Meinungsfreiheit und damit auch Blasphemie als Kunst sind normal in einer Demokratie! Und die Menschenrechte sind etwas “säkulares Heiliges”

Gott oder ein Prophet lässt sich von Menschen überhaupt nicht ärgern. Woher sollten Menschen das auch wissen?

Ein Hinweis von Christian Modehn

1.
In Frankreich, meint Prof. Thomas Römer, Direktor des „College de France“ (Paris) in einem Interview mit der Neuen Züricher Zeitung vom 9.11.2020, könnten jetzt „Glaubenskriege“ ausbrechen: Also gewalttätige Auseinandersetzungen fundamentalistischer, völlig unberechenbar agierender „Islamisten“ gegen die absolute Mehrheit der Franzosen und ihre Republik. Zu dieser Mehrheit der Franzosen gehören sicher auch die vielen moderaten Muslime, einzelne Imame, wie in Drancy oder Bordeaux haben sich explizit zur Republik und ihren Werten bekannt.
Die tödliche Gewalt islamistischer Kreise in Europa und anderswo hat viele Ursachen. Eine Ursache ist sicher begründet in ihrer Unfähigkeit dieser (nach außen hin) Frommen, satirische künstlerische Darstellungen des Propheten in französischen Zeitungen eben als Satiren wahrzunehmen. Diese Mörder geben an, ihr Glaube an Gott und den Propheten sei verletzt. Und. „Gott selbst will Rache“. Manche kritischen Beobachter sagen zurecht, dass auf diese Weise die Verbrecher ihre tötende Gewalt förmlich religiös entschuldigen. Und von den eigentlichen mörderischen Motiven ablenken.
Die meisten Franzosen (wie wohl die meisten Menschen in Europa) können doch wohl unterscheiden: Handelt es sich bei den satirischen Darstellungen um künstlerische Kritik gegen einzelne, heute lebende Personen? Solche satirischen Darstellungen sind abzulehnen! ODER: Handelt es sich um allgemein gehaltene Satiren gegen bloß ideale Wesen wie Gott/Göttin/Ewiges bzw. Personen der Vergangenheit, wie etwa Propheten oder Politiker oder Päpste. Im französischen recht ist es so, dass es rechtlich möglich ist, eine Religion als solche, ihre Gestalten und ihre Symbole satirisch zu beleidigen, hingegen ist es verboten, konkreter Anhänger/Mitglieder einer Religion persönlich zu beleidigen (vgl.: https://www.institutmontaigne.org/blog/le-blaspheme-en-france-et-en-europe-droit-ou-delit).
Die Kultur der Satire gibt im guten Sinne zu denken, zu fragen, zu relativieren usw.. Man muss dann erkennen, dass die meisten Menschen diese Unterscheidungsgabe („Kritik der Urteilskraft“ würde Kant sagen) hinsichtlich des Phänomens Blasphemie wohl erworben haben.
Noch einmal: Wenn also Künstler oder Satiriker ein höchstes Wesen, Gott genannt, kritisieren, wird dieses höchste Wesen als solches, Gott, eben NICHT verletzt, sondern nur die immer relativen und oft albernen Bilder des höchsten Wesens werden in Frage gestellt, zugunsten eines besseren Verstehens! Die Unterscheidung zwischen „Gott an und für sich“ und dem Gott, den Göttern, in immer neuen, relativen Bildern setzt natürlich ein bestimmtes Niveau der Bildung und der Reflexion voraus. Auch viele Christen, so muss man leider sagen, haben dieses Niveau nicht erreicht. Man denke an die orthodoxen Kirchen und ihre Kirchenführer, die Satire in der genannten Form der Blasphemie pauschal für eine Lästerung Gottes selbst halten. Diese Herren Patriarchen in Moskau z.B. meinen im Ernst, der Ewige würde sich durch endliche Menschen beleidigen lassen und so richtig böse werden. Theologie haben diese Herren leider nicht umfassend studiert, aber trotz ihrer Unbildung hohe kirchliche Funktionen erreicht und politischen Einfluss leider erlangt.
Ähnliche Entwicklungen hin zu Fanatismus gibt es bekanntermaßen auch im Judentum oder im Islam oder im Buddhismus…
Es sei also ein für alle Mal, als evidente Erkenntnis, die es selten auch in der Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie gibt, gesagt: Das höchste Wesen, der himmlische Gott, der Ewige, der Absolute, wie auch immer man „Gott“ hilflos nennt, kann gar nicht von menschlicher Seite beschädigt werden,

2.
Zurück zu Frankreich heute: Der Hass so vieler Muslime in Frankreich auf Frankreich, das sie als ein nach außen hin christliches Land oder einen säkularen Staat verstehen, ist auch durch die soziale und damit auch politische Ausgrenzung von Bürgern muslimischen Glaubens bedingt. Die heutige Gewalt islamistischer Kreise und der befürchtete „Krieg“ sind also nicht nur explizit religiös im engeren Sinn begründet! Zu diesem Thema wurden geschätzte 1000 soziologische, politologische oder psychologische Studien verfasst. Wer dabei tatsächlich kritisch forschte, musste zu der inzwischen allgemein geteilten Erkenntnis kommen: So sehr es auch zahlreiche erfolgreiche und damit reiche Geschäftsleute, Künstler, Autoren, Ärzte etc. mit einem muslimischen Hintergrund in Frankreich gibt: Die meisten Menschen mit arabischen oder , türkischen oder „schwarzafrikanischen“ Wurzeln sind diskriminiert. Diskriminiert in der Qualität ihrer Bildung, ihrer Wohnung, der Wahl ihrer Berufe usw. Und dies gilt auch, wenn die genannten Muslime die französische Staatsangehörigkeit haben. Nebenbei: Auch Christen aus „Schwarzafrika“ oder Haiti werden auch in Frankreich diskriminiert. Mit anderen Worten: Die viel gepriesenen Werte der Französischen Republik (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) gelten vorwiegend für weiße Franzosen oder Hochbegabte oder finanziell bestens Ausgestattete aus den „anderen“ Regionen und Religionen der Welt.
Es sei also, ein für allemal, als evidente Erkenntnis gesagt: Das höchste Wesen, kann nicht beleidigt werden.

3.
Die meisten Franzosen sind nicht bereit, auf Errungenschaften ihrer demokratischen Kultur zu verzichten, dazu gehört die Satire und die Freiheit der Meinung und die Freiheit der Kunst! Diese demokratischen Werte wurden von den Europäern, auch den Franzosen, mit Mühe von den autoritären Machthabern im eigenen Lande erkämpft! Das darf man nie vergessen: Die große richtige Errungenschaft der Meinungsfreiheit und damit auch im letzten der Blasphemie wurde von Franzosen errungen in einem Jahrzehnte langen Kampf gegen dunkle und dumpfe, auch klerikale Mächte im eigenen Land. Man denke an Voltaire, Rousseau, Diderot usw., an die vielen große Denker, die die Französische Revolution in gewisser Weise vorbereiten. Jenes weltgeschichtliche Ereignis also, das mit viel Mühe und langfristig unter vielen Kämpfen die universal geltenden Menschenrechte formulierte und letztlich (!) die Republik über die autoritäre Regierung einzelner Machthaber siegen ließ.
Die demokratischen Bürger haben diese Wahrheit errungen, und diese wollen sie sich nicht von niemandem mehr nehmen lassen. Das hat nichts mit fundamentalistischem Eigensinn zu tun: Die Werte der Demokratie sind als Werte, die selbstverständlich weiterentwickelt, verbessert werden müssen, Ausdruck der Vernunft: Diese Werte garantieren prinzipiell das humane Zusammenleben von Menschen, autoritäre Regime mit ihren Willkürgesetzen hingegen garantieren eben das nicht. Da hat der einzelne überhaupt keine Menschenrechte, die er einklagen kann.

4.
Darum empfinden es heute viele Franzosen als einen Rückschlag, wenn jetzt etwa in Kreisen katholischer Kleriker gefordert wird: Eigentlich sollten wir Katholiken angesichts der abscheulichen Mordtaten und Abschlachtungen der letzten Wochen auf unsere Freiheit der Kritik, auch der Religionskritik und Satire etwa in Charlie – Hebdo verzichten.
Das ist der Ernst der Kleriker (dokumentiert etwa in DIE ZEIT vom 12.11.2020, „Glauben und Zweifeln“) ? Soll man also auf die eigene Kultur der Freiheit, auch der Meinungsfreiheit, verzichten? Würde man damit nicht schon jetzt den Mördern und Schlächtern nachgeben und ihnen sogar recht geben? Wäre der Verzicht auf die Kultur der Meinungsfreiheit und der umfassenden Religionskritik ein Dienst am Frieden in der Gesellschaft? Würden das Morden und Abschlachten dann aufhören? Oder würden sich die genannten fundamentalistischen Kreise andere Objekte ihres Hasses in unserer Gesellschaft suchen, harmloser dem Anschein nach als die bisherigen mörderischen Ziele, eben die Kirchen und Christen, Journalisten und Caféhaus-oder Bar Besucher und die Redakteure einer Satire-Zeitschrift.
Vielleicht würden demnächst diese mörderischen Kreise sich Damenunterwäsche, „Dessous“ – Abteilungen in Kaufhäusern oder Fachgeschäfte für Wein und Whisky aussuchen für ihr mörderisches Tun.

5.
Damit will ich sagen: Um des angeblich lieben Friedens willen mit Islamisten können und dürfen Europäer auf wichtige Inhalte ihrer Kultur nicht verzichten. Die Frage ist nur: Kann man den fundamentalistischen Islam zur Vernunft bringen? Das würde voraussetzen, dass es einen vernünftigen islamischen Glauben gibt, etwa in der allgemein gewordenen Einschätzung, dass sich der Koran nur in der historisch-kritischen Forschung erschließt. In den Moscheen müsste also, wenn es religiös – vernünftig zuginge, gelehrt werden: „Wir Muslime in Europa treten für die Werte der Republik ein. Unser muslimischer Glaube ist unsere private Überzeugung. Sie ist für den einzelnen im privaten Leben, bei Essensvorschriften etwa, gültig, sie kann aber niemals das Zusammenleben der Menschen in Staat und Gesellschaft bestimmen“. Diese Erkenntnis ist natürlich auch für Christen und Juden gültig.

6.
Die Beispiele brutaler Herrschaft und mörderischer Unterdrückung gegenüber den angeblich feindlichen „Anderen“ in „anderen Kulturen“ (Indios, Afrikaner, Asiaten, Juden usw.) durch Christen und ihre Kirchenführer sind so überwältigend, das nur noch die Erkenntnis bleibt: Der Umgang mit den „heiligen Texte“ durch die jeweiligen Frommen bleibt auf den privaten Bereich und der Gottesdienste begrenzt.

7.
Worauf läuft diese vernünftige Begrenzung religiöser Macht hinaus? Ich meine, auf eine Art von Mystik, die weiß: Das Wesentliche im Zusammenhang von Gott und Mensch spielt sich im Geist, in der Seele, des Menschen ab! Pflegt also eure Mystik, möchte man philosophisch als Empfehlung geben. Sucht nicht fundamentalistische Einpeitscher auf, sondern weise Lehrer, selbstkritische und an euren Finanzen desinteressierte Meister der Mystik. Und lasst Staat und Gesellschaft mit euren religiösen Prinzipien aus angeblich heiligen Büchern in Ruhe: Der Staat ist und bleibt weltlich, er ist also allein den Menschenrechten verpflichtet und keinem religiösen Buch.
8.
Und wenn Fromme selbstverständlich als Bürger eines demokratischen Staates politisch und gesellschaftlich aktiv werden, dann immer stets in der selbstkritischen Haltung, mit der Frage: Folge ich jetzt meinen begrenzten religiösen Weisheiten oder tatsächlich den vorrangigen Menschenrechten? Religiöse Menschen haben in der Politik wie alle anderen keinen anderen Auftrag, als die Menschenrechten zur universalen Geltung zu bringen. Der Traum von einer kirchlich beherrschten Gesellschaft, von einem vom Koran oder von der Bibel oder den Weisheitsreden Buddhas oder den Weisheitslehren der Upanishaden bestimmten Staat kann nur als Wahn bewertet werden. Das ist evident. So viel Klarheit hat Philosophie, sie ist kein postmodernes permanentes “Sowohl als auch”. Es gibt letzte Evidenzen auch in der praktischen Philosophie.
9.
Und,theologisch betrachtet, sind die Menschenrechte etwas säkulares “Heiliges”. Demokraten entwickeln sie weiter. Und haben – einmal pathetisch gesagt – kein dringenderes Verlangen, als dass die Menschenrechte politisch und ökonomisch gelten, praktisch gelten. Allen frommen Diktatoren, allen antidemokratischen Präsidenten etc. zum Trotz. Die Menschenrechte sind zwar vernünftig betrachtet evident. Aber die Menschen müssen auch an sie glauben. Nur so, mit diesem emotionalen Impuls auch der Empathie, gelangen wir zur Praxis der Menschenrechte.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Kamala Harris – die „multireligiöse“ Vizepräsidentin der USA

Ein Hinweis von Christian Modehn im November 2020.

1.
Präsident Jo Biden ist gläubiger und praktizierender Katholik, das hat sich allmählich herumgesprochen. Einige katholische Bischöfe der USA haben aber Jo Biden noch in letzter Zeit sein „Katholischsein“ abgesprochen und davor gewarnt, dass Katholiken ihn wählen. Mit „Erfolg“:62 Prozent der Katholiken haben dann als gehorsame Gläubige tatsächlich TRUMP gewählt. Wollten die Bischöfe also behaupten: Jo Biden sei ein verkappter Atheist? Von wegen. Er hat nur die Ursünde für viele konservative und reaktionäre Katholiken begangen, und eben nicht die „Pro Life Bewegung“ zu seinem obersten Gott erklärt, wie es eben die genannten Kreise, auch evangelikaler Prägung, vor allem tun. Für sie ist sozusagen der Kampf für Pro Life der militante Glaubenskampf seit Jahren. Und die Grundsätze von „Pro Life“ sind das oberste Glaubensbekenntnis.
Jo Biden ist hingegen ein gläubiger Katholik, für den der Kampf um die Demokratie und Menschenrechte und Menschenwürde für alle an oberster Stelle steht. Das sind ja ohnehin die einzig möglichen humanen und demokratischen Positionen! Mit religiösen Prinzipien und Sprüchen aus heiligen Schriften lässt sich bekanntlich kein demokratischer Staat machen.
2.
Und was bedeutet der religiöse Glaube der Vizepräsidentin Kamala Harris? Diese Frage zu stellen ist in den USA normal, obwohl offiziell Kirchen und Staat getrennt sind. Aber im Unterschied zur radikaleren Laizität in Frankreich: Dort ist es eher ungehörig wissen zu wollen, was glaubt dieser oder jene Mensch, Nachbar, Kollege, Politiker, welcher Konfession gehört er an, geht er zur Kirche, zur Synagoge, zur Moschee etc…? So etwas darf man und will man in Frankreich, durch die Verfassung festgelegt, gar nicht wissen, darum gibt es auch keine präzise Religionsstatistik in Frankreich!
3.
Und das ist nun wirklich hoch interessant für alle religionswissenschaftlich oder auch theologisch Interessierten: Eine multireligiös lebende höchstrangige Politikerin in den USA: Diese Situation ist kein Wunschtraum mehr, sondern Realität: Was Prof. Perry Schmidt-Leukel in Deutschland oder die Theologin Manuela Kalsky in den Niederlanden (Amsterdam) seit Jahren fordern und selbst leben: Die multireligiös Religiöse: Das ist Wirklichkeit – bei Kamala Harris, der US Vizepräsidentin. Dieser Aspekt ist natürlich nur einer von vielen Aspekten, die wichtig sind, um Kamala Harris zu verstehen.
4.
Die Mutter von Kamala Harris , Shyamala Gopalan Harris, gestorben 2009, stammt aus Indien (Chennai, Madras), sie war eine gläubige Frau gemäß hinduistischer Spiritualität – auch als sie in den USA
lebte…und für die Menschenrechte kämpfte. Während ihrer Reisen in Indien nahm Kamala Harris an Riten in hinduistischen Tempeln teil.
Der Vater Donald Harris stammt aus Jamaica und war mit der Baptistenkirche verbunden. Kamala Harris Ehemann Dougles Emhoff ist mit jüdischen Gemeinden verbunden, und sie bekennt „mit dem ich die Traditionen und Feiern des Judentums teile“, berichtet die Tageszeitung La Croix, Paris.

In San Francisco ist Kamala Harris eng verbunden mit der Bapistengemeinde von Pastor Amos C. Brown. Er sagte über Kamala Harris in der Zeitschrift „Sojourners“: „In meiner Sicht verkörpert sie einen Satz aus dem Jakobus-Brief des Neuen Testaments, dort heißt es: „Ein Glaube ohne Taten und Werke ist tot“ (Jak. 2,26). Ein erstaunliches, sehr treffendes Wort eines berühmten US-Theologen und Kämpfers für die Menschenrechte, ist doch der Jakobus Brief von Martin Luther aufs heftigste kritisiert und abgewiesen worden, gerade weil im Jakobus Brief das TUN so betont wird als Weg der Erlösung. Dieser irrigen Interpretation Luthers folgen leiden heute immer noch viele Protestanten, aber dies ist ein anderes Thema. Kamala Harris bestätigt die Aussage ihres Pastors: „Ich habe schon in der Jugend in der Baptistenkirche von Oakland damals gelernt: Den Glauben haben bedeutet: Er ist eine Aktion. Wir müssen ihn leben und in Taten verleiblichen“. Im Pressedienst „Protestinter“ sagte sie: „Der Gott, an den ich glaube, ist der Gott der Liebe. Er will, dass wir den anderen dienen und im Namen derer sprechen, die weder reich noch mächtig sind. Dabei ist das Gleichnis vom barmherzigen Samariter ganz zentral für mich“. Kamala Harris geht soweit, sich öffentlich auch zum privaten Gebet zu bekennen, „um Kraft und Schutz zu erbitten, gute Entscheidungen zu treffen“…

5.
Kamala Harris lebt außerhalb rigider religiöser Identitäten. Dies kann eine gute Voraussetzung sein, um ein Land, das ideologische Barrieren und religiöse Eindeutigkeiten über alles pflegt, etwas mehr zu versöhnen, d.h. zur Vernunft zu bringen, Vernunft ist bekanntlich etwas den Menschen Gemeinsames und Allgemeines. Nur sie, verbunden mit Empathie, kann eine Demokratie aufbauen. Und es ist keine Frage: Wer sich in diesem durch Mr. Trump verwüsteten Land verändern muss, sind zu allererst die meisten Republikaner. Ihre führenden Politiker und Parteimitglieder haben 4 Jahre zugesehen, offenbar aus eigenem finanziellen Interesse, wie dieser korrupte Mann, Mr.Trump, die demokratischen Werte zerstörte und die Lügen zur allgemeinen Unkultur zu etablieren suchte. Die Versöhnung der Menschen in den USA wird heftig werden. Auch die Kirchen sind innerlich politisch zerrissen. Wo sind die neutralen Vermittler, die Mediatoren?

Copyright: Christian Modehn, religionsphilosophischer-salon.de

Dieser Hinweis verdankt einige Information der Tageszeitung La Croix, vom 9.11.2020, dort der Beitrag von Claire Lesegretain.

Was hält uns am Leben? Ein Interview in Zeiten der Krise mit dem Theologen Prof. Wilhelm Gräb

Drei Fragen an Prof. Wilhelm Gräb, Berlin
Von Christian Modehn

1.
Manche meinen mit vielen Gründen zurecht: Die Krise der Mensch-heit sei heute ziemlich total: Um nur krasse Beispiele zu nennen: Die Klimakatastrophe, die Zunahme autoritärer Systeme, Kriege, Flücht-lingselend … und Corona. Bleiben wir bei der Corona-Pandemie: Da wird Abstandhalten, also körperliche Distanz, „bloß nicht berühren oder umarmen“, als Schutz vor Ansteckungen – zurecht – genannt. Das bedeutet: „Meidet die leibliche Nähe!“ Sollte man daraus sinn-vollerweise schließen: Steigern wir unsere geistigen Kräfte, Sprache, Vernunft, Mitgefühl? Sollte man sich und anderen förmlich als Trost sagen: Auch wenn die körperliche Kommunikation momentan sehr reduziert sein muss, fördern wir um so mehr unser geistiges Mitei-nander? Und: Wie kann das gelingen?

Natürlich ist es für alle eine große Belastung, dass wir jetzt schon so lange diese Kontaktbeschränkungen erleiden müssen. Im Moment werden die Maßnahmen, die uns voneinander fernhalten, erneut ver-schärft. Die Politik bereitet uns bereits auf ein „einsames Weihnach-ten“ vor. Da fällt es gewiss nicht leicht, aus dieser Not eine Tugend zu machen und darauf zu verweisen, dass wir ja doch die fehlende kör-perliche Nähe durch gesteigerte geistige Verbundenheit ersetzen könnten. Gerade wenn wir an die Menschen in den Krankenhäusern und Seniorenheimen denken, aber auch an die vielen Menschen, die allein leben und sich jetzt vielleicht in besonderer Weise einsam und verlassen fühlen!

Und doch, so denke ich, haben Sie Recht, dass wir dieser Pandemie ebenso wenig hilflos ausgeliefert sind, wie all den anderen Bedro-hungen, Krisen und moralischen Katastrophen, die Sie ansprechen. Das genau ist es, was für uns Menschen den Unterschied ausmacht, angesichts unserer natürlich-organischen Verfassung, die wir mit al-len anderen Lebewesen teilen. Es ist das, was wir „Geist“ nennen. Mit „Geist“ meinen wir die Fähigkeit, die uns von anderen Tieren unter-scheidet, obwohl sie uns nur in Verbindung mit unserer natürlich-organischen Verfassung zur Verfügung steht. Aber unsere Geistbega-bung sorgt dafür, dass wir auf überlegte Weise, sinn- und zielorien-tiert, damit auch ethisch verantwortlich, mit den Herausforderungen, vor die wir uns gestellt sehen und mit den Krisen, in die wir geraten, umgehen können. Wir können uns auf bewusste Weise zu dem ver-halten, was uns betrifft, bewegt und belastet, herausfordert und nie-derdrückt, erfreut oder traurig macht, ängstigt oder gar in die Ver-zweiflung treibt.

Statt vom Geist, der uns Menschen in besonderer Weise qualifiziert, kann man auch davon sprechen, dass es die Vernunft ist, die uns aus-zeichnet. Aber die Rede vom Geist bringt besser die transzendente Dimension zum Ausdruck, in die unsere Geistbegabung uns versetzt. Die Vernunft ist ein unseren Selbst- und Weltumgang qualifizierendes Vermögen. Der Geist ist eine Kraft, die uns zwar auch individuell zu-kommt, aber doch nur dann, wenn sie über uns kommt und uns, von jenseits unserer selbst her, ergreift.

Wo der Geist uns erfüllt, sind wir voll Begeisterung bei einer Sache und zugleich bei denen, die unsere Begeisterung mit uns teilen. Geis-tesgegenwärtig sind wir ganz bei uns selbst wie bei der Aufgabe, die unseren Einsatz fordert. Zugleich fühlen wir die Verbundenheit mit anderen, die unser Engagement teilen. Wir suchen die Nähe zu de-nen, die desselben Geistes sind, mit denen wir uns verstehen, die für die gemeinsame Sache streiten. Das gilt, so möchte man schnell hin-zufügen, leider in jeder Hinsicht. Auch für Hassbotschaften, Ver-schwörungsmythen und faschistische Ideologien. Auch der Ungeist menschenverachtender Bewegungen sucht in diesen Zeiten, in denen wir weitgehend auf soziale Kontakte in leiblicher Präsenz verzichten müssen, gesteigert danach, sich weltweit zu vernetzen.

Die internetbasierte Kommunikation durch die „sozialen Medien“ schafft Verbundenheit und soziale Nähe, was eine ambivalente Ange-legenheit bleibt. Aber auch viele gute Erfahrungen können gerade jetzt durch die virtuelle Kommunikation gemacht werden. Menschen teilen z.B. ihre Trauer über Twitter oder Facebook mit. Sie bekom-men daraufhin viel mehr Anteilnahme selbst von entfernten Bekann-ten als dies sonst zu erwarten gewesen wäre. Die weltweite Jugend-bewegung zur Durchsetzung der Klimawende „Fridays for Future“ wäre ohne das Internet ebenfalls nicht vorstellbar.

Die Digitalisierung schafft die Voraussetzungen für virtuelle und d. h. eben von körperlicher Präsenz unabhängige Kommunikation. Wir se-hen, dass technische Mittel zur Verfügung stehen, die helfen, die Kommunikation, in die der uns erfüllende Geist drängt, auch zu ver-wirklichen. Der Geist schafft Verbundenheit! Und bei Licht besehen ist alles, was Verbundenheit schafft, geistiger Natur: Liebe und Ver-trauen, Glauben und Wissen, Angst und Hoffnung. Allerdings auch Hass und Hybris, Egoismus und Feindschaft.

Deshalb ist, sofern wir auf die Steigerung der Verbundenheit im Geist setzen, zugleich die Unterscheidung der Geister so wichtig! Auch sie aber setzt Kommunikation voraus und ist nur durch diese möglich. Die Verbundenheit im Geist ist nie nur eine private Angelegenheit. Sie sucht die Öffentlichkeit – und sie geschieht heute vor allem durch die sozialen Medien, durch Podcasts oder auch Internetauftritte wie sie der „Religionsphilosophische Salon“ und viele Initiativen zur Er-möglichung von Kommunikation über das uns als Zeitgenossen gleichermaßen Betreffende und zum Handeln Herausfordernde reali-sieren. Sobald wir an dieser virtuellen Kommunikation teilnehmen, sehen wir, wie sehr wir einander brauchen, gerade in der Suche nach Lösungen für die Probleme, die Sie zu Beginn ihrer Frage angespro-chen haben.

Es ist vollkommen klar, dass uns viel Lebensqualität verloren geht durch die Kontaktbeschränkungen, die wir pandemiebedingt in Kauf nehmen müssen. Aber richtig ist auch, wie Sie sagen, dass wir gestei-gert die Kräfte zum Einsatz bringen können, die uns als Menschen zur Verfügung stehen – und das ist nicht zuletzt die Offenheit und Emp-fänglichkeit für die Geistbegabung.

2.
Wenn man also den Krisen zum Trotz auf die „Trotzmacht“ des Geis-tes“ setzt (wie der Therapeut Viktor E. Frankl sagt), muss man ja nicht in die uralte Falle des Dualismus stolpern, der da vorgibt: Das Materielle, Leibliche, sei bedeutungslos gegenüber dem Geist. So sind doch wohl auch nicht die Weisheiten im Neuen Testament zu verstehen, wo es heißt: „Der Geist macht lebendig“ (Joh. 6.63) oder „Der Buchstabe tötet, der Geist macht lebendig“ (2 Kor.3,6)? Die Fra-ge ist entscheidend: Wie können wir dieses lebendig machenden Geistes innewerden?

Viktor Frankls treffliche Rede von der „Trotzmacht des Geistes“ weist darauf hin, dass der uns Menschen ergreifende und in glücklichen Momenten ganz erfüllende Geist höher ist als unsere menschliche Vernunft. Der Geist ist es, der uns dazu befähigt, auch noch gegen ei-ne bedrückende und niederschlagende Wirklichkeit anzugehen, im Glauben daran, dass sie nie schon das Ganze und nicht unsere Be-stimmung ist. Der Geist bewahrt uns davor, in eine letzte Verzweif-lung zu geraten, er lässt uns immer noch auf eine Wende zum Guten hoffen. Der Geist macht es, dass die Liebe nicht aufhört, selbst dort nicht, wo der Hass und die Bosheit unter den Menschen uns den Glauben an die Menschlichkeit rauben wollen. Der Geist ist die uns Menschen über alles Trennende hinweg verbindende Kraft. Das ist er, weil er uns Menschen nicht nur untereinander, sondern zugleich mit dem göttlichen Ursprung unseres Daseins verbindet. In der Sprache des christlichen Glaubens ist dies so ausgedrückt, dass alle Menschen Gottes Geschöpfe, ja, seine geliebten Kinder sind.

Wir können die über uns Menschen hinausreichende und ins Dasein rufende Macht des Göttlichen selbst nur als geistig verfasst denken. So ist dann Gott der unendliche Geist, der uns Menschen an seinem Geist Anteil gibt. Die Bibel redet immer wieder, wie Sie schon zitiert haben, von dem uns lebendig machenden und lebendig erhaltenden Geist Gottes. Der Geist, der es macht, dass wir uns zu uns selbst, zu unseresgleichen wie zur Welt auf verantwortliche, sinn- und zielori-entierte Weise verhalten können, ist Geist von Gottes Geist.
Gottes Geist ist umfassender und höher als unser menschlicher Geist, aber gerade deshalb befähigt uns unsere Teilhabe an Gottes Geist zu dieser „Trotzmacht“ unseres menschlichen Geistes. Dazu, dass wir in der Kraft unseres Geistes uns einsetzen für das Gelingen des Lebens, das Gott mit der Schöpfung der Welt im Sinn hatte – auch dann und dort noch, wo wir angesichts der Größe der Aufgabe und der Wider-stände, die sich in den Weg stellen, resignieren möchten.

Die Frage bleibt jedoch, wie das zugeht, dass wir mit dieser Geistes-kraft erfüllt werden. Dazu braucht es ganz offensichtlich dies, wie Sie selbst sagen, dass wir der uns erfüllenden Kraft des göttlichen Geistes innewerden. Wir müssen zur Einsicht finden, dass unser endlicher, begrenzter menschlicher Geist tatsächlich Geist von Gottes Geist ist, wir an Gottes unendlichem Geist teilhaben. Genau daraus erwächst uns die Fähigkeit, unserer Begrenztheit und Endlichkeit, unserem Versagen und allen Widerständen zum Trotz, doch im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe zu bleiben – und, ja, das auch, nach univer-sal geltenden, alle Menschen gleichermaßen in ihrer unverletzlichen Würde anerkennenden und ihnen gerecht werdenden Prinzipien zu handeln.

Ich will den Bibelstellen, die Sie schon genannt haben, noch ein mir sehr wichtiges Wort aus dem Johannesevangelium hinzufügen: „Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.“ (Joh 4, 24) Hier ist dies zum Ausdruck gebracht, nicht nur, dass wir uns Gott als Geist zu denken haben, auch nicht nur, dass er uns an seinem Geist Anteil gibt, sondern auch, dass wir, um in dieses Geistgeschehen aktiv einbezogen zu werden, uns zu diesem ins Verhältnis setzen müssen. In der Wahrheit erst, im Eingeständnis also dessen, wie es um uns in Wirklichkeit steht, im Eingeständnis unserer Endlichkeit und Begrenztheit, unserer Schwachheit und Bedürftigkeit, unserer Fehlbarkeit und unseres Versagens, gewinnt die Bitte um den Geist ihre Kraft. Dann erst, wenn wir selbst leer werden, will und kann der Geist uns ganz erfüllen. Dann erst gewinnen wir den Mut, aus der Kraft des Geistes zu leben. Dann erst finden wir in diese an-dere Einstellung dem Leben gegenüber. Dann erst geben wir das ei-gene Leben und er recht die krisengeschüttelte Welt auf keinen Fall verloren.

3.
Wenn man also in Krisenzeiten besonders auf den Geist, die Vernunft, setzt, sollte dann nicht immer auch der kritische politische Geist ge-meint sein, den es zu pflegen gilt? Also der Geist im emphatischen Sinne, der sich den universalen Menschenrechten verpflichtet weiß? Wie kann es gelingen, dass wir in diesen „Corona – Zeiten“ nicht nur auf uns (in Deutschland, Europa) schauen, sondern die Weite des Mitgefühls finden mit den Leidenden weltweit?

Ja, „der Geist hilft unserer Schwachheit auf“ (Römer 8, 26), um noch einmal den Apostel Paulus zu zitieren (und die wunderbare Mottete von Johann Sebastian Bach zu assoziieren). Die Pandemie fordert alle unsere Kräfte. Sie ist nicht nur mit Kontaktbeschränkungen, sondern für viele auch mit harten ökonomischen Verlusten verbunden. Da kommt es leider viel zu oft vor, dass die Not derer, die in den Flücht-lingslagern, an den Rändern Europas oder in den Kriegs- und Krisen-gebieten des Nahen und Mittleren Ostens und in vielen Ländern Afri-kas um ihre Existenz kämpfen, aus unserem Blick gerät.

Umso dringender brauchen wir den Geist, diese unwahrscheinliche Kraft, die uns untereinander und mit dem Göttlichen über alles Tren-nende hinweg verbindet, ja, der recht eigentlich diese zerrissene Welt doch immer noch im Innersten zusammenhält. Unsere Bitte um diesen Geist, unser Ruf „Veni Creator Spiritus!“, dass er doch unsere Schwachheit vertreiben und über uns kommen möge, der schöpferi-sche, uns zum Handeln befähigende Geist, er verbindet uns zugleich mit all denen, die um ihr Lebensrecht betrogen werden. Er treibt uns dazu, ein europäisches Grenzregime anzuklagen, dass die Menschen-rechte allenfalls für diejenigen, die über einen europäischen Pass verfügen, gelten lässt.

Dieser Geist, der unserer Schwachheit aufhilft, ist politisch, eine öf-fentlich wirksame Kraft des Protestes gegen die Missachtung der für alle gleichermaßen geltenden Menschenrechte – in der Sprache des Geistes genau deshalb für alle geltend, weil alle Geschöpfe Gottes und seine geliebten Kinder sind.

Copyright: Prof. Wilhelm Gräb und Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Leo Tolstoi als Philosoph. Anläßlich seines Todestages am 20. November 1910

Ein Hinweis von Christian Modehn

1.
Ist Leo Tolstoi (1828–1910) ein Philosoph? Was für eine Frage! Sie kann nur mit einem Nein beantworten, wenn als Philosoph nur gelten kann, der an einer Universität oder Hochschule lehrt und ein möglichst perfektes Denk – System errichtet. Aber, unnötig zu betonen: Philosophie ist zunächst Philosophieren, lebendiges, selbstkritisches Frgen. Und diese Praxis des kritischen Denkens und Zweifelns findet überall statt, z.B. auch in der Literatur, unter den Schriftstellern.
Natürlich ist Leo Tolstoj ein Philosoph, der in seinem äußerst umfangreichen Werk sich voller philosophischer Vorschläge äußert, selbst wenn er Philosophie sozusagen als „wissenschaftliche und strenge Disziplin“ dann doch eng findet.
2.
Immerhin widmet Wilhelm Goerdt in seinem umfangreichen Buch „Russische Philosophie“ (Karl Alber Verlag, Freiburg, 2002, 686 Seiten) fünf Seiten dem „Philosophen Tolstoi“ (S. 534 ff.). Goerdt betont gleich am Anfang, dass man die politischen und sozialen Überzeugungen Tolstois in die Nähe des Anarchismus stellen könnte. Tolstois zentrale Einsicht ist: Gewalt(herrschaft) verschwindet nicht, wenn neue Gewalttäter die Herrschaft übernehmen. Die Erneuerung des „inneren Menschen“, also die Veränderung des Bewusstseins in Richtung Liebe und Gewaltverzicht, ist die Voraussetzungen einer gelingenden humanen Welt.
Tolstoi hat sich mit vielen Lebensentwürfen auseinandergesetzt, z.B. mit dem Glauben an den Fortschritt oder dem Glauben an die dogmatischen Kirchenlehren oder dem populären Glauben der einfachen Bauern: Übrig bleibt für ihn nach all dem Suchen die Frage: Wozu ist das alles sinnvoll? Und für Tolstoi die entscheidende Frage: Was ist der Tod, was kommt nach dem Tod?
3.
In Tolstois Leben und Denken geht es darum: Das beständige Hinterfragen zu üben, das Verlassen vertrauter Positionen, die Bindung an Eigentum, an Wohlstand, es geht ihm um das ewige Weitersuchen, das Misstrauen gegen schnelle Lösungen…Letztlich, so Tolstoi, muss die wahre, das ist die an allem zweifelnde Philosophie, ihr Nichtwissen eingestehen. Hier deutet sich an, dass Tolstoi in eine Haltung gerät, die man nur Glauben nennen kann. Aber es ist ein Glaube, der in sich selbst die Kraft der Vernunft bewahrt. Mit der Vernunft verwirft Tolstoi die Lehren der Kirche, die Macht der Kirche bekämpft er ohnehin. Übrig bleibt bei der vernünftigen Religionskritik die Hochschätzung der Bergpredigt Jesu (Siehe dazu etwa Tolstois Werk „Worin besteht mein Glaube, 1883, auf deutsch: https://www.projekt-gutenberg.org/tolstoi/glaube/chap001.html)
4.
Wichtig ist der Text: „Das Reich Gottes ist in euch!“ Damals in Russland verboten, 1894 in Deutschland erschienen, meines Wissens leider auf deutsch jetzt nicht greifbar. Hier wird wohl die Mitte seines christlichen Denkens erreicht, freilich in einer wörtlichen Interpretation der Bibel-Texte. Aber diese bezieht sich auf die politisch relevanten Texte des Neuen Testaments. Auf andere Weise meinte Tolstoi wohl kaum, die umstürzlichere, die „anarchistische“ Kraft des Evangeliums deutlich machen zu können, oder besser: praktisch werden zu lassen. Sein Buchtitel bezieht sich auf das Lukas Evangelium, Kap. 17, Vers 21. Die Orthodoxe Kirche deutete Tolstoi richtig als Staatskirche, die nichts für den Frieden tut und die jesuanische Forderung der Gewaltlosigkeit ignoriert.
Tolstois Grundsätze heißen: „Du sollst nicht zürnen. Du sollst deine Frau nicht verlassen. Du sollst nie, nichts und niemandem schwören. Du sollst dem Bösen nicht gewaltsam Widerstand leisten. Du sollst Menschen anderer Völker nicht für deine Feinde halten“.
5.
Gandhi kannte dieses Buch Tolstois: „1908 schrieb Tolstoi einen Leserbrief an eine indische Zeitung (A Letter to a Hindu), in dem er die Meinung vertrat, dass das indische Volk die britische Kolonialherrschaft nur durch passiven Widerstand auf der Basis von Nächstenliebe zu Fall bringen könne. Im Jahr darauf schrieb Gandhi an Tolstoi mit der Bitte um Rat und für die Genehmigung, A Letter to a Hindu in seiner eigenen Sprache Gujarati zu veröffentlichen. Tolstoi antwortete und es folgte eine andauernde Korrespondenz bis zu seinem Tod im Jahr 1910. Die Briefe enthalten unter anderem praktische und theologische Anwendungen der Gewaltlosigkeit.[4] Tolstois Idee wurde schließlich durch Gandhis Organisation landesweiter gewalt freier Streiks und Proteste in den Jahren 1918–1947 realisiert“ (wikipedia, gelesen am 19.10.2020). Tatsache ist, dass Tolstoi Gandhi hochschätzte, wenn nicht bewunderte. (vgl.: https://www.asthabharati.org/Dia_Oct%20010/y.p..htm)
6.
Zentral bleibt für den freien Denker und Philosphen Tolstoi: Er war trotz – oder wegen – seiner Vorliebe für einzelne Aussagen des Neuen Testaments (das er auch auf Altgriechisch lesen konnte) ein Kritiker der Kirche, er lehnte die verfasste Institution Kirche ab. „Die kirchlichen Riten wurden in Tolstoijs Beschreibung zur Farce, zu einer Lüge, auf der das gesamte menschenfresserische System gründete“ (Lew Tolstoj, Rowohlt Monographie, 2010, S. 111). Und er lebte seine eigene Spiritualität, wobei er traditionelle Dogmen (wie die „Göttlichkeit Jesu“) ablehnte.
7.
Tolstoi hatte schon als junger Mann im Jahr 1855 in sein Tagebuch geschrieben, was er als seine Lebensaufgabe ansehen will: „Die Idee ist die Gründung einer neuen Religion, die der Entwicklung der Menschheit zum Segen gereicht, eine Religion Christi, die jedoch gereinigt ist von Aberglaube und Geheimnis, eine praktische Religion, die nicht künftiges Heil verspricht, sondern Heil auf Erden zu geben vermag“ (zit. in „Lew Tolstoj“, Rowohlts Monographie, von Ursula Keller und Natalja Sharandak, S. 69).

Hinweise zu „Tolstoi und der christliche Anarchismus“ finden sich auch in dem Sammelband „Christlicher Anarchismus. Facetten einer libertären Strömung“, hg. on Sebastian Kalicha, Verlag Graswurzelrevolution, 2013, 192 Seiten.

Copyright: Christian Modehn.www.Religionsphilosophischer-Salon.de

Jesus oder Christus? Eine Dialektik, die zu denken gibt.

Eine Dialektik, die zu denken gibt … und eine vernünftige Spiritualität fördert
Ein Hinweis von Christian Modehn

1.
Jesus oder Christus? Ein Titel, der provozieren will, der also ein neues Nachdenken fördern möchte. Es geht um eine kritische Reflexion auf ein selbstverständlich daher gesprochenes Bekenntnis, der Einheit von Jesus (von Nazareth) und Christus in einer zusammen geschlossenen Formel „Jesus Christus“.
Dieses Thema sollte nicht nur spirituelle Menschen interessieren. Es bestimmt unsere europäische Kultur/Religions-Geschichte, es ist daher von grundlegender Bedeutung.
Es muss also diese übliche, aber oft gedankenlos gesprochene Synthese „Jesus Christus“ auseinandergenommen werden. Denn diese von den Kirchen schon in frühesten Zeiten definierte Formel „Jesus Christus“ führt letztlich, im Ganzen betrachtet, zur Bevorzugung der Christus-Gestalt und des Christus-Bildes. Dabei ist „Christus“ nur ein Titel! „Christus“ ist als solcher keine bestimmte Person, sondern ein Ehren-Titel, der dann mit der besonderen Qualität dieses Menschen Jesus von Nazareth in eins gesetzt wurde. Später hat die Kirche offiziell Jesus z.B. auch den Titel „König“ gegeben und von „Christ – König“ gesprochen. Abstrakt und nur allein für sich verwendet ist also eigentlich „Christus“ sinnvoll gar nicht sagbar. Aber das geschieht indirekt und unbewusst ständig. Damit ist eine inhaltliche Fixierung auf diesen Titel Christus
Gegeben. Und dann wird doch im zweiten Schritt ein „Christus“ auch inhaltlich konstruiert, der die unabweisbare Bindung an den einmaligen Menschen Jesus von Nazareth (und seine Lebensform, seine humane Praxis etc.) verdeckt. Dieser sozusagen dann halbierte Christus ist in der kirchlichen Dogmatik der Herrscher, der Thronende (siehe die entsprechende Ikonographie, Ravenna et.), der Gott, der logos, die Zweite Person der Trinität usw. Konsequent wird auch dies als Dogma gelehrt: Christus als Gott, man denke an die Gebete in der offiziellen Liturgie etwa der katholischen Kirche, in denen von Christus als „unserem Herrn und Gott“ immer wieder die Rede ist.
Bei der Freilegung dieser Dimension wird erneut bewusst, dass das Christentum als Christus-Religion – trotz aller internen Pluralität – eine ganz und gar eigene Religion ist, die aus dem Judentum herausgewachsen ist. Darum ist die häufige Verwendung des Begriffspaares „christlich-jüdisch“ in christlichen Kreisen eher eine Verschleierung; die tatsächliche Nähe und Verbundenheit mit der jüdischen Religion ist bei dieser Christus-Religion fraglich. Aber das ist ein Thema, das eigens diskutiert werden müsste. Jüdische Theologen sind da deutlicher, sie wissen von der tiefen Differenz von Judentum und Christentum als zwei verwandter, aber verschiedener Religionen….
Nur dies noch: Wenn Christus, sozusagen abstrakt als solcher im Mittelpunkt steht, dann wird auch aus Jesu Mutter Maria folgerichtig die „Gottes-Mutter“ oder die „Mutter Gottes“ in der dogmatischen Welt der Orthodoxie und des Katholizismus genannt. Natürlich wurde den Dogmatikern, die den Christus – Herrscher seit der frühen Kirche verteidigten, etwas blümerant zumute, wenn sie im Rahmen ihrer Definiersucht von Christus „einfach so“ als Gott und von Maria als der Gottes Mutter sprachen. Und sie haben deswegen leichte Nuancen eingeführt, etwa die Lehre von den zwei Naturen Christi, einer menschlichen und einer göttlichen usw.
Aber es ist nicht zu leugnen: Letztlich hat sich in den meisten hierarchischen Kirchen und Staatskirchen die Vorstellung von Christus durchgesetzt, also von Christus ohne Jesus von Nazareth, das gilt für die Sprache, die Liturgie, die Volksfrömmigkeit. Kunsthistoriker könnten zeigen, wie in der Darstellung Jesu Christi sehr deutlich die Christus – Gestalt herausgestellt wurde. Wenn moderne Künstler sehr deutlich die Jesus von Nazareth Person in den Mittepunkt stellten, wurden sie kirchlicherseits ignoriert oder diffamiert.
Aber ist einmal die übliche Verbindung Jesus Christus auseinander genommen, dann eröffnen sich weite und neue Perspektiven: Sie führen in die (Geschichte der) Philosophie, der Literatur, der Kunst usw. Da wird eine Bevorzugung des Menschen Jesus von Nazareth deutlich. Die kann bis heute inspirieren.
Auch die persönliche Lebensgestaltung ist davon berührt: Welches Vorbild ist maßgeblich? Klar ist auch: Über Jesus von Nazareth wissen wir historisch wirklich einiges, selbst wenn einzelne seiner Denkformen wenig inspirierend sind, wie das alsbaldige Ende der Welt und seine „Wiederkunft“. Diese Vorstellung ist nur aufgrund von Jesu Einbindung als Mensch in die damaligen religiösen Vorstellungen zu verstehen.
2.
Wer als spirituell interessierter Mensch Jesus von Nazareth als zentrale „Bezugsperson“ verteidigt, setzt auf persönliche Freiheit in seinem Glauben, auf Pluralität der Deutungen und Haltungen im Umgang mit dem Initiator des Christentums. Wer hingegen Christus gewisser Weise als Mittelpunkt sieht, bevorzugt die dogmatische Fixierung, das Starre, das Herrschende. Man denke nur an die Christus-Darstellungen der Basiliken. Oder, als Gegensatz: Man denke an die frühen Jesus Darstellungen in den Katakomben in Rom, die „Jesus als guter Hirt“ zeigen. Die Tradition der Kreuzweg-Andachten oder die Tradition der „semana santa“ in Spanien sind extrem populäre Beispiele für eine Bevorzugung Jesu im „Volk“. Und man bedenke vor allem: Die Päpste nennen sich bis heute bezeichnenderweise „Stellvertreter Christi“, dieser anspruchsvolle Hoheits – Titel wird in dieser Formulierung im offiziellen römischen Katechismus von 1993 mit Bezug auf das 2. Vatikanische Konzil bis heute verbreitet. Päpste vertreten Christus, den Herrscher, selbst wenn ein Papst Jesuit (Mitglied des Jesuitenordens) ist. Aber auch dieser Orden (der sich als einziger Männerorden in seinem Titel direkt auf Jesus bezieht und nicht bloß etwa nur auf sein heiliges „Herz“) hat im Laufe seiner Geschichte entschieden nur aufseiten der Stellvertreter Christi gestanden und die Inquisition (und die Ausarbeitung des Index der verbotenen Bücher) unterstützt. Der jesuanische Geist setzt sich erst in neuester Zeit durch, etwa in den Aktivitäten des Ordens zugunsten der Flüchtlinge…
3.
Das ist schon komisch: Ein Papst, der sich „Nachfolger des armen Jesus von Nazareth“ nennen würde, ist eigentlich undenkbar. Er müsste sofort seine Allmacht, Unfehlbarkeit, aufgeben und den Vatikan mit seinen Palästen verlassen. Und sich mit einem schlichten Anzug bekleiden. Es wäre historisch sehr reizvoll zu fragen: Inwiefern die große Hochschätzung der Päpste für den eigenen Kirchen – Staat (bis heute) auch in einer einseitigen Christus- (König) Bindung zu tun hatte und hat. Ein Papst als Stellvertreter Jesu von Nazareth, wenn denn diese Formel überhaupt noch Sinn macht, bräuchte keinen Vatikan – Staat. Wenn er sachlich kompetent wäre, würde er wohl trotzdem zur UNO oder ins Europaparlament eingeladen werden. Ob dieser Papst noch Nuntien in allen Ländern bräuchte, die sozusagen auch Spione der jeweiligen Ortskirchen arbeiten, ist noch mal eine andere Frage.
4.
Noch einmal: Es gibt die Bekenntnis-Formel „Jesus Christus“, sie ist weit verbreitet. Aber der rebellische Jesus hatte bei dieser Formel keine Chance, inhaltlich bestimmend zu werden, also nicht der Jesus als Freund der Frauen oder als Freund der Armen, auch nicht der Jesus, der mit einer Anzahl von Geschwistern bescheiden in Nazareth als Tischler lebte (übrigens ein damals hoch angesehener Beruf, der große intellektuelle Fähigkeiten verlangte.) Wer Jesus in den Mittelpunkt stellt, muss immer an Jesus als den Juden denken. An einen Lehrer und Propheten im damals schon pluralen Judentum, der tätiges Tun der Liebe, Praxis, viel wichtiger fand als das bekennende, aber gedankenlos plappernde „Herr – Herr – Sagen“, das Jesus von Nazareth verachtete.
Christus ist immer der in die griechische Philosophie eingerückte „logos“…und auch eine Art Objekt, das man katholischerseits kniend in der Hostie anbetet und diese Anbetung eines Stückchens Brot als Christus in einer goldenen Monstranz dann als wichtige Glaubenspraxis versteht. Unvorstellbar, dass man in diesen goldenen Rahmen irgendein Stückchen des armen Jesus von Nazareth, den Propheten, setzen würde.
5.
Jesus oder Christus ist also alles andere als eine harmlose Alternative: Sie berührt den Anspruch der Kirche(n), machtvoll als Institutionen zu bestehen mit einem aller heiligsten „Objekt“, Christus, das nur entfernt mit Jesus, dem aus dem Judentum stammenden Initiator der christlichen „Bewegung“, zu tun hat. Man bedenke ferner, dass die aktuellen caritativen und diakonischen Hilfen der Kirchen/Christen sich auf Ereignisse, Taten, Erzählungen Jesu von Nazareth beziehen, man denke nur an die Geschichte vom „Barmherzigen Samariter“. Auf den Christus – Imperator, Christ – König, können sich bestenfalls Imperatoren, Kaiser, Könige beziehen.
Eine „Jesus-Kirche“ wäre ganz anders als die übliche machtvoll herrschende Christus-Kirche. Das gilt natürlich nicht nur für die römisch-katholische Kirche, sondern auch für die durch und durch institutionalisierte und damit bürokratisierte evangelische Kirche in Deutschland. Man zähle einmal, wie viele Kirchenräte und Oberkirchenräte es in Deutschland gibt und frage ich, wofür so viele Leiter von Behörden gebraucht werden.Bei den Milliarden-Kirchensteuer – Aufkommen immer noch ist dies kein Wunder. Das gilt auch für die Orthodoxie, die in ihrer, so wörtlich, göttlichen Liturgie eben eine Christus-Liturgie absolviert (in unverständlichen, uralten Sprachen zudem auch die Metropoliten und Patriarchen, etwa der in Moskau, sind eher bestens finanziell ausgestattete Herrscher (und Putin-Ideologen) als Nachfolger des armen Jesus von Nazareth. Das hat in anderer Form schon Tolstoi geschrieben…
6.
Die Tradition der „Jesuaner“ ist keineswegs etwas „Sektiererisches“, abgesehen davon, dass immer die Herrschenden definieren, wer Sektierer ist und wer nicht. Niemals werden sich die machtbesessenen Verwalter der reinen Lehre selbst Sektierer nennen, obwohl sie – theoretisch wie praktisch oft – weit entfernt sind von dem, was Jesus etwa in seiner Bergpredigt lehrte. In der Hinsicht sind also diese Herren Sektierer, Abweichler. Aber das ist ein anderes Thema.
7.
Mir geht es hier vor allem nur darum, an einige Personen, Philosophen, Theologen, Literaten zu erinnern, die in dem Christus geprägten Kirchensystem immer wieder an Jesus von Nazareth erinnerten. Dieses Vorhaben ist naturgemäß umfassend und ist nur interdisziplinär zu leisten, also unter Literaturwissenschaftlern, Religionswissenschaftlern, Philosophen, spirituellen Meistern, ob auch katholische Theologen dazu gehören können, wage ich angesichts der immer noch gegebenen Gehorsams-Bindung dieser Theologen an das offizielle Lehramt zu bezweifeln.
8.
Zunächst nenne ich – vielleicht als „aufmunternden“ Impuls zum Thema – Friedrich Nietzsche, und zwar sein letztes, noch bei geistiger Gesundheit verfasstes Buch „Der Antichrist“. Das Manuskript wurde von seiner Schwester dann verfälscht herausgegeben, und erst in den neunzehnhundertfünfziger Jahren korrekt ediert.
Es fällt auf, dass Nietzsche in dem „Antichrist“ ab Kapitel 27 sehr viel Zuneigung zu Jesu von Nazareth zeigt, in früheren Werken hat sich Nietzsche nie so positiv über Jesus geäußert. „Nietzsche jahrelange Verwerfung Jesu als der Verkörperung alles Hassenswerten am Christentum zerfällt lautlos“, schreibt Heinrich Detering in seiner Studie „Der Antichrist und der Gekreuzigte“, Göttingen 2020, S. 95. Detering hat sehr ausführlich diese in weiten Kreisen eher unbekannte späte Jesus- Zuneigung Nietzsche interpretiert. Es ist immer typisch für den Umgang mit der Jesus – Gestalt, dass jeder und jede sich berechtigterweise die Freiheit, seinen/ihren Jesus zu zeichnen, oft ist dabei die Auseinandersetzung mit den Quellen im Neuen Testament gründlich oder nicht. Nietzsche jedenfalls setzt sich von dem damals populären Jesusbild des französischen Religionsphilosophen Ernest Renans ab. Nietzsche sieht Jesus als einen Menschen, der ganz in der Gegenwart, der dauernden Gegenwart, lebt, jeder Augenblick ist ihm heilig, die innere Regung für das Menschliche…Der Gedanke an die Zukunft spielt keine entscheidende Rolle in Nietzsches Jesus – Deutung. Nietzsche geht soweit, Jesus einen freien Geist zu nennen, „die höchste Auszeichnung, die Nietzsche für einen Menschen zu vergeben hat“ (Detering, S. 52). Aber: Dieser Jesus stirbt am Kreuz und mit ihm stirbt seine Botschaft, das Evangelium. Es folgt nämlich, so Nietzsche, die Kirche, die alles daransetzt, diesen „freien Geist Jesus“ auszulöschen. In dieser spirituellen Lehre danach wird Raum geschaffen für den Antichristen, der eine neue Wertordnung setzt, die leider von den humanen Impulsen Jesu nichts mehr übriglässt. Es wäre darum, Nietzsche folgend, zu diskutieren, wie gerade die Kirche als Institution nicht nur Jesus und sein Evangelium verrät und fallenlässt, sondern auch: Wie die Kirche indirekt dadurch schuld ist an der Durchsetzung des Antichristen….
9.
Genau an dieser Stelle wäre von Leo Tolstoi zu sprechen und seiner Bindung an Jesus von Nazareth, an die Vorliebe des russischen Dichters für die Bergpredigt und die heftigste Kritik an der offiziellen russisch-orthodoxen Kirche und ihrer machtvollen Hierarchie. Es ist der Jesus – Impuls, der das Werk Tolstois bestimmt. „Die kirchlichen Riten etwa die Verwandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi, wurden in Tolstois Beschreibung zur Farce, zu einer Lüge, auf der das gesamte, so wörtlich, menschenfressende System gründete . Deswegen wurde er im Jahr 1901 von dieser Kirche exkommuniziert. Tolstoi schrieb in dem Zusammenhang einen sehr viel beachteten Text: “Ich glaube, dass Gottes Wille ganz klar und verständlich ausgedrückt ist in den Lehren des Menschen Jesus, den als Gott zu betrachten und anzubeten ich für die größte Gotteslästerung halte…“ Der Kampf Tolstois gegen das verbrecherische Regime des Zaren ist bestimmt von seiner Vorliebe für den vorbildlichen Menschen Jesus von Nazareth. (https://www.grundrisse.net/grundrisse44/Anarchismus_und_Christentum.htm).
Selbst in seinen letzten Stunden wünschte Tolstoi keine Versöhnung mit dieser allmächtigen, Christus und nicht Jesus feiernden Staatskirche (Leo Tolstoi, Rowohlt Monographie, Reinbek 2010, S.111 und 136)
10.
Und dieser Jesus – Impuls bricht auf unter marxistischen Intellektuellen, etwa Karl Kautsky oder Ernst Bloch und später dann Milan Machovec oder Leszek Kolakowski bis zu den anarchistischen Philosophen wie Fürst Peter Kropotkin (1842 – 1921). „Peter Kropotkin – einer der wichtigsten Vertreter des kommunistischen Anarchismus und sicher weit davon entfernt ein christlicher Anarchist zu sein – gesteht dem Christentum zum Beispiel zu, dass es erst durch die Institutionalisierung korrumpiert worden ist, wenn er das Christentum als „die Empörung gegen das kaiserliche Rom“ beschreibt, das „durch dasselbe Rom“ besiegt wurde, indem es „dessen Maximen, Sitten und Sprache an[nahm]“ und so „römisches Recht“ wurde. Er ging sogar noch weiter und schrieb, dass es „in der christlichen Bewegung […] zweifellos ernstzunehmende anarchistische Elemente“ gegeben habe. Der „anarchistische[.] Gehalt“, den er in den „Anfängen“ des Christentums verortete, verschwand für ihn aber, als „diese Bewegung [allmählich] zu einer Kirche [entartete]“.
Diese Argumentation unterscheidet ihn von vielen christlich-anarchistischen TheoretikerInnen de facto nicht. Kropotkin war es auch, der in seinem Anarchismus-Artikel für die Encyclopædia Britannica (eleventh ed.) die frühen Hussiten, die Anabaptisten (Wiedertäufer) und den Theologen Hans Denck im positiven Sinne für erwähnenswert erachtete“.(Aus einem Beitrag von Sebastian Kalicha: https://www.grundrisse.net/grundrisse44/Anarchismus_und_Christentum.htm
11.
Von Albert Camus und Jesu wäre zu sprechen: Für Camus ist Jesus eine Art Verleiblichung des Dramas der Menschheit: „Er ist nicht der Gott – Mensch, sondern der „Mensch-Gott“, schreibt Camus. Er ist begeistert von einem Gott mit menschlichem Antlitz, ein Gott, der in Jesus sichtbar wird. In dem Roman Die Pest erscheint dieses Gesicht des Menschen-Gottes im Bild des unschuldig Leidenden, in dem Kind, das im Sterben liegt. Camus nimmt sich natürlich alle Freiheit, seinen Jesus zu zeichnen, der als Gottverlassener am Kreuz eine absurde Erfahrung macht, der sich aber vorher gegen Unrecht aufgelehnt hat.
Erst wenn Menschen frei und unzensiert ihr Jesus – Bild beschreiben können und selbstverständlich auch bei ihrer Position bleiben dürfen, wird der spirituelle Dialog reicher.
12.
Bei unserem Thema kann man auf einen Blick auf Hegel nicht verzichten: In der Philosophie seiner früheren Jahre hat er sich deutlich auf die Gestalt Jesu von Nazareth bezogen. Später, vor allem in Berlin, in den Vorlesungen über die Philosophie der Religion spricht er nur von Christus. Aber dies ist nicht die Herrscher – Gestalt, sondern die Person, die allen Menschen deutlich macht: Jeder Mensch ist mit dem göttlichen Geist begabt. Dies ist keine fromme Behauptung, sondern im Rahmen seiner Logik eine Erkenntnis, die hier nicht weiter erläutert werden kann. Wichtig ist nur: Wenn der Mensch mit göttlichem Geist ausgestattet ist, dann bedeutet dies: Göttlicher Geist ist Vernunft, und dieser verlangt die vernünftige Gestaltung der Wirklichkeit, selbstverständlich der politischen. Wenn also Hegel Christus in den Mittelpunkt stellt und diesen umfassend und adäquat nur in der Philosophie verstehen kann, dann ist damit auch ein praktisches Lebensverhältnis eröffnet, ein politisches, die Forderung zur vernünftigen Umgestaltung der Welt ist in dieser Christus – Bindung Hegels offensichtlich. Christus wird förmlich zum philosophischen Symbol einer humanen Gestaltung der Wirklichkeit. Hegel sah in diesem vernünftigen Christus-Bild eine Chance für die Moderne, weil dadurch auf religiösen Fundamentalismus verzichtet wird zugunsten der Frage: Wie kann die Wirklichkeit vernünftig (und eben nicht den Geboten einer Religion entsprechend) gestaltet werden
Nicht alle Beziehungen zu Christus sind also von dogmatischer Starre geprägt.
13.
Wo also lebt der jesuanische Geist – heute?
Ich möchte eine Dialektik vorschlagen: Der jesuanische Geist als Idee und Tat, inspiriert von der Weisheit des Propheten Jesus von Nazareth, lebt heute vor allem bei vielen Mitgliedern der NGOs, der „Ärzte ohne Grenzen“, der „Reporter ohne Grenzen“, also der Menschenrechtsbewegungen, der feministischen Bewegungen, der „friday for future“, der Anti-Atom-Bewegungen usw. In der Erinnerung lebt Jesus weiter in den „Samariter-Hilfsdiensten“, bekanntlich bezogen auf Jesu Erzählung vom „barmherzigen Samariter“.
Und Christus? Der gilt sehr viel bei den Dogmatikern, den Menschen, die (nur) schöne lateinische Liturgien lieben, aber Ungläubige verachten, Homosexuelle verfolgen (siehe Polen usw.) und Frauen keine Gleichberechtigung in der Kirche geben, weil eben „ihr“ Jesus als ihr Christus nur Männer als Apostel wollte oder: die Protestanten vom Abendmahl ausschließen usw.
Die Dialektik ist klar: Lebendigkeit, Pluralität, Kritik und Selbstkritik, letztlich demokratische Mentalität, sind bei den direkt oder anonym sich auf Jesus beziehenden Menschen zu finden. Die andere Seite der Dialektik ist klar…
Ob sich noch einmal eine wahrhafte Synthese von „Jesus (von Nazareth) Christus“ finden lässt? Ich bezweifle das. Die Wege der Dialektik haben sich getrennt. Das heißt ja nicht, dass innerhalb der „Christus“ – Kirche einige jesuanische Menschen leben. Aber sie haben keine prägende Stimme in der Institution, sie sind Außenseiter, bestenfalls geduldet. Man denke, um nur drei aktuelle Beispiele zu nennen, an Bischof Casaldaliga (Brasilien) oder Bischof Gaillot (Frankreich) oder auch an Abbé Pierre (Frankreich)…
14.
Ich bin mir bewusst, dass man heute von Jesus von Nazareth nicht naiv fundamentalistisch sprechen darf. Das will ich überhaupt nicht. Ich meine nur, dass heute durchaus einige Kennzeichen des Mannes aus Nazareth ziemlich deutlich sind. Und die allein genügen schon, eine Dialektik gegenüber dem machtvollen Herrscher Christus aufzubauen.
Dialektik strebt für Hegel bekanntlich immer zu einer Versöhnung. Diese kann nur daran bestehen: Immer genau zu sagen: Wir meinen den „Jesus von Nazareth als Christus“. Und dieser Jesus ist, noch einmal, bei aller nun einmal geschichtlichen Begrenztheit seines individuellen Lebens, nicht nur der Menschenfreund, sondern der Verteidiger der Armen, der Zukurzgekommenen, der von Gesetzen Unterdrückten. „Brüderlichkeit“, also „Geschwisterlichkeit“, ist nur mit Jesus von Nazareth erreichbar, nicht mit Christus als dem Symbol der Herrschenden. Es wäre ausführlich zu zeigen, wie etwa die ersten Revolutionäre ab 1789 in Frankreich sich auf Jesus (!) bezogen haben und welche Rolle Jesus spielte 1848 oder in der Pariser Kommune 1871.
15.
Wenn man also noch einmal die kirchlichen Welten betrachtet, dann gilt: Die übliche Formel „Jesus Christus“ weiterhin zu sprechen, reicht nicht mehr! Und diese Formel ist eine ideologische Irreführung. Meines Erachtens kommt eine wirkliche spirituelle und damit menschliche Lebendigkeit erst dann, wenn darauf verzichtet wird, an erster Stelle den Christus (das Herrschaftssymbol) zu verehren, selbst wenn dann noch das Beiwort Jesus gedankenlos mitgesagt wird.
Dieser Christus ist der Gott der Herrschenden und Dogmatiker (Päpste, Patriarchen, Metropoliten, Oberkirchenräte usw.). Christus verlangt Anbetung, Jesus humane Praxis!
16.
Jesus von Nazareth ist ein freier Geist, wie Nietzsche richtig sagte, an ihm kann man sich orientieren, wenn man auch religiös frei, vernünftig und human leben will. Und wenn man als Mensch solidarisch und mit Empathie leben will, ob man nun konfessionell ist oder nicht. Das ist „im Sinne Jesu“ wahrlich egal (vgl. Matthäus, 25, 31-46). Jesus verlangt keine Anbetung, er lehrt, so fragmentarisch auch immer seine Lehre wirkt, eine Philosophie des Lebens als der praktischen Lebensgestaltung.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Mystik als Betrug? Die populäre katholische Seherin Marthe Robin (Frankreich) wird vom glorreichen Sockel gestürzt.

Über ein mittleres Erdbeben in der frommen katholischen Welt.
Ein Hinweis von Christian Modehn

Da lebte eine schwer kranke Frau ans Bett gefesselt. Geboren 1902, gestorben 1981, ernährte sie sich – angeblich – seit 1930 von nichts anderem als der täglichen Hostie; sie erhielt himmlische Visionen, sie soll die Wundmahle Christi an ihrem Körper gehabt haben; wurde deswegen zur Attraktion für Fromme aus aller Welt, die zu Tausenden zu ihr strömten in ihr Haus in Chateuneuf-de-Galaure im Département Drome. Es wurden in ihrem Geist „Heime der Liebe“ („Foyers de Charité“) errichtet. Sie sind weltweit zu finden, auch in Österreich, sowie in Gunzenbach bei Aschaffenburg, aber sehr viele in Frankreich (etwa in Ottrott, Alsace) und Afrika und Lateinamerika. Die neuen geistlichen Gemeinschaften, wie die Charismatiker (Gemeinschaft Emmanuel) oder die weltweit tätigen „Johannesbrüder“ verehren diese so genannte Mystikerin über alles…

Diese Seherin und Autorin viel gelesener mystischer Bücher heißt Marthe Robin. Ihre vielen VerehrerInnen setzten sich natürlich für die Seligsprechung ihrer Marthe ein, Papst Franziskus hatte ihr sogar schon einen „heroischen Tugendgrad“ bescheinigt. Nun sollte es bald so weit sein, dass sie vom Vatikan selig gesprochen werde, sozusagen als heiligmäßiges Vorbild auf die Höhe der Altäre gehoben, wie man so in katholischen Kreisen sagt.

Aber daraus wird nun nichts. Zumal auch die Priester, die so eng mit der Seherin verbunden waren, sexuellen Missbrauch praktiziert haben sollen: Der spirituelle „Vater“ der angeblichen Mysterikerin, Abbé Georges Finet, soll bei der Beichte die armen Sünder, vorwiegend Jugendliche, sexuell belästigt haben. Auch der Priester, der die Seligsprechung im Vatikan voranbringen sollte, Bernard Peyrous, musste erst mal zurückstecken, weil auch er angeklagt wird wegen der „gestes gravement désordonnés“, der schwer ungeordneten Verhaltensweisen also, im sexuellen Bereich, vermutlich.

Bislang war rund um Marthe Robin alles hübsch mit einem Heiligenschein umgeben. Nun kommt die große Ernüchterung: Und Beobachter sprechen von einem neuen, schweren Skandal, der in den kommenden Oktobertagen 2020 einmal mehr die katholische Kirche erschüttern wird: „Paris Match“ hat sich für den 8.Oktober schon mal exklusive Vorabdruck Rechte gesichert, berichtet die Pariser katholische Wochenzeitung „Témoignage Chrétien“,Paris, am 24.9.2020.
Am frühesten hat, ökumenisch sehr mutig, die bekannte protestantische Wochenzeitung „Réforme“ (Paris) am 20.9.2020 über die falsche Mystikerin berichtet. Und der Autor, Philippe Clanché, hat völlig recht, wenn er schreibt: „Die Mehrzahl der neuen spirituellen katholischen Bewegungen, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden, sind heute beschmutzt (souillés) durch die Freilegung des Autoritarismus oder des abweichenden sexuellen Verhaltens (also des Missbrauchs) ihrer Gründer.“ Ich habe diese vielfältigen Verirrungen dieser von Papst Johannes Paul so hoch verehrten neuen geistlichen Gemeinschaften auf der website religionsphilosophischer-salon.de dokumentiert. Diese Kreise sollten die so genannte „neue Evangelisierung“ befördern, haben aber oft nur Probleme und Irritationen geschaffen.
Der Autor der Wochenzeitung „Réforme“ fährt fort: „Und wir erfahren heute, dass eine der am meisten populären Heldinnen des frommen Frankreich nun offenbar von ihrem Sockel gestürzt wird“: Marthe Robin, die Betrügerin, umgeben von einem Kreis von Betrügern, die die Seherin hoch puschten, zur Heldin machten …um davon zu profitieren.

Am 8. Oktober 2020 soll also in dem angesehenen Verlagshaus „Editions du Cerf“ in Paris, das von den Dominikanern geleitet wird, ein Enthüllungsbuch erscheinen, über das bisher sehr wenig enthüllt ist: Nur so viel: Die hoch verehrte Mystikerin Marthe Robin (1902 -1981) aus Frankreich war eine Betrügerin. Ihre bewunderten und so außergewöhnlichen Visionen, die sie niederschreiben ließ und die als Bücher erschienen, sind tatsächlich keine außergewöhnlichen himmlischen Einsichten, sondern ganz banal und etwas raffiniert: Eben Plagiate! Abschriften von spirituellen Texten aus dem 19. Jahrhundert. In mühevoller Jahrelanger Arbeit hat das Prof. Conrad de Meester aus Belgien herausgearbeitet, er ist im Dezember 2019 gestorben. Er war ein angesehener Fachmann für Fragen der Mystik und Mitglied in dem auf Mystik sozusagen spezialisierten Orden der Unbeschuhten Karmeliten. Das Manuskript dieses Buches fand man in seinem Kloster in Belgien post mortem in seinem Schreibtisch.
Prof. de Meester zeigt in seinem umfangreichen Buch, dass die angeblich seit Jugendzeit ans Bett gebundene, kranke Marthe Robin doch wohl nicht gelähmt war, wie ihre VerehrerInnen glauben: Der Professor hat z.B. die Hausschuhe von Marthe Robin untersucht, und da zeigten sich „usures inexplicables“, unerklärliche Gebrauchsspuren.
Sehr viel mehr hat „Réforme“ bisher mangels Kommunikation mit dem Verlag nicht publizieren können, lediglich vom Verlag du Cerf wurde für einige Tage eine Pressenotiz im Internet sehr bedeutungsvoll verbreitet: „Dies ist eines der Investigations/Forschungs- Büchern, deren Erkenntnisse ein davor und ein danach markieren. Denn dieses Buch enthüllt eine etablierte Lüge, indem es jedes geheim gehaltene Urteil („raison“) demontiert, auseinandernimmt und auch jedes versteckte Netzwerk freilegt, weil es dessen Autoren, Komplizen und den Opfern die Masken abreißt („démasquer“).
Bemerkenswert ist, dass diese Pressemeldung des Verlages du Cerf noch am 22.9. 2020 auf der Website des Verlages von mir gelesen wurde. Heute, am 24.9.um 15 Uhr, ist diese Pressemeldung von der Verlagswebsite verschwunden! Es kann schon sein, dass gegen dieses monumentale Buch (von ca. 400 Seiten) gerichtlich vorgegangen wird oder dass es in einem nicht-katholischen Verlag erscheinen muss, weil die Dominikaner mit der Angst zu tun bekamen.

Denn Marthe Robin zu entthronen, bedeutet: Mystik als Betrug: Das ist schon „ein Skandal“, den viele kritische Beobachter schon bei dem heiligen Scharlatan Pater Pio oder der Seherin Therese Neumann von Konnersreuth entdeckten. Aber die katholische Kirchenführung hält wider besseren theologischen Wissens an diesem Wunderglauben, diesen Stigmatisierungen und Visionen etc., fest. Die Kirche glaubt mit diesem „Zeug“ die Spiritualität, den Glauben, in der säkularen Welt retten zu können. Aber die Menschen wollen Argumente für Gott, nicht spinöse Wundermärchen und Lügen.
Klar ist schon jetzt: Ein ganzes Werk, diese „foyers de charité“, erscheint in anderem, finsteren Licht von Betrug und Machenschaften…
Und die Menschen nehmen hoffentlich Abstand von einem mysteriösen Glauben, der mysteriös aufgebauscht wurde.

Das Interesse an einer authentischen Mystik, die gibt es ja noch manchmal (!), dieses Interesse bleibt. Meister Eckart oder Theresa von Avila und Johannes vom Kreuz wird man wohl nicht des Betrugs überführen. Dafür sind ihre Texte echt.

Conrad de Meester, „La fraude mystique de Marthe Robin“. Editions du Cerf, Paris, soll, so Gott und der Vatikan wollen, am 8.10. 2020 erscheinen.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Mit Hegel über Hegel hinausdenken – Für eine vernünftige christliche Spiritualität.

Ein Hinweis von Christian Modehn, veröffentlicht am 20.9.2020

(Dieser Hinweis ist eine Zusammenfassung eines Vortrags, den ich kürzlich in Berlin gehalten habe)

Ein Vorwort:
Warum sollen wir uns heute mit Hegels Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie befassen und von ihr Inspirationen erwarten für unser Leben? Diese Frage lässt sich nicht in einem Halbsatz beantworten.
Hegels Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie, wie sie u.a. in seinen Berliner Vorlesungen zur Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie deutlich wird, „entspringt“ einem praktischen „Bedürfnis“, also einer aus dem Leben selbst stammenden Fraglichkeit, wie er selbst immer wieder betont.
Hegel hatte die damalige religiöse Situation (also im ersten Drittel des 19.Jahrhunderts) im sich christlich nennenden Europa vor Augen. Diese Religiosität war bestimmt von einer ganz aufs Gefühl setzenden Frömmigkeit, die über alles das Diffuse, Beliebige, Subjektivistische, Verschrobene, Esoterische liebte und deswegen den „begriffsfeindlichen“, also den nachvollziehbare Argumentationen ablehnenden Glauben empfahl. So wurde der christliche Glaube auch gesellschaftlich und politisch hilflos, weil er ohne Argumente dastand gegenüber der Allmacht der sich immer mehr durchsetzenden reaktionären Politik im „Vormärz“. Auch die heutige „religiöse Situation“ wird als postmoderne Beliebigkeit, als Sieg des Charismatischen und Evangelikalen, der wortwörtlichen, also gedankenlosen Wiederholung von Sprüchen der Bibel oder des Koran beschrieben.
In einer unserer Situation also in gewisser Hinsicht verwandten Problematik entwickelt Hegel seine Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie.

Und gleich zu Beginn dieser Überlegungen muss betont werden: Hegels Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie zeigt uns einen „einfachen“, aufs „Wesentliche“ befreiten, vernünftigen, also wissenden christlichen Glauben. Darum sollten wir uns mit Hegel befassen!
Dieser Glaube, wie Hegel ihn zeigt, ist eine Entwicklung der Tatsache, dass der Mensch im Unterschied zu den Tieren wesentlich vom Geist bestimmt ist. Dieser Begriff des menschlichen Geistes „ist eben selber das Göttliche im Menschen“, wie der Hegel – Forscher Walter Jaeschke in seinem Buch „Hegels Philosophie“ (Hamburg, 2020, Seite 285) schreibt. Eine Grundeinsicht, die sozusagen zum Standard jeglicher Hegel Lektüre gehört … und diese Grundeinsicht Hegels ist keineswegs obsolet geworden ist… Die philosophisch sich gebenden Propagandisten, die „Naturalisten“ oder „Materialisten“ , werden kaum noch philosophisch ernst genommen.

Das heißt: Ohne den Mitvollzug der Erkenntnis, dass der Mensch für Hegel wesentlich Geist ist und dieser Geist die Teilhabe am göttlichen Geist ist, bleiben die folgenden Hinweise unverständlich. Dass der Mensch Geist ist und dieser mit dem göttlichen Geist in gewisser Hinsicht eins ist, hat Hegel in der „Phänomenologie des Geistes“, der „Enzyklopädie“ und der Logik gezeigt. Dies wird hier vorausgesetzt.

Und grundlegend ist auch: Hegels Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie als „Rettung der Vernunft des Christentums“ ist alles andere als eine „christliche Philosophie“, wie sie von Friedrich Schlegel und anderen damals entwickelt wurde. Diese „christliche Philosophie“ wollte die Sprüche der Bibel nicht nur, wörtlich verstanden, als Leitlinien des individuellen Lebens propagieren, sondern auch unmittelbar der staatlichen Ordnung als Prinzip vorsetzen. Solche unmittelbare Geltung religiöser Texte kam für Hegel nicht in Frage!

1.
Die Erkenntnis nach Hegels Tod war für seine Schüler verwirrend und wohl erschütternd, aber vorauszusehen: „Eigentlich hat Hegel mit seiner Philosophie alles gesagt, was er in (s)einer Philosophie sagen konnte“. Das gilt, selbst wenn er es noch vorhatte, einige seiner Vorlesungen etwa über Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie selbst zu publizieren oder schon veröffentlichte Werke mit neuen Vorworten zu versehen. Dazu kam Hegel nicht mehr wegen seines plötzlichen Todes 1831.
2.
Wenn man nur die Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie Hegels betrachtet, die ja bekanntlich eine zentrale Dimension seines Denkens überhaupt ist, dann ergeben sich aus der Beobachtung: „Alles hat Hegel eigentlich gesagt“, doch noch weitere Perspektiven … und mit Hegel denkend über Hegel hinaus.
Diese Perspektiven können hier nur skizziert werden. Das Problem ist: Wenn von Hegels Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie die Rede ist, dann muss, seinem Denken folgend, notwendigerweise auch von Gott die Rede sein, ein Name, ein Begriff, der damals noch selbstverständlich war, wenn denn von dem Unendlichen, dem Ewigen, dem schlechthin Schöpferischen philosophisch gesprochen werden sollte. Hegel wusste, wie viele Philosophen auch heute wissen, dass von dieser Dimension des Ewigen im geistvollen Leben gesprochen werden muss, wenn denn das Leben als geistiges Leben umfassend erkannt
werden soll.
3.
Grundlegend für alles ist die Erkenntnis Hegels: Gott ist Geist. Gott als Geist: Was denn sonst sollte Gott sein, wenn man denn den Begriff Gott ernst nimmt? Hegel hat nie religiöse Menschen vergangener Zeiten verachtet, die ihren Gott in den Bäumen, in Naturgewalten usw. sahen oder Bildnisse der Götter als deren reale Repräsentanten über alles verehrten. Hegel wusste aber: Diese Formen der Gottesverehrung waren „nur“ notwendige Entwicklungsschritte hin zu einem Gottesbegriff, der in dem Begriff (und damit für Hegel in der Wirklichkeit) absoluter Geist seinen unübertrefflichen Ausdruck findet. Das Höchste kann nur Geist sein. Noch einmal: Was denn sonst? Denn selbst wenn man, nur einmal spielerisch angenommen, eine chemische Substanz für das Höchste und alles Begründende hält, wäre diese als solche in dieser Bedeutung doch wieder über den Geist erkennend und seine Begriffe vermittelt. D.h. ohne den Geist und seine Begriffe gäbe es diese chemische Substanz als solche gar nicht.
4.
Zu diesem göttlichen Geist steht der Mensch als Wesen des Geistes nicht nur in Verbindung, sondern er ist mit dem göttlichen Geist – bei bleibender Differenz – eins. Diese Erkenntnis wird in Hegels Werken lang und breit entwickelt und braucht hier nicht wiederholt zu werden.
Entscheidend ist das Wissen: Jeder Mensch ist durch seinen Geist eins mit Gott. Im Geist ist diese Einheit da.
Hegel erschließt mit dieser Erkenntnis ja nicht etwas „bloß Philosophisches“, also etwas eher „gedanken-spielerisch Spekulatives“. Seine ganze Philosophie ist vielmehr eine Antwort auf „praktische Probleme im Leben“, auf die Zerrissenheit des modernen Menschen, den Bruches zwischen religiöser Welt und Alltagswelt, die Herrschaft der abstrakten Verstandes-Kategorien.
5.
Wenn Hegel betont: Der Mensch ist mit Gott – in gewisser Hinsicht – identisch: Dann erschließt diese Erkenntnis auch etwas Spirituelles, „Hilfreiches“. Der Mensch weiß sich hineingenommen in den absoluten Geist, also hineingenommen in Gott. Dies hat Konsequenzen für die ganze Lebensgestaltung, weil der Geist Vernunft ist und diese Vernunft ist Freiheit.
(Dieser Zusammenhang ist zentral, hier nur einige Hinweise: Die menschliche Vernunft bezieht sich auf sich selbst, weiß sich selbst in dem Selbstbewusstsein, das immer zugleich auch Bewusstsein des anderen (in der Welt der Objekte) ist. Darin weiß sich die Vernunft frei, weil sie immer auch bezogen ist auf mögliche andere Objekte und sich dabei immer auch frei weiß in der Beziehung auf sich selbst. In dem Zusammenhang entwickelt die Vernunft Begriffe, die sich auf die Objektwelt beziehen. Diese Begriffe haben für Hegel -bei der Identität von Denken und Sein – keinen unbestimmten Inhalt, sondern sie haben auch, etwa bei dem Begriff Mensch, Gesellschaft, Staat, Religion, Kirche usw., einen normativen Inhalt. Nicht jeder Staat ist von vorherein schon ein wahrer Staat, bloß weil er den Begriff Staat für sich selbst verwendet; ein den Menschrechten entsprechender Staat z.B. als Norm muss erst noch entwickelt werden… Insofern also kann man sagen: Geist ist Vernunft, und Vernunft ist Freiheit)
Freiheit als Freiheit des Menschen hat nur Sinn, wenn sie Freiheit aller Menschen ist, sanktioniert in den universal zur Geltung zu bringenden Menschenrechten.
6.
Wer also bewusst im Zusammenhang des göttlichen Geistes lebt, ist ständig mit der Freiheit befasst und aufgerufen, für die politische Freiheit wie für die individuellen Selbstbestimmung einzutreten. Dieser Zusammenhang war Hegel sehr deutlich! Dieser Zusammenhang, also die Verbindung von ewigem, göttlichen Geist und Geist im Menschen, hat viel mit der Frage zu tun hat: Was ist nach dem/meinem Tod – angesichts der Einheit mit dem Ewigen.
7.
Hegels Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie hat den Anspruch, begriffliche Erkenntnis also Wissen von Gott zu sein. Dadurch wird die Frage: Was ist Glauben? neu beantwortet: Die Beziehung zu Gott, zum Göttlichen, wird eher in der Form des Wissens erreicht, wobei diese Beziehung eine bestimmte Praxis verlangt, siehe den 5. Hinweis. Und dieses Wissen kann zwar seinen Ausgang nehmen in (religiösen) Gefühlen, die aber nur dann ernst genommen werden, also allgemein erhellend sein können, wenn diese aus der Unklarheit und Diffusität befreit und zur Sprache gebracht, also begrifflich gefasst werden. (Nebenbei: Psychotherapien sind ja erst dann hilfreich, wenn nach Freilegung der Gefühle diese sprachlich gefasst werden).
8.
Und dieses Wissen von Gott ist eigener Art: Es ist nicht das herrschaftliche, selbstherrliche Wissen als Verfügen über die Dinge, etwa sogar über einen als ein „Ding“, „Objekt“, interpretierten Gott. Dieses Wissen von der Einheit mit dem Göttlichen weiß sich selbst als ein verdanktes Wissen: Es verdankt sich letztlich dem alles „gründenden“ unendlichen Göttlichen, dem Gott als Geist. Diese Geist -Philosophie, das muss nicht eigens betont zu werden, ist keine spinöse „Geister-Philosophie“, nichts Esoterisches, sondern Resultat von Argumenten und Beweisen. Hegels Philosophie ist eine Analyse und eine Kritik des Endlichen, also der Dinge der Welt, die der Geist des Menschen als Endliche erkennt. Und dabei weiß der endliche, aber stets über das Endliche hinaus denkende Geist: Der Geist geht über das Endliche stets hinaus, und diese Qualität ist darin begründet, dass das Unendliche selbst wirksam ist in ihm, dem Endlichen. Es ist also der unendliche Geist, der alles Endliches als endlich erkennt und es je neu überschreitet…Es geht also zentral um den unendlichen Gott, „immanent“ im Endlichen.
9.
Das Wissen vom Christentum ist für Hegel vor allem ein Wissen von den Grundlagen der christlichen Lehre. Die historischen und zufälligen Details der biblischen Geschichten stehen nicht im Mittelpunkt seines Interesses. Hegel will diese Lehren des Christentums, die sich sozusagen als objektiver Geist literarisch verfestigt haben, in philosophische Begriffe überführen, in Begriffe, von denen Hegel meinte, dass sie allgemein verstanden werden und die deswegen das Christentum als relevant für die Moderne erweisen. So glaubte er, das Christentum aus der Nische der esoterischen Abgesondertheit, der Welt nur der frommen Gemüter, befreien zu können und zur Sache aller und damit zur weltgestaltenden vernünftigen Kraft zu machen.
10.
Damit vollzieht Hegel eine Konzentrierung der Fülle der christlichen Lehren (etwa im Neuen Testament und im Alten Testament) auf wenige zentrale Begriffe, diese sind Geist Gottes, Geist Gottes im Menschen, die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus, Kreuz, Auferstehung und Sendung des Geistes als ein einziges Geschehen.
11.
So ist auch klar, dass Hegel in seinen Berliner Zeiten sich ganz auf diese genannten Begriffe (von den Kirchen als Dogmen verstanden) bezieht und damit die sich irgendwie biographisch gebende Vielfalt der Erzählungen, etwa vom „irdischen Leben“ Jesu von Nazareth, beiseite legt. Diese Abwehr des Historischen, Individuellen, Persönlichen, etwa bei Jesus oder den Gestalten des Alten Testaments, mag heute problematisch erscheinen, weil ja für viele die sehr persönliche Lebensgeschichte Jesu von Nazareth faszinierend sein kann, sofern man denn viele Details als historisch bezeugt überhaupt erkennt. Man lässt sich halt von einer konkreten Person und deren Lebensschicksal eher berühren als von der philosophischen begrifflichen Einsicht: Dass in diesem Jesus als dem Gottmenschen die Einheit Gottes mit dem Menschen sichtbar wurde.
12.
Aber diese Einsicht Hegels kann auch „berühren“ und „bewegen“, weil sie, wie er meint, allgemein nachvollziehbar begründet ist, und nicht mehr abhängig ist von einzelnen Wundergeschichten oder einzelnen Ereignissen im Alltag Jesu. Dass dabei aber auch Hegel auf eine Art politisches Porträt des Menschen Jesus von Nazareth verzichten muss, ist auf den ersten Blick klar. Oder doch nicht? Denn, wie schon betont, führt das Wissen von der Einheit des Menschen mit dem Göttlichen in der einen gemeinsamen Vernunft auch zu politischem Einsatz zugunsten der Freiheit aller…
13.
Welche praktischen Hinweise für eine christliche Spiritualität ergeben sich aus der Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie Hegels? Die folgenden Überlegungen, sozusagen Konsequenzen aus seinem Denken, können hier nur angedeutet werden:
Das Wesentliche ist und bleibt die Erkenntnis für den einzelnen: Er/sie ist mit dem göttlichen Geist verbunden.
14.
Was wäre eine Gemeinde?
Eine Gemeinde ist die Versammlung der Menschen, die sich auf diesen göttlichen Geist gesprächsweise und feiernd beziehen und im praktischen Tun zugunsten der Freiheit /der Menschenrechte/ sich verabreden, als Engagement in der Gesellschaft und im Staat. Dabei werden, wie schon einmal betont, nicht unmittelbar religiöse Prinzipien durchgesetzt, sondern allgemein geltende, vernünftige.
In dieser christlichen Gemeinde selbst, in ihrer inneren Gestaltung, ist selbstverständlich die Gleichheit aller Mitglieder. „Es gibt keine Hierarchie“, wird von Hegel mehrfach betont. In der heutigen Zeit ist damit auch die völlige Gleichberechtigung der Frauen gemeint.
15.
Damals wie heute aktuell ist die heftige Kritik Hegels am Katholizismus, als einer letztlich im mittelalterlichen Geist fixierten und insofern „stehen gebliebenen“ christlichen Kirche. Hegel nennt viele Grundsätze des Katholizismus wesentlich korrupt.
16.
Über den „Kultus“, also die Gottesdienste der Gemeinde, hat Hegel gesprochen, aber immer in Bezug auf die real bestehenden lutherischen Gemeinden.
Hegel hat weitere Konsequenzen nicht beschrieben, wie denn Gemeinden, die sich aufgrund der Verbundenheit mit dem göttlichen Geist versammeln, sich weiter praktisch gestalten.
Man könnte meinen:
Diese Gemeinden aber haben alle Freiheit, auch religiöse Traditionen von einst reflektiert mit zu vollziehen, sofern sich diese Gemeinden nicht an die alten Bräuche klammern oder diese gar für wesentlich halten: Also etwa Wallfahrten, die meditative Spaziergänge, sind kommunikativ wichtig, aber nicht mehr „heilswirkende“ Unternehmungen. Oder das Hören von alten, warum nicht auch lateinischen Messen als Form der „Erhebung“ zum Göttlichen kann anregend sein oder die Feier von Brot und Wein als Form der sinnlichen Gegenwart Jesu von Nazareth (die er selbst empfohlen hat) usw.
17.
Und das Gebet? Es ist ein auch sprachliches Sichbeziehen auf den umfassenden göttlichen Geist. Es ist eine Form des Innewerdens, auch in der Form des sprachlichen Austausches mit anderen. Aber Bittgebete im klassischen Sinn werden überflüssig, weil sich der glaubende Mensch in dem göttlichen Geist bereits geborgen weiß (und diese Geborgenheit meditativ pflegt) und gar nicht egozentrisch um besondere Wunder Gottes zu des eigenen, individuellen Nutzens erbittet.
Gebete sind dann Ausdruck meiner spirituellen Poesie, in die meine Lebensgeschichte einfließt. Diese explizite Poesie kann mir selbst Klarheit über mich selbst bringen. Gebet ist auch das geistige Verbundenheit mit anderen, den Freunden, den Menschen in Not usw: Gebet ist dieses DENKEN AN DICH/EUCH, das keine Wunder bewirkt bei den anderen. Das aber das Wunder des Betenden/Meditierenden/Sprechenden/ wirkt, aus der Verkapselung des Ego herauszutreten.
18.
Was also ist eine Spiritualität, die sich von Hegels Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie inspirieren lässt?
Es ist eine einfache Spiritualität, die die Macht der großen Kirchen-Institutionen nicht mehr als zentral einschätzt und sich an der oft nur noch sinnlos erscheinenden Reform der großen „Volkskirchen“ (des Katholizismus zumal) auch nicht mehr abarbeitet. Diese Spiritualität hat Sinnvolleres zu tun, als etwa gegen die Mauern des Vatikans ad aeternum anzurennen.
19.
Diese hier nur skizzierte „einfache“, philosophische Spiritualität, inspiriert von Hegel, hat Chancen, eine Spiritualität der Zukunft sein, weil sie auch Menschen aus „anderen“ Religionen anzusprechen vermag. Und vor allem, weil sie von der Last und dem Ballast der Berge von Dogmen und kirchlichen Vorschriften befreit. Nur die geistvollen, freien und befreienden Impulse des Christentums werden für die Moderne gerettet. Und die Menschen werden eingeladen, Wesentliches zu leben: Dies ist die Beziehung zu Gott als dem die Menschheit, alle Menschen, verbindenden einen, gemeinsamen Geist. Und die Verbundenheit mit anderen Menschen, mit der Pflicht, für die Freiheit und Gleichheit aller einzutreten… und die Welt vor der drohenden Klimakatastrophe, wenn es denn noch möglich ist, zu retten…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin