Advent – eine Erfahrung in Kiew, Ende November 2022.

Über ein Foto aus Kyjiw (Kiew), Ende November 2022.
Ein Hinweis von Christian Modehn.

1. Das Foto

Es ist eines von drei Fotos aus Kyjiw (Kiew) Ende November 2022, veröffentlicht in „Die Zeit“ am 1. Dezember 2022 auf Seite 8.
Der Titel des Beitrags auf einer ganzen Seite: „Eine Stadt macht weiter“. Der Artikel enthält zehn Zeugnisse von Menschen inmitten der Bombardements der russischen Verbrecher. Ein Zitat: „Egal, wie Russland eskaliert, die Bereitschaft, sich zu ergeben, liegt bei null“, sagt Anastasia Radina, Abgeordnete der Selensky Partei Sluha naradu.
„Sich nicht ergeben“ und „Weitermachen“: Man muss nur auf der Seite etwas nach links schauen, um in der Mitte ein Foto zu entdecken mit dem Titel „Kerzenschein im 16. Stock. Ein Journalist und seine Mutter beten gemeinsam in ihrer Wohnung“. Die beiden sitzen in der Stube bei einem Licht aus drei bescheidenen Kerzen. Die Stimmung verführt, an die friedlichen Gemälde Rembrandts zu denken, wegen der auch dort vorherrschenden ins Feierliche führenden Farbe Hellbraun. Aber auf historische Beziehungen soll es hier nicht ankommen. Man sollte dieses aktuelle, politische Foto betrachten und bedenken. Ich will versuchen, etwas von der Atmosphäre in Worte zu übersetzen.

2. Zwei Menschen beten.

Dies ist eine Provokation für das säkularisierte Westeuropa: Zwei Menschen beten bei Kerzenlicht. Das praktizieren spirituelle Menschen öfter. Hier aber beten Menschen in größter Not, wegen der Angriffe der Russen fällt die Versorgung mit Elektrizität aus. Die beiden sitzen am Tisch. Gesammelt, man möchte sagen ruhig und beruhigt. Die Mutter hört zu, wie der Sohn aus einem Buch, einem Gebetbuch, einer Bibel vielleicht, laut vorliest. Inmitten der Wohnung gibt es eine Art bescheidenen Hausaltar, mit einer Ikone an der Wand. Der Sohn ist ganz ins Buch vertieft, in die Botschaft, die Gebete, die die Mutter still, mit verschränkten Armen, in einer meditativen Haltung, vernimmt. Wieder eine Erinnerung an den Rembrandt friedlichen Zeiten: Es gibt ein Rembrandt Gemälde aus dem Jahre 1641, darin erklärt der Mennonitenprediger Cornelis Claes seiner Frau Aalte die Bibel. Förmlich eine Idylle dieses Bild.
An die Bibel denken, sie lesen oder gemeinsam beten: Das führt in eine andere Welt. Keine illusorische Welt, sondern eine Welt, die über die alltägliche hinausweist. Die von der Bindung an die gegenwärtige Welt befreit. Die Fenster in der Wohnung von Kyjiw sind mit Vorhängen verdeckt, der kleine Raum wirkt wie eine Krypta. Dass es die 16. Etage ist, spielt keine Rolle: Krypten als Orte der Zuflucht kann es auch in großer Höhe geben. Sie sind Schutzräume eigener Art. Sie schützen nicht materiell, nicht körperlich, sondern geistig. Sie führen ins Weite, ins Andere, das Friedliche wenigstens für ein paar Minuten.

3. Beten inmitten der Zerstörung.

Vielleicht wird ihr Haus bald von den Russen attackiert. Vielleicht werden sie von den Russen weggebombt. Die beiden harren aus in ihrer Krypta in der 16. Etage. Sie sind nicht naiv, auch nicht selbstmörderisch aufs Sterben fixiert. Sie harren aus, weil sie eine andere Sicherheit spüren, weil sie einen Grund im Leben kennen, einen Grund, der trägt, im Leben wie im Sterben. Christen nennen diesen Grund Gott. Und an ihn wenden sich die beiden inmitten der Dunkelheit. Das bedeutet ja Beten: Die eigene Lebenserfahrung im Angesicht des Unendlichen und des Ewigen zur Sprache bringen. Nicht verstummen, sondern die Tiefe des eigenen Lebens, die Angst und die Verzweiflung, aussagen: Das ist Beten. Vielleicht auch Schreien. Vielleicht nur noch Schweigen, auch das ist Beten. Dies tun Mutter und Sohn, nicht weil sie sich in Illusionen flüchten, sondern weil sie selbst in den Katastrophen des Krieges nicht im Alltäglichen aufgehen wollen.

4. Ein Foto, das den Advent zum Vorschein bringt.

Mutter und Sohn leisten sich im Gebet die Sehnsucht nach einer besseren Welt. Sie verzweifeln nicht, selbst wenn ihr Haus von Bomben bedroht ist.  Sie wollen sich sich behütet wissen, trotz allem. Klammern sich im Gebet an den Frieden, der alsbald oder irgendwann beginnen wird. Vielleicht denken sie an Helfer, nah und fern. An Deutsche vielleicht, die noch in relatuv warmen Stuben wohlgenährt sitzen, die in ihrer naiven Russland-Politik vor wenigen Jahren (Merkel usw.) das ganze Unheil des Putin-Krieges irgendwie (?) zugelassen haben.

Sehnsucht ist die Haltung von Menschen, die Advent spirituell und christlich verstehen: Advent ist ein Name für den Wunsch: Möge sie doch kommen, die freundliche Herrschaft des menschlichen, des friedfertigen Gottes! Übersetzt für jene, die das Wort Gott schon nicht mehr hören können: Möge sie doch kommen, die umfassende Friedens-Welt eines sinnvollen Lebens, der Brüderlichkeit, der gleichberechtigten Geschwisterlichkeit im Frieden

Die beiden, Mutter und Sohn, im Halbdunkel vor der Ikone, sammeln sich, sie konzentrieren ihren Geist auf das Kommende hin, das sie ersehnen, das aber heute und morgen nicht Realität sein wird: Ihre Lebenspoesie, das heißt: ihr gemeinsames Beten, ist ein Ausgriff auf diese Zukunft, auf die bessere, die friedliche Zukunft, in der der Feind vertrieben ist, damit dann eine neue Gemeinschaft der Versöhnten entstehen kann. Manche mögen beim Betrachten dieses Fotos (es ist mehr, es erscheint als ein Gemälde) selber beten: „Mögen die beiden, Mutter und Sinn, in ihrer Stube, vor ihrem Hausaltar, doch behütet bleiben. Wie auch immer.”

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Das genannte Foto wie auch zwei weitere Fotos wurden realisiert von Johanna Maria Fritz, Agentur Ostkreuz.
Der Text des Artikels in der „ZEIT“ wurde verfasst von Alice Bota, Simone Brunner, Olivia Koras und Michael Thumann.

Jesus kommt jetzt nach Rom: Neues vom “Großinquisitor”.

Im November 2022 ist das Buch „Der Sommer des Großinquisitors“ des Literaturwissenschaftlers Helmut Lethen (Rowohlt Verlag Berlin) erschienen.  Im November 2021 wurde vielfach an den 200. Geburtstag von Fjodor Dostojewski erinnert.
Anlass genug, der Spur Dostojewskis im Roman „Die Brüder Karamasow“ zu folgen und jetzt aktuell an die Wiederkehr Jesu Christi in Rom 2021 zu erinnern. Dabei folge ich dicht der Erzählstruktur Dostojewskis.

Von Christian Modehn am 18.11.2022.

Der Beitrag hat vier Teile:
1. Jesus in Rom heute.

2. Jesus wird in den Vatikan gebracht und dem Großinquisitor Ratzinger gegenübergestellt.

3. Jesus und Papst Franziskus werden im Büro der Glaubensbehörde des Vatikans erschossen.

4. Ein Hinweis auf den „Großinquisitor“ Dostojewskis.

1. Jesus in Rom heute

Iwan erzählt im Jahr 2021 seinem Bruder Aljoscha Karamasow sein neues Poem. Wie schon in Dostojewskis Roman aus dem Jahr 1879 ist Iwan der Religionskritiker, Aljoscha der Fromme in der Familie. Aljoscha ist so erstaunt über die Einsichten seines Bruders, dass er diesmal nur selten wagt nachzufragen.  Iwan also erzählt:
„Jesus Christus ist kürzlich in den trostlosen Vorstädten Roms aufgetaucht. Im Viertel Corviale geht er den Hochhäusern entlang, betritt dunkle, schmutzige Hausflure, spricht mit den Alten, den Frauen mit ihren vielen Kindern. Geld hat er nicht, aber er spürt die göttliche Vollmacht, für Gerechtigkeit auf Erden zu sorgen. Darum sammelt er schließlich die Menschen auf einem Platz. Sie erkennen ihn an seiner sanften Sprache, fühlen sich von ihm ernst genommen und verstanden, sie sind erstaunt, wie er, Jesus Christus, die Obdachlosen umarmt, den Flüchtlingen hilft, Zelte zu bauen.

Mit sanfter, aber eindringlicher Stimme fordert Jesus Christus diese Menschen auf, sich gut vorzubereiten, loszuziehen und dann die Paläste im Vatikan zu besetzen. Die Kardinäle sollen aus ihren luxuriösen Wohnungen vertrieben werden. „Vielleicht finden sie als die Nachfolger der armen Apostel Petrus und Paulus bei euch dann eine Bleibe“. Jesus Christus lächelt, nicht ohne Ironie.. Dann fährt er sehr bestimmt fort: „Die berüchtigten Finanzjongleure in der Vatikanbank werden dann zu Altenpflegern umgeschult. Und die vielen hundert Priester und Prälaten in den päpstlichen Behörden werden zu Lehrern ausgebildet für die römischen Vorstädte“. Schließlich fordert er die Flüchtlinge und Obdachlosen auf, mindestens zehn Kirchen und fast leerstehende Klöster in der Innenstadt zu besetzen. „Die stehen ja an jeder Ecke und sind fast nur noch Museen“, sagt Jesus. „Dabei sind Gotteshäuser immer Häuser für die Menschen, die Ausgegrenzten zumal“. Die Leute sollen also, fordert er, die Bänke wegschaffen und Notunterkünfte einrichten. „Für die Besichtigung der Kunstwerke in euren besetzten Kirchen könnt ihr Eintritt verlangen, dann ist für Speis und Trank gesorgt“..

„Jesus Christus weilt in der heiligen Stadt Rom“, das haben die Lokalreporter inzwischen längst dem Vatikan gemeldet. Die Bischöfe und Prälaten in den riesigen Renaissance- und Barock – Gemäuern der kirchlichen Verwaltung sind entsetzt über diese Wiederkunft Jesu Christi in Rom. „Der stört uns doch, der raubt uns die Zeit“, lautet die einhellige Meinung. „Hatte nicht der Großinquisitor in Dostojewskis Erzählung bereits Jesus verboten, sich jemals wieder auf diesem christlichen Boden und dieser kirchlichen Welt zu zeigen?“, fragt ein etwas literarisch gebildeter Substitut der Glaubenskongregation. Er blickt mit müden Augen von einem Papierstapel auf, das sich mit einer erneuten Verurteilung des Frauenpriestertums befasst. Und dabei auch noch den Pflichtzölibat der Priester verteidigen muss.

2. Jesus wird in den Vatikan gebracht und dem Großinquisitor Ratzinger gegenübergestellt.

Mit Hilfe der Mafia sorgen schließlich emsige Beamte der Vatikanbank dafür, Jesus Christus sehr diskret aus der erbärmlichen Vorstadt Roms zu entführen und direkt in den Vatikan zu bringen. Einer der vatikanischen Finanzjongleure hat eine Idee: „Bringt den Kerl bloß nicht in unsere Bank, er soll ins nahe gelegene Gebäude des Heiligen Offiziums, einst die Inquisitionsbehörde, verfrachtet werden“.
Ein obligater SUV der Mafia bringt also Jesus Christus, in einer Jeanshose gekleidet und mit einem Wollpullover, wohlbehalten ins „Heilige Offizium“.  „Am besten gleich ins Büro“ heißt die Devise, in das Büro, in dem Kardinal Ratzinger als Behördenchef und Grossinquisitor viele Jahre wirkte. Aber wie es der Zufall will, schaut Ratzinger, nun als Ex-Papst Benedikt XVI., mal wieder in seiner Behörde nach dem Rechten.

So stehen sich also plötzlich Benedikt XVI. und Jesus Christus gegenüber. Beide schweigen lange Zeit. Und Jesus blickt dann voller Tränen auf den Ex-Papst. „Warum weinen Sie, Herr Jesus“, fragt Ratzinger. Jesus winkt nur ab und flüstert nach einer Weile dem greisen Ratzinger ins Ohr: „Was habt Ihr nur aus meiner so einfachen, so menschenfreundlichen Botschaft gemacht“. EX-Papst Benedikt läuft rot an vor Wut, der Farbe seiner feinen Schuhe übertreffend: „Mit ihrer humanen friedlichen Lehre kommen wir nicht weiter, ihre Bergpredigt taugt nichts im Alltag von Staaten und Kirchen! Sie sind ein naiver Idealist, mein Herr und mein Gott“, schnaubt Benedikt mit letzter Kraft. „Wir als Kirche haben inzwischen unsere eigene Religion geschaffen, wir nennen uns nur noch christlich oder katholisch. Wir haben mit Jesus von Nazareth nichts gemein. Wir wollen nur herrschen, befehlen, verlangen Gehorsam, nicht Glauben“.
Der greise EX Papst Benedikt Ratzinger, der hoch gelobte Theologe dieser Religion, die sich nur noch christlich nennt, greift zum Schreibtisch und übergibt dem leibhaftigen Jesus Christus seine drei dicken Bücher über keinen geringen als …Jesus Christus. „Lesen Sie das“, mahnt der Ex-Papst eindringlich. Aber Jesus Christus greift nach den Druckerzeugnissen und schleudert sie auf den Boden. Eine große goldumrandete Vase aus dem 16. Jahrhundert geht dabei zu Bruch, und ein inzwischen fast blinder Spiegel aus dem Neapel des 17. Jahrhunderts beginnt zu wackeln.

Im Spiegel aber erkennt Jesus Christus, dass Papst Franziskus das Büro des Glaubenshüters betreten hat. Jesus und Papst Franziskus sehen sich schweigend an. Viele Minuten stehen sie einander gegenüber, schauen nicht um sich, blicken sich nur in die Augen. Dann berühren sie einander sanft, streicheln sich am Arm, etwas verlegen auch auf den Wangen. Und Jesus Christus entdeckt, dass Papst Franziskus seine Tränen nicht mehr unterdrücken kann. „Ich bin gescheitert in dieser Welt, in dieser Kirche der verfälschten Religion“, flüstert Papst Franziskus Jesus Christus ins Ohr. „Diese Kirche ist jetzt am Ende, der sexuelle Missbrauch durch Priester hat die Kirche definitiv ruiniert. Es ist aus. Meine Meinung: Die Leute sollen einander lieben und Gott ehren, das ist alles. Aber die Beamten, die Priester, wollen, dass der Betrieb weiterläuft“. Jesus Christus schweigt, aber er nickt mehrmals. Zustimmend.
 Der greise Ex-Papst Benedikt wird ungeduldig und betrachtet von der Seite die beiden. Mit der letzten Energie des obersten Glaubenshüters schreit er: „Jetzt reicht es mir mit euch beiden“.

3. Jesus und Papst Franziskus werden im Büro der Glaubensbehörde des Vatikans erschossen.

An der Stelle der Erzählung wagt es Aljoscha, seinen Bruder zu fragen: „Und wie geht es dann weiter?“ „Du weißt“, sagt Iwan, “dass ich dem Katholizismus und dem ganzen institutionellen religiösen Apparaten kritisch gegenüber stehe. Aber ein bisschen schwer fällt es mir doch, dir als einer frommen Seele das Ende zu erzählen“. „Sag es, bitte“, fleht Aljoscha. „Nun ja, eine geheime Tapetentür hinter dem Rücken des Ex-Papstes Benedikt öffnete sich und … wie von von einem Scharfschützen, aber im Priestergewand, werden beide erschossen, Jesus Christus und Papst Franziskus. Und der Ex-Papst Benedikt? Der hat vor Schrecken einen tödlichen Herzinfarkt bekommen. Die geheime Tür in der Inquisitionsbehörde schloss sich wieder ganz schnell, und das alles geschah sehr diskret, wie üblich, fast wie eingeübt“.
Nach einer Weile sagte Aljoscha kaum vernehmbar: „Und diesen Bericht hast du, Iwan, dir ausgedacht? Oder war es gar ein Traum“?  „Es war gewiss ein Traum, aber ein Traum enthält die Wahrheit.

Aber das Ende habe ich dir noch nicht erzählt: Die drei Leichen waren nämlich ganz schnell aus der Glaubensbehörde herausgeschafft worden, von wem und wohin, das weiß niemand“.
„Und nun?“, fragte Aljoscha. „Alles geht im Vatikan und in Rom wieder seinen üblichen Gang, Nachfragen und Nachforschungen werden nach alter klerikaler Manier unterdrückt“, antwortete Iwan. „Ein paar Arme aus der Vorstadt hatten inzwischen eine Kirche und ein Kloster tatsächlich besetzt, sie wurden aber schnell vom Klerus vertrieben und kehrten in ihr Elend zurück. Alles geht alles im üblichen Ritus weiter, die nächste Papstwahl steht bevor“.
 Und dann sagte Iwan noch sehr bestimmt: „Diese Geschichte kann sich auch in anderen Kirchen, in Genf, in Moskau, in Nigeria, in Washington ereignen.
Und du, Aljoscha, solltest deinen FreundInnen sagen: Denkt euch selbst eine andere Fortsetzung des „Großinquisitors von Dostojewski“: Was geschieht, wenn Jesus Christus plötzlich in unseren Städten herumläuft? Vielleicht ist er auch längst da, und wir sehen ihn nicht, weil wir kirchlich verblendet sind. Und vergessen wir nicht: Dostojewski schrieb die Geschichte vom Großinqisitor als Kritik am römischen Katholizismus.

Heute würde Dostojewski sicher die offizielle russisch-orthodoxe Kirche, vor allem diesen Patriarchen Kyrill als Kriegstreiber dieser Putin-Kirche verurteilen. Auch das sagte Iwan noch, seine Stimme vor Schmerz kaum noch zu hören….Auch Atheisten leiden unter den Verbrechen der Kirchenführer, dachte Aljoscha.

 

 

4. Ein Hinweis auf den „Großinquisitor“ Dostojewskis.

In Fjodor Dostojewskis umfangreichem Roman „Die Brüder Karamasow“ (verfasst 1879-188o) enthält das „Fünfte Buch“ ein Kapitel mit dem Titel „Der Großinquisitor“. Es umfasst in der Neuübersetzung von Swetlana Geier (Fischer-Taschenbuch, 2013) nur 30 Seiten. Das Kapitel erscheint wie eine in sich geschlossene Erzählung:

Iwan, der Atheist, erzählt seinem frommen Bruder Aljoscha, sein „Poem“, wie er sagt. „Glühend vor Eifer habe ich es mir ausgedacht…Mein Poem heißt der Großinquisitor – es ist absurd, aber ich möchte es dir gern erzählen“ (S. 397.)
 Während der Herrschaft der katholischen Inquisition im 16. Jahrhundert erscheint plötzlich und unerwartet Jesus Christus inmitten der Stadt Sevilla. Er wird von den Menschen erkannt, einige bitten um seine heilende Wunderkraft. Der greise Großinquisitor, ein Kardinal, darüber empört, befiehlt, Jesus Christus zu verhaften. Das gläubige Volk protestiert nicht dagegen, es ist dem Kardinal ergeben.
 Jesus Christus wird in einem Verlies untergebracht. Der Großinquisitor besucht nachts den verhafteten Heiland, er wirft ihm vor, überhaupt kein Recht zu haben, hier wieder aufzutreten und so wörtlich, „die Ruhe zu stören“.

Für den Großinquisitor ist Jesus Christus ein Ketzer, den er am nächsten Morgen dem Feuertod übergeben will. In seinem Monolog kritisiert der Kardinal die Auffassung Jesu von der Freiheit eines jeden Menschen…Nur durch die strengen Weisungen der Kirchenführer könnten die Menschen von ihrer individuellen Freiheit befreit werden und zu Untertanen werden.
Die Kirchenfürsten haben also im Laufe der Kirchengeschichte Jesu Lehre von der Freiheit und der Gewissensfreiheit korrigiert bzw. „verbessert“ und so die Menschen zu ihrem Glück gezwungen, und das heißt: Sie folgen nun den kirchlichen Weisungen als unfreie, aber in kirchlicher Sicht glückliche Menschen.
Der Großinquisitor geht so weit, sich zum Antichristen zu bekennen: „Wir sind nicht mit Dir im Bunde, sondern mit ihm, (dem Antichristen), das ist unser Geheimnis!“ Die Kirche folgt also dem Antichristen! Dies ist für die Kirchenführer eine Tatsache, die sie nicht öffentlich preisgeben, selbst wenn sie unter diesem geheim gehaltenen Verrat an der Lehre Jesu leiden.
Der Großinquisitor erwartet eine Antwort Jesu. Er hat während des ganzen Monologs geschwiegen.

Dann aber – ganz überraschend – küsst Jesus Christus den greisen Inquisitor…und der öffnet die Gefängnistür und sagt: „Geh, und komme nicht wieder niemals, niemals. Und er lässt ihn hinaus auf die dunklen Plätze der Stadt. Der Gefangene geht.“ (S. 424).

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

„Die Schlange war klug“: Eine richtige Interpretation der biblischen Mythologie zur Menschwerdung des Menschen.

Über ein neues Buch des Judaistikprofessors Peter Schäfer
Ein Hinweis von Christian Modehn

1.
Der Untertitel zeigt die weite Perspektive: Peter Schäfer untersucht ziemlich umfassend „Antike Schöpfungsmythen und die Grundlagen des westlichen Denkens“. Er diskutiert also die Erzählungen vom Ursprung der Welt, wie sie altorientalische Epen oder die Lehren der Philosophen Platon, Aristoteles und Philon bieten. Die „Kosmotheologie“ Platons im Buch „Timaios“ findet Peter Schäfer „letztlich misslungen“ (S. 15) und bei Aristoteles sei ohnehin kein Schöpfungsmythos zu finden. So kann sich Schäfer in dem Buch doch vor allem auf sein Forschungsgebiet, die Judaistik, konzentrieren. Aber es ist keine Frage: Viele der „breiteren Kreise“ der LeserInnen, für die Schäfer ausdrücklich schreiben will, werden sich vor allem für die „kluge Schlange“ im biblischen Paradies interessieren und damit für ein neues, richtiges Verstehen der alttestamentlichen, der biblischen Mythen. Und da kann der Autor tatsächlich übliche, christliche Deutungen korrigieren. Peter Schäfer ist ein renommierter Judaist, er leitete als Katholik einige Jahre auch das Jüdische Museum in Berlin. Man kann nur hoffen, dass viele konservative Katholiken und Evangelikale die Erkenntnisse Peter Schäfers diskutieren und rezipieren. Denn viele sich fromm nennende Leute lehren immer noch, das „Essen vom Baum der Erkenntnis“ auf Einladung (Verführung) der Schlange führe nur zur bösen Autonomie des Menschen. Autonomie des Menschen (und des Christen) ist bekanntlich heute noch und schon wieder ein Kampfbegriff zumal in katholischen Kreisen. Diese Leute des 21. Jahrhunderts wollen überhaupt nicht autonom, nicht frei, sondern nur gehorsam den göttlichen und menschlichen Autoritäten (und ihren klerikalen Führern) sein. Anerkennung des Vorgegebenen, des angeblich Objektiven, der unwandelbaren Offenbarung, diese Bindung an das Starre zeichnet diese Leute aus. Sie sind also noch mittelalterlichen Denkweisen verpflichtet. Man sieht an diesen Hinweisen, wie wichtig das Buch von Peter Schäfer ist.

2.
Das Thema „Die kluge Schlange im Paradies“ ist alles andere als eine Spezialität einiger weniger Wissenschaftler! Die Frage nach dem Ursprung und Beginn der Welt und der Menschwerdung des Menschen bewegt viele, sie ist ein umfassendes Projekt der Naturwissenschaften, aber eben auch ein Thema, das aufgrund seiner bleibenden Erstaunlichkeit in die Welt der literarischen, philosophischen und religiösen Mythen führt. Diese bieten selbstverständlich keine wissenschaftliche Erklärung der „Welten-Schöpfung“, aber diese Mythen haben eine eigene Bedeutung auf spiritueller und religiöser Ebene.

3.
Die Hebräische Bibel, also das von Christen genannte Alte Testament, enthält zwei Erzählungen von der Erschaffung der Welt durch Gott. Beide Mythen untersucht Schäfer, der ältere Text wurde im 1. Jahrtausend (vor Chr.) verfasst, der zweite im biblischen Text Genesis an erster Stelle platzierte um 600 (vor Chr.). Es hätte interessant und hilfreich sein können, mehr vom Entstehungsort dieses Textes zu lesen, nämlich dem babylonischen Exil (568-538 vor Chr.): In dieser Situation der Niederlage, der Verzweiflung, war es offenbar für Israel ein religiöses Bedürfnis, literarisch von der Macht des einen Gottes als des Welten-Schöpfers zu erzählen…
Nur zwei Hinweise, die Schäfer ausführlich diskutiert: Der erste Schöpfungsbericht setzt offenbar voraus: Gott fand, als er dann die Welt schuf und ordnete, eine Art „Erd-Masse“ schon vor, ein tohu wabohu, ein totales Durcheinander. Da entstand die Frage der Gelehrten: Ist diese dort genannte unheimliche „Erd-Masse“ auch von diesem einen Gott Israels geschaffen, sozusagen vor seiner eigentlichen Schöpfungstat? Was bedeutet dann aber die alte theologische Überzeugung, Gott habe die Welt „aus dem Nichts“ erschaffen, also ohne jede „Vor-Gegebenheit“? Schon der mittelalterliche Bibelkommentator Raschi befasste sich mit der „Akzeptanz einer materiellen Vorwelt“, er sieht darin aber „die alleinige und unbegrenzte Schöpfungsmacht seines Gottes“ (S. 39). In den späteren rabbinischen Schriften wird diese Frage immer wieder diskutiert und es setzte sich die Überzeugung durch. „Auch die angeblich vorweltliche Materie wurde in all ihren Bestandteilen von Gott geschaffen“ (S. 323). Recht heftig äußert sich etwa Rabban Gamliel, ein jüdischer Patriarch (gestorben um 114), der „mit äußerster Schärfe“ die Leute verfluchte, so Schäfer wörtlich, die da lehrten: Gott habe einen „vorweltlichen Urstoff“ vor seiner eigentlichen Schöpfungstat vorgefunden! (S. 312). Auf diese Weise wird ausgeschlossen, als hätte es vor dem Welt erschaffenden Gott schon einen anderen Gott gegeben, einen Schöpfer dieser Masse des tohu wabuho…. Solche Meinungen hätten den strengen Monotheismus erheblich gestört, erstaunlich nur, dass auch in jüdischen Kreisen, etwa des 1. Jahrhunderts, von jüdischen Gelehrten Verfluchungen von Irrlehrern ausgesprochen wurden … mit dem Wunsch, „diese mögen „sofort tot umfallen“ (ebd.) Der strenge Monotheismus kann sich nur mit Gewalt durchsetzen…

4.
Wichtiger sind die Ausführungen Peter Schäfers zur viel besprochenen „Verführung des Menschen durch die Schlange“ im Paradies. Um die ausführlichen Erörterungen Schäfers zusammenzufassen: Das Essen vom Baum der Erkenntnis ist für jüdische Interpretationen nur die notwendige Voraussetzung, dass der Mensch zur Erkenntnis, also zur Vernunft kommt. Wäre der Mensch gehorsam immer im Paradies geblieben, wäre er nie ein freier, selbstbewusster Mensch geworden. Es war in der Deutung dieses Mythos ohnehin nicht die Bestimmung des Menschen, unsterblich zu sein, wäre er denn im Paradies gehorsam geblieben. Nur weil der Mensch Gottes Verbot übertritt, „kann er in die reale Welt entlassen werden“ (S. 56). Also: Die Schlange war sehr klug, als sie die Menschen zum Ungehorsam verführte. Das geht soweit, dass Schäfer betont: „Das bedeutet im Klartext, dass „Gottes Drohung eine leere Drohung war“ (S.55). Gott meint es offenbar im Paradies gar nicht so ernst mit seinen Geboten, könnte man dann in dieser Mythologie weiter denken…

5.
Natürlich gehört zum Thema auch eine Diskussion der christlichen Erbsünden-Lehre. Da bietet Peter Schäfer nicht viel Neues. Adam kann „keineswegs für die Fehler aller anderen Generationen verantwortlich gemacht werden“ (S. 22). „Von einer Erbsünde kann bei Paulus keine Rede sein“ (S. 342). Wieder einmal analysiert ein Wissenschaftler die falsche Übersetzung eines zentralen Verses des Römerbriefes des Apostels Paulus (5, Kap., Vers 12). Augustinus meinte aus dem Text herauslesen zu können: Paulus lehre, dass alle Menschen in Adam gesündigt hätten, dass also förmlich in seiner Figur die ganze Menschheit zur Sünderin geworden sei. (S. 349). Dabei meint Paulus: Seit Adam betrifft der Tod alle Menschen, WEIL alle sündigen, WEIL alle Menschen Sünder (aber eben nicht Erbsünder) sind.
DieAugustinische Erbsünden-Lehre (treffender ist Erbsünden – Ideologie) hat etwa der Philosoph Kurt Flasch vor vielen Jahren schon sehr ausführlich kritisiert, leider erwähnt Peter Schäfer die Studien von Kurt Flasch nicht. Auch Schäfer betont: Paulus habe in keiner Weise die Überzeugung vertreten, die noch von der katholischen Kirche gelehrt wird: Dass in der Zeugung eines jeden Menschen diese Sünde weitergegeben wird. Diese Erbsünden-Ideologie hat ein Ziel: Es soll die Universalität der Notwendigkeit der Taufe aller Menschen (!) gelehrt werden, der Taufe, die zur Mitgliedschaft in der Kirche führt, aber dieses Sakrament kann unter normalen Bedingungen eigentlich nur der Klerus spenden. So wird durch die Erbsündenlehre des Augustinus auch die Unersetzlichkeit des Klerus zementiert. Darauf weist Schäfer nicht hin.

6.
Die Kritik an der Erbsündenlehre des Augustinus führt Schäfer dann auch zu Kant, der sich als einer der ersten explizit gegen diese offizielle kirchliche Lehre wandte. Und dann folgt zum Schluss eine sehr lesenswerte Kritik des heute noch/wieder ständig zitierten Nazi-Ideologen und Antisemiten Carl Schmitt. Auch für ihn ist die kirchlich offizielle Erbsündenlehre ein Argument, um wegen der behaupteten allgemeine Verderbtheit der Menschen den autoritären Staat, das Freund-Feind-Denken und den Krieg zu verteidigen (vgl. S.381).

7.
Ich hätte mir nach dieser vielfach anregenden Studie ein Schlusswort gewünscht, woher die dauerhafte Kraft und populäre Macht der biblischen Mythen herrührt. Und dann hätte man auch Stellung nehmen können, warum angesichts der Problematik des Monotheismus immer mehr Leute für einen Polytheismus als sympathische, freundliche, wenn nicht gar demokratische Haltung (etwa Odo Marquard) eintreten.

8.
Und man nimmt als Nicht – Judaist mit einem gewissen Erstaunen zur Kenntnis, dass die rabbinischen Lehrer im 5. Jahrhundert (nach Chr.) betonen: Dieses Land Israel gehört dem Volk Israel „und es wird denen weggenommen, die seiner sich so sicher fühlen“, also damals den Christen, es war ihr „heiliges Land“ … und heute? Diese frühe Behauptung gewissermaßen „nationalistischer” Art wird von Peter Schäfer nicht weiter entwickelt. Er referiert nur die Rabbinen: „Dieses Land gehört letztlich nur Gott, und Gott nimmt es, von wem er will, und gibt es, wem er will, im Auf und Ab der Geschichte. Doch eines bleibt klar: Am Ende gehört das Land dem Volk Israel“ (S. 297). Peter Schäfer schreibt diese Sätze als Interpretation der alten rabbinischen Welt. Er verschweigt, dass dieses Denken auch heute die Politik im Staat Israel bestimmt, man denke jetzt (November 2022) an die Koalition der Rechtsextremen unter dem ebenfalls sehr rechten Netanyahu. Und man muss wohl die Frage stellen dürfen: Ist diese uralte, aber offenbar noch sehr bestimmende rabbinische Interpretation vom „jüdischen Land nur für die Juden“ Ausdruck einer gefährlichen fundamentalistischen Bibel-Interpretation? Sie ist heute nicht nur für eine vernünftige Theologie, sondern auch politisch, friedenspolitisch, obsolet geworden!

Peter Schäfer, „Die Schlange war klug. Antike Schöpfungsmythen und die Grundlagen des westlichen Denkens“. C.H.Beck Verlag, München, 2022, 448 Seiten, 34,00 €. Das Buch enthält 16 prächtige farbige Bildtafeln, sie bieten einen Einblick in die Geschichte der Ikonographie der Schöpfungsmythen.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

 

Julian Barnes Bekenntnisse: Propaganda für den Polytheismus und das Heidentum.

Der neue Roman von Julian Barnes „Elizabeth Finch“
Ein Hinweis von Christian Modehn.

Eine neue religionsphilosophische und theologische Debatte steht bevor: Die Diskussionen werden sich – wie manchmal schon zuvor – mit dem Rühmen des Polytheismus (Heidentum) befassen und der schon üblichen Verurteilung „des“ Monotheismus, also auch der christlichen Kirchen.

1.
Julian Barnes, weltweit bekannter englischer Autor und Essayist, hat einen neuen Roman publiziert: “Elizabeth Finch“ ist der Titel. Auf Französisch liegt der Roman schon seit dem 1. September. Deswegen hat „Le Monde“ Barnes in London besucht, einen langen Artikel veröffentlicht mit wichtigen Zitaten von Barnes (veröffentlicht am 26. August 2022, S. 12, in der Beilage „Le Monde des Livres“.) Der Roman “Elisabeth Finch” von Julian Barnes liegt nun (Mitte November 2022) auch auf Deutsch vor.

2.
Barnes zeigt sich in dem Beitrag als leidenschaftlicher Verteidiger des Polytheismus, für ihn identisch mit dem Heidentum. Und konsequenterweise als leidenschaftlicher Gegner „des“ Monotheismus. Das Christentum erwähnt er ausdrücklich, er denkt aber wohl auch an die beiden anderen monotheistischen Religionen, das Judentum und das Islam. Aber es ist wohl auch die Verachtung der gegenwärtigen Kirchen (auch der Kirche in England), die ihn zur Verurteilung des Monotheismus motiviert.

3.
Im Roman ist die Protagonistin, Elizabeth Finch, eine Kulturwissenschaftlerin, eine explizite Verehrerin des römischen Kaisers Julian Apostata: Er wandte sich als Christ wieder dem alten römischen und griechischen Glauben des Polytheismus bzw. dem Heidentum zu und wollte die sich herausbildende Vormachtstellung des Christentums zurückdrängen. Er lebte von 331 bis 363, als Kaiser regierte er von 360 bis 363, er starb am Tigris, damals im persischen Reich, im Kampf gegen das Sassanidenreich.
Die Begeisterung der Professorin Finch für den „abtrünnigen“ („Apostat“) Kaiser Julian wird von ihrem Schüler Neil erzählt. Er erinnert sich, wie Elizabeth Finch davon öffentlich sprach, wie der Monotheismus (gemeint ist das Christentum) eine Katastrophe für die Menschheit war, wie der Monotheismus als „Herrschaft und Korruption zur Auszehrung des europäischen Geistes führte“. Auch dies: Dass Julian Apostata moralisch viel höher stand als die ganze Reihe der Päpste. Und dass mit dem Ende des Heidentums, mit seinem Propagandisten Kaiser Julian, die Lebensfreude aus Europa verschwand…

4.
Sehr verwunderlich ist, dass Julian Barnes in dem Interview mit „Le Monde“ selbst sehr heftig Partei ergreift für den Polytheismus und das Heidentum. Zu Beginn gesteht Barnes: „Ich bin überhaupt nicht religiös, alle Religionen sind Fiktionen. Aber ich glaube, unter allen Religionen sind diejenigen, die sich auf den Polytheismus gründen, am besten erfolgreich“. Kaiser Julian Apostat habe mit seiner Toleranz gegenüber allen bestehenden, also heidnischen Religionen, so wörtlich, einen „Supermarkt der Religionen“ erfunden. Das findet Barnes gut, deutet das als Toleranz, laut „Le Monde“.
Das ist der Gipfel der Phantasie: Wenn Kaiser Julian Apostata länger gelebt hätte, dann hätte unsere Welt eine andere, eine bessere Richtung genommen. Julian hätte dann, so der Wunsch des Autors Barnes, das Christentum marginalisiert. Christliche Priester hätten nur noch „eine bescheidene Rolle gespielt neben den Heiden und Druiden, den Anbetern der Bäume usw.“ Dann „träumt“ (so wörtlich) sich der weltbekannte Autor Barnes laut „Le Monde“ in eine heidnische Welt, in der es dann aufgrund der angeblichen Toleranz des Heidentums keine Kriege gegeben hätte, eine bessere Förderung der Wissenschaft ebenso, behauptet Barnes. Und vor allem hätten die Menschen in einer Hoffnung gelebt, die sich ganz ausschließlich aufs irdische Dasein bezieht und nicht, so wörtlich, dem „absurden himmlischen Disneyland im Jenseits nach dem Tod“ geglaubt.
Julian Barnes erinnert sich in dem Gespräch mit Le Monde an die Romanschriftstellerin Anita Brookner (1928-2016), sie hätte so hübsch gesagt: „Monotheismus. Monomanie. Monogamie. Monotonie: Nichts Gutes im menschlichen Zusammenhang beginnt mit der Vorsilbe MONO“.

5.
Die Auseinandersetzung mit diesen Lobeshymnen auf Kaiser Julian Apostata und die angeblich enormen menschlichen und wissenschaftlichen Vorzüge des Heidentums, des Polytheismus, muss ausführlich geführt werden.
Es ist bekannt, dass der Polytheismus auch in philosophischen Kreisen ein gutes Ansehen genießt, man denke an an den Philosophen Odo Marquard, der 1978 einen vielbeachteten Vortrag hielt „Lob des Polytheismus“ (in: „Abschied vom Prinzipiellen“, Reclam, 1981, S. 91 -116). Man denke an die Vordenker der „Neuen Rechten“, etwa an den Franzosen Alain de Benoît, der auf Deutsch 1982 sein Buch „Heidesein. Zu einem neuen Anfang. Eine europäische Glaubensperspektive“ veröffentlichte (Graber Verlag in Tübingen). Zuvor war schon in dem genannten Verlag der Sammelband „Das unvergängliche Erbe“ erschienen, mit dem bezeichnenden Untertitel „Alternativen zum Prinzip der Gleichheit“ (herausgegeben von Pierre Krebs). Damit wurde schon im Untertitel angedeutet: Der zu überwindende Monotheismus, etwa das Christentum, setze stark auf das Prinzip der prinzipiellen rechtlichen Gleichheit aller Menschen. Und das wollen die genannten Herren rund um Alain de Botton nun gar nicht. Antisemitismus und Heidentum/Polytheismus gehören oft zusammen…

6.
Auch das gilt: Der Monotheismus kann selbstverständlich nicht pauschal verteidigt werden. Monotheistisch-fromme Menschen, etwa Christen, Theologen, Päpste usw .haben im Laufe der Kirchengeschichte ihre Haltung bewiesen: „Wir besitzen die absolute Wahrheit, und wir drängen diese unsere absolute Wahrheit allen anderen auf, durch Kolonialismus, Mission, Bekehrung“. Da hat sich also die Überzeugung durchgesetzt, subjektiv etwas Wahres erkannt zu haben, total auf objektive Welt, in die Gesellschaft, die Staaten übertragen. Und die Kirchen als Institutionen haben die nur für den einzelnen Menschen privat mögliche absolute Wahrheit ins Objektive, ins Allgemeine, als allgemeine Lehre, übertragen. Und dann begann die Katastrophe des Kolonialismus usw.

7.
Es muss hier nicht ausführlich besprochen werden, dass selbstverständlich innerhalb des Monotheismus, also der Kirchen, einzelne und Gruppen lebten und leben, die den Respekt der universalen Menschenrechte über ihre subjektive Glaubensform stellen. Man denke an Franz von Assisi oder auch an den Verteidiger der Indigenas, Pater Bartolome de las Casas.
Eine pauschale Verurteilung des Monotheismus, wie sie Julian Barnes versucht, ist schlicht und einfach historisch falsch. Genauso, wie es auch falsch ist, den Polytheismus pauschal gut und prächtig zu finden. Tatsache ist, dass heidnische Religionen, man denke an die Azteken, in ihrer rituellen Praxis nicht gerade ein Inbegriff der Menschlichkeit und Sanftheit waren. Ob der polytheistische Hinduimsus pauschal so menschenfreundlich ist, bleibt angesichts der jetzigen Hindu-Nationalisten sehr fraglich. Und ob die germanischen heidnischen Stämme einst nun große wissenschaftliche Leistungen hervorgebracht hätten, wie Barnes hofft, ist auch fraglich.
Und kann man heute gar nicht davon davon absehen, dass viele Soziologen und Politologen von den neuen Göttern des Kapitalismus und Neoliberalismus sprechen, Götter, die das permanente Wachstum gebieten und die Herrschaft der „Alternativlosigkeit“ predigen. Diese neuen materiellen Götter des polytheistischen Kapitalismus haben bei vielen jedenfalls keine gute Presse. Gott sei Dank, oder den Göttern sein Dank!

8.
Allein differenzierendes Argumentieren hilft bei dem Thema weiter und eine genau Kenntnis der Geschichte des spätrömischen Reiches, als es um das Zusammenleben von Heiden und Christen (und Juden) ging. Dazu gibt es vorzügliche historische Studien von bedeutenden Historikern, ich nenne nur den Engländer E.R. Dodds, Gräzist in Oxford, von ihm liegt auf Deutsch u.a.vor: „Heiden und Christen in einem Zeitalter der Angst“ (Suhrkamp, 1985).

9.
Es wäre im einzelnen zu zeigen, dass die universal geltenden Menschenrechte erst im Zusammenhang des Monotheismus möglich wurden. Die Menschenrechte sind ein Produkt der philosophischen Aufklärung, aber diese lebte von dem Gedanken, dass es ein oberstes Prinzip (manche nannten es noch Gott, die Deisten) geben muss als schöpferische Kraft fürs Entstehen aller Menschen. Über diese oberste schöpferische Kraft (Monotheistisch) sind also alle Menschen über die eine gemeinsame Herkunft miteinander verbunden, als Brüder und Schwestern.

10.
Es muss weiter untersucht werden, wie sich vor allem im Katholizismus eine offiziell nicht eingestandene polytheistische Tradition entwickelt hat, man müsste also ernsthaft über den Marienkult reden als Form der Verehrung einer weiblichen Gottheit; man müsste über den Kult der Engel sprechen, heute sehr beliebt, nicht nur bei den geschätzten 20 Engelbüchern von Pater Anselm Grün, sondern auch bei „kirchenfernen“ Leuten. Man müsste sprechen die Heiligenkulte, die Reliquienkulte, die Segnungen von Bäumen und Autos und Handys und Tieren im Katholizismus. Und vor allem: Allen Ernstes müsste endlich gezeigt werden, wie polytheistische Inhalte im Glauben an die Trinität enthalten sind, der Theologe Edward Schilleeeckx hat drauf hingewiesen. Für Kirchenchefs ein peinliches Thema!

11.
Man ist aber insgesamt sehr erstaunt, wie ein „weltbekannter“ Autor wie Julian Barnes (40 Bücher, übersetzt in 30 Sprachen und vielfach mit Preisen überschüttet) sich derart fürs Heidentum heute einsetzen kann.
Aber Religionsphilosophen können auch dankbar sein, dass durch die ziemlich oberflächlichen Behauptungen und „Träume“, wie Barnes selbst sagt, das Thema „Wie böse ist denn nun =der= Monotheismus“ gründlicher diskutiert wird. Und deutlich werden muss auch: Alle rechtsextremen Kreise heute wie damals schmücken sich gern mit heidnischen Ideologien oder Versatzstücken von Edda und Wotan usw. Und sie sind oft Antisemiten!

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

Demokratie braucht Religion! Behauptet Hartmut Rosa.

Ein Hinweis auf eine Broschüre mit dem gleichen Titel.
Von Christian Modehn.

………………..

Ein Motto, am 19. Juni 2024 von Christian Modehn notiert:

Die Pyramide ist immer das Bild, um Diktaturen zu beschreiben.

Der Faschismus Italiens z.B. war als Pyramide konzipiert und organisiert, an der Spitze konzentrierten sich alle Gewalten. So ähnlich ist auch der Vatikan, die Leitung der katholischen Kirchem bis heute organisiert. Alles dreht sich um den – bis jetzt noch – allmächtigen Papst. (vgl. den Aufsatz “Antithese des Faschismus”, von Roberto Scarpinato, in “Lettre International”, Nr. 145, S. 7).

Kann eine solche “pyramidal gestaltete Religion” die Demokratie verteidigen? Wir glauben auch aufrund historischer Erfahrungen: NEIN!

Diese Frage und diese Antwort gilt auch für andere Religionen, wie den Islam, jüdische Traditionen, den Hinduismus usw… Die Demokratie enthält so viel Potential, auch so viel geistvolle Spiritualität, dass sie sich selbst verteidigen und schützen kann. Sie braucht zu, Sufau und Erhalt religiöse Menschen, aber solche, die zuerst demokratisch denken und handeln und NICHT zuerst religiös oder kirchlich orientiert denken und handeln. Religiöse Bindung steht immer an zweiter Stelle! So, wie die allgemeinde Vernunft (der Menschenrechte und der Demokratie) immer an erster Stelle steht gegenüber Weisheiten aus religiösen Traditionen und sich heilig nennenden Büchern.

………………….

1.
Der Titel der Broschüre von Hartmut Rosa „Demokratie braucht Religion“ ist verwirrend: Denn die größte, auch quantitative Aufmerksamkeit des Soziologen gilt der Analyse der heutigen westlichen Gesellschaft, einer Analyse, die als Wertung zu den umfassenden wichtigen Studien Rosas zur Redundanz führt.

2.
Wenn der Autor hier von Religion spricht, dann meint er explizit immer auch die „starke Stimme der Kirche“ (S. 25), Religion und Kirche(n) werden also ziemlich unbefangen identifiziert. Abgesehen davon: Der Autor betont sehr allgemein und sehr knapp: „Kirche hat … eine verdammt wichtige, sehr wichtige Rolle in dieser Gesellschaft zu spielen. Ganz einfach weil ich glaube, dass sie einer Gesellschaft etwas anzubieten hat“ (S. 26f.) Bei diesen Allgemeinheiten bleibt es denn auch, vielleicht noch der ebenso allgemeine Hinweis, dass wir in der „ernsthaften Krise“ der „religiösen Einrichtungen, Traditionen, Praktiken, Riten usw. bedürfen“ (S. 27). Die Kirche kann das in dieser Gesellschaft fehlende „hörende Herz“ (S. 27) pflegen und bereiten, heißt es dann noch.

3.
Kein Wort dazu, dass gerade die katholische Kirche in Deutschland und tatsächlich weltweit in mehrfachen selbst gemachten, eigenen, gravierenden Krisen steckt, allen voran der tausendfache sexuelle Missbrauch durch den angeblich zölibatären Klerus; der Niedergang von Pfarr-Gemeinden durch den Priestermangel; die Abweisung der Frauen vom Priesteramt; die Abweisung der Ehe für homosexuelle Paare; das Verbot des gemeinsamen Abendmahls von Katholiken mit Protestanten und so weiter und so weiter. Da ist es schon sehr mutig und sehr gewagt, wenn ein prominenter Soziologe (und Christ bzw. auch Organist in einer evangelischen Kirche im Schwarzwald) solche Allgemeinheiten zu der angeblichen Notwendigkeit der Kirche verbreitet.

4.
Der Text der Broschüre Hartmut Rosas geht auf eine Einladung des Bistums Würzburg im Jahr 2022 zurück, das Bistum hatte einen Diözesan-Empfang organisiert, den sie mit einem akademischen Vortrag schmücken wollte: Tatsächlich hatte der Vortrag in Würzburg einen anderen Titel als das Buch, er lautete in Würzburg: „Rasender Stillstand. Individuum, Kirche und Gesellschaft im Angesicht der Krisen – ein soziologischer Bestimmungsversuch.“

5.
Das Thema der Broschüre wird als herausfordernde These, nicht als Frage, formuliert „Demokratie braucht Religion“. Und es ist nicht nur meine Meinung, wenn diese Erkenntnis diskutiert würde: Die Demokratie braucht zumindest nicht diese Religion, also diese katholische Kirche in Deutschland. Die Demokratie muss sich aus eigener Kraft, durch gerechte Gesetze und unabhängige Richter sowie nicht korrupte Politiker selbst stärken und selbst verteidigen, denn sie ist eine Demokratie in einem religiös, weltanschaulich pluralistischen Staat. Da braucht man auch nicht die Hilfe etwa des konservativen Islams oder der orthodoxen Juden usw. Denn die römisch-katholische Kirche kann aufgrund ihrer Verfassung gar nicht wirksam Demokratie fördern und glaubhaft Menschenrechte verteidigen. Denn sie ist bekanntlich selbst in keiner Weise demokratisch organisiert, sie lässt die Menschenrechte in der eigenen Institution nicht gelten, siehe auch das verzweifelte Bemühen einiger Unentwegter im „Synodalen Prozess“. Diese Kirche ist ein Club, in dem Männer alles Wichtige definitiv aufgrund angeblicher göttlicher Vollmacht entscheiden. Und dieser Männerclub ist insgesamt sehr extrem moralisch belastet und kaum noch glaubwürdig, ist eingezwängt von berechtigten Anklagen, Prozessen… und diese Kirche stinkt trotzdem vor Geld – verglichen mit anderen Kirchen, etwa in Frankreich. Denn trotz der stetig steigenden hohen Austrittszahlen fließen die vielen Millionen Euros an Kirchensteuer. Diese Kirche lebt materiell also von “nicht-praktiziernden Katholiken”, das sind ca. 80 Prozent aller, die sich als Mitglieder dieser Kirche bezeichnen.

6.
Also, in dieser aktuellen Situation zu behaupten, „Demokratie braucht Religion“ ist geradewegs verwegen, zumal nicht die private, möglicherweise innige mystische Religion und Frömmigkeit gemeint ist, sondern die römisch katholische Kirche als Institution. Meine Meinung: Diese muss erst eine Reformation (nicht Reform, sondern Reformation) erleben, um wieder „gebraucht“ zu werden, Das heißt ja nicht, dass einzelne Pfarrer, Ordensleute oder ehrenamtliche Frauen und Männer an der Basis Hilfen etwa im caritativen Bereich leisten, aber das „Gesamtimage“ der Kirche ist zu beschädigt, als da noch von „Gebrauchtwerden“ die Rede sein könnte. (Ergänmzung am 15.11.2022: Siehe dazu unter Nr. 11 einen Hinweis auf eine katholische Fachtagung “Religionsfreiheit und Populismus” am 14.11.2022)

7.
Das heißt nun wiederum nicht, dass die ca. 40 Seiten der Broschüre, die sich auf die soziologische Analyse und die Präzisierung des Begriffes Redundanz beziehen, nicht lesenswert seien. Im Gegenteil, wegen dieser komprimierten Zusammenfassung DES Forschungsthemas von Prof. Hartmut Rosa lohnt es sich, das Büchlein zu lesen. Ich brauche hier diese Kurzfassung der Rosa Thesen zur Redundanz nicht zu wiederholen, die Broschüre bietet sie leicht nachvollziehbar an.

8.
Am Ende dieser Darstellung wird noch einmal auf die Religion verwiesen, merkwürdigerweise sogar auf das Dogma der Dreifaltigkeit (S. 69), in dem Rosa ein „Resonanzverhältnis zwischen Vater, Sohn und Heilige Geist“ entdeckt, der Philosoph Hegel hätte sich über diesen Hinweis sehr gefreut. Wesentlich hilfreicher sind dann die schon ins Theologische greifenden Thesen Rosas: „Am Grund meiner Existenz liegt nicht das schweigende, kalte, feindliche oder gleichgültige Universum, sondern eine Antwortbeziehung“, Rosa denkt dabei vielleicht an einen schöpferischen Gott, absoluten Geist, an eine unendliche Kraft von allem?

9.
Wie Jürgen Habermas schon seit 2000 ist auch Hartmut Rosa überzeugt: Religionen und Kirchen haben doch noch ein „Ideenreservoir“ (S. 74), das unsere Gesellschaft niemals vergessen darf. Denn sonst „ist sie (die Gesellschaft, diese Welt) endgültig erledigt“ (S. 74). Man schaue aber nur auf die Russisch-orthodoxe Kirche und ihren Kriegstreiber Patriarch Kyrill von Moskau, um dann doch Zweifel zu formulieren: Ist diese Welt nicht gerade wegen dieser korrupten Kirche und anderer korrupter Kirchen (solcher, die Menschenrechte missachten, den Faschismus dulden etc.)„erledigt“. Darüber würde man sich weitere Ausführungen bei weiteren „Diözesanempfängen“ wünschen….

10.
Zu der Broschüre hat der Politiker Gregor Gysi (Partei Die Linke) ein kleines Vorwort verfasst. Gysi, der „Nichtglaubende“ (S. 13) wiederholt seine These: Der befreiende (!) Gehalt religiöser Ideen sollte nicht verloren gehen“ (ebd.) Der bekannte Politiker muss sich eingestehen, dass die Linke jetzt keine grundlegenden Moral – und Wertvorstellungen allgemeinverbindlich in der Gesellschaft“ (S. 14) anbieten kann. Das ist schlimm genug, zumal der Markt (also der Kapitalismus) „auch keine Moral-und Wertvorstellungen hervorbringen“ kann (S. 15), meint Gysi. In einer Gesellschaft ohne Moral soll also die Kirche helfen? Gysi lobt bei diesen trüben Aussichten das ehrenamtliche Engagement vieler Mitglieder der Kirche zugunsten der Humanität, „auch wenn bei den Kirchen nicht alles im Lot“ ist. Wenn man diese Zeilen Gysis liest, könnte man sich wünschen: Ein Dialog Gysi – Rosa beim „Diözesanempfang“ wäre in jedem Fall spannend gewesen, wenn sich denn auch der Bischof in diese Runde diskutierend begeben hätte… Dann wäre danach sogar noch ein Buch entstanden.

11. Aus der katholischen Fachtagung “Religionsfreiheit und Populismus”: Am 14.11.2022:

Der Beauftragte der Bundesregierung für Religions- und Weltanschauungsfreiheit, Frank Schwabe (SPD), forderte die Entlarvung religiös begründeter Populismen – sonst werde Religion am Ende “wirklich weltweit in ganz unterschiedlichen Systemen der Treiber für Unfreiheit”. Ideologische Abgrenzungen und einfache Wahrheiten seien eng verwoben mit rechtspopulistischen Ansichten: “Und das zusammen wird eine ganz, ganz gefährliche Melange, die am Ende dazu geeignet ist, Demokratien in Diktaturen zu verwandeln.“

ONLINE-Fachtagung “Religionsfreiheit und Populismus“ am 14.11.2022 um 14.30 Uhr.

Hartmut Rosa, Demokratie braucht Religion. Mit einem Vorwort von Gregor Gysi. Kösel Verlag München, 2022, 75 Seiten. 12 Euro.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

Was bringen Gespräche mit Kyrill I., dem Patriarchen von Moskau und ideologisch – theologischem Kriegstreiber Putins? Gar nichts!

Ausführliches über ein Treffen von führenden Theologen des Ökumenischen Weltrates der Kirchen (ÖRK in Genf) mit dem Patriarchen Kyrill in Moskau am 17. Oktober 2022.

Ein Hinweis von Christian Modehn.

Am 27.10.2022 plädiert ein prominenter orthodoxer Erzbischof, Arsenios Kardamakis von Wien, für die Absetzung von Patriarch Kyrill. Es kommt also Bewegung im Umgang mit diesem Putin-Kriegstreiber… wenn sogar ein orthodoxer Amtsbruder, Erzbischof Kardamakis, für die Absetzung von Kyrill plädiert, dann ist das wohl ein Zeichen: Mit diesem Kriegstreiber kann man nicht mehr reden. Er gehört in ein bescheidenes Altersheim …. den Vorschlag der Absetzung Kyrills könnte der Weltrat der Kirchen ÖRK in Genf auch unterstützen …   LINK:

Am 26.10. 2022 wurde noch ein “Exklusives Interview mit Prof. Ioan Sauca” vom ÖRK veröffentlicht: LINK

Sauca ignoriert auch in diesem Interview vom 26.10.2022, dass Kyrill während dieser Begegnung in Moskau am 17.Okt. 2022 seine Kriegsideologie deutlich verteidigt hat: In einem leicht zu überlesenden Zwischensatz sagte Kyrill Wesentliches: „Krieg kann niemals heilig sein. Wenn jemand aber sich selbst und sein Leben verteidigen muss oder sein Leben zum Schutz anderer Menschen geben muss, sieht das anders aus“. WIE anders das dann aussieht, sagt Kyrill nicht explizit, aber der Schluss ist klar: In einem solchen Verteidigungsfall ist der Krieg eben doch heilig: Der Angegriffene muss sich verteidigen. Die früheren Stellungnahmen des geistlichen PUTIN-Ideologen lassen ohnehin keinen Zweifel: Kyrill meint, Russland müsse sich gegen den „Angreifer“ Ukraine verteidigen, dann wird der Krieg also durchaus heilig. Auf diesen entscheidenden Zwischensatz Kyrills ist die Delegation des ÖRK nicht eingegangen und geht auch Sauca am 26.10.nichrt ein. (vgl.Nr. 6 in diesem Hinweis).

1.
Man sollte mit Kriegstreibern und Kriegsherren im Krieg reden, sagen einige. Vielleicht bekehren sie sich zum Frieden, der den Namen verdient?
Unter vernünftigen Bedingungen ist Dialog immer eine gute Lösung.
ABER: Eine Dialog-Begegnung mit Patriarch Kyrill und führenden Vertretern des Ökumenischen Rates ÖRK (Genf) am 17.10.2022 zeigt: Man trifft sich, und Kyrill I. als theologischer Kriegsideologe verbreitet nur banale Freundlichkeiten. Und die Delegation aus Genf reagiert freundlich und milde. Deutlich wird: Zur Kritik an Putin bekehrt sich „Seine Heiligkeit“ , ehemaliger KGB Mann, natürlich nicht. Er denkt gar nicht daran, aus seiner Kirche eine oppositionelle Bewegung zugunsten der Anerkennung der Ukraine als eigenständigem Staat zu machen. Er redet vom Frieden, meint aber den Sieg Russlands über die Ukraine.

Man muss sich die Mühe machen, das nach dem „Dialog“ veröffentlichte offizielle Kommuniqué aus Genf, ÖRK, gründlich zu lesen. Link: https://www.oikoumene.org/de/resources/documents/wcc-communique-his-holiness-patriarch-kirill-meets-with-wcc-acting-general-secretary

2.
Dieser Hinweis hier ist alles andere als marginal. Er zeigt, dass die obersten Gremien der Ökumene in Genf gar nicht daran denken, mit der russisch-orthodoxen Kirche zu brechen, d.h. diese Kirche als Mitglied aus der weltweiten Ökumene derer, die sich Christen nennen und als Christen zu handeln versuchen, rauszuwerfen. Solche ein Schritt würde der weltweiten Isolierung des Putin Regimes nützen und später helfen, auch diese Kirchenführer (Kyrill I)…) zusammen mit Putin und Co. vor das alsbaldige Kriegsverbrecher – Tribunal zu stellen.
Aber der sogenannte Dialog in Moskau am 17.10.2022 mit Vertretern des ÖRK zeigt, soweit aus dem Kommuniqué ersichtlich, dass der oberste Boss dieser russisch-orthodoxen Kirche (und nicht nur er) ein Ideologe Putins ist, selbst wenn er sich geschickt verbal zu verstecken vermag.
Wenn man kritisch wäre in christlichen Kreisen würde man diesen Multi-Millionär nur noch Herrn Wladimir Michailowitsch Gundjajew nennen, geboren in Leningrad am 20.November 1946. Solche Ansprache macht die Delegation aus Genf aber nicht, sondern nennt ihn„seine Heiligkeit“. Wie ehrerbietig! Interessant ist, dass die offizielle Website des Moskauer Patriarchats diesen Herrn Gundjajew sogar wie Gott selbst als seine „allerhöchste Heiligkeit“ anspricht. Ein Skandal der Gotteslästerung, allein schon ein Grund, diesen Patriarchen aus dem ÖRK zu werfen.
Zur Anrede von Herrn Gundjajew als „Heiligster Patriarch“ siehe die offizielle Website: https://mospat.ru/de/news/89724/

3.
Es ist schon erstaunlicherweise so weit gekommen, selbst unter immer politisch-staatlich mild gesinnten Orthodoxen, dass jetzt der Ehrenprimas der christlichen Orthodoxie, Patriarch Bartholomäus, diesen Herrn Gundjajew alias seine Heiligkeit (offiziell in Moskau: Heiligstkeit !) Kyrill zum Rücktritt auffordert. (Link: https://www.domradio.de/artikel/bartholomaios-appelliert-erneut-kyrill). Diese Tatsache darf man sensationell nennen, wollen wir hoffen, dass die Dialog bereiten Herren und Damen im ÖRK in Genf sich dieser Position mit allen Konsequenzen anschließen.

4.
Die Tatsachen: Theologen der Ökumene aus Genf (ÖRK) fahren nach Moskau, sprechen am 17.10. 2022 mit Kyrill I. und „seinen Leuten“, wie er sagt. Dann wird am 20.10.2022 in Genf vom ÖRK ein offizielles Kommuniqué veröffentlicht.
Wer das Dokument liest, ist erstaunt und empört: Über die diplomatisch verschleiernden Worte Kyrills und über die fast angstvoll wirkenden, von Ehrerbietung bestimmten Worte und Fragen der Delegation aus Genf.
Kyrill I. spricht bei der Begegnung oft und freundlich vom Frieden und vom Dialog, sowie, ach das ist zu erwarten, von den üblichen „Missverständnissen“ seiner früheren kriegerischen Worte gegen die Ukraine und den moralisch angeblich total verdorbenen Westen.

5.
Kyrill I. spricht überhaupt nicht vom Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Er schwadroniert hingegen von einer „sehr kritischen Lage“, einer „schwierigen Lage“, von einer „schwierigen Situation am Donbas“, er spricht nur vom „politischen Kontext“, den „man beachten“ solle. Wenn der Patriarch und eindeutige Putin-Ideologe die Ukraine erwähnt, dann spricht er, alle wahren Kausalitäten in diesem Krieg verschweigend, von einem „Konflikt in Bezug auf die Ukraine“ oder von einem „Konflikt IN der Ukraine“. Dieses nur Nebel erzeugende Jonglieren mit Begriffen hat er zweifellos mit seinem gemeinsamen KGB Kollegen Putin beim sowjetischen Geheimdienst einst gelernt.

6.
Die „Schaffung von Frieden“ wird von Kyrill mehrfach erwähnt, es sei, klar und eindeutig gesagt: Da redet einer das übliche Bla-Bla, das man etwa aus Zeiten der vorwiegend kommunistisch-gesteuerten „Prager Friedenskonferenz“ schon seit 1960 kennt. In einem leicht zu überlesenden Zwischensatz sagt Kyrill dann doch Wesentliches: „Krieg kann niemals heilig sein. Wenn jemand aber sich selbst und sein Leben verteidigen muss oder sein Leben zum Schutz anderer Menschen geben muss, sieht das anders aus“. WIE anders das aussieht, sagt Kyrill nicht, aber der Schluss ist klar: In einem solchen Verteidigungsfall ist der Krieg eben doch heilig: Der Angegriffene muss sich verteidigen. Die früheren Stellungnahmen des geistlichen PUTIN-Ideologen lassen ohnehin keinen Zweifel: Kyrill meint, Russland müsse sich gegen den „Angreifer“ Ukraine verteidigen, dann wird der Krieg also durchaus heilig.
Komisch ist nur, dass diese Worte Kyrills eigentlich auch auf die von Russland angegriffene Ukraine passen, aber daran denkt der Russe Kyrill „dummerweise“ wohl gar nicht. Denn er ist überzeugt, dass es auch einen von ihm so genannten „metaphysischen Krieg“ gibt, einen Krieg „gegen böse Mächte und Gewalten“, und diese sind ja bekanntlich im dekadenten Westen sehr lebendig, wie Kyrill schon seit langem predigt. Und der Patriarch bezieht sich dabei sogar auf eine Stelle aus dem Neuen Testament, in der der Autor, Paulus genannt, im Epheserbrief – angesichts des nahenden Weltendes – „vom Krieg gegen dunkle Mächte und Gewalten“ spricht (6,12). Den Krieg führt also Russland „metaphysisch“, aber durchaus physisch tötend. Und ich möchte hier nur daran erinnern, wie viel Unsinn diese fundamentalistische Bibellektüre à la Kyrill I. erzeugt. Diese genannten Sätze des Autos Paulus im Epheserbrief werden heute von jedem vernünftigen Theologen beiseite gelegt.
Skandalös ist, dass, soweit aus dem Genfer Kommuniqué ersichtlich, diese Herren vom ÖRK auf diese Worte Kyrills gar nicht reagieren. Haben sie diese Worte überhört? Wollten sie diese Worte überhören?

Zur theologischen Wahnidee des “metaphysischen Krieges” schreibt der Publizist Peter Lachmann (Warschau) in “Lettre International”, 2022, Heft 138, S. 126:” Zu Putin steht denn auch bedingungslos das Moskauer Patriarchat, für das auch die Grausamkeiten der Zaren niemals ein Ärgernis darstellten, weil ihre Herrschaft von Gott komme, so wie des neuen Para-Zaren Putin. Patriarch Kyrill interpretiert Putins Aggression ganz in diesem Sinne: Der Krieg um das heilige Russland habe metaphysische Bedeutung, die Rückeroberung der Ukraine sei eine Sache der ewigen Erlösung“.

Auf diesen Blödsinn fällt der Ökumenische Rat der Kirchen rein und huldigt den metaphysischen Krieger Kyrill, genannt Patriarch,  allein schon durch ihren Besuch am 17.10.2022.

7.
Die Kirchen des Westens, die sich vor allem im ÖRK versammeln, haben nach Meinung Kyrills im Falle des „Konflikts“ sehr löblich “aktiv, aber neutral“ gedacht und gehandelt, sie haben „keine politische Seite gewählt“. Ob man sich als Demokrat darüber freuen soll, ist sehr die Frage. Jedenfalls freut sich Kyrill sehr, dass der ÖRK einstimmig beschlossen hat, die Russisch-orthodoxe Kirche als Mitglied im ÖRK zu belassen. Darüber wurde und wird ja gestritten, leider hat die Führung des ÖRK in Genf das letzte Wort. Genauso groß ist Kyrills Freude darüber, dass diese seine Kirche, die so eindeutig auf Seiten des Kriegstreibers Putins steht, bei der 11. Generalversammlung des ÖRK in Karlsruhe Anfang September 2022 mit einer Delegation vertreten sein durfte, trotz sehr berechtigter Widerstände gegen deren Anwesenheit.
Aber auch schweigt die Delegation aus Genf.

8.
Im ganzen gesehen meint Kyrill I.: Alle Kirchen sollten zusammenarbeiten, den Dialog pflegen, gemeint ist: im Sinne Putins. Kyrill sagte einige Worte, bleibt aber bei seiner kriegerischen Ideologie.
Man fragt sich, müssen zur Entgegennahme solcher bekannter Behauptungen ökumenische Delegationen nach Moskau zum Dialog reisen, lohnt wegen solchen Blablas der Aufwand? Dadurch soll nur der Eindruck geweckt werden: Wir Christen vom ÖRK sind doch soooooo dialogbereit, auch mit theologischen Kriegstreibern.
Seine ganze Verlogenheit fasst Kyrill in seinem Schlusswort zusammen: „Möge Gott uns dabei helfen, dass die christlichen Kirchen der Versuchung widerstehen, Teil einer politischen Macht zu werden“.
Zum Lachen dieser Satz: Die Russisch – orthodoxe Kirche ist unter seinem allmächtigen Chef Kyrill I. alias Gundjajew de facto längst „Teil einer politischen Macht“, nämlich Putins, aber auch diese Tatsache wird nach KGB Art weggelogen.
Aber das wissen doch alle kritischen Beobachter. Nur: Die ökumenische Delegation aus Genf (ÖRK) geht darauf überhaupt nicht weiter ein, jedenfalls berichtet das offizielle Kommuniqué davon nichts. Aber was nutzen mögliche Geheimabsprachen hinter verschlossenen Türen, falls es sie denn in einem Nebenraum des Palastes des Milliardärs und Patriarschen gegeben hat?

9.
Interessant sind die in dem Kommuniqué mitgeteilten Stellungnahmen des „geschäftsführenden Generalsekretärs des ÖRK“, des Rumänisch – Orthodoxen Priesters und Theologen Prof. Ioan Sauca. Im ganzen hat der Leser des offiziellen Kommuniqués den Eindruck: Da spricht ein devoter orthodoxer Theologe der rumänischen Kirche zu dem fast einen Ehrenprimat beanspruchenden Moskauer Patriarchen. Sauca ist sich nicht zu schade, den KGB Mitarbeiter und Putin Ideologen Kyrill mit „seine Heiligkeit“ anzusprechen. Sauca aus Genf spricht selbst nur diplomatisch (freundlich und „neutral“ für Kyrill) von einem „Krieg zwischen Russland und der Ukraine“, von russischem Angriffskrieg traut sich der Herr aus Genf nicht zu sprechen.
Sauca freut sich, dass die Erklärungen zum Krieg durch seine Genfer Kirchenorganisation sogar “unter Mitwirkung der jeweiligen Delegationen der Russisch-orthodoxen Kirche formuliert worden seien, wie nett, die Aggressoren formulieren Friedenserklärungen mit. Sauca betont, durch diese Begegnung in Moskau herauszufinden, was die russische Kirche und der ÖRK tun können, „um dem Blutvergießen ein Ende zu setzen“. Weiter oben habe ich gezeigt, dass Sauca und die Seinen auf diese Frage keine konkrete Antwort vom Herrn Patriarchen erhalten haben. So bleiben den Herren aus Genf nur die freundlichen Worte an die Moskauer Clique: „Wir schätzen die Russisch-orthodoxe Kirche. Sie ist eine der größten Mitgliedskirchen im ÖRK. Und wir alle wollen, dass die Russische Orthodoxe Kirche auch weiterhin Teil des ÖRK bleibt, denn Ihr Beitrag für die ökumenische Bewegung und auch die Einheit der orthodoxen Kirchen ist über die Jahre immer sehr wichtig gewesen.“ Wenigstens ein Hinweis hätte gut getan, welche theologischen, spirituellen, ökologischen Beiträge denn diese russisch-orthodoxe Kirche für die Weltchristenheit bisher geleistet hat. Es sind keine bekannt. Hat nicht die damalige Bischöfin Margot Käßmann im Jahr 2002 ihre Mitarbeit im ÖRK aufgegeben, weil sie förmlich angewidert war von der Frauenfeindlichkeit dieser Moskauer Herren-Patriarchen Clique? (Siehe dazu: https://www.landeskirche-hannovers.de/evlka-de/presse-und-medien/nachrichten/2002/09/04-679)

10.
Was bedeuten also diese demütigen Worte vonseiten Saucas? Will er etwa den Kriegstreiber Kyrill umstimmen? Nein, er will diese Kirche im ÖRK behalten, denn die russisch-orthodoxe Kirche hat im ganzen Bereich Osteuropas ca. 160 Millionen Mitglieder. Wird diese Kirche aus dem ÖRK geworfen, hat dieses oberste ökumenische Gremium dann nur noch bescheidene 400 Millionen Mitglieder weltweit, ein Ungleichgewicht gegenüber der römisch-katholischen Kirche, die jetzt 1,4 Milliarden Mitglieder hat. Das ist für Genfer Ökumeniker vielleicht unerträglich?! Die finanziellen Leistungen der Russisch-orthodoxen Kirchen für den Betrieb des ÖRK in Genf sind äußert bescheiden, wenn man den grandiosen Reichtum allein des Patriarchen Kyrill berücksichtigt: Im Jahr 2020 zahlte die Russisch orthodoxe Kirche 10.229 Schweizer Franken sozusagen als Mitgliedsbeitrag in Genf ein. Im Jahr 2021 waren es 10.618 Schweizer Franken. (Quelle. https://www.oikoumene.org/resources/documents/wcc-financial-report-2020).

11.
Nebenbei: Die „Begegnung Genf-Moskau fand in der „Residenz“ Kyrills, im Danilow Kloster statt, die Barock-Schloss ähnlichen Räumlichkeiten sind absolut glanzvoll und extrem opulent, so richtig passend für Christen, die behaupten, Christen zu sein und dem armen Jesus von Nazareth zu folgen. Und so richtig passend zu den armen Mütterchen, die immer noch in den armseligen Dörfern dem orthodoxen Glauben und seinem Patriarchen -auch noch Geld spendend – anhangen. Das sind Beispiele für die Erkenntnis: „Religion ist Opium des Volkes“…
Und auch dies nebenbei: Wer bei der Begegnung Moskau-Genf diese orthodoxen Gestalten in diesen Prunk-Räumen betrachtet, muss sehr an sich halten, um nicht zu fordern: Mögen doch diese so genannten orthodoxen „Geistlichen-Herren“ für längere Zeit zum Zwecke von geistlichen wie leiblichen Übungen die Lager Putins in Sibirien von Innen erleben. Und den Oppositionellen Nawalny dort treffen. Und mit ihm in aller Lager – Armut und Not debattieren. Dieser Wunsch wird nicht in Erfüllung gehen, selbst wenn, wie schon gesagt, der oberste „Ehren-Chef“ der Orthodoxen, Patriarch Bartholomäus von Konstantinopel, den Rücktritt seines Mitbauer Kyrill I. bzw. Gundjajew, fordert. Aber dieser Herr in Moskau wird dochnicht auf seinen Luxus verzichten, oder diesen ins Ausland, warum nicht nach Deutschland oder nach Zürich, mitnehmen.
Einige hübsche Fotos von der Residenz Kyrills kann man sich anschauen: https://mospat.ru/de/news/89724/. Über den Reichtum des Moskauer Patriarchen: Siehe den Beitrag, Nr. 13.

12.
Diese abstoßenden Gestalten, die sich Patriarchen oder Metropoliten und so weiter zu nennen erlauben, sind, summa summarum, eine Schande für die Christenheit. Auch diese russischen Kleriker vertreiben die letzten Menschen, die noch glauben, in einer christlichen Kirche, auch in der russisch-orthodoxen Kirche, eine Art geistliche, spirituelle und humane Heimat zu finden.
Der Klerus ist, so das Gesamtresultat, das sich auch aus den vielfachen Skandalen der römischen Kirche ergibt, eine Schande für die Christen geworden. Wer diese Schande überwinden will, muss die totale Herrschaft des Klerus, in Moskau wie in Rom und Köln und so weiter überwinden. Und den Leuten in Genf im ÖRK muss man mindestens dies sagen: Seid bitte nicht länger so naiv.

13.
Die beste und sehr lesenswerte Zusammenfassung zur Rolle Kyrills I. als theologischem Ideologen Putins und seines Krieges hat das „Zentrum der liberalen Moderne“ in Berlin verfasst mit allen genauen Details. Siehe den hervorragenden Beitrag von Armin Huttenlocher: https://russlandverstehen.eu/ukraine-krieg-kyrill-huttenlocher/

Nur eine „Kostprobe“als Zitat aus dieser hervorragenden Studie:
Macht­stre­ben und Luxus­le­ben hinter mit­tel­al­ter­li­cher Fassade:
Hinter einer kir­chen­sei­tig gepfleg­ten Fassade vor­mo­der­nen – um nicht zu sagen: spät­mit­tel­al­ter­li­chen – Auf­tre­tens ver­birgt sich ein Apparat, der sich nicht auf eine Pflege des See­len­heils beschränkt: Die Rus­sisch-Ortho­doxe Kirche (ROK) zählt zu den größten nicht­staat­li­chen Land­be­sit­zern in Russ­land, Belarus und der Ukraine. Neben Kirchen, Klös­tern und Land­gü­tern verfügt sie zudem über ein statt­li­ches Immo­bi­lien-Impe­rium. Exper­ten schät­zen die Ein­nah­men allein aus diesem Bereich auf umge­rech­net bis zu 1 Mil­li­arde US-Dollar jähr­lich. Hinzu kommen Gelder, die der ROK ver­fas­sungs­ge­mäß aus der Staats­kasse zuste­hen, und Spenden von Pri­vat­leu­ten und Wirt­schafts­un­ter­neh­men. Das Pres­se­büro von Kyrill I. sah sich vor einigen Jahren ver­an­lasst, nach­träg­lich auf einem bereits ver­öf­fent­lich­ten Foto eine goldene Luxus­uhr vom Hand­ge­lenk des Patri­ar­chen zu retu­schie­ren. Die Ein­kaufs­tou­ren seiner Entou­rage bei Besu­chen von Metro­po­lien (Diö­ze­sen) der ROK in New York, Chicago, London, Paris, Berlin oder Wien sind legendär.
Für aus­rei­chend Beweg­lich­keit des Klerus sorgt eine beein­dru­ckende Flotte aus Fahr­zeu­gen, vor­zugs­weise der geho­be­nen Klasse, Hub­schrau­bern und, Berich­ten zufolge, sogar Flug­zeu­gen. Bei Aus­lands­be­su­chen ist man stets Gast der jewei­li­gen Bot­schaft der Rus­si­schen Föde­ra­tion, wohnt in Vier‑, lieber noch Fünf-Sterne-Hotels und genießt den dazu­ge­hö­ri­gen Service. Die Ver­wal­tung der Besitz­tü­mer und der allein in Russ­land unge­fähr 115 Mil­lio­nen, welt­weit rund 150 Mil­lio­nen Gläu­bi­gen erfolgt ebenso wie die enga­gierte Offline- und Online-Kom­mu­ni­ka­tion der ROK mit­hilfe kirch­li­cher Medien samt eigener Trolle in Sozia­len Netz­wer­ken – soge­nann­ten „Kyrill-Bots“.
Per­so­nell ist die Rus­sisch-Ortho­doxe Kirche seit den 1970er Jahren eng mit den Geheim­diens­ten ver­bun­den. Seit der Bre­schnew-Ära gibt es keinen Patri­ar­chen der ROK, der nicht auch Wurzeln beim KGB bzw. dessen Nach­fol­ge­or­ga­ni­sa­tion FSB gehabt hätte. „Glei­ches gilt für die meisten Metro­po­li­ten (Erz­bi­schöfe) und für min­des­tens ein Drittel aller Pries­ter und Anwär­ter auf ein Pries­ter­amt bei uns“, sagt ein füh­ren­des Mit­glied der ROK im ver­trau­li­chen Gespräch. Und fügt hinzu: „Die Anwer­bung erfolgt im Pries­ter­se­mi­nar. Berichte für den FSB zu ver­fas­sen, gehört so selbst­ver­ständ­lich zum Leben als Pries­ter unserer Kirche, wie die Beichte zum Leben der Gläubigen.“ (https://russlandverstehen.eu/ukraine-krieg-kyrill-huttenlocher/).

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Der religiöse Bruch in Spanien heute: 40 Prozent der SpanierInnen nennen sich heute „nicht-gläubig“, „ungläubig“, „atheistisch“.

Spanien ist nicht mehr katholisch.

Einige Hinweise von Christian Modehn.

Spanien ist der „Ehrengast“ der Frankfurter Buchmesse 2022. Wie schon in den Jahren zuvor, erinnert der Religionsphilosophische Salon Salon Berlin an die religiöse Situation des jeweiligen Gastlandes. So etwa 2019 Hinweise zum “Ehrengast” Norwegen. LINK.

1.
Ohne Statistiken in diesem Fall keine Klarheit: Tatsachen, die den religiösen und damit insgesamt auch kulturellen Bruch im heutigen Spanien deutlich zeigen:

Das Studienzentrum „Centro de Investigaciones Sociologicas“ (CIS) hat im Oktober 2021 diese Statistik veröffentlicht:
Im Oktober 2021 nannten sich noch 55,4% der SpanierInnen katholisch, 1978 waren es 90,5%.
„Ungläubig“ oder „atheistisch“ nannten sich im Oktober 2021 39,9%, also mehr als ein Drittel der Bevölkerung.1978 nannten sich nur 8,5% atheistisch.
Unter den Jugendlichen bezeichneten sich 2021 nur noch 28,2% als katholisch. Die Zukunft der katholischen Kirche ist also düster…
Auch die Teilnahme an der Messe unter den Katholiken wurde untersucht: Im Jahr 2021 sagten 56,8%, niemals an der Sonntagsmesse teilzunehmen, im Jahr 1983 waren es nur 22,2%.
Die Zahl der „Praktizierenden“ (das sind jene, die regelmäßig an der Sonntagsmesse teilnehmen, das also ist „Praxis“) ist heute je nach Region verschieden. In manchen Gegenden Kataloniens (wie Barcelona) mit der Tendenz gegen Null. Das wissen allmählich auch viele Touristen: Wer in Spanien Klosterkirchen, Kathedralen, Pfarrkirchen besucht, kann sich – angesichts des immer leicht angestaubten Alters dieser Gebäude – nicht des Eindrucks erwehren: Man betritt eigentlich Museen, in die die Menschen kurz mal reinschauen oder in denen sie – oft gelangweilt – hin – und her-wandern.

2.
Es gibt immer weniger Priester. Nach Informationen der spanischen Bischofskonferenz gibt es im ganzen Land 22.993 Pfarreien, die aber nur von 16.960 Priestern „betreut“ werden. 1980 waren es noch 24.000 „Diözesanpriester…Es gibt viele Dorfgemeinden ohne einen Priester als „Seelsorger“. In den siebziger Jahre gab es noch 24.500 Priester.
Immer weniger junge Männer wollen sich auf das Zölibatsgesetz festlegen und Priester werden, 2021 waren es insgesamt 1.066 so genannte „Seminaristen“, vor 10 Jahren waren es noch 1.736. Ein Beispiel: Die Ausbildungsstätte für den Klerus in Mérida-Badjoz hat vor kurzem geschlossen, auch das Priesterseminar in Almeria hat – mangels Interessierter – geschlossen.
Das heißt: Das klerikale System bricht auch in Spanien, wie überall in Europa, zusammen.

3.
3,2 % der SpanierInnen sagten im Oktober 2021, sie seien Mitglieder anderer Religionen.
Religiös pluralistisch kann man Spanien heute eher in einem eher begrenzten Sinn nennen: Es gibt eigentlich nur zwei dominante „Bekenntnisse“: Entweder zur katholischen Kirche oder zum individuell gelebten Unglauben bzw. Atheismus.

Nur 3,2% der SpanierInnen sind Mitglieder einer “anderen Religion:
Zu den Protestanten: https://iee-protestante.org/. Es gibt viele evangelikale und pfingstlyrische Gemeinden, vor allem LateinamerikanerInnen sind Mitglieder dieser Freikirchen, sie haben sich oft schon in Lateinamerika vom Katholizismus abgewandt. Aber die Zahlen schwanken: Die Naumann Stiftung veröffentlicht 2022: 1,7 Millionen Evangelische, darunter etwa 900.000 Migranten aus Lateinamerika. (Quelle: https://www.freiheit.org/de/spanien-italien-portugal-und-mittelmeerdialog/migration-und-religioese-vielfalt-spanien).
Zu den Juden: https://www.fcje.org/, heute leben in Spanien ca. 45.000 Juden.
Zu den Muslims: Mindestens 16.000 „herkömmliche Spanier“ (so der katholische Theologe Mariano Delgado) sind zum Islam konvertiert, als ihrer ursprünglichen Religion, insgesamt leben mehr als zwei Millionen Muslims in Spanien.

4.
Spaniens Gegenwart ist nicht mehr von der katholischen Kirche und der Bindung der Spanier an diese Kirche bestimmt. Ein kultureller Bruch wird sichtbar, es ist ein radikaler, aber seit Jahrzehnten regelmäßiger Abschied von der Jahrhunderte alten Selbstverständlichkeit des „100 prozentig katholischen Spanien“. Der von dem rechtsextremen General Franco geförderte Einfluss der Kirche war geradezu total, besonders im Gesetzgebung, im Schulwesen, in den Medien usw. Und die Kirchenführung war sehr froh und dankbar, unter diesem antidemokratischen Franco Regime zu leben und Vorteile zu genießen. In der starren Dialektik Rechtsradikale gegen Republikaner war die Verfassung der kurzzeitigen Republik von 1931 extrem antikirchlich, die meisten Republikaner sahen im Klerus ihren Erzfeind. Nicht ohne Grund, auch die Päpste hatten zuvor jegliche Demokratie verurteilt.
Jedenfalls gilt: „Während der ersten 2 Dekaden der Regierung Francos war die katholische Kirche die deutlichste ideologische Stütze der Diktatur. Die Herrschaft der spanisch- faschistischen Diktatur war ein Klerikal-Faschismus“, so Antonio Gomez Movellán in seinem Buch „La Iglesia catolica y otras religiones en la Espana de hoy”, Editionen Visa 1999, Seite 49, Übersetzung von mir)

5. Ein Blick auf Francos Kirche
Der katholische Theologe Mariano Delgado schreibt in der Jesuitenzeitschrift Stimmen der Zeit 2009: „1948 schrieben die spanischen Bischöfe, erstmals seit dem Bürgerkrieg, einen gemeinsamen Hirtenbrief gegen die Religionsfreiheit. Die spanischen Bischöfe waren der Syllabus-Mentalität (d.h. der antidemokratischen Ideologie der Päpste seit Gregor XVI., CM) verhaftet und dachten folglich, daß nur der wahren Religion, nicht jedoch dem Irrtum Freiheit zustehe, und sie wurden darin von Rom (dem Papst) unterstützt. Denn im selben Jahr 1948 betonte die einflußreiche Jesuitenzeitschrift “La Civiltà cattolica” dieses Prinzip unter ausdrücklichem Bezug auf die Ansprüche spanischer Protestanten: “Aber die katholische Kirche, die aufgrund ihres göttlichen Privilegs davon überzeugt ist, die einzig wahre Kirche zu sein, muß für sich allein das Recht auf Freiheit reklamieren; denn dieses kann allein der Wahrheit, niemals aber dem Irrtum zustehen.“ Mit dieser Mentalität nahmen die spanischen Bischöfe am Zweiten Vatikanischen Konzil teil. Sie lehnten noch 1964 einen zweiten Gesetzesentwurf der Regierung über die Religionsfreiheit ab. Nach dem Konzil, das sich am 7. Dezember 1965 – einen Tag vor dem Abschluß (!) – zur Religionsfreiheit bekannt hatte, konnten sie, der ultramontanen (d.h. der total PAPST – ergebenen Ideologie, CM) Logik folgend, Konzil und Papst ihre Gefolgschaft nicht verweigern. So war der Weg für das spanische Gesetz über die Religionsfreiheit von 1967 frei“. Aber wirkliche umfassende Religionsfreiheit fand Spanien erst mit der Verfassung von 1978, da definierte sich der spanische Staat als a-konfessionell, d.h.er will weder katholisch noch laizistisch im Sinne von antireligiös sein.

Die Erinnerung an die Franco-Diktatur bestimmt noch heute die leidenschaftlichen Debatten der Spanier, wobei viele Republikaner bedauern, wie schwach noch die „Aufarbeitung“ der Franco-Diktatur und der mit ihr eng verbundenen katholischen Kirche bis heute ist. ( Quelle: https://maldita.es/malditodato/20211018/espana-catolicos-creyentes-cis/) Einige hundert Priester haben die Päpste inzwischen selig und heilig gesprochen, die unter Francos Diktatur gegen die linken Republikaner kämpften und dabei ihr Leben verloren. Für heutige Demokraten ist diese Auszeichnung problematisch, weil es ja auch Katholiken unter den Republikanern gab, die ihr Leben im Kampf gegen die Franco-Diktatur ließen.

6.
Das Ende der katholisch bestimmten Francos Herrschaft wurde von den meisten als Befreiung erlebt, aus dieser Befreiung sind neue demokratische Formen des Zusammenlebens entstanden, die Menschen lassen sich ihr moralisches Verhalten nicht mehr von der Kirche vorschreiben! Nur ein Beispiel: Der oft als „typisch spanisch“ geltende Machismo wird in der Demokratie jetzt stark eingeschränkt und durch Gesetze entsprechend gesteuert. Sex kann es für Männer nur noch geben mit ausdrücklicher Zustimmung der Frauen. Es wurden schon 2004 Gesetze beschlossen zum Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt. Die Rechte der Frauen sind unter der Gleichstellungsministerin Irene Montero endlich etwas mehr Realität geworden. Ohne Zustimmung ihrer Ehemänner konnten Frauen unter Franco weder ein eigenes Bankkonto eröffnen noch ihre eigenen Arbeitsverträge abschließen.
Zusammenfassend: Spanien ist ein säkularer Rechtsstaat, und für Religionssoziologen zeigt sich: Nur im Abschied vom ideologischen, moralischen Einfluss des Klerus und seiner Dogmen ist diese Modernisierung möglich. Mit anderen Worten: Der Abschied von der Kirchenbindung ist der Weg in die Freiheit der Gleichberechtigung für Frauen und Homosexuelle. Werte und Lebensorientierungen müssen von jedem einzelnen, von jeder einzelnen selbst gesucht werden. Das ist nicht immer einfach in einer Kultur, die bis 1975 absolut kirchlich, klerikal und autoritär bestimmt war.

Und dass die säkulare Kultur auch eine “Kultur” der Herrschaft, der Männer-Herrschaft, der Herrschaft des Kapitals ist, das sollte man in den vielfach preisgekrönten feministischen Romanen nachlesen, die in den vergangenen Monaten publiziert wurden. Etwa: “Leichte Sprxche” von Cristina Morales (Mattthes & Sweitz Verlag)  oder “Eine Liebe” von Sara Mesa (Wagenbach Verlag).  Besondere Beachtung verdient sicher der Roman von Elena Medel, “Die Wunder” (Suhrkamp Verlag).  Hier wird von den dunklen Jahren der Franco Diktatur erzählt UND der Gegenwart Spaniens, die von sozialer Ungerechtigkeit und Ungleichheit bestimmt ist. Es sind die Frauen, die – auch im heutigen Spanien – ums Überleben kämpfen müssen.

7.
Der sexuelle Missbrauch durch Priester wurde in Spanien durch die Kirchenführung erst spät untersucht, 2021 erklärte Kardinal Omella, dass etwa 1.200 Priester (vor allem in den Jahren 1960-1980) Kinder sexuell missbraucht haben, Betroffene halten diese Zahl für viel zu niedrig.
In jedem Fall haben diese Informationen, Recherchen und Studien zum klerikalen Missbrauch die Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche weiter erschüttert. Manche Spanier sagen: Der Klerus treibt die Gläubigen aus den Kirchen.
Schon bemerkenswert: Die Kirchenführung reagierte erst, nachdem die Tageszeitung „El Pais“ intensive Recherchen zu mehr als 250 „Fällen“ sexuellen Missbrauchs dokumentiert hatte…Dabei haben die Spanier nicht vergessen, dass der in Spanien einflussreiche Orden „Legionäre Christi“ seit den ausführlich dokumentierten Verbrechen ihres Ordensgründers Marcial Mariel im Focus der Recherchen zum sexuellen Missbrauch stand und steht. Aber die Recherchen von „El Pais“ zeigen auch, dass andere Ordensgemeinschaften, wie die Salesianer Don Boscos, viele klerikale Täter sexuellen Missbrauchs aufweisen. Auch zum häufigen Missbrauch an den Kollegien der Maristen-Brüder gibt es viele Studien. (https://elpais.com/sociedad/2021-07-31/los-maristas-investigan-acusaciones-de-abusos-a-otros-dos-profesores-en-el-colegio-de-granada-hasta-2007.html#?rel=listaapoyo)

8.
Dieser Beitrag musste sich beim Thema Spanien auf die katholische Kirche stark beziehen. Hinzuweisen ist auch auf ein menschenfreundliches Gesicht dieser Kirche, auf die in Spanien sehr lebendige CARITAS. Sie ist in sehr vielen Pfarrgemeinden mit eigenen Gruppen und Basis-Hilfsangeboten lebendig, 73.000 Freiwillige engagieren sich für diese Caritas-Arbeit, die von Obdachlosen-Hilfen über Hilfen wegen der Corona-Krise bis zu Beratungen für Flüchtlinge reicht. Der Caritas Etat ist beträchtlich: Im Jahr 2022 beträgt der Etat ca 400 Millionen Euro, davon sind nur 31 Prozent Zuweisungen aus öffentlicher, staatlicher Hand. Siehe: https://www.caritas.es/

9.
Neuigkeiten, kreative Thesen, Refomationsvorschläge aus den Kreisen der zahlreichen katholischen Theologie -Professoren Spaniens sind auf kleinere Studienkreise und Basisgemeinden begrenzt.
Man darf gespannt sein, welche neuen theologische Erkenntnisse aus Spanien sich auch in Frankfurt präsentieren.
Meines Wissens werden kaum noch Bücher aktueller spanischer Theologen in andere Sprachen, etwa ins Deutsche, übersetzt. Die katholisch-theologischen Verlage, die es ja zahlreich in Spanien gibt, veröffentlichen im ganzen eher fromme meditative Erbauungsbücher. Das liegt daran, dass der Kreis der noch „praktizierenden“ Katholiken vor allem aus den so genannten neuen geistlichenBewegungen stammt, also aus dem in Spanien überaus einflussreichen Neokatechumenat oder dem Opus Dei.

Beachtung verdient idie Übersicht über die „Theologien des Südens“, ein Buch des in Spanien sehr bekannten Theologen Juan José Tamayo, die spanische Ausgabe erschien 2017.
Wichtig auch die Studien von Evaristo Vilar (https://independent.academia.edu/EvaristoVillar)

Nahezu unbekannt ist in Deutschland die „Asociación de Teólogos Juan XXIII.“, diese Organisation hat vom 9. bis 11.September 2022 ihren 41. theologischen Kongress „online“ veranstaltet, die Vorträge sind nachzuzulesen: https://congresodeteologia.info/, darunter auch ein Vortrag des brasilianischen Theologen Leonardo Boff: https://congresodeteologia.info/wp-content/uploads/2022/09/BOFF-HACIA-UNA-IGLES-SAMARITANA.pdf.

10.
Der Skandal: Die Gier der Bischöfe:
Die katholische Kirche verliert immer mehr vMitglieder, nur wenige haben das Bedürfnis (und entsprechen der Pflicht) Sonntags an der Messe teilzunehmen.
Und was tun die Bischöfe: Sie verhalten sich ziemlich raffgierig, wenn sie darauf bestehen, dass Kirchen und Gebäude, ja selbst Garagen, Schulen, Wohnhäuser, die 1946 vom rechtsradikalen Staatschef Franco der Kirche als Eigentum übergeben wurden, nun wieder Eigentum der Kirche bzw. der Bistümer werden. Dieses Privileg hatte der damalige PP Präsident AZnar 1994 eingeleitet. So ist die Mezquita, einst Moschee, dann wieder Kathedrale von Cordoba, Eigentum des Erzbistums Cordoba. Der Eintrittspreis in diese Kathedrale beträgt 15 Euro. Über diese Gier des Klerus in Spanien wird heftig gestritten … und die Mitgliederzahlen der Kirche sinken…Inzwischen aber hat die Kirchenführung, ihrer Gier wohl bewusst, 965 von insgesamt 34.000 Eigentums – Objekten den wahren Eigentümern zurückgeben. Der Erzkatholik und Faschist Franco war nämlich so nett: „Jede Immobilie, mit Ausnahme der Gotteshäuser, konnte die Kirche ohne Vorlage von Papieren und nur mit der Unterschrift eines Bischofs als kirchliches Eigentum ins Grundbuch eintragen lassen. Das Gesetz blieb bis 2015 in Kraft.(Quelle:https://www.diepresse.com/6090172/spanische-kirche-will-965-immobilien-an-rechtmaessige-besitzer-uebergeben)

11. Erinnerung an die Philosophin Maria ZAMBRANO.

Zur Buchmesse veröffentlicht der Suhrkamp Verlag ein Buch der leider in Deutschland bislang eher unbekannten Philosophin Maria Zambrano, der Titel “Waldlichtungen”. Einen Hinweis auf Maria Zambrano hat der religionsphilosophische Salon schon 2019 veröffentlicht. LINK.

 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin