Der Gott der Monotheisten contra den Gott der Philosophen. Kritische Hinweise auf Lutz von Werders neues Buch

Von Christian Modehn

1.
Daran ist wohl kein Zweifel: Lutz von Werder (geb. 1939) hat als Dr. der Pädagogik und als Soziologe sowie auch als M.A. im Fach Philosophie das philosophische Denken „unters Volk“ gebracht: Durch seine gut besuchten philosophischen Gesprächskreise und Vorträge im Berliner Literaturhaus und in der Urania seit 1997 bzw. 1999 und dann als Gesprächspartner im Philosophischen Radio des WDR über viele Jahre. Vor allem aber: Er hat seine Vorträge dort immer auch verbreitet durch seine sehr zahlreichen sehr populären Darstellungen zur Philosophie und vor allem zur Philosophiegeschichte. So hat er gezeigt, dass außerhalb der Universitäten das Philosophieren als Gesprächskultur der Bürger einen festen Platz haben sollte. Dafür gebührt ihm Dank! Inzwischen gibt es, nebenbei gesagt, philosophische Cafés und philosophische Salons in vielen Städten, philosophische Beratungspraxen „freier Philosophen“ usw.

2.
Nun hat Lutz von Werder nach etlichen Büchern, die meist unter dem Motto „Lebenskunst“ erschienen sind, noch ein weiteres Buch mit dem anspruchsvollen Titel „Der Gott der Philosophen und die Lebenskunst“ vorgelegt. Der Titel erinnert deutlich an die umfassende und wirklich grundlegende Studie des Philosophen Wilhelm Weischedel, einst Professor an der FU Berlin. Nur setzt Lutz von Werder eben die „Lebenskunst“ noch in den Titel. Er will also in der Lektüre der Texte von Philosophen die „Kunst zu leben“ fördern. Wie üblich, versucht er dies vor allem auch durch Fragen zu provozieren, die in den Text hineingestreut sind. Er nennt das „Übungen“. Ob das geistige Leben, also menschliches Dasein in dieser Welt, immer unter der Kategorie der Kunst, des kunstvollen Selbstgestaltens, verstanden werden kann und gefasst werden sollte, ist eine andere Frage. Sie wurde schon im Zusammenhang von Michel Foucault und Wilhelm Schmid heftig diskutiert. Der Begriff „Kunst“ weckt bei vielen eher die Vorstellung eines „elitären Geschehens“. Es sei denn, man hat Joseph Beuys vor Augen und seine berühmte These…

3.
Es ist ja richtig zu sehen: Wahrscheinlich haben alle Philosophen auf ihre Weise zum Thema „Gott“, Absolutes, „Ewiges“, Göttliches usw. Stellung genommen. Das geht ja auch philosophisch gar nicht anders, wenn man denn konsequent fragend und reflektierend das Leben und das Dasein im Ganzen auch auf seinem Grund hin bedenken will. Lutz von Werder bietet in diesem Buch Hinweise zum Gottes-Denken von 27 Philosophen, beginnend bei Platon und endend bei Harari bzw. Wilhelm Weischedel, den von Werder ganz besonders schätzt! Es fällt auf, dass nicht nur die üblichen „Klassiker“ kurz vorgestellt werden, sondern auch aktuelle Philosophen unterschiedlicher Bekanntheit, wie Holm Tetens oder Wilhelm Schmid, den von Werder – lobend oder kritisch ? – „den Papst der Lebenskunst“ (S. 21) nennt. Auch die Engländerin Karen Armstrong wird vorgestellt, eine der wenigen Frauen in dieser Gilde “großer” Männer. In diesem Armstrong- Kapitel wird auch ultrakurz auf muslimische Denker des Mittelalters verwiesen. Interessant auch, dass von Werder auf den „Transhumanisten“ Ray Kurzweil in einem eigenen Kapitel hinweist und dessen Thesen zugunsten eines sehr langen und perfekten Lebens kritisch bespricht. „Technik wird zur Ersatzreligion“ heißt in dem Zusammenhang sein kritischer Hinweis.

4.
Dennoch bleiben Fragen und Einwände zum Buch. Etwa zum Kapitel über Hegel: Er ist ja, wenn man schon pauschale Einordnungen betreibt, eben kein Vertreter des „objektiven Idealismus“ (S. 171), wie von Werder schreibt, sondern des „absoluten Idealismus“. Und auch die Qualifizierung eines „pantheistischen Gottes“ im Denken Hegels ist falsch, wenn schon solche Qualifizierung, dann, wie üblich, in der Philosophiegeschichte die des PanENTheismus für Hegel. Wer sich solche „griffigen“ Titel dann auch noch einprägt und sogar glaubt Hegel auf diese formelhafte Weise verstanden zu haben, hat vom lebendigen und höchst anspruchsvollen Denken Hegels dann doch nichts begriffen. Und noch etwas: Gotteserkenntnis bei Hegel ist auch nicht Sache des „objektiven Geistes“ (S. 176), sondern des “absoluten Geistes”.
Vor allem ist entscheidend: Hegel hat seine eigene Philosophie explizit und mehrfach sehr deutlich betont „als Theologie“ und andererseits „christliche Theologie als Philosophie“ verstanden, unter zahlreichen Belegen dafür lese man nur „Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie“ III, S. 64, Werk Ausgabe des Suhrkamp-Verlages oder die wirkich philosophische, umfangreiche und grundlegende Studie von Prof. Michael Theunissen (FU Berlin) „Hegels Lehre vom absoluten Geist“. Diese innere und enge Verflochtenheit von Offenbarungs-Reflexion (Theologie) und Philosophie bei Hegel wird von Lutz von Werder nicht wahrgenommen und a priori schon in der „Einleitung“ zu seinem Buch explizit ausgeschlossen. Eher grob abstrakt, also etwas „holzschnitzartig“, wird dort die religiöse Offenbarung dem philosophischen Denken als das ganz andere, wenn nicht als das Gefährliche, gegenübergestellt. Dabei wäre es doch spannend, bei jedem einzelnen philosophischen Gott-Denker in Europa nachzuweisen, wie auch deren Denken von Einsichten und Fragen der Offenbarungsreligion etwa des Judentum und des Christentums, auch des Islam, direkt und indirekt bestimmt ist! Dann wäre ein interessantes, ein weiterführendes Buch entstanden.

5.
In dem Buch ist angesichts der jüdischen, christlichen und muslimischen treffend von Gott im Plural, also von „Offenbarungs – GÖTTERN“, ab Seite 27, ständig die Rede ist. Denn jede monotheistische Religion hat ihre eigene Pluralität im eigenen Gottesdenken, und es ist bekanntlich alles andere als selbstverständlich, dass alle drei monotheistischen Religion denselben Gott verehren, wie so oft volkstümlich behauptet wird. Pluralität bei den religiösen Göttern? Ja!
Hingegen will uns der Autor einreden, dass im Falle der vielen Philosophen von Platon bis Kurzweil werde nur “DER Gott der Philosophen”, also offenbar der eine Gott im Singular!, deutlich. Richtig wäre es, wenn Lutz von Werder auch von den sehr unterschiedlichen GÖTTERN der Philosophen sprechen würde. Was hat denn etwa der Gott des Philosophen Meister Eckart mit dem Gott des Philosophen Schopenhauer gemeinsam? Ich sehe da abgesehen von der Verwendung des gleichen Gott-Titels keine Gemeinsamkeit.
Also: Es gibt nur viele GÖTTER der vielen Philosophen. Dann wird die Sache interessant, zumal wenn man die viel besprochene „Lebenskunst“ im Hinterkopf hat: Für welchen der Götter der Philosophen soll ich mich denn dann entscheiden? Oder lasse ich mich nach den knappen Skizzen im Buch von niemandem mehr “be-geistern”?

6.
Was ärgerlich ist schon in der „Einleitung“ des Buches: Die „Götter der Offenbarung“ kommen gegenüber dem vorausgesetzten „einen“ Gott der Philosophen durchwegs schlecht weg. Auch diese von mir polemisch empfundene Abwehr des religiösen Glaubens bei von Werder sollte zugunsten wirklicher Sachlichkeit überwunden werden: Denn die alten philosophischen Schulen in Rom (Stoa, selbst Epikur…) haben die christlichen Gemeinden selbst als eine philosophische Schule verstanden, und die christlichen Gemeinden haben sich auch als solche verstanden, man lese die Bücher des unbestrietbar großen Kenners Pierre Hadot. Ein Clemens von Alexandrien zum Beispiel war als Christ ein hervorragender Philosoph. Es stimmt einfach nicht, wenn von Werder behauptet: “Der Offenbarungsglaube ist nur zu glauben und nicht zu wissen“ (S. 37). Was heißt denn schon „Wissen“? Es wissen doch bekanntlich viele Philosophen sehr genau, dass die letzte Basis ihres eigenen Denkens nur im Glauben (!) erreicht werden kann und nicht in einem Wissen. Wer “weiß” denn die Gründe dafür, warum die Gesetze der Mathematik mit den Gesetzen der “Außenwelt” offenbar übereinstimmen? Gibt es da nicht immer mehr Staunen als Wissen? Man lese bitte den späten Wittgenstein als ein Beispiel. Oder die wichtigen Studien über die wechselseitige (!) Durchdringung von Glauben und Wissen von Prof. Volker Gerhardt.
Lutz von Werder kann meines Erachtens auf seine Polemik, wenn nicht Wut gegen die Offenbarungsreligionen nicht verzichten. Da sind selbst explizit atheistische Philosophen wie der bekannte Engländer Tim Crane („Die Bedeutung de Glaubens“, 2019) viel weiter, viel objektiver und differenzierter.
Dass Lutz von Werder jetzt auch die Atheisten in dem neuen Buch heftig verurteilt, für mich etwas Neues bei ihm, (etwa: „Sie – Atheisten – meiden jedes Denken über Gott“, Seite 28, verwundert dann doch. Jedenfalls hat sich Lutz von Werder nun im Alter „dem“ Gott der Philosophen zugewandt, den seiner völlig unbegründeten Schätzung nach 10 % der Weltbevölkerung verehren: Angeblich lebten diese 10 % in einer skeptischen Haltung, wobei diese Skepsis auch wieder unvollständig bleibt, weil sie sich selbst nicht noch einmal skeptisch reflektiert! Erst die sich selbst gegenüber skeptische Skepsis hat den Anspruch, skeptisch sein zu können. Wenn das nicht der Fall ist, werden eben auch Dogmen verbreitet, philosophische eben.

7.
Seine eigenständige philosophische Position hat der populäre Vermittler des Denkens anderer bisher eher nur am Rande mitgeteilt. Diesmal ist in der hinsicht beachtlich der knappe Text von zwei Blättern im Buch, mit dem ein bisschen an Heidegger erinnernden Titel: „Nur ein Gott der Philosophen kann uns retten“ (S. 333). Heidegger sagte bekanntlich in dem berühmten SPIEGEL Gespräch noch viel offener „Nur ein Gott kann uns retten“…
Mag ja sein, dass diese zwei Seiten in Lutz von Werders Buch sozusagen aus dem Rahmen fallen, weil sie vor allem auch sprachlich aus der sonst sehr nüchternen, sehr sachlichen, manchmal abrupt wirkenden Sprache herausragen. Aber eigentlich wird hier die grundlegende Frage auch nur berührt: Wie und wann und warum “rettet” denn der Gott der Philosophen die Menschheit und den einzelnen Menschen? Es ist der Gott, so Lutz von Werder, der im skeptischen Schweigen, „in der Nacht“, ganz kurz mal, erlebt wird. Es wird auch ein Wir (der philosophisch-skeptisch Frommen) beschworen, das Widerstand leistet gegen die Zerstörer/Zerstörung der Welt. Das sind alles interessante, ins Mystische gehende Formulierungen. Sie sind lesenswert!

8.
Aber: Welche rettende Aktivität kann denn ein gedachter Gott der Philosophen als solcher ausüben? Mag ja sein, dass einige dieser Götter die Menschen zum Tun des Humanen aufrufen, aber gilt das denn etwa Nietzsche? Sicher nicht! Sicher ist es doch auch, im Sinne einer spekulativen Philosophie im Sinne Hegels gedacht, so: Dass der vom Menschen gedachte Gott selbst ein Werk Gottes ist. Weil menschlicher und göttlicher Geist in einer gewissen Hinsicht, Hegel zufolge, eins sind. Voraussetzung ist natürlich, dass man einen Gott überhaupt annimmt, aber das macht ja Lutz von Werder. Warum dann also nicht konsequent sein und denken: DIESER vom Menschen gedachte Gott ist selbst Gottes Werk. Also Werk des „wirklichen Gottes“, möchte ich nun auch einmal etwas „holzschnitzartig“ sagen dürfen. Nur dieser Gott als absoluter Geist hätte dann rettende Kraft, weil er in eine tiefe Sinn – Erfahrung führt – auch als Gabe, als Geschenk verstanden. Aber das wird in dem Buch leider nicht gesagt. Und kann es auch nicht sagen, weil es von diesem falschen abstrakten Gegeneinander von Offenbarung und Philosophie lebt…
9.
Dass man heute dieses Thema nicht mehr eurozentrisch und schon gar nicht nur auf Publikationen in deutscher Sprache bezogen darstellen darf, wäre noch ein weiteres Thema…

Lutz von Werder, Der Gott der Philosophen und die Lebenskunst. Schibri Verlag in Milow. 2019. 355 Seiten. 15 Euro.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Paulus – der Apostel und „Initiator des Christentums“.

Über das Buch des „liberalen Theologen“ Martin Werner
Ein Hinweis von Christian Modehn

An einen Theologen soll erinnert werden, der die „liberale Theologie“ förderte und als Professor für systematische Theologie
in Bern lehrte; der mit dem „dialektischen Theologen“ dort, Karl Barth, erwartungsgemäß seinen Streit hatte; der mit Albert Schweitzer befreundet war; und der ein weites, auch gesellschaftspolitisches Engagement übte; zahlreiche Studien hat er veröffentlichtet: Aber heute ist er ziemlich in Vergessenheit gerate: Martin Werner ist sein Name. Er lebte von 1887 bis 1964. Karl Barth starb vier Jahre später: Wenn Barth noch vielen heute als ein „Zeitgenosse“ gilt, dann sollte diese Qualität auch Martin Werner zugesprochen werden.
Es ist das große Verdienst von Jochen Streiter, Pfarrer emeritus in Wuppertal, dass er eine leicht lesbare, eher knappe Studie Martin Werners über den Apostel Paulus zugänglich macht. Erschienen ist das Buch unter dem Titel „Wer war der Apostel Paulus?“ im Verlag Traugott Bautz in Nordhausen.

Warum ist die Gestalt, vor allem die Lehre und die theologische Erkenntnis des Apostels Paulus für alle religiös und weltanschaulich Interessierten, also nicht nur „Kirchgänger“, von besonderem Interesse? Weil Paulus in der Pluralität frühchristlicher Autoren (im vielfältigen Buch „Neues Testament“ versammelt) eine besondere Rolle spielt: Der früheste Text des Neuen Testaments stammt von dem aus dem Judentum konvertierten Paulus, es ist der 1. Thessalonicher-Brief aus dem Jahre 51. Paulus wird darüber hinaus sehr zu recht als der eigentliche Initiator der christlichen Kirche angesehen, der Kirche als einer pluralen Gemeinschaft, die aber im Bekenntnis zu Jesus als dem Christus eine immer umstrittene Einheit fand und sich deswegen vom Judentum trennte (und dieses vom Christentum). „Ohne Paulus keine Kirche“: Diese populäre Aussage ist sicher treffend!

Von den sieben Kapiteln der Studie sind meines Erachtens die letzten beiden Kapitel besonders lesenswert: In „Zur Eigenart des Christusglaubens des Paulus“ (S. 65 ff) fällt auf: Martin Werner will die Aussagen über Paulus (auch seine Reden) in de, neutestamentlichen Text „Apostelgeschichte“ in den Hintergrund stellen. Dabei nimmt Werner zum Dialog des Paulus auf dem Areopag etwas ausführlicher Stellung und weist dabei auf einen Übersetzungsfehler hin: Denn Paulus spricht dort von DEM unbekannten Gott, tatsächlich aber hätte es dort eine Statue gegeben für DIE unbekannten Göttern, was ja nahe liegender ist in der damaligen Kultur. Ich finde die Relativierung der Areopag-Rede des Paulus durch den Autor schade, weil darin so wunderbar und philosophisch so treffend (von Hegel und Meister Eckart heftig unterstützt) davon die Rede ist: dass Menschen „göttlichen Geschlechts“ sind, d.h. schlicht gesagt und gar nicht größenwahnsinnig: In einer Einheit mit Gott/dem Göttlichen verbunden sind. Aber dieser Gedanke (von dem griechischen Dichter der Stoa ARATOS (S. 66) angestoßen, gefällt dann dem „liberalen Theologen“ doch nicht so ganz…Werner spricht hingegen von dem „wirklichen Paulus“, der ja philosophisch sehr gebildet war, aber dann als Christ alle Weltweisheit (Philosophie) verachtete. Aber den Glauben dann doch als Weisheit definierte, als DIE Weisheit zwar. Später werden Kirchenväter“ treffend sagen: Das Christentum ist eine unter vielen philosophischen Schulen…Nebenbei: Die „Apostelgeschichte“ spricht ausdrücklich davon, dass Paulus, nachdem er aus der Synagoge in Ephesus rausgeschmissen wurde, Zuflucht fand im Hause des dortigen Philosophen Tyrannus, der ihm seine Vorträge seiner speziellen Weisheit gestatte. Philosophen waren großzügig gegenüber Christen…
Man sieht, wie unterschiedlich die früheste Kirche mit dem Christentum als einer (von vielen) Weltweisheit(en) umging…

Aber entscheidend ist die Erkenntnis des Apostels Paulus: Mit dem Tod und der Auferstehung Christi hat eine neue Zeit, eine neue Epoche,, begonnen: Damit meint Paulus auch, so Martin Werner, die Gültigkeit der Gesetzgebung Israels sei auch „beendet“ (S: 69). „Das mosaische Recht wird einfach gegenstandslos…“ (S. 71). Diese neue, ganz andere Zeit ist von außen betrachtet noch unsichtbar; für den vom Geist erfüllten Menschen jedoch eine spürbare Realität. Denn in der neuen Welt gibt es weder „Juden noch Griechen“. Paulus betont die prinzipielle Einheit der Menschheit, auch die gleiche Würde aller Menschen. Weil Paulus aber persönlich so sehr von der alsbaldigen Wiederkunft Christi überzeugt war, glaubte er nicht so recht an die Notwendigkeit einer praktischen Umsetzung dieser „Gleichheits-Erkenntnis“ im politischen und sozialen Bereich. Paulus deutete die gegenwärtige Lebenszeit als „Aufenthalt in einem Provisorium“ (S. 75), also als Zwischenstation zwischen der alten Welt und der kommenden. „Provisorium“ deutet Werner „wie ein auf Abbruch verkauftes Haus“ (S. 76). Leider fehlt der Hinweis, dass sich die Kirchen seit dem 4. Jahrhundert von dem Selbstverständnis verabschiedet haben, selbst nur Provisorium zu sein…Man schaue sich die hiesigen Kirchenverwaltungen an, da ist von Provisorium nichts aber auch gar nichts zu spüren. Lediglich der Gründer von Taizé, Roger Schutz, sprach von der Kirche und seinem Kloster als „Provisorium“, als „Zelt“. Aber das ist ein anderes Thema: Die Entfernung der Kirche(nbürokratie) vom Ursprung…

Mit Gewinn (weil Erkenntnisse wie auch Fragen lebendig werden) wird man auch das letzte Kapitel lesen „Die Bedeutung des paulinischen Christusglaubens für uns“(S. 78 ff). Am Beispiel des Umgangs mit der Sklaverei zeigt Werner, dass Paulus auch in das populäre Denken seiner Zeit eingebunden war und deswegen nicht explizit forderte, die Sklaverei als solche abzuschaffen. Vor allem aber war er wegen seiner Überzeugung von der alsbaldigen Wiederkunft des Auferstandenen Christus gar nicht so motiviert, etwa die Abschaffung der Sklaverei zu fordern. Heute müssen Christen damit umgehen, dass Paulus ein ganz anderes Zeitverständnis im Sinne des bevorstehenden Welten-Endes hatte. Wenn auch heute der Gedanke lebt, dass Menschen durch ihr Tun bzw. Unterlassen (Ökologie, Kriegsverhinderung, Atombomben etc.) das Ende dieser Welt bewirken können.
Ganz entscheidend – auch philosophisch interessant – ist der paulinische Gottesbegriff: „Gott ist Geist“, sagt Paulus deutlich mehrfach. Und wo dieser göttliche Geist IM Menschen lebt, ist auch der Geist der Freiheit lebendig: Denn der Geist weiß sich selbst und will in dem anderen, der Natur, der Gesellschaft, den Menschen, ebenfalls den Geist spüren, als auch dort „bei sich“ sein, also frei, nicht abhängig und fremdbestimmt sein. Und das ist elementar Freiheit. Denn Gott ist, wie Werner sagt, „göttliche Schöpfermacht als Geist“ (S. 89). Es ist also in der Schöpfung der Welt Geist, Gottes Geist, immer schon anwesend. Der Mensch befindet sich also mit seinem Geist nicht in einer fremden, sondern in einer geistvollen Welt.

Ich finde es gut und treffend, dass klassische „orthodoxe“ und kirchenamtlich beinahe übliche „Topoi“ wie das Sühneopfer Christi oder Rechtfertigung des Sünders durch Christi Blut usw. von Martin Werner gar nicht erwähnt werden. Bei ihm herrscht ein anderes Denken, das sich mit den genannten mythologischen Bildern besser gar nicht erst befasst. „Liberale Theologie“ zeichnet sich dadurch aus, dass sie noch so häufig zitierte Topoi der sich orthodox nennenden Kirche und ihrer Theologie eben auch guten Gewissens beiseite lässt! Das ist eine Befreiung.

Der Herausgeber des Buches, Jochen Streiter, hat im Anhang eine biographische Skizze zu Martin Werner geschrieben, er zeichnet dessen theologischen Schwerpunkt nach und bietet eine Liste der zahlreichen anderen Veröffentlichungen.
Dies ist ein lesenswertes, auch für den Dialog in Gruppen, geeignetes Buch!

Martin Werner, „Wer war der Apostel Paulus?“, Verlag Traugott Bautz, 2018, 102 Seiten, broschiert, 10 EURO.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Der unterlegene, aber siegreiche Knecht: Eine Christus-Interpretation auf Anregung Hegels

Von Christian Modehn

Es sollte versucht werden, philosophische Denkmodelle mit religiösen, christlichen Inhalten nicht nur zu konfrontieren, sondern diese christlichen Inhalte, etwa aus dem Neuen Testament, hineinzutragen in philosophischen Denk-„Modelle“. Um möglicherweise einen neuen Blick auf religiöse Traditionen zu gewinnen.

Dies gilt für die Erzählung von „Herr und Knecht“ bei Hegel („Phänomenologie des Geistes“ und „Enzyklopädie“).

Im Brief des Apostels Paulus an die Philipper (Kapitel 2, Vers 7) wird Jesus Christus erstaunlicherweise als KNECHT bezeichnet. Von dem Himmelsherrn – siehe die Mosaike der Basiliken – ist da noch keine Rede!
Die Aussage des Theologen Paulus: Der eigentlich (himmlische, ewige) „Gott-gleiche“ Christus, (der „Logos“ im johanneischen Sinne), hat sich in die Welt der Menschen begeben, hat sich ent – äußert. Er wurde hier zum Knecht, genauso, wie andere Menschen in den Verhältnissen dieser Welt auch Knechte sind. Paulus selbst verwendet in seinem Philipper – Brief das altgriechische Wort „doulos“: Das ist präzise der Knecht, sogar der Sklave. Ins Lateinische übersetzt ist dann die Rede von „servus“, Knecht und Diener.

Christen sind also Freunde eines „Knechts“, der gegen die Herren kämpft. Wer hat diese Definition Jesu Christi jemals in einem Gottesdiest gehört? In welcher Bischofskirche? In welcher Kirche in Rom=

Wenn man diesen Knecht Jesus Christus hineinschreibt in die Konstellation „Herr und Knecht“ im Sinne Hegels, ergeben sich diese Erkenntnisse:

Auch der Knecht Jesus Christus steht in seinem Leben in Judäa/Galilea, selbstverständlich, wie in der Erzählung Hegels, dem Herren bzw. historisch-konkret den Herren gegenüber. Diese sind die Mächtigen in Religion und Politik. Ihm, dem ungewöhnlichen Propheten, dem Interpreten dessen, was gottgefällig und Gesetz ist, setzen diese Herren zu, misstrauen ihm, verfolgen ihn, machen ihm den Prozess, morden ihn schließlich am Kreuz.
Dieser Knecht Jesus Christus ist ein sonderbarer Knecht, er hat – im Unterschied zu Hegels Erzählung – nicht den Willen, ein Herr zu werden oder den Herrn, bzw. die Herren, siegend zu überwältigen. Er will überzeugen, aber die Herren sind verblendet. Dem Knecht genügt es dann, die Herren in ihrer Macht zu blamieren und dadurch in ihrem „guten Ruf“ etwas zu erschüttern. Die Herren verändern sich allerdings nicht in ihrem Herr-Sein.

Jesus Christus siegt zwar nicht über diese Herren. Aber er zeigt überragende geistige und seelische Größe, er lässt sich nicht verführen hin auf die Seite der Mächtigen und deren Ideologien. Dies macht ihn in den Augen seiner Freunde dann doch zu einem (ganz anderen) „Herrn“, zu einem gewaltlosen, machtfreien Herrn.
Der Kampf zwischen Herr und Knecht endet also in der Sicht des Neuen Testaments zwar mit einem politischen Sieg der Herren dieser Welt. Jesus Christus stirbt, politisch betrachtet, als religiöser Aufrührer, als Kritiker, als Umstürzler, dann als Verfolgter, im Elend der Kreuzigung.

Aber es gibt einen dialektischen „Umschlag“: Denn Jesus hat in seiner Menschenfreundlichkeit zugunsten der Kleinen, der Vernachlässigten, der Armen, der Verachteten, eine Gemeinde der Freunde hinterlassen, einen Kreis von Frauen und Männern, die man ApostelInnen und JüngerInnen nennt. Der gescheiterte Knecht hat also förmlich eine kleine Widerstands – Bewegung der Schwachen bewirkt; sie steht den Herren ebenfalls prinzipiell kritisch gegenüber. Später ämderte sich das und da stand die Kirche aufseiten de Herrscher, bis heute, aber das ist ein anderes Thema…

Die Gemeinde der „Freunde des Knechtes Jesus Christus“ überlebt trotz Verzweiflung auch geistig den Tod ihres Vorbildes und Meisters.

Der gescheiterte Knecht Jesus Christus stirbt zwar elend. Aber seine Gemeinde, die treuen FreundInnen, wissen nach seinem Tod: Solch ein „Knecht“ kann nicht sterben. Diesen Menschen wird also die Einsicht geschenkt: Dieser gescheiterte Knecht Jesus Christus lebt. Er ist stärker als die tötende Macht der Herren. Er ist also kein unterlegener Knecht mehr. Er ist –letztlich – der Sieger. Das sind keine Wahnvorstellungen „Gestörter“. Vielmehr die Konsequenzen einer sinnvollen Lebensphilosophie, Glaube genannt.

Genau dies ist die Erfahrung, die man Ostern nennt: Der gescheiterte Knecht Jesus Christus lebt. Und zwar anders als eine „irdische“ Gestalt, anders als ein leiblicher Mensch dieser Welt. Man nennt dieses andere Leben über den Tod hinaus ein ewiges Leben, in das Jesus eingetreten ist. Denn in ihm, Jesus Christus, wirkt und lebt, wie in den Menschen, seinen Freunden auch, der göttliche Geist. Dieser ist, weil göttlicher Geist auch der ewige Geist, nicht tot zu kriegen in dieser Welt. Mit anderen Worten: Der tote Jesus liegt im Grab – und lebt … auf ewig. Daran hält sich die Gemeinde, weil sie weiß: Auch wir Menschen haben – wie Jesus – Anteil am ewigen Geist Gottes.

Die Herr-Knecht-Beziehung am Beispiel Jesu Christi hat eine allgemeine Bedeutung: Sie zeigt: Die Niederlage, das Scheitern des Knechtes, letztlich jedes menschlichen Knechtes, ist nicht definitiv das Ende. Mit anderen Worten: Es ist sinnvoll, gegen die Herren der Welt den Kampf der Menschlichkeit (und Demokratie) zu führen. Selbst die furchtbare Form der Todesstrafe, die Kreuzigung, ist kein Beweis für den definitiven Sieges der Herren dieser Welt.

Es ist das Ewige, als das Göttliche, das sich im Scheitern des Knechtes, aller Knechte, im Kampf gegen die brutalen Herren sozusagen „durchhält“ und letztlich nicht zum Verschwinden gebracht werden kann.

Diese Erkenntnis ist kein Opium der Vertröstung auf ein ewiges „Jenseits“. Diese Erkenntnis drängt sich auf, wenn man die Anwesenheit göttlichen Lebens in der von Gott „geschaffenen“ Welt trotz aller irritierender Fakten sieht. Die Welt als die von einer göttlichen Lebendigkeit „geschaffene“ Wirklichkeit mit ihrer Natur und ihren Menschen kann gar nicht anders gedacht werden, als: dass Göttliches eben auch in der Welt und den Menschen anwesend ist und lebt. Dies ist ein Bereich, in dem alle, auch die festesten „Naturalisten“ und/oder militanten Atheisten insgesamt auch eher andeutend, suchend, fragend, im „Vielleicht“ sprechen.

Die innere Verbindung der “geschaffenen“ Welt mit dem schöpferischen Gott ist der zentrale Gedanke der Philosophie Hegels, die bekanntlich insgesamt Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie ist, wie der große Philosoph Michael Theunissen gezeigt hat.

Aber die anderen, die Freunde Jesu, wissen: Wenn sie jene Menschen ehren und feiern und im Gedächtnis bewahren, die, wie Jesus Christus, den Weg der Konfrontation mit den Herren der Welt wagten und dabei ihr Leben lassen mussten: Dann sind diese mutigen Menschen über ihr Martyrium hinaus bleibend lebendig, auch inmitten der Gemeinde: Man denke an Bischof Oscar Romero (El Salvador) oder Dietrich Bonhoeffer und einige andere.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Es ist vorbei – Die katholische Kirche in Europa

Ein Hinweis von Christian Modehn. (Ein Vortrag, anlässlich des definitiven Nein von Papst Franziskus zur Aufhebung des Zölibates und des erneuten Nein zur Zulassung von Frauen zum Priesteramt im Februar 2020).

Das Motto für diesen Beitrag, treffend im Hegel-Gedenken 2020: “Denkende Menschen als Laien zu behandeln, ist das Härteste” (bezogen auf die katholische Kirche) In: “Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie” III, Frankfurt 1971, S. 297).

Ich wurde nach der Publikation dieses Beitrags gefragt: Welche Quellen, welche Studien, denn besonders wichtig sind in diesem Zusammenhang.
Ich möchte auf den bekannten französischen Historiker, Soziologen und Philosophen Marcel Gauchet hinweisen, besonders auf dessen viel beachtetes, grundlegendes Buch “Le Désenchantement du monde” (1985).Darin zeigt er: Es gibt eine Art “Sortie de la religion”, einen massenhaften Auszug aus der institutionellen Religion, besonders der Kirchen. Die religiösen Strukturen, Organisationen, finden keine Akzeptanz mehr (zumindest in Europa), hingegen wird der persönliche, der eigene religiöse Glaube bewahrt und gepflegt!
“Es gibt überhaupt keinen Gegensatz zwischen dem “Verlassen der religiösen Strukturen” (sortie de la religion), und dem Fortbestehen der persönlichen religiösen Gläubigkeit” (in: Philosophie Magazine, Paris, September 2009, Seite 54).

Mein Vortrag:

Die zentrale Erkenntnis: Eine religiöse Epoche geht zu Ende durch das sehr vielfältige, sehr zahlreiche innere wie äußere Abstandnehmen etwa vom Katholizismus. Diese Erkenntnis wird auch von Marcel Gauchet unterstützt und ausführlich dargestellt. Dieses Ende einer religiösen Epoche ist noch nicht “angekommen” bei den meisten Theologen, geschweige denn bei den Herren der Kirchenleitungen, etwa in Deutschland oder Rom. Dies zu sagen bedeutet: Eine Tatsache sagen. Und das hat mit Polemik absolut NICHTS zu tun.

1.
Eine Epoche geht jetzt zu Ende. Das spüren viele, das wissen einige: Religionssoziologen, Theologen Philosophen: Ein Umbruch, ein Epochenwandel, geschieht: Die Zeit der über Jahrhunderte dauernden, weithin machtvollen Präsenz der katholischen Kirche in den allermeisten Ländern Europas (und Nordamerikas und sogar Lateinamerikas) ist vorbei. Auf „Wunder“ eines “Rückschritts zu alten Zeiten” sollte man auch in dem Zusammenhang eher nicht setzen… Der Katholizismus ist in den genannten Regionen vielleicht institutionell und finanziell noch stark, wie ein Gerüst noch vorhanden. Aber der Katholizismus, so wie er sich heute offiziell darstellt, bewegt nicht mehr das Leben der Menschen. Die Vitalität und Kreativität ist dahin. Das ist eine auch soziologisch bewiesene Aussage. Denn nur noch explizit konservative bzw. reaktionäre Kreise stützen mit aller Polemik das alte katholische System, das entscheidend vom Klerus beherrscht wird. Nur autoritätshörige Menschen fühlen sich in einem autoritären System wohl.
Es gibt sie noch, die katholischen Gruppen und Organisationen, die, selbst autoritär strukturiert, gerade das Autoritäre, das Erstarrte, das Unwandelbare des klerikalen Katholizismus lieben und es mit allen (auch finanziellen) Mitteln verteidigen. Sie haben oft im Zusammenhang mit rechten/rechtsextremen Politikern die Netzwerke bis in den Vatikan ausgebaut. Sie verteufeln auf unverschämte Weise die letzten noch progressiven, d.h. auf lebendigen Wandel setzenden Katholiken, wie den Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer. Er wird von dem reaktionären Organ kath.net als Wolf im Schafspelz dargestellt. Das ist sozusagen katholisch-reaktionäres AFD Niveau….Aber: Abgesehen von diesem einen Beispiel: Auf sie, als die “Treuen”, hören die Päpstes, die höchsten Kardinäle, die Bischöfe etc. Diese Kreise sind die leidenschaftlichen Apologeten des “ewigen Gestern”: Opus Dei, neokatechumenale Gemeinschaften, katholische Charismatiker, Legionäre Christi, Freunde Fatimas, Freunde Pater Pios, die betuchten Kreise um Fürstin Thurn und Taxis in Regensburg etc. Sie vertreiben auf ihre Art die wenigen Katholiken, die noch -naiv – an eine demokratisch strukturierte Kirche glaub(t)en.
Diese Apologeten des Autoritären sorgen also dafür, dass es mit der katholischen Kirche in Europa zu Ende geht. Selbst wenn diese Apologeten noch kleinere Massenveranstaltungen organisieren, weiß jeder Beobachter: Es sind nur noch die engen Kreise der “Treuen”, die sich da versammeln. Sie sorgen dafür, dass die klerikal-katholische Kirche auf den Stand einer Sekte geführt wurde und wird: In sich abgeschlossen und fern vom modernen Geist. Ohne kulturelle Relevanz. Das Schlimme für diese Kreise ist nur: Ihre heiligmäßigen Stars, wie der “Vorbild Katholik” Jean Vanier, Gründer der Arche-Gemeinschaften, wird als sexueller Mißbrauchstäter post mortem entdeckt und als Beschützer eines “pädophilen” Täters aus dem Dominikaner-Orden. Zuvor wurde der Gründer der “berühmten” Mönchsgemeinschaften “Jerusalem” in Paris, Père Pierre-Marie, ebenfalls wegen heftiger “Übergriffigkeiten” belastet, abgesehen von den Mißbrauchsfällen in charismatischen Gemeinschaften wie den weltweit verbreiteten “Johannes-Brüdern” und so weiter. Von den Finanzskandalen im Vatikan und anderswo soll hier gar nicht erst die Rede sein. Genauso wenig von der Verlogenheit höchster Vatikan-Mitarbeiter, etwa Kardinäle, die selbst homosoexuell, aber allen noch katholischen Homosexuellen mit ihrer verlogen-rigiden Moral das Leben schwermachen, die international verbreitete soziologische Studie zu dem Thema, Titel des Buches “Sodom,” von Frédéric Martel, ist ja bekannt.
Die Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche ist also bei Lichte und klarem Verstande besehen dahin. Was kann für eine Glaubens-Gemeinschaft aber dramatischer sein als der Verlust der Glaub-Würdigkeit?
Die folgenden Hinweise sind nicht Ausdruck von Polemik. Sie beschreiben “nur” das Ende einer “katholischen Welt” in Europa und in Amerika.

2.
Erinnerung an einige Fakten: Es gibt immer weniger das alles entscheidende „Personal“, also den zölibatären Klerus, der im Sinne der dogmatischen Lehre der Kirche für die Leitung der Gemeinden Verantwortung übernehmen will. Der zölibatäre Klerus verschwindet, stirbt aus. Damit zusammenhängend: Der Niedergang der Gemeinden. Es gibt keine “Seelsorge” mehr, falls sie jemals von Klerikern qualifiziert, therapeutisch, geleistet wurde…Die Priester sind “Messe-Leser” geworden. Sie hetzen von einer Kirche zu anderen, um Messen zu lesen. Zu Luthers Zeiten sprach man von “Leut-Priestern”…Auch die Orden verschwinden. Das ist evident. Deren Klöster sind sehr oft Altersheime für greise Mönche und Nonnen. Und leerstehende Klöster werden verkauft, oft gewinnbringend in Luxus-Hotels umgebaut, wie in Rom, Prag, Gent und vielen anderen anderen Städten. Die sterbenden Mönche und Nonnen werden so noch einmal steinreich. Das sind evidente Tatsachen.

3.
Eine Epoche geht zu Ende: Das kann eine Form von Melancholie wecken, sozusagen als „Verlust der Kindheit“. Entscheidender ist wahrscheinlich das langsame Verschwinden kommunikativer Orte: Gemeinden hätten ja eigentlich Treffpunkte für spirituelle und nicht-spirituelle Menschen sein können. Die Gesellschaft wird ärmer an kommunikativen Möglichkeiten.

4.
Das Ende der Epoche ist vor allem von der Kirchenführung selbst verursacht worden. Es ist also keineswegs der viel beschworene Ungeist der Moderne, der die Kirche „bedroht“. Es ist die Unfähigkeit der Klerus-Kirche selbst in ihrer rigiden Bindung an die Dogmen und Gesetze, die die Kirche insgesamt ins Abseits geführt hat.

5.
Es wird viel zu wenig beachtet, vor allem in den noch verbliebenen, minoritären „Reform-Gruppen“ zugunsten eines „modernen Katholizismus“: Der Niedergang des Katholizismus ist bedingt nicht zuerst durch die klerikale Abwehr von Struktur – Reformen! Sondern durch die Sturheit des Klerus, auch tief greifende Änderungen bzw. Abschiede von irgendwann einmal fixierten Dogmen (und Traditionen) zu leisten. Die ganze Last der alten Formulierungen uralter Dogmen wird mitgeschleppt, sie bestimmt das Glaubensbekenntnis und die Sprache der Gottesdienste. Denn die Messen in „Landessprache“ verwenden ja nur unverständliche Übersetzungen aus dem lange Zeit für die meisten ebenso unverständlichen Latein. So entsteht die treffende Überzeugung, dass dem Katholizismus jegliche geistvolle Lebendigkeit, d.h. jegliche Kreativität und jeglicher Raum für Freiheit, auch des Experimentes, fehlt. Wenn man von „Synoden“ oder „synodalem Weg“ im offiziellen Katholizismus spricht, meint man ja nicht etwa demokratisch entscheidende Gremien, sondern tatsächlich nette Beratungszirkel, die die Letztentscheidung dem Klerus bzw. dem Papst in Rom überlassen muss. Der Begriff Synode in katholischen Zusammenhang ist also eine bewusste Irreführung und Täuschung, auf die einige gutwillige bzw. naive Laien immer noch reinfallen. Der in Deutschland begonnene, förmlich aus Verzweiflung geborene „synodale Weg“ ist eine solche letztlich wirkungslose Beschäftigungstherapie zum Frust-Abbau. Dabei wird er wieder nur neuer Frust erzeugen. Man denke an den rabiaten Umgang von Papst Franziskus mit den Voten der so genannten Amazonas Synode: Da war den meisten TeilnehmerInnen völlig klar: Wenigstens im Amazonas Raum sollte es sofort verheiratete Priester geben. Aber nein: Der angebliche Reformpapst Franziskus nimmt Rücksicht auf die Reaktionären im Vatikan und sagt: NEIN!

6.
Eine katholische Epoche geht zu Ende: Dafür ist vor allem verantwortlich die völlig unzeitgemäße Ablehnung von allen kirchlichen Ämtern für FRAUEN. Diese Ignoranz den Frauen gegenüber ist in der katholischen Kirche seit Bestehen dieser Organisation das größte Übel. Fünfzig Prozent der Menschheit sind ausgeschlossen von leitenden kirchlichen Ämtern. Wenn der Klerus auch heute noch behauptet: Jesus habe nur Männer als Apostel berufen, ist das eine Lüge, eine Ideologie, ein Fundamentalismus, ein Biblizismus, Thesen also, die keiner wissenschaftlichen historisch-kritischen Bibelwissenschaft standhalteb. Das weiß der Teil des gebildeten Klerus. Aber er verteidigt wider besseren Wissens seine Männer – Macht. Der Ausschluss von Frauen vom kirchlichen Priester – und Bischofsamt ist Ausdruck der Männerherrschaft, bzw. Greisenherrschaft, die kein gebildeter Mensch in Europa auch nur im entferntesten akzeptieren kann. Wie spirituell reich wäre die Kirche, wenn Frauen auch mitbestimmen könnten. Die offizielle Ideologie lässt sich auch nicht mit poetischen Formulierungen schön reden, Frauen seien doch so mütterlich, so zärtlich etc. in der Kirche und sie könnten doch auch sonst so viele nette Dinge in der Kirche FÜR den Klerus tun, „haus halten“, Blumen schmücken, kochen und beten.
Damit zusammenhängend: Diese Kirche hat die Lernbereitschaft von der Gender – Debatte versäumt. Und genauso hat die Kirche die umfassende Akzeptanz der homosexuellen Liebe und des homosexuellen Lebens verpasst. Auch in der Frage wird es keine definitive Meinungsänderung des ja mehrheitlich selbst homosexuellen Klerus geben. Diese Herren müssen nach außen hin immer brav heterosexuell erscheinen…Je homophober, desto schwuler ist der Typ selbst, heißt eine psychologische Erkenntnis.

7.
Eine katholische Epoche geht zu Ende: Beschleunigend hat der tausendfach belegte und dokumentierte sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch Priester gewirkt. Ein Ende der Freilegungen ist ja noch nicht in Sicht, man denke an Polen, Italien, Spanien, da melden sich eher zaghaft die Opfer, deren wahrhaftige Aussagen vom dortigen Klerus noch einmal bezweifelt werden.
Aber der sexuelle Missbrauch durch den Klerus hat viele Bistümern an den finanziellen Ruin geführt. Und in Deutschland haben laut repräsentativer Umfrage nur 17 % der Bevölkerung noch ein Vertrauen in die römisch-katholische Kirche. Also: Es ist vorbei…

8.
Die „religiöse Landschaft“ verändert sich. Wird Spiritualität, Frömmigkeit, Verbindung mit dem Göttlichen, wenn überhaupt nur in der privaten Sphäre gelebt? Das wäre ja prinzipiell kein Nachteil, weil dadurch wirklich jeder und jede seine eigene Spiritualität entfalten könnte. Andererseits: Der Austausch mit anderen, also eine Form der Gemeinde, bleibt wichtig. Es können sich interessierte Menschen zur „Feier von Brot und Wein“, also zur Eucharistie, außerhalb der Kirchengebäude treffen, privat oder in angemieteten Salons, Galerien, Cafés…Der Geist des Evangeliums, der Geist der Bergrpredigt, darf nicht ausgelöscht werden im Abschied von der Kirche als Organisation.

9.
Und warum sollte das Ende der Epoche des Katholizismus nicht auch eine Stunde der Ökumene sein? Vielleicht könnten sich Katholiken in protestantischen Gemeinden wohl fühlen und dort das Gemeindeleben mitprägen? Ich denke dabei nicht an die evangelikalen oder pfingstlerischen Kirchen, denn dann käme man von einem Dogmatismus in einen anderen. Das darf um der seelischen Gesundheit der Glaubenden nicht sein. Aber es gibt sie ja noch, die liberal-theologischen Gemeinden oder liberal-theologischen protestantischen Kirchen.

10.
Eine katholische Epoche geht zu Ende. Das könnte man und sollte man auch positiv wenden: Die Menschen, die Katholiken zumal, bekommen wieder ihre Köpfe frei für die wirklich dringendsten Fragen der Menschheit heute: Öko – und Klimakrise; Rassismus, Antisemitismus, Abwehr des Neofaschismus, Aufbau einer gerechten Weltwirtschaftsordnung, Gerechtigkeit für die Ärmsten der Armen etc. Das sind ja die dringenden Frage, und nicht: Ob der Papst unfehlbar ist oder nicht. Diese Themen sind “vorbei”….Gegenüber den Herausforderungen unserer bedrohten Welt sind klerikal angerichtete Probleme eher doch nur „Kinkerlitzchen“. Die man solche behandeln sollte. Oder theologisch formuliert: Zuerst geht es um das Reich Gottes, als Symbol für eine gerechte und friedliche Welt humaner Menschen. Und dann, an 2. Stelle, geht es um Fragen der Kirche. Aber wie sagte der Theologe Alfred Loisy so treffend: „Jesus verkündete das Reich Gottes. Und gekommen ist die Kirche“. Fromm gesprochen: Geben wir wieder Jesus den Vorrang, dem Lehrer der Weisheit, dem Propheten und dem Lehrer einer von Gott gegebenen Vernunft.

11.
In Afrika und einigen Ländern Asiens wird der römische Katholizismus sicher nich als übliche Instutution überleben. Die dortigen Menschen wurden im 19. Jahrhundert von konservativen Missionaren „bekehrt“, sie halten an der alten Theologie und vor allem den Kirchengesetzen weithin fest, bestes Beispiel ist der reaktionäre Kardinal Sarah aus Guinea, ein Freund von Ex-Papst Benedikt XVI. So wird der Vatikan noch die Zentrale der Macht des Katholizismus bleiben, aber die vielen Millionen treu römisch-katholischen Mitglieder werden in Afrika und Asien und vielleicht noch in Lateinamerika leben. Für junge Männer und Frauen etwa in Indien oder auf den Philippinen ist die Klerus/Nonnen – Karriere immer auch noch interessant: Sie bedeutet ja auch sozialen Aufstieg. In einen katholischen Kloster in Indien oer auf den Philippinen oder in Indonesien verhungert man als Mitglied bekanntermapen nicht, hingegen auf den entlegenen Dörfern. Dieser Klerus, die Mönche und Nonnen dort geloben zwar offiziel die Armut, sie sind aber selber vergleichsweise reich..Das Klerus/Kloster – System wird alo außerhalb Europas überleben. Man denke daran, dass heute viele Ordensgemeinschaften die Hälfte ihrer – nicht greisen – Mitglieder bereits in Asien haben; etwa die in Deutschland entstandene Gesellschaft vom Göttlichen Wort (SVD). Insofern können die Herren der Kirche im Vatikan sich doch nach gewohnter Art ruhig zurücklehnen und sich sagen: Es bleibt alles beim alten, es geht weiter wie bisher. Europa wird dann eine „quantité négligeable“. Aber spätestens in 30 – 40 Jahren (wenn das ökonomische Wachstum anhält) werden sich für den Katholizismus in Asien oder Afrika die gleichen Probleme stellen, die heute in Europa das Ende der katholischen Epoche bewirkt haben.

12.
Es ist vorbei … mit dem römischen Klerus-Katholizismus:Dies ist als wissenschaftlich begründete Überzeugung auch ein Weg ins Offene. In eine andere Zukunft. Das sollte man nicht vergessen. Die schönen Messen von Mozart, Haydn und anderen, die Barockkirchen, die Welt religiöser (katholischer) Kunst, sicher auch einige schöne Gebäude von Klöstern usw. … alles das bleibt ja, befeit von kirchlichem Zugriff. Auch das kann insgesamt eine Befreiung sein … für die Suche nach der eigenen, nach “meiner” Spiritualität. Für den einen können es Wallfahrten sein, für die andere kürzere Aufenthalte in christlichen oder buddhistischen Klöstern, für andere der soziale Einsatz für Benachteiligte, für andere die Teilnahme in einem Chor für religiöse Musik, für andere die Debatte über Mystik und so weiter. Diese Wahl neuer, je eigener Spiritualität ist alles andere als “Ersatz” für die alte vorgeschriebene religiöse Praxis. Sie kann zur Freiheit führen, auch zur Freiheit eines je eigenen Verhälnisses zum Göttlichen.

PS: Die empirischen Belege aus religionssoziologischen bzw. theologischen Studien sind bekannt: Zum ständigen Rückgang der sich als katholisch bekennenden Bevölkerung, zum ständigen Rückgang der Teilnahme an der Sonntagsmesse oder der Beichte, zum ständigen Rückgang der Zahlen der Taufen, dem ständigen Rückgang der Priesterweihen, der ständigen Zunahme der Kirchenaustritte etwa in Deutschland oder Österreich, das hohe Durchschnittsalter des noch “aktiven” Klerus wärezu bedenken; oder die ständige Aufgabe von Klöstern und so weiter.
Dass die Katholiken, die in Europa die römische Kirche verlassen und die übliche vorgeschriebene religiöse Praxis aufgeben, sagt ja keineswegs, dass sie militante “Atheisten” sind. Über diese neuen Kreise der frei “schwebenden” ausgetretenen Katholiken müssten eigene Thesen verfasst werden. Für sie und mit ihnen zusammen gibt es bisher noch keine eigenen spirituellen Orte. Ein religionsphilosophischer Salon ist ein solcher Ort!

Ich habe schon früher einige Fakten und Interpretationen zum Thema vorgestellt: Etwa zur katholischen Kirche in Frankreich, klicken Sie hier. Oder zum Zustand der Kirche angesichts eines überholten Weltbildes, bitte hier klicken.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

„Die Affäre Dreyfus“: “Intrige”. Der neue Film von Roman Polanski und der katholische Antisemitismus.

Ein Hinweis von Christian Modehn zu dem Film von Roman Polanski “J´accuse” (“Ich klage an”).
1.
Der neue Film Roman Polanskis über den „Fall Dreyfus“ bzw. die “Affäre Dreyfus”, hat in Deutschland den Titel „Intrige“.
Um die kriminellen Machenschaften der höchsten Mitglieder des Militärs und unter führenden Politikern geht es ja auch: Der jüdische Hauptmann Alfred Dreyfus wird 1894 in Paris des Landesverrates angeklagt, zu Unrecht verurteilt und in die totale Isolation auf die Teufelsinsel in Guyana verbannt.
Die Verurteilung ist einzig und allein Ausdruck des populären Antisemitismus, der weiteste Kreise der französischen Gesellschaft und des Staates zersetzte. Die französische Gesellschaft ist tief gespalten in leidenschaftliche, irrationale ANTI-Dreyfusianer und die eher kleine Gruppe der Vernünftigen. Die Republikaner haben im Unterschied zu den reaktionären Kreisen nicht vergessen, dass durch die Französische Revolution den Juden die Bürgerrechte zugesprochen wurden. Dieses „Dreyfus-Trauma“ wirkt bis heute. Unter (katholischen) Traditionalisten (etwa Anhängern Bischof Lefèbvres) und Rechtsradikalen ist Antisemitismus bis heute eine Realität, auch wenn sie sich heute nach außen hin als Israel-Freunde geben, aus dem einzigen Grund, um ihren Hass auf “den” Islam dadurch abzuschwächen.
2.
Nach der Verurteilung von Dreyfus wird Oberst Marie-Georges Picquart zum Chef der „Gegenspionage“ ernannt: Er entdeckt im Laufe seiner Recherchen, dass Alfred Dreyfus einzig, weil er Jude ist, verurteilt wurde. Picquart ist von der Unschuld von Dreyfus überzeugt. Er wird zu einem entschiedenen Vorkämpfer der Gerechtigkeit in diesem „Fall“. Um ihn, den Oberst, der nicht blind gehorcht, sondern seinem Gewissen folgt, dreht sich der Film.
3.
Der damals allmächtig herrschende Antisemitismus wird in dem Film allerdings nicht weiter analysiert, er wird nur als Faktum dargestellt: Die aufgehetzten grölenden Massen, die Verbrennung der kritischen Zeitung „LAurore“, das Beschmieren jüdischer Geschäfte mit antisemitischen Parolen, die Gerichte, die sich vom Antisemitismus leiten lassen…
Für religionsphilosophisch und theologisch Interessierte ist wichtig: Der Judenhass in Frankreich wird von der katholischen Kirche und ihrer maßgeblichen Presse verbreitet und geradezu leidenschaftlich, unverschämt in den Aussagen, gefördert. Es hätte dem Film gut getan, wenn auf diese klerikalen Wurzeln des Antisemitismus wenigstens hingewiesen worden wäre. Denn Dreyfus ist auch ein Opfer des damals vorherrschenden katholisch befeuerten allgemeinen Antisemitismus.
Das Zentralorgan des katholischen Antisemitismus ist die katholische Tageszeitung LA CROIX (Das Kreuz) in Paris: Sie gehört zum großen Verlagshaus „La bonne presse“, „Die gute Presse“, ein sehr merkwürdiger Titel: Denn „gut“ galt auch das, was antisemitisch war. Antirepublikanisch, gegen die Laicité, die Trennung von Staat und Kirche, war das Verlagshaus allemal. Es gehörte (und gehört) dem französischen Augustinerorden, der sich „Augustiner von der Himmelfahrt (Mariens)“, „Assomption“, nennt.
Über den Antisemitismus, den die Tageszeitung La Croix vor allem seit 1884 verbreitete, sind inzwischen Studien von Historikern erschienen, etwa „La Croix et les juifs“, von Pierre Sorlin, Paris 1967). Aber auch der Orden selbst hat sich – spät – seiner dunklen Geschichte gestellt. Zum Beispiel im Jahr 1998: Da hat der Augustiner und La-Croix Chefredakteur Michel Kubler ausdrücklich die Schuld eingestanden, die Schuld an den jüdischen Mitbürgern. (La Croix, Ausgabe vom 12.1.1998)
4.
Es lohnt sich aber, einige Details dieses damals üblichen, stark katholisch geprägten Antisemitismus zu nennen:
Seit 1884 wird die Feindschaft gegenüber den Juden in La Croix immer größer, dies zeigt die Studie von Pierre Sorlin. Die offizielle päpstliche Verurteilung der „Freimauerei“ im Jahr 1884 hat den Antisemitismus noch einmal befeuert, weil „man“ glaubte: Die als böse geltende Freimaurerei sei wesentlich mit dem Judentum verbunden. Ab 1889 wurde der katholische Antisemitismus noch heftiger, weil die Wirtschafts- und Finanzkrise in dem Jahr einen „Sündenbock“ brauchte und üble pauschale Verdächtigungen verbreitet wurden, so etwa: Die ganze Presse befinde sich in den Händen der Juden. La Croix rühmt sich ganz unverschämt: „Diese Zeitung ist die am meisten antijüdische Zeitung Frankreichs“, so in der Ausgabe vom 30.9.1890. Wie richtig diese Selbsteinschätzung leider ist: Die Karikaturen allein sind eine Schande! Das Verlagshaus „Bonne Presse“, „Gute Presse“, erreicht in der Zeit mindestens 500.000 Leser, das sind viele mehr, als der Erzantisemit Edouard Drumont mit seiner Zeitung „Libre Parole“ erreichte.
5.
“La Croix” hat die heftige antisemitische Hetze seit etwa 1930 aufgegeben. Und „La Croix“ gilt seit 1960 für weite Kreise als seriöse, und gar nicht so klerikale Tageszeitung, wenn auch die Bindung an die offizielle katholische Lehre eine Rolle spielt. Ausdruck für eine gewisse allgemeine Wertschätzung auch außerhalb der Kirchenkreise ist z.B. die Jahre lange regelmäßige Mitarbeit des bekannten Politologen Alfred Grosser, Paris. Pater Michel Kubler, „La Croix“ Chef-Redakteur, bittet in seinem genannten Beitrag um Verzeihung für den antisemitischen Wahn, den die Zeitung seines Ordens verbreitet hat – vornehmlich im Falle Dreyfus: „Keine Person und auch keine christliche Gemeinschaft hat Zukunft, solange sie das jüdische Volk zurückweist, aus dem ja die Christenheit geboren wurde“.
6.
Oberst Marie-Georges Picquart (1854-1914) entstammte einer streng katholisch orientierten Familie aus Strasbourg. Er selbst hat schon als junger Erwachsener die Bindung an die Kirche aufgegeben. Als Oberst sagt er – im Film von Roman Polansky- zu dem bedrängten Hauptmann Dreyfus sinngemäß: „Ich bin zwar kein Freund der Juden. Aber ich will, dass man sie gerecht behandelt“. Eine zwiespältige Haltung gewiss, aber immerhin konnte er in dieser Einstellung die große Intrige aufdecken. Und Dreyfus -spät zwar – aber “immerhin” retten und rehabilitieren.
Aber Respekt und Anerkennung sind die menschlichen Haltungen, die den Antisemitismus einschränken und hoffentlich überwinden.
Auch die große Bedeutung, die der Schriftsteller Emile Zola für die Rehabilitieung von Dreyfus spielt, angesprochen, vielleich zu kurz. “J´ accuse” ist der Titel seines leidenschaftlichen Protestes gegen das Urteil in der Tageszeitung “L Aurore” (am 13. Januar 1898). Zola wird verurteilt, er kann nach England fliehen.
Erst am 12. Juli 1906 wird Alfred Dreyfus offiziell rehabilitiert, er wird zum “Ritter der Ehrenlegion” ernannt und als Major wieder in das Heer aufgenommen. Und Picquart wird 1906 von Ministerpräsident Clemenceau zum Kriegsminister ernannt…

7. PS.: Die katholische Tageszeitung „La Croix“ lobt ausdrücklich den Film von Roman Polanski „J accuse“ („Intrige“) in ihrer Ausgabe vom 12.11.2019. Die Zeitung La Croix hat heute eine Auflage von 95.000 Exemplaren. Die Tageszeitung Libération: 92.000, die Tageszeitung Le Monde 316.000.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Evangelikale sind ein politisches Problem!

Ein Hinweis von Christian Modehn.

Wenn wenigstens 3 oder 4 Millionen Evangelikale in den USA als Wähler von Trump sich ihrer kritischen Vernunft bedienen würden, könnten sie Trump, den Psychopathen, bei den Wahlen 2020 verhindern. Sind sie dazu bereit um des Friedens willen? Oder siegt bei ihnen wieder mal die Bindung an fromme Sprüche?

Dieser Hinweis versteht sich auch als Aufforderung, endlich viel umfassender die Evangelikalen und Pfingstler wahrzunehmen und kritisch zu studieren und diese Studien weit zu publizieren. Damit die Öffentlichkeit begreift, was heute fundamentalistische christliche Kirchen, also Evangelikale und Pfingstler, für einen politischen Schaden anrichten! Der christliche Glaube gerät durch diese sehr einflussreichen Kreise wieder in den Ruf, Opium des Volkes zu sein.

Der Religionsphilosophische Salon Berlin warnt schon seit einigen Jahren vor den politischen Gefahren der evangelikalen Kirchen und Bewegungen. Das ist eine philosophisch notwendige Form der Religionskritik. Ich bin bekanntlich nicht der einzige, der evangelikale Kirchen, Gemeinden oder evangelikale Vereine etc. für politisch gefährlich hält.
Maßstab auch dieser Religionskritik kann nur die sich kritische reflektierende Vernunft sein, die der Erklärung der Menschenrechte verpflichtet ist. Ein Maßstab aus der Dogmatik einer bestimmten Religion oder Kirche kann also gar nicht in Frage kommen.

1.
Privat und in ihren Gottesdiensten können Evangelikale selbstverständlich sagen, singen und lehren, was ihnen alles so einfällt. Sollen sie doch privat die Bibel lesen als einen journalistischen, exakten Tatsachenbericht, sollen sie doch privat jeden Bibel-Vers wortwörtlich deuten. Dass diese naive Lektüre alles andere als theologisch angemessen und klug ist, dies ist ein anderes Thema. Zumal jeder, der jeden Vers der Bibel wörtlich liest, also auf die angemessene historisch-kritische Forschung am Bibeltext verzichtet, in vielfache intellektuelle und persönliche Widersprüche gerät. Aber wer mit solchen intellektuellen Widersprüchen in seiner Privatsphäre zurecht kommt, kann das tun.
Ich habe also nichts gegen Leute, die in privaten Zirkeln die Erde als eine Scheibe feiern oder glauben, die Erde sei von einem Vater-Gott im Himmel in sechs Tagen erschaffen worden.
2.
ABER: Diese Gruppen und Kirchen sollen diesen Glauben nur für sich behalten. Er darf niemals die Welt, die Gesellschaft, den Staat gestalten und schon gar nicht bestimmen. So, wie die Zeugen Jehovas ihre sehr umstrittene Bibel-Deutung für sich behalten. Sie kommen gar nicht auf den Gedanken, etwa Gesetze im Bundestag vorzuschlagen, die dann festlegen: Wer denn zu den 144.000 Gerechten und himmlisch Geretteten gehören darf; dies ist ja bekanntlich ein Lieblingsthema der Zeugen Jehovas. Sie behalten diese Meinung freundlicherweise für sich. So wie die Christian Science, die Gemeinschaft „Christliche Wissenschaft“, ihre esoterische Überzeugung von Heilung und Gesundheit nicht für die ganze Gesellschaft und als staatliches Gesetz fordert! Und das ist gut so.
3.
Aber die Evangelikalen, die sich im Umfeld der protestantischen Kirchen ansiedeln und oft Bündnispartner unter den ebenso sehr zahlreichen Pfingstgemeinden haben, diese Evangelikalen aber wollen Staaten und Gesellschaften in ihrem Sinne bestimmen. Und sie tun das. Und zwar mit aller medialen Energie. Dass es auch einige verstreute „linke“, selbstkritische Evangelikale geben mag, soll nicht bestritten werden. Aber die große Hauptströmung der Evangelikalen (ca. 330 Millionen Mitglieder im Jahr 2019) formuliert aus ihren eigenen Glaubensüberzeugungen und naiven Bibellektüren auch politische Maximen. Diese vielen Millionen evangelikaler Christen wollen mit ihrer Denkform letztlich herrschen, natürlich auch über andere und Andersdenkende.
4.
Evangelikale und Pfingstler finden etwa in den USA ihre mächtigen Gönner und Freunde, vor allem in Millionärs- und Milliardärs Kreisen. Diese neigen bekanntlich zu einer absoluten Verteidigung ihres für sie selbst schon kaum noch überschaubaren, aber heiligen „Privat-Eigentums“. Denn nichts ist angenehmer für Ultrareiche, als sich mit dem schönen Schein von bloß verbal bezeugter Frömmigkeit zu schmücken, aus der aber keine sozialen Verpflichtungen folgen. Im Gegenteil, diese Evangelikalen und Pfingstler sagen: „Wenn du reich bist, ruht der Segen Gottes auf dir“. Diese Kirchen(führer) verbreiten also ihre inzwischen fest etablierte „Theologie des Wohlstandes“ („Prosperty Gospel“). Diese Theologie wirkt sich oft aus als Verhinderung des sozialen Wandels und der politisch-ökonomischen Strukturreformen. Evangelikale sind aber politisch gesehen noch viel gefährlicher, weil sie nicht nur die Innenpolitik, die Öko-Politik und die Kulturpolitik (wie in Brasilien jetzt unter Bolsonaro) prägen und mitbestimmen, sondern auch die Außenpolitik, etwa in den USA.
5.
Diese Zusammenhänge werden jetzt einmal mehr in den USA deutlich, dort sind die Hochburgen evangelikalen und pfingstlerischen Agierens und massiven missionarischen und propagandistischen Werbens und Einfluss Nehmens! Darauf weist jetzt Malte Lehming in einem Beitrag des „Tagesspiegel“ (vom 30.1.2020, Seite 6) hin. Er zeigt, dass Präsident Trump von evangelikalen Ratgebern umgeben ist: Etwa von Paula Michelle White-Cain, die spirituelle Beraterin von Trump. Sie soll Trump die Wiederwahl zum Präsidenten 2020 im evangelikalen Milieu sichern! Dass diese Dame dreimal verheiratet war, stört die frommen US – Evangelikalen nicht. Sie hassen ja nur die Homosexuellen! Erwähnt werden muss auch der sehr einflussreiche Pastor Robert Jeffress, ein treuer Freund von Trump!. Dass der Vizepräsident Mike Pence und Minister Pompeo nicht nur „stramm“ evangelikal, sondern auch noch Mitglieder der politisch gefährlichen Bewegung „Christians United For Israel“ (CUFJ) sind: Diese CUJF zählt in den USA 8 Millionen Mitglieder. Diese Pro-Israel Christen geben sich lautstark als pro-jüdisch, aber dies aus dem christlichen Motiv: Dass das „Tausendjährige Reich Jesu Christi“ endlich komme, wie sie es in ihrem wörtlichen Bibelverständnis des NT, vor allem aus dem Buch der Johannes-Apokalypse, erschließen: Demzufolge wird Christus dieses tausendjährige Reich erst dann schaffen, wenn er in Jerusalem aus dem Himmel herabsteigen und wieder wirken kann: Dafür aber darf Jerusalem bzw. der Staat Israel in irdischer Form nicht mehr vorhanden sein. Diese angebliche Bekräftigung, die Liebe zu den Juden und zum Staat Israel steht also im Dienst so genannter christlicher Prinzipien. Letztlich denken diese Kreise: Israel wird verschwinden, darum fordern sie auch die Juden – Mission, so wollen sie in ihrem Wahn Raum schaffen für die Wiederkunft Christi! Dieses lyrische Symbol der Wiederkunft Christi verstehen sie selbstverständlich, naiv wie immer, als Faktum! Und Präsident Trump folgt dieser Linie, er braucht ja Wähler 2020! Trumps sehr anstößige, maßlose, Frieden verhindernde Vereinbarung mit Netanjahu am 28.1.2020 gehört auch zu dieser religiösen Ideologie. Vorausgegangen war ja bekanntlich die offizielle Verlegung der US Botschaft in Israel nach Jerusalem. Man lese dazu die Studie des Religionswissenschaftlers Prof. Hans G. Kippenberg (Bremen-Erfurt) „Außenpolitik und heilsgeschichtlicher Schauplatz. Die USA im Nahostkonflikt“ in dem Buch „Apokalyptik und kein Ende“, Göttingen 2007. Auf Seite 290 zitiert Kippenberg entsprechende kritische Äußerungen von jüdischen Forschern zu diesem sich pro-Israel gebenden Konzept, das tatsächlich aber verdeckt antisemitisch ist. Siehe auch meinen Beitrag über die Johannes Apokalypse. LINK.
6.
Diese Lehre von der Wiederkehr Christ in Jerusalem wird also wortwörtlich, „einfach so“, aus einem Buch des 1.Jahrunderts ins 21. Jahrhundert übertragen! Wer gegen solchen Unsinn protestiert, wird von Madame White-Cain verurteilt: „Die Gegner von Trump (also die Demokraten im weitesten Sinne) gehören einem dämonischen Netzwerk an, das im Namen Jesu zerschlagen werden muss. Es ist der Wille Jesu Christi, dass Trump Präsident ist…“ (siehe Tagesspiegel, a.a.O).
7.
Evangelikalen/Pfingstler kämpfen, nicht nur in den USA, letztlich gegen die UN Erklärung der Menschenrechte, etwa gegen die Gleichheit aller Menschen. Sie kämpfen also gegen die Anerkennung homosexuellen Lebens und Liebe und der Ehe von gleichgeschlechtlichen Partnern; gegen Abtreibung. Sie wollen einen anderen, nämlich biblischen Biologieunterricht, der die Evolutionslehre ausschließt usw. Und fast alle Frommen, auch sehr viele Katholiken natürlich, fallen weltweit darauf rein, den Kampf für das ungeborene Leben wichtiger zu finden als den Kampf für das leidende, hungernde, aber geborene Leben der Milliarden arm gemachter Menschen zu kämpfen.
8.
Der Beweis ist längst da: Die US Politik unter Trump ist auch evangelikal gesteuert, selbst wenn Katholiken wie Steve Bannon noch etwas in diesem Milieu mitmischen: Er denkt aber in vielen Fragen, zumal, was das zu fördernde Ende der Welt angeht, grundsätzlich nicht anders als die Evangelikalen.
Selbst Spuren von Religiosität wurden bei Trump im Wahlkampf 2016 nicht wahrgenommen, so Vittorio Hösle in seinem neuen empfehlenswerten Buch “Globale Fliehkräfte”, Freiburg 2019, S. 89. Bei den weißen Evangelikalen wählten 81 % Trump, im Mäz 2018 hatten 75 % der weißen Evangelikalen ein positives Bild von Trump, so Vittorio Hösle, der als Philosoph in den USA lehrt. Er schreibt: “Vermutlich ist der betont antirationalistische Zug der evangelikalen Theologie, das Gefühl, die Wendung im eigenen Herzen könne von der Welt sowieso nicht verstanden werden und sie transzendiere alle Vernunft, für diese politische Orientierung mitverantwirtlich” (S. 89)
9.
In früheren Hinweisen des religionsphilosophischen Salons wurde daran erinnert, dass jetzt in Brasilien unter Bolsonaro auch Evangelikale und Pfingstler an der Macht sind. Dass in Afrika, etwa in Nigeria, die Pfingstkirchen eine Art florierender Staat neben der schwachen Regierung bilden, in Guatemala oder auch Honduras kam es unter evangelikalen Präsidenten zu heftigen Verfolgungen und Ausrottungen der Indigenas usw. Das alles taten die Evangelikalen dort mit Unterstützung der USA, das alles ist längst erwiesen.
Selbst in Holland vertreten einige Evangelikale heute antidemokratische Positionen, etwa in Fragen der völligen Gleichberechtigung von Homosexuellen. Die freisinnigen und liberalen Kirchen wehren sich gegen diesen aus den USA importierten Wahn.
10.
Man sollte endlich wahrnehmen: Bestimmte Traditionen bestimmter christlicher Kirchen sind politisch gefährlich: Es gibt ideologisches Gift im Christentum. Ist Gottesdienst wirklich nur ein Halleluja Singen und eine Art von Tralala und ein gehorsames Lauschen auf stundenlange Monologe der “Prediger”, die danach heftig um Spenden bitten? Warum lassen sich so viele Leute von den Sprüchemachern, den so genannten „Evangelisten“, berieseln? Bisher haben viele Beobachter diesen „Fundamentalismus“ eher in extremen muslimischen Kreisen allein gesucht oder in konservativen katholischen Gruppen, wie dem Opus Dei oder in den so genannten neuen geistlichen Gemeinschaften, wie dem Neokatechumenat oder den Legionären Christi. Meine Hinweise hier sind der Kürze wegen eher allgemein, sie wollen nur sehr deutlich einen gefährlichen Trend beschreiben und philosophisch bewerten.
11.
Es wird also endlich Zeit, dass eine breite Öffentlichkeit viel stärker die Entwicklung der Evangelikalen und Pfingstler beobachtet, studiert und mit ihnen, falls möglich, in ein kritisches Gespräch tritt.
Eine Frage könnte dann sein: Wovor haben Sie so diese schreckliche Angst, dass Sie sich als Evangelikale so heftig, man möchte sagen neurotisch, an die Buchstaben eines uralten Textes klammern und nicht vertrauen, dass auch die Vernunft diesen Text erschließen kann. Glauben diese Kreise im Ernst, dass eine Bibeldeutung wider alle Regeln des vernünftigen Verstehens die grundlegende Sicherheit im Leben gibt? Sicherheit im Leben gegen alle Vernunft! Das ist ein altes Thema, ein alter Irrtum der Theologie schon in früheren Jahren, man denke an Kierkegaard oder an die frühe dialektische Theologie von Karl Barth. Ist denn das kritische Denken, ist denn die Vernunft nicht auch von Gott gegeben, wenn man es mal klassisch theologisch sagen will? Warum glauben Evangelikale nicht wirklich umfassend an eine gute Schöpfung des ganzen Menschen, also auch der göttlichen Gabe der Vernunft? Ihren Verstand setzen diese Kreise ja ständig ein, wenn es darum geht, Geschäfte zu machen, die Medien zu bedienen…
Sie argumentieren ja auch auf ihre Weise, wenn sie ihre Lehre politisch einsetzen, siehe Trump, siehe Bolsonaro…
12.
Im Grunde müssen einem die „einfachen“ Mitglieder dieser Evangelikalen Kirchen, die Mitläufer, leid tun: Sie brauchen offenbar schon aufgrund ihrer oft miserablen gesellschaftlichen und ökonomischen Stellung dieses religiöse Opium, das ihnen die (oft äußerst wohlhabende) Führer und Prediger einreden.
Was kann umfassende Aufklärung wirklich noch leisten, wenn die sozialen und politischen Verhältnisse so bleiben, wie sie sind? Und also „Evangelikale förmlich erzeugen. Religiöser Wandel steht in dialektischer Beziehung zu gesellschaftlichen und ökonomischen Reformen.
13.
Man kann gespannt sein, ob und wie die Evangelikalen in Deutschland und ihre Sprecher, Pastoren, auf diese Entwicklung ihrer “Glaubens-Geschwister” etwa in den USA und Brasilien kritisch reagieren.
14.
Befreiung vom evangelikalen Glauben
Auch dafür gibt es immer wieder überraschende Berichte. So berichtet der Soziologe Philip Francis in seinem Buch “When Art Disrupts Religion” (Oxford University Press 2017), dass ein Mann, der etliche Stunden Werke des Künstlers Rothko betrachtet hatte, von seiner evangelikalen Weltanschauung befreit wurde. Der Mann sagte:”Ich saß fünf Stunden lang da, und alles (Evangelikale) löste sich auf”. Evangelikale würden das wohl ein Wunder nennen? Und man wünscht sich mehr solcher Wunder.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Sandra Maischberger ist inkompetent: Im Gespräch mit Frau von Thurn und Taxis (in der Sendung „Maischberger“ am 22.1.2020).

Ein Hinweis von Christian Modehn, Journalist und Theologe

Man sollte sich als Moderatorin sehr gut vorbereiten, wenn man mit Frau von Thurn und Taxis spricht! Die Moderatorin sollte wissen, dass diese Dame aus Regensburg seit Jahren nicht nur zum konservativem, sondern zum reaktionären, militanten, alles Progressive verunglimpfenden Flügel des Katholizismus in Deutschland gehört! Und zudem nachweislich AFD nahe ist. LINK
Diese Dame aus Regensburg ist bekannt dafür, permanent in diesem Geist polemische, falsche Äußerungen zu verbreiten. Was mag der Redaktion bloß eingefallen sein, ausgerechnet diese Dame aus Regensburg zur aktuellen Zölibats-Diskussion zu befragen? Da muss eine Moderatorin auch deutlich und vernehmbar widersprechen, wenn die Dame aus Regensburg Unsinn redet. Das tat Frau Maischberger aber nicht. Ich hatte den starken Eindruck, sie freute sich sogar riesig über diesen Gast aus Regensburg.

Für das, was Frau Thurn und Taxis an Unsinn, wenn nicht Frechheiten, verbreitete nur einige Beispiele: Von den haarsträubenden Äußerungen zum Klimaschutz will ich kein Wort verlieren. So verblendet wie diese Person kann nur noch Mister Trump sein.

Zur Kirche:
1. Kardinal Sarah aus dem Vatikan ist bezeichnenderweise ihr Freund. Ihn aber „reizend“ zu nennen, trifft diese gehässige Person gar nicht. Man lese nur das Buch von Sarah „Gott oder Nichts“. LINK

2.Es ist eine ungeheure Frechheit, die evangelische Kirche bloß eine „politische Vereinigung“ zu nennen, wie dies die Dame aus Regensburg tut. Dagegen sollte die evangelische Kirche rechtliche Schritte einleiten. Kein Widerspruch aus dem Munde der Moderatorin war zu vernehmen!

3. Es ist totaler Unsinn zu behaupten, die Abschaffung des Pflichtzölibates sei eine Forderung allein der Kirche in Deutschland. Weltweit fordern das Bischöfe, Theologen Laien seit Jahrzehnten etc. So ignorant darf man auch als Fürstin aus Regensburg gar nicht sein. Das ist eine Blamage! Und genauso blamabel: Da kam kein inhaltlicher Widerspruch von der Moderatorin. Die Dame aus Regensburg durfte so viel ungesteuert Unsinn verbreiten. Ist das Journalismus? Dienst das der Aufklärung? Nein!

4. Welcher deutsche Bischof will denn die Kirche zerstören, wie Frau Thurn und Taxis behauptet. Woher nimmt sich die Forstwirtin aus Regensburg die Kompetenz, die Theologie des Zölibates im Fernsehen zu erklären und alle hören brav zu. Sandra Maischberger sagte etwa eher unpräzise: Verheiratete Priester dürften dann „predigen“. Darum geht’s gar nicht: Sie dürfen die Messe als Priester wie alle zölibatären Priester leiten und die „Wandlung“ vollziehen! Und genau dieses Privileg will sich der so genannte zölibatäre Klerus sichern!

5.Am schlimmsten: Die ungehörigen Attacken der Dame aus Regensburg gegen den allseits verdienten und international geehrten Bischof Erwin Kräutler vom Amazonas. Er wurde wegen seines Einsatzes für die Menschenrechte und das Evangelium dort mehrfach von mit dem Leben bedroht. Sollte die Dame aus Regensburg doch mal in die mörderischen Regionen Brasiliens reisen.

Solche Sendungen wie die genannte haben die Zuschauer nicht verdient. Sie klären nicht auf, sie bestätigen nur Vorurteile. Sind bestenfalls nette Unterhaltung! Und wer sich als Moderatorin auf das Thema Religion und Kirche einlässt, sollte kompetent sein in den Fragen und im vernehmbaren Widerspruch zu unsinnigen, gemeinen Statements.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer-Salon. de (Berlin)