Erzbischof Koch will Merkel helfen

Ein Hinweis von Christian Modehn

….Endlich erhält die doch ein bisschen umstrittene Kanzlerin geistlichen Beistand….

Der Erzbischof von Berlin, Heiner Koch, hat jetzt der Kanzlerin (CDU) in einem „persönlichen Schreiben“ (wie die erzbischöfliche Pressestelle in einer kurzen Meldung vom 15.3. 2018 mitteilt) bischöfliche Hilfen angeboten.

In dem Schreiben des katholischen Bischofs an die Regierungschefin Deutschlands ist einiges sehr bemerkenswert und verdient theologische –politische – philosophische Beachtung:

Das bischöfliche Schreiben macht erneut deutlich: Wir leben in Deutschland in einer Republik, in der sich ein Kirchenführer der Kanzlerin als Helfer (Koch spricht, Paulus zitierend, von „geteilter Last“) anbietet. Der Bischof und die Kanzlerin sind also gemeinsam unterwegs mit ihrer Last… Und teilen sie… Unklar bleibt, ob denn auch Frau Merkel die zweifelsfrei anders geartete Last von Bischof Koch mittragen sollte… Entscheidend bleibt: Ist dieses Hilfsangebot des Bischofs Ausdruck der Kirche – Staat – Beziehung in Deutschland? Sicherlich! Von einer Kirche – Staat – Trennung also kann in der Bundesrepublik bekanntlich keine Rede sein! Beide, Kirche und Staat, helfen einander, arbeiten zusammen, teilen sich die Lasten! Etwa auch im Falle der Einziehung von Kirchensteuer etc…. Dabei ist Deutschland statistisch gesehen kein „christlicher Staat“ mehr, man lese bitte die Konfessionsstatistiken: Jeder Dritte nennt sich „konfessionsfrei“, aber sicher nicht automatisch „atheistisch“. Man hat nur „die Nase von dieser Kirche voll“, wie man so sagt..

Heute geschieht die Lasten – Mitträgerschaft der Kirchen vor allem, weil die Kirchen weite Bereiche der sozialen Solidarität übernehmen, Hilfen und Leistungen, die eigentlich der sich sozial nennende deutsche Staat übernehmen sollte und müsste! Das gilt vor allem im Bereich der Überlebenshilfe für die stetig wachsende Zahl der Millionen Armer und der vielen tausend Obdachlosen. Da verlässt sich der sich sozial nennende, tatsächlich aber den Reichen dienende und denen zuerst verpflichtete Staat auf die Hilfe der Kirchen. Das ist keine „klassenkämpferische“ Erkenntnis, sondern allgemeine Erkenntnis angesichts des Koalitionsvertrages 2018, etwa im Blick auf die Steuerpolitik.

Wichtiger ist: Erzbischof Koch betont, so wörtlich „Eine entchristlichte Gesellschaft (er denkt dabei wohl an den Wahlkreis von Frau Merkel Vorpommern – Rügen, sicher aber auch an das ganze „Ostdeutschland“, wohl auch an Berlin) bietet immer auch den Nährboden für radikale Thesen und eine gefährliche Politik, der wir uns in jedem Fall entgegenstellen müssen“.

Man fragt sich angesichts dieser Behauptung: Ist Erzbischof Koch tatsächlich auch Theologe? Hat er vergessen, wie viele „radikale Thesen und gefährliche Politik“ seit Jahrzehnten in überwiegend katholischen Ländern wie Italien Realität sind? Die Mafia Bosse nennen sich gern katholisch und finden im katholischen Milieu Unterstützung. Das Phänomen Mafia ist im Katholizismus entstanden. Keine Frage! Hat Koch vergessen, dass katholische Politiker in fast allen Staaten Lateinamerikas seit Jahrzehnten und immer wieder „gefährliche Politik“ (Korruption, Gewalt, Ausgrenzung der Armen) betreiben. Ist der Faschismus nicht vor allem in katholischen Ländern, wie Spanien, Portugal, Italien entstanden? Insofern ist die unterschwellige Behauptung, vor allem (nur ?) in kirchenfernen, also säkularisierten und damit wohl auch atheistischen Ländern passiere “Radikales und Gefährliches”, eine gewisse Ungeheuerlichkeit. Damit diffamiert man Atheisten, zu denen ich (katholischer Theologe) als Protestant explizit NICHT gehöre! Will der Bischof mit solchen dummen Abgrenzungen etwa eine neue Gesprächsgemeinschaft der ideologisch unterschiedlichen Bürger schaffen?

Die entscheidende Frage an den hilfsbereiten Erzbischof: Was tut denn die römische Kirche de facto und praktisch in den Gegenden Vorpommerns und Brandenburgs? Was tut die Kirche auf den Dörfern und in den kleinen Städten, um den jungen (arbeitslosen) Menschen beizustehen, Hilfen anzubieten, Treffpunkte für alle und nicht nur für die Katholiken anzubieten. Meines Wissens äußerst wenig, zumal ja sich die Kirche im Zusammenhang der Gemeindezusammenlegungen eher aus den Regionen dort zurückzieht, als dass sie dort die dringende soziale Hilfe gestaltet.  Aber man jammert kirchlich gern – zurecht – dass NPD und AFD auf den Dörfern der genannten Regionen die einzigen Freizeitangebote machen… Aber vielleicht würden sich diese säkularen Menschen kaum in katholische Häuser wagen, weil sie dort möglicherweise mit einer ohnehin problematischen Moral und Sexualmoral konfrontiert würden. Aber die Gemeinden als Gemeinden könnten schon praktisch ihre „Offenheit“ für alle zeigen, sie sollten sich nicht auf die ohnehin auch dort schwach vertreten Organisation „Caritas“ verlassen. Weil also in Vorpommern und Brandenburg so wenig passiert an kirchlicher und gemeindlicher Hilfe, Beratung, Unterstützung der säkularisierten Menschen dort, ist dieser Brief an Merkel eigentlich eine Irreführung. Er erzeugt Nebel.

Erzbischof Koch will vielleicht auch gute Stimmung machen bei der Kanzlerin, weil er sich dringend der vom Bund zugesagten Millionen Euro für den überflüssigen und hoch umstrittenen Umbau der Hedwigskathedrale noch einmal versichern will. Ob der Berliner Senat den Umbau der Kathedrale mit finanziert, ist ja noch ein bisschen umstritten. Vielleicht setzt sich dort die Erkenntnis durch: Es gibt Dringenderes für die Menschen dieser Stadt, als – sorry – ein Loch in der Kathedrale zu stopfen.

In jedem Fall wird auch anlässlich dieses Hilfsangebotes des Erzbischofs an die Regierungschefin Deutschlands klar: Es sollte eigentlich mal wieder gründlich über die Trennung von Kirche und Staat in Deutschland diskutiert werden. Davor haben die meisten Politiker Angst! Die katholischen Bischöfe Frankreichs, wie auch die Leitungen der Protestanten und Juden und Muslims dort, sind jedenfalls sehr zufrieden mit der dortigen laicité, also der seit 1905 bestehenden TRENNUNG von Kirche und Staat. Diese Tatsachen in Frankreich sind evident. Auch wenn sie aus Unkenntnis und Polemik ständig katholischerseits in Deutschland bestritten werden und man sie hier nicht wahrhaben will. Der Klerus in Deutschland fürchtet eben auch um seine dicken Gehälter. Ein Beispiel und ein Vergleich: Der Kardinal Erzbischof von Köln hat monatlich ein (staatliches) Gehalt von ca. 12.000 Euro (A). Der Kardinal von Paris erhält nach eigener Auskunft 2018 in „Paris Match“: 1.400 Euro Monatsgehalt (B). Ein anderes Beispiel: Alle Priester im Bistum Tours (Loire) verdienen monatlich 962 Euro.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Quellenangaben:

(A)Über die Gehälter des Klerus in Deutschland, auch der Bischöfe gibt es einige zuverlässige Informationen, etwa: https://www.steuerklassen.com/gehalt/kardinal/

(B): Zu Paris: Interview vom 15.1.2018:

http://www.parismatch.com/Actu/International/Monseigneur-Aupetit-au-chevet-de-Paris-1436759

Zum Gehalt der französischen Bischöfen, da liegen umfassende neueste Zahlen nicht vor, aber es hat sich gegenüber der 2013 von „le Parisien“ veröffentlichten Info sicher wenig geändert: http://www.leparisien.fr/espace-premium/air-du-temps/combien-gagnent-nos-eveques-27-10-2013-3262135.php

Zum Bistum Tours: https://fr.aleteia.org/2017/08/01/comment-les-pretres-sont-ils-payes/

Was für Tours gilt, das gilt für alle anderen Bistümer, abgesehen vom Elsass und dem Département Moselle wegen des dort noch geltenden Konkordates aus Napoleons Zeiten.

Hans Blumenberg und die Matthäuspassion von Johann Sebastian Bach

Ein Hinweis von Christian Modehn (ergänzt am 26.6.2020)

Hans Blumenberg (1920 bis 1996) ist ein sehr „vielschichtiger“, gerade darin aber ein sehr anregender Philosoph. Auch wenn er in einer Distanz zur christlichen Religion und zu den Kirchen lebte: Die Matthäuspassion von Johann Sebastian Bach war ihm wichtig.
Der Text der Matthäuspassion, das Gottesbild, das da erscheint, ist Blumenberg sehr befremdlich. Darüber hat er 1988 ein recht umfangreiches Buch, eine Art „Meditation“, veröffentlicht (bei Suhrkamp). Die Bibel-Sprüche und Texte der Arien usw. aus der “Matthäuspassion” Bachs sind ihm, dem modernen, kritischen, aber für grundlegende Sinnfragen sehr aufgeschlossenen Hörer letztlich kaum erträglich. Blumenberg deutet die Botschaft der Matthäus-Passion als traurige, irritierende abstoßende Botschaft. Sie enthält den unerträglichen Gedanken, dass Gott seinen eigenen Sohn aufopfert in dem grausigen Tod. “Sonst verlassen die Söhne die Väter. Dieses Mal lässt der Vater den Sohn in dem Elend, das er ihm auferlegt hat”(S. 249). Und mit dem Schrei Jesu am Kreuz “Mein Gott, warum hast du mich verlassen?” deute Jesus an, meint Blumenberg: Gott selbst ist in dem Moment gestorben..

ABER: Der heutige Hörer der Matthäus-Passion Blumenberg kann, trotz dieser Einwände, die Matthäuspassion doch noch hören und schätzen lernen. Er kann die Texte als Metaphern verstehen. Und allein durch die Musik wird der Hörer bewegt. Er kommt selbst z.B. in eine eigene Stimmung des eigenen Leidens und Mitleidens. Er wird in eine Schwebesituation geführt. Musik bringt etwas zum Tönen, was Blumenberg ergreifend/tröstlich findet. Es gibt für ihn diese transzendierende Erfahrung. Franz Josef Wetz schreibt in seiner Blumenberg Studie (Junius Verlag, Hamburg, 2011,S 64): “Sie (die Matthäuspassion Bachs) mache das Unerträgliche erträglicher und tröste den Menschen selbst dann noch, wenn die Auferstehung Christi niemals stattgefunden haben sollte… Die Musik sei so stark, dass sie den Menschen selbst über den Verlust dieses Trostes hinwegzutrösten vermöge”.

Zu diesen Einsichten kommt aber Blumenberg, indem er die historisch kritische Bibelwissenschaft eigentlich ablehnt und in der unmittelbaren Reflexion auf die Bibeltexte seine eigenen, sehr persönlichen Einsichten gewinnt. Eine ungewöhnliche Bibellektüre, die eigene Fragen aufwirft. Der Philosoph Franz Josef Wetz hat in seinen Blumenberg-Studie den sehr eigenwilligen Umgang des kirchenkritischen, aber religiös “suchenden” Philosophen mit den Texten der Bibel treffend beschrieben: “Geradezu ratlos steht man vor seiner (Blumenbergs) gewaltsamen Auslegung biblischer Texte …und dann diese werkwürdigen Exegesen und irrationalistischen Erzählungen im schlechtesten Sinn des Wortes” (S. 64 f.) Wetz bezieht sich dabei etwa auf eher esoterisch wirkende Vorstellungen Blumenbergs von einer misslungenen Schöpfung, also einem letztlich unvollkommenen Gott…

Aber es bleibt wohl dabei: Über die Ästhetik der Musik allein findet der Mensch einen Halt, selbst in einer Matthäus-Passion, deren Texte sehr fremd erscheinen.
Nebenbei gefragt: Wie viele Gläubige und Ungläubige weinen beim Hören der Matthäuspassion oder der Johannespassion? Entsprechende “Geständnisse” sind bekannt. Was bedeutet diese Sprache der Tränen? Wird ein Verlust beweint? Was aber hat man vor dem Verlust im Umgang mit den Texten erlebt? Was hat den Menschen zum Abschied von diesen Texten, diesen Inhalten, geführt, zu einem Abschied, den der Mensch jetzt als Verlust erlebt? Eine Rückkehr in die alte Glaubenswelt war für Blumenberg ausgeschlossen, für ihn, der zu Beginn seiner philosophischen Laufbahn noch die klassische katholische Scholastik kannte und mitvollzogen hatte. Der alte Glaube gehörte für ihn zu einer “alten Welt” mit einem alten, im Sinne des nicht mehr erträglichen Weltbildes. Dieser Sprung in die “alte Welt” war ihm – wie vielen anderen – nicht möglich. Wäre Blumenberg der Glaubenswelt der Kirche verbunden geblieben, wenn diese Glaubenswelt reformiert und “modernisiert” wäre? (Nebenbei zum Thema Tränen: Der Philosoph Herbert Schnädelbach hat in seinem Aufsatz “Der fromme Atheist” darauf hingewiesen, dass ein “frommer Atheist” – also er selbst – etwa den Schlusschoral der Johannes-Passion von Bach “nicht anzuhören vermag, ohne mit den Tränen zu kämpfen. Was sich da einstellt, ist eine Mischung aus Trauer und Wut, dass das alles (also die kirchliche Botschaft, CM) nicht wahr ist” (Herbert Schnädelbach, Religion in der Moderne, 2009, S. 80).

Die Frage aber bleibt: Sollen Gläubige und Ungläubige sich der Tränen beim Hören von Bach schämen? Bitte nicht! Vielleicht ist das (gemeinsame) stille (ungetröstete ?) Weinen eine sonderbare Form eines momenthaften, verbal gar nicht artikulerten „Halt gefunden haben“? Darüber wird kaum gesprochen.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

Philosophie in Deutschland in der Krise?

Ein Ortswechsel der Philosophen könnte der Beginn einer Besserung sein.

Ein Hinweis von Christian Modehn

Die Krise „der“ Philosophie in Deutschland, wie sie Wolfram Eilenberger in “DIE ZEIT” vom 1.3. 2018 (S. 69), unter dem Titel “Wattiertes Denken” sogar wörtlich als „desolaten Zustand“, beschreibt, ist meines Erachtens etwas übertrieben. Er erwähnt ja selbst zwei relativ neue und noch nicht pleite gegangene philosophische Zeitschriften (- Magazine) in Deutschland; vergisst dabei leider die schon seit langem sehr wertvolle und rundum philosophische Zeitschrift “Der blaue Reiter“. Philosophische Autoren, viel gelesen, wie Wilhelm Schmid, erwähnt er namentlich nicht. Er denkt dabei wohl an seinen Begriff des „Populärphilosophischen“, und muss zugeben, dass diese Populärphilosophen, zu denen er offenbar sich selbst gar nicht rechnet, zu den Bestseller Autoren gehören. Gibt es also einen gewissen Hunger auf Philosophie? Gewiss! Denn die Fragen und Antworten der Religionen und Kirchen interessieren immer weniger Menschen, weil die Vertreter dieser Religionen argumentativ oft nicht erklären können, wo sich Göttliches im Leben zeigt. Und viele halbwegs Gesunde haben nach 100  psychotherapeutischen Sitzungen auch Lust, etwas anderes, eben Philosophie, die Fähigkeit des Selberdenkens, zu erleben. Die Frage nach dem Sinn meines Lebens ist eine philosophische Frage, über die man gern mit Philosophen diskutieren würde… Auch erwähnt Eilenberger nicht die wöchentliche Sendung „Philosophie“ auf ARTE usw. Bedauerlich ist vor allem dies: Dass er nicht erwähnt, obwohl er es weiß aus seiner früheren Zeit als Chefredakteur des Philosophie Magazin: Es gibt sehr viele philosophische Gesprächskreise (Philosophische Salons etc.) im ganzen Land und überall in Europa und Amerika! Er hätte ja nicht gleich vom Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin sprechen müssen, den es als private Initiative, ohne jeglichen öffentlichen Zuschuss etc., seit 11 Jahren gibt. Der TIP, das Berliner Stadtmagazin, hat den “Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin” kürzlich etwas ausführlicher erwähnt. Die philosophischen „Cafés“ sind ja bekanntlich eine Erfindung (1992) des Philosophen Marc Sautet in Paris (Café des Phares, direkt an der Bastille gelegen!) .

Dennoch ist die Frage von Eilenberger interessant: Warum spielen Philosophen heute in der Öffentlichkeit keine große Rolle? Ob das so stimmt, ist eine weitere Frage, wenn man doch an die gelegentliche Medienpräsenz etwa Frankfurter Philosophen oder von Dieter Thomä von St. Gallen denkt usw. Aber Eilenberger hat im ganzen wohl recht: Die großen Namen der großen Philosophen fehlen, die sechziger und siebziger Jahre sind vorbei, als etwa die Bücher von Karl Jaspers noch stapelweise verkauft wurden. Die Frage ist natürlich: Wem nützen die großen Namen und die angeblich sehr bedeutenden Köpfe? Sicher ist: Der Kult der großen Namen in der Philosophie ist, durch die heutige (auf Massen hin orientierte) Kultur vorbei, es gibt sehr viele hochinteressante, aber nicht weltberühmte Philosophen, viele gute und bis mittelsprächtige. Und das ist zunächst als Ausdruck des kulturellen Wandels zu verstehen. Sehr berühmte Musiker mag es immer geben, etwas berühmte Philosophen gibt es auch jetzt.

Gemeinsam ist den meisten, und das ist gelinde gesagt ein „Problem“ (ich hätte am liebsten angesichts der Traditionen der Philosophien im „alten Griechenland“ gesagt eine „Schande“): Diese Herren und oft auch Damen Dr. phil., Dozenten, Professoren etc.  haben eine unbremsbare Lust daran, sich ultra kompliziert auszudrücken. Man könnte denken, damit möchten sie eine gewisse öffentliche Bedeutungslosigkeit kompensieren. In Frankreich ist es noch heftiger: Dort muss ein Philosoph förmlich sehr absolut unverständlich und esoterisch schreiben, um als Philosoph öffentliche Anerkennung etwa in “Le Monde” zu finden. Die Leser sollen staunen, von welcher „Geburt“ denn etwa Foucault gerade redete, leider sprach er nicht von der Geburt der Kirche aus dem Geist des Maskulinen…Vorbei sind offenbar in Frankreich die Zeiten von Camus oder Voltaire.

Durch ihre höchst komplexe Sprache, die keineswegs immer sachlich notwendig ist, bauen die Philosophen selbst unheimliche Barrieren. Ausnahme: Michael Hampe, Zürich, zum Beispiel. Mit anderenWorten: An der Krise der Philosophie, ja an ihrem möglicherweise desolaten Zustand, wie Eilenberger sagt, sind die PhilosophInnen auch selbst schuld. Philosophie ist im eben keine höhere Mathematik und keine Astrophysik, keine Immunforschung usw.. Diese Wissenschaften müssen von ihrer Sache her notwendigerweise kompliziert sein, sie können nicht für den “Mann auf der Straße” sofort verständlich sein.

Anders die Philosophie, die ja eigentlich niemals eine „strenge Wissenschaft“ sein kann und sein will, von der Logik als Philosophie vielleicht abgesehen. Philosophie hat in ihrer bleibenden Bindung an das alte Griechenland und Rom eben sehr viel mit dem Mann und der Frau auf der Straße zu tun. Mit der Agora, dem öffentlichen Disput auf öffentlichen Orten! Also mit Sokrates. Er wurde nie zum ersten “philosophischen Heiligen” erklärt…

Das Desaster der Philosophie in Deutschland ist vor allem die Fixierung auf den engen Raum der Universität. Philosophen hocken in ihren Bibliotheken und brüten immer neue Themen aus, oft sind es alte Themen (warum nicht mal wieder, zum geschätzten 100. Mal,  ein „Vergleich der Wissenschaftslehren von Fichte“ oder „Was meint Heidegger eigentlich mit seinem Gestell?“) Solche ironischen Fragen zu stellen, hat nichts mit Banausentum zu tun. Es geht schlicht um die Frage der öffentlichen (!) Relevanz der Philosophien. Man könnte heulen, wenn Philosophen in Lateinamerika in den Universitäten vorwiegend den deutschen Idealismus vortragen (nichts gegen Kant!) und nicht analysieren: Was ist Korruption? Was ist öffentlich zugelassene Verelendung der Massen usw. In Europa würde mich interessieren, wie viele hundert Dissertationen und Habilitationen über Heidegger seit 1945 verfasst wurden: Und ich würde die obszöne Frage stellen: Cui Bono? Der Öffentlichkeit sicher nicht. Bestimmt nicht wurde durch so viel Fleiß zu “Meister Heidegger” der Entwicklung eines demokratischen Bewusstseins gedient; bestimmt nichts zur Überwindung von Rassismus und Antisemitismus wurde getan. Hätten diese Philosophen doch lieber die Ethik von Kant vielen Menschen, dem Mann auf der Straße,  erklärt oder die Tugend – Ethiken usw. Mit anderen Worten: Viele dieser sicher spekulativ anspruchsvollen und sprachlich hoch komplexen Studien haben den Büchermarkt bereichert, aber nur wenige zum Selber – Denken, also zum eigenen Philosophieren, veranlasst. Denn das ist ja im Unterschied zur Astrophysik die Sache der Philosophie: Nicht jeder kann Astrophysiker werden, aber jeder und jede kann Philosophieren lernen und die je eigene Philosophie leben. Klar ist also: Der messbare und irgendwie auch hilfreich – orientierende Beitrag so vieler Heidegger – Deutungen über das Seyn statt das Sein oder die Vierung oder „das Göttern“ ist wohl äußerst gering.

Will also Philosophie wieder relevant werden, in dieser tiefen Krise der Menschheit heute (Ökologie, Krieg, zugelassenes Massensterben, Ertrinken der unerwünschten Flüchtlinge im Mittelmeer, Zulassen von immer mehr Armen in den reichen Städten Europas und so weiter), muss sie diese brennenden Fragen aufgreifen. Und sie muss diese dringenden Fragen da besprechen, wo diese Frage auftauchen: An der Basis eben, unter den Leuten, in den Cafés, den Wohnheimen, den Asylen, den Kulturzentren, den Kirchen und Moscheen usw. Aber auch unter Politikern und Bankern. Und diesen Herren eben nicht beruhigend zu Munde reden, sondern sie mit ein paar Thesen von Karl Marx vertraut machen. Philosophen sollten unter den Menschen sein. Und der Staat hätte bei aller Förderung der etablierten Kultur die dringende Pflicht und Schuldigkeit, auch Philosophie an der Basis, an den beschriebenen Orten, ohne jede ideologiche Vorgabe zu fördern. Wäre das nicht einmal ein Thema für Frau Grütters?? Konkret: Der Staat sollte auch philosophische Gesprächskreise finanziell fördern und die vielen offenbar auch arbeitslosen jungen Philosophen zu einer anständigen Bezahlung verhelfen in diesen neuen Orten des Philosophierens. Philosophie als öffentliche Kultur verdient genauso viel öffentliche Förderung wie diese ewigen Wagner Opern in Bayreuth, um nur eines von vielen tausend anderen Beispiel zu nennen. Philosophie ist ja nicht neidisch auf das, was Kunst und Museen, Opern, Konzerthäusern und Literaturhäusern und Literaturfestival alles an Unsummen von Geld so überwiesen wird. Aber Philosophie verdient endlich viel mehr Aufmerksamkeit und Förderung. Philosophieren kakann Demokratie fördern, weil sie im Dienst umfassender aufklärung steht. Der Beitrag von Herrn Eilenberger ist da eher kontraproduktiv…

Eine bzw. treffender viele neue Philosophien also! Dann könnte ein Wechselspiel von Praxis und Theorie entstehen. Wie würde denn eine Philosophie von und mit Obdachlosen aussehen? Von Leuten der TAFEL? Von ausgepowerten Krankenschwestern und Altenpflegern? In diesen Kreisen werden sich junge Philosophen bewegen, hören und zuhören, elementare Fragen stellen, vorsichtige Antworten geben, die Mut zu Überleben machen.

Die Krise der Philosophie in Deutschland und anderswo ist also auch und meines Erachtens vor allem eine Krise des Ortes und der Plätze, auf denen sich Philosophen philosophisch aufhalten und fragen und denken und schreiben. Vielleicht wäre dies ein Beitrag zum 50 Jahre Jubiläum des Mai 68: Philosophen: Raus aus den Unis! „PhilosophInnen hört und fragt an der Basis, und kehrt dann mit neuen Themen wieder in die Unis zurück“. Eine spannende Dialektik könnte entstehen.

Damit man mich richtig versteht: Ich habe nichts gegen die akademische und universitäre Arbeit der Philosophen in Deutschland und anderswo. Ich plädiere “nur“ für eine dringende Vertiefung und Verbreiterung ihres Denkens durch unmittelbares Mitleben und Mitdenken an der so vielfältigen Basis. Dieser Basis-Bezug als ORTSWECHSEL führt aus dem von Herrn Eilenberger behaupteten „desolaten Zustan“ sicherlich  heraus. Das Lamentieren hätte ein Ende. Es wäre auch die Wiedergewinnung einer „griechischen und römischen“ Kulturen der Philosophien seit Platon. Man lese bitte die Bücher des großen Pierre Hadot. Und in der philosophischen Ausbildung an der Uni würden diese praktischen Einsätze der Philosophinnen selbst Thema, in Seminaren und Vorlesungen. Vielleicht würden so einige kleine “Sokrates” ausgebildet…

 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

Wer heute Heimat sagt, meint die Nation

Ein Hinweis von Christian Modehn

1. In letzter Zeit wird in Deutschland wieder heftig und häufig von Heimat gesprochen und für das (deutsche) Recht auf Heimat eingetreten! Bezeichnenderweise seit 2017. Nach Ankunft der Flüchtlinge wurde gleich unterstellt, die Flüchtlinge aus Afghanistan oder Syrien hätten ihre „Heimat verlassen“: Da wurde mit dem Wort Heimat die übliche Assoziation geweckt: Sie hätten im Grunde doch wohlbehütete Regionen voller Freundlichkeit und Wonne verlassen, also Heimat im emphatischen deutschen Sinne. Sozusagen den mit Heimat meist imaginierten „Brunnen vor dem Tore“ des Romantikers Wilhelm Müller. Nur: Kann es Heimat mit dem „Brunnen vor dem Tore“ jetzt in Kabul oder Aleppo geben? Nein, die Flüchtlinge haben ihr Herkunftsland verlassen, um sich aus dem tödlichen Chaos dort zu retten. Wer von vornherein den Flüchtlingen den so tief traurigen Verlust ihrer Heimat unterstellt, will sie am liebsten gleich wieder in die doch hübsche, sichere, eigene Heimat Syriens, des Irak usw. wieder zurückschicken. Denn lieber Flüchtling: „Dein ständiges Leben in dieser deiner Heimat ist dein gutes Recht!“ Übersehen wird: Ehe dieses Chaos dort wieder einmal Heimat werden kann, vergehen Jahrzehnte bei dem Tempo einer angeblich auf Frieden bedachten (Welt)

Politik. Wichtiger aber ist in dem deutschen Argument: Auch meine Heimat ist mein gutes Recht! Meinen wunderbaren Ort mit meinem relativen Luxus und den Restbeständen eines Sozialstaates lasse ich mir doch nicht von euch Flüchtlingen und Fremden (und Muslims obendrein) nehmen.

2.

Der Begriff Heimat wird also jetzt propagiert und mit bestimmten präzisen politischen Interessen beladen, voller Ideologie und versteckten Ressentiments. Auch der kurz vor dem Hungertod stehende Afrikaner in seiner Heimat Tschad möge doch in dem chaotischen Wüstenstaat als seinem Zuhause bleiben, weil er doch in seiner Heimat „groß geworden“ ist. Dass er dort verhungert, finden wir Europäer alle schlimm, sagen das auch, tun aber tatsächlich Wirksames nichts dagegen. Eher geben wir unser Geld für Libyen aus, wo die Flüchtlinge aus Afrika wie Sklaven missbraucht werden. Aber die verbrecherischen Verhältnisse in Libyen halten jedenfalls die Fremden fern…

Heimat, so meint man in Deutschland, sei nun einmal die Region, in der Menschen geboren wurde. Der Wechsel in andere „Heimaten“ wird so ausgeschlossen. Nur DDR Deutschen wurde bis zum Mauerbau schweren Herzens in der BRD eine neue, antikommunistisch glänzende Heimat bereitet. Bauprogramme hießen bekanntlich „neue Heimat“: Das waren winzige Wohnungen für kinderreiche Familien.

3.

Und es waren nachweislich die Bayern und ihre Partei, die CSU, die begannen, wieder die Heimat als sehr hohen Wert zu propagieren. Markus Söder (CSU) zeigte sich beim „politischen Aschermittwoch 2018“ wie ein bayerischer Heimatminister. Ihm ist klar: Heimat hat sehr wohl mit Grenzziehung zu tun: „Wir überlassen Bayern nicht den anderen“, ruft Söder. Und übrigens: „Ich bin der Markus, da bin i dahoam, und das will ich auch bleiben!“ (Der Tagesspiegel, 14.2. 2018). Wen meint Herr Söder unter den „anderen“, denen er sein Heimatland nicht „überlassen“ will? Sicherlich auch die in Bayern mächtiger werdende AFD. Die AFD Leute will Herr Söder lieber in seine CSU integrieren, damit diese Partei wieder richtig zahlenmäßig stark wird …und die CSU dann zur halben AFD wird. Aber auch: Die „anderen“, das sind für Söder auch die Fremden und Flüchtlinge, die „uns“ „unser“ so hübsches und sauberes und gerechtes Bayern zerstören….

4.

Heimat ist ein exklusiv deutscher Begriff. Das Wort kommt in anderen europäischen Sprachen in dieser Prägnanz, also ohne weitere Umschreibungen, nicht vor. Ein gewisser Kult um die deutsche Heimat wurde vor allem in der Romantik betrieben, also seit Beginn des 19. Jahrhunderts, als die singenden Wandergesellen aus ihrem Zuhause, Heimat genannt, in die Fremde aufbrachen, um alsbald wieder in dieses gelobte Land zurückzukehren, zum Lindenbaum, wo man so schön in dessen Schatten träumte.

5.

Wer möchte diese traumhafte Idylle prinzipiell schlecht machen? Sie hat damals vielleicht wie Opium beruhigt? Aber die romantische Heimatidylle ist nur ein Bild, ein Traumbild der Geborgenheit und wunderbaren Beziehung zwischen Natur, Mensch, Kunst, Kirche, Gott, einer Welt, in der sich der Romantiker befand. Und in dieser Welt eingezwängt war, darum wanderte er ja so viel…

6.

Heimat wurde oft als politische Zielvorstellung missbraucht. Das war extrem bei den Nazis der Fall. Alle Nazi – Organisationen hatten letztlich das Ziel, die „Verwurzelung“ der „echten deutschen Herrenmenschen“ in ihrer Heimat durchzusetzen. Heute gibt es bezeichnenderweise in der rechtsradikalen Pegida Bewegung auch „Heimatschutz“ Leute. Nils Minkmar schreibt in „Spiegel Essay“: „Für die Nationalsozialisten war Heimat ein Bollwerk gegen alles Fremde, Städtische, Andersartige. Wer heute über Heimat reden will, muss daher diese unselige Verklärung von Natur und Gemeinschaft kennen“. Wie viele Nazi-Propaganda Filme hatten eigentlich das Wort Heimat im Titel?

Nebenbei: Seit Mitte der fünfziger Jahre nutzte auch die allein herrschende SED den Heimat – Begiff für ihre Propaganda, um irgendwelche heimatlichen Gefühle der DDR Bevölkerung zu wecken. „Bauen wir die Heimat“ auf, hieß es im bekannten „Choral“ der FDJ, den Erich Honecker noch als Greis mit erhobener Faust sang. Bis 1961 verließen viele DDR Deutsche sehr gern diese erzwungene Heimat.

7.

Heutige Politiker in Deutschland, wenn sie nicht ganz ungebildet sind, kennen natürlich diese heftigsten Verbindungen des Heimat-Begriffes mit der Nazi-Ideologie. Natürlich darf man nicht alle Begriffe, weil von Nazis verdorben, beiseite legen. Aber die inhaltlichen Bestimmungen des Heimatbegriffs sind so eng, so miefig, dass der Begriff besser heute nicht mehr verwendet werden sollte. Zumal wir erleben, dass Menschen mehrere Heimaten haben bzw. als Flüchtlinge haben müssen. Heimat ist also der Ort, wo ich, wo wir menschlich leben können, dies muss nicht eine bestimmte Stadt, die Geburtsstadt, sein. Wenn Heimat als der Ort der Geburt und der Kleinfamilie definiert wird, ist sie automatisch etwas sehr Statisches, nicht Entwicklungsfähiges, nicht Lebendiges.

8.

Aber „Heimatfans“ schüchtern ihre Kritiker gern ein, indem sie von dem „Wesen des Menschen“ schwärmen, der nun einmal „seinen heimatlichen Platz“ braucht etc. Aber: Heimatpropaganda ist etwas andere als die vernünftige Anerkennung, dass Menschen kulturelle und sprachliche Herkünfte haben.

9.

Die naturwüchsige Heimatbindung, kritisch reflektiert, soll überwunden werden, über die naturhaften, sozusagen automatischen “Heimat“ – Bindungen sollen wir ins Offene gelangen, Teil der „einen“ Menschheit werden. Wir sind eben nicht nur Niederbayern oder Ostfriesen, sondern auch Menschen dieser EINEN Menschheit, die den Menschenrechten zu entsprechen haben und nicht nur den hübschen kulturellen und kirchlichen Bräuchen unserer Region, man denke an die Tier – und Autosegnungen im katholischen Raum. Nebenbei: Katholische homosexuelle Paare werden nicht katholisch gesegnet, hingegen Handys und Walrösser, wie kürzlich vom Hamburger Erzbischof vollzogen…

Das miefige Milieu der Heimatverbundenen kann tödlich sein, das hat der Film „Jagszenen aus Niederbayern“ einst gut herausgearbeitet. Und philosophisch hat Martin Heidegger in seinem späteren Werk, seit 1930, gezeigt: Die ihm eigene philosophisch behauptete Heimatliebe ist auch im Denken regressiv, sie führt zu Bindungen an ein ereignishaften SEYN, dessen Schickungen sich niemand entziehen kann. Sehr viele Briefe, etwa an den Theologen Bernhard Welte, hat Heidegger noch in den fünfziger Jahren „mit landmannschaftlichen Grüßen“ unterzeichnet. Und er hat in seinen „Schwarzen Heften“ sich unverfroren und seelisch erkaltet zur NSDAP Ideologie bekannt. Als Heimatfreund fiel ihm in den Jahren der Ausrottung der Juden nichts ein, kein Bedauern, kein Protest, kein Schmerz. Seinem Bruder Fritz hingegen gratulierte er immer zum Namenstag und schrieb Erbauliches aus der Familie. Kein Wort des Heimatfreundes Heidegger aus seiner behaglichen Schwarzwald-Hütte zur Judenverfolgung, zum tausendfachen Morden und Metzeln in dem von Deutschen losgetretenen Krieg! Heidegger ist das klassische Beispiel, wie Heimatliebe zu einer gewissen geistigen Starre führt, milde ausgedrückt.

10.

Horst Seehofer CSU soll nun Minister eines sehr aufgeblähten Innenministeriums werden. Er soll ausdrücklich die Pflege der Heimat fördern, gleichzeitig aber auch die Sicherheitsaufgaben und Flüchtlingsintegration (!) betreuen, auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt soll der Heimatminister/Innenminister fördern. Es ist bezeichnend, dass in dieser Zeit der viel besprochenen Flüchtlingskrise ein Heimatministerium eingerichtet wird! Für wen eigentlich? Für die AFD Wähler, damit sie sehen: Auch die CSU liebt unsere Berge und Weiden und Kühe. Und die Deutschen im allgemeinen sollen wissen: Meine kleine Heimat ist so unglaublich wichtig und wert zur Verteidigung, genau so wichtig, wie die „Kleine Kneipe in unserer Straße, wo das Leben noch lebenswert war“, wie es in einem alten beliebten Schlager heißt. Kurz: Die Idylle soll wiederkehren und mit ihr letztlich auch die Nation, die man ja als Summe vieler regionaler Heimaten verstehen kann. Es wird also von Heimat gefaselt, gemeint ist aber das Erstarken der Nation (trotz aller formalen und wirkungslosen Bekenntnisse in Deutschland zu Europa und seinen – abendländischen – Werten). Die Nation aber muss sich wehren, Nation ist immer tendenziell schon Nationalismus und damit Krieg, das ist evident. Heimat bereitet also Nationalismus vor, bzw. verstärkt ihn auf die süße romantische Art. Die AFD und auch Gruppen in der CDU/CSU denken bereits nationalistisch, das macht die Situation in Deutschland und Europa so gefährlich…

11.

Soll der neue Heimat/Bundesinnenminister aus Oberbayern etwa (neue) Heimat schaffen? Oder ist nur gemeint, dass die ökonomisch und kulturell „abgehängten“ Regionen und Provinzen stärker gefördert werden sollen? Das wäre ja sinnvoll. Dabei ist es aber   problematisch, immer wieder zu hören: Diese armen ländlichen Regionen seien eigentlich so etwas wie der Inbegriff von Heimat. Und man wolle diesen armen, „abgehängten“ Menschen etwa in der nördlichen Oberpfalz oder in Franken, in Pommern oder in der Oberlausitz, wieder echte Lebensaussichten und Arbeitsaussichten und damit Heimatgefühle gewähren. Aber was vermag ein solcher Heimatminister angesichts der politisch schon nicht mehr kontrollierbaren Macht der internationalen Konzerne? Kann der Heimatminister für die Heimat verbundenen Franken etwa Arbeit beschaffen, sie vor dem Pendler Dasein ins ferne Nürnberg oder München bewahren? Und vor allem, wenn man schon den Heimat begriff noch mal politisch abklopft: Haben denn Menschen in Großstädten etwa keine „Heimatgefühle“? Werden im Zuge der Vertreibung von Mietern durch Investoren nicht auch Heimatvertriebene in einer Stadt wie Berlin erzeugt? Etwa der Rentner, der seit Jahrzehnten in Prenzlauer Berg wohnt, nun aber nach Modernisierung und damit Unbezahlmachung seiner Wohnung etwa ins ferne und fremde Spandau umziehen muss? Wenn das überhaupt klappt und die Heimatvertriebenen in den Großstädten nicht auf der Straße landen. Es gibt „Heimatvertriebene“ heute aus den angestammten Bezirken der Großstädte. In Paris haben die Reichen Jahrzehntelang ihre ärmeren angeblichen Mit – Bürger der Metropole Paris aus der Stadt vertrieben und in die Weite der hässlichen und grausamen Banlieue geschickt. Dort kocht die Wut der Vertriebenen, zurecht…, aber bislang wirkungslos.

12.

Was ist das eigentlich ein deutscher „Heimat“ – Staat für die Deutschen, wenn dieser Staat vielen tausend Menschen, Bürgern und europäischen Gästen und Flüchtlingen, keinen Wohnraum bietet und sie auf den Straßen leben und frieren lässt? Wie wagen es Politiker überhaupt noch, sich sozial und christlich zu nennen, angesichts der Unfähigkeit, wenigstens Menschen in Deutschland menschenwürdig leben und wohnen zu lassen, also die viel behauptete „Heimat“ zu bieten?

13.

Heimat ist heute ein gefährlicher, ein ideologisch aufgewärmter Begriff der Romantik, sehr gelegentlich für träumerische Reisen bei Schubert Liedern ganz hübsch. Aber dann muss doch wieder die Vernunft herrschen: Heimat ist heute ein politisch reaktionärer Begriff. Ein Begriff, der Nation meint. Das ist der Kern der Debatte..

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Wir sollten unsere Heimat als humanes Miteinander pflegen, in unseren Sprachen, in der miteinander geteilten Kunst, in der Gesellschaft der „vielen“ Kulturen. Möglicherweise auch in den Gemeinden der Religionsgemeinschaften und Kirchen, wenn sie sich nicht ihrerseits auch “heimatlich” abschließen und „die anderen“ zwar nicht verbal, aber de facto ausgrenzen.

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Darüber sollte weiter diskutiert werden: Heimat, die nicht in Nationalismus umschlägt, gibt es heute nur im kosmo-politischen Denken und kosmopolitischen Leben.

 

 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Die Herzlichkeit der Vernunft. Eine Buchempfehlung

Ferdinand von Schirach und Alexander Kluge im Gespräch

Ein Hinweis von Christian Modehn.

Dieser Beitrag wurde als kurze und knappe Rezension in PUBLIK – FORUM veröffentlicht.

Die Autoren, auch international geschätzte Intellektuelle, lassen die LeserInnen teilnehmen an ihren privaten Gesprächen. Diese Plaudereien auf hohem Niveau beginnen etwa bei Reflexionen über Sokrates, Voltaire und Kleist, gelangen aber schnell zu einer Fülle philosophischer, juristischer und politischer Fragen. Bei allem Charme des oft assoziativen Miteinander – Denkens werden grundsätzliche Erkenntnisse vorgestellt: Keine Ideologie, keine Religion sollte in der Gesellschaft maßgeblich sein; auf die Maßstäbe der Vernunft sollten alle achten: Sie sei keineswegs kalt oder abstrakt, sondern in ihrer Klarheit auch menschenfreundlich, eben herzlich. Die Vernunft begleitet das schwierige Leben auf der Suche nach Maß und Mitte. Dauerhaften Trost, so Ferdinand von Schirach, können wir in der Literatur finden. Manche Sätze dieses kleinen, aber großen Buches wirken wie gute Spruchweisheiten: „Das Eigentliche ist das Trotzdem: Trotz Sterblichkeit und Bösartigkeit können wir lieben“.

Das Buch ist im Luchterhand Verlag erschienen, es hat 192 Seiten und kostet 10 EURO

Fragen geben Halt im Leben!

Ein neues Buch des Remonstranten Theologen Koen Holtzapffel, Rotterdam: „Houvast“ („Halt“)

Von Christian Modehn

Die Bibel ist kein Kompendium, in dem endgültige Antworten zu finden sind. Diese Erkenntnis breitet der Remonstranten – Theologe und Pastor in Rotterdam Koen Holtzapffel in seinem neuen Buch aus, es hat den Titel „Houvast aan de vraagzijde van het bestaan“ („Haltfinden an der Fragedimension der Existenz“). „Ich nehme Abstand von dem Vorschlag („suggestie“), dass die gläubigen Menschen sozusagen auf der Antwortseite des Daseins stehen und die Nicht-Gläubigen auf der Seite des Fragens… Das will ich überwinden und sowieso den bekannten Unterschied zwischen Glauben und Unglauben“.

Diese hierzulande hoch interessante Position muss erläutert werden: Der christliche Glaube ist keine Bindung des einzelnen an vorgegebene Dogmen aus alten Zeiten. Die Kirchengemeinden (der freisinnigen, theologisch liberalen) Remonstranten sind Orte, in denen der einzelne seinen eigenen Glauben entdecken, als einen solchen leben kann … und mit anderen besprechen und vertiefen kann.

Die leitende Maxime heißt: Wer Halt sucht in seinem Leben, sollte sich nicht festklammern an Ideologien und offizielle Wahrheiten. Er (oder sie) sollte das Fragen aushalten, die eigenen Fragen! Natürlich zeigen sich dann Antworten. Aber diese rufen nur wieder weitere Fragen hervor: Das ist das Leben des Geistes. Und diese Lebendigkeit des Geistes ist sicher das einzige, was Halt gibt und fest ist in unserem Leben: Getragen sein, belebt sein, von der ewigen Fragebewegung des Geistes und von den immer relativen Antworten, die zu neuen, aber wieder nur vorläufigen Antworten leiten: Das ist die Größe des Menschen, auch des religiösen Menschen.

Klar ist auch, dass ein Leben in dieser Fragebewegung nicht immer bequem ist. Deswegen klammern sich so viele voller Angst dann doch an vorläufige Antworten und erklären das Vorläufige zum Endgültigen. Und dann beginnt – fundamentalistisch – der Streit um die einzige Wahrheit, diese kann nur jemand behaupten, der irgendwann in der Fragebewegung stehen und stecken bleibt. Und mit der einzigen Wahrheit (in Religionen, Nationen, Kulturen usw.) zieht die kriegerische Haltung in die Gesellschaft ein. Das erleben wir heute global. Das heißt ja nicht, dass es einige wenige universale humane Antworten der Vernunft gibt, die für alle Menschen und alle Staaten gelten: Dies sind die für alle Menschen geltenden Menschenrechte, aber auch diese Menschenrechte entwickeln sich durch Fragebewegungen stets weiter. Der Kategorische Imperativ von Kant ja nicht entdeckt, sondern nur formuliert, gehört auch dazu.

Die Remonstranten sind wahrscheinlich die einzige christliche Kirche, in der das Fragen heilig ist; weil das Fragen das Leben des Geistes (und der Seele) selbst ist und der Geist (und die Seele) nun heilig sind; was bedeutet, dass das Leben als leibliches, aber immer doch notwendigerweise Geist geprägtes leibliches und materielles Leben auch heilig ist.

Es ist für mich eine gute Entscheidung, dass die Remonstranten in Holland das für sie immer übliche Jahresthema diesmal, für 2018, der Frage als einem – auch spirituellen, religiösen Vollzug – alle Aufmerksamkeit widmen. Bei dem „Tag der Beratung“ miteinander („Beraadsdag“) am 10. März 2018 in Hengelo geht es auch um das Thema: Wie kann das Fragen tatsächlich Halt, vielleicht einen ersehnten letzten und tiefsten Halt bieten? Es ist wohl so, meint Koen Holtzapffel, dass zu der Fragebewegung auch ein Vertrauen gehört, ein Vertrauen, dass in der Fragebewegung ein möglicher Sinn sich für mich erschließen kann. Dieser tragende Lebenssinn, dieser Halt, erschließt sich, so der Autor, gerade dann, wenn alle Bilder Gottes, die man als den Lebenssinn deutete, verschwinden und nach diesem (persönlichen) „Bildersturm“, wie Holtzapffel sagt (S. 120) eigentlich nur Leere bleibt. „Man kann es Leere nennen, aber dann vielleicht als eine wohlltuende Leere, als Flüstern einer sanften Brise, die man genießen kann als Schönheit einer leeren Landschaft“ (ebd.) Der Autor zitiert dann zustimmend den Philosophen Cornelis Verhoeven (1928 – 2001): „Gerade in der Frage besteht Gott und nirgendwo anders. Gottes Existenz wird in der Frage förmlich festgehalten“. Und Koen Holtzapffel beschließt sein sehr inspirierendes Buch: „Leere ist leer, aber sie schafft auch einen mystischen Raum, ohne einen vorstellbaren und voraussagbaren Gott.

Aber ein Gott, von dem man nie etwas bemerkt, wird irrelevant. Bisweilen gibt sich mein Gott doch gründlich zu erkennen, lässt sich verstehen mit Herz und Seele. In Liebe und Licht, in Friede und Anteilnahme für einander. Auch in dem Menschen Jesus gibt er sich zu erkennen. Wo Nächstenliebe und (erotische) Liebe ist, da ist Gott: Ubi caritas et amor, Deus ibi est“ (S. 122)

In einem Beitrag für die Monatszeitschrift ADREM vom Juni 2017 sagt Holtzapffel: „Ich hoffe, das unsere Gemeinden Orte sind, wo über Lebensfragen nachgedacht wird. Als Pastor (Prediger) habe ich keine direkten Antworten, aber ich sehe mich als jemanden, der den Frageprozess beobachtet. Und ich sehe mich als jemanden, der die Lebensfrage hinter den Fragen entdecken kann und auch mit der Tradition verbindet… Aus der großen soziologischen Untersuchung „God in Nederland“ geht jetzt hervor, dass sehr viele Menschen meinen, dass die Sinnfragen nicht mehr in der Kirche behandelt werden. Bei uns Remonstranten ist das anders, da haben diese Fragen ihren Raum“.   Und er nennt über die Remonstranten Gemeinden hinaus in dem Buch mehrere, in ganz Holland bekannte Beispiele: Etwa das Kulturzentrum de „Rode Hoed“ in Amsterdam oder das „Uytenbogaertcentrum“ in Den Haag, das der Theologe und Philosoph Johan Goud aufgebaut hat.

 Houvast. Aan de vraagzijde van het bestaan. Von Koen Holtzapffel. 144 Seiten. ISBN 978 90 211 4491 7). Dieses Buch ist im August 2017 erschienen im Verlag Meinema, Utrecht.

 

 

Wenn Europa islamisch wird: Die Ängste der jüdischen Forscherin Bat Ye´Or

Zur neu erschienenen Autobiographie der umstrittenen Islam – Forscherin

Ein Hinweis von Christian Modehn am 26.2. 2018

Warum ist es wichtig, die Ideen und Vorstellungen von Bat Ye Or kritisch zu beobachten?  Diese Ergänzung schreibe ich am 26.2. 2018, um noch einmal auf das sich wissenschaftlich gebende “Gift” hinzuweisen, das heute in rechtsradikalen Kreisen verbreitet wird. Bat Yeor ist tief in diesen Kreisen verwurzelt, etwa bei Renaud Camus, selbst wenn sie (scheinheilig) diese Verbindungen öffentlich eher herunterspielt.

Die Auseinandersetzung mit Bat Yeor ist auch wichtig, weil ihre globalen und längst als falsch erwiesenen, nur Angst erzeugenden Thesen zur „Ersetzung der europäischen Bevölkerung durch die Muslime“ Eingang finden in höchste Kreise der katholischen Kirche Frankreichs. Der neue Erzbischof von Strasbourg Luc Ravel spricht auch öffentlich von dem „grand remplacement“, dem großen Ersetzen (Austausch), der „französischen“, also der angeblich christlichen Bevölkerung Frankreichs durch die, wie er sagt, so geburtenfreudigen Muslime. Darin folgt der Erzbischof Ravel von Strasbourg wiederum dem rechtsextremen Schriftsteller Renaud Camus, der zu dem Thema bereits 2010 ein Buch publizierte, das auch auf Deutsch erschienen ist bezeichnenderweise im Verlag von Götz Kubitschek.

Renaud Camus bezieht sich auch in neuesten Interviews (siehe unten) ausdrücklich positiv zustimmend auf Bat Yeor. Renaud Camus publiziert auch in der rechtsextremen französischen website „riposte laique“. Wikipedia France hat darauf hingewiesen, dass der rechtsextreme Autor Renaud Camus sich bemüht, eine französische Sektion der deutschen „Bewegung“ PEGIDA (zusammen mit dem “Bloc Identitaire”) zu lancieren. Der Bloc Identitaire war massiv, gelinde gesagt, bei den landesweiten Demonstrationen gegen die gesetzliche Ehe für alle in Frankreich aktiv. Dabei wurden diese Demonstrationen von katholischen reaktionären Gruppen in enger Verbundenheit mit den rechstextremen Kreisen unterstützt, selbstverständlich auch von einigen genauso denkenden französischen Bischöfen. Quelle: http://ripostelaique.com/author/bat-yeor    http://ripostelaique.com/author/renaud-camus   https://www.renaud-camus.net )

Zur Verbindung Pegida und Renaud Camus (und damit indirekt zu Bat Yeor): https://www.nouvelobs.com/rue89/rue89-politique/20150119.RUE7514/renaud-camus-lance-pegida-en-france-et-recupere-l-islamophobie-allemande.html  ”

Der am 16. Februar 2018 publizierte Text von Christian Modehn:

Bat Ye´or , die inzwischen 84 jährige Forscherin zum Islam und zur Rolle des Judentums und Christentums in islamischen Ländern einst und heute, hat auch außerhalb der Kreise interessierter Spezialisten, nicht nur in Deutschland, Aufmerksamkeit gefunden: Und zwar als bekannt wurde, dass der rassistische Massenmörder Anders Breivik aus Norwegen in seinen Schriften mehrfach Verweise und Namensnennungen auf Bat Yeor niedergeschrieben hatte. Über diese Verbindungen ist viel diskutiert worden. Wichtig ist auch das lebhafte Interesse an Bat Yeors Schriften in rechtsextremen Kreisen. Sie finden dort Argumente für ihre eigene pauschale Islam – Verurteilung bzw. Bekämpfung. Darum ist für demokratische Kreise die Auseinandersetzung mit Bat Yeors Büchern nach wie vor dringend. Jetzt hat die Forscherin ihre Autobiographie in Paris veröffentlicht.

Deutlich ist tatsächlich, dass die Forscherin Bat Yeor bzw. Gisèle Littmann, eigentlich aber wohl auch Gisèle Orebi, mit ihren zahlreichen Büchern (einige sind auch auf Deutsch publiziert worden) zum Thema Islam die These vertritt: In den Zeiten eines machtvollen Islams haben Juden und Christen praktisch keine menschenwürdigen Lebenschancen gehabt, sie waren und sind Menschen zweiter Klasse. Meist sind die Betreffenden, die Bat Ye Or vor Augen hat, aus den islamischen Ländern geflohen. So auch Bat Yeor selbst, die aus einer jüdischen Familie in Ägypten stammt und aus Angst um Leib und Leben diese Heimat 1957 Richtung England verließ. Diese Erfahrung mag prägend sein für das Denken von Bat Yeor. Heute lebt sie in der Nähe von Genf. Die Biographie wird also zur Perspektive der Forschung!

Bat Yeor hat auch dadurch eine geradezu weltweit Bedeutung erlangt, als der Schriftsteller Michel Houellebecq in seinem letzten Roman „Unterwerfung“ explizit die Forscherin erwähnt, in der französischen Ausgabe von „Soumission“ auf Seite 157. Da sagte einer der dort erwähnten Gestalten: „In einem gewissen Sinne hat die alte Bat Yeor nicht Unrecht mit ihren Wunsch – bzw. Wahnvorstellungen eines Komplottes in Eurabia“: Damit bezieht sich Houellebecq auf einen Begriff, den Frau Bat Yeor für ihre Prognose benutzt: Dass Europa eines Tages bald arabisch –muslimisch beherrscht werden könnte, wenn denn die Menschen in Europa, so wörtlich, die jüdisch – christliche Kultur, also ihre Kultur, vernachlässigen…

Als Buch Eurabia erschien 2005. Daraus haben viele Leser die von ihnen geradezu ersehnte und so oft propagierte Konsequenz gezogen: Der Islam als solcher ist gefährlich für Europa. Man muss sich erinnern, dass die rechtsextremen Parteien Front National, FPÖ oder AFD heute nicht etwa antisemitisch gegen “die” Juden sind, sondern die jüdisch- christliche Kultur (scheinheilig) verteidigen gegen die Gefahr „des“ Islams. Aus alten Antisemiten wurden nun Anti-Islam-Kämpfer und Freunde von Judentum und Christentum. Was für ein „Witz“, aber das nebenbei.

Die Rezeption der Forschungen und Interpretationen von Bat Yeor ist heute besonders heftig in rechten und rechtsextremen Kreisen in der westlichen Welt, gerade in Frankreich ist sie heute eine Art „Vordenkerin“. Dies ist wohl die Grund, dass Le Monde vom 16.2. 2018 gleich zwei ganze Seiten der Veröffentlichung der Autobiographie der jüdischen Islam-Forscherin widmet, mit einem langen Beitrag des für diese Fragen sehr kompetenten Journalisten Jean Birnbaum. Das Buch „Politische Autobiographie“ ist Ende Januar 2018 in den éditions „Les Provinciales“ erschienen. Und es ist bezeichnend: Wer dieses Buch im Netz sucht, gelangt schnell bei Bestellungswünschen zu Verlagen der Rechtsextremen. Einen Hinweis auf die Bücher der Autorin in französischer Sprache finden Sie am Ende des Beitrags. „Bat Yeor ist zur Stütze des Hasses auf den Islam geworden“, sagt jetzt Ivan Jablonka, der in Frankreich schon vor einigen Jahren eine ausführliche Studie über die islamfeindliche jüdische Forscherin geschrieben hat. Diese Zusammenhänge werden in Le Monde dokumentiert!

Es gibt bei einigen kritischen Beobachtern in Frankreich bereits eine gewisse Scheu, die Thesen von Bat Yeor grundsätzlich abzuweisen, das ist interessant in der politischen Szenerie Europas: Aufgeklärte Islamkenner fürchten sich bereits, für eine gewisse Berechtigung der Thesen von Frau Bat Yeor einzutreten, weil sie Angst haben, dadurch ins rechtsextreme Lager gesteckt zu werden. Aber sind diese Thesen von Bat Ye Or überhaupt berechtigt? Entsprechen sie dem Niveau hermeneutischer Arbeit? Sicher NICHT. Wer wirklich kompetent ist als Islam-Forscher, auch das zeigt Le Monde, sagt: Diese Dame denkt in ihren „Pamphleten“, so die Qualifizierung in Frankreich, unhistorisch; sie vergisst, dass in der von ihr beschriebenen mittelalterlichen Welt der Islam-Herrschaft überall sonst auch die herrschende Konfession intolerant war. Wie tolerant waren denn später die Katholiken gegenüber den „Indianern“ in Amerika usw…Le Monde zeigt ferner eine gewisse Inkompetenz der Forscherin, wenn sie etwa im Interview gefragt wird: Welche heutigen Islam-Forscher sie denn tolerant und wichtig finde. Da fällt Frau Bat Yeor nur ein einziger Name ein, der Name des aus dem Islam konvertierten Algeriers Boualem Sanal. Unreflektiert und pauschal und angstbestimmt sind auch ihre Aussagen zur Vorliebe des Massenmörders Breivik für ihre Werke: „Ich habe mit dem Mörder Breivik nichts zu tun… Mich in dem Zusammenhang zu erwähnen ist nur eine Rache der linken (!) norwegischen Regierung. Ich habe deren Nachsicht gegenüber dem Islamismus angeklagt. Für die Regierung ist dies ein Grund, mich zum Schweigen zu bringen“.

Kein Wunder auch, dass Madame Bat Ye Or sehr den Roman „Unterwerfung“ von Houellebecq schätzt. Gegenüber Le Monde sagt sie: „Houellebecq hat einen großen Roman geschrieben, sehr einfach, genial, wie eine pointillistische Malerei. Er zeichnet letztendlich Eurabia. Ja, der Roman ist sympathisch“.

Interessant ist, dass in Frankreich zumindest einige Katholiken in Deutschland Bat Yeor schätzen, weil sie auch auf die miserable Behandlung der Christen, etwa der Kopten, in islamischen Staaten aufmerksam macht. Man wird gespannt sein, wie sich der auch theologisch sehr konservative Autor Martin Mosebach nach seiner Reise zu den koptischen Märtyrern von Ägypten zu Frau Bat Yeor äußert… In konservativen Kreisen des deutschen Katholizismus, wie in der Zeitschrift „NEUE Ordnung“, hg. von dem Dominikaner Pater Wolfgang Ockenfels, wird eher zustimmend über Bat Yeor geschrieben, so etwa im Jahrgang 2012 von Hans Peter Raddatz. Die umfassende und umfassend kritische Debatte über die Thesen von Frau Bat Yeor alias Gisèle Orebi oder auch Gisèle Littmann könnte in Deutschland eigentlich beginnen. Vielleicht mit einem Blick nach Norwegen (Breivik) und in die sehr heftige Szene der rechtsextremen französischen katholischen Sympathisanten dieser Forscherin. Die Rezeptionsgeschichte eines Denkens sagt schon vieles..

Eine Liste der Bücher in französischer Sprache: https://www.amazon.fr/s/ref=dp_byline_sr_book_1?ie=UTF8&text=Bat+Ye%27or&search-alias=books-fr&field-author=Bat+Ye%27or&sort=relevancerank

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin