte, wäre sicher ein Gast in den nun lebendigen Dorfkirchen der Mark Brandenburg, den Orten der offenen Spiritualität und Begegnung für “Wanderer” von weit und breit…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Der “Dreifaltige”, der schwierige Gott der meisten Christen: Über die Last mit dem “Trinitäts-Dogma” aus dem 5. Jahrhundert.

Ein Hinweis von Christian Modehn

Für die meisten Christen ist das Bekenntnis zur Trinität, zur „Dreifaltigkeit Gottes“, einerseits irgendwie selbstverständlich, weil sie sich in den meisten Gottesdiensten, den katholischen Messen und den orthodoxen Liturgien zumal, immer zur Trinität bekennen: Sie bekennen sich zu dem einen Gott in „drei Personen“, wie die christliche Dogmatik lehrt: Also zu Gott „dem Vater, dem Allmächtigen…“, dann zu Jesus Christus , „aus dem Vater geboren vor aller Zeit, gezeugt nicht geschaffen…“und schließlich zum heiligen Geist, der aus dem Vater und dem Sohn hervorgeht…“. Die Orthodoxen wissen vom heiligen Geist hingegen noch etwas anderes, nämlich dass er NUR aus dem Vater hervorgeht. Eine tatsächlich wichtige „innergöttliche“ Nuance, die bei der Spaltung in westliche und östliche Christenheit im Jahr 1054 eine Rolle spielte. Ist damit eine Unterordnung des Logos, des Sohnes, unter den Vater gemeint? Ich erinnere mich in dem Zusammenhang an eine Szene eine Luis Bunuels wunderbarem Film “Die Milchstraße”: Als Kellner in einem französischen Luxus-Restaurant beim Einrichten der Tische genau diese Frage debattieren. Dann stören arme Pilger diese trinitarische Debatte und bitten um Brot. Von den trinitarisch debattierenden Kellnern werden sie abgewiesen…

Die beiden folgenden Hinweise beziehen sich im ersten Beitrag auf die klassischen trinitarischen Formeln und Begriffe. Und diese Reflexionen führen weiter, um in einem bisher unterbliebenen Weiterdenken zu einer überraschenden Erkenntnis zu kommen: Dass nämlich in gewisser Weise nach der Auferstehung und “Himmelfahrt” des Logos, also des Gott- Menschen Jesus Christus, eben auch der Mensch in die Trinität gehört. Der Mensch Teil des innergöttlichen Lebens? Das ist das beachtlich und in gewisser Weise neu. Dass diese Erkenntnis spekulativen Charakter hat, ist klar.

Dass nicht auch noch der sehr interessanten Frage nachgegangen wird, was denn in der Trinität sozusagen lebendig war zu dem Zeitpunkt, als der Logos den Himmel verließ und zu “Weihnachten” Mensch wurde, ist für spekulativ Interessierte eine bleibende Aufgabe, die für orthodox Glaubende selbstverständlich blasphemischen Charakter hat. Aber diese genannten Themen zeigen für mich bereits etwas von dem Wahn, wenn Menschen viel zu viel von Gott wissen wollten und auch heute in den Kirchen immer noch wollen und dieses inntertrinitarische Leben behaupten. Es geht also bei dem Thema auch um die Grenzen der Erkenntnis des Menschen.

Der zweite Beitrag (weiter unten) ist nicht weniger interessant und brisant: Er will die Perspektive eröffnen: Wie sich der EIN-Gott-Glaube der Christen und die Monarchie-Herrschaft des EINEN Kaisers in Rom (seit Konstantin, 4. Jh.) einander unterstützten und einander ideologisch “brauchten”. Dabei wird die dominierende Rolle der Kaiser bei der Formulierung der katholischen Dogmen noch gar nicht berücksichtigt, sie ist ein genau so interessantes Thema, das der Abhängigkeit der offiziellen Glaubenslehre von den Herrschern. Heute würde man solche Theorien Ideologien nennen.

In dem hier vorliegenden Beirag wird auch auf den großen katholischen Theologen Edward Schillebeeck (gest. 2009) verwiesen, der freimütig erklärte, dass er sich als Theologe wie ein Agnostiker zur offiziellen Trinitätslehre verhält.
Und zum Schluss empfehle ich nachdenklichen, kritischen, christlich interessierten LeserInnen das Glaubensbekenntnis der protestantischen Remonstranten Kirche in Holland zu lesen, ein Glaubensbekenntnis, das ohne die schwere und unverständliche Last der Trinitäts-Lehre aus dem 5. Jahrhundert auskommt.

1.
Mensch in Gott: Eine neue Perspektive zur Trinität

Die Dreifaltigkeit, Trinität, will das eigentlich Unmögliche über Gott aussagen: Der Gott der Christen ist aufgrund der Erfahrungen mit Jesus von Nazareth als dem Christus (also dem Logos, dem „Sohn“ „im Himmel“, in Gott) eins, einer, ein einziger, und auch in gewisser ein Gott, auf den die Zahl „drei“ zutrifft. Der alte Theologe Tertullian aus Karthago (155 bis 220) fasste diese „Unmöglichkeit“ in die Formel: „Tres personae, una substantia“, also drei Personen und ein gemeinsames Wesen, das ist Gott. Wobei klar ist, dass „Person“ nur sehr analog zu verwenden ist im Blick auf das, was wir unter Menschen Personen nennen.
Ich will in einem ersten Teil auf ein spannendes Thema aufmerksam machen:
Es ist im Johannes Evangelium klar: Dieser Jesus von Nazareth als Christus ist der LOGOS, also die zweite Person aus der Trinität, um es mal etwas plastisch und sehr bildhaft zu sagen. Dieser Logos aus der Trinität lebte in der Welt zu einem bestimmten Zeitpunkt. Dieser Jesus ist also der himmlische, göttliche LOGOS: So „entsteht“ dann er, Christus, als eine Einheit von Gott (Logos-Aspekt, wenn man so will) und von Mensch (Jesus von Nazareth, geboren zu einer bestimmten Zeit, an enem bestimmten etc. als ganzer Mensch, Mann usw.)

Diese Person, LOGOS und Mensch als Einheit, stirbt am Kreuz und erlebt eine Auferstehung und dann eine Himmelfahrt. Ich verwende jetzt die klassischen und populären Begriffe, die ja bekanntlich auch den Erzählungen der Evangelien und der Apostelgeschichte entnommen sind.
Was bisher meines Erachtens nicht gesehen wurde in dem Zusammenhang:
Wenn wirklich der gekreuzigte und auferstandene Jesus Christus in den Himmel „auffährt“, also in gewisser Weise in die Trinität zurückkehrt: Dann ist von nun an, wenn man das zeitlich verstehen will, denn der Tod Jesu Christi fand ja noch in der historischen Zeit „unter Pontius Pilatus“ statt: Dann ist nun innerhalb der Trinität, also im Innern des Wesens Gottes, auch das Menschliche, repräsentiert durch den ganzen Menschen Jesus von Nazareth präsent. Denn bekanntlich wird immer wieder betont: Dass der Auferstandene Jesus eine Leiblichkeit hatte, eine verwandelte, auferstandene Leiblichkeit. Aber eben eine Leiblichkeit. Und diese ist nun als menschliche IN Gott.
Diese theologische – spekulative Erkenntnis verändert das Gottesbild: In Gott selbst ist der Mensch, das Menschliche, das Irdische, enthalten, bewahrt, gegenwärtig.
Bisher erkannten Theologen und Religionsphilosophen (wie Hegel): Gott ist in der Welt. Gott ist in seiner Schöpfung anwesend, und zwar in der „Gestalt“ des Geistes: Alle Menschen haben Anteil am göttlichen Geist. Denn es ist eher undenkbar, dass Gott eine Welt schafft, die dann als eigenständige aber doch total außerhalb des Göttlichen sich entwickelt, wie eine Art Gegen-Gott.
Also: Gott in Welt ist eine alte und vertraute Erkenntnis.
Aber nun auch. Mensch IN Gott. Das sprengt den (üblichen?) Gottesbegriff, stiftet eine Ergänzung zu Gott in Welt, zeigt also eine enge wechselseitige Verbundenheit und Einssein von Gott und Welt/Menschen.
Die weitere Frage ist natürlich: Wenn durch Jesus Christus als dem auferstandenen Menschen eben der Mensch in Gott ist, dann ist alles Menschliche in Gott: Das heißt: Alle Menschen als „Auferstandene“ sind dann in Gott. Vielleicht ist dies der wahre Kern eines christlichen Verstehens von „Erlösung“. Freilich für die, die an der Idee Gottes festhalten wollen und den Begriff Erlösung auch mit dem Tod und der Frage „Was kommt nach dem Tod“ verbinden wollen.
Dass diese Thesen hier natürlich sehr spekulativ sind und von den üblichen, aber orthodoxen Bildern der Dreifaltigkeit ausgehen, ist klar. Man kann zurecht sagen: Es gibt in der heutigen Welt Dringenderes. Aber die Erkenntnis, dass der Mensch IN Gott ist, dort lebt kann spirituelle Menschen bewegen.
Und vor allem: das wurde hier noch gar nicht entwickelt: Hat denn Gott als ewige Trinität mit der Menschwerdung des Logos aus der Trinität selbst eine Geschichte? Verändert sich Gott in sich selbst? Ist die Menschwerdung des Logos und damit zusammenhängend das Menschliche IN Gott eine Veränderung Gottes? Das kann nur jene Theologen stören, die immer noch an das antike Bild Gottes als eines unbeweglichen (!) Bewegers glauben. Nicht aber einen Gott denken können, der selbst Geschichte hat, also irgendwie auch zur Zeit gehört. Das passt ja gut, denn mit der Aufnahme des Menschen (Jesus Christus) IN die Trinität kommt ja auch die Zeit ins Göttliche.

2.
In einem zweiten Teil will ich auf einen anderen Aspekt der Trinitätslehre aufmerksam machen, einen politischen Aspekt:

Dieses offizielle „Nizäno-Konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis“ ist selbstverständlich viel ausführlicher. Es stammt aus dem Jahr 451 (!), und die schon hier nur kurz zitierten Worte und Begriffe hinterlassen bei neu-platonisch nicht Vorgebildeten einen gewissen mysteriösen Eindruck des Unverständlichen. Da sollen also religiöse Menschen weltweit heute, im 21. Jahrhundert, ihren Glauben mit Worten aus dem zu Ende gehenden „Altertum“ nachsprechen. Und sie werden nur dann etwas verstehen, wenn sie stundenlang vorher sich in die antike philosophische Begriffswelt eingearbeitet haben. Das Beharren auf dieser Formulierung und diesen Formeln seitens der Kirchenleitungen, des Papstes usw. für die heutigen Menschen ist schon – vornehm gesagt – eine beträchtliche Herausforderung. Andere nennen es dogmatische Sturheit und Verblendung, in diesen Worten zur Trinität universal für die ganze Welt festzuhalten. Soll so der Glaube als verstehender Glaube gefördert werden?

Ich habe als Journalist, der sich mit Themen der Kirchen befasste, immer wieder erlebt, dass selbst Christen, die regelmäßig die Gottesdienste/Messen besuchen, eigentlich mit der „Trinität“ nicht viel anzufangen wissen, diese eigentlich nicht verstehen und deswegen auch anderen nicht erklären können. Ich kann mich an peinliche Situationen erinnern, in denen muslimische Gläubige die Katholiken fragten, ob sie denn 3 Götter verehren und manche eher verlegen und sprachlos zustimmten. „Warum nicht?“, sagte einer. Der Polytheismus ist ja ohnehin unterschwellig im Katholizismus anwesend durch die sehr oft total übertriebene Verehrung Marias, der Mutter Jesu von Nazareth. Sie wurde gar zur Gottes-Mutter erklärt und ist im Himmel thronend die wirksame Hilfe, Gnadenhilfe, de Frommen. Wenn da nicht der Weg zur weiblichen Gottheit eröffnet wurde, aber das ist ein anderes Thema.

Die Verteidigung der klassischen Trinitätslehre aus dem 4./5. Jahrhundert ist also üblich geworden bis heute…

Da trifft es sich aber gut, dass ein prominenter, international geschätzter katholischer Theologieprofessor sich freimütig zu Schwierigkeiten mit der Trinität bekannte: Edward Schillebeexk (1912 – 2009) von der Universität in Nijmegen. In dem Buch „Edward Schillebeeckx im Gespräch“ mit Francesco Strazzari“ (Luzern 1994) sagt er: „Ich bin im Hinblick auf eine Trinitäts – Theologie fast ein Agnostiker“. Dieser Satz ist sehr bemerkenswert. Schillebeeckx fährt er fort: „Ich bekenne die Trinität, aber ich übe gleichzeitig eine gewisse Zurückhaltung gegenüber Anstrengungen, die Beziehungen zwischen den drei (göttlichen) Personen rational zu erfassen“ (S. 107). Vorher hatte Schillebeeckx schon gesagt: Die Spekulationen über die Trinität „geben nichts her für meine Spiritualität. Man spekuliert zuviel über die Trinität.“ (Seite 105). Dann fährt er fort: “Gott ist dreifaltig, (das ist Dogma!). Aber er ist nicht drei Personen. Das wäre Tri-Theismus (drei Götterglaube). Aus Scheu habe ich zu dem Thema nichts publiziert“ (Seite 106).

Ein anderer prominenter Theologe des Dominikaner Ordens, der ebenfalls international sehr beachtete Yves Congar (1904 – 1995), hat u.a. eine erhellende kleine Studie über den Zusammenhang von Politik und dem Entstehen des christlichen Monotheismus (Trinität) verfasst, und zwar in der internationalen theologischen Zeitchrift CONCIILUM, im Jahr 1981, Seite 195 ff.
Für Congar gibt es einen engen Zusammenhang der Verteidigung der einen und einzigen Herrschaft des Monarchen seit Kaiser Konstantin und der Entwicklung des christlichen Monotheismus, der dann zur Trinität führt. Sagen wir mal salopp als einer Variante des allgemeinen (jüdischen, später muslimischen) Monotheismus. Congar belegt seine leider viel zu knappe Studie, gelehrt wie er war, mit zahlreichen Quellen der so genannten Kirchenväter, also der Theologen vom 1. bis 6. Jahrhundert.

Die These ist also: Weil es zu Zeiten Kaiser Konstantins den Glauben der Christen an den einen Gott gab, der bereits wie ein Monarch verehrt wurde, konnte -bei dieser selbstverständlichen Mentalität- Konstantin auch “auf Erden“ durchsetzen, dass es nur einen Monarchen politisch geben sollte. Congar erinnert an den Kirchenvater Eusebius und schreibt: „Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Monotheismus der Christen und der Reichseinheit unter der Monarchie Konstantins“, (S. 196).
Dabei ist es interessant zu beobachten, dass etliche Kirchenväter unter dem „einen und einzigen“ Gott ganz den Gott Vater verstanden. „Er ist der eine und einzige Pantokrator, er allein ist Gott aus eigener Kraft“ (196).Und: „Er herrscht nach Art des persischen Großkönigs, der in seinem Palast verborgen bleibt“, schreibt Congar unter Bezug auf Eusebius (ebd.)

Bei diesem Verständnis der Trinität konnte Christus als Wesen des Himmels, also seines Seins beim Gott – Vater verstanden werden: Christus ist der Logos, in Abhängigkeit von Gott Vater, „so wie der Fluss von seiner verborgenen Quelle abhängt“ (196).

Diese Spekulationen über das innergöttliche Leben haben also willkommene politische Auswirkungen: In Nachahmung des Logos, also des Christus, der als spiritueller „König“ auf Erden lebte, reproduziert nun „der christliche Kaiser auf Erden das Bild des Gottes als Vater“.
Das heißt: So wie Christus in seinem Leben auf Erden auf den Gott als Vater verwies, so verweist der Kaiser als treuer Nachfolger Christi ebenso, wie Jesus Christus selbst einst, auf den Gott Vater. Der Kaiser rückt dadurch in die göttliche Sphäre der Trinität ein. Es ist der göttliche Kaiser, den es zu verehren gilt, und der sich auch anmaßt, innertheologische Fragen, etwa auf Synoden und Konzilien, zu beeinflussen und zu entscheiden.
Diese Form der politischen Theologie geht noch weiter: Weil Christus auf Erden und dann sowieso als Logos im Himmel eben nur ein einziger ist, so kann es auch nur einen Kaiser, als Nachfolger und „Reproduzent“ Christi, geben.

Mit anderen Worten: Diese verquere Spekulation hat den Sinn, den Kaiser als den einzigen Herrscher zu etablieren. Denn er verweist als Christus-Nachfolger wie Christus selbst auf den einen Gott. Die politische Monarchie und himmlische Monarchie des einen Gottes kommen also in bestes Einvernehmen, sie verhalten sich zueinander harmonisch.

Professor Congar ist sich bewusst, dass diese Hinweise den Charakter von Theorien haben, er ist noch zu vorsichtig, um nicht von Ideologien zu sprechen.

An diesem kurzen Beispiel kann man sehen, wie die Lehre von Trinität förmlich auch politisch „gebraucht wurde“ , um Herrschaft durchzusetzen. Und es wäre eine weitere Frage, wie sich das Bedingungsverhältnis mit dem monarchischen, monotheistischen Gottes sowie dem Logos (beide verbindet der Geist) und dem politischen Monarchismus gegenseitig bedingt und gegenseitig entwickelt haben. Von göttlicher Monarchie spricht noch der Kirchenvater Basilius im Jahr 375, und er verwendet für das Verhältnis des Vaters zum Sohn das Bild des Spiegels, darin „sieht man (jedoch) nur eine einzige Gestalt, die sich in der Gottheit, die keinen Unterschied (zwischen Gott Vater und Gott Sohn) kennt, wie in einem Spiegel widerspiegelt“. Verstehe das innertrinitarische Sich-Bespiegeln wer kann und will und wer genügend Lebenszeit zum qualvollen Verstehen zur Verfügung hat.

Mit diesen Themen also schlugen sich Theologen Jahrhunderte lang herum. Und das gilt prinzipiell bis heute! Anstatt die Menschen friedlicher zu machen, haben sie sich mit “Spiegelungen” innerhalb der Trinität usw. befasst und viele weniger dicke theologische Doktorarbeiten geschrieben… Darf man das Verirrung nennen?

In jedem Fall ist das Dogma der Trinität kein reiner und feiner Ausdruck einer wunderbaren Spiritualität. Das Dogma der Trinität ist auch und vor allem politisch erwünscht, selbst wenn der Kirchenlehrer Gregor von Nazianz (329 – 390) etwas „zurückrudert“ und sagt: “Die göttliche Monarchie hat in den irdischen Wirklichkeiten keine Entsprechung“ (S. 197). Ob damit die höchste Bedeutung des Kaisers sozusagen innertrinitarisch relativiert wird, wäre weiter zu fragen.

Was auffällt: Der Vater zeugt den Sohn, der wird also auch mal irgendwie “geboren”, aber nicht von einer Frau. Das passiert erst später, irdisch, mit Maria als Mutter, die unbefleckt allerdings empfängt.

Innertrinitarisch kommen trotz der Väterlichen Zeugung des logos keine Frauen vor.

Wenn schon diese offizielle Trinität ohne Frauen trotz aller Zeugung auskommt, um so mehr können auch die Priester der römischen Kirche ohne Frauen auskommen. Das Zölibats – Gesetz der Kirche entspricht bestens inner-trinitarischen Vorgängen. Die Verteidiger des Zölibatsgesetzes könnten sagen: Gäbe es denn etwas Wertvolleres?

Diese Freilegung der wechselseitigen Abhängigkeit der Trinitäts – Lehre und der kaiserlichen Monarchie ab Konstantin muss ja nicht dazu führen, die Vorstellung und den Begriff einer göttlichen „Wirklichkeit“ grundsätzlich abzulehnen. Es bleibt bei der Erfahrung und der Erkenntnis: Eine göttlich zu nennende alles gründende „Wirklichkeit“ ist nur als ein Geheimnis zu deuten, Geheimnis ist dabei nichts Spinöses, Verworrenes, nichts Mysteriöses, sondern etwas, das wir denkend berühren, aber niemals umgreifend fassen und damit niemals definieren.

Mein Vorschlag: Die Kirchen wissen in ihrer uralten Dogmatik, die sie mit sich herumschleppen und nicht abschütteln, diese Kirchen wissen also zu viel von Gott. Und sie belasten das Denken und Fühlen heutiger Christen, wenn sie immer noch diese Worte dieses Glaubensbekenntnisses vom Konzil im Jahr 450 einpauken. Lernen wir also das Geheimnis des Lebens, das auch auf ein göttliches Geheimnis verweist, kennen. Versuchen wir es, von diesem Geheimnis poetisch zu sprechen. Es könnte also durchaus von einer gründenden göttlichen Wirklichkeit die Rede sein, die man früher „Vater“ nannte. Und auch von Jesus von Nazareth, der sich von diesem Lebensgrund bestimmen ließ und heiliges Vorbild bleibt. Und auch vom Geist, der uns Menschen inspiriert, immer wieder zum Guten einlädt, zur Kunst, zur Solidarität, zum Friedenstiften.

Aber wie nun dieser Gott und dieses Vorbild Jesus von Nazareth und unser Geist, der heilige, miteinander in Beziehung stehen, ist offen. Die klassische Trinitätstheologie wird nicht wieder auferstehen.

Irgendwann wird man sich fragen, ob die pauschale Abwehr des „Unitarischen“-Glaubens einst durch die machtvollen „trinitarischen“ Kirchen und ihre Theologen richtig war und heute noch richtig ist. Wer weiß denn so viel Genaues vom Innenleben Gottes? Hegel vielleicht, aber seine Dialektik hat auch Gültigkeit ohne seine Verbundenheit mit der Trinität als göttlicher Form der Dialektik.

Lernbereitschaft ist angesagt, gerade wenn man an die hier nur angedeuteten großen Probleme mit der Trinität denkt. Warum kann nicht auch einmal neu und allgemein objektiv über den „Ketzer“, den unitarischen Theologen Fausto Sozzini reden?

Aber die Kirchen, zumal die römische und die orthodoxen, sind so erstarrt, dass sie außerstande sind, ein einmal früher formuliertes Dogma ad acta zu legen. So schleppen sie uralte Theorien mit sich herum und drängen diese den Gläubigen heute als unverständliches Bekenntnis („Steine statt Brot“, würde Jesus sagen) noch auf, obwohl so viele Theologen wissen, dass sie dies überhaupt nicht mehr tun sollten. Es ist so, wie wenn Ärzte heute Knoblauchessenzen nach Rezepten des Mittelalters als „das“ universale Heilmittel anwenden würden….

Aber katholische Theologen sind so befangen und finanziell von der Kirchenführung abhängig, dass sie lieber tausend mal das trinitarische Dogma aus dem 5., Jahrhundert hin- und herdrehen und tausendmal darüber an päpstlichen Universitäten in Rom promovieren, als einen Schlussstrich zu ziehen und Neues zu sagen.

Die religionswissenschaftliche Forschung hat längst über die Formulierungen der alten Trinitäts – Dogmen hinaus geführt – ins Freie und Lebendige neuer Gottesfragen und neuer Gotteserfahrungen.

Wenn die Kirchen Gott/Göttliches” das Ewige zurecht als bleibendes Geheimnis bekennen, können sie nicht darauf beharren, „Details“ vom inneren Leben Gottes „im Himmel“ zu wissen und zu lehren.

PS.: Mir persönlich als Theologen und Religionsphilosophen ist das Glaubensbekenntnis der niederländischen protestantischen Kirche der Remonstranten von 2006 sehr sympathisch und treffend für heutige menschliche und spirituelle Erfahrung. Es spricht vom Geist, von Jesus und von Gott, ohne dabei in die alten trinitarischen Formulierungen hinzuführen.
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Ein neues Glaubensbekenntnis, ein Ausdruck der Freiheit

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Max Weber: Vor 100 Jahren gestorben. Seine lebendigen Anregungen und Provokationen

Hinweise von Christian Modehn mit einer von Weber inspirierten These zur „Korruption im Katholizismus“ (Nr.6 in diesem Text)

Gedenktage sind bekanntlich Denk-Tage: So auch die Erinnerung an Max Weber, der vor 100 Jahren am 14. Juni 1920, in München gestorben ist. Geboren wurde er am 21.4.1864 in Erfurt.
Es gilt also, sich auf einige seiner zentralen Vorschläge und Erkenntnisse zu beziehen… als Inspirationen fürs eigene Denken und Verstehen unserer Zeit. Dies könnte auch ein Impuls sein, Max Weber zu lesen, Bücher von ihm und zumal auch über ihn gibt es bekanntlich in sehr großer Fülle.
Weber ist eine der bedeutenden intellektuellen Gestalten des 20. Jahrhunderts: Er ist vor allem Soziologe, hat aber auch beste Kenntnisse in der Religionswissenschaft, der Theologie, er ist in gewisser Weise auch Jurist, Ökonom, Agrarhistoriker, vor allem auch: Historiker…

1.
Max Weber war sehr interessiert, die Wirkungen religiöser Lehren und Konfessionen auf Ökonomie, Politik und Lebenshaltungen aufzuzeigen.
Viel beachtet, wie ein Meisterwerk eingeschätzt, sind immer noch seine Studien unter dem Titel „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“, 1904 erschienen, dann noch einmal überarbeitet, 1920 veröffentlicht. Weber behauptet darin NICHT: Der Protestantismus sei die maßgebliche Ursache für das Entstehen des Kapitalismus. Sondern: Protestantische Gemeinschaften (vor allem von Calvin inspirierte) haben theologische Ideen in den Mittelpunkt gestellt, von denen sich die Mitglieder dermaßen motivieren ließen, dass letztlich auch daraus der moderne Kapitalismus entstanden ist. Grundlegend sei für diese Protestanten gewesen: Man darf sich als Gläubiger nicht aus der Welt zurückziehen, sondern man muss sein Bestes tun und arbeiten und sparsam leben, um von dem individellen Platz aus, auf den Gott den Menschen gestellt hat, gottwohlgefällig zu leben, und das heißt: effizient zu arbeiten.
Vom Erfolg gesteuert arbeiten, das steht in der Sicht Webers an oberster Stelle bei den Calvinisten (weniger hingegen bei den Lutheranern). Das erworbene Geld wird von diesen Frommen nicht im verschwenderischen Luxus ausgegeben, sondern es wird gespart und vor allem investiert. In diesem asketischen, Gewinn gesteuerten Verhalten glaubten die Calvinisten bzw. spezieller noch die Puritaner, obendrein noch gottwohlgefällig zu leben, also die Erlösung zu erlangen. So wird die enge Verbindung von calvinistischem Glauben und dem Verhalten, das in den Kapitalismus führt, bei Max Weber deutlich.
Sebastian Franck, ein – leider fast vergessener – protestantischer Theologe und Mystiker im 16. Jahrhundert, wird von Max Weber zitiert, um diese protestantische Variante der Askese deutlich zu machen: „Du glaubst, du seiest dem katholischen Kloster entronnen. Es muss jetzt jeder (als Protestant) sein Leben lang ein Mönch sein“, also asketisch und bescheiden leben, d.h. arbeiten. („Protestantische Ethik…. S.346).
Max Weber bietet in seinem Studien zum Thema „Protestantismus und Geist des Kapitalismus“ eine Fülle an Details, die sich auch in den zahlreichen Fußnoten auffinden lassen. Wer etwa hier in Berlin und in der Mark Brandenburg noch daran denkt, welche ökonomische Hilfe und damit Entwicklung die calvinistischen Flüchtlinge („Hugenotten“) einst hier leisteten, kann aus diesem populären Beispiel nur das Treffende der Analysen Webers bestätigen. Diese Linie ließe sich weiter ausziehen, wenn man an den in den noch in den 1960 Jahren dokumentierten Bildungsrückstand der Katholiken in Deutschland denkt: Das „Strebsame“, „Karrieremachen“, war nicht so deren Sache. „Besser ein guter Mensch sein als ein gebildeter“, diesen Spruch hörte ich oft in katholischen Kreisen damals.

2.
Der Kapitalismus hat als auch eine religiöse Ursache. Mit dieser Erkenntnis will Weber keineswegs als Konkurrent zu Karl Marx auftreten. Es geht nicht um eine Anti-These zu Marx, sondern um einen anderen, ergänzenden Blickwinkel auf den Kapitalismus. Weber ist ein heftiger Kritiker des Kapitalismus, der schon in der zur Tugend erklärten „Nützlichkeit“ kritisch gewertet wird. Das führt Weber zur Erkenntnis, dass im Kapitalismus insgesamt Tugenden insofern nur gelten, als sie die Nützlichkeit des ökonomischen Gewinns fördern. Max Weber schreibt: “Das summum bonum, das oberste Gut, dieser kapitalistischen Ethik ist der Erwerb von Geld und immer mehr Geld…“ (S. 78).
Der Kapitalismus zeichnet sich durch eine nur von Erfolg geleitete, stets machtvolle Bürokratie aus. Wie man diese Verhältnisse überwinden kann? Max Weber führt da den – etwas hilflos wirkenden – Begriff der „charismatischen Vernunft“ ein, die die Auswüchse des Kapitalismus begrenzen könnte. Wer denkt dabei auch an prophetische Führer, sogar auch an kurzfristige Revolutionen, die das Regelwerk der Bürokratien korrigieren…
Im ganzen ist Weber eher skeptisch, was die Entwicklung der menschlichen Qualitäten in der kapitalistischen Welt angeht, zumal, wenn dieser Kapitalismus von allen Bindungen etwa an den protestantischen Glauben sich losgesagt hat, also eine umfassende „säkulare“ Säkularisierung eingetreten ist. Weber bezieht sich etwa auf die USA, wo der Kapitalismus – zu Beginn des 20. Jahrhunderts, nach einem Besuch Webers dort – seine „höchste Entfesslung erlebt“. „Dort neigt das seines ethisch-religiösen Sinns entkleidete Erwerbsstreben heute dazu, sich mit rein agonalen (kämpferischen) Leidenschaften zu verbinden. Niemand weiß noch, wer künftig in jenem (kapitalistischen) Gehäuse wohnen wird und ob am Ende dieser ungeheuren Entwicklung ganz neue Propheten oder eine mächtige Wiedergeburt alter Gedanken und Ideale stehen werden oder mechanisierte Versteinerung mit einer Art von krampfhaften Sich-wichtig-nehmen verbrämt“. Weber fürchtet, dass dann der „letzte Mensch“ im Sinne Nietzsches gesiegt haben könnte, diese „Fachmenschen ohne Geist, Genussmenschen ohne Herz. Dieses Nichts bildet sich ein, eine nie vorher erreichte Stufe des Menschentums erstiegen zu haben“ (Prot. Ethik… S. 201).

3.
Der Begriff der „Entzauberung der Welt“ spielt in der Einschätzung der modernen Welt durch Max Weber eine große Rolle: Davon spricht er in „Wissenschaft als Beruf“: Der Umgang des modernen Menschen mit der Natur ist nicht mehr von der Voraussetzung bestimmt: In der Natur könne man geheimnisvollen und unberechenbaren Mächten begegnen. Sondern: In der Natur sind keine mysteriösen Geister am Werk, die durch Magie besänftigt werden können. Es gilt also: Das moderne Verhalten der Menschen zur Natur ist von Rationalisierung, Berechnen, vom Planen, vom technischen Zugriff und von Herrschaft bestimmt. Diese Haltung der permanenten Naturausbeutung, bedingt durch Rationalisierung, Spezialisierung, Industrialisierung usw. bestimmt den Kapitalismus weltweit.
Dieser Geist der Rationalisierung beherrscht die persönliche Lebensführung der einzelnen Menschen in diesem Kapitalismus. Und dieser Geist der Rationalisierung als „Berufsidee“ ist „aus dem Geist der christlichen Askese entstanden“ („Protestantische Ethik…. 200).
Dieser Zugriff auf die Natur, diese Entzauberung, ist zweifellos auch ein Ergebnis religiöser Lehren. Man denke an den Spruch der Bibel, wo Gott den Menschen befiehlt: „Macht euch die Erde untertan“ (Genesis 1,28). Jetzt wird statt „untertan machen“ (mit schlechtem Gewissen von Theologen) übersetzt: „Hütet die Erde…“ Aber dieser Verzicht auf das „Untertan-Machen der Natur“ kommt wohl zu spät. An diesem Bibelvers wird einmal mehr deutlich, wie viel Unsinn auch in der Bibel, dieser Textsammlung frommer Menschen, als Maxime im Laufe der Jahrhunderte verbreitet wurde…
Inzwischen wird jedoch auch die Vorstellung korrigiert, die Menschheit würde in einer entzauberten Welt, einer entzauberten Naturwelt, sich befinden, zugunsten einer neuen „Verzauberung“. Man denke an die Vorstellung von der Natur als einer Gaia-Hypothese, die für eine selbstregulative, schöpferische Urkraft (?) Natur eintritt.
Nebenbei: Max Weber empfand persönlich starke Vorbehalte gegen die völlig entzauberte, rein rationale Theologie und Kirchenpraxis der Calvinisten. Er empfand sogar gewisse Sympathien für den Katholizismus, den Priester deutet er als eine Art Magier, der über die Sakramente verfügt. Und auch dies noch: Max Weber war zwar protestantisch (vor allem von der frommen Mutter) erzogen worden, aber er war offenbar nur aus Pflichtbewusstsein Mitglied der Kirche geblieben, die er eher verachtete wegen ihrer engsten Bindung an den Kaiser als das oberste Haupt der Kirche. Über den (in alter kaiserlicher Pracht wieder aufgebauten, „restaurierten“) Berliner Dom schreibt Weber: „Man braucht den Berliner Dom nur anzusehen, um zu wissen, dass jedenfalls nicht in diesem cäsaro-papistischen Prunksaal, sondern weit eher in den kleinen, jeden metaphysischen Schmuckes entbehrenden Betsälen der Quäker und Baptisten der „Geist“ des Protestantismus in seiner konsequentesten Ausprägung lebendig ist“. („Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, S. 315.)

4.
Wichtig bleibt immer noch die Auseinandersetzung mit Webers These von der Wertfreiheit der Wissenschaften: Wissenschaft muss von allen Ideologien und „Illusionen“ freigehalten werden.Und: Wissenschaft kann nicht zum wahren, umfassenden Glück der Menschen führen. Es gibt keine religiöse Gebundenheit der Wissenschaften, für Wunder und Offenbarungen ist in ihnen kein Platz.
Das heißt aber nicht, dass Religionen durch die Wissenschaften ersetzt und verdrängt werden. Religionen gehören zu einer gegenüber den Wissenschaften abgetrennten, eigenen „Wertsphäre“ (wie er sagt) an. Das bedeutet auch: Max Weber will die Vermischung der Wertsphäre Religion und der Wertsphäre Wissenschaft unbedingt verhindern. Ob diese Parallelisierung der beiden Wertsphären überhaupt möglich ist, wird etwa schon in der Beobachtung deutlich: Dass sich doch Menschen voller Erstaunen, Ehrfurcht und Verwunderung den überraschenden Schönheiten der Natur stellen oder dem bestirnten Himmel über uns, wie Kant sagte. Da kann aus diesem Verwundern auch ein Übergang geschehen in die Naturforschung und Wissenschaft, die sich aber die ursprünglich erfahrene Ehrfurcht und das Verwundern nicht vergessen, ohne dabei in eine esoterische Naturwissenschaft abzugleiten…

5.
„Max Weber starb im Bewusstsein, dass „nicht das Blühen des Sommers vor den ihm nachfolgenden Generationen liege, sondern eine Polarnacht von eisiger Finsternis und Härte“ (so der Max Weber Forscher Dirk Kaesler, in seinem Vorwort zu „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“, Beck Verlag, S. 56).

6.
Ich habe schon 2014, anläßlich des 150. Geburtstages von Max Weber, auf die Studie über Weber von Jürgen Kaube aufmerksam gemacht.Klicken Sie hier.

Zu diesem Text hier: Die Seitenzahlen in dem Buch „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ beziehen sich auf die Ausgabe im C.H. Beck Verlag, hg. von Dirk Kaesler, 2006.

Copyright: Christan Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Papst Pius der Zwölfte: Der Diplomat, dem das Wohl der Kirche wichtiger war als die Rettung der Juden

Über die Studien von Prof. Hubert Wolf im Geheimarchiv des Vatikans und einen Film der ARD, am 18.5.2020
Ein Hinweis von Christian Modehn
(In dem Zusammenhang können auch meine Hinweise zu Rolf Hochhuths “Stellvertreter” und ein etwas längerer Hinweis vom Februar 2019 zu Papst Pius XII. von Interesse sein.)

1.
Warum sollen „wir“ (d.h. eine etwas größere Öffentlichkeit) uns heute mit Papst Pius XII. befassen, zumal mit dessen Verhalten in der Zeit des Holocaust?
Weil diese Frage, über alle theologischen und historischen Dispute hinaus, von allgemeinem Interesse ist: Wem gilt in der Kirche(nführung) das vorrangige Interesse? Man könnte auch sagen: Wem gilt vorrangig kirchliche und päpstliche „Nächstenliebe“, als dem obersten Gebot derer, die sich Christen nennen. Gilt dieses vorrangige Interesse den Menschen egal, welcher Konfession, konkret: Den bedrohten Menschen, den Ausgegrenzten, Verachteten, den Arm – Gemachten, den Juden als den ständigen Opfern des Antisemitismus?
Ist also mit anderen Worten der praktische Respekt der Menschenrechte oberstes Kriterium kirchlichen und päpstlichen Handelns? Oder gilt das vorrangige kirchliche und päpstliche Interesse zuerst und vor allem dem Wohl der eigenen Kirche? Was ja immer auf das (auch finanzielle) Wohl der Institution Kirche hinausläuft: Also auf den Erhalt der Bischofsverwaltungen, der Kirchenbauten, der katholischen Schulen, der Priesterseminare, der Klöster etc.

Vor allem deswegen ist es wichtig, dass die „breite Öffentlichkeit“ erfährt, welchen Schwerpunkt Papst Pius XII. in den Zeiten des Faschismus, des Holocaust und danach, also nach 1945, setzte.
Die Erkenntnisse der Historiker sind schon jetzt für katholisch „Gebundene“ sehr ernüchternd, selbst wenn noch über Jahre hinweg viele Details über das Verhalten Pius XII. während des Holocaust und danach durch die jetzt möglichen Forschungen deutlich werden.

Meine These: Alle Forschungen der nächsten Jahre in den nun – endlich – geöffneten (absolut offenen ?) Geheimarchiven des Vatikans werden nur noch weitere Details ausleuchten, nicht aber die Grunderkenntnis erschüttern: Papst Pius XII. (und mit ihm weite Teile der Hierarchie) schwieg öffentlich zum Holocaust. Er war als Papst de facto nicht der umfassende Freund der bedrohten Menschen, nicht der öffentlich sich klar äußernde Feind des Faschismus und der Nazis, sondern er war der ängstliche Diplomat. Er war nicht zuerst der Stellvertreter des humanen, des menschlichen Jesus von Nazareth. Und das ist die Katastrophe dieser Kirche. Diese Katastrophe ist wohl kaum wieder gut zu machen. Das klerikale System hat gesiegt.
Nur ein Beispiel für die klerikale karnevalesk wirkende Präsentationen des Papst im Petersdom: Getragen auf einer Sedia Gestotoria, umgeben von Palmwedeln, die aus den Zeiten Kaiser Augustus oder gar der Pharaonen stammen könnten. Dieser Pius XII. war wie erstarrt in einem archaischen, aber schon morbide wirkenden System. Er sollte förmlich als göttliche Gestalt etabliert werden. Von dem armen Jesus von Nazareth war absolut nichts mehr zu spüren. Er war vergessen zugunsten des „Christus Triumphans“. Aber das ist ein anderes Thema.

Kann man bei dieser Mentalität und diesen äußeren pompösen Auftritten ein offenes, humanes Handeln zugunsten der Bedrohten und in die KZs Geschleppten erwarten? Kann man in Renaissance Palästen den vergasten Juden beistehen? Ich meine sicher nicht. Der Vatikan war dieser uralt wirkende Hofstaat (bis Benedikt XVI.), der das humane und kritische Denken erstickte.

2.
Schlimmer noch, und das Thema verdient eigentlich die gleiche kritische Aufmerksamkeit: Unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg half der Vatikan (vor allem der in Rom lebende österreichische Bischof Alois Hudal, seit den dreißiger Jahren ein Nazifreund) den „Tätern“ (Verbrechern) im Faschismus zur Flucht via Rom/Vatikan nach Lateinamerika. Und der Papst war so dreist, nach 1945 mit verbrecherischen faschistischen Regimen Konkordate abzuschließen, mit Regimen, die sich nach außen hin als ultra -katholisch ausgaben. Man denke nur an die Konkordate des Vatikans mit dem Verbrecher und Massenmörder, dem Diktators Trujillo, Allein-Eigentümer der Dominikanischen Republik (Konkordat 1954) oder an das Konkordat mit dem spanischen Staatschef Franco, auch er ein Massenmörder, Konkordat mit ihm im Jahr 1953. Diese Tatsachen, diese Konkordate mit faschistischen, aber katholischen Regimen sind als solche schon Belege genug: Dass Papst Pius XII. nichts aus dem Holocaust und dem mörderischen Regime des Faschismus, Nationalsozialismus, gelernt hat. Das heißt: Der Respekt für die universalen Menschenrechte waren diesem Papst mindestens auch nach 1945 zweirangig. Selbst wenn er in frommen Worten manchmal davon sprach. Aber er förderte diese katholischen Gewaltregime, weil sie vor allem eins waren: Antikommunistisch. Alles andere war den Kirchenleuten damals egal (bis hin zum polnischen Papst).

3.
Kurz gesagt: Sich mit Papst Pius XII. befassen, heißt: Sich einmal mehr mit dem Niedergang der jesuanischen Ideen in der Kirche zu befassen. Erst das 2. Vatikanische Konzil, einberufen von Papst Johannes XXIII., änderte etwas an diesen Niedergang. Ob er überwunden ist angesichts reaktionärer Kräfte im Vatikan heute (Kardinal Müller, Kardinal Sarah, Benedikt XVI. usw.) ist die Frage.

4.
Nur ein paar Tage haben der Kirchenhistoriker, der katholische Priester Prof. Hubert Wolf (Uni-Münster) und sein Team in dem nun geöffneten Vatikan-Geheim-Archiv über Papst Pius XII. (1939-1958) arbeiten können. Die Corona Krise hat ihre Studien unterbrochen. Wann die Arbeiten an den vielen tausend Dokumenten wieder beginnen, ist wegen „Corona“ unklar.
Aber immerhin: Ein paar Tage hat Prof. Hubert Wolf Zugang gehabt zu einigen bislang unbekannten Dokumenten über das Verhältnis Pius XII. zu den Juden bzw. zum Holocaust.
Diese ersten, „wenigen“ Erkenntnisse sind bemerkenswert. Etwa: Prof. Wolf hat Dokumente gefunden, die den Papst erreichten von der Auslöschung des Warschauer Gettos, Pius XII. hat das Schreiben am 27.9.1942 gelesen. Dieser Text wurde vom Vatikan in der Publikation einiger ausgewählter Dokumente unterdrückt. „Stattdessen behauptete der Vatikan Jahrzehnte lang, es werde der Öffentlichkeit nichts verheimlicht“, heißt es in dem Pressetext zu dem Film, an dem Hubert Wolf als Interview-Partner zur Verfügung stand. Das war also die Methode der offiziellen Reinwaschung des Vatikans. Eigentlich keine Sensation für kritische Beobachter.

5.
Einige zentrale weitere Erkenntnisse werden in dem Dokumentarfilm „Die Geheimnisse der Akten“ (ARD 18.5.2020, Ein Film von Lucio Mollica und Luigi Maria Perotti) vorgestellt. Und diese Erkenntnisse bestätigen den Gesamteindruck, den Wissenschaftler und kritische Publizisten zu dem Thema schon längere Zeit hatten: Pius XII. sah im Kommunismus/Bolschewismus die ungleich größere Gefahr für die Menschheit und vor allem für die Kirche als den Faschismus und Nationalsozialismus. Warum? Der Kommunismus war für ihn – sichtbar in der Sowjetunion – kirchenfeindlicher als der Faschismus/Nationalsozialismus. Mit dem Hitler Regime wollte der Vatikan sogar ein Konkordat abschließen. Das tat er auch, schon 1933, unter Federführung des Kardinalstaatssekretärs Eugenio Pacelli (der spätere Papst Pius XII.) Er glaubte, dieses faschistische Regime könne freundlich sein zur katholischen Kirche. Hitler war getaufter Katholik, er ist nie aus der Kirche ausgetreten. Er hat immer Kirchensteuer bezahlt. Als absoluter „Führer“ bewunderte die hierarchische Struktur der römischen Kirche mit dem „summum pontificem“, dem obersten Pontifex, dem „unfehlbaren“ Papst, an der obersten Spitze.
Auf das Wohlergehen der katholischen Kirche kam es also dem Papst absolut und entschieden an. „Katholiken und katholische Kirche zuerst“ könnte man – einen heutigen Slogan variierend – die grundlegende Haltung Pius XII. nennen.
Diesem Projekt galt alles diplomatische Taktieren des diplomatisch sehr versierten Papstes. Die Rettung der Juden war dann automatisch zweitrangig. Man denke daran, dass in der offiziellen Theologie und etwa in den Karfreitagsgottesdiensten die Juden als treulose Gesellen und als Mörder Jesu Christi dargestellt wurden, als „Gottesmörder“.

6.
Die jüdische Philosophin Edith Stein, später Karmeliternonne und als „getaufte Jüdin“ ins KZ verbracht, hatte schon Anfang April 1933 Papst Pius XI. geschrieben und ihn dringend aufgefordert, für die Rettung der bedrohten Juden öffentlich mit der Bedeutung seines Amtes einzutreten. Diesen Brief hat Pius XI. gelesen. Aber er hat ihn nicht beantwortet. Edith Stein starb im KZ Auschwitz. Sie wurde 1998 heilig gesprochen. Die deutschen Bischöfe verfassten aus diesem Anlass ein „Hirtenwort“ am 11. Oktober 1998, darin wird der genannte Brief Edith Steins an Papst Pius XI. nicht einmal erwähnt! Hingegen wird ihre Konversion vom Judentum zum Katholizismus in höchsten Tönen gelobt.
Ein Wort der Entschuldigung des Vatikans für den nachlässigen Umgang mit dem Brief Edith Steins an Pius XI. ist mir nicht bekannt.

7.
Pius XII. wurde im Jahr 1942 mit wichtigen Texten und Dokumenten konfrontiert, von hochrangigen Politikern, wie Staatspräsident Franklin D. Roosevelt, von der jüdischen Organisation „Jewish Agency for Palestine“ und auch von katholischen Bischöfen. Sie alle dokumentierten die mörderischen Aktionen der Nazis gegenüber den europäischen Juden. Auch der katholische Erzbischof von Lemberg beschrieb dem Papst die Gräueltaten der Nazis.
Der Papst war also informiert über das wahre Ausmaß der Massenmorde durch die Nazis. Aber er reagierte nicht. Lediglich unbemerkt von der Öffentlichkeit war er bereit, etwa 4.000 jüdische Mitbürger Roms (von etwa 40.000) vor der Deportation zu schützen, sie fanden Zuflucht in römischen Klöstern. Aber diese Zuflucht organisierte nicht er, sondern ganz großartig der – in Deutschland bsi jetzt nahezu unbekannte – Kapuzinerpater aus Frankreich, Frère Marie –Benoit, der in Rom damals lebte. Er, dieser mutige und menschliche Kapuziner, wurde von Juden später ganz offiziell „frère des juifs“ genannt. Es wäre bei dem Amt eines Stellvertreters Jesu von Nazareth, bekanntlich eines Juden, ganz hübsch gewesen, wenn man von Papst Pius XII: später hätte auch sagen können: Er war ein Bruder der Juden.

8.
Der enge Berater und Vertraute des Papstes, Msg. Angelo Dell Acqua besaß die Unverschämtheit, dem Papst einzureden: Jüdischen ,Zeugnissen (zum Holokaust) solle man nicht ohne weiteres trauen. Und der Papst solle gegenüber Hitler diplomatisch klug bleiben, also schweigen. Bis zum 2. Vatikanischen Konzil hatte DellAqua „als angesehener Vatikan-Beamter“ höchste Funktionen im Vatikan ausgeübt.

9.
In seiner Weihnachtsansprache 1942 beklagt Pius XII. das Leiden so vieler Menschen. Die Juden erwähnt er explizit nicht.

10.
Pius XII. hat viele Briefe von Juden erhalten, die ihn persönlich um seine Hilfe baten. Hubert Wolf betont, einigen habe er wohl geholfen. Dies ist in dem Film eine allgemeine Aussage, wollen wir hoffen, sie kann nach den bevorstehenden langen Forschungen konkret werden. Interessant und weithin unbekannt ist: Auch die heute so hoch geschätzte jüdische Dichterin Elsa Lasker Schüler hatte im Frühjahr 1940 Papst Pius XII. einen sehr herzlichen, vertrauensvollen Brief geschrieben. Die Zeitschrift Orientierung der Schweizer Jesuiten berichtete darüber im Jahr 1987 und die Autorin Beatrice Eichmann-Leutenegger behauptete, dieser Brief habe Pius XII. nicht erreicht. Dieses Schreiben Else Lasker Schülers vom Frühjahr 1940 an Pius XII. ist bewegend, absolut lesenwert! Das Vertrauen, das Else Lasker Schüler in den Papst setzte, ist beschämend: Welch ein sympathisches Verhältnis einer Jüdin in großer Not zu einem hohen „Stellvertreter“ des Juden Jesus von Nazareth…(http://www.orientierung.ch/pdf/1987/JG%2051_HEFT%2018_DATUM%2019870930.PDF, dort Seite 199!)

11.
Es ist keine Frage: Die Historiker (Kirchenhistoriker der katholisch-theologischen Fakultät in Münster) werden weiter forschen, sicher etliche Jahre noch.
Sie werden wohl neue Details zum Verhältnis Pius XII. zu den Juden finden, und das ist wichtig.
Aber, diese Frage sei erlaubt: Werden wahrscheinlich wohl „nur“ Details erkannt werden? Oder glaubt man an eine tiefe Sinnesänderung des Papstes, irgendwann, sagen wir im Jahre 1940 oder 1941? Wären dies dann öffentliche Reden oder Predigten, so wären diese längst bekannt. Denn schon Papst Paul VI, hatte ja – zwecke Reinwaschung Pius XII., alles Interesse, einige ausgewählte, eher „positive“ Dokumente über Pius XII. herauszugeben.

Die Grundtendenz im Denken und Handeln Pius XII. gegenüber den Juden ist meines Erachtens trotz aller weiterzuführenden Forschung klar: Pius XII. hat mit der Macht und Kraft seiner Worte und seiner Institution den Juden nicht geholfen. Er ist ein Papst, der zu den Juden öffentlich schwieg. Ein von Ängsten beherrschter Diplomat, dem das Wohl der eigenen Kirche über alles ging! Dem also die Menschenrechte zweitrangig waren!

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Anhang:
1.
Über den Nazifreund und Helfer höchster Nazi-Verbrecher nach 1945, Bischof Alois Hudal im Vatikan, gibt es eine umfassende Studie:
Johannes Sachslehner: Hitlers Mann im Vatikan. Bischof Alois Hudal. Ein dunkles Kapitel in der Geschichte der Kirche. Molden Verlag 2019.

2.
Der im Text erwähnte Brief Brief Edith Steins an Papst Pius XI.:

„Heiliger Vater ,
als ein Kind des jüdischen Volkes, das durch Gottes Gnade seit elf Jahren ein Kind der katholischen Kirche ist, wage ich es vor dem Vater der Christenheit auszusprechen, was Millionen von Deutschen bedrückt.
Seit Wochen sehen wir in Deutschland Taten geschehen, die jeder Gerechtigkeit und Menschlichkeit – von Nächstenliebe gar nicht zu reden – Hohn sprechen. Jahre hindurch haben die nationalsozialistischen Führer den Judenhaß gepredigt. Nachdem sie jetzt die Regierungsgewalt in ihre Hände gebracht und ihre Anhängerschar – darunter nachweislich verbrecherische Elemente – bewaffnet hatten, ist diese Saat des Hasses aufgegangen. Daß Ausschreitungen vorgekommen sind, wurde noch vor kurzem von der Regierung zugegeben. In welchem Umfang, davon können wir uns kein Bild machen, weil die öffentliche Meinung geknebelt ist. Aber nach dem zu urteilen, was mir durch persönliche Beziehungen bekannt geworden ist, handelt es sich keineswegs um vereinzelte Ausnahmefälle. Unter dem Druck der Auslandsstimmen ist die Regierung zu „milderen“ Methoden übergegangen. Sie hat die Parole ausgegeben, es solle „keinem Juden ein Haar gekrümmt werden“. Aber sie treibt durch ihre Boykotterklärung – dadurch, daß sie den Menschen wirtschaftliche Existenz, bürgerliche Ehre und ihr Vaterland nimmt – viele zur Verzweiflung: es sind mir in der letzten Woche durch private Nachrichten 5 Fälle von Selbstmord infolge dieser Anfeindungen bekannt geworden. Ich bin überzeugt, daß es sich um eine allgemeine Erscheinung handelt, die noch viele Opfer fordern wird. Man mag bedauern, daß die Unglücklichen nicht mehr inneren Halt haben, um ihr Schicksal zu tragen. Aber die Verantwortung fällt doch zum großen Teil auf die, die sie so weit brachten. Und sie fällt auch auf die, die dazu schweigen.
Alles, was geschehen ist und noch täglich geschieht, geht von einer Regierung aus, die sich „christlich“ nennt. Seit Wochen warten und hoffen nicht nur die Juden, sondern Tausende treuer Katholiken in Deutschland – und ich denke, in der ganzen Welt – darauf, daß die Kirche Christi ihre Stimme erhebe, um diesem Mißbrauch des Namens Christi Einhalt zu tun. Ist nicht diese Vergötzung der Rasse und der Staatsgewalt, die täglich durch Rundfunk den Massen eingehämmert wird, eine offene Häresie? Ist nicht der Vernichtungskampf gegen das jüdische Blut eine Schmähung der allerheiligsten Menschheit unseres Erlösers, der allerseligsten Jungfrau und der Apostel? Steht nicht dies alles im äußersten Gegensatz zum Verhalten unseres Herrn und Heilands, der noch am Kreuz für seine Verfolger betete? Und ist es nicht ein schwarzer Flecken in der Chronik dieses Heiligen Jahres, das ein Jahr des Friedens und der Versöhnung werden sollte?
Wir alle, die wir treue Kinder der Kirche sind und die Verhältnisse in Deutschland mit offenen Augen betrachten, fürchten das Schlimmste für das Ansehen der Kirche, wenn das Schweigen noch länger anhält. Wir sind auch der Überzeugung, daß dieses Schweigen nicht imstande sein wird, auf die Dauer den Frieden mit der gegenwärtigen deutschen Regierung zu erkaufen. Der Kampf gegen den Katholizismus wird vorläufig noch in der Stille und in weniger brutalen Formen geführt wie gegen das Judentum, aber nicht weniger systematisch. Es wird nicht mehr lange dauern, dann wird in Deutschland kein Katholik mehr ein Amt haben, wenn er sich nicht dem neuen Kurs bedingungslos verschreibt.
Zu Füßen Eurer Heiligkeit,
um den Apostolischen Segen bittend
Dr. Editha Stein
Dozentin am Deutschen Institut für wissenschaftliche Pädagogik
Münster/W.
Collegium Marianum
Stimmen der Zeit (2003) 147-150, https://www.herder.de/stz/wiedergelesen/der-brief-an-papst-pius-xi/

Voltaire: Unterwegs zu einem vernünftigen Christentum

„Die wahren Philosophen sind die Apostel Gottes“
Ein Hinweis von Christian Modehn anlässlich von Voltaires Todestag am 30.5.1778 (In unserer Rubrik “Eckige Gedenktage”)

Voltaire nicht nur als Kritiker, bissig, polemisch, einseitig, zu sehen, sondern als einen Denker, der gerade heute Anregungen bietet, um einen vernünftigen, und das heißt einen dem Menschen würdigen christlichen Glauben zu entdecken: Dies mag ungewöhnlich sein und provozierend. Aber nur für den, der nicht unterscheiden kann und will zwischen dem heftigen Polemiker Voltaire in seinen jüngeren Jahren und dem Voltaire, der später differenzierter sieht, etwa, was die Gestalt Jesu Christi betrifft. Voltaire-Forscher, wie auch Bernard Cottret, weisen also auf einen Bruch, eine Weiterentwicklung im Denken Voltaires hin, dies gilt etwa ab 1760. Dass Voltaire dabei einen Widerspruch wahrnahm zwischen den Lehren Jesu und dem real existierenden Christentum/Kirche seiner Zeit (und unserer Zeit?), ist selbstverständlich.
Die folgenden Überlegungen beziehen sich auf sein “Philosophische Wörterbuch”, an dem Voltaire schon in Potsdam zu bearbeiten begann. Auf dieses “Philosophische Wörterbuch” beziehen sich diese Hinweise.

1.
In Krisenzeiten wie der Corona-Pandemie kommt vieles vorher Selbstverständliche ins Wanken. So auch der traditionelle Glaube vieler Christen und ihrer offiziellen theologischen Lehrmeister. Bisher galt: Der Gott der Christen (und der Juden) handelt, indem er in die Geschichte eingreift. Diese Meinung ist bekanntlich der Kern der Theologie vom „Bund Gottes mit den Menschen“. Dieser Gott ist in der langen Tradition der liebende und der strafende Gott. Je nach dem. Eben unergründlich, unerklärlich, mysteriös, ein Bild, verwendbar je nach Lage und Laune. Manchmal ist dieser Gott auch tyrannisch, manchmal sehr nationalistisch denkend…Der eine Gott des Alten Testaments hat viele Gesichter. Und Hiob wäre daran fast zerbrochen.
Auch in diesen Corona-Zeiten herrscht Verwirrung unter Theologen: Viele sagen: Gott mit Corona nichts zu tun. Dann hilft er also auch nicht konkret. Andere sagen. Corona hat Gott als Strafe geschickt, damit die Menschheit zur Besinnung kommt. Also dann doch durch den Tod so vieler Menschen an dieser Pandemie…
2.
Aber: Es ist heute evident, dass dieser Glaube an diesen mal hier mal dort helfenden Gott nicht mehr so viel gilt. Als Bild, Mythos von einst, warum nicht. Aber wer kann es noch ernsthaft leugnen: Der Glaube an diesen Gott ist in der Krise. Und das ist gut so. Denn so wird auch der Aberglaube überwunden.
3.
Ich bin so mutig, als religionsphilosophische Anregung einige zentrale Gedanken des Philosophen Voltaire vorzustellen.
Entscheidend ist:
Voltaire ist für mich ein „Fremdprophet“, der von außen kommt, der aber dem Christentum provozierend Wahres sagt. Der katholische Theologe Edward Schillebeeckx nannte diese Philosophen sehr richtig und voller Hochachtung „Fremdpropheten“.
4..
Willkommen also bei Voltaire, dem Fremdpropheten des Christentums, dem noch unterschätzten Erneuerer des christlichen Glaubens, vor allem wegen einiger Texte seines “Philosophischen Wörterbuches”. Vorausgesetzt ist dabei: Man nimmt alle festsitzenden, förmlich „aufgepflanzten“ Scheuklappen ab. Und meint nicht länger, was in dem sich rechtgläubig gebenden Kreisen oder in katholischen Verlagen behauptet wird: „Voltaires prinzipielle Kritik ist mit keiner christlichen Position zu identifizieren oder zu harmonisieren“ (so der Romanist Dirk Hoeges im„Autorenlexikon Religionskritik“, HERDER Verlag, 1979, Seite 296). Und der Philosoph Kurt Flasch meint: . „Je orthodoxer gedacht wird, um so heterodoxer, also ungläubiger, gilt Voltaire“ (so Kurt Flasch in seinem empfehlenswerten Buch „Kampfplätze der Philosophie“, 2008, S. 346).
5.
Der Philosoph und Schriftsteller Voltaire ( Francois Marie Arouet) wurde von katholischer und offizieller staatlicher Seite aufs Heftigste attackiert. Man hat ihm das Leben schwer gemacht. Aber er war klug sich zu schützen und gut zu überleben…
Voltaire entwickelt seine eigenen philosophisch fundierten Glaubensüberzeugungen in der Abwehr des überlieferten, damals wie heute sich rechtgläubig, orthodox gebenden Glaubens der Kirche.
Darum geht es hier! Und nicht um eine umfassende Biografie oder Deutung seiner vielfältigen Werke, die ja schon als vollendet geschriebene Prosa nicht nur inspirieren, sondern be-geistern, d.h. den kritischen Geist wecken soll. Und man muss leider auch feststellen, dass dieser große Geist von antisemitischen Vorurteilen geprägt war. Ohne diese Haltung zu entschuldigen, ist sie dennoch zeitbezogen verständlich zu machen: Durch Voltaires entschiedene Abwehr eines zu menschlich gedachten, willkürlich nach Laune handelnden, manchmal herrschsüchtigen, manchmal liebevollen Gottes der Offenbarung, auch des Alten Testaments.
6.
Das zentrale Hauptmotiv für Voltaires eigenes Glaubens-Denken ist die Kritik an einer Religion und damit an einer Gotteslehre, die die Texte der Offenbarung, also die Bibel, wörtlich versteht und entsprechend rabiat in die Praxis umsetzt. Zu Voltaires Zeit war diese Bibeldeutung die einzige kirchliche und staatlich erlaubte Exegese.
7.
Es ist in dem Zusammenhang entscheidend, Voltaires Buch „Philosophisches Wörterbuch“ zu beachten, das gern als populäre „Kampfschrift im Taschenbuchformat“ (so Karlheinz Stierle) bewertet wird: Collini, Voltaires Sekretär, berichtet: „Der Plan zu diesem Philosophisches Wörterbuch wurde in Potsdam geboren“, im Jahr 1752“, als sich Voltaire am Hof Friedrich II. aufhielt. Erst 1764 ist dieser „Dictionnaire philosophique portatif“ pseudonym – aus verständlicher Angst des Autors – erschienen: Voltaire saß bekanntlich schon als junger Mann im Gefängnis des sehr katholischen Königs…Das Buch wurde begeistert gekauft und gelesen, in neuen Auflagen immer auch ergänzt (1766 schon die 17. Auflage) …und es wurde von den Herrschern in Paris, Genf und Rom selbstverständlich verdammt und verbrannt. Der Papst setzte es auf den Index: „Ein verbotenes Buch“. Theologisch – klassisch etwas begabte Freunde dieser Herrscher schrieben auftragsgemäß ihre oberflächlichen „Gegenschriften“! Das Buch Voltaires als „Bestseller“ erschütterte die Welt.
8.
Die Kritik des damals wie heute üblichen orthodoxen biblischen Glaubens läuft bei Voltaire auf das Urteil hinaus: Dieser Kirchen-Glaube sei eine Form des Aberglaubens, der den Fanatismus verteidigt und fördert und deswegen weithin nur als Wahn bezeichnet werden kann. Beim Glauben an diesen Gott ist sozusagen alles möglich und auch gleichzeitig unmöglich. Gott wird zum Inbegriff der Unvernunft. Und dies nennen manche „göttlich“. Dieser Gott ist eher eine Projektion der zerrissenen Seelen. Vielleicht ein Tyrann?
Dem religiösen, sich christlich nennenden Aberglauben stellt Voltaire seinen von der kritischen Vernunft bestimmten Glauben gegenüber. „Voltaire war nie Atheist“, schreibt der Philosoph Kurt Flasch (a.a.O., S.335). Voltaire wollte den Atheismus absolut NICHT fördern mit seinem berühmten Spruch „écrasez l infame“, „Vernichtet das Niederträchtige, das Unverschämte“: Damit meinte er die engste Liaison von absoluter Herrschaft und fundamentalistisch verstandenem Glauben. Es ist die praktizierte Frömmigkeit, die Voltaire missbilligt, etwa den religiöse Fanatismus von Menschen, die lieber Gott (und den religiösen Traditionen) als den vernünftigen Gesetzen gehorchen. Voltaire schreibt: „Und daher sind diese Frommen überzeugt, in den Himmel zu kommen, wenn man einem anderen Menschen – aufgrund von Gottes Willen – den Hals abschneidet“ (S. 246). Ein aktuell anmutender Hinweis!
Darum die Forderung: „Vernichtet den Aberglauben, auch den in der Kirche“. Diesem Impuls folgt sein Buch, das über einen längeren Zeitraum entstanden ist, das bewusst populär sein will und keinen Anspruch stellt auf ausgereifte philosophische Systematik.
9.
Voltaire verstand sich selbst, um hier einmal eher oberflächliche Kategorien zu gebrauchen, nicht als Deist, sondern als THEIST. Diese Verwischung beider Begriffe war im 18. Jahrhundert üblich. Im „Philosophischen Wörterbuch“ nennt sich Voltaire „Theist“. (Man lese etwa den Artikel „Atheisten“ , S. 71 in der Ausgabe Reclam, Leipzig, 1967).Denn der Gott Voltaires lebt, er spricht in der Seele, er inspiriert zum Handeln, zum Tun des Guten. Er ist der Welturheber. Und nicht nur eine „Weltursache“.
10.
Heilmittel gegen Fanatismus ist für Voltaire die Philosophie, weil sie – wie die vernünftige Religion – „die Ruhe der Seele bewirkt“ (246)
11.
Dies ist das Zentrum von Voltaires Theismus: Gott hat den Menschen ein vernünftiges moralische Gesetz gegeben. Diese Theisten „brauchen keinen äußeren Kultus“ (S. 72). „Sie sind friedfertig“, sie sind „Anhänger der Toleranz“ (73). Diese Glaubenden „sind Philosophen“ (73). „Daher betrachte ich die wahren Philosophen als die Apostel Gottes“ (70). Newton ist Voltaires Vorbild. „Je besser man seitdem die Natur erforscht hat, je klarer hat man deren Schöpfer erkannt“ (71). Diese Theisten verteidigen eine universale Moral der Menschen, „im Gewissen dringt die Stimme Gottes zu den Menschen“ (74). „Möglicherweise gibt es in uns etwas Unzerstörbares, das empfindet und denkt, ohne dass wir die geringste Vorstellung davon haben, wie dieses etwas beschaffen ist…“ (82). Etwas UNZERSTÖRBARES im Menschen könnte es geben! Also etwas „Ewiges“.
12.
Die Vernunftreligion ist für Voltaire unverzichtbar für das Glück der Menschen. Atheismus ist für ihn – wie der Fanatismus – ein, so wörtlich, „Ungeheuer“, das die „Gesellschaft zerreißen und verschlingen kann“ (69). Voltaire respektiert Atheisten „als kühne Gelehrte“. Aber „sie sind vom rechten Weg abgekommen und ziehen die falschen Schlüsse, nehmen ihre Zuflucht zur Hypothese der Ewigkeit der Welt….weil sie Probleme wie die Schöpfung der Welt, den Ursprung des Bösen und andere Schwierigkeiten nicht bewältigen können“(78).
13.
Voltaires Vorschlag, Gott als das höchste Wesen zu denken, kann heute übersetzt werden: Gott als den letzten und wahren Sinngrund wahrzunehmen, als einen umfassenden, bergenden Sinngrund, innerhalb dessen Menschen leben können in allen Situationen, von Liebe und Leid, Freude und Trauer. Jesus von Nazareth ist der Lehrer von Weisheit und das ewig lebendige Vorbild, dem zu folgen schon in diesem „irdischen Leben“ Erlösung bedeutet. Jesus lehrt als göttlichen Auftrag, respektvoll, gerecht, mitfühlend zu leben, gegenüber andere Menschen, gegenüber der Natur.
14.
Diese Ausführungen Voltaires zu seiner vernünftigen, also dem Menschen entsprechenden „theistischen Philosophie“ eröffnen neue religiöse Lebendigkeit. Bittgebete im magischen Sinne brauchen diese Frommen nicht mehr. Sie wissen sich als Gläubige von Gott geborgen, in einen tragenden Sinn gesetzt, der sie nicht verzweifeln lässt angesichts des Todes. Und das besprechen diese Gläubigen miteinander in einem reifen Gespräch ohne Tabus! Und plappern nicht ständig irgendwelche Bittgebete.
Es gibt also eine vernünftige Spiritualität, die sich von Voltaire anregen lässt. Dieser Glaube ist für den einzelnen wie für andere intellektuell nachvollziehbar. Es ist dieser einfache christliche Glaube, der heute so vielen Menschen so erstrebenswert erscheint, als Einheit von einfacher Theorie/Theologie und humaner Praxis.
15.
Die alte kirchliche Welt, mit ihrer unüberschaubaren und immer noch barocken Fülle von Riten und Geboten und Gesetzen und Lehren und Dogmen und klerikalen Hierarchien: Diese alte Welt sollte von diesen vielen religiösen, durchaus auch ideologischen Traditionen befreit werden. Dafür ist Voltaire eine inspirierende Hilfe. Er stellt die alles entscheidende Frage den Christen: Ist euer Glaube vernünftig, ist er in vernünftiger, argumentierender, selbstkritischer Sprache vermittelbar? Hat er positive Auswirkungen für eine humanere Welt? Oder ist er nur ein euch egoistisch berauschendes charismatisches Tralala, ein Wunderglaube, Aberglaube, eine Bindung an Hierarchen, an den Klerus, der mehr sein will als die Laien?

Ob dieses vernünftige Christentum eine Chance hat, Wirklichkeit zu werden?

Nebenbei: Wie in diesem Hinweis gezeigt wurde, ist die Erfahrung und die Auseinandersetzung mit dem tragenden, gründenden Lebenssinn das Zentrum eines vernünftigen Glaubens, auch im Sinne Voltaires. Um so mehr muss es überraschen, dass der noch ziemlich junge Theologieprofessor Joseph Ratzinger im Sommer 1968 (“68”!) sozusagen beim Abschied von der Uni Tübingen das damals viel gelesene Buch “Einführung in das Christentum” veröffentlichte. Und darin auf Seite 47 diese bemerkenswerten Worte schreibt: “Christlich glauben bedeutet ja, sich anvertrauen dem Sinn , der mich und die Welt trägt, ihn als festen Grund annehmen, auf dem ich furchtlos stehen kann”. Ein Wort einer vernünftigen Theologie, könnte man denken. Und zurecht meinen: Damit ist alles Wesentliche gesagt. Aber nein: In den folgenden 250 Seiten dieses Buches und in allen vielen weiteren Büchern wird Ratzinger bis heute zum Apologeten der alten “klassischen”, und wie er stets meint, “katholischen Theologie”. So wird der Stillstand des theologischen Denkens nur einmal mehr bezeugt. Dieses nur auf Verteidigung des Alten bezogene Theologie kann nur von der Polemik gegen alles “liberal-theologische” bestehen. Das wird bei Ratzinger schon 1968 in der Polemik gegen den großen protestantischen Theologen Adolf von Harnack deutlich…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Ratzinger/Ex-Papst Benedikt: Die gescheiterte oberste Reinigungskraft

Das Leitbild im Denken Joseph Ratzingers: Die Reinigung
Ein Hinweis von Christian Modehn

“Reinigung” der katholischen Kirche war eines der Lieblingsworte Joseph Ratzingers, zumal, als er im Vatikan tätig war. Diese von ihm so oft beschworene Reinigung der Kirche war förmlich sein Programm, Reinigung gestaltete er als Kardinal wie als Papst vor allem als Verfolgung und Ausschluss von angeblichen theologischen Abweichlern (siehe die Verfolgung von progressiven Theologen, LINK). Den Staub und Schmutz der Traditionalisten (im Umfeld Lefèbvres) sah er nicht, im Gegenteil, diese “Revisionisten” des 2. Vatikanischen Konzils hofierte er höchst persönlich (siehe etwa Ratzinger und das traditionalistische Kloster Le Barroux oder die “Versöhnung” mit den Lefèbvre-Bischöfen). Und mit der nun wirklich gebotenen Reinigung der Kirche von klerikalen Tätern sexuellen Missbrauchs hatte er es nicht so eilig…

Ratzinger war wohl zu schlau, dass er nur das Wort Reinigung als sein Programm verwendete und nicht das politisch bekanntere und viel deutlichere Wort “Säuberung”. Politische Säuberungen (etwa in der Sowjetunion) führten bekanntlich zu Ausschluss, Verfolgung und allerdings auch zu Mord und Totschlag etwa durch Stalin. Die Reinigungen Ratzingers störten und verletzten allerdings meist nur “die Seele” der Betroffenen, und oft auch ihr materielles Wohlbefinden… Wen Ratzinger als “oberster Glaubenschef” allerdings unter den lateinamerikanischen Befreiungstheologen zu einem Kommunisten oder Sozialisten erklärte, war sich seines Lebens in den Diktaturen dort nicht mehr sicher, siehe das Martyrologium in Lateinamerika. Über den Zusammenhang von Reinigung und Säuberung im durchaus von seinem Tun beinahe besessenen Ratzinger (und Johannes Paul II.) werden alsbald kritische Historiker forschen, hoffentlich. CM.

1.
Wer heute noch Zeit und Nerven hat, den entscheidenden theologischen Hintergrund von Joseph Ratzinger, dem einstigen Chef der vatikanischen Glaubensbehörde und nun EX-Papst Benedikt XVI., wahrzunehmen, der sollte seinen obersten Wert studieren: Es ist der Begriff Reinigung. Denn Ratzinger war und ist die unentwegte oberste Reinigungskraft der katholischen Kirche.

Von Reinigung als seiner Hauptaufgabe spricht er auch jetzt wieder: In der neuesten Biografie des Ratzinger Intimus Peter Seewald. Darin bekräftigt Ratzinger seinen bekannten universalen Anspruch: „Ich wollte ja nicht bloß und nicht einmal in erster Linie die Reinigung in der kleinen Welt der Kurie voranbringen, sondern in der Kirche als ganzer.“

So tröstlich: Als oberster Sauberkeits-Chef fühlt sich Joseph Ratzinger noch immer, sonst hätte er nicht schon wieder darauf verzichtet, seinen Mund zu halten und als EX-Papst gebührend Buße zu tun und zu schweigen, wie es sich gehört.
2.
Zur Erinnerung: Es gefiel den Herren der Kirche, vor allem Papst Johannes Paul II., dass Ratzinger schon als Theologieprofessor und Erzbischof sehr die Reinigung liebte, d.h. die Kritik von „dogmatischen Schmutzfinken“.
Deswegen wurde ihm das oberste Reinigungsamt im Dienste des Herrn, im Vatikan, übergeben, das heißt: Die Leitung der Glaubenskongregation, die im 16. Jahrhundert gegründet, als römische Inquisitionsbehörde funktionierte: Reinigung hieß für die Inquisitoren immer Reinigung von so genannten Irrlehren durch Verbrennung und Auslöschung der angeblichen „Beschmutzer“ der angeblich „reinen“ Lehre. Man denke etwa an den prominenten Fall des Giordano Bruno.

Zurück zur obersten Reinigungskraft Joseph Ratzinger: Er setzte als Chef der Glaubenskongregation seit 1981 das große Saubermachen mit Bravour durch: Niemand wie er war so sensibel für den Geruch der häretischen Fäulnis, des angehäuften Schmutzes in so vielen theologischen und philosophischen Büchern, des revolutionären Ungeistes in verderbten Klöstern und theologischen Seminaren. Wo immer Ratzinger den klerikal-theologischen, vor allem den – in seiner Sicht – miesen reformerischen Dreck wahrnahm, schickte er seine Reinigungskolonnen los, die bis nach Brasilien, Peru, El Salvador, Sri Lanka, Indien, Japan ausschwärmten, nach Holland sowieso und nach Frankreich und nach Deutschland auch, etwa zu seinem alten Kollegen Hans Küng in Tübingen. Die Kolonnen, assistiert von Hilfskräften in den jeweiligen Ländern, sollten vom UnGeist der angeblichen Häretiker reinigen, indem sie versuchten, ihnen mindestens den Mund zu stopfen. Auch Küng verbreitete einen üblen Gestank mit seinen Büchern, die sich kritisch mit der Unfehlbarkeit des Papstes und dann auch mit der Kirchenreform befassten.
3.
Interessanterweise hat die oberste Reinigungskraft mit ihren zahllosen Bediensteten immer nur den angeblichen Schmutz beseitigen wollen, den so genannte Linke, schlimmstenfalls angebliche Marxisten, immer aber Reformer, progressive Laien, Theologen, Bischöfe, erzeugten. Den realen Gestank, den rechtsgerichtete und rechtsextreme katholische Kreise erzeugten aus dem Umfeld der Piusbrüder und anderer Traditionalisten, wollte man wie unter eine Art Käseglocke stellen und dadurch wieder als normal erscheinen lassen. Man denke nur daran, wie glücklich und wohl sich die oberste Reinigungskraft Kardinal Ratzinger in traditionalistischen Kreisen fühlte, etwa unter den reaktionären Benediktinern von le Barroux in Frankreich oder im Linzer Priesterkreis oder bei den Petrusbrüdern…Le Barroux war ein traditionalistisches Benediktinerkloster unter Führung des rechtsradikalen, Front National verbundenen Abtes Dom Calvet. Dort hielt sich Ratzinger gern auf und überredete Calvet und seine Mönche, sich mit dem Papst zu versöhnen. “Alles anderes könne so bleiben wie bisher“. Dies nennt man „Reinigung“ der ganz oberflächlichen Art.

Darum merke: Die oberste Reinigungskraft agierte einseitig. Sie sah Schmutz, wo keiner oder wenig war, wie bei den Reformern. Und sie übersah den Dreck, der antisemitisch und sehr rechtslastig gar nicht zu übersehen war.
Und die vatikanischen Reinigungskräfte ignorierten besonders gern den Dreck in Klerikerkreisen, wo viel Geld vorhanden war, etwa bei dem Gründer des Ordens der Legionäre Christi, Marcial Maciel, der als Multimillionär (durch Erbschaften erschlichen) den ganzen päpstlichen Hof immer wieder so reicht beschenkte, vorzüglich mit feinstem, teuren Schweineschinken aus Spanien zum Fest der Geburt Christi… Geld stinkt nicht, war auch die Devise der obersten vatikanischen Reinigungskräfte und sie säuberten nicht.
Maciel wurde als bekannter sexueller Missbrauchstäter von dem polnischen Papst wie ein Freund unterstützt. Ratzinger wusste davon, tat aber als Kardinal nichts dagegen. Auch oberste Reinigungskräfte drücken manchmal alle Augen zu und ertragen gern den Dreck, weil das ja auch Vorteile, finanzielle bei Maciel, bringen kann.
4.
Aber dann wurde aus Ratzinger Benedikt. Plötzlich wurde er mit den Bergen des ganzen alten Drecks konfrontiert, er sah zwei riesige Ansammlungen an Schmutz: Den Umgang des Papst-Staates mit dem Geld. Und den verbrecherischen Umgang, den Tausendende von Priestern mit Kindern „praktizierten“. Und er war empört, dass sich Journalisten erdreisteten, seine ureigene Aufgabe als oberste Reinigungskraft zu ersetzen: Man denke an die so genannten „Vati(can)-Leaks“, also geheime Dokumente zum vatikanischen Schmutz, die 2011 und 2012 an die Öffentlichkeit gelangten. Seither stinkt es förmlich an vielen Orten der Kirche, und der Ex Papst ist hilflos. Wahrscheinlich sieht er seine eigenen Fehler beim Reinemachen: Wenn er Schmutz wahrnahm in diesen dunklen Barock-Behausungen und Palästen des Vatikans, dann wurde Jahre lang alles unter die wertvollen Teppiche gekehrt. Damit es niemand sieht. Wenn die Teppiche angesichts des darunter gekehrten Drecks sich erhoben, Berge bildeten, dann begannen das nervöse Vertuschen, Verschweigen, Versetzen der Mitarbeiter, die Ablenkungsmanöver. Zu viel Dreck war einfach liegen geblieben, manchen Dreck musste er liegen lassen, weil sonst das heilige Image der heiligen Kirche gefährdet gewesen wäre. In seiner Sicht. Aber der Schmutz in der Kirche wuchs dem Reinigungsspezialisten förmlich über den Kopf. Und je schmutziger es wurde, deso nobler und feiner und sauberer wurden die päpstlichen Gewänder und die hübschen roten Schuhe.
5.
Als das Buch von Peter Seewald „Letzte Gespräche“ im Jahr 2016, drei Jahre nach dem Rücktritt, erschien, erklärte der EX-Papst und leidenschaftliche Putz-Mann: Es sei ihm nicht gelungen, die Kirche so vom „Schmutz“ zu reinigen, wie er sich das gewünscht habe (Tagesspiegel, 8.9.2016).

Der Saubermann war letztlich hilflos, er ist gescheitert, sein Rücktritt ist Ausdruck der Resignation und Schwäche. Viel zu viel Schmutz. Der oberste Putzmann trat also ab. Flog mit dem Helikopter nach Castel Gandolfo, kehrte aber bald in den Vatikan zurück und rückte Papst Franziskus auf die Pelle.
Nach einer gewissen Zeit des Schweigens aber machte der Ex – Papst wieder viel Gedöns, nun wieder einmal zusammen mit Peter Seewald. Denn der alte Saubermann weiß: Ich habe aus alter Zeit noch meine Ergebenen, meine Mitarbeiter, meine Gemeinde…Meine parallele (saubere?) Kirche.

Auch jetzt, in Zeiten der Corona-Pandemie, kann der alte Putzmann nicht den Mund halten. Für ihn hat das Reinigen kein Ende. Wenn er schon die Kirche in seinem Sinne nicht reinigen konnte bzw. „nur“ den linken Flügel reinigend ausradierte, dann putzt er eben, ziemlich aufgebracht für einen Greis, auf internationaler, politischer Ebene. So in dem neuen Buch von Peter Seewald. Ratzinger sieht so viel üblen säkularen Humanismus, so viel säkulares Denken, so viel Homo-Ehen und was sonst noch alles aus dem Repertoire des Reaktionären, dass er eigentlich die Moderne in ihrem Schmutz versenken will. Und seine frommen Anhänger, von den vatikanischen Palästen bis nach Traunstein und Regensburg, fragen sich angesichts des Alters des obersten Reinigers: „Mein Gott, wer soll denn das alles noch desinfizieren?“ „Wer beschert uns eine klinisch reine, desinfizierte Kirche, die wir so ersehnen, so schön steril“?
6.
Man denke aber den Reinigungsbegriff einmal weiter: Denn aus der Reinigung wird meist auch Säuberung. Um diesen Begriff zu erhellen, lese man, was Stalin unter Säuberung verstand oder die Nazi-Ideologen: Sie alle wollten das totalitäre Groß-Reinemachen, wollten Säuberungen vornehmen. Auch ein gewisser „Menschenschmutz“, wie sie sagten, wurde dabei weg gefegt, verbrannt. Darum folgt auf die Säuberung oft die Auslöschung.
So gibt es also eine Art Trinität: Reinigung – Säuberung -Auslöschung.

Damit will ich nur auf einen geistigen, politischen Zusammenhang hinweisen. Ich sage ja nicht, dass Ratzinger mit Stalin vergleichbar wäre oder mit den verbrecherischen Reinigungskräften des NS Systems. Ich sage nur: Der einseitige Reinlichkeitszwang Ratzingers war und ist ein Hinweis auf totalitäres Denken gegenüber kritischen Christen und kritischen Menschen überhaupt. Nur we der eigenen rechtslastigen Ideologie entsprach oder viel geld hatte, konnte in seinem nun wirklichen Schmutz bleiben. Treffend sprach ja der große katholische Theologe Hans Küng im Zusammenhang des Vatikans von totalitärer Ideologie. Diese mag jetzt unter Papst Franziskus etwas milder geworden sein, in einigen Kreisen jedenfalls. Aber der üble Geruch des bewusst und leidenschaftlich verteidigten Anti-Demokratischen (Wahlrechte, Synodale Strukturen, Gleichberechtigung de Frauen usw.) bestimmt noch immer den Vatikan und seine vielen internationalen Dependenzen.

Hinweise:
Die vielen Belege zum Thema „Reinigung und Ratzinger“ können hier gar nicht aufgeführt werden.

Als Erzbischof von München entwickelte er in seiner Silvesterpredigt 1980 den Gedanken, es müsse auch eine Art akustischer Reinigung geben: Denn nach dem Papstbesuch 1980 in Deutschland habe es „feindselige Nebentöne“ gegeben.. „und es werde immer auch in der Kirche Nebentöne von schlecht gestimmten Pfeifen geben, die sich vordrängen und den Klang bestimmen wollen“. (Hg. vom Pressereferat der Erzdiözese München und Freising, Seite 3.) Der Wahlspruch von Erzbischof Ratzinger war: „Cooperatores veritatis“, „Mitarbeiter der Wahrheit“. Ein solcher Mitarbeiter reinigt natürlich von Unwahrheiten, wischt sie weg.

Schon am 29.11.1991 hatte der Journalist Hans Jacob Stehle in der ZEIT ein Interview mit Kardinal Ratzinger unter dem Titel „Auch die Religion bedarf der Reinigung“ geführt.

Konkretisiert wurde dieser Reinigungsgedanke in seinem Vortrag bei den Salzburger Hochschulwochen 1992 „Der christliche Glaube vor den Herausforderungen der Kulturen“. Das lief bei Ratzinger darauf hinaus, dass die (nichtchristlichen) Religionen alle auf Christus verweisen. Also dann nahe liegenderweise von der Kirche gereinigt werden. (Styria Verlag, 1993, Evangelium und Kultur, S. 15, 16, 24)

Am 19.1.2004 sprachen Kardinal Ratzinger und Jürgen Habermas miteinander in der Katholischen Akademie in München. Am Schluss seines Vortrags sprach Ratzinger ausdrücklich von der Reinigung, von der „gegenseitigen Reinigung“ von Vernunft und Glaube. Allerdings nannte Ratzinger die Vernunft „das göttliche Licht der Vernunft“, das die von ihm genannten Pathologien auch der Vernunft reinigen soll. Dieses göttliche Licht der Vernunft ist für Ratzinger wohl in erster Linie, als göttliches (!) Licht, ein Bestandteil der Kirche(nführung)? Und nicht die allen gemeinsame menschliche Vernunft? Bezeichnenderweise nannte Ratzinger die Pathologien der Vernunft bedrohlicher und größer als die Pathologien der Religionen. Von Pathologien im Katholizismus war bei ihm in München nur ganz am Rande und im Hinweis auf Kirchenväter des 4. Jahrhunderts die Rede!

Im April 2008 sprach Benedikt XVI. während seiner Reise in den USA von der „Reinigung der Kirche“ usw…auch bei anderen Reisen.

Am 17.5.2010 veröffentlichte Peter Seewald „40 Fragen an den Papst“ und nannte Reinigung das Lieblingswort Ratzingers.

Das Buch von Peter Seewald: „Benedikt XVI. Ein Leben. 1184 Seiten. 2020. Verlag Droemer/Knaur.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin