Der katholische Glaube könnte eigentlich modern sein! Karl Rahners Beitrag für einen zeitgemäßen „katholischen Modernismus“

Ein Hinweis von Christian Modehn am 28.2.2023

Karl Rahner 1974, (c) Wikipedia, Kirtap
Karl Rahner 1974, (c) Wikipedia, Kirtap

Zur Einführung:

Auf dieser website hat Christian Modehn schon mehrfach auf den international geschätzten Theologen Karl Rahner hingewiesen, etwa am 24.3.2014.
Dieser neue Hinweis wurde im Februar 2023 veröffentlicht. Es handelt sich um den Versuch, als Diskussionsbeitrag, Rahners umfangreiche katholische Theologie als eine moderne, und, durchaus gewagt formuliert, aber treffend, als eine „liberale katholische“ Theologie und als eine zaghafte „modernistische katholische Theologie” zu erweisen. Dass Rahner auch sehr explizit viele „katholisch-dogmatische Themen“ dargestellt hat, steht außer Frage. Aber es kann doch in einigen zentralen Texten und in der Grundform des Denkens eine Dimension freigelegt werden, die man liberal-theologisch bzw. vor allem modernistisch nennen könnte. Ich weiß, die meisten RahnerinterpretInnen, und sie sind meist katholisch, würden dieser genannten Dimension der Rahnerschen Theologie nicht zustimmen.
Aber vielleicht hilft ein ungewohnter Blick, Neues zu entdecken. Dabei ist klar, dass für den Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin „theologisch-liberal“ und „modernistisch“ wertvolle, sogar erstrebenswerte, positive Dimensionen jeder Theologie sind. Liberal-theologisch und modernistisch sind für uns also keine Schimpfworte, wie so oft bis heute in konservativen katholischen Kreisen, und die meisten, einflussreichen Kreise der katholischen Kirche sind dogmatisch-konservativ und klerikal. Und werden es wohl ohne eine wirkliche Reformation, die mehr ist als ein paar Reförmchen, bleiben.
Dieser Hinweis hat einen praktischen Zweck: Er will den heute und seit langem schon an ihrer Kirchenführung verunsicherten KatholikInnen (vor allem den zurecht an ihrer Kirche verzweifelten Frauen) Mut machen, von Rahners genannten Ideen inspiriert, das Wesentliche im menschlichen Leben zu entdecken und das Wesentliche im christlichen Glauben zu leben. Alle Debatten über Inner-Kirchlich-Katholisches und Strukturelles sind dann sekundär. Und mit Rahner wird man wohl sagen können: Menschlich leben und christlich glauben kann man auch außerhalb der katholischen Kirche. Dann wird vielleicht das (religiöse) Leben etwas leichter und freier.

1.
Lässt sich Katholizismus und moderne Lebenswelt verbinden? Darüber wird auch jetzt wieder gestritten in den weltweiten Debatten um einen „synodalen Weg“ in der katholischen Kirche, also um eine moderate, sehr bescheidene Form der Demokratie in dieser Klerus-Männer-Kirche. Für die meisten ist und bleibt „Katholizismus und moderne Lebenswelt“ also sicher ein Widerspruch, aber das Thema ist in jedem Fall eine Herausforderung fürs (geistige) Überleben dieser Kirche. Und damit sollte sich die kulturell interessierte Öffentlichkeit befassen.
Dieser Hinweis zeigt in der gebotenen Kürze: Es gibt eine katholische Theologie, die den Katholizismus aus der theologischen Sackgasse mittelalterlichen, erstarrten neu-scholastischen Denkens herausführen könnte. Der Initiator dieses zeitgemäßen Denkens ist der katholische Theologe Karl Rahner. Seine – von manchen revolutionär genannten – Einsichten sind heute weiten Kreisen kaum bekannt, seine Vorschläge haben sich noch längst nicht innerhalb der katholischen Kirche durchgesetzt, obwohl einige Bischöfe wahrscheinlich die theologischen Entdeckungen Rahners verstanden haben (wie einst Kardinal Karl Lehmann). In den evangelischen, diesen philosophisch-theologischen Spekulationen eher abgeneigten Kirchen, fand Rahners Theologie kein großes Echo, schon gar nicht in den in vielfacher Hinsicht theologisch nach wie vor erstarrten orthodoxen Kirchen.
Es ist also Zeit, an Karl Rahner zu erinnern. Der äußere Anlass: Sein Geburtstag (am 5.3.1904) oder auch sein Todestag 80 Jahre später (am 30.3.1984). Biographische über wikipedia als Erstinformation.
2.
Karl Rahner SJ ist ein katholischer Theologen der „besonderen“ Art: Er war immer auch Philosoph bzw. immer philosophierender Theologe, man denke an seine Studien „Geist in Welt“ (1939) oder auch „Hörer des Wortes“ (1941). Nur in der spekulativen Kraft seines philosophischen Denkens konnte Rahner ein hervorragender Theologe werden, der endlich Eigenes, Neues, zu sagen hat.
Rahner gebührt zweifellos das Prädikat „einer der bedeutendsten“ Theologen des 20.Jahrhunderts: Nur dies als eine knappe Begründung: Er hat die uralten Fixierungen erstarrter katholischer Theologie aufgebrochen, überwunden zugunsten einer grundlegenden Reform der Kirche. Er hat die katholische Theologie mit einer ungewöhnlichen Denkform vertraut gemacht, die man treffend „liberal theologisch“ und sogar „modernistisch“ genannt hat (1). Solche – katholisch immer umstrittenen – Prädikate einem katholischen Theologen zuzuweisen, bedeutet nicht, ihn „einzuordnen“, sondern nur aufmerksam zu machen: Wie mutig dieser Theologe war, sich auf offiziell, katholischerseits verachtete und verfolgte Denkformen der Moderne und der philosophischen Aufklärung einzulassen.
Nichts war und ist bis heute verwegener, schlimmer, skandalöser, als wenn Rom einen Theologen mit dem Titel „Modernist“ (2) diskriminiert(e) (3). Also als einen Theologen „qualifizierte“, der die subjektiven Glaubenserfahrungen des einzelnen zum Schlüssel und zum Mittelpunkt allen katholischen Glaubens macht. Und so musste Rahner sich hüten, um des eigenen Überlebens willen, mit allzu großer Deutlichkeit diese seine „modernistische“ oder auch „liberale“ Denkform plakativ zu vertreten. Er musste sogar bei seinen mehr als 4000 Publikationen uralte Themen bearbeiten und publizieren, die in die katholischen „Steinzeit“ gehören, wie etwa die Lehre von Ablass. Diese wie bestellt wirkenden Beiträge (auch gegen Hans Küngs Neuverständnis der päpstlichen Unfehlbarkeit) verfasste Rahner wohl, um in dem kontrollierenden System überleben zu können und seine aktuelle „modernistische“ Theologie weiter zu bearbeiten. Das ist eine sich aufdrängende These, wenn man die Zurückhaltung, wenn nicht Angst in den 1950-1960 Jahren denkt, mit der Rahner seine eigentlichen theologischen Neuerungen vortrug.
3.
Der „Modernismus“ war eine breite und vielfältig ausgeprägte theologische Bewegung innerhalb der katholischen Kirche von ca. 1890 bis 1940), vor allem in Frankreichs, Englands und Deutschlands Kirche. Kurz zusammengefasst: Die Modernisten (ein Titel, der ihnen von Rom, dem Zentrum der Feinde des modernen katholischen Denkens, gegeben wurde) deuteten den katholischen Glauben „als die Wahrnehmung des im menschlichen Bewusstsein wirkenden Gottes; dieses lässt das Dogma entstehen, das sich also in einer vitalen Entwicklung aufgrund der Verarbeitung dieser Erfahrung durch den menschlichen Geist bildet“, schreibt der katholische Historiker Prof. Roger Aubert (4). Diese Beschreibung des „Modernismus“ ist in dieser Kürze wohl treffend, auch wenn Auberts Lexikonbeitrag eher die kirchen-offiziell gewünschte Kritik am „Modernismus“ durchblicken lässt.
4.
In diesem Hinweis wird kurz, aber angemessen, eine besonders neue, auffällige Dimension im Denken des ungewöhnlichen Karl Rahner vorgestellt. Diese Gestalt seines Denkens ist zunächst unter dem Stichwort „anthropologische Wende“ bekannt geworden. Diese Wende zum Menschen, die als Ausgangspunkt aller theologischen Reflexion die menschliche Lebenswelt nimmt, leitet heute prominente Autoren, wie Pater Anselm Grün aus Münsterschwarzach oder auf andere Art auch Eugen Drewermann.
Anthropologische Wende bedeutet, kurz gesagt, für Rahner: Des Menschen geistiges Leben, wie etwa Lieben, Solidarität, Auseinandersetzung mit Verzweiflung, mit Tod, verweisen von sich aus auf eine transzendente Dimension, auf eine Bindung des menschlichen Geistes an etwas absolut Geltendes, das man Gott nennen kann, so benennt die klassische Theologie den Unendlichen und Ewigen.
Diese von Rahner inszenierte anthropologische Wende hat weitreichende Konsequenzen: Sie sprengt sozusagen die enge Bindung an einen immer wieder vermittelten amtlichen Dogmen-Glauben, der nur als Gehorsam gegenüber Dogmen etc. verstanden wird. Der offizielle „Katechismus der katholischen Kirche“ von 1995 hat fast 800 Seiten der „zu-Glaubenden“ Sätze, d.h. Wahrheiten! Welch ein Wahn! Rahner hingegen erkennt: Auf den bewussten Vollzug geistigen Lebens kommt es an, auf die Reflexion über das lebendige geistvolle Leben inmitten des Alltags: Da und nur da wird Gott erfahren. In der Lebenspraxis, die immer Praxis des Geistes, der Vernunft ist, zeigt sich einem jedem die Verbundenheit mit dem Ewigen, Absoluten, Göttlichen (5). So kann Rahner ausführlich begründet: zeigen Nächstenliebe ist Verbundenheit mit Gott, ist „Gottesliebe“. Und darauf kommt alles an im menschlichen Leben.
5.
Von dieser Einsicht aus zeigt sich für Karl Rahner eine ungewöhnliche Hochschätzung der Mystik. Denn in der Mystik wird die Trennung von Göttlich-Menschlich überwunden. Mystik „macht“ den Menschen also nicht zu einem Gott, sondern sie erfährt und benennt dann auch die Anwesenheit des Göttlichen im endlichen, begrenzten Menschen. Über die Mystik wird erneut Rahners Interesse an einer „modernistischen und liberalen katholischen Theologie“ deutlich. Grundlage ist seine zentrale, auch heute ständig zitierte These “Der Christ der Zukunft wird ein Mystiker sein“ (6). Und Mystik ist eben nur denkbar als eine INDIVIDUELLE Lebensform und Interpretation des Glaubens. Eine historische Erinnerung: “Ab dem 16. und 17. Jahrhundert wird Mystik die Erfahrung eines radikal individuellen Umgangs mit dem Universellen, dem Transzendenten, mit Gott“. (7)
6.
Wenn Rahner von Gott spricht, dann immer nur von dem “unendlichen Geheimnis”. Geheimnis meint dabei nichts Mysteriöses, Hinterweltliches oder gar Spinöses, sondern eine alles grundlegende geistige Wirklichkeit, die sich im Denken und Handeln erschließt, die aber nur berührt, niemals umfasst und definiert oder gar beherrscht werden kann. Die Naturwissenschaften haben es mit „Rätseln“ zu tun, die sie im Laufe der Forschungen immer wieder annähernd beantworten können. Philosophien und Theologie haben es hingegen mit einem niemals durchschaubaren, aber ansatzweise erfahrbaren, berührbaren und in Poesie ahnungsweise nennbaren Geheimnis zu tun. Die alles grundlegende Wirklichkeit wird Gott genannt, aber Gott immer als als Geheimnis. Und damit stört Rahner alle besserwisserische Alltags-Theologie, die mit Gott umgeht wie mit einem Gegenstand und ihn in albernen Liedern, Gebeten etc. besingt und in höchsten Tönen preist oder aber ihn ideologisch, politisch missbraucht.
Diese Relativierung aller menschlichen Definitionen von Gott ist eine Art Revolution für die römische Kirche. Rahner denkt radikal und lässt sich von kirchenamtlichen Kritikern nicht beirren: Gott ist absolutes Geheimnis. Aber noch einmal: Dieser Gott als Geheimnis ist eine ungreifbare, aber in allen geistigen Vollzügen des Menschen anwesende Kraft, der unendliche Horizont des Denkens, der nie greifbare Urgrund, der alles gründet und belebt. Damit steht Rahner in der Tradition der Mystik. Er erwähnt in seinen Aufsätzen etwa Meister Eckart oder Theresa von Avila.
Mystik ist also nur die andere Seite der anthropologischen Wende der Theologie. Mystik ereignet sich „immer schon mitten im Alltag, verborgen und unbenannt“ (8). An vielen Beispielen aus den „konkreten Lebenserfahrungen“ zeigt Rahner die Anwesenheit des Geistes, des Heiligen Geistes, die Anwesenheit von Mystik (9), diese gut nachvollziehbaren Beschreibungen der Mystik im Alltag sind absolut lesenswert! Er spricht von Erfahrungen der Freiheit, von dem Nahesein der Finsternis des Todes, vom Trost angesichts von Verzweiflung…Und aus der Beschreibung geistvoller Lebenserfahrung in jedem Menschen zieht Rahner eine radikale Konsequenz. Radikal deswegen weil sie das enge Kirchendenken und die Herrschaft der Kirche über den einzelnen überwindet. Rahner notiert zu diesen geistvollen Alltagserfahrungen: „Da haben wir auch faktisch die Erfahrung des Übernatürlichen (also Gottes) gemacht“ (10). Und diese erfahrene, aber nie fassbare Nähe Gottes, des Ewigen wie auch immer , ist das alles Entscheidende für den Theologen Karl Rahner. Jetzt versteht man, warum er ein neuer „Modernist“ ist. Er reduziert die „Glaubenslehre“ auf Wesentliches, auf Humanes!
7.
Es muss nun hingewiesen werden auf die kreative „modernistische“ Leistung Karl Rahners: Es handelt sich um seine „transzendentale Theologie“. Der Begriff transzendental erklärt den Grund, die subjektive „Basis“ des religiösen, auch des mystischen Erleben des einzelnen Menschen.
Mit dem Begriff „transzendental“ bezieht sich Rahner auf den Philosophen Immanuel Kant. Er hatte „transzendental“ seine damals neue, alles entscheidende Frage genannt, die nach den Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis im Menschen (im Subjekt) fragt. Diese Bedingung der Möglichkeit des Erkennens liegt – populär gesagt – in der Vernunft des Menschen, in seinem Geist. Dem folgt Rahner gegen die Überzeugungen der versteinerten katholischen Theologie der fünfziger und sechziger Jahre, und er sagt: “Die transzendentale Frage in der Theologie bedeutet: Welche Bedingungen müssen im Geist des Menschen gegeben sein, damit das Wort der Bibel überhaupt verstanden wird?” Rahner geht noch weiter: „Der Mensch kann die Bibel nur deswegen verstehen, weil Gott, als göttliche Gnade, bereits im Menschen anwesend ist, als innere, als subjektiv erlebte, als „transzendentale Offenbarung“ , schreibt Rahner. Er will zeigen, dass „der Glaube an Jesus Christus nicht als eine bloß von außen kommende, auch noch so erhabene Zutat zur unabwälzbaren Existenz des Menschen erscheint. Sondern wir wollen den Glauben an Jesus Christus in der innersten Mitte der Existenz auffinden, wo er schon wohnt, bevor wir, hörend auf die Botschaft der Kirche, diesen Glauben satzhaft reflektieren“ (11).Und an anderer Stelle schreibt Rahner: „Ich bin der Überzeugung, dass das Christentum eben nicht nur eine von außen her kommende Lehre ist, die dem Menschen eingetrichtert wird. Sondern, dass es wirklich ein Christentum von Innen heraus, von der innersten persönlichen, menschlichen Erfahrung her, gibt und geben muss. Das Christentum ist nicht eine Lehre, die von aussen einem erzählt, dass es so etwas gibt wie Gnade, Erlösung, Freiheit, Gott, so wie einem Europäer mitgeteilt wird, dass es Australien gibt. Sondern das Christentum ist wirklich die Auslegung dessen, was in der innersten Mitte des Menschen (an einer vielleicht verdrängten, vielleicht nicht reflektierten Erfahrung doch) schon gegeben ist“.
8.
Mit der „transzendentalen Offenbarung“ ist die Anwesenheit Gottes im Geist, in der Seele des Menschen, und zwar JEDES Menschen, gemeint. Dabei werden universale Perspektiven wichtig! Das Denken wird befreit aus der engen Kirchenwelt des dogmatischen Klerus. Dieser Gott ist im Geist und der Seele und im Fühlen und Denken eines jeden Menschen grundsätzlich wirksam, lebt im Menschen, und der Mensch äußert seinen subjektiven Glauben selbstverständlich auch in Worten. Die zur anregenden Glaubenseinsicht auch für andere werden können. Dieser „innere“, der subjektive Gott ist der Ursprung der in der Geschichte sich äußernden Wort/Schrift-Offenbarung mit ihren biblischen Texten. Die „objektive“, sozusagen „außen“ greifbar sich zeigende, in der Geschichte sichtbare Offenbarung als Text ist nur in dieser engen Verbindung zur inneren Anwesenheit Gottes in jedem Menschen zu verstehen. Damit wird Entscheidendes gesehen: Wenn der Mensch den weisheitlichen Weisungen der Bibel folgt, die man als göttliche Offenbarung (Buch) nennt, dann folgt er zugleich seinen eigenen inneren Weisungen, die ihm auch seine eigene Vernunft erschließt. Es gibt also keine Fremdheit mehr gegenüber der Weisheit, die dem religiösen Menschen in den Texten der Bibel begegnen. Rahner schreibt: „Man soll aus der Erfahrung des eigenen Daseins heraus erfahren, ob das Christentum die Wahrheit des Lebens sei“ (12)
9.
Nun kann bei dieser Einsicht für den Glaubenden nicht jeder Satz der Kirchenlehre die gleiche Bedeutung, Würde und Dringlichkeit haben. Es gibt also ein Kriterium, mit dem der Glaubende Wichtiges von Unwichtigem in der riesigen katholischen dogmatischen -ethischen- rechtlichen Glaubenslehre findet.
In dem Aufsatz „Die Forderung nach einer =Kurzformel= des christlichen Glaubens“ (13) zeigt Rahner das wahre, und das ist das einfache (also von der Überfülle der Lehren und Sätze befreite!) Zentrum des Glaubens auf. Letztlich hat die eine alles entscheidende Mitte einen Namen: Die Nächstenliebe, die auf die Gottesliebe zugleich verweist und die Erkenntnis, dass der Mensch in seinem Leben auf ein unendliches Geheimnis (Gott genannt) bezogen ist und sich von diesem unendlichen Geheimnis getragen wissen kann.
10.
Karl Rahner wusste das er sich das Leben und Arbeite als katholischer Theologe nicht leicht macht mit seinen tatsächlich neuen Erkenntnissen. Er weist sozusagen prophylaktisch im Blick auf das strafende Lehramt in Rom auf die für ihn zentrale, aber trotz Neuinterpretation orthodoxe Gnadenlehre hin (14). In Fußnote 1 dort heißt es also: „Wenn man bedenkt, dass die Gnade Christi der äußeren Predigt des Evangeliums IMMER SCHON zuvorgekommen ist (nämlich als Anwesenheit der Gnade im Menschen selbst, CM), kann diese Forderung (nämlich nach einer Kurzformel) nicht des Modernismus verdächtigt werden“.
Wer die Geltung subjektiver Wahrheit, ja subjektiver Offenbarung im Glauben des einzelnen als Bedingung objektiver christlicher Wahrheit herausstellt, hat es also nicht leicht in der auf objektive Lehren fixierten Kirche. Kein Wunder also, dass Rahner sich schützen musste. Man sollte bedenken, dass Rahner seit den fünfziger Jahren immer unter der Kontrolle des “Heiligen Offiziums” in Rom stand und sogar noch 1961 vom Vatikan mit einem Schreibverbot bedroht wurde. Man möchte denken, dass die tatsächlich oft schwierige Sprache Rahners nicht auch sein Schutz ist, um seine Erkenntnis vor oberflächlichen Dogmatikern zu schützen! Tatsächlich sind manche Artikel Rahners eine gewisse sprachliche Zumutung, etwa sein wichtiger Beitrag über „Transzendentaltheologie“ ,ausgerechnet in dem eher doch wohl für breite Kreise bestimmten „Herders Theologisches Taschenlexikon“ Band 7, Freiburg, 1973, Seite 324-329.
Trotz dieser unerfreulichen, feindlichen Situation etwa in Rom fühlte sich Rahner doch immer frei, zumal nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, also in den siebziger Jahren, kirchenpolitisch öffentliche Kritik zu äußern. Es gibt viele Stellungnahmen, Interviews, Zeitungsbeiträge Rahners, die seine Ablehnung des römischen Herrschaftssystems belegen: So nannte er vatikanischen Theologen „Bonzen“, (16), im Sinne von ideologisch verblendeten Partei-Bonzen oder Partei-Genossen.
Seine Kritik an der bürokratischen, der möglicherweise den „heiligen Geist auslöschenden Kirche“, ist unvergessen, sein Zorn über die Dummheit der etablierten Kleriker ist bekannt. Seine radikalen Vorschläge für eine praktische „Ökumene jetzt“ (mit den Protestanten) fanden nicht das gewünschte Echo. Denn Rahner sagte tatsächlich: Abendmahls/Kommuniongemeinschaft unter Protestanten und Katholiken ist möglich, und zwar jetzt! Wenig Interesse zeigte sich die in ständigen Variationen doch immer gleichbleibende bürokratische Kirche an Rahners radikalen Vorschlägen, die er in seinem wichtigen Buch “Strukturwandel der Kirche als Chance und Aufgabe”, 1973, machte.
Nebenbei: Ich erinnere mich noch gern, dsss sich Rahner 1977 auf ein ihm durchaus neues Thema einließ und ein Vorwort schrieb zu dem von mir (und Hans Zwiefelhofer) herausgegebenen Buch „Befreiende Theologie“, (Kohlhammer Verlag), also über die Theologie der Befreiung in Lateinamerika.
11.
Warum also Rahner als modernen Theologen lesen und seinen Impulsen folgen? Das wird eingestanden: Nicht alles von ihm Veröffentlichte hat heute (2023) Relevanz für viele, etwa seine Äußerungen zum Zölibat oder zu Details der Dogmengeschichte.
In zentralen Aufsätzen hingegen hat Rahner die unaufgebbare Bedeutung und das grundlegende Recht des Glaubens des einzelnen, des Subjekts, des Menschen, im Ganzen des Glaubens verteidigt und begründet! Rahners Denken in seinen zentralen und aktuellen Veröffentlichungen befreien, weil sie auch überkonfessionell, ökumenisch, das Wesen des christlichen, also auch katholischen Glaubens zeigen, und dieses Wesen des Glaubens ist inhaltlich einfach und universal: Die Nächstenliebe und das Erspüren, dass menschliches Leben mit einem unendlichen Geheimnis zu tun hat. Mehr braucht der Mensch eigentlich nicht. Dieses von Rahner mehrfach herausgestellte Zentrum des christlichen Glaubens erinnert an Kant, an seine Religionsschrift. Aber das ist keine Kritik in meiner Sicht. Das ist gut so. So wird deutlich, dass Rahner auf die Herausforderung der modernen Philosophie, des modernen Denkens, antworten wollte. Und auf die Spuren Hegels in Rahners Denken wäre eigens hinzuweisen, also auf die Erkenntnis, dass der subjektive Geist auch die Formen des objektiven Geistes und damit auch des absoluten Geistes (Religion) prägt und in der lebendigen Geschichte zur Darstellung bringt. Und auf die Inspirationen, die Rahner von Heideggers Existenzanalysen in „Sein und Zeit“ empfangen hat, wurde schon mehrfach hingewiesen. Hier soll nur noch einmal betont werden: Rahner hat sich auf seine Art, angstvoll manchmal, den Herausforderungen der Moderne gestellt.

Zum Schluss ein Wort Rahners:
„Das Christentum ist die „universale Botschaft, die nichts verbietet als die Selbstverschließung des Menschen in seine Endlichkeit. Das Christentum ist die universale Botschaft, die nichts verbietet, als dass der Mensch nicht glaubt, dass er mit der radikalen Unendlichkeit des absoluten Gottes begabt ist”. (16).
———————————
Belege der Zitate:
(1) Rahner als liberaler und modernistischer Theologe: Beleg beim englischen Theologen Philip Endean SJ in „Stimmen der Zeit, Spezial 1, 20004, Karl Rahner“. Karl Rahner als liberaler Theologe dort S. 67, 68, 69. Karl Rahner als Modernist S. 67: „Karl Rahners Vorhaben war im Grunde genommen dasselbe wie das ihre (der Modernisten)“ , S 67.

(2) Zum Modernismus, eine kurze Einführung: Prof.Peter Neuner, „Erfahrung und Geschichte. Die bleibende Herausforderung des Modernismus“, Orientierung Zürich, 1979, S. 2-6. Dieser Text kann noch im Archiv der Orientierung nachgelesen werden.

(3) Der viele Jahrzehnte gültige Antimodernisten-Eid, den alle Priester ablegen mussten, wurde 1967 von Papst Paul VI. abgeschafft, siehe den Beitrag „Antimodernisteneid“ in wikipedia.
Eine moderatere Form des Antimodernisteneids wurde aber von Kardinal Ratzinger bzw. Papst Johannes Paul II. 1998 wieder eingeführt: „Als dann in den streckenweise chaotischen Jahrzehnten nach dem Konzil anstelle des Modernismus ein Relativismus, also eine gewisse Beliebigkeit in Glauben, Liturgie und Lehre Einzug hielt, versuchte wieder ein Papst, mit einem Eid gegenzusteuern. Johannes Paul II. (1978-2005) führte 1998 einen vom damaligen Kurienkardinal Joseph Ratzinger formulierten Treueid verbindlich ein.Er enthält im Wesentlichen eine feierliche Wiederholung des “normalen” Glaubensbekenntnisses aller Gläubigen, darüber hinaus aber auch Formeln wie diese: “Fest glaube ich auch alles, was im geschriebenen oder überlieferten Wort Gottes enthalten ist und von der Kirche als von Gott geoffenbart zu glauben vorgelegt wird, sei es durch feierliches Urteil, sei es durch das ordentliche und allgemeine Lehramt.” Auch gegen diesen Eid gab es zunächst Proteste und Polemik. Eine tiefgreifende Krise wie der Antimodernisteneid vor 100 Jahren löste die neue, deutlich gemäßigtere Formel indes nicht aus.“ (Quelle: DOM RADIO, Beitrag von Ludwig Ring-Eifel 31.8.2010.)

(4). Lexikonbeitrag „Modernismus“ in „Herders Theologisches Taschenlexikon“ Band 5 (1973), Seite 100.

(5). Aufsatz „Einheit von Gottes- und Nächstenliebe“ In: „Karl Rahner Lesebuch“, Freiburg 2014 hg. Albert Raffelt, S. 408 ff.

(6). Christ ist Mystiker… Siehe: Karl Rahner: „Frömmigkeit früher und heute“, in: ders., Schriften zur Theologie, Bd. VII, Einsiedeln u.a. 1966, 22f.

(7) Koenraad Geldof, in: “Michel de Certeau”, hg. von Marian Füssel, Konstanz 2007, Seite 140.

(8) Karl Rahner, , siehe Fußnote 5, S. 257.

(9) ebd. S. 258 ff.

(10) ebd. S. 261

(11), Karl Rahner, „Ich glaube an Jesus Christus“, Benziger Verlag, 1968, S. 29.

(12) : in „Gegenwart des Christentums“, Freiburg 1963, S. 51, dort der Aufsatz „Über die Möglichkeit des Glaubens heute“, 1960 geschrieben
(13), veröffentlicht in Band VIII der „Schriften zur Theologie“, Seite 153 ff.
(14). ebd. auf Seite 153 in Band VIII.
(15) In“ Gegenwart des Christentums“, S. 51.
(16) Die Kleriker, die in ihrer rigiden Haltung Rahner viel Leid, viele Probleme, zufügten nannte Karl Rahner schon 1962 „gräßliche Bonzen“, Leute, die sich eines Spitzel – und Zuträgersystems bedienten. In: Herbert Vorgrimler, „Karl Rahner verstehen“, Topos Taschenbücher 2002, S. 117.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

„Katholizismus gehört nicht zur Moderne“ Der protestantische Theologe Ernst Troeltsch konnte den Katholizismus nicht mehr ernst nehmen

Ein Hinweis von Christian Modehn anläßlich des 100. Todestages des Theologen und Philosophen und Soziologen Ernst Troeltsch

Das Vor – Wort:
Die zentrale Erkenntnis des Theologen, Philosophen, Historikers und Soziologen Ernst Troeltsch (1865-1923) zum Katholizismus: Die römisch – katholische Kirche ist als machtvolle Institution der Prototyp des dogmatisch – hierarchischen Christentums. Als eine „dogmatische Heilsanstalt“ gehört der Katholizismus nicht mehr in die demokratische Moderne, selbst wenn die katholische Kirche faktisch als „Altertum“ unter den christlichen Konfessionen noch fortbesteht. Davon war der umfassend Gelehrte Ernst Troeltsch zumal angesichts der Verurteilungen und Verdammungen der Päpste, Gregor XVI. und Pius IX., überzeugt.
Eine gewisse Zukunft des Christentums in der demokratischen Moderne konnte sich Troeltsch insgesamt eher in kleinen Gemeinschaften vorstellen, in freien (ökumenischen) Zusammenschlüssen. Er verwendete in dem Zusammenhang den inhaltlich neutralen Begriff „Sekten“. Und abgesehen von diesen kleinen Gemeinschaften sah er eine Zukunft des Christentums in der Mystik als der lebendigen „inneren“ Frömmigkeit der einzelnen.
Diese Erkenntnisse können heute zur Diskussion anregen und zu denken geben, vor allem angesichts der geradezu verzweifelten Versuche progressiver katholischer Laien weltweit, einen „synodalen Weg“ (nicht etwa eine Synode als demokratisches Organ auch mit mitentscheidenden Laien!) in der Papstkirche durchzusetzen. Die progressiven Katholiken wollen also trotz aller Widerstände der mächtigen und einflußreichen Konservativ-Erstarrten eine leicht reformierte katholische institutionelle Form gegenüber dem Vatikan „erkämpfen“ , eine katholische Kirche also, die ein bißchen Demokratie realisiert. Und sie wollen vor allem dafür sorgen, dass endlich Frauen alle Rechte in dieser Kirche erhalten. Dies also ist der aktuelle Ausgangspunkt.

1.
An Gedenktagen (100. Todestag von Ernst Troeltsch) kritisch zu denken, hat also nur Sinn, wenn ein aktueller Ausgangspunkt formuliert ist und eine bestimmte Frage leitend ist.

Ernst Troeltsch wurde am 17.2.1865 in der Nähe von Augsburg geboren. Vor 100 Jahren, am 1.Februar 1923 ist er in Berlin gestorben. Er war, summarisch aber treffend gesagt, eine wahre Geistesgröße, nicht nur zu seiner Zeit, sondern anregend auch heute. Sein Werk ist äußerst umfangreich, zur Biographie siehe etwas Wikipedia oder die neue große und empfehlenswerte Studie von Friedrich Wilhelm Graf.

2. Was denkt Troeltsch über den römischen Katholizismus?
Bei dem Protestanten Troeltsch wird man bei dem Thema zuerst auf die Reformation Martin Luthers verwiesen. Er sieht in Luthers Tat NICHT schon den definitiven Sieg eines modernen christlichen Glaubens. Luther ist für ihn die zentrale Gestalt des „Altprotestantismus“, ein Titel, den er verwendet wegen Luthers Bindung an die „alte (katholische) Zeit kirchlicher Autoritätskultur mit ihrer Heils – und Erlösungslehre“ (Wilhelm Gräb, 17) und dem dann entstehenden typisch lutherischen „Staatskirchentum“ (ebd. 22). Zweifellos hat Luther das Individuum und die private Frömmigkeit geschätzt, er hat gegenüber der Klerus – und Papstherrschaft das „allgemeine Priestertum“ der „Laien“ herausgestellt und verteidigt. Aber er war doch theologisch noch in mittelalterlichen Welten befangen (Teufelsglaube etc.)

3.
Dieser „Altprotestantismus“ des 16. und 17. Jahrhunderts hat also NICHT die Moderne entscheidend gefördert oder gar hervorgebracht. Erst die spätere Verbindung protestantischer Theologie mit den Lehren der Aufklärung machte den Protestantismus in Deutschland, d.h. dessen Universitäts-Theologie, zu einer modernen Religion. Troeltsch spricht dann von „Neuprotestantismus“. Das Programm des Neuprotestantismus seit dem 18. Jahrhundert „besteht in der Suche nach einer der neuzeitlich-modernen Rationalität und Autonomie nicht widersprechenden, sondern dem neuzeitlichen Bewusstsein angemessenen Gestalt von Lehre und Leben des reformatorischen Christentums“ (Prof. Christian Albrecht), LINK.

Das Verhältnis von Vernunft und Religion wird also im „Neuprotestantismus“ neu bestimmt. Es ist die Vernunft, die historisch-kritische, wissenschaftliche Vernunft, die jetzt hilft, die Bibel angemessen zu verstehen. Und: Das Christentum hat nicht mehr die nur im Glauben anerkannte Sonderstellung der „absoluten, einzig wahren Religion“, das Christentum wird vielmehr Teil der allgemeinen Religionsgeschichte.

4.
Diese Erkenntnis, nun auf den Katholizismus bezogen, verlangt zunächst eine unbefangene, objektive Beschreibung des Zustandes dieser Kirche in der Sicht von Troeltsch: Der Katholizismus kennt kein allgemeines Priestertum aller, also auch der Laien, das allgemeine Priestertum hat selbstverständlich gegenüber dem besonderen Priestertum des Klerus und des Papstes eine Gleichberechtigung. Der Katholizismus weigert sich, mindestens bis ca.1960, die Bibel als einen Text zu lesen und zu erforschen, der nur mit der historisch-kritischen Forschung adäquat verstanden werden kann.

5.
Troeltsch kennt einige vernünftig gesinnte Katholiken innerhalb der römischen Kirche, sie werden aber als so genannte Modernisten von den Päpsten verfolgt und ausgegrenzt, wie etwa der „Modernist“ Freiherr von Hügel, mit dem Troeltsch etliche Jahre korrespondierte. Im Oktober 1905 verfasste Troeltsch einen Brief an diesen vatikanischen „Ketzer“, den „Modernisten“, Friedrich von Hügel (1852-1925), einen von 23 Briefen an ihn): „Meiner Empfindung nach ist Ihr Katholizismus so wenig katholisch als mein Protestantismus protestantisch; wir haben beide die Christlichkeit der modernen Welt.“ Der Historiker Andreas Lindt schreibt: Bei aller Sympathie Troeltschs für die katholisch verfolgten Modernisten „konnte und wollte man zur Papstkirche (!) als moderner liberaler Protestant keine ernsthaften innere Beziehung finden“ (zit. In „Theologische Berichte IX“, Benziger Verlag 1982, Seite 81).
Es geht für Troeltsch also um eine neue, offene Ökumene. Prof. Friedrich Eilhelm Graf betont: „In kritischer Distanz zur latenten Kulturkampfmentalität im liberalprotestantischen Milieu war Troeltsch davon überzeugt, dass sich eine religiöse Erneuerung des Christentums nur durch einen die Grenzen der Kirchen überschreitenden, insoweit ökumenischen Austausch ernsthaft Gläubiger fördern lasse“, betont Prof.Friedrich Wilhelm Graf, LINK . Das aber bedeutet: Nur freie Zusammenschlüsse von Christen verschiedener Konfessionen passen noch in eine demokratische Welt mit demokratischen Mentalitäten.

6.
In seinem äußerst umfassenden und umfangreichen theologischen Hauptwerk „Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen“ (veröffentlicht 1912) hat Troeltsch eine herausragende Leistung vollbracht. Soziologische Kategorien wendet er zum Verständnis der christlichen Konfessionen an. Er schreibt: Der Katholizismus hat „in steigendem Maße die Innerlichkeit, die Persönlichkeit und die Beweglichkeit der Religion der festen Objektivierung in Dogma, Sakrament, Hierarchie, Papsttum und Infallibilität (Unfehlbarkeit des Papstes) geopfert“ (S. 980). Darum können eher kleine christliche Gruppen (er spricht von „Sekten“) das christliche „Reich der Liebe“ leben, die großen Kirchen, wie der Katholizismus, können als Massenbewegungen die Radikalität des Evangeliums kaum realisieren. Troeltsch nennt als positives Beispiel des Christentums die individuell gelebte Mystik, aber die sei fast nur noch in den Ordensgemeinschaften lebendig. Troeltschs eigene Spiritualität war wohl von der mystischen Dimension bestimmt. Nebenbei: Man denke daran, dass der katholische Theologe Karl Rahner (1904 – 1984) sagte 1966: „„Der Fromme der Zukunft wird ein ‘Mystiker’ sein, einer, der etwas ‚erfahren’ hat, oder er wird nicht mehr sein.“ — Karl Rahner, Frömmigkeit heute und morgen. In Geist und Leben 39 (1966), S. 335
Das hätte der Protestant Ernst Troeltsch genauso sagen können. Vielleicht hat diese Erkenntnis Rahner aber bei Troeltsch gelesen? Wäre ja zu wünschen…

7.
Für Troeltsch ist die Zeit der großen institutionell machtvollen, hierarchischen Kirchen vorbei. Am Ende seiner großen Studie schreibt er:
„Die Tage des reinen Kirchentypus in unserer Kultur sind gezählt. Die Selbstverständlichkeiten der modernen Lebensanschauung fallen mit denen der Kirche nicht mehr zusammen.“.

8.
Der Historiker Andreas Lindt beendet seine Hinweise mit Anmerkungen, die auch heute aktuell sind:
„Die Sympathien protestantischer Theologen für die katholischen Modernisten haben meist etwas Wehmütig-Resigniertes: Hier wäre Hoffnung gewesen auf eine Auflockerung des starren vatikanischen Systems, aber diese Hoffnung scheiterte am harten Einspruch Roms und letztlich an der inneren Logik der von der kurialen Kirchenleitung propagierten konsequenten Selbstisolierung. So haben bekannte evangelische Kirchenhistoriker wie Karl Holl in ihren Äußerungen zu den innerkatholischen Entwicklungen jener Zeit in absehbarer Zukunft keine Wende zum Besseren mehr erwartet, – aber trotzdem daran festgehalten, auf lange, sehr lange Sicht werde die Geschichte den Modernisten einmal recht geben“ (ebd.).

9.
Ernst Troeltsch hat sich seit 1918 für die bedrohte Republik eingesetzt, vor allem als Berliner „Spitzenkandidat“ der linksliberalen „Deutschen Demokratischen Partei“ (DDP).In seinen Briefen machte er „seine Verachtung für das Versagen der Eliten des alten monarchischen Systems deutlich, die in ihrer politischen Blindheit und Arroganz Deutschland und Europa in eine Katastrophe gestürzt hätten“, schreibt Friedrich Wilhelm Graf, der Autor der neuen großen Troeltsch Biographie, in einem Beitrag der Zeitschrift der Bayer. Akademie der Wissenschaften, 2020, Seite 55.

Literatur:
-Wilhelm Gräb, „Vom Menschsein und der Religion“, Mohr Siebeck Verlag, Tübingen 2018.
-Friedrich Wilhelm Graf, “Ernst Troeltsch. Theologe im Welthorizont“. C.H.Beck Verlag, 2022.
-Andreas Lindt, in: „Theologische Berichte IX“, Benziger Verlag 1982.
-Karl Rahner SJ, Frömmigkeit heute und morgen. In Geist und Leben 39 (1966), S. 335.
– Ernst Troeltsch, Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen. IN: Gesammelte Schriften. Scientia, Aalen 1977 (Nachdruck der Ausgabe Tübingen 1922).

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Willkommen im Religions-Philosophischen Salon Berlin

Der Religionsphilosophische Salon Berlin. Einige Hinweise von Christian Modehn und Hartmut Wiebus am 3.2.2025.

1.
Der Religionsphilosophische Salon Berlin ist seit 2007 eine Initiative von Christian Johannes Modehn und Hartmut Wiebus. (Biographische Hinweise: Fußnote 1.)
 Übliche, also öffentliche Salon – Veranstaltungen fanden monatlich von 2007 – 2020 statt. Jetzt gestaltet wir philosophisch – theologische Gespräche in kleinerem Kreis. Regelmäßig werden neue Beiträge als Hinweise zur philosophischen und theologischen Debatte auf unserer Website publiziert, bis jetzt sind es 1.650 Beiträge, Hinweise genannt, Stand 3.3.2025.

2.
 Titel und „Sache“ eines „(religions-)philosophischen Salons“ sind alles andere als verstaubt. Das Interesse an philosophischen Gesprächen und Debatten in überschaubarem Kreis, in angenehmer Atmosphäre eines Salons, ist evident. Das gilt, selbst wenn viele Interessierte betonten, „Philosophie“ sei schwierig. Das ist sie vielleicht, nicht aber Philosophieren: Es ist Lebenselement eines jeden.
In unserem religionsphilosophischen Salon wird das möglichst eigenständige Philosophieren (kritische Nach – Denken) geübt.
Philosophische Religionskritik gehört elementar zur Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie. Philosophische Religionskritik kann zeigen, welche Form einer vernünftigen Religion bzw. Spiritualität heute zur Lebensgestaltung gehören kann.

3.
 Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie gibt es nur im Plural, die (Religions-)Philosophien in Afrika, Asien und Lateinamerika dürfen nicht länger als „zweitrangig“ behandelt werden. In welcher Weise Religion dort zum „Opium“ wird angesichts des Elends so vieler Menschen, ist eine relevante Frage, auch angesichts der Zunahme von christlichem und muslimischem Fundamentalisten. Dringend ist die Frage: Inwieweit ist philosophisches Denken Europas eng mit dem kolonialen Denken verbunden?

4. 
In unseren Gesprächen wird oft erkannt: Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phien bieten in ihren vielfältigen Entwürfen unterschiedliche Hinweise zur Fähigkeit der Menschen, ihre engen Grenzen zu überschreiten und sich dem im Denken zu nähern, was die Tradition Gott oder Transzendenz nennt.

5.
 Uns ist es wichtig uns zu zeigen, dass Menschen im philosophischen Bedenken ihrer tieferen Lebenserfahrungen das Endliche überschreiten und das Göttliche, das Transzendente, erreichen können. Das Göttliche als das Gründende und Ewige zeigt sich dabei im Denken als bereits anwesend und dieses denkende Transzendieren ermöglichend. Die auf das Wesentliche reduzierte Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie von Kant gilt uns als wichtige Inspiration für eine heutige vernünftige (!) christliche Spiritualität.

6.
 Insofern ist Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie auch eine subjektive Form der Lebensgestaltung, d.h. eine bestimmte Weise zu denken und zu handeln.
Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie kennt keine Dogmen, sicher ist nur das eine Dogma: Umfassend selbstkritisch zu denken und alle Grenzen zu prüfen, in die wir uns selbst einsperren oder in die wir durch andere, etwa durch politische Propaganda, durch Konsum und Werbung im Neoliberalismus, eingeschlossen werden. Der Widerspruch und der Kampf gegen alle Formen des Rechtsradikalismus (AFD, FPÖ, Le Pen, usw.) und Antisemitismus muss zum Mittelpunkt nicht nur unserer, sondern der philosophischen Arbeit insgesamt werden. Es gilt, die Demokratie zu retten.

7.
 Die „Entdeckungsreisen“ der Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phien können angestoßen werden durch explizit philosophische Texte, aber auch durch Poesie und Literatur, Kunst und Musik, durch eine Phänomenologie des alltäglichen Lebens, durch die politische Analyse der vielfachen Formen von Unterdrückung, Rassismus, Fundamentalismus, Kapitalismus. Mit anderen Worten: Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie findet eigentlich immer – oft umthematisch – in allen Lebensbereichen statt.

8.
 Wo hat unser religionsphilosophischer Salon seinen „materiellen“ Ort? Als Treffpunkt, als Raum, eignet sich nicht nur eine große Wohnung oder der Nebenraum eines Cafés, sondern auch eine Kunst – Galerie. In den vergangenen 7 Jahren fanden wir in der Galerie „Fantom“ in Charlottenburg freundliche Aufnahme. Zuvor in verschiedenen Cafés. Kirchliche Räume, Gemeinderäume etwa, sind für uns keine offenen und vor allem keine öffentlichen Räume.

9. 
In unserem religionsphilosophischen Salon sind selbstverständlich Menschen aller Kulturen, aller Weltanschauungen und Philosophien und Religionen willkommen. Unser Salon ist insofern hoffentlich ein praktisches Exempel, dass es in einer Metropole – wie Berlin – Orte geben kann, die auch immer vorhandenen „Gettos“ überwinden.

10.
 Darum haben wir in jedem Jahr im Sommer Tagesausflüge gestaltet, mit jeweils 10 – 12 TeilnehmerInnen: Etwa nach Erkner (Gerhart Hauptmann Haus), Karlshorst (das deutsch-russische Museum), Jüterbog als Ort der Reformation, das ehem. Kloster Chorin, Frohnau (Buddhistisches Haus), das Dorf Lübars… Außerdem gestalteten wir kleine Feiern in privatem Rahmen anlässlich von Weihnachten. Auch ein Kreis, der sich mehrfach schon traf, um Gedichte zu lesen und zu meditieren, hat sich aus dem Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon entwickelt. Aber alle diese Initiativen waren (und sind wohl) mühsam, u.a. auch deswegen, weil letztlich die ganze Organisation von den beiden Initiatoren – ehrenamtlich selbstverständlich – geleistet wurde und wird. Das ist der Preis für eine völlige Unabhängigkeit.

11.
 Anlässlich der „Welttage der Philosophie“, in jedem Jahr im November von der UNESCO vorgeschlagen, haben wir größere Veranstaltungen mit über 60 TeilnehmerInnen im Berliner AFRIKA Haus gestaltet, etwa mit dem Theologen Prof. Wilhelm Gräb, dem Theologen Michael Bongardt. Der Berliner Philosoph Jürgen Große hat in unserem Salon über Emil Cioran gesprochen, der Philosoph Peter Bieri diskutierte im Salon über sein Buch „Wie wollen wir leben?“, die Politologin Barbara Muraca stellte ihr Buch „Gut leben“ vor, Thomas Fatheuer von der Heinrich – Böll- Stiftung vertiefte das Thema; der evangelische Pfarrer Edgar Dusdal (Karlshorst) berichtete über seine Erfahrungen in der DDR; der Theologe der niederländischen Kirche der Remonstranten, Prof. Johan Goud (Den Haag), war zweimal bei uns zur Diskussion, öfter dabei waren Dik Mook und Margriet Dijkmans-van Gunst aus Amsterdam…

12.
 Es ist uns leider deutlich, dass innerhalb der philosophischen Studiengänge an Hochschulen und Universitäten nicht im entferntesten daran gedacht wird, auch das Berufsbild eines Leiters, einer Leiterin besser „Inspiratorin“ philosophischer Salons zu entwickeln. Damit PhilosophInnen freilich ,als Salonnières arbeiten können, müsste die Kulturpolitik entsprechend handeln. Aber die interessiert sich offenbar absolut vor allem für die so genannte Hochkultur der Oper und der Theater, nicht aber für eine Form der „Basis-Philosophie“ als Möglichkeit, vor Ort unter den vielfältigen Menschen tiefere Kommunikation zu ermöglichen.
Eigentlich bräuchte es etwa in Berlin in jedem Stadtbezirk mindestens einen philosophischen Salon, besser noch ein philosophisches „Haus“ mit öffentlich zugänglicher kleiner Fach – Bibliothek , Lesezimmer, Meditations- Denk-Raum und Tee/ Kaffee-Stube.Viele leerstehenden Kirchen könnten entsprechend umgestaltet werden. Dass dort auch philosophisch – literarische Debatten oder Diskussionen zu Grundfragen der Politik, der Kunst und Musik und Spiritualität stattfinden können, ist keine Frage.

13.
 Die Bilanz: Einige wenige Interessenten außerhalb von Berlin haben die Idee des religionsphilosophischen Salons aufgegriffen. Aber wir können nicht sagen, dass etwa im kirchlichen Bereich, evangelisch wie katholisch, die Idee des freien und undogmatischen und offenen Salon-Gesprächs aufgegriffen und realisiert wurde.
Je mehr Christen aus den Kirchen austreten, um so ängstlicher und dogmatischer werden die Kirchen(führer), also auch ihre Pfarrer usw. Der Weg der Kirche in ein kulturelles Getto scheint vorgezeichnet zu sein, zumindest für die katholische Kirche. Tatsächlich haben sich über all die Jahre unserer Arbeit sehr sehr wenige “Vertreter” der großen Kirchen für unsere Initiative überhaupt interessiert. Wir haben diese Ignoranz auch als Freiheit erlebt.

14.
 Hinweis zu unseren Themen:
Eine Übersicht unserer Themen im Salon von Februar 2020 bis 2015 finden Sie hier. Die Themen von 2009 bis 2015 werden demnächst dokumentiert. Die religionsphilosophischen und religionskritischen Hinweise von Christian Modehn, publiziert auf der Website www.religionsphilosophischer-salon.de, wurden bisher mehr als 2.300.000 „angeklickt“, was immer das inhaltlich auch bedeuten mag. (Stand 3.2.2025).

15.
 Unser letztes öffentliches Salongespräch vor der Corona – Pandemie fand am Freitag, den 14.Februar 2020 , wie immer um 19 Uhr, statt, über das Thema: “Das Kalte Herz”. Mehr als ein Märchen (von Wilhelm Hauff). „Das kalte Herz“ offenbart die “imperiale Lebensweise”. 22 TeilnehmerInnen waren dabei. Leider mussten wir – wie öfter schon – acht Interessierten absagen, weil der Raum eben klein ist und nur eine überschaubare Gruppe eine Gesprächssituation ermöglicht. Aber das große Interesse, ohne jede öffentliche Werbung, allein im Internet, und ohne jede Finanzierung von außen, ist immer wieder bemerkenswert. Für einige vertiefende Hinweise zur imperialen Lebensweise: Beachten Sie diesen LINK.

Wir haben unsere philosophischen, religionsphilosophischen und theologischen Gespräche im Salon als Ausdruck der Spiritualität der freisinnigen protestantischen Remonstranten – Kirche (in Holland) verstanden. Dabei haben wir, ebenfalls der offenen, freisinnigen Theologie der Remonstranten entsprechend, keine Werbung für diese protestantische Kirche “betrieben”.

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Dieser Hinweis vom 7.2.2023 wurde am 3.2.2025 überarbeitet.

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FUßNOTE 1: 
Gründer und Initiatoren des „Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin“:

Christian Modehn,  1948 in Berlin (Ost) – Friedrichshagen geboren, nach dem Abitur am Goethe – Gymnasium in Berlin – Wilmersdorf, Studium der katholischen Theologie (Staatsexamen nach 6 Jahren Studium in München, St. Augustin bei Bonn und der Philosophie (Magister Artium in München, über Hegel). Christian Modehn arbeitet seit 1973 immer als freier Journalist über die Themen Religionen, Kirchen und Philosophien, für Fernseh- und Radiosender der ARD, sowie früher auch für die Zeitschrift PUBLIK – FORUM: LINK, sowie auch für “Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt” (Hamburg), “Informations Catholiques Internationales” (Paris), “de bazuin” (Utrecht)  usw.. Zur Information über einige Hörfunksendungen und Fernsehdokumentationen und zu einigen Buchpublikationen klicken Sie  hier.

Hartmut Wiebus, 1944 in Seehausen/Altmark geboren, hat in Berlin (F.U.) Pädagogik (Diplomarbeit über Erich Fromm) und Psychologie studiert, und vor allem als evangelischer Klinikseelsorger gearbeitet. Er hat u.a. viele unserer Themen angeregt und immer als Moderator die Gespräche begleitet.

Copyright: Christian Modehn und Hartmut Wiebus. Religionsphilosophischer Salon Berlin

AFD und Katholiken: Pater Wolfgang Ockenfels in der AFD-nahen Stiftung Desiderius Erasmus.

Ein Hinweis von Christian Modehn.

Am 7.2.2023 veröffentlicht:

Anläßlich des Bestehens der rechtsradikalen Partei AFD wird gelegentlich auch von “Katholiken im Umfeld der AFD” gesprochen. Eine zentrale Figur ist dabei der em. Prof. für katholische Soziallehre Pater Wolfgang Ockenfeks aus dem Dominikanerorden.  Er ist auch Chefredakteur der Zeitschrift “Die Neue Ordnung”, eine Art “Sammelbecken” sehr konservativer katholischer Theologen, Bischöfe, Wissenschaftler, Journalisten.

Am 21.10.21 veröffentlicht:

Die AFD nahe Stiftung Erasmus könnte bald, vom demokratischen Staat finanziell gefördert, “aufblühen”. Bis zu 70 Millionen Euro könnte dieser AFD-Club dann aus Steuermitteln erhalten. Der Bundestag könnte diese Förderung einer äußerst rechtslastigen, manche sagen zurecht rechtsextremen Partei noch verhindern…
Wir haben schon Ende Juli 2018 darauf hingewiesen, dass zum Kuratorium der AFD nahen Stiftung auch ein sehr konservativer Dominikanerpater gehört, Wolfgang Ockenfels. Dem Provinzial der Dominikaner in Köln war diese Tatache kurzfristig mal peinlich, deswegen gab er eine offizielle Erklärung heraus, die dann kurze Zeit danach öffentlich nicht mehr zugänglich ist. Wer hat da Druck ausgeübt?
Und außerdem: Pater Ockenfels hat sich schon im Dezember 2014, kurz nach der Annexion der Krim durch Putin, als Putin-Freund und Putin-Verteidiger offenbart. Das passt gut zu seiner Nähe zur AFD.

Am 25. 7.2018 veröffentlicht:

Die AFD setzt sich in christlichen Kreisen immer mehr durch: Ein Thema auch für den Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon in Berlin, er weiß sich der Philosophie des demokratischen Rechtsstaates, der Menschenrechte und damit der allseitigen Religionskritik verpflichtet.
1.
Jetzt ist es nicht mehr unwahrscheinlich, dass es demnächst einen „Arbeitskreis von Theologen in der AFD“ geben könnte, selbstverständlich ökumenisch vereint. In der Lutherischen Kirche Sachsens (etwa in Bautzen) würde man sicher fündig werden; im Katholizismus hat nun der in konservativen Kreisen ohnehin umtriebige Theologe und Dominikanerpater Prof. Wolfgang Ockenfels ein Zeichen gesetzt: Er gehört zum „Kuratorium“ der AFD „nahen“(wie man vornehm sagt) „Stiftung Desiderius Erasmus“.
Dabei dauern die Verbindungen von Ockenfels zur AFD schön länger: Etwa im März 2017 sprach er über „Gewalt und Religion“ auf einer Tagung der AFD von Baden-Württemberg: Den Koran sollte man lesen, meinte er. Den Koran zu lesen hielt er dann aber für eine „grauenhafte Zumutung“, so berichteten sehr rechtslastige websites pünktlich zum Vortrag! Anfang 2017 betonte  Ockenfels: „Meiner persönlichen, nicht maßgebenden Meinung nach ist es – nach gründlicher Lektüre des AfD-Programms – nicht unchristlich, dieser Partei anzugehören oder sie zu wählen.“ (Quelle: Rolf Seydewitz: „Kirchen stehen ziemlich blamiert da“. In: Trierischer Volksfreund. 12. Januar 2017, abgerufen am 17. Juli 2018 (Interview).
Die schon lange andauernden Verbindungen von Ockenfels mit der rechtslastigen Wochenzeitung “Junge Freiheit” sind bekannt. Seit einigen Monaten ist Pater Ockenfels Kolumnist der “Jungen Freiheit”, so etwa zum “Heiligung statt Heilung” vom 6.4.2021. LINK

2.
Ockenfels jedenfalls kann aufgrund seiner weitreichenden vielfältigen Kontakte vor allem im rechts-konservativen katholischen Milieu nun seine AFD Affinität auch werbend in seinen Kreisen zur Sprache bringen: Er ist emeritierter Professor für Christliche Soziallehre an der theologischen Fakultät der Universität Trier (dort seit 1985, er hat also viele Religionslehrer usw. ausgebildet); er ist (Stand 2018) geistlicher Beirat im „Bund katholischer Unternehmer“; Beiratsmitglied der Akademie des deutschen Handwerks/Schloß Raesfeld; Präsident der Internationalen Stiftung Humanum (Lugano), Referent beim sehr konservativen „Forum deutscher Katholiken;” häufiger Mitarbeiter des sehr reaktionären katholischen Blattes „Der Fels“; Chefredakteur der Zeitschrift „Die Neue Ordnung“. Zur Redaktion gehören auch zwei andere Dominikaner, der eine, Pater Wolfgang Spindler, hat etwa kürzlich „Gedichte für und über Carl Schmitt“ in der Carl Schmitt Gesellschaft herausgegeben. Carl Schmitt war ja bekanntlich der „Kronjurist der Nazis“… Autor der „Neuen Ordnung“ von Pater Ockenfels ist auch der heftige Gegner/Feind von Papst Franziskus, Kardinal Walter Brandmüller.

3.
Am 24. Juli 2018 hat nun auch der für Pater Ockenfels zuständige Provinzialobere des Dominikanerordens in Köln, Pater Peter L. Kreutzwald, eine Stellungnahme publiziert.
Um es vorweg zu sagen: Diese Stellungnahme entspricht nicht der Bedeutung, dass nun ein katholischer Theologieprofessor sich in einer AFD Organisation engagiert. Diese Tatsache ist eine schlimme Wende, sie führt hin zur “Normalisierung” dieser AFD Partei und ihres Umfeldes sowie ihrer bekannten Connections mit rechtsextremen Parteien in Europa.
Im ersten Teil seiner Stellungnahme erwähnt Pater Kreutzwald die im Dominikanerorden offenbar übliche Pluralität: Man liebt dort die „kontroverse Diskussion“. Und angesichts dieser damit angedeuteten Toleranz im Dominikanerorden wird dann auch die „Haltung“ von Pater Ockenfels, also seine Sympathie für die AFD, als „persönliche Einzelmeinung“ förmlich abgewertet. Aber: „Diese persönliche Einzelmeinung“ wird „von der Provinzleitung nicht geteilt“. Immerhin, dies wird gesagt. Ob nun kontroverse Debatten, offenbar in dem Orden üblich, nun auch mit Pater Ockenfels geführt werden, auch öffentlich, wird vom Provinzial nicht einmal angedeutet. Wie toll wäre es doch, einmal einen kritischen Dialog unter Dominikanern, die nennen sich ja offiziell „Predigerbrüder, über das Thema öffentlich zu erleben.
Diese äußerst knappe allgemeine Abgrenzung des Ordensoberen bedeutet letztlich: Ein Ordensoberer ist gegenüber dem politischen Engagement eines zudem einflussreichen Ordensmitglieds machtlos; der Ordensobere zeigt hilflos, nicht mehr als die offizielle Ablehnung dieser Privatmeinung eines einzelnen Mitglieds im Orden mitzuteilen. Man könnte sich im Fall dieser gravierenden AFD Unterstützung ja auch denken: Dass der Ordensobere entscheidet, die Ordensmitgliedschaft des Betreffenden „ruhen“ zu lassen, solange dessen AFD Aktivitäten fortgesetzt werden.
Hingegen suggeriert der Kölner Ordensobere an der Stelle seiner knappen Stellungnahme, als wäre diese persönliche Einzelmeinung von Ockenfels nur von so geringer Bedeutung wie etwa eine absolute Vorliebe fürs vegetarische Essen oder für anstrengende Bergwanderungen. Mit anderen Worten: Der Ordensobere spielt in diesem ersten Absatz die AFD von Pater Ockenfels herunter. Damit wird indirekt für andere das Zeichen gesetzt: Wenn schon ein Dominikaner Theologe sich AFD nah engagiert, warum kann ich als katholischer Laie dies nicht auch? „Also los, wählen wir AFD“, sagen sich praktizierende Katholiken, die nachweislich oft noch sehr autoritätshörig sind.
Im zweiten, etwas längeren Teil der „Stellungnahme“ von Pater Kreutzwald wird dann ohne jeden ausdrücklichen Bezug zur AFD – Mitarbeit des Dominikaners Ockenfels nur Allgemeines zur politischen Situation Deutschland und Europas gesagt: Die AFD wird von dem Provinzial durchaus als „rechtsgerichtete Partei“ bewertet. Dass “rechtsgerichtet“ sehr milde klingt, ist klar! Kreutzwald gibt zu, diese Partei argumentiere mit „vereinfachender Polemik“ bis hin zu offener Feindseligkeit. Die Frage stellt der Provinzial an dieser Stelle nicht: Darf ein Theologe, darf ein Christ, sich zu dieser offenen Feindseligkeit (die die AFD nachweislich inszeniert) bekennen?
Zum Schluss erinnert der Obere an den Anspruch des Dominikanerordens, des Predigerordens, „in einer vernünftigen Sprache differenziert und ausgewogen die gegenwärtigen Herausforderungen ins Wort zu bringen“. DER TEXT von Pater Kreutzwald war kurze Zeit erreichbar über: http://www.dominikaner.de/  Am 21-10-2021: Diese Information des Provinzials ist schon seit längerer Zeit nicht mehr auf der website des Ordens auffindbar. Der “Fall Ockenfels” Ist wohl zu peinlich für die Ordensleitung?

4.

Auch der katholische Theologe David Berger (2010 Autor des heftig antiklerikalen Erfolgs-Buches „Der heilige Schein. Als schwuler Theologe in der katholischen Kirche“) gehörte kurze Zeit zum Kuratorium dieser AFD-Organisation. David Berger ist ein Kenner des Werkes des mittelalterlichen Theologen und Dominikaners Thomas von Aquin, deswegen hat er enge Verbindungen zu einzelnen Dominikanern in Berlin und in Rom (dazu in dem genannten Buch S. 128 ff.). Er hat sich vom konservativen katholischen Theologen erst zum heftigen Kirchenkritiker und Gay-Aktivisten nun wieder zum AFD nahen Theologen (zurück-?) “entwickelt”. Eine interessante “Karriere” in der AFD…Die allerdings im Juni 2019 ein Ende fand: David Berger ist aus dem Kuratorium der AFD Stiftung ausgeschieden…

Bemerkenswert jedenfalls ist die nach außen hin gezeigte Toleranz von Ockenfels gegenüber dem offen homosexuell lebenden, einstigen Chefredekteur des Gay – Magazins „Männer“ im schwulen Bruno Gmünder Verlag in Berlin: Gegenüber seinem damaligen Co-Beirat David Berger in der AFD Stiftung zeigte sich Ockenfels sehr tolerant: Er hielt den nun AFD affinen (ehemaligen ?) Gay-Aktivisten und Gay-Publizisten David Berger für einen „sehr anregenden, kompetenten Gesprächspartner“. Dabei ist diese tolerante Aussage von Ockenfels hoch erstaunlich: Sie steht wohl ganz im Dienste der gemeinsamen AFD-Verbundenheit: Denn Ockenfels hat sonst gegen alle „moderne“ Moral (der „68 er-Bewegung“) gewettert, gegen Feminismus und Gender-Forschung etwa. Gegen die so genannte „Homoehe“ argumentierte Ockenfels in einem von Norbert Geis (CSU – Hardliner) herausgegebenen Buch mit dem Titel „Homoehe“, er verfasste den Beitrag “Staatliche Prämierung der Unfruchtbarkeit“ (gemeint sind „die Homos“). AFD Homos sind jetzt – dank David Bergers Liebe zur AFD – offenbar nicht mehr so „unfruchtbar“. Inzwischen gehört Berger nicht mehr dem beirat der AFD nahen Stiftung an, CM, 7.2.2023)

5.

Pater Ockenfels, ein PUTIN-Freund:
Pater Ockenfels zeigt sich Putin – Freund und Putin – Verteidiger, und darin ist er auf der Linie der AFD. Man denke auch an Gaulands frühe Verteidigung der Annexion der Krim durch Putin… (Siehe unten, Fußnote 1)
Am 3. Dezember 2014, also wenige Monate nach der Annexion der Krim durch Putin (im März 2014 ), schrieb Pater Ockenfels in der sehr konservativen katholischen website kath.net :
„Aber die neuen Schaleks (das sind Journalisten im Werk von Karl Kraus, CM) beiderlei Geschlechts bevölkern zur Anheizung des neuen Konflikts unsere Medien, die ihren Haß auf den Teufel Wladimir Putin kaum noch zügeln können: Er sei sowieso krank, er habe Krebs, und überdies sei er paranoid, wie Herr Doktor Andreas Schockenhoff MdB per Ferndiagnose herausfand, statt sich als Christdemokrat einmal zu völkerrechtlichen Regeln, die für alle und reziprok gelten (sollten) und über die einseitige Interessen- und Machtpolitik hinausgehen, nachdenklich zu äußern. Die heute bei uns vorherrschenden antirussischen und antichristlichen Affekte werden freilich nicht vom Volksverhetzungsparagraphen erfaßt“.  Kath.net 3.Dezember 2014.

Fußnote 1: „Schon 2014, die AfD war erst wenige Monate alt, war Alexander Gauland zu Gast in der russischen Botschaft. ­Gauland, damals noch Landeschef in Brandenburg, ist heute Vorsitzender der Partei. Kurz nach dem Besuch trat er mit dem Kreml-Lobbyisten ­Wladimir Jakunin bei der Konferenz „Frieden mit Russland“ des rechtsextremen ­Magazins Compact auf. Er reiste nach Sankt Petersburg, traf einen nationa­listischen Oligarchen und diskutierte mit dem radikal antiliberalen Philosophen Alexander Dugin, den das US-Magazin Foreign Affairs „Putins Hirn“ taufte.
Und so ging es weiter: AfD-Politiker reisten zu Konferenzen in die Ost­ukraine, wanzten sich an die Putin-Jugend ran, trafen sich in Moskau mit der Kremlpartei oder der Stadtregierung… Quelle: TAZ: https://taz.de/Russland-und-die-AfD/!5579084/

Fußnote 2:
Der Dominikaner Pater Ockenfels ist ständiger Mitarbeiter der äußerst rechtslastigen website “kath.net”, seine Texte: https://kath.net/suche.php?suche=Ockenfels

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Homosexualität ist kein Verbrechen, bleibt aber eine Sünde. Verworrenes von Papst Franziskus im Januar 2023.

Von Christian Modehn am 30.1.2023.

Die Stellungnahmen von Papst Franziskus zur Homosexualität werden immer zwiespältiger. Sie bestätigen nur das Hin-und Her-Lavieren der katholischen Kirche bei dem Thema.

Ende Januar 2023 hat Papst Franziskus gleich zweimal zu diesem Thema Stellung genommen. In einem Interview für AP am 25.1.2023 LINK und in einem Brief an den US-amerikanischen Jesuiten James Martin. LINK. Siehe auch handschriftlich LINK.

Erstens sagte der Papst: „Homosexualität ist kein Verbrechen“. Also keine Untat, die in mehr als 60 Staaten immer noch gesetzlich verfolgt und bestraft wird.

Kommentar: Eine scheinbar mutige Aussage, in der sich der Papst von den mehr als 60 Staaten und ihrer Politiker absetzt, die immer noch Homosexuelle verfolgen, ausgrenzen, quälen, töten. Damit spricht sich der oberste Chef der römischen Kirche aber endlich nur für den allgemeinen humanen Standard aus, den vernünftige und gebildete Menschen (und deren Politiker) schon seit etlichen Jahren vertreten.
Und die Wahrheit, die immer mehr vernünftige und gebildete Menschen verteidigen, heißt: Homosexualität (um nur von ihr zu sprechen in der Vielfalt queeren Lebens) ist normal, sie ist nichts anderes als eine Variante in den sexuellen Orientierungen. Die universal geltenden Menschenrechte stehen über allen positiven Gesetzen der Staaten und über allen faktischen Lehren, Dogmen der verschiedenen Religionen. Menschenrechte sind der universale Maßstab.
Die päpstliche Aussage „Homosexualität ist kein Verbrechen“ scheint in gewisser Weise mutig zu sein, wenn man bedenkt, dass der Papst Anfang Februar 2023 den Staat Südsudan besucht, deren Bewohner zu 77% sich Christen nennen (39 % nennen sich katholisch). Dieser Staat Südsudan aber hat Gesetze, die Homosexuelle bestrafen und ausgrenzen. Und die dortigen katholischen wie anglikanischen Bischöfe unterstützen diese staatlichen Gesetze. Es wird also nicht leicht sein, wenn der Papst, der ja eigentlich nur für „geistliche“ und „moralische“ Verhalten zuständig ist, nun dort hoffentlich zum leidenschaftlicher Verteidiger der Homosexuellen wird und lautstark verkündet: „Auch die Homosexuellen im Südsudan sind keine Verbrecher“. Wird seine Stimme vernommen? Der Papst wird wohl leider unverrichteter Dinge wieder nach Rom zurückfliegen: Denn die Regierung des Südsudan kann der Papst nicht austauschen, und die Katholischen Bischöfe ebenfalls nicht. Die werden wohl bei ihrer tiefsitzenden, angeblich theologisch begründeten Anti-Gay-Haltung bleiben.
Man möchte man den Politikern und Bischöfen in Südsudan zurufen: Schafft endlich demokratische Gesetze, beendet die Verfolgung von Homosexuellen und sorgt endlich dafür, dass die eigene Bevölkerung nicht länger verhungert… Dies zu sagen hat gar nichts mit Neo-Kolonialismus zu tun. Nur mit der Geltung der universalen (!) Menschenrechte.

Zweitens sagte der Papst: Der Papst ergänzt zur selben Zeit, Ende Januar 2023, ebenfalls gleich zweimal sein erstes Statement und lehrt: „Homosexualität ist Sünde“! Und dies mit der Begründung: „Weil der offizielle Katechismus der römischen Kirchen (verfasst unter Kardinal Ratzinger) Sexualität nur in der Ehe erlaubt“.

Kommentar:
Der Papst stellt also zum hundertsten Male wie seine Vorgänger schon ganz deutlich heraus: Homosexualität ist Sünde. Und damit sind konsequenterweise Homosexuelle auch besonders stigmatisierte Sünder. Vor allem Homosexuelle gelten nun wieder einmal als auffällige Sünder.
Theologisch ist die Aussage verrückt und falsch, sie muss von vernünftigen Theologen energisch zurückgewiesen werden: Denn Sünder kann nur jemand sein, der sich freiwillig für eine bestimmte Tat und Haltung entscheidet, die moralisch verwerflich sind. Aber Homosexualität wurde nie frei gewählt. Homosexualität ist, wenn man es theologisch deuten will, eine Gabe Gottes, die dem Menschen zugewiesen wurde, weil Gott als guter Gott nur Gutes schafft, darum ist also Homosexualität eine „gute Gabe Gottes“. Sie ist nur eine Variante innerhalb der Sexualitäten.

Die Konsequenz:
Wenn der Papst also hoch offiziell immer noch Homosexualität für eine Sünde hält und damit Homosexuelle als die nun öffentlich besonders bekannten Sünder hinstellt, hat er kein Argument mehr, um seine durchaus politische These durchzusetzen: Homosexualität ist kein Verbrechen, nichts, was ein Staat verfolgen darf.
Denn die Staats-Chefs können doch angesichts der „Sünden-Behauptung“ sagen: Wir helfen dir lieber Papst doch nur, die Sünde in der Welt zu besiegen, wenn wir die homosexuellen Sünder bestrafen und verfolgen und auslöschen. Dies ist ein alter Usus der Zusammenarbeit von Staat und Kirche: Die Päpste markieren bestimmte Menschen als schwere Sünder, und der Staat löscht sie dann unter dem Titel „Verbrecher“ aus. Siehe Inquisitionsgeschichte.

Die Lösung:
Eine vernünftige Lösung kann nur bedeuten: Der Papst lehrt kraft seines Amtes verbindlich und ein für allemal: „Homosexualität ist weder ein Verbrechen NOCH eine Sünde“. Er sagt öffentlich und laut und in allen Sprachen: „Homosexualität ist etwas Normales. Und deswegen unterstützen wir gern Homosexuelle, wenn sie eine Ehe schließen wollen, selbstverständlich segnen wir auch homosexuelle Paare, wir wollen schließlich als Kirche nicht länger nur wie üblich Autos, Wohnungen, Handy, Tiere usw. segnen, sondern eben auch alle Menschen“.

Ein – ironischer – Ausweg jetzt schon:
Vielleicht gibt es für einige wenige noch katholisch „gebundene“ Homosexuelle einen Ausweg, den Papst Franziskus selber in seinem Brief an Pater James Martin andeutet: Der Papst schreibt: „I should have said “it is a sin, as is any sexual act outside of marriage.”
Also, das heißt: Wer in einer Ehe lebt, begeht in seinem sexuellen Lieben und Leben keine Sünde. Das heißt dann aber: Homosexuelle, die im Sinne der richtigen Gesetze demokratischer Staaten verheiratet sind, können ohne weiteres mit päpstlichem Segen ihre Sexualität leben. Mit anderen Worten: Der Papst will sagen: Katholische Homosexuelle! Heiratet, folgt den richtigen Gesetzen in euren demokratischen Staaten, dann könnt ihr mit meinem päpstlichen Segen durchaus Sex haben und Liebe empfinden. Ihr seid ja Eheleute und verheiratet!

Weitere Projekte der Forschung:
– Warum wird gerade in Afrika Homosexualität so oft verboten? Wovor haben die Politiker und weite Kreise der unwissenden Bevölkerung Angst, wenn es um Menschenrechte für Homosexuelle geht?
– Folgen die afrikanischen Bischöfe in ihrer Feindschaft auf Homosexuelle nur der alten Lehren der europäischen und nordamerikanischen Missionare im 19. und 20.Jahrhundert, die den armen „Einheimischen“ einbläuten: Homosexualität ist eine Sünde? Man darf vermuten, dass es so war. Das Zerstörerische der Kolonial/Missionsgeschichte wird einmal mehr deutlich.

Katholische Kirche in ihrer Verfolgung der Homosexuellen, Hinweis auf einige Beiträge des Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en-Salon Berlin.

Die Studie “Sodom” des französischen Soziologen Frédéric Martel, sie dokumentiert das verborgene, verlogene schwule Leben des Klerus: LINK

Kardinal Sarah (geb.in Guninea) war und ist einer der heftigsten Feinde homosexueller Gleichberechtigung: LINK

Kardinal Pengo aus Tanzania hat Unsägliches über Homosexuelle gesagt:  LINK

Im Jahr 2018 hätte Papst Franziskus in einem Interview am liebsten einen katholischen §175 geschaffen. LINK

Weihbischof Andreas Laun aus Salzburg war so geistig daneben, dass er den Segen für homosexuelle Paare mit einem Segen für KZs verglich. LINK

Dies ist nur ein Ausschnitt über die angestammten Umgangsformen des (hohen) Klerus mit Homosexuellen und Homosexualität. Das Thema bewegt diese Herren, weil sie oft selbst verkrampft schwul sind und alle verachten, die offen diese ihre normale Sexualität leben. Um dies zu erkennen, muss man kein Tiefenpsychologe sein.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Theologe Wilhelm Gräb gestorben. Seine Vorschläge zur Reformation der Kirchen!

Am 25.1.2023 notiert und am 10.2.2025 ergänzt: 

Eine traurige Nachricht, ein großer Verlust für eine moderne “liberale Theologie”: Prof. Wilhelm Gräb, Prof. em. für praktische Theologie an der Humboldt-Universität Berlin,  ist am 23. Januar 2023 in Berlin nach langer Krankheit gestorben. Der Religionsphilosophische Salon Berlin verdankt ihm viele wichtige Anregungen und dankt nochmals auf diese Weise für insgesamt 65 Beiträge und Interviews, die Wilhelm Gräb in mehr als zehn Jahren für diese website gab. LINK.

Ich darf sagen, wir haben einen Freund verloren, der als ein Theologe der heutigen Moderne ungewöhnliche, aber richtige Perspektiven zeigte in seiner großen Aufgeschlossenheit und Freundlichkeit. Für ihn war die religiöse Glaubensform eines jeden Menschen wichtiger als die fixierenden, dogmatischen Lehren der Kirche. Diese theologische Freiheit, alle dogmatische Engstirnigkeit, allen Fundamentalismus auch in der evangelischen Kirche zu überwinden, “beiseite zu tun”, wie Wilhelm gern sagte, ist in ihrem radikalen Mut schon ziemlich einmalig. Ob diese Vorschläge und Ansätze zu einer Reformation der Kirchen noch ernstgenommen werden, gerade in dieser “Kirchenkrise” ist eine offene Frage… 

Wilhelm Gräb hatte begriffen: Die Krise der Kirchen heute ist eine Krise ihrer Dogmen, ihrer Lehren, sie gilt es zu korrigieren und in großem Umfang „beiseitezulegen“. Um den elementaren religiösen Glauben zu bewahren. Das verstehen nur die Kirchenführer nicht oder wollen es nicht verstehen, sie debattieren ewig über Strukturen und deren Reformen. Siehe jetzt die Debatten um das Konzil von Nizäa.

Interessant in dem Zusammenhang das Interview, das uns Wilhelm Gräb 2012 zum Thema TOD und Sterben gab: LINK

Zur theologischen Besinnung empfehle ich auch unser Interview mit Wilhelm Gräb “Der Gott der Liebe”. LINK:
Über vierzig viel beachtete Interviews mit dem protestantischen Theologen Prof. Wilhelm Gräb (Berlin, Humboldt – Universität) sind auf unserer Website publiziert. LINK.

Fest steht: Wilhelm Gräb war ein Theologe, der über die allmählich verschwindende Macht der Kirchen hinausdachte, damit auch über die so genannte Säkularisierung. Und der in der SINN-Frage, die jeden Menschen bewegt, die entscheidende Dimension geistvollen Lebens entdeckte und reflektierte. Letztlich kam es ihm auf die Pflege der SINN-Frage an, was für eine richtige Radikalität.

Die Vorlesung Wilhelm Gräbs beim offiziellen Abschied (Emeritierung) von der Humboldt – Universität hat der Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie Salon als erster publiziert. LINK.

Interessant in dem Zusammenhang das Interview, das uns Wilhelm Gräb 2012 zum Thema TOD und Sterben gab: LINK 

Zur theologischen Besinnung empfehle ich auch unser Interview mit Wilhelm Gräb “Der Gott der Liebe”. LINK:

Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin, führte insgesamt 65 Interviews mit Prof. Wilhelm Gräb, die auf der website des Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en-salon.de   nachzulesen sind. LINK.

Siehe auch den Hinweis der Theologischen Fakultät der HU, in englischer Sprache, die schön in einigen Worten auch die menschlichen Qualitäten Wilhelm Gräbs deutlich machen. LINK.

Copyright: Christian Modehn. Berlin.   Religionsphilosophischer-salon.de

Benedikt XVI. und Leonardo Boff: “Ein Papst der vergangenen europäischen Christenheit, 
mit ihrem Pomp und ihrem politisch-religiösen Machtanspruch”. Ein Beitrag von Leonardo Boff.

Von Leonardo Boff, Brasilien. Am 5. Januar 2023.

Ein neuer Text, von Norbert Arntz, Kleve, übersetzt.

(Zur Erinnerung: Der Brasilianer Leonardo Boff (Geb. 1938) ist einer der wegweisenden, international hoch geschätzten katholischen Befreiungstheologen, er wurde von Kardinal Ratzinger als Chef der vatikanischen Glaubensbehörde zuerst 1985, dann 1991 von Kardinal Ratinger ausgegrenzt und mit Rede -und Schreibverbot bestraft. Ins Abseits des Vergessens konnten ihn Ratzinger und auch Papst Joahnnes Paul II. nicht drängen, im Gegenteil: Als offiziell von Rom Diskriminierter, als Ketzer, entfaltet er eine große kreative Theologie und Religionsphilosopie. Christian Modehn.)

“Jedes Mal, wenn ein Papst stirbt, ist die gesamte weltweite kirchliche Gemeinschaft und die Weltgemeinschaft bewegt, weil sie in ihm den sieht, der im christlichen Glauben bestärkt und die Einheit zwischen den verschiedenen Ortskirchen gewährleistet. Das Leben und die Taten eines Papstes können auf vielfältige Weise interpretiert werden. Ich werde eine Interpretation aus Brasilien (Lateinamerika) anbieten, die wahrscheinlich unvollständig ist.

Es ist wichtig zu wissen, dass nur 23,18 % der Katholiken in Europa und 62 % in Lateinamerika leben, die übrigen in Afrika und Asien. Die katholische Kirche ist eine Kirche der zweiten und dritten Welt. Künftige Päpste werden wahrscheinlich aus diesen Kirchen kommen, voller Vitalität und mit neuen Möglichkeiten, die christliche Botschaft in nicht-westlichen Kulturen zu verkörpern.
Wenn man sich auf Benedikt XVI. bezieht, muss man zwischen dem Theologen Joseph Ratzinger und dem Papst Benedikt XVI. unterscheiden.

Der Theologe Joseph Alois Ratzinger war ein typischer mitteleuropäischer Intellektueller und Theologe, brillant und gelehrt. Er war kein kreativer Geist, konnte aber hervorragend die offizielle Theologie erklären. Das wurde besonders in den verschiedenen öffentlichen Dialogen deutlich, die er mit Atheisten und Agnostikern führte.
Er entwickelte keine neuen Gesichtspunkte, sondern vermittelte die traditionellen Ansichten in einer anderen Sprache, die sich vor allem auf den heiligen Augustinus und den heiligen Bonaventura stützte. Ein wenig neu war vielleicht seine Vorstellung von der Kirche als einer kleinen, sehr treuen, heiligmäßigen Gruppe, die das Ganze „repräsentiert“. Für ihn war die Zahl der Gläubigen nicht entscheidend. Die kleine, zutiefst spirituelle Gruppe, die stellvertretend für alle da ist, genügte. Das führte dazu, dass sich in dieser Gruppe von Reinen und Heiligen auch Pädophile und in Finanzskandale verwickelte Personen befanden. Damit zerschlug sich seine Repräsentationsidee.

Benedikt XVI. träumte von einer Re-Christianisierung Europas unter der Führung der katholischen Kirche. Dieser Traum aber galt als unrealistisch, weil das heutige Europa mit seinen verschiedenen Revolutionen und der Einführung demokratischer Werte nicht mehr der Vorstellung des Mittelalters mit seiner Synthese von Glaube und Vernunft entspricht. Sein Ideal fand keine Resonanz, weil es seltsam aus der Zeit gefallen schien.

Eine andere eigenartige Position, die zum Gegenstand endloser Polemik mit mir wurde und breite Resonanz in der Kirche hervorrief, war die Behauptung, dass die „allein die katholische Kirche die Kirche Christi“ sei. Die Debatten während des Konzils und der ökumenische Geist hatten das Wort “ist” durch das Wort “besteht in” verändert. Damit wurde der Weg frei für die Vorstellung, dass die Kirche Christi auch in anderen Kirchen „bestehen“ konnte. Ratzinger dagegen behauptete stets, das „besteht in“ sei nur ein Synonym für das „ist“. Das wurde jedoch durch eine detaillierte Erforschung der theologischen Akten des Konzils nicht bestätigt. Aber er bestand weiterhin auf seiner These. Ferner behauptete er, dass die anderen Kirchen keine Kirchen seien, sondern nur über kirchliche Elemente verfügten.
Er ging sogar so weit, mehrfach zu behaupten, man habe meine Position unter den Theologen als Gemeingut verbreitet, so dass sich der Papst zu weiterer Kritik an mir veranlasst sah. Allerdings geriet er zunehmend in die Isolation, denn er hatte die anderen christlichen Kirchen wie die Lutheraner, Baptisten, Presbyterianer und weitere schwer enttäuscht dadurch, dass er die Türen zum ökumenischen Dialog verschloss.

Er verstand die Kirche als eine Art Festung gegen die Irrtümer der Moderne und machte den rechten Glauben zum entscheidenden Bezugspunkt, der stets an die Wahrheit gebunden sei (sein tonus firmus). Obwohl man ihn persönlich als nüchtern und höflich charakterisieren kann, war er als Präfekt der Glaubenskongregation äußerst hart und unnachgiebig. Etwa hundert Theologinnen und Theologen, darunter einige der bedeutendsten, wurden entweder verurteilt und verloren ihren Lehrstuhl, oder ihnen wurde verboten, Theologie zu lehren bzw. theologische Texte zu veröffentlichen, bzw. ihnen wurde, wie in meinem Fall, „ein Schweigegebot“ auferlegt. Dazu gehören in Europa bekannte Namen wie Hans Küng, Edward Schillebeeckx, Jacques Dupuis, Bernhard Häring, José Maria Castillo und andere. In Lateinamerika sind es der Begründer der Befreiungstheologie, der Peruaner Gustavo Gutiérrez, der spanisch-lateinamerikanische Theologe Jon Sobrino, die Theologin Ivone Gebara, die man mit Zensur belegte, sowie der Autor dieser Zeilen. In den Vereinigten Staaten gab es weitere, wie Charles Curran und Roger Haight. Sogar die Bücher des verstorbenen indischen Theologen Pater Anthony de Mello wurden verboten, ebenso wie die von Tissa Balasurya aus Sri Lanka, der exkommuniziert wurde.
Wir Theologinnen und Theologen Lateinamerikas haben nie ganz verstanden, warum er die auf 53 Bände angelegte Sammlung „Theologie und Befreiung“ verbot. Dutzende Theologen waren daran beteiligt (etwa 26 Bände wurden veröffentlicht). Das Ziel dieser Text-Sammlung war es, Seminare, kirchliche Basisgemeinschaften und christliche Gruppen, die sich für die Menschenrechte einsetzen, zu unterstützen. Zum ersten Mal hatte man hier außerhalb Europas ein großes theologisches Werk zustande gebracht, das weltweite Resonanz fand. Doch das Projekt wurde sehr bald abgebrochen. Der Theologe Joseph Ratzinger erwies sich als Feind der Freunde der Armen. Das wird in die Theologiegeschichte eingehen.
Viele Theologinnen und Theologen behaupten, er sei vom Marxismus besessen gewesen, obwohl dieser in der Sowjetunion gescheitert war. Er veröffentlichte ein Dokument über die Befreiungstheologie, Libertatis nuntius (1984), voller Warnungen, aber ohne ausdrückliche Verurteilung. Ein späteres Dokument, Libertatis conscientia (1986), hebt zwar mehr die positiven Elemente hervor, allerdings mit erheblichen Einschränkungen.

Wir können sagen, dass er den Markenkern dieser Theologie nie verstanden hat: die „Option für die Armen gegen ihre Armut und für ihre Befreiung“. Sie machte die Armen zu Protagonisten ihrer Befreiung statt zu bloßen Empfängern von Wohltätigkeit und Paternalismus. Das eben war die Auffassung der Tradition und die von Papst Benedikt XVI. Er hatte den Verdacht, dass sich in diesem Protagonismus der historischen Macht der Armen der Marxismus verbarg.
Als Papst leitete Benedikt XVI. die „Rückkehr zur strengen Disziplin“ ein, mit einer eindeutig restaurativen und konservativen Tendenz, bis hin zur Wiedereinführung der Messe in Latein und mit dem Rücken zum Volk. In der Kirche selbst sorgte er für allgemeines Erstaunen, als er im Jahr 2000 das Dokument „Dominus Iesus“ veröffentlichte. Darin bekräftigte er die alte, mittelalterliche, vom Zweiten Vatikanischen Konzil beendete Lehre, dass es „Außerhalb der katholischen Kirche kein Heil“ gebe. Nichtchristen waren in großer Gefahr. Erneut verweigerte er den anderen Kirchen die Bezeichnung „Kirche“, sie seien nur kirchliche Gemeinschaften. Das rief allgemein Irritationen hervor. Bei all seiner Scharfsinnigkeit polemisierte er mit Muslimen, Evangelikalen, Frauen und der fundamentalistischen Gruppe, die gegen das Zweite Vatikanum war.

Seine Art, die Kirche zu führen, hatte nicht das Charisma, das Papst Johannes Paul II. so stark auszeichnete. Er war mehr von Rechtgläubigkeit und wachsamem Eifer für die Glaubenswahrheiten geprägt als von Weltoffenheit und Zärtlichkeit für die einfachen Christen, wie es Papst Franziskus deutlich zeigt.
Er war ein echter Repräsentant der alten europäischen Christenheit mit ihrem Prunk und ihrer politisch-religiösen Macht. Aus der Perspektive der neuen Phase der Planetarisierung hat sich die auf so vielen Gebieten reiche europäische Kultur in sich selbst verschlossen. Nur selten hat sie sich als offen gegenüber anderen Kulturen erwiesen wie z.B. für die alten Kulturen Lateinamerikas, Afrikas und Asiens. Das wurde im Prozess der Evangelisierung bewiesen, den man als Okzidentalisierung des Glaubens betrieb. Man hat sich nie von einer gewissen Arroganz befreit, der Beste zu sein, und mit diesem Anspruch die ganze Welt kolonisiert. Diese Tendenz ist immer noch nicht ganz überwunden.
Trotz aller Begrenzungen wird er aufgrund seiner persönlichen Tugenden und seiner Demut, mit der er auf das Papstamt verzichtet hat, als er die Grenze seiner Kräfte verspürte, gewiss zu den Seliggepriesenen zu zählen sein.”

Quelle: https://leonardoboff.org/2023/01/05/benedicto-xvi-un-papa-de-la-vieja-cristiandad/
Übersetzung aus dem Spanischen: Norbert Arntz, Kleve