Kardinal Rainer Maria Woelki: Sein theologisches Profil.

“WIR sind Zeugen“: Das Motto von Kardinal Woelki!

Ein Hinweis von Christian Modehn, zuerst publiziert am 6.2.2021. Erneut am 29.6.2023.
Aus aktuellem Anlass, Ende Juni 2023.

Es ist jetzt wichtig, an das theologische Selbstverständnis des Priesters und Erz-Bischofs Kardinal Rainer Maria Woelki zu erinnern: Denn sein Agieren in der Verschleierung von sexuellem Missbrauch durch Priester im Erzbistum Köln hat viele tausend Kölner Katholiken zum Austritt aus der Kirche bewogen. Dass Bischöfe durch ihr Verhalten die Gläubigen aus der Kirche vertreiben, ist historisch vielfach belegt, etwa in Frankreich im 18.Jahrhundert, in den Jahrzehnten vor der Revolution.

Der “Fall Woelki” weist also über die aktuellen Debatten hinaus zu der Frage: Wie stark vertreibt die Macht des Klerus in der katholischen Kirche die Gläubigen?

In seiner Doktorarbeit „Die Pfarrei“ an der Santa Croce Universität des Opus Dei in Rom nennt Woelki ein entscheidendes Kapitel: “Das Amt als Repräsentation Christi” bzw. im Unterkapitel “Die sakramentale Vergegenwärtigung Christi durch den Kleriker”.
Woelki glaubt, und das ist auch offizielle Lehre: Im zölibatären Kleriker, auch in ihm, Herrn Woelki, ist Jesus Christus sakramental (zeichenhaft) gegenwärtig.
Welche Konsequenzen hat diese Theologie für den eigenen Lebensstil?

Ein möglicher Meineid passt jedenfalls nicht so gut zur „Sakramenten Vergegenwärtigung Christi durch den Kleriker“. Unter 3.2.3. schreibt Woelki in seiner Doktorarbeit an der Opus-Dei-Universität: „So repräsentiert der Bischof Christus in seiner und für seine Teilkirche“. Die theologische Frage ist: Wie stark leidet dieser Christus unter den gegenwärtigen „Kölner-Kardinals- Verhältnissen“? LINK

1.
Kardinal Rainer Maria Woelki hat sich, wie üblich bei Kardinälen und Bischöfen, den Wahlspruch gewählt: „Nos sumus testes – „Wir sind Zeugen“ (ein Zitat aus der „Apostelgeschichte“, 5. Kapitel, 32. Vers). Wobei das lateinische „nos“, also das Wir, eigentlich überflüssig ist bei dem „sumus“, das ja schon „wir sind“ aussagt. Das Wir, gemeint ist freilich das Ich, wird also noch einmal überbetont in dem Sinne: „Wir und nur wir, sind Zeugen (der Jesu Auferstehung). Ein egozentrischer Wahlspruch, könnte man meinen….
2.
Diesen Wahlspruch, so könnte man jetzt etwas ironisch meinen, hat sich Woelki sehr weise ausgesucht, offenbar voller Vor – Ahnungen für seine bevorstehenden juristischen Auseinandersetzungen. Da geht es bekanntlich darum, was denn Woelki als „Zeuge“ des sexuellen Missbrauchs seiner Priester so alles gesehen, erlebt, bzw. vertuscht hat.
3.
Übrigens wurde Woelki von Papst Benedikt XVI. ins Kardinalskollegium berufen. Dafür hat wohl Woelkis enger Freund Kardinal Meisner (Köln) bei seinem Freund Ratzinger sorgen können….
4.
Hinweis auf einige Publikationen von Christian Modehn:

Kurz nach der Ernennung Woelkis zum Erzbischof in Berlin:
„Mit Erzbischof Woelki ins Getto“ heißt der Beitrag vom 9. September 2011, LINK 
(Woelki war Erzbischof bzw. Kardinal in Berlin von September 2011 bis zum 7.9.2014. Danach in Köln als Nachfolger seines Gönners Kardinal Meisner.

Am 9.7.2012 veröffentlichte Christian Modehn einen ausführlicheren und besonders wichtigen Hinweis, der sich vor allem mit der theologischen Doktorarbeit Woelkis an der Opus-Dei-Universität Santa Croce in Rom befassen. LINK. Es ist interessant, dass die offizielle Pressemitteilung des Presseamtes des Erzbistum Berlin Woelkis Doktorarbeit an der Opus Die Universität in Rom nicht erwähnt. Diese Doktorarbeit war wohl schon peinlich geworden und wurde besser verschwiegen. LINK

Über „Woelki und das Ende der Ökumene“, LINK, vom 7.10.2017

„Wie reaktionär ist Woelkis Theologie?“ LINK, vom 16.9.2019

-Im „Fall“ des katholischen Theologen Prof. Ansgar Wucherpfennig SJ hatte sich Woelki eingeschaltet, dieser Eingriff zeigte, was der Kardinal unter freier theologischer Forschung versteht. LINK

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Die „Trinität“ (Dreifaltigkeit Gottes) als Dogma abschaffen.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 26.6.2023

1.
Für die Frage nach Gott oder dem Göttlichen oder dem Ewigen oder dem „alles tragenden Lebenssinn“ interessieren sich noch viele Menschen.
Als zusätzliches Problem erscheint für die meisten die Frage nach der göttlichen Dreifaltigkeit, der Trinität. Dabei gilt dieses Dogma innerhalb der Kirchenleitungen als etwas „unterscheidend Christliches“, also in den herrschenden, sich „orthodox, rechtgläubig“ nennenden Kirchen, wie bei den Römischen Katholiken, den Orthodoxen, den Lutheranern, den Reformierten (Calvinisten etc.). Der folgende Beitrag zeigt, dass spirituelles Leben im Sinne Jesu von Nazareth selbstverständlich ohne das Trinitäts – Dogma sehr gut möglich ist.

2.
Der internationale geschätzte (Konzils-) Theologe Karl Rahner SJ schrieb 1973 in seinem Lexikonbeitrag „Trinitätstheologie (Herders Theologisches Taschenlexikon, Band 7, S. 353): „ Es muss noch darauf hingewiesen werden, dass die Lehre von der Trinität im konkreten Leben der Christen und in der Predigt, wenn überhaupt, dann nur eine sehr bescheidene Rolle spielt“.
Einen Grund für diese diese treffend beschriebene Tatsache nennt Rahner leider nicht. Die Wahrheit ist: Die Trinitätslehre, das Dogma, ist so „äußerst hochkomplex“, so sehr und so heftig eingebunden in eine metaphysische Sprachwelt des 4. Jahrhunderts n.Chr., dass sie, von wenigen Spezialisten abgesehen, heute niemand mehr versteht. In dem genannten Taschenlexikon – für weite Kreise bestimmt – braucht Rahner immerhin 13 Seiten, um das schwierigste aller theologischen Themen zu erklären. Wer diesen Rahner – Text verstanden hat, also in heute nachvollziehbaren Worten wiedergeben kann, möge sich bei mir melden.

3.
Wie unter Theologen üblich, wird von Rahner nicht erwähnt, wie stark die imperiale kaiserliche Macht damals interessiert war, Jesus von Nazareth als göttlichen Pantokrator auszugeben, und zwar aus dem einfachen Grund: Die Kaiser wollten sich als Nachfolger dieses göttlichen Christus – Pantokrator absolut aufwerten. Solches Ausblenden politisch – ideologischer Zusammenhänge beim Entstehen von Dogmen ist typisch für eine breite Tradition katholischer Theologie in Europa. Deswegen ist sie auch so irrelevant.

4.
Rahner selbst gibt zu, dass die Trinität, so wörtlich, „ein absolutes Geheimnis“ ist, das auch „nach seiner Offenbarung nicht rational durchschaubar ist“ (ebd. S. 342). Die Trinität ist also nicht nur nicht rational durchschaubar, das wäre schon viel verlangt, sie ist als solche nicht einmal als Faktum rational erreichbar. Also ein „absolutes Geheimnis“.
Wer also dem Trinitätsdogma glaubend folgt, verzichtet bewusst auf jegliche Relevanz seines eigenen Geistes, seiner eigenen Vernunft. Diese Haltung, die zu dummem Schweigen führt, kann kein vernünftiger Mensch noch menschlich nennen. Menschen auf rational total bzw. absolut (!) Geheimnisvolles festzulegen, ist einzig Sache der so genannten Sekten, nicht aber der Menschen, die irgendwie den Lebensweg Jesu von Nazareth noch inspirierend finden und die Gottesfrage gerade mit ihrer Vernunft „klären“ wollen.

5.
Nur eine „Kostprobe“ zu trinitarischen Formeln, sehr dicht an dem offiziellen, bis heute in Messen etc. gesprochenen Glaubensbekenntnis:
Es handelt sich demnach bei der Trinität um eine transzendente, himmlische real existierende Idee: Es ist der eine Gott mit einem Wesen und drei Hypotasen („Personen“) im „Himmel“. Gott selbst ist als erste „Person“ der Vater; die zweite Hypotase („Person“) trägt den Namen Christus. Er wurde „vor aller Zeit gezeugt“ (ohne Anwesenheit von Frauen, dann aber irgendwie auch himmlisch „geboren“). Dieser Christus hat zwei Naturen, eine göttliche und eine menschliche. Aber immerhin ist diese Hypotase so wirkungsvoll, dass aus ihm wie auch aus dem Vater der heilige Geist „ausgeht“ (im Sinne eines „Hervorgangs“, sagt die offizielle Deutung, was immer das bedeuten mag, CM). Die orthodoxen Kirchen des Osten behaupten nun, dass der heilige Geist nur aus dem Vater ausgeht! Wegen dieser „verknallten Spekulation“ kam es letztlich auch zum Bruch zwischen West – Kirche und Ost – Kirche … bis heute. Dieser heilige Geist wird in der christlichen Ikonographie als Taube dargestellt, (nebenbei: ob als „Ringeltaube“ ist umstritten, hübsch wäre auch die „Rotschwanz-Fruchttaube“, CM). Wer noch eine Nuance Rahners mag, etwa zur Zahl „drei“ innerhalb der Trinität: „Vater, Sohn und Geist können in Gott `drei` gezählt werden, wobei man sich allerdings dessen bewusst sein muss, dass man das zusammenzählt, was als reiner Unterschied im numerischen Einen der Wesenheit nicht unter einen Begriff einer Menge von Gleichartigem gebracht werden kann und darf“ ( ebd. S 351).

6.
Nun hat die zweite Person der himmlischen Trinität, der Sohn bzw. der Logos, einmal zu einem bestimmten Zeitpunkt die intern göttliche Welt verlassen und hat „Fleisch angenommen“, wie es offiziell heißt, in der Person Jesus von Nazareth, der von ca 1 nach unserer Zeitrechnung bis ca. 35 lebte. Zu dieser Zeit muss als in der himmlischen Trinität die zweite Person (der „Sohn“) gefehlt haben. Es gab also einmal – in diesem Denken – einmal einige nicht – trinitarische „Momente“ innerhalb der himmlischen Trinität: Dies nur als kleine Kostprobe zu den Fragen, die sich spekulativ ergeben… Und die ganze klassische Dreifaltigkeitstheologie fragwürdig erscheinen lassen.

7.
Die Trinitätslehre aus dem 4.Jh. (man hat darüber gerätselt und debattiert und publiziert mindestens bis zum Konzil von Florenz 1439) ist, vornehm ausgedrückt, heute eine überflüssige Alt-Last, weniger vornehm: ein störender Klumpen, ein Ballast, den es nun endlich beiseite zu legen gilt … als Akt der Befreiung.

8.
Die „Trinität“ ist für uns also nicht mehr als ein uraltes, jetzt nur noch für Historiker interessantes Bild, so, wie die religiöse Rede von Engeln im Christentum nichts als ein hübsches, aber letztlich überflüssiges Bild ist. Die außer – christliche Esoterik interessiert sich leidenschaftlich für die Engel, Pater Anselm Grün, der viel – schreibende Benediktiner, auch… Auch der Mythos von der Erbsünde ist nichts als ein Bild, aber kein Dogma mehr, sagen vernünftige Theologinnen heute. Dasselbe gilt für die Rede von der „unbefleckten Jungfrau Maria“.

9.
Dass damit ein Diskussionsfeld eröffnet wird, in dem die Konservativen, die Reaktionären und Traditionalisten alle ihre angeblich scharfen Argumente noch einmal gegen angeblich „böse Irrlehrer“ vorführen, ist klar. Die sich „rechtgläubig“ nennenden Kirchen (also römische Katholiken, Orthodoxe aller Couleur, Lutheraner, Calvinisten …) haben im Laufe ihrer Herrschaftsgeschichte bewiesen, wie sie mit dogmatischen Erneuern und Reformatoren gerade hinsichtlich der „Trinität“ umgehen: Der Theologe Michel Servet (bekannt und geschätzt durch sein Werk „De trinitatis erroribus“, 1531) wurde vom Reformator Calvin am 26. Oktober 1553 öffentlich in Genf (!) verbrannt. Die Theologen Sozzini (etwa Fausto Sozzini 1539-1604) als argumentierende und hoch gebildete Anti-Trinitarier und ihre kleine mutige Gemeinschaft der „Polnischen Brüder“ wurden verfolgt usw. An die Vorbehalte des großen Theologen Erasmus gegen die Trinitäts – Lehre müsste erinnert werden oder auch an die heute noch bestehende freisinnige christliche Kirche der Remonstranten. Ihr offenes Glaubensbekenntnis von 2006 versucht die göttliche Wirklichkeit jenseits trinitarischer Formeln auszusagen, ein einmaliger Vorgang in einer christlichen Kirche heute. LINK.

10.
Seit einigen Jahren haben sogar wenige katholische Theologen den Mut, ihre Zweifel an der offiziellen „Trinitätslehre“ öffentlich zu äußern. Ich denke da vor allem an Professor Edward Schillebeeckx, der lange Jahre als Theologe an der Universität Nijmegen lehrte. In dem Interview-Buch „Edward Schillebeeckx im Gespräch“ (Luzern 1994, Edition Exodus) sagt Schillebeeckx klar und deutlich: „Ich bin im Hinblick auf eine Trinitätstheologie fast ein Agnostiker“ (S. 107). Zuvor hat er in wenigen Sätzen erklärt, was ihn zu dieser Erkenntnis geführt hat: „Im Glaubensbekenntnis geht es nicht um die drei göttlichen Personen…Ich glaube an den heiligen Geist, der für mich allerdings ein großes Problem darstellt. In der Bibel ist der heilige Geist ein Geschenk, nicht eine dritte Person: Er ist die Seinsweise Gottes selbst, der sich den Menschen als Geschenk gibt“ (S. 106).

11.
Damit bietet Schlillebeeckx entscheidende Hinweise: Gott selbst ist, wenn man schon sprachlich sich auf ihn bezieht, nur als Geist denkbar, auch nicht als „Person“ im landläufigen Sinne, schon gar nicht als Materie, als Klotz, als Stein oder was… Sondern als ewiger Geist, und weil Geist, eben auch lebendig- tätig- schöpferisch. Auch Geist kann im populären Verständnis von „Geistern“ etc. falsche Assoziationen wecken… Auch „Geist“ als Beschreibung des Ewigen, Göttlichen, ist also sehr differenziert zu verstehen.

12.
Zunächst folgen wir der Spur, die zu einem neuem Verständnis des „heiligen Geistes“ führt, der nicht als göttliche „Person“ verstanden werden sollte.
Unser Ausgangspunkt ist die menschliche Selbsterfahrung des Geistes: Im menschlichen Geist als Vernunft, als Emotion, zusammengefasst als „Seele“, gestalten wir unser menschliches humanes Leben, mit allen seinen vielfältigen Produktionen des Geistes und der Vernunft, mit seinen ständigen Reflexionen und Entscheidungen, auch zwischen Böse und Gut, um es klassisch moral-philosophisch zu sagen.
Es unser Geist, der seine Lebendigkeit zeigt. Aber was soll dann noch ein heiliger Geist, offenbar ein zusätzlicher Geist in uns? Wann und wo und wie wirkt denn dieser zweite Geist in uns? Etwa nur, wenn es sich um explizit religiöse und spirituelle Fragen handelt?
Aber kann der allgemeine, der menschliche Geist nicht von sich aus auch in der Auseinandersetzung mit Lebensfragen, in der Begegnung mit Kunst usw. Spuren der Transzendenz und des Göttlichen entdecken? Lehrt nicht sogar die katholische Kirche im Ersten Vatikanischen Konzil schon, dass der „natürliche“, also der allgemeine menschliche Geist Gott erkennen kann? Wozu dann noch diese behauptete doppelte Geist – Struktur in der einen geistigen Selbsterfahrung des Menschen? Kann der menschliche Geist nicht von sich auch Erstaunliches, wunderbar Genanntes, erleben?

13.
Die Rede von einem zusätzlichen, zweiten Geist, einem heiligen Geist, im Menschen ist also überflüssig.
Aber was bedeutet dann die literarische Erzählung im Neuen Testament von der Begeisterung der ersten kleinen Gemeinde, die behauptet, zu „Pfingsten“ mit dem heiligen Geist beschenkt worden zu sein? Unsere Antwort: Diese ersten Christen fühlten sich durch ihren eigenen Geist ermutigt, als kleine Gemeinschaft weiter zu leben und ihren Glauben weiter zu gestalten: Diese allgemein menschliche Einsicht, Reflexion und Entscheidung, deuteten sie bei dem damals religiös-kulturell üblichen Enthusiasmus als besondere Gabe Gottes, als besonderen, gegenüber dem eigenen Geist noch zusätzlich gegeben göttlichen, heiligen Geist. Diese Deutung von „Pfingsten“ durch die ersten Christen ist also kulturell bedingte Deutung anzusehen.
Diese ersten Christen hatten wie alle anderen Menschen ihren Geist, ihre Vernunft, ihre Emotionen usw. Und dieser Geist der Menschen ist – theologisch gesehen – der Geist, den der unendliche „Schöpfer“ der Evolution der Welt und der Menschen den Menschen erschaffen hat. Es ist also der von Gott geschaffene Geist (Vernunft) im Menschen, der auch zu religiösen Erkenntnissen führt. Einen zweiten, im Menschen irgendwie und irgendwann wunderbar wirkenden zusätzlichen göttlichen Geist braucht die Menschheit nicht. Denn der menschliche Geist (Vernunft) als Gottes Schöpfung ist heilig.

14.
Mit dieser Skizze wird deutlich: Der so genannte heilige Geist ist eine vom Überschwang bestimmte Konstruktion. Der heilige Geist ist also keine Person einer göttlichen Trinität: Denn Gott selbst ist schöpferischer Geist, der seinen Geist der evolutiven Welt (und den Menschen) mit – teilt…Es gilt also „Gott als den Ewigen als absolute Einheit zu denken“ (vgl. Kurt Flasch, „Christentum und Aufklärung“, Frankfurt/Mn., 2020, S 354)

15.
Es bleibt die Frage, wie denn Jesus von Nazareth als Logos in die „Trinität“ als die „zweite Person“ hineingesetzt werden konnte. Dazu hat der katholische Theologe Prof. em. Hermann Häring (Tübingen) in PUBLIK-FORUM( Heft 10/2023, S. 36 f.) einige Hinweise gegeben unter dem Titel „Die kirchliche Trinitätslehre ist überholt“. Häring schreibt: „Jesus hat sich nie als Teil einer Trinität verstanden, der ihm zugeschriebene Titel Sohn Gottes ist meilenweit entfernt von der zweiten innergöttlichen Person… Unser Bruder Jesus ist zum Träger von Gott gegebener Weisheit geworden. Dazu braucht es keine Dreifaltigkeit“ (S. 36). Im leider ziemlich knappen Beitrag betont Häring treffend: „Man habe in der Kirche diesen Trinitätsglauben aus kindlichem Glaubensgehorsam bewahrt“ (S. 37). Und er schlägt wie auch der Autor dieses Hinweises „eine Generalrevision unserer Glaubenskonstrukte“ vor (ebd.)

16.
Man muss den genannten Spuren folgen und „Jesus von Nazareth“ endlich wieder als Menschen sehen, als „unseren Bruder“, bezeichnen und als solchen auch religiös respektieren. Jesus von Nazareth ist einer von uns Menschen. Er zeigt in seinem Leben, dass er wie die Menschen überhaupt mit kreativem menschlichen Geist, als der Gabe des schöpferischen Gottes, ausgestattet, „beschenkt“, ist. Mit anderen Worten: Jesus von Nazareth zeigt, dass alle Menschen als Geschöpfe Gottes gemeinsam gleichberechtigte Brüder und Schwestern sind, im Bild gesprochen des einen „schöpferischen Vaters“…Es ist also die eine geistvolle Menschheit gemeint, die sich auch in Kirchen sammeln kann, um diese Erinnerung an den einen „Vater“ aller aktuell, auch politisch, aber auch meditativ lebendig zu gestalten.

17.
Aus der „Trinität“ ist also nicht nur der „heilige Geist“ als Person bzw. als Taube befreit. Aus der Trinität ist auch Jesus von Nazareth befreit. Was bleibt? Der eine ewige Gott, den viele als den geistvollen Schöpfer der evolutiven Welt und der Menschen ansehen und verehren, mit religiösen Menschen anderer Religionen…

18.
Aber auch bei diesem Bild, das sinnvoller und geistvoller,„vernünftiger“ und biblischer ist als das Bild „Trinität“, bleiben Fragen: In der Mystik und bei wenigen zeitgenössischen Theologen wird das Bild Trinität oder das Bild des einen schöpferischen Gottes noch einmal weiterentwickelt bzw. überwunden. Denn das Bild des einen schöpferischen Gottes lässt viele Probleme offen: Der schöpferische Gott hat den Menschen als Freiheit geschaffen, aber: Diese von Gott geschaffene Freiheit kann der Mensch auch zum Bösen, Krieg etc. gestalten. Das heißt doch wohl: Dass damit auch Gott als der Schöpfer dieser menschlichen Freiheit ins Böse mit hineingezogen wird.

19.
Gibt es also noch einen größeren Gott als das Bild des schöpferischen Gottes (vielleicht auch klassisch noch als Trinität)?
Meister Eckart (1260-1328) dachte an die „Gottheit“, sozusagen an den „Gott über Gott“. In seiner „deutschen Predigt“ mit dem Titel „Selig die Armen“, bezogen auf Matthäus 5,3 heißt es: “Darum bitte ich Gott, dass er mich Gott-los (wörtlich Gottes quitt) mache. Denn mein wesentliches Sein ist oberhalb von `Gott`, sofern wir Gott als Ursprung der Welt fassen“(vgl. „Meister Eckart. Einheit mit Gott“, hg. von Dietmar Mieth, Düsseldorf 2002, S. 154). Es geht also bei diesem Gott über „Gott“ um eine Idee über allem Sein und über aller Unterschiedenheit…
Auch Paul Tillich dachte Gott jenseits eines Theismus, der sich auf drei göttliche Personen bezieht. Eine authentische religiöse Lebensform ist für Tillich „Der Mut zum Sein“, der seinen Halt findet in dem „Gott über Gott“ (GW XI. S. 138 f). Siehe auch: “Paul Tillich” von Werner Schüssler und Erdmann Sturm, Darmstadt, 2007, S. 163ff): “Die Idee von dem Gott über Gott, dem letzten Grund allen Seins,  der erschient, wenn der Gott , dem wir Namen geben, versunken ist – , mag mir in der unbewussten Erinnerung an Dionysios (Areeopagita) gekommen sein” (S. 166). “Gott über Gott” ist also ursprünglich ein neuplatonischer Gedanke….

20.
Was also ist erreicht in dem hier nur angedeuteten Versuch, das Dogma der Trinität beiseite zu legen und für eine „einfache“ Spiritualität zu plädieren?
Es wurde beispielhaft gezeigt, dass eine moderne Theologie und ihr folgend Kirchen, die den Begriff modern für angemessen und richtig finden, (denk-)möglich sind. Dieser Hinweis will von Begriffen und Lehren befreien, die nur noch wie altes, verstaubtes Mobiliar in den Kirchen herumstehen und nur Historiker noch interessieren dürfen.
Spirituelle Christen können sich also vom Ballast der Traditionen lossagen, befreien, wenn sie denn nicht von Angst vor dem Klerus bestimmt bleiben wollen.
Und wichtig ist, dass Theologie wieder sich eine sehr lebhafte, erneuerungsbereite kritische Forschung zeigt…

21.
Wie sich diese von der alten „Trinität“ befreite Theologie zu den vielfältigen Formen der Unitarier bzw. unitarischen Kirchen verhält, ist eine andere Frage. Sie kann hier nicht beantwortet werden, weil die unitarischen Glaubensformen selbst noch sehr bezogen sind auf die alte, „klassische“ Trinitätstheologie.
Unser Vorschlag geht ja dahin, den Gedanken Gott über „Gott“ im Sinne Meister Eckarts neu zu denken, von diesem „anderen“ Denken wären dann auch die unitarischen Glaubensformen betroffen.

22. Zusammenfassung:

Gott als der Ewige, der letzte Grund unseres Seins, ist Geist.

Jesus von Nazareth ist Vorbild und Inspiration für ein “menschliches Leben”, das diesen Namen verdient.

Der Geist ist heilig, weil er als Gottes Schöpfung im Menschen anwesend ist, als das Belebende, lebendig Machende.

Die Konsequenzen dieser Theologie sind deutlich:

Wir brauchen keine Ideologie der Erbsünde mehr, wir brauchen keine Klerus-Macht, sondern die Gemeinschaft der spirituell Suchenden, einander Ermunternden…

Selbstverständlich wird dann auch die so genannte Erlösungs-Lehre der Kirchen neu gesehen: Der “Logos”, der vom Himmel herabsteigt und “Fleisch annimmt”, (Weihnachten!!), wird durch das Bild ersetzt: Jesus von Nazareth ist ein Vorbild der Menschlichkeit. Ihm in seiner Menschenfreundlichkeit zu folgen, kann erlösend sein. Aber nicht die metaphysische Kraft eines vom Himmel herabgestiegenen Logos (also die 2. Person der Trinität).

Eine gewisse, ganz andere “Trinität”, also dann doch. Aber eine  nachvollziehbare, nicht als total “geheimnisvoll” behauptete…

Eine andere “Trinität”, die zu denken … und zu leben gibt – auch im Gespräch mit anderen Religionen und Konfessionen, mit den Kulturen und anderen “Darstellungen” des Geistes…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

Wozu gibt es einen „Heiligen Geist“? Der Geist des Menschen ist heilig!

Über die “Entrümpelung“ eines theologischen Dogmas.
Ein Hinweis von Christian Modehn

1.
Es findet jetzt – endlich – eine Art Entrümpelung dogmatischer kirchlicher Lehren im Katholizismus statt, und hoffentlich in allen Kirchen. Zum Beispiel: Das Dogma der Erbsünde in der klassischen Form (von Augustinus mit Gewalt durchgesetzt) ist zum Entstauben in einer Seitenkapelle abgestellt worden. Die Dogmen zur „Gottgewolltheit” der klerikalen Hierarchie glauben fast nur noch die in ihrem Klerus-Stand bevorzugten Priester. Hans Küng hat schon vor 50 Jahren am Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes heftig gekratzt. Und die lateinamerikanische Befreiungstheologie versteht Erlösung nicht (nur) als seelisches Geschehen, sondern auch als Erfahrung sozialer-politischer Gerechtigkeit für die Armen…

2.
Auch der Küng – Mitarbeiter, der kathoilische Theologe Prof. em. Hermann Häring (Tübingen), spricht Klartext: „Die kirchliche Trinitätslehre ist überholt“, so in PUBLIK-FORUM Nr. 10/2023, Seite 36 f. Häring schreibt in dem Beitrag sehr treffend: „Die Trinität ist ein Glaubenskonstrukt“… „Fürs Verständnis Jesu braucht es keine Dreifaltigkeit…“ „Die Trinitätslehre ist ein unerträgliches Element“, Häring tritt für „eine Generalrevision unserer Glaubenskonstrukte ein“.

3.
Hier wird ein weiterer Beitrag zur dogmatischen Entrümpelung in gebotener Kürze publiziert: Meine Frage: Was passiert denn eigentlich mit dem „Heiligen Geist“, der so genannten dritten göttlichen „Person“ in der Dreifaltigkeit (Trinität), wenn nun das göttliche Mysterium auch ohne Dreifaltigkeit erlebt, verstanden, gedacht wird?“
Meine begründete These: Der Geist des Menschen – und das ist seine Freiheit und deswegen auch seine Vernunft und seine Sprache, klassisch auch seine „Seele“ – ist heilig. Eine eigenständige , imaginäre „Person“ Heiligen Geist (meist als Taube dargestellt) braucht man dann wirklich nicht zu glauben.

4. Soll es denn zwei Geister in einem Menschen geben?
Das muss gerade für theologische „Laien“ etwas entfaltet werden:
Der menschliche Geist als menschlicher (!) Geist ist heilig, weil er von Gott geschaffen ist. Und Gott, das Göttliche, der Ewige… ist im Menschen durch den von Gott geschaffenen endlichen, menschlichen Geist sozusagen als der Schöpfer von allem – indirekt – anwesend. Der Mensch hat also – schon aufgrund eigener Selbsterfahrung – einen einzigen Geist, und nicht etwa einen menschlichen und daneben oder darüber noch einen gelegentlich, bei besonderen Anlässen, wirkenden zweiten Geist, den göttlichen.
Zwei Geister in einem Menschen? Das ist Unsinn, stiftet Verwirrung, gibt Raum für Phantasie und wunderbare Gottes-Geistes-Verzückungen. Handelt ein Mensch wahrhaftig, gut, ethisch wertvoll, versucht er das göttliche Geheimnis zu erfahren und zu bedenken, dann ist es also immer der eine menschliche Geist, der von Gott dem Schöpfer gegeben, in dieser Fähigkeit lebt.

5. Biblische Erzählung: ein bilderreicher Mythos.
Warum aber wurde dann in der frühen Kirche (in der Apostelgeschichte nachzulesen) die Idee formuliert, es gebe einen eigenständigen heiligen Geist neben dem menschlichen Geist? Diese Frage berührt die exegetische und kirchenhistorische Forschung. Meine kurz gefasste Antwort: Die Gemeinde der Freunde des gekreuzigten Jesus von Nazareth kam gemeinsam zu der überraschenden Einsicht: Unser Freund Jesus von Nazareth lebt irgendwie „wunderbar“ in anderer Gestalt „weiter“: Und sie waren von dieser ihrer Einsicht so begeistert, dass sie meinten, nicht ihr eigener Geist in seiner schöpferischen Freiheit habe ihnen diese Einsicht geschenkt, sondern es sei ein zusätzliches wunderbares Eingreifen Gottes gewesen. Als wäre wegen dieser Einsicht vom „auferstandenen Jesus“ ein extra-heiliger Geist wirksam gewesen. Die Gemeinde misstraute also der schöpferischen Kraft ihres eigenen menschlichen, aber von Gott gegebenen menschlichen Geistes, also der Vernunft, der kreativen Freiheit des Denkens und Fühlens.

6.
Aber die Kirchen haben die schöpferische Kraft des Göttlichen IM menschlichen Geist immer übersehen und unterschätzt: Der Grund: Sie haben die Mythen der Schöpfungsgeschichte im Buch Genesis falsch verstanden und gemeint, der Mensch schlechthin und immer sei durch die Erbsünde verdorben, der Geist des Menschen sei durch die Erbsünde zerrüttet: Das bedeutet. Dann kann nur Gott immer wieder neu eingreifen mit seinem immer wieder willkürlich agierenden zusätzlichen göttlichen wunderbaren Geist. Weil diese Ideologie der Erbsünde nun aber endlich obsolet ist, im Rahmen der oben genannten Entrümpelungen, entfällt auch die Idee eines zweiten göttlichen Geistes, neben dem menschlichen Geist. Ohne Erbsünde kann es einen kreativen, auch guten menschlichen Geist geben und eine gute menschliche Vernunft, die nach dem Göttlichen fragt…

7. Wenn Charismatiker und Pfingstler “ausflippen”
Aber viele sich sehr fromm fühlende, „auserwählte“ Leute klammern sich noch immer an den zweiten Geist in sich selbst, sie verehren ihn als den separaten heiligen Geist. Es sind die so genannten Charismatiker und Pfingstler, die vom heiligen Geist öffentlich gern in „Zungen reden“, wie sie sagen, also in einer angeblich verzückten wunderbaren göttlichen Sprache des Blalaba und Trallatulla und so weiter. Und das Skandalöse ist, das die anderen Geist-Besessenen dann sagen: Auch wir verstehen das geistvolle Blalaba usw.
Ich habe diese Verzückungen erlebt in einer charismatischen Gebetsnacht der äußerst einflußreichen charismatischen Gemeinschaft Emmanuel in der Kirche „Trinité“ in Paris (9.Arrondissement). Dort hatte sich der charismatisch bekehrte, ziemlich bekannte Schauspieler Michel Lonsdale diesem Blalaba usw. sehr hingegeben, ich habe diese Szenen für meinen Film „Unter dem Himmel von Paris“ fürs ERSTE gedreht…

8.
Die Mehrheit der Christen wird sich wohl nun um ihren einen Geist, der als Geist und Freiheit heilig ist, kümmern. Das heißt: Der menschliche Geist und die Vernunft sind als das Auszeichnende aller Menschen absolut zu schützen und unbedingt als Gestaltungsprinzip des Lebens und der Politik durchzusetzen. In den Menschenrechten findet dieser Geist seinen lebendigen, leider eher selten respektierten Ausdruck. Aber das spricht gegen den Geist, sondern die Faulheit und den Egoismus vieler Menschen, den sie mit ihrem eigenen Geist auch überwinden können, wenn sie denn wollen.

9. Die uralten Pfingstlieder – eine unerträglich ferne Welt.
Bei dem immer noch klassisch, d.h. trinitarisch gefeierten Pfingstfest ist wenig bis gar nichts von dieser nachvollziehbaren, vernünftigen Deutung des menschlichen Geistes, des heiligen, zu spüren.
Man denke etwa an die Pfingstlieder im „Evangelischen Gesangbuch“: Darin sind von Nr. 124 bis Nr. 137, also 14 Pfingstlieder, versammelt. Die Texte haben Autoren verfasst, die zwischen 1524 und 1833 lebten, die jüngsten Pfingstlieder, es sind zwei, stammen aus dem 19.Jahrhundert! Alle anderen aus dem 16. bis 18. Jahrhundert. Kein einziges Pfingstlied stammt aus dem 20. Jahrhundert. Wie schwer sich die „klassische“ dogmatische Kirche mit dem Dreifaltigkeitsfest (Trinitatis) tut, wird deutlich: Das Evangelische Gesangbuch von 1993 enthält zwei Trinitatislieder aus dem 16. und 18. Jahrhundert.
Das Katholische Gesangbuch „Gotteslob“ enthält 15 Pfingstlieder, sie stammen schon aus dem 10.Jahrhundert, aber auch aus dem Jahr 1941, getextet von Maria Luise Thurmeier. Sie verfasste den Text für das Lied Nr. 249 „Der Geist des Herrn erfüllt das All – mit Sturm und Feuersgluten“. Wie weltfremd und a-politisch (?) diese dichtende Dame war, ist deutlich: Sie schrieb ihr Gedicht im Jahr 1941, also schon mitten im 2. Weltkrieg… In der 4. Strophe heißt es: „Der Geist des Herrn durchweht die Welt, gewaltig und unbändig, wohin sein Feueratem fällt, wird Gottes reich lebendig“. Es geht also um Feuersgluten, um Sturm, und ein „gewaltiges und unbändiges Geschehen“… Die Kriegspropaganda der Nazis zeigt da ihre Wirkungen bis ins Gebet hinein. Was haben solche Poetinnen wie Frau Thurmeier in einem Gesangbuch zu suchen? Auf die gräßlichen Marienlieder von Frau Thurmeier habe ich schon früher hingewiesen. LINK.

10.
Zusammenfassung:
Es gibt also nur einen Geist im Menschen, er gehört zur Schöpfung des Menschen durch Gott/das Göttliche… Immer ist es der eine menschliche Geist des Menschen, der Leben gestaltet, Frieden schafft, Gerechtigkeit erkämpft. Wer auf Gottes direkten Eingreifen politisch hofft, will selbst tatenlos bleiben.
In der Praxis wird die unendliche Kreativität gespürt, die den menschlichen Geist auszeichnet, und es entsteht eine Dankbarkeit im Menschen, dass er in seiner Freiheit das Gute tun kann. In dieser Dankbarkeit kann sich der Mensch seinem Schöpfer, dem Göttlichen, zuwenden. Mit einem außergewöhnlichen und wunderbaren Eingreifen eines Heiligen Geistes rechnet dann kein spiritueller Mensch mehr: Gott ist ja immer schon „da“, in der Realität des Geistes, des menschlichen und seiner Freiheit.

11.
Die klassische Trinitätslehre ist also auch dadurch „überholt“, wie Hermann Häring sagt, weil es keine dritte Person in der Dreifaltigkeit – sehr anschaulich etwa in Gestalt einer Taube – geben kann.

12. Was wird aus “Gott Vater” mit dem Bart? Der Bart ist nun definitiv ab.
Aber was wird dann aus dem Bild, der Metapher, „Gott-Vater“, der ersten Person dieser drei Personen? Der mit dem Bart, sagen manche. Nun ist der Bart ab: Das Göttliche, Gott, der Ewige, die Göttin, Gott Vater , Gott – Mutter … wie auch immer: Diese Ideen sind nichts anders als Geist zu nennen, sie sind ja keine Materie, kein zu umgreifendes Etwas. Gott als Gott ist Geist. Mehr kann nicht gesagt werden. Aber der Bart des uralten Gottes ist ab. Endlich, ad aeternum hoffentlich. Kunsthistoriker werden dies bei ihren Barock-Studien berücksichtigen. Dieser Gott – Vater – Bart – Glaube ist jetzt vorbei.

13. Warum diese Reflexionen?

Einige LeserInnen fragen: Gibt es nichts Dringenderes? Natürlich, unmittelbar politisch, ökologisch, sozial…. gibt es sehr viele dringendere Themen. Aber der hier vorgeschlagene Verzicht auf einen religiös unkontrollierten Pfingst-Heilig Geist-Enthusiasmus, auf einen kindlichen Wunderglauben, der Verzicht auf ein schwärmerisches Ahnen  “Der heilige Geist wirkt ganz besonders (nur) in mir”: Dies kann zur Befreiung führen, im Sinne von Freimachen des eigenen Denkens für die genannten wirklich dringenden Aufgaben.

14.

Pfingsten und den Geist feiert man dann angemessen nicht mehr durch das Singen alter unverständlicher Pfingstlieder. Sondern in Gesprächen und Verabredungen, wie wir gemeinsam dem verheerenden Treiben, Rassismus, Antisemitismus, Homophobie, “Klerikalismus” in allen Religionen, Rechtsextremismus, Herrenmenschentum im Umgang mit den Arm-Gemachten in der “Dritten Welt” usw.  noch Einhalt gebieten können. Der wahre “Gottesdienst” (am Sonntag) wird dann zum Menschendienst.

 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Austritte aus der Katholischen Pfarrei St. Matthias in Berlin – Schöneberg: Ein Beispiel für religiösen Wandel in Deutschland.

Diese begrenzte, kleine Detailstudie ist wichtig zum Thema:
„Das – zahlenmäßige – Verschwinden der katholischen Kirche in Berlin”

Ein Hinweis von Christian Modehn.

Siehe auch den aktuellen Beitrag zum Thema, publiziert am 15.4.2024 LINK.

1. Das Gemeindeblatt dieser Pfarrei St. Matthias hat manchmal Statistiken veröffentlicht, auch zur Zahl der „Austritte“, wie es in den Heften im Amtsdeutsch heißt. „Austritte“ ist ein Begriff, der für Sachen gilt. Es wurden nicht Menschen befragt, warum sie denn austreten. Es wurde nicht mitgeteilt, wie es mit Altersstruktur der „Austritte“ bestellt ist.

2.  Ich wohne (mit meinem Freund und Partner) als Laien-Theologe der katholischen Theologie und theologisch – philosophischer Journalist seit 1989 im „Pfarrbezirk“. Im Jahr 2010 bin ich aus der katholischen Kirche ausgetreten und Mitglied einer protestantischen Kirche der Niederlande geworden.

3. In dieser seit langer Zeit von sehr konservativen Priestern geprägten Gemeinde sind seit vielen Jahren auch jüngere Priester des Neokatechumenats (aus Polen, Lateinametrika, Italien aber auch aus Deutschland) tätig. Sie haben in der Abgeschiedenheit des eigenen Priesterseminars „Redemptoris Mater“ in Berlin-Biesdorf studiert…Diese Neokatechumenalen gelten im theologischen Verständnis als Sondergruppe, manche sagen als machtvolle Sekte in der katholischen Kirche. Ohne neokatechumenale Priester gäbe es wohl kaum noch jüngere Priester im Erzbistum Berlin, und ohne indische und afrikanische Priester gäbe es sicher keine “klerikale Versorgung” der kleiner werdenden Gemeinden in Berlin wie überall in Westeuropa….LINK.

4. Ich vermute, dass viele Katholiken aus dieser Gemeinde ausgetreten sind, die der schwulen und lesbischen Community angehören. Sie haben in dem Kiez von Berlin-Schöneberg ihre Treffpunkte und wohnen auch oft in dieser Gegend. Eine besondere „pastorale Offenheit“ für Gays habe ich in der Pfarrei St. Matthias überhaupt niemals gesehen. “Sie lebt förmlich auf dem Mond”, sagte mir ein lateinamerikanischer Theologe einmal, was die völlig ignorierte „Inkulturation“ angeht. „Messe lesen“ ist die Hauptsache der drei jetzt verbliebenen Priester, sie müssen vier Schöneberger katholische Kirchen (einst „Pfarreien) mit ihren Messen versorgen. Im Eucharistiefeiern, im Messelesen, wertet sich der Klerus absolut auf … wird unersetzlich, weil ja die Messe als „das Höchste“ im Katholizismus von den Priestern propagiert wird.

5.
Die Statistik:
Die erste Statistik wurde im Gemeindeblatt im März 2013 veröffentlicht, auf S. 24:
Im Jahr 2009: 178 Austritte (bei 10.477 Gemeindemitgliedern)
Im Jahr 2010: 201 Austritte
Im Jahr 2011: 187 Austritte
Im Jahr 2012: 193 Austritte bei 9.704 Gemeindemitgliedern.
In dieser Zeit wurden insgesamt 26 „Wiederaufnahmen“ (einst „Ausgetretener“, die diese Wiederaufnahme oft aus beruflichen Gründen tun) registriert und 10 Konversionen zum Katholizismus.

Die zweite Statistik, mit einer gewissen zeitlichen Lücke, betrifft die Jahre 2017 bis 2022, veröffentlicht in “Pfarrnachrcihten” im Frühjahr 2023, S. 43.
Im Jahr 2017: 150 Austritte
Im Jahr 2018: 207 Austritte
Im Jahr 2019: 312 Austritte
Im Jahr 2020: 297 Austritte
Im Jahr 2021: 475 Austritte
Im Jahr 2022: 411 Austritte.

Ergänzt am 17.4. 2025:

Im Jahr 2024: 398 Austritte (Pfarrnachrichten 1/2025, S. 44).

Das sind, von 2017 bis 2022 zusammen: 1.852 Austritte aus der Pfarrgemeinde St. Matthias, Berlin-Schöneberg.
Die Anzahl der „Wiederaufnahmen“ in diesen Jahren: 28.
Die Anzahl der Konversionen: 17 in diesen Jahren.
Die vier Schöneberger Kirchen sind nun zu einer Gemeinde zusammengefügt worden, und diese hat 16.079 Mitglieder im Jahr 2022.
Von den Gemeindemitgliedern sind 2.090 über 70 Jahre alt.

6.
Es wäre eine wichtige Aufgabe für Religionssoziologen und Mathematiker zu berechnen, wie viele Mitglieder diese Gemeinde in 20 Jahren noch zählt, berücksichtigt man einen Mittelwert der „Austritte“ und die Altersstruktur. Dann käme man – sozusagen von einem Nicht- Mathematiker hochgerechnet – auf eine Zahl der Gemeindemitglieder von ca. 7.000 Gemeindemitgliedern im Jahr 2043. Für diese geringe Anzahl – immer noch (???) mit vier Kirchengebäuden etc. (St. Matthias, St. Konrad, St. Dominikus, St. Elisabeth) – könnte dann gut ein einziger neokatechumenaler Priester – aus Polen, Italien oder Mexiko – die Messen lesen. Das könnte bei guter Gesundheit des Priesters klappen…

7.
Aber: Diese präzisen Hochrechnungen macht niemand, jedenfalls werden sie nicht publiziert. Genauso wenig wie die Anzahl der Priester in 20 Jahren, die immer noch und wohl ad aeternum alles beherrschen als unersetzliche Messeleser, ermittelt wird.
Auch das Durchschnittsalter der jetzt noch tätigen Priester wird nicht bekannt gegeben.
Es ist die Angst vor der Wahrheit, die sich da ausdrückt. Diese Wahrheit könnten die Religionssoziologie und die Mathematik, also Wissenschaften, mitteilen. Das will die Hierarchie aber nicht wissen…. So lebt der Katholizismus weiter im Nebel, aber „selbstverständlich“ in „guter Hoffnung“, hießt es.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Blaise Pascals 400.Geburtstag. Er analysiert das seelische Elend des Menschen, um für einen radikalen Glauben zu werben.

Größe und Grenzen des viel gerühmten Blaise Pascal (1623-1662)
Ein Hinweis von Christian Modehn

Über biographische Details informiert, unter anderen Publikationen, auch wikipedia. Wir konzentrieren uns auf einige zentrale philosophische und theologische Fragen.

1.

Viele Behauptungen Pascals sind populär, sie werden in Sonntagsreden und Feuilletons zitiert, sind manchmal schon zu schlichten „Wandkalender-Weisheiten“ geworden:
– „Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen.”
– „Der Mensch ist weder Engel noch Tier, und das Unglück will, dass derjenige, der ihn zum Engel machen möchte, ihn zum Tier macht.“
– “Das Herz hat Gründe, von denen der Verstand nichts weiß.“
– “Die Niedrigkeit des Menschen geht so weit, dass er sich den Tieren unterwirft bis zur Anbetung“

2.
Es gibt fast keinen Philosophen oder Schriftsteller „von Bedeutung“, zumal in Frankreich, der sich nicht ausführlich zu Pascal, meist lobend, geäußert hat. Es ist fast so, als gehöre es zum guten Ton, Pascal mit einem Hauch der Bewunderung zu erwähnen. Auch die Liste der wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit dem Philosophen, Schriftsteller und Laien-Theologen Pascal ist umfangreich.
Pascal als Naturwissenschaftler, Mathematiker, Erfinder ist nicht Thema dieses Hinweises. Er wurde in dem Zusammenhang oft ein Genie genannt, weil er seit seinen ersten Lebensjahren hervorragende naturwissenschaftliche und mathematische Kenntnisse und bis heute gültige Einsichten hatte und technische Erfindungen vorzuweisen hat… Aber nach seiner Bekehrung zu einer Form radikalen Christentums (d.h. Katholizismus als radikale Gnadenlehre) standen diese wissenschaftlichen Themen nicht mehr im Mittelpunkt seiner Interessen.

Und das Verwirrende an der Person Pascals ist: Er denkt naturwissenschaftlich – klar, aber im philosophische Denken, das für ihn ein bestimmtes theologisches Denken ist, ist er letztlich gebunden an Mythen und Dogmen. Klares Denken der Vernunft gibt es für ihn im religiösen Bereich nicht mehr. Existiert also eine gewisse Spaltung im Denken dieser einen Person Blaise Pascal? Diese Frage kann hier nur gestellt, nicht beantwortet werden. Wir weisen hier nur auf einige philosophische und theologische  Strukturen von Pascals Leben und Denken hin.

3.
Wer sich aber als Philosoph kritisch mit Pascal befasst und entsprechend äußert, wie Voltaire, dem werden „gehässige Äußerungen“ unterstellt oder gar „Angriffe“, weil er an „wesentlichen Gedanken Pascal vorbeigeht“, so die Voltaire-Kritik von Eduard Zwierlein in seiner „Skizze zur Wirkungsgeschichte“ (Pascals) in seinem Buch „Blaise Pascal. Gedanken“, Suhrkamp Studienausgabe, 2012, S. 286.
Aber es ist heute die Frage: Worin besteht denn die aktuelle Bedeutung, worin bestehen möglicherweise Pascals hilfreiche Erkenntnisse für die Probleme der Menschen der Gegenwart?

4.
Pascals Analysen und Interpretationen zum „Wesen“ des Menschen, zu seiner „Natur“, wie er sagte, konzentrieren sich auf die Schattenseiten menschlicher Existenz. Es geht Pascal vorrangig in seinen anthropologischen Hinweisen um die „zerrissene, zwiespältige Natur” „des“ Menschen, also des Franzosen und Europäers im 17. Jahrhundert.
Pascals ausführliche Analysen zum seelischen und geistigen Elend (und manchmal fehlen auch nicht Hinweise zum Elend der politischen Verhältnisse) sind heute selbstverständlich mit der üblichen Distanz, mit Abstand und Zweifel zu würdigen. Dies gilt vor allem von Pascals Grundidee, dieses Elend des Menschen in einem zweiten Schritt dann auf die Erlösung des seelischen Elends, der menschlichen Zerrissenheit zu lenken. Pascals sieht die Verwirrung und sogar die „Zerstörung“ des Menschen im Mythos der Erbsünde: Ob man sich diesem Kirchen-Dogma in einem kritischen theologischen Denken heute anschließen kann und darf, ist die Frage. Wir beantworten die Frage mit Nein.
Dies sind jedenfalls die zentralen Themen des Philosophen und Laien-Theologen Blaise Pascal unmittelbar nach seiner Bekehrung im Jahr 1654, die er als Bruch in seinem Leben verstand und als Abschied von dem ihm vertrauten und wohl auch geschätzten „mondänen Leben“ der feinen Pariser Gesellschaft.

5.
Blaise Pascals philosophisches – theologisches Hauptwerk, „Pensées“ genannt, scheint nach wie vor viele Menschen ins Nachdenken, in Erschütterungen, ins Grübeln zu führen über die Zerrissenheit und Widersprüchlichkeit menschlicher Existenz.
Die „Pensées“ werden ein Buch genannt, das nach Pascals Tod im Jahr 1662 zum ersten Mal 1670 veröffentlicht wurde, das aber danach, zumal zu Beginn des 20. Jahrhunderts, immer wieder neu in einigen historisch-kritischen Ausgaben herausgegeben wurde.
Hinterlassen hatte Blaise Pascal seine „Gedanken“ in vielen, meist noch ungeordneten Papieren, die erst nach seinem Tod entdeckt wurden. Seit 1656 arbeitete Pascal an diesen Notizen und kürzeren Texten, sie waren von ihm gedacht als eine „Apologie des Christentums“: Eine Form des radikalen Katholizismus verteidigen, für ihn werben, zu ihm hinführen, das war sein Thema seit seiner „mystischen“ und plötzlichen Bekehrung am 23. November 1654. Er stellte dann seine naturwissenschaftlichen Forschungen zurück, um sich ganz vorrangig dem „Studium des Menschen“ zu widmen. Aber diese Reflexionen zum Wesen des Menschen dienen der Hinführung zum katholischen Glauben. Die theologische Interessen des Laien-Theologen Pascal (er hatte sich bestimmte theologische Einsichten selbst angeeignet, viele wurden ihm im Gespräch mit Theologen erschlossen) belegen auch die Publikationen wie der „Dialog mit M. de Saci“ oder „Das Mysterium Jesu“. Hoch geschätzt, auch wegen der Kraft ihrer Sprache, sind Pascals „Lettres Provinciales“, die er 1656-1657 unter dem Pseudonym Louis de Montalte veröffentlichte, diese Briefe waren ein damals heikles Unternehmen: Denn sie kritisieren heftig und scharf die Theologie der damals einflußreichen Jesuiten. Sie gelten Pascal als zu liberal und zu mondän, im moraltheologischen Sinne als Laxisten. Im Jahr 1660 wird eine lateinische Ausgabe dieser “Lettres“ öffentlich in Paris verbrannt.

6.
Pascals Grundüberzeugung, wie sie in den „Pensées“ greifbar wird: Der Mensch ist in seinem Wesen immer widersprüchlich, zerrissen, verlogen, raffiniert, er ist verführt von Ablenkungen; der Mensch vernachlässigt die Pflege seiner Seele, sieht nicht, dass das Herz, das Gemüt, wichtiger ist als die Vernunft. Er ist den unendlichen Räumen des Weltalls hilflos und verlassen ausgesetzt. „Die Lage des Menschen: Unbeständigkeit, Langeweile, Ruhelosigkeit“.

7.
Pascal argumentiert in seinen gedanklichen Entwürfen, „Pensées“ genannt, durchaus philosophisch, er kennt die Philosophie Descartes und Montaigne, auch die Stoiker, wie Epictet, aber er ist insgesamt von einem tiefen Misstrauen gegenüber der Eigenständigkeit philosophischen Denkens bestimmt. Er kann zwar schreiben: „Das Denken macht die Größe des Menschen aus“ (NR 89, S. 50.) Aber er hat stets die Überzeugung, dass es nur ein einziges „richtiges“ philosophisches Denken gibt, und das ist ein Denken, das sich dem biblischen Gott hingibt, also im Sinne Pascal dann in dieser Selbstaufgabe „richtig denkt“. Und dem „Herzen“ als der Mitte der Gefühle allen Vortritt lässt. Das “Denken des Herzens” beansprucht Pascal für sich: Nur dieses Denken des Herzens nimmt wahr, so meint er: Das Elend des Menschen, es findet die Lösung, die Erlösung in der Gestalt Jesu Christi, im Glauben allein.

8.
Die Philosophie, meint Pascal, kann sich nicht selbst begründen, das Denken muss dem Glauben Platz machen, nur im Glauben wird Gott erreicht. Der christliche Glaube reinigt in gewisser Weise das Denken und damit auch das Verhalten der Menschen; sind die Menschen doch durch die Erbsünde verdorben: „Die Natur (des Menschen) ist verderbt. Der Mensch handelt nicht der Vernunft gemäß, die sein Wesen ausmacht“ .
Philosophieren hat also im Sinne Pascals nur den Zweck, die Grenzen des Denkens philosophisch aufzuzeigen, um dann den Sprung in den Glauben, d.h. in seine Form des radikalen katholischen Glaubens, zu fordern bzw. zu diesem Sprung aufzurufen.
Philosophie hält der sich philosophisch bildende Pascal für ungeeignet, zu Gott zur führen. Eine Ausnahme hat er gemacht in seiner umstrittenen WETTE, dazu ein Hinweis Nr. 14.

9..
Darin wird die Radikalität des religiösen Fanatikers Pascal deutlich, der das Elend der Menschen zeigt, um dann mit einer Art „Keule“ die Erlösung zu behaupten. Man fragt sich manchmal, ob alle die vielen, die voller Bewunderung „ihren „Pascal“ hoch loben, auch diese eher explizit theologischen Kapitel seines Werkes gelesen haben.
Schon 1646 lernt Pascal die radikale Gnadenlehre des katholischen Bischofs Cornelius Jansen von Ypern, 1585 – 1638 kennen, diese Theologie wurde deswegen auch „Jansenismus“ genannt. Die Theologie des katholischen Bischof Jansenius erweckte eine bestimmte Interpretation der Gnadenlehre des Augustinus zu neuem Leben, in der manche auch Anklänge an die radikale Gnadenlehre des Reformators Calvin entdecken wollen.

10.
Dennoch verkehrt Pascal nach 1646, dem Jahr der ersten Bekehrung, zunächst weiter in den „mondänen Salons“ von Paris und gibt sich allerhand Vergnügungen hin, angeblich gelangweilt, aber er ist dennoch dabei…
Ende 1653 beginnt Pascal, sich von dieser Welt der Freigeister zu distanzieren. Nach einem schweren Unfall, aus dem er sich wunderbar errettet fühlt, (Wunder sind DAS Lieblingsthema des frommen Pascal), erlebt er kurz danach, am 23.November 1654, in der Nacht,  eine Art mystisches Erlebnis der unmittelbaren Gottesverbundenheit. Er verfasst, dicht am mystischen Ereignis selbst, eine Art Erleuchtung, die als „Memorial“ auch heute bekannt ist. Er näht sich diesen Text in seinen Mantel ein, um ihn als eine Art Begleitschutz immer bei sich zu haben und niemals zu vergessen. Dies ist die Zeit, in der sich Blaise Pascal der Spiritualität des Zisterzienserinnen Klosters “Port Royal“ immer mehr annähert: Im Kloster lebt seine Schwester Jacqueline als Nonne, das Kloster denkt und lebt gemäß der strengen Gnadenlehre von Bischof Jansen und kommt deswegen in heftigste dogmatische Konflikte mit Pariser Theologen der Universität und der politischen Führung. Denn eine Art katholischer Sonderlehre stört den absoluten Herrschaftswillen des Königs: Er will eine einzige katholische Kirche beherrschen, nicht über mehrere Traditionen, die als Konkurrenz auftreten.
Pascal unterstützt den entscheidenden Theologen des Klosters Port Royal, Antoine Arnould (1612-1694) in seiner radikalen Gnadentheologie gemäß den Weisungen Bischof Jansens. Pascal verteidigt also offen den Jansenismus.
Der Kampf um die richtige Gnadenlehre eskaliert, der Papst zwingt die Nonnen, sich von den Lehre des Jansenius zu trennen, dem Befehl entsprechen sie auch. Pascal lehnt diese Leistung des Gehorsams  ab, er bleibt also Anhänger der jansenistischen Lehre.  Aber, und das ist erstaunlich, er kümmert sich gerade dann doch wieder um weltliche Dinge, diesmal um den Aufbau eines gemeinnützigen Transportunternehmens für die Stadt Paris… Schwer krank stirbt Blaise Pascal im Alter von 39 Jahren am 17. August 1662. Er wird in der Pariser Kirche Saint-Etienne-du-Mont begraben.

11.
Es geht also Pascal in der Suche nach Erlösung um einen Sprung: von der Erkenntnis des menschlichen Elends hinein in den Glauben an Gott: Aber dieser Sprung in Gott hinein ist für ihn keine Leistung des Menschen, sondern Gnade und Gabe Gottes allein. Pascal argumentiert dabei streng biblizistisch, er hält alle Aussagen des Neuen Testaments, so wie sie damals formuliert wurden, für Gottes Wort. Allein schon deswegen gilt es Abstand zu nehmen von jeglicher „Pascal-Begeisterung“. Um so mehr, als sein Verständnis von katholischer Kirche  heute an die Traditionalisten der Pius-Brüder des Anti-Konzils-Bischofs Marcel Lefèbvre erinnert. Der Philosophiehistoriker und Pascal-Spezialist Wilhelm Schmidt-Biggemann schreibt in seinem Buch „Blaise Pascal“ (C.H.Beck Verlag, 1999) auf Seite 145: „Da der Mensch (im Sinne Pascals) aus der Sünde nur durch die Gnade herausfindet, die Kirche aber die Gnadenmittel verwaltet, war die Zugehörigkeit des Gläubigen zur Kirche notwendig.“ Auch Schmidt-Biggemann nennt Pascal ausdrücklich „einen Jansenisten“ (S. 146), also einen Gläubigen im Sinne der strengen Sonder-Theologie des Bischofs Jansenius. Zur Wirkung der Jansenisten in Frankreich bis weit ins 19. Jahrhundert, siehe Nr. 16.

12.
Der Grund für die totale Unfähigkeit des Menschen, von sich aus zum Glauben zu kommen: Für Pascal ist es die totale Last der Erbsünde. Denn das ist heute so Befremdliche und so wenig Hilfreiche am Denken des Blaise Pascal: Diese Fixiertheit auf die totale Macht der Erbsünde ist heute höchst problematisch, weil die “Erbsünde,” im Paradies angeblich geschehen, ein Mythos ist, der dann vom „Kirchenvater“ Augustinus mit aller Macht durchgesetzt wurde, obwohl es begründeten Widerstand gegen das Dogma der Erbsünde gab. Im ganzen wird heute von kritischen Theologen diese Erbsünden – Lehre als der größte Schaden anerkannt, den ein Dogma jemals anrichtete.

13.
Voltaire und Pascal
„Der Kampf Voltaires gegen Pascal war ein Kampf um ein vernünftiges Verständnis des Christentums“, schreibt der Philosoph und Philosophiehistoriker Kurt Flasch in seinem Buch „Kampfplätze der Philosophie“ (Frankfurt/M. 2008, S. 346). Zum Verständnis des menschlichen Wesens trage die Erbsündenlehre aber nichts bei, sie sei ein „theologischer Roman orientalischer Herkunft“, so fasst Kurt Flasch die Position Voltaire zum Thema zusammen. Alles, was die Erbsündenlehre zu erklären behauptet, “lässt sich aus der Betrachtung der menschlichen Natur, des menschlichen Wesens, verständlich machen“ (ebd.) In seiner großen Studie „Christentum und Aufklärung“ (Frankfurt/M. 2020) setzt sich Kurt Flasch sehr ausführlich mit Pascal auseinander: „Was war das Pascalsche Christentum der Gnadenschriften? Es war ernst, düster, streng, gewissenhaft, scholastisch kostümiert…er beschrieb drohend den Inhalt seiner Art von Christentum. …. Es werden nicht alle Getauften gerettet usw…“ (S. 154f.). Flasch fasst zusammen: „Das Pascalsche Christentum ist ein tristes Christentum“ (ebd.). „Er duldete im Christentum weder Vielfalt noch Wandel“ (S. 158).

14.
Einer der merkwürdigsten Texte Pascals ist der kurze Essay, der als „Wette“ bekannt wurde. Es geht um die Frage: Wer ist mehr im Vorteil, wer an Gott glaubt oder wer nicht an Gott glaubt?
Pascal, der sonst der Kraft philosophischer Reflexion gerade in Bezug auf die Gotteserkenntnis misstraut, wagt nun einen – für fromme Leute – geradezu gotteslästerlichen Vorschlag: Pascal sagt, ganz knapp zusammengefasst: es ist für jeden Menschen, selbst für den Ungläubigen, sinnvoller und vor allem vorteilhafter, an Gott zu glauben als nicht an Gott zu glauben.
Denn wenn man sich entscheidet, an Gott zu glauben, folgt man auch den ethischen Werten, die Gottes Kirche, also die Katholische, lehrt: Dadurch wird man tugendhaft und glücklich in diesem Leben auf Erden. Und wird dann nach dem Tod von Gott mit dem ewigen Leben im Himmel belohnt. Wer also glaubt, kann nichts falsch machen. Denn selbst wenn es Gott nicht gibt, was sich in Sicht Pascals erst post mortem feststellen läßt, hat doch immer ein schönes und gutes Tugend-Leben gelebt, also auch in der Hinsicht nichts falsch gemacht.
Wer als Atheist auf seiner Position beharrt, lebt nicht gemäß den glücklich machenden Tugendweisungen der Kirche. Er wird also auf Erden unglücklich sein. Und wenn es denn Gott gibt, kann der Atheist post mortem dann nur erleben, dass der strafende Gott ihn, den bösen Atheisten, in die Hölle stürzt.
Also, liebe Leute, möchte man sagen, seid raffiniert und glaubt an Gott und folgt der Morallehre der Kirche. So einfach ist das also. Eigentlich eine blamable Argumentation: Ist die Moral der Kirche wirklich so vieles an Glück bringend? Jedenfalls Pascal behauptet in dieser Wette: Nur einzig der glaubende Mensch ist in der „Wette“ der Gewinner…Wenn aber der Gewinner sein himmlisches Glück erst post mortem erlebt, ist dies nicht gerade die „feine Art“, für diese Wette zu werben…

15.
Was bleibt? Pascal war ein theologischer Fanatiker!
Kaum hatte sich Pascal dem christlichen Glauben zum ersten Mal intensiv zugewandt (1646), klagte er gleich den Theologen Jacques Forton der Irrlehre an, wegen „rationalistischer Ideen zur Menschwerdung Gottes“. Der Erzbischof von Rouen zwingt deswegen den Theologen zum Widerruf.
Pascal war ein religiöser Fanatiker von Anbeginn, schreibt später Voltaire über Pascal, sicher eine treffende Erkenntnis, wenn man an Pascals an glühendes Eintreten dann doch für für die rigorose Erbsündenlehre des alten Augustinus denkt. Auch Pascals „Lettres Provinciales“ waren als „Kampfschrift“ gegen die „liberalen“ Jesuiten gemeint, dabei waren die Jesuiten wie Pascal von den Grundeinsichten klassischen katholischen Erlösungslehre und der hierarchischen Kirchenleitung überzeugt, die Jesuiten waren alles andere „als humanistische-freidenkerische Theologen. Es waren also Streitereien um Details, in heutiger Sicht. Privat versuchte Pascal den radikalen Weisungen Jesu von Nazareth zu folgen, große Teile seiner Habe spendet er für caritative Zwecke und verlangt für sich ein „Armenbegräbnis“.

16.
Der Jansenismus hat die katholische Kirche Frankreichs viele Jahrzehnte belastet. Er bildete als Massenbewegung tatsächlich so etwas wie eine zweite katholische Kirche in Frankreich, offiziell von den Herrschern und den maßgeblichen Theologen verfolgt. König Ludwig XIV. ließ z.B. das berühmte Kloster Port Royal im Jahr 1712 zerstören, und als die Pariser Bischöfe, wie etwa Christophe de Baumont, die jansenistischen Priester dort ausgrenzten und deren Gläubige bestraften, „wird ganz Paris erst recht jansenistisch erweckt“, wie die Historikerin Monique Cottret betont. Pariser Politiker greifen ein und bestimmen, alle Gläubigen sollten die Sakramente oft im Alltag empfangen dürfen, während der Erzbischof dagegen ist, weil die Gläubigen nur unwürdige Sünder sind … Eine totale Verwirrung für die Glaubenden ist diese Verschiedenheit der Lehren, sie führt die einfachen Leute zur Verwirrung, letztlich auch zum Abschied von der Kirchenbindung. Die in Frankreich so oft dokumentierte „Entchristlichung“ bestimmter Regionen, wie in Burgund oder Zentralfrankreich (Bourges, Nevers, Albi, aber auch Limoges, Guéret usw.), wird oft mit der verwirrenden Vielfalt katholischen Glaubens, nach offizieller Art und nach jansenistischer Art, begründet, wobei der offizielle Katholizismus bis ins 19.Jahrhundert zudem eher „gallikanisch“, d.h. also ein französischer, nicht aber römisch-päpstlich bestimmter Katholizismus war.

17.
Es ist erstaunlich, dass bis heute so viele, auch sich atheistisch nennende Philosophen, von Pascal im allgemeinen geradewegs in Schwärmen kommen, wie der atheistische Philosoph André Comte-Sponville, er schreibt in „Le Magazine littéraire.Pascal“ November 2007, S. 58. „Er ist ein immenses Genie“. Der Soziologe und Philosoph Edgar Morin schreibt (in seinem Buch „Mes Philosophes“, Paris 2013, S.53 -62 vollere Lob: „Pascal ist von einer unerhörten Aktualität“ (S. 58). Am bekanntesten sind wohl die Bekenntnisses Albert Camus zu Pascal, den Camus „den Größten von allen, gestern und heute“ nennt. Und in seinen „Carnets“ gesteht Camus ein, zu den Menschen zu gehören, die von Pascal zwar erschüttert, aber nicht bekehrt werden“. (So die Notizen von Camus am 6.11.1956, siehe den Pascal-Beitrag in „Dictionnaire Albert Camus“, Paris 2009, S. 649).
Auch Friedrich Nietzsche hat sich mit Pascal befasst und ihn sogar gelobt, weil er als Christ sich redlich um Selbstkritik bemüht habe. Aber keineswegs will Nietzsche das Denken Pascals hochschätzen, denn Pascal betreibe den „Selbstmord der Vernunft“ (so in „Jenseits von Gut und Böse“, Nr. 45, 46,…), ein Abschied von der Vernunft, „inspiriert vom christlichen Glauben.“ Pascal selbst sei, so Nietzsche, „durch den christlichen Glauben als Philosoph psychisch vernichtet worden…“
Peter Sloterdijk hat in seiner Porträtsammlung „Philosophische Temperamente“ (München 2009) auch einige knappe Hinweise zu Pascal niedergeschrieben, immer in gewohnter globaler, sprachlich manchmal leicht verschlüsselter Einschätzung der Denker. Für Sloterdijk wird Pascal zu einem Autor „für nächtliche Lektüren und ein Komplize unserer intim gebrochenen Nach-Gedanken“, was immer das bedeuten mag ( S. 54). Ähnlich nebulös ist Sloterdijks Behauptung: „Pascal ist der erste unter den philosophischen Sekretären der modernen Verzweiflung“ (S. 56). Nebenbei: Der wievielte „Sekretär“ wäre dann Peter Sloterdijk?

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

Erfahrungen in leeren Kirchen. Stille und Spiritualität.

Stille und Spiritualität . 
Erfahrungen in leeren Kirchen

Eine Ra­dio­sen­dung von Christian Modehn. Der Beitrag ist nach wie vor aktuell, weil er zeigt: Auch außerhalb der üblichen Gottesdienste sind Kirchen bevorzugte Orte der persönlichen Mediation und Stille. Und das könnte im Sommer, im Urlaub, in der freien Zeit, wieder entdeckt werden….

Aus der Reihe “Glaubenssachen“, NDR Kultur, am 2. Oktober 2016. Der Text entspricht der Form eines Mskr. für Ra­dio­sen­dungen.

Siehe auch das Interview von Christian Modehn mit dem Berliner protestantischen Theologen Prof.Wilhelm Gräb zum Thema “Leere Kirchen”. Prof.Wilhelm Gräb, ein Freund des “Religionsphilosphischen Salon Berlin”, ist leider am 23.1 2023 verstorben.LINK:

Die Sendung der GLAUBENSSACHEN NDR KULTUR:

1.Spr.: Erzähler
2.Spr.. Erzähler

1. SPR.:
Wer von Berlin aus in die nördliche Umgebung von Potsdam fährt, gelangt schnell hinaus ins Weite. . Felder, Wiesen, kleine Hügel bestimmen die Landschaft. Eines der wenigen Dörfer in dieser Region heißt Kartzow. Von der nahen Autobahn ist ständig ein sanftes Rauschen zu hören. Trotzdem könnte Kartzow mit seinen 110 Einwohnern den Titel „brandenburgischer Ruhe-Ort“ verdienen. Denn wirklich lebhaft wird es hier nur an Wochenenden, wenn Hochzeitsgesellschaften im Schloss-Hotel ihre Feste feiern. Einige Paare lassen den Bund fürs Leben auch in der Dorfkirche segnen. Sonntags-Gottesdienste für die kleine Gemeinde finden nur alle 3 Wochen statt. Der Pfarrer muss sich auch um die kleine Schar der Protestanten in fünf weiteren Dörfern kümmern.

2. SPR.:
Die Kirche steht auf einem ehemaligen Friedhof mitten im Grünen , sie erinnert in ihrer neogotischen Gestalt an längst vergessene Zeiten: doch seit dem 13. Jahrhundert gibt es hier eine christliche Gemeinde. Die Grundmauern der Kirche sind noch aus Feldsteinen errichtet. Zur Überraschung des Besuchers aus Berlin ist das Gotteshaus auch werktags von früh bis spät geöffnet. Wer eintritt, erlebt einen liebevoll gepflegten Raum. Erst vor 12 Jahren endeten die Restaurierungsarbeiten . Die Dorfbewohner wollten eine ansehnliche Kirche vor Augen haben, selbst wenn sich die meisten, wie überall in Brandenburg, konfessionslos, religionsfrei oder einfach nur normal nennen. Wie auch immer. Sie wollten einen Raum schaffen, der zum Verweilen einlädt.

1.SPR.:
In der Apsis, rund um den Altar, sind die Wände in einem intensiven rötlichen Ton gehalten, der übrige Raum mit seinen 12 Bankreihen verbreitet in der Mittagssonne eine positive Stimmung. Vor dem Altar, zur Rechten, steht ein kleines Pult für den Prediger, links ist das Taufenbecken. Die Gemeinde ist froh, wenn zwei – oder dreimal im Jahr Taufen gefeiert werden .

 

2. SPR.:
Der Besucher hat in der Mitte der Kirche Platz genommen. Nichts ist zu vernehmen. Nur Stille. Es ist nicht Erschöpfung oder Müdigkeit, wenn er jetzt die Augen schließt; eher ist es die Freude, in einem angenehmen Raum Entspannung und Ruhe zu finden. Die vielen diffusen Gedanken, die sonst durch den Kopf schwirren, verschwinden allmählich. Im stillen Sitzen versinkt der Besucher förmlich in dem Raum. Einatmen. Ausatmen. Diese elementare Form des Lebens wird hier als eine wunderbare Gabe erlebt. Mystiker nannten diese Erfahrung einst die Abgeschiedenheit. Sie dachten dabei an eine seelische Haltung, in der die stetig dahin fließende Zeit wie zum Stillstand kommt und die reine Dauer, die Gegenwart, erlebt wird. Fixierungen auf Vergangenes und Sorgen um die Zukunft sind vertrieben. So kann der Besucher einfach nur da sein. Die kleine Dorfkirche wird als heilsamer Platz erlebt. Wo denn sonst könnte man in der heutigen Welt, die ganz vom Konsumieren und damit von Kosten und Unkosten bestimmt ist, gratis ausruhen? Dem Besucher fällt ein Spruch des mittelalterlichen Mystikers Meister Eckart ein: Der einzelne, so meinte er, lebe erst dann auf, wenn er allein mit seinem Gott ist.. In einem gewissen Egoismus ist er geradezu dankbar ist, dass jetzt kein anderer die Kirche in Kartzow betritt.

1. SPR.:
Aus dem Versunkensein in die reine Gegenwart wird der Besucher herausgerissen: Pünktlich um 12 Uhr mittags ruft die Glocke zum Innehalten, zum Gebet; eine sanfte Aufforderung, die Kirche weiter zu betrachten.
Auf dem Rundbogen, über den Altar, wurde ein Spruch aus dem Evangelium aufgemalt. Der Vers, von Matthäus überliefert, lautet: „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.“
Wie passt eine solche Verheißung zu unserer heutigen Wirklichkeit, die vielerorts von Hass und Krieg geprägt ist? Vielleicht sollte der Spruch einladen, den Glauben als heilsamen Impuls, als Angebot eines sinnvollen Lebens, zu verstehen. Die Menschen in den Dörfern Brandenburgs, die überall ihre bescheidenen Kirchen pflegen , ahnen es wohl: Ein religiös anmutendes Gebäude, eine Kirche mit ihrem Türmchen, ist ein Symbol für ein Leben, das sich nicht in der Freude über Einfamilienhäuser, Gärten, Garagen und Restaurants erschöpft. Diese kleine Kirche ist ein Symbol für die Unterbrechung im üblichen Einerlei. Die Menschen hier, ganz gleich ob evangelisch, katholisch oder konfessionslos, wollen etwas bei sich haben, das keinen direkten Nutzen hat. Sondern auf Unsichtbares verweist, das religiöse Menschen Gott nennen.

2. SPR.:
Der Besucher betrachtet die schöne restaurierte Orgel und auch die Wand-Gemälde zur Kreuzigung Jesu. Sie stammen aus dem 16. Jahrhundert, als die Reformation sich durchsetzte und die Christen trotz aller Glaubenskriege ihre Spiritualität bewahrten. Und heute? Wie kann die Kirche auf das offensichtliche Wohlwollen der Bürger für den Erhalt des Gotteshauses kreativ und neu reagieren? Müsste sich die Kirche nicht so präsentieren, dass all die Menschen, die kürzlich dieses Gebäude renovierten, auch hier gern zusammenkommen, zu Gespräch, Diskussion, Meditation und Gottesdienst. Aber dann müsste sich die Kirche ihrerseits weiter reformieren. Die religiöse Sprache müsste wieder frisch und neu werden, so dass sie auch ein Atheist im 21. Jahrhundert versteht. Die geöffnete Kirchentür müsste also zum Symbol werden für eine offene Kirche insgesamt.

1. SPR.:
Warum könnte sie dann in ihren Reihen nicht auch viel öfter Sympathisanten herzlich willkommen heißen, Menschen, die auf der Suche sind nach ihrer persönlichen Spiritualität, aber eine Mitgliedschaft noch nicht wünschen. So könnten die kleinen Gemeinden neu belebt werden. Nach der Reformation waren Zweifelnde und Interessierte zum Beispiel in Hollands Gemeinden gern gesehen. „Liefhebbers“, also Liebhaber des Glaubens, wurden sie genannt: Sie hörten die Predigt, nahmen aber nicht am Abendmahl teil. Das Sakrament sollte den eingeschriebenen Mitgliedern vorbehalten sein.

2. SPR.:
In Delft, der kleinen Stadt in der Nähe von Rotterdam, hat der Besucher aus Berlin zum ersten Mal von den Liebhabern des Glaubens erfahren. Delft ist ja nicht nur wegen der prächtigen weiß-blauen Keramik berühmt. Hier lebte der Maler Johan Vermeer, auch der große Philosoph Hugo Grotius wurde hier geboren. Delft ist berühmt für seine Kirchen in der Altstadt. Die Giebelhäuser aus Gotik und Renaissance an der Gracht (sprich Chracht) „Oude Delft“ (sprich aude delft), sind die schönste Zierde der Stadt. Auf einem Innenhof, fast versteckt, befindet sich die Kirche der protestantischen Remonstranten – Gemeinde. Die Remonstranten bilden eine Reformbewegung innerhalb des Calvinismus. Ihr Gotteshaus ist klein, der Geist aber weit: Sie nehmen auch heute gern Skeptiker und Zweifler als Freunde, als „Liefhebbers“, in die Gemeinde auf und stellen sie den Mitgliedern sogar gleich, als eine Geste der Freundschaft!

1. SPR.:
Zu Liebhabern des Glaubens können die Besucher der großen Kirchen in der Altstadt werden, wenn sie sich nur Zeit nehmen und die Gotteshäuser nicht in der für Touristen üblichen Hektik besichtigen, sondern verweilen, betrachten, nachdenken. Die Oude Kerk (sprich Aude Kerk) bietet dafür viele Möglichkeiten. Schon bei den ersten Schritten in diesem Gotteshaus aus dem 15. Jahrhundert ist man überrascht von der hellen Pracht des Raumes und seiner strahlenden Klarheit. Nur wenige Fenster in der Apsis sind bunt gestaltet, die übrigen lassen das Sonnenlicht ungebrochen durchscheinen. Heiligenbilder, ja selbst Kreuzesdarstellungen sucht man in dieser Kirche vergeblich. Calvinistische Reformer hatten in ihrer leidenschaftlichen Wut auf alles Katholische die meisten Kunstwerke des Mittelalters zerstört. Von Gott und Heiligen darf es überhaupt kein Bild mehr geben, hieß die Devise! Die alte Kanzel aus der Zeit der Renaissance, mit ihrem Baldachin aus Holz, ist das einzig verbliebene Schmuckstück. Alle Bänke und Stühle sind auf den Ort der Predigt hin gestellt.
Bilderstürmerei war ein Wahn, das ist keine Frage. Gottesbilder macht sich doch jeder, selbst wenn er keine Gemälde vor Augen hat. Andererseits freut sich der Besucher darüber, in diesem leer wirkenden Raum, mit sich und Gott völlig allein zu sein. Vielleicht wird gerade dann spirituelle Erfahrung möglich?

2. SPR.:
Der Besucher hat zur Rechten die Kanzel vor Augen; er denkt an frühere Zeiten, als die frommen Bürger eine einstündige die Predigt ganz normal fanden. Lang dauernde Belehrungen, von oben herab, können die Menschen heute kaum ertragen. Sie bilden sich ihre eigene Spiritualität, eben auch im Nachdenken in leeren Kirchen, jenseits der Gottesdienst-Zeiten Vielleicht meldet sich so die Sehnsucht nach Gott, und eine Sehnsucht, , wieder einmal am Gottesdienst teilzunehmen.

1. SPR.:
Der Blick geht in die Weite dieser gotischen Halle. Gottes Größe soll durch die Höhen der gotischen Baukunst anschaulich werden. Und das strahlende Licht in diesem Raum bedeutet sicher: Gott selbst ist Licht, Klarheit, Verstehen. So braucht sich der Mensch, der kleine Mensch, in diesem Raum gerade nicht klein zu fühlen, nicht wertlos, nicht verloren. Der Besucher fühlt sich im Licht geborgen, behütet, aufgehoben.

2. SPR.:
Selbst wenn einige Besucher im Mittelgang umhergehen , sie können die Ruhe hier nicht stören. Es herrscht eine freundliche Stimmung. Vielleicht hat die Stille gar eine eigene Sprache für den, der das meditative Denken einüben möchte.
Angesichts der göttlichen Wirklichkeit bin ich der Geschaffene, ich bin in diese Welt gesetzt. Aus Zufall? Religiöse Menschen sagen: Ich bin von schöpferischer göttlicher Kraft gewollt und belebt. Der Besucher weiß: Wie unbeholfen alles Wahrnehmen und Denken und Sprechen jetzt ist. Es gibt keine präzisen Worte, das meditativ Erlebte sich selbst und anderen mitzuteilen. Mystiker haben gelehrt, dass alles Sprechen von Gott nur ein Stammeln sein kann.

1. SPR.:
Diese von allen Bildern befreite Kirche im holländischen Delft hilft, wieder Wesentliches zu sehen und sich nicht – wie so oft – von hübschen barocken Figuren, Putten und Heiligenbildern ablenken zu lassen. Der Glaube wird hier elementar, wesentlich, natürlich erlebt. Es entsteht eine Unmittelbarkeit von Göttlichem und Menschlichem. Gott lebt in der Welt und wirkt im Menschen. Darum ist auch alle schöpferische Leistung des Menschen selbst etwas Göttliches, sozusagen Geschenk des Göttlichen. Erstaunlich ist die Erkenntnis: Wir Menschen leben immer schon dank der göttlichen Schöpferkraft. Das mag uns zuweilen auch entlasten.

2. SPR.:
An dieser Stelle führt der Besucher eine Art Selbstgespräch, er findet persönliche Worte für eine elementare Poesie im Angesicht des Göttlichen, eine Poesie, die man vielleicht Beten nennen kann. Wer hier betet, in dieser leeren Kirche, macht keine großen Sprüche: Wenige Worte finden sich wie von selbst: Danke, du Unendlicher und Ewiger. Lass dein Licht, den Geist, die Vernunft, leuchten in uns. Das ist schon erstaunlich: Der Reformator Calvin wollte die Kirchen nur als Treffpunkt der Gottesdienst-Gemeinde. Persönliches Beten, das sollte zuhause, im stillen Kämmerlein geschehen. So ändert sich die spirituelle Praxis heute durch die Besucher, die in Kirchen still verweilen wollen. Sie haben keine Scheu, in der Öffentlchkeit einer Kirche ihr eignes, privates Suchen, Zweifeln, Beten einzuüben.

n1.SPR.:
Plötzlich setzt die Orgel ein, jemand übt die Passacaglia von Bach, deren Thema so machtvoll im Bass beginnt und dann im Manual oft wiederkehrt. Das Gleichbleibende in der Variation und der Vielfalt: Ist dies nicht typisch für den Glauben? Haben die Kirchen heute den Mut, der Variation und Vielfalt Raum zu geben?

2. SPR.:
Der Besucher macht einen Rundgang in der Oude Kerk und entdeckt einen Grabstein des großen Malers Jan Vermeer aus dem 17. Jahrhundert: Vermeer hat in seinen Gemälden sehr sanft das Licht gepriesen wie ein Geschenk, wie ein Geheimnis. Und man ist überrascht, kleine Ansätze hin zu Beweglichkeit und Veränderung auch in dieser reformierten Gemeinde zu erleben: Sie hat sogar in einem Seitenschiff Platz geschaffen für regelmäßige Ausstellungen zeitgenössischer Künstler. Und rund um die Apsis, den einstigen Altarraum der Katholiken, hat sie zudem bunte Fenster mit biblischen Motiven gestalten lassen. Der Bildersturm ist definitiv vorbei.

1. SPR.:
Der Besucher der Oude Kerk in Delft sieht den Abendmahlstisch an der Seite stehen, er wird nur im Gottesdienst in den Mittelpunkt gerückt. Dann versammeln sich um ihn die Gläubigen in dem Willen, das Brot und den Wein miteinander zu teilen.
In den Abendmahls-Gottesdiensten wird die Erinnerung wie ein einfaches Schauspiel rituell gestaltet, als Nachvollzug des letzten gemeinsamen Essens, das Jesus vor seinem Tod mit den Jüngern einnahm. Im Teilen der Speisen, so verheißt er ihnen, wird Gemeinschaft mit dem Göttlichen immer wieder lebendig. Schon allein deswegen sind wohl Kirchen unverzichtbar, sie zeigen: Ohne das Gedenken stirbt das geistvolle Leben, ohne Erinnerung gibt es keine Humanität.

2. SPR.:
Nach Berlin zurückgekehrt, lernt der Besucher leerer Kirchen nahe am Flughafen Tegel die katholische Kirche Maria Regina Martyrum kennen. Ein neuer Ehrentitel wurde für Maria, die Mutter Jesu, erfunden: Sie ist nun auch die Königin der Märtyrer. Hier gedenkt man nicht der Blutzeugen aus christlicher Frühzeit, sondern der modernen Christen, die ihren Glauben viel wichtiger fanden als alle politische Indoktrination durch die Nationalsozialisten. Diese Marien – Kirche befindet sich in Nachbarschaft zum einstigen NAZI – Gefängnis Plötzensee. Dort wurden mehr als 2.500 Gegner des Verbrecher-Systems mit dem Fallbeil hingerichtet oder an Fleischerhaken aufgehängt.

1. SPR.:
Um zur Kirche zu gelangen, muss sich der Besucher zunächst durch ein schmales Tor beinahe zwängen. Er betritt einen weiten Hof. Und der ist überhaupt nicht einladend, geschweige denn von sakraler Aura oder wenigstens mit einem Schimmer von Schönheit ausgestattet. Man läuft über Kopfsteinpflaster und sieht sich umzingelt von hohen, grau bis schwarz gestalteten Mauern. Selbst eine Plastik im Hintergrund, die an das Leiden Jesu erinnert, wirkt abweisend. Der Glockenturm am Rande soll wie ein Wachturm erscheinen. Der Besucher fühlt sich beinahe bedroht und von unsichtbaren Mächten beobachtet. Vom Architekten ist das so gewollt. So kann Empathie mit den Opfern entstehen.

2. SPR.:
Der Besucher ist auch hier allein . Er steht still und. muss diesen Kirchplatz ertragen. Hier darf es kein eiliges Besichtigen oder gar hastiges Fotografieren geben. Das Gedenken an die Opfer kann zum Mitgefühl werden, wenn man sich in die letzten Stunden ihres Lebens hineinversetzt: Sie hatten sicher Gedanken an die Lieben zu Hause. Das Warten auf das Fallbeil oder den Fleischerhaken ist schon in der Imagination unerträglich. Wie stark war ihr Wille, ihre Überzeugung, das einzig Richtige zu tun? Wie stark ihre Entschiedenheit, auf dieses irdische Leben zu verzichten, um dadurch möglicherweise die Tyrannenherrschaft zu Fall zu bringen? Fühlten sie sich am Ende ihres Lebens von Gott und der Welt verlassen? Was bedeutet uns heute der Respekt für diese Menschen?

1. SPR.:
Der Besucher geht weiter, über diesen Hof hinweg, der den Titel Denk-Platz verdient hätte und gelangt zur Kirche. Sie ist sehr massiv und hat keine Seitenfenster.
Wenn man den Vorraum betritt, führt eine Treppe zur Oberkirche. Der Besucher aber entscheidet sich, auf der ebenen Erde zu bleiben. Sofort stößt er auf die Namen von Menschen aus dem Widerstand, ihrer wird auf dem steinernen Fußboden gedacht, etwa an den Berliner an Dompropst Bernhard Lichtenberg oder an den Jesuitenpater Alfred Delp: Als Mitglied des Kreisauer Kreises wurde er am 2. Februar 1945 in Plötzensee hingerichtet. In unmittelbarer Nähe steht eine moderne Pietà von Fritz Koenig wie ein Denkmal. Der verstorbene Jesus wird von seiner Mutter Maria auf dem Schoß gehalten. Der Eindruck ist stark: Man glaubt, sie würde den Leichnam loslassen und freigeben in eine andere Welt hinein.

2.SPR.:
Der Besucher geht weiter, betritt die dunkle Kapelle und nimmt auf einer Bank Platz. Vor Augen hat er einen ausladenden Wandteppich mit einem Kreuz. Es wirkt wie ein Baum, über den die Sonne erstrahlt. Die Sonne ist für Christen auch das Symbol des lebendigen Gottes. Auch die Kapelle wirkt leer, reduziert auf den Altar und die Bänke für die Nonnen aus dem Karmeliter-Orden, sie haben nebenan ihr Kloster. Sie folgen ihrem großen Vorbild, dem heiligen Johannes vom Kreuz, er lebte im 16. Jahrhundert: Für ihn war die erfahrene Leere, sogar das Nichts, nur ein Hinweis auf den göttlichen Grund, den er zugleich als göttlichen Abgrund erlebte.

1. SPR.:
In der Kirchenbank hat ein Besucher eine Broschüre über den Widerstandskämpfer Pater Alfred Delp zurückgelassen. Beim Blättern fällt ein Zitat aus einer seiner Predigten ins Auge:

2. SPR.:
Nur ein Mensch, der sich übt in steter Grenzüberschreitung und Befreiung vom Gewohnten, wird zu sich selbst finden und ein freier Mensch werden. Den Rebellen kann man noch zu einem freien Menschen machen, den Spießer und den bloßen Genießer nicht mehr. Und die Kirche darf nicht zur Kirche der Selbstgenügsamkeit werden.

1. SPR.:
Worte, mit denen sich der Jesuitenpater Delp nicht nur Freunde in seiner Kirche machte… Der Besucher schließt die Augen. Kein Laut ist vernehmbar, kein Schritt, keine Glocke. Nichts. In dieser vollkommenen Stille fallen ihm Worte ein, die er in ihrer Einfachheit nur still für sich selbst flüstert: Gott, Leere, Sinn, Geborgensein, Erbarmen, Rettung. Diese Begriffe fügen sich in einen Zusammenhang, je länger man in dieser Kapelle nachdenkend verweilt: Gott ist Geheimnis, er ist nur zu berühren, niemals zu fassen oder zu definieren.

2. SPR.:
Der Besucher bricht auf, er geht langsam über den leeren Hof. Er hat Ruhe gefunden und erfahren: Wesentliches lässt sich nur in der Stille schenken, auch in der Stille leerer Kirchen. Dort ist man mit sich … und mit Gott … allein.

 

„Himmelfahrt“ und Pfingsten vernünftig verstehen!

Christliche Feste vernünftig erklären. Für uns heißt das: „Undogmatisch“, also freisinnig verstehen.
Ein Hinweis von Christian Modehn

……. Wer sich sogleich für unsere Interpretation zu „Pfingsten“ interessiert: Siehe Nr. 8 f., besonders Nr. 17 und 18.

1.
Schwer tun sich die meisten – verständlicherweise – mit den Titeln (und der Bedeutung) christlicher und speziell katholischer Festtage: Von „Fronleichnam“ soll aber jetzt keine Rede sein. Auch nicht von „Allerheiligen“ oder „Allerseelen“. Von einer „Himmelfahrt“ soll gesprochen werden, aber nicht der Marias, der Mutter Jesu von Nazareth. Sie erlebte gemäß der Mythen und des Dogmas nicht eine „Himmel-Fahrt“, sondern eine „Aufnahme in den Himmel“ (Festtag 15.8.) Dabei sei Gott selbst tätig gewesen, sagte Papst Pius XII. Im Jahr 1950. Gott „nahm“ Maria in den Himmel auf… Jesus aber „stieg“/„fuhr“ – im uralten Bild – selbst in den Himmel.

2.
Hier geht es also um „Christi Himmelfahrt“. Ein religiöser Denk-Feier-Tag, der mangels tieferen Verständnisses säkular „Vatertag“ genannt wird. Populäre Ideen der Blumenhändler und Kneipiers: Die Mütter haben ihren Blumen-Feiertag, und die Väter bzw. Männer sollen doch bitte auch „endlich mal“ (?) ihren Feiertag haben. Jesus hat ja bekanntlich auch gern Wein getrunken, darin sehen „die“ Männer nun die Berechtigung, gerade an diesem berühmten Donnerstag, immer 10 Tage vor Pfingsten, einmal (un)ordentlich zu trinken. Für viele bleibt dies (leider) die einzige Verbindung zum Denken an die „Himmelfahrt Jesu Christi“.

3.
Der „Himmelfahrtstag“ meint also immer „Christi Himmelfahrt“, oder noch genauer: Die „Himmelfahrt“ Jesu von Nazareth, der von Christen als „der“ Christus, d.h. der Erlöser, verehrt wird.

4.
In den Himmel ist also Jesus „gefahren“: Was für ein merkwürdiges, ungeschicktes Bild, an dem die Kirchen dummerweise bis heute festhalten. Was ist damit in einer vernünftigen Theologie gemeint? Und nur um eine vernünftige Theologie kann es heute nur noch gehen, sie ist klar erklärend, Mysteriöses abweisend, Verstehen weckend. Und kann aber bei religiösen Themen, modern interpretiert, auch nicht auf neue Bilder, Symbole, Metaphern verzichten. Anders geht es nicht: Man hat philosophisch und theologisch nur die Wahl zwischen heute etwas verständlichen und heute sehr unverständlichen alten Bildern, Symbolen, Metaphern.

5.
Jesus von Nazareth ist, nach seinem Tod am Kreuz, als „Auferstandener“ nicht mehr sichtbar unter seinen Freunden gewesen, auch wenn die Evangelisten davon in Bildern, Mythen, voller Schwärmerei und maßlosen Übertreibungen sprechen und schreiben. Sie konnten 60 bis 80 Jahre nach Christi Geburt einfach nicht anders. „Weltbild gebunden“, sagen Theologen.

6.
Die Auferstehung Jesu bedeutet: Der Gekreuzigte liegt wie alle anderen Menschen als toter Körper im Grab. Aber eine Einsicht kommt seinen Freunden: Jesu Seele hat den Tod überlebt, den Tod überwunden: Man kann etwa sagen: Jesus lebt in der niemals zu zerstörenden Präsenz des Ewigen, dies ist eine transzendente Wirklichkeit. Das meint das uralte naive Bild: Jesus ist in den Himmel „gefahren“.
„Jesus ist nicht mehr hier“, sagt der Engel den Frauen am Grab Jesu (Markus, 16,6), d.h.: Er ist auf der Erde, irdisch, nicht mehr greifbar.
Der Glaube an eine geistige Nähe lieber Verstorbener ist ja eine weit verbreite Überzeugung, der sich niemand schämen muss.

7.
Wer also von der „Himmelfahrt Jesu von Nazareth“ spricht, muss zugleich von der Auferstehung Jesu von Nazareth reden. Und stellt dann fest: Beide Begriffe beschreiben die gleiche Erfahrung der Hinterbliebenen, also der Jesus-Freunde, der Gemeinde, die sich nach Jesu Tod versammelte. Beide Feste meinen das gleiche: Die Auferstehung Jesu IST seine „Himmelfahrt“. Nur diie bekannte Freude der Christen am Feiern erklärt die Verdoppelung des einen Gedenkens, des einen Feiertages. Und natürlich: das eigene „Kirchenjahr“ (es beginnt am 1. Adventssonntag) braucht auch verschiedene „Ereignisse“ und Feste…

8.
Und Pfingsten? Der tote Jesus ruht zwar im Grab, aber er ist als geistige, d.h. nicht zu greifende „Wirklichkeit“ mit der Gemeinde verbunden, im Geist, in der Erinnerung lebendig als der nun „Ewige“.
Diese Einsicht erlebt die Gemeinde als unverhoffte Erkenntnis, als außergewöhnliches Geschenk ihrer allen Menschen zugänglichen Vernunft. Die Freunde Jesu werden später diese besondere Einsicht ihrer Vernunft eine Gnade nennen.
Tatsächlich es ist ihr menschlicher Geist, der Jesus als auf andere Art als „lebendig“ erkennt, als Teil des Ewigen.

9.

Dieses „Ereignis“ der tieferen Einsicht meint „Pfingsten“: Jesus wird von der Gemeinde als „geistig lebendig“ erkannt und gefeiert. Diese Erkenntnis wertet die Gemeinde als überraschendes Geschenk, und: als Chance einer neuen, alle nationalen Identitäten sprengenden Gemeinschaft.

10.
Ostern – Jesu Himmelfahrt – Pfingsten, das ist die Folge der Feste im Kirchenjahr. Aber Pfingsten ist als das zeitlich letzte der drei Feste nun – logisch gesehen – das erste, d.h. das alles gründende „Ereignis“: Weil die Gemeinde der Freunde Jesu überhaupt um die Bedeutung Jesu von Nazareth ringt, kommt sie zur Einsicht: Jesus ist zwar körperlich tot – aber seine Seele, sein Geist, lebt. Und im Geist sind Gemeinde und Jesus also verbunden, diese Verbindung ist so außergewöhnlich, dass sie dann heiliger Geist genannt wird.

11.
Aber es bleibt ein Problem:
Wenn ich mit meinem menschlichen Geist, mit der Vernunft, über den „heiligen Geist“ nachdenke, ist es dann mein menschlicher Geist, der den heiligen Geist verstehen kann? Oder wirkt dann in mir, der Bibel und den offiziellen Dogmen folgend, irgendwie der besondere, der heilige Geist? Führt also nur der heilige Geist in die Höhen der Gotteserfahrung?
Noch einmal anders gefragt: Wenn ich mich mit religiösen Themen beschäftige, wirkt dann der „heilige Geist“ in mir? Aber wenn ich mich mit „weltlichen“ Problemen befasse, etwa mit der Gestaltung der Demokratie, der Solidarität oder meiner Gesundheit… , ist dann „nur“ mein menschlicher Geist tätig? Soll es also gleichsam zwei „Geister“ im Menschen geben, den üblichen menschlichen Geist, und parallel dazu, den gelegentlich wirkenden heiligen Geist?
Erlebe ich wirklich zwei Geister in mir? Der eine soll menschlich sein, der andere göttlich, heilig? Bedeutet dieser doppelte Geist nicht eine gewisse Form von Verwirrung, vielleicht von Spaltung, von Schizophrenie?

12.
Ich bin überzeugt, dass die Christen wie überhaupt alle Menschen nur einen einzigen Geist haben. Und dieser eine Geist, das Auszeichnende des Menschen, wird gelegentlich auch heilig genannt, erhaben, grundsätzlich unangreifbar. Dies ist die Leistung der Freunde Jesu, der ersten Gemeinde, in ihrer „Pfingsterfahrung“.

13.
Für die alltägliche Lebenspraxis bedeutet das: Etwas abstrakt formuliert: In der Kraft unseres Geistes, also auch der Vernunft und der Urteilskraft, können wir uns entscheiden für Gutes oder Böses in unserem Leben. Entscheiden wir uns für Gutes, etwa für den Respekt, das Mitgefühl, für die Förderung von Kunst und Literatur, für die Suche nach dem Göttlichen, dann erkennen wir: Der Geist kann in dieser speziellen Aktivität tatsächlich „heilig“, erhaben, ewig genannt werden, weil er hilft, den alltäglichen Egoismus und die Verkapselung ins Weltliche zu überwinden.
Das Böse als Tat ist genauso Ausdruck freier Entscheidungen, Ausdruck des Geistes, des Denkens. Haben wir uns für Böses entschieden, haben wir uns mit unserem Geist freiwillig (oder im psychischen Krankheitsfalle wie betäubt) gegen unser Gewissen entschieden. Aber immer ist es der eine Geist, der Geist der Freiheit, der uns zur freien Entscheidung führt.

14.
Eine weitere philosophische Überlegung:
Wenn man die menschliche Wirklichkeit mit dem Göttlichen in Verbindung bringen will, dann nur über die Erkenntnis: Das Göttliche hat die Evolution der Welt „geschaffen,“ darin entwickelt sich der Mensch als Geist und das heißt als Freiheit. Hätte der Mensch die Freiheit (die auch Freiheit zum Bösen ist) nicht, dann wäre er kein Mensch mehr, sondern ein Tier, das seinen Trieben folgt. Aber das Göttliche als „Schöpfer“ der Welt und des Menschen, hat mit seinem Geist das Geschaffene, den Menschen zumal, ausgestattet. Sonst wären die Welt und der Mensch außerhalb des Göttlichen, Gott hätte als Gott also eine Konkurrenz, er wäre nicht mehr Gott.
Der eine Geist, die eine Vernunft des Menschen ist wegen der engen Verbundenheit („Schöpfung“) mit dem Ewigen, dem Göttlichen also heilig!

15.
Durch diese Erkenntnis werden bestimmte uralte, aber immer umstrittene Dogmen in Frage gestellt. Darum ist diese hier skizzierte freisinnige theologische Erkenntnis für die dogmatisch verfassten Kirchensysteme erschütternd. Das Dogma der Erbsünde, das der Kirche von Augustinus (gestorben 430) gegen vernünftigen theologischen Widerstand aufgezwungen wurde, kann endlich beiseite gelegt werden. Fällt aber das Dogma der Erbsünde, fällt auch eine bestimmte kirchlich-dogmatische Vorstellung von „Erlösung“. Unvorstellbar wird dann das mittelalterliche Dogma, dass Jesu von Gott als dem Vater in den Tod geschickt, hingeschlachtet wird, um die Erbsünde bei den Menschen auszulöschen. Und das soll „Erlösung“ sein, diese Idee lebt leider bis heute in vielen kirchlichen Weihnachtsliedern oder Karfreitagsliedern weiter, gesungen von Leuten, die oft gar nicht verstehen, was sie da alles so singen…

16.
Jesus von Nazareth wird im neuen vernünftigen Denken zu einer Orientierung, zu einem Offenbarer, seine zentrale Lehre: Alle Menschen sind „Gottes Kinder“ – haben also den einen Geist in sich, er ist vom Ursprung her der heilige, göttliche und ewige Geist. Und die Menschen brauchen deswegen den Tod als das definitive Ende nicht zu fürchten.

17.
Und vor allem: Wenn alle Menschen „Gottes Kinder“ sind, wie das Bild richtig ausdrückt, dann ist jeder Mensch von absolutem Wert, dann sind alle Menschen untereinander Bruder und Schwestern. Daraus ergeben sich weitreichende politische Konsequenzen: Nämlich die Gültigkeit der Menschenrechte für alle, auch für die vom Kapitalismus arm Gemachten, die Hungernden, die Gefolterten, die Leute in den Lagern der Diktaturen usw.

18.
Pfingsten ist also auch ein politisches Fest, das Fest der absoluten Gleichberechtigung aller Menschen. Ein Fest mit einer Forderung also, ein Fest der Menschenrechte. Pfingsten hat also wenig zu tun mit dem Trallala des Alleluja – Enthusiasten, die sich “Charismatiker” nennen.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin