Ein süßer Tod? Die „Herder–Korrespondenz“ veröffentlicht ein Heft über „Konflikte am Lebensende“

Ein Hinweis von Christian Modehn

Eine Ergänzung am 20. November: Einige LeserInnen haben mich gefragt, warum ich denn so ausführlich und kritisch zu dem Heft Stellung nehme: Die Antwort: Weil meiner Meinung nach heute niemals, also auch nicht “bloß” auf Deutschland bezogen, das Sterben der vielen Verarmten, der Flüchtlinge, der auch durch Europas Wirtschaftspolitik arm Gemachten im Süden dieser Welt ausgeblendet werden kann und darf. So wie auch keine seriöse Reflexion auf “das Gute Leben” hier in Deutschland/Europa niemals auf die Darstellung des miserablen Lebens so vieler arm Gemachter im Süden dieser Welt verzichten kann. Zumindest eine Publikation aus einem katholischen Verlag muss diesen Maßstäben folgen, sonst ist alles Reden von “katholisch” eine Irreführung und ein Werbetrick. CM.

Natürlich mag es für einige immer wieder interessant sein, trotz der förmlich unüberschaubaren Flut der Veröffentlichungen zum Sterben (weniger häufig zum Tod !) in Deutschland bzw. in der westlichen Welt doch noch einmal ein Heft zur Hand zu nehmen, das über „Konflikte am Lebensende“ informiert. Wie erwartbar geht es um die üblichen Themen Kinderhospize, Organspenden, Nah-Tod-Erfahrungen, Deutungen des neutestamentlichen Auferstehungsglaubens usw. Und natürlich geht es auch um die Frage der aktiven Sterbehilfe durch Ärzte. Die bekanntlich eine breite Mehrheit der Bevölkerung wünscht, aber diese Mehrheiten werden politisch nicht respektiert. Gerade weil die Kirchen alle noch verfügbare Macht einsetzen, pauschal aktive Sterbehilfe für Deutschland als Verbot zu erhalten. In der Hinsicht folgen die C Parteien ausnahmsweise den kirchlichen Weisungen. In der Frage der Zusammenführung von Flüchtlings-Familien tun die C – Parteien dies nicht! Familienwerte gelten den C Parteien ganz klar nur für gebürtige Deutsche.

Bemerkenswert in dem Heft ist, dass ein Gespräch mit dem Präsidenten der „Gesellschaft für humanes Sterben“, dem Philosophen Prof. Dieter Birnbacher und dem in katholischen Kreisen allseits bekannten „Psycho-Therapeuten, Theologen und Kabarettisten“ (sic! so im Heft selbst) Manfred Lütz an vorderster Stelle platziert ist. Lütz lehnt wie erwartet jegliche aktive Sterbehilfe ab. Er nennt Ärzte, die aktive Sterbehilfe leisten „seelisch kalt“, pauschal meint er sogar, „Depressionen sind heilbar“. Als guter Katholik und die C Parteien offenbar vertretend, will er Autonomie und Selbstbestimmung des einzelnen begrenzen. Katholische Ordensbrüder in Belgien, die in ihren Kliniken, dem dortigen freiheitlichen Gesetz und ihrem Gewissen folgend, Euthanasie zulassen, nennt er pauschal „skandalös und peinlich“. Prof. Birnbacher hält sanft gegen die Position von Lütz.

Ich will auf die einzelnen Beiträge nicht weiter eingehen, erlaube mir nur den Hinweis, dass auch der (einst als evangelisch auftretender) Bibelwissenschaftler katholischen Bekenntnisses Prof. Klaus Berger zu Wort kommt. Er arbeitet seit 2010, pensioniert, in der ziemlich reaktionären theologischen Ausbildung der Trappisten in der Eifel – Abtei Maria Wald, der dortige ebenfalls reaktionäre Abt wurde vom Ordensoberen kürzlich abgesetzt…Warum kann die “Herder Korrespondenz” auf diesen Bibelwissenschaftler nicht verzichten. Warum wird nicht aus entsprechenden Studien von Hans Küng zitiert? Warum ist es der Herder Korrespondenz unbekannt, dass der katholische Priester Herman Verbeek in Groningen (Niederlande) durch Euthanasie sterben wollte und tatsächlich mit ärztlicher Hilfe sterben konnte? Der katholische Bischof von Groningen nahm an der ökumenischen Trauerfeier teil. Das wären interessante Themen gewesen…Aber dafür braucht man einen freien Geist und Mut zur Kritik am bestehenden Kirchen-System!

Ich finde es vor allem sehr traurig, dass eine katholische Zeitschrift, die ja wohl noch eine gewisse Relevanz hat, auch wenn sie an keinem Kiosk zu kaufen ist, das doch allgemeine Thema Tod mit dem Untertitel „Konflikte am Lebensende“ NUR auf die deutsche Situation des Sterbens bezieht. Und man hat nach meinem Eindruck ohne jegliche Ironie den Obertitel wählt: „Komm, süßer Tod“. Dieser Satz ist Wunsch, aber selten Realität selbst in Deutschland, wo laut Untersuchungen der Bertelsmann Stiftung von 2015 nur drei Prozent der Schwerst-Kranken in den wohl rundum angenehmen Hospizen sterben. Für die meisten spielt sich „der süße Tod“ noch sehr bitter und oft sehr anonym in den Kliniken ab.

Was mich sehr kritisch stimmt ist: Eine katholische Zeitschrift begrenzt sich beim Thema Lebensende auf die eher bürgerliche Welt innerhalb der Grenzen Deutschlands. Auf das Sterben und Krepieren so vieler Tausend Menschen weltweit (bei Kriegen, die verhindert werden könnten, in den Folterlagern, den Verbrechen der US Justiz im Falle von Todesstrafe etc.) wird überhaupt nicht eingegangen in dem Heft. Es wird z.B. auch die Auseinandersetzung mit den im Mittelmeer ertrunkenen Flüchtlingen völlig verzichtet. Aber das gehört zu einem Heft, das sich explizit, laut Titel, ,vornimmt über „Konflikte am Lebensende“ zu berichten.

Es gibt ja mehr als 34.000 Flüchlinge, die im Mittelmeer bisher umkamen; selbstverständlich auch durch die Politik der Flüchtlings-Abschreckung (!) des Westens, letztlich auch von Frau Merkel und Co.. Wer beklagt zum Beispiel diese 34.000 Opfer unmenschlichen Umgangs mit Flüchtlingen. Sie mussten ihr Leben auf grausamste Weise lassen, durch Ertrinken und Verdursten usw. Wer wird diese Namen, die jetzt veröffentlicht wurden, in den Kirchen und öffentlichen Plätzen laut verlesen als Form des Gedenkens, das sich ja im Falle der Vernichtung der Juden etwa durchgesetzt hat?

Ich finde: Es ist eine enorme Begrenzung, es ist ein großer Fehler, wenn das Heft bei „Konflikten am Lebensende“ auf das gar nicht „süße Sterben“ der tausenden von Afrikanern etwa im Südsudan gar nicht eingeht, dieses Krepieren in den Lagern, dieses Geschundensein der Verhungernden im Jemen, dieses Ermordetwerden von Journalisten und Menschenrechtsaktivisten in den katholischen Ländern Lateinamerika und so weiter.

Es gibt auch ein Sterben, das durch deutsche Waffen (vielleicht von Firmen, deren Chefs und führende Mitarbeiter Katholiken bzw. Kirchensteuerzahler sind) mit verursacht ist. Ein Sterben auch aufgrund von völlig unzureichender Solidarität der Deutschen mit den Armen Afrikas usw. Es ist etwa ein Sterben der Bauern Afrikas, die unter der von Europa, auch den C Parteien, diktierten Freihandels Zone krepieren.

Man kann jedenfalls heute kein Heft über „Konflikte am Lebensende“ machen, wenn man nicht auch die tiefen seelischen Konflikte thematisiert, die doch etliche Deutsche erleben, weil Deutsche und deutsche Politiker objektiv und de facto mitschuldig sind am Tod so vieler Unschuldiger. Das Heft der Herder Korrespondenz beschreibt letztlich eine hübsche bürgerliche Welt des „süßen Todes“. Wer braucht das noch?

Man fragt sich, wurde dieses Heft als Schnellschuss publiziert, um mit dem „beliebten Todesthema“ noch etwas Geld zu verdienen? Sonst sehe ich keinen Grund für diese Publikation, abgesehen vielleicht von den Farbdrucken des katholischen Malers Michael Triegel.

Herder Korrespondenz SPEZIAL, Komm süßer Tod. November 2017, 9,95 Euro. 64 Seiten.

Meine dringende Empfehlung: Lesen Sie anstelle dieses Heftes der Herder Korrespondenz lieber den gratis verfügbaren Beitrag über die christliche Begleitung von Schwerst-Kranken auf dem Weg zur aktiven Sterbehilfe in der Schweiz. In der Monatszeitschrift „Stadt Gottes“ (der katholischen Ordensgemeinschaft “Steyler Missionare”), veröffentlicht in der Ausgabe von November 2017. Und diskutieren Sie diesen wichtigen Beitrag in Gemeinden etc. Dieser Beitrag ist Ausdruck für eine katholische Presse, die noch auf Freiheit Wert legt und Mut hat und nicht, wie die Herder Korrespondenz, offenbar ganz auf dem Kurs der C Parteien gelandet ist und eher Langweiliges produziert. Zum Beitrag in der Stadt Gottes.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

 

An welchen Gott können wir, wollen wir, heute glauben?

Unser Thema im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon am 20. Oktober 2017

Kurze Hinweise zu vielfach gestellten Fragen

Von Christian Modehn, am 18. Oktober 2017

Die allgemeine Überzeugung ist: Gott lässt sich nicht definieren. Man kann nicht in zwei Sätzen sagen, was und wer Gott ist. Dennoch: Gott ist in der philosophischen Tradition der Unendliche, der Ewige, der alles Gründende. Das gilt auch heute für viele. Oder wer es atheistisch will: Der Nicht – Gott ist jene angebliche Macht, die nicht existiert, von der wir nichts wissen, von der wir nichts ahnen. Und so bleiben Menschen allein in diesem Universum. Das nennt man metaphysisch obdachlos.

1.An welchen Gott können wir, wollen wir, heute noch glauben?

Bei dem Thema sind Voraussetzungen enthalten:  Es gibt de facto viele Gottesvorstellungen, Gottesbilder, viele Götter. Der Grund für die vielen Gottesbilder ist grundgelegt in der geistigen Verfasstheit der Menschen. Jeder Mensch hat als Individuum eine eigenen philosophische Welt, zu der dann bewusst oder unbewusst eine je individuelle Vorstellung von meinem Gott (oder eben Nicht-Gott) gehört.

Denn selbst wenn sich viele Christen nennen, dann ist in diesem Bekenntnis wieder jeweils eine bunte subjektive Vielfalt mitgegeben. In jedem Leben gibt es je nach Alter usw. verschiedene Gottesbilder.

Wenn es sich um meinen Gott handelt, hat dieser „mein“ Gott auch eine Beziehung und Gemeinsamkeit mit den Göttern der vielen anderen. Einen total individuellen Gott, den die anderen nicht verstehen, wird es nicht geben.

Vielfalt im Zusammenhang der Gottesfrage ist also eine Tatsache, es ist die Vielfalt hinsichtlich der Beschreibung des Göttlichen. Martin Luther sagt im Großen Katechismus von 1529: Das erste Gebot:Du sollst nicht andere Götter haben neben mir. Das heißt: Einen Gott haben bedeutet, etwas haben, an das ich mein Herz hänge und dem ich unbedingt vertraue“.

Da ist die Freiheit, meinen Gott zu haben, als Tatsache beschrieben. Das wurde in den Kirchen oft verschwiegen, weil die individuell Sprachfähigkeit über den je eigenen Gott nicht gepflegt wurde und man sich begnügte, das allgemeine Glaubensbekenntnis nachzusprechen. Der „wahre“ Glauben wurde im korrekten Nachsprechen des Bekenntnisses überprüft, bis heute. Was für eine Naivität.

ABER: Warum diese Reflexion überhaupt, wo sich Gott doch – theologisch gesehen – offenbart hat, etwa in der Bibel und damit offenbar Klarheit geschaffen hat: In der Bibel hat Gott nicht für Klarheit und Eindeutigkeit gesorgt. Weil die unterschiedlichen Texte von unterschiedlichen Menschen mit unterschiedlichen Glaubenserfahrungen und Gottesbildern stammen.

In der Bibel wird in Bildern gesprochen, in widersprüchlichen Bezeichnungen Gottes, gut, strafend, barmherzig,. Gerecht usw. Es ist von Wundern die Rede. Von kriegerischen Elementen, Gott als parteilicher Gott für ein Volk; „Auge um Auge, Zahn um Zahn“… etc. Das heißt: die gesamte Bibel (und der Koran) müssen mit dem kritischen Verstand gelesen werden. Die vielen Gottesbilder müssen geprüft, heute Gültiges muss erkannt werden …und dies mit Hilfe unserer selbstkritischen Vernunft.

2. Beispiele der Vielfalt? 

Ich verwende hier im Zusammenhang der Gottes – Erfahrung auch den Begriff „wichtigster Mittelpunkt im Leben“, um den sich alles individuelle Leben momentan dreht, dem man alles opfert, dem man sich hingibt, auf den man sich freut. SPORT, Fußball, wäre ein Beispiel. Man könnte von säkularen Religionen sprechen mit säkularen Göttern. Nebenbei: Die Eröffnungsfeiern von Olympischen Spielen sind quasi religiös. Für Coubertin, den Gründer der olympischen Idee, ist Sport ganz klar ein religiöses Gefühl.

Zu den Spitzensportlern: Die ganze Lebensführung dieser Sportler untersteht dem Zwang, zur Spitze der Spitzensportler zu gehören. Training ist die oberste Maxime, um die sich alles dreht. Weitere Beispiele: Sich zu Tode Arbeiten, extrem in Japan (Karoshi); Verehrung von Stars, Partei Führern etc.

3. Muss man die de facto bestehende Vielfalt als solche auf sich beruhen lassen und sie unbedingt akzeptieren?

Natürlich gibt es in den wenigen noch demokratisch sich nennenden Staaten Religions – und Bekenntnisfreiheit und damit die Freiheit, dass sich jeder und jede seinen bzw. ihren eigenen Gott wählt und de facto in der subjektiven Konkretion schafft. Insofern ist auch die Freiheit gegeben, sich seinen Gott zu wählen. Aber ist es immer Gott im emphatischen, im vernünftig vertretbaren Sinne? Vernünftig vertretbar ist ein Gottesbild, das die humane Entwicklung der Menschen fördert, etwa die Menschenrechte.

Dies ist jedenfalls die subjektive Ebene.

Die Vielfalt der Götter stand lange Jahre wie eine absolute Erkenntnis im Mittelpunkt des postmodernen Denkens. Postmoderne verstanden als ein selbstgewisses Plädoyer für die Gültigkeit vieler Meinungen, verbunden mit einer Abwehr, dass gegenüber diesen vielen Meinungen Kriterien der Wahrheit und Gültigkeit vorgebracht werden (können, dürfen).

Ich habe die Gewissheit, dass diese postmoderne Haltung heute (2017) überwunden ist. Wir leben also in post – postmodernen Zeiten.

Bei allem Respekt vor den vielen Meinungen der einzelnen wird heute wieder die Wahrheitsfrage gestellt, in dem Sinne: Kann diese oder jene Meinung, auch auf Gott bezogen, einer allgemeinen kritischen Reflexion standhalten? Also, es gilt die Toleranz der Vielfalt gegenüber mit der Wahrheitsfrage zu verbinden. Diese Wahrheitsfrage hat ihr Kriterium nicht in einem religiösen Imperativ, sondern in der Frage: Hilft dieser oder jener Gott den Menschen, sich umfassend als Mensch in Freiheit und Verantwortung zu entwickeln?

4.Philosophie und kritisches Fragen.

Damit wird also nicht wie einst für eine Art religiöser Strenge und Dogmatik der einzigen Wahrheit plädiert. Überhaupt nicht. Es wird nur schlicht darauf hingewiesen, dass in philosophischer kritischer Reflexion der Gottesfrage nicht alles Mögliche als der Weisheit letzter Schluss behauptet werden kann. Philosophie ist in dem Sinne kein Ort der Präsentation beliebiger Wahrheiten, die man auf sich beruhen lassen kann. So sehr auch die Meinung des einzelnen respektiert werden muss, aber es ist eben eine Meinung eines einzelnen, die sich wie alle Meinungen dem kommunikativen Gespräch und damit der möglichen kritischen Korrektur stellen muss. Es gibt also durchaus einen gewissen Elan der Wahrheit, dass von Gott nicht total beliebig gesprochen werden kann. Denn der einzelne behauptet ja, dass sein Gott doch sprachlich, also vernünftig artikulierbar ist. Also doch auch der vernünftigen Reflexion untersteht.

Es geht um eine Kritik an Gott und den Göttern bzw. den säkular jeweiligen „heiligen“ Mittelpunkten im Leben.

Die These ist also: Gibt es philosophisch gesehen doch noch Hinweise auf den wahren Gott, der diesen Namen verdient. Es gilt also das philosophische Prüfen zu üben. Diese Prüfung gilt auch, förmlich als Voraussetzung für die eigene religiöse Entscheidung oder die Reform der eigenen religiösen Überzeugung bzw. des eigenen Glaubens an Gott.

5. Die Voraussetzung: Philosophie ist also Religionskritik.

Und Philosophie ist und bleibt immer noch Metaphysik, weil sie zeigt: Der Mensch ist ein Wesen, das durch den Geist, die Vernunft, die Seele, bestimmt ist: Der Mensch kann mit seinem Geist, seiner Seele, das Geheimnis des Lebens berühren. Dieses letzte, gründende Geheimnis ist das, was wir Gott nennen. Ein hilfloses Wort für eine Wirklichkeit, die kaum nennbar ist. Philosophie bewegt sich also auf der Grenze zwischen Wissen und Nichtwissen, zwischen Greifen, Definieren und dem bloß Berühren können (des Göttlichen); ohne es jemals zu umfassen und zu definieren.

Wer Gott denkt, bedient sich eines Symbols, an dem das philosophische Denken doch zu einem Ende kommt, über das hinaus nichts weiter gedacht werden kann. Wo möglicherweise das begründete Schweigen eintritt: Das Göttliche als das Umgreifende, das der Mensch mit seinem Denken eben nicht umfassen kann, nicht definieren kann. Er kann es förmlich nur berühren. Aber es ist, freilich anders als ein Gegenstand, „da“. Aber wenn das Göttliche als das Letzte überhaupt Denkbare gedacht und gedanklich, dann aber auch begrifflich und eher stammelnd gesagt wird, dann wird von diesem Letzten aus wieder alles neu gedacht. Vom Letzten wird also wieder alles andere, Nicht – Letzte und Vorletzte, im Licht dieses neu gesehenen Letzten gesehen, erlebt, gesagt. Das ist die Bewegung der Philosophie- die selbstverständlich an kein Ende kommt, weil das Letzte, das Göttliche, im Laufe des Lebens je neu wieder gesehen wird…

Das Berühren des Unendlichen /Gottes ist so eigener Art, so dass manche Philosophen dieses Berühren dann als eine Art „Schweben“ bezeichnen. Mit allem Zwiespalt ist das gesagt, weil eben diese Form der ungewöhnlichen Begriffe schnell ins Lächerliche gezogen werden kann. Vielleicht ein Vergleich: Auch Poesie, auch private Poesie, etwa von Verliebten, kann schnell von anderen wahrgenommen, ins Lächerliche gezogen werden.

6. Die entscheidende Frage angesichts der Pluralität der Götter: Gibt es Kriterien für den göttlichen Gott. Warum brauchen wir das Kriterium, um Gottes willen oder um unserer, der Menschen, wegen?

Gott als Gott wird zuerst im menschlichen Geist, in der Seele, im Gemüt erlebt. Darum muss diese Frage im Zusammenhang von Geist, Seele, Gemüt erörtert werden.

Ich beziehe mich auf eine Aussagen von Wilhelm Gräb in seinem Buch „Glaube aus freier Einsicht“, S. 13: „Der Glaube der Menschen, der ein souveräner Glaube ist, ist ein Glaube, den die Menschen selbst hervorbringen, aus den Bezügen ihres Lebens, die gilt es zu durchdenken. Das ist ein Glaube, der aus dem bewussten Leben, dem Selbstverhältnis und Selbstverständnis der Menschen kommt, ein Glaube, der auf die im Leben aufrechenden Sinnfragen antwortet“ .

Die Frage ist: Ist die Vielfalt der Gottesbilder als solche hinzunehmen?

Sie ist zu respektieren. Aber die verschiedenen Gottesbilder müssen in ein Gespräch miteinander geführt werden. Dabei kann ich niemanden ein bestimmtes Gottesbild aufzwingen, etwa im Rahmen einer aggressiven Mission. Aber es wird sichtbar: Dieses oder jenes Gottesbild ist nicht akzeptabel, nicht nur weil es der Wirklichkeit eines Göttlichen unangemessen ist (ich kann nicht sinnvoll behaupten, dieser völlig genau beschreibbare Holzklotz ist für mich Gott), sondern auch, weil bestimmte Gottesbilder von Menschen in dieser Welt propagiert und durchgesetzt dann verheerende Wirkungen haben für das Zusammenleben der Menschen. Ich denke an den Gott der Nazis und der so genannten „Deutschen Christen“ als den Gott, der die Juden vernichten will, diesen Gott kann man nicht als vernünftig geltenden, also humanen Gott hinnehmen. Ich muss also manche Gottesbilder bekämpfen, so wie das Pater las Casas im 16. Jahrhundert tat, als er die Spanier anklagte, in der Eroberung Amerikas und der Tötung der Indianer aus einem falsch verstandenen christlichen Gottesbild heraus zu handeln. Heute muss man fragen: Sprechen die Frommen von Gott oder ist diese Gottes – Rede nur eine ideologisch politische Verschleierung nationalistischer Interessen, was wir momentan in Mynamar erleben in der Verfolgung von Muslimen durch Buddhisten.

7. Warum diese Frage auch politisch dringlich ist:

Im Tagesspiegel vom 13. Oktober 2017 ist ein Interview mit Robert Menasse veröffentlicht, in dem er wie viele andere treffend den Nationalismus als größte Gefahr für den Frieden darstellt. Nation hat immer mit Eroberung und Kriegen zu tun. Ich will den Nation-Begriff auf die Kirchen und Religionen beziehen: Die in sich verkapselten Konfessionen sind – wie Nationen – von Feindseligkeit gegen andere geprägt. Es wurden Kriege unter den Konfessionen geführt. Darum ist Ökumene so wichtig. Ökumene ist um der Menschen, um der Gesellschaft und des Friedens willen wichtig. Und darum müssen Abweisungen der Ökumene heute zurückgewiesen werden. Darum müsste es Ökumene unter den vielen verfeindeten Traditionen des Islam geben usw. Also Anerkennung der Verschiedenheit.

8. Gibt es ein Kriterium für einen „menschlich akzeptablen Gott“?

Kriterium der Unterscheidung kann nicht ein religiöser Glaube sein. Kriterium ist die Vernunft. Das Kriterium der akzeptablen Religion und des akzeptablen Gottesbegriffes kann nur aus der allgemeinen menschlichen Vernunft stammen im Sinne der Menschenrechte. Das aber heißt: Ein Gott, der zum Handeln gegen die Menschenrechte auffordert, ist kein Gott.

9. Welchen Gott können wir und sollten wir verehren?

Den Gott, der sich nicht greifen lässt und sich nicht definieren lässt. Den Gott, der sich in tausend Sprachen sagen lässt, ohne dass eine einzige Sprache ihn fängt.

Den Gott, der nahe ist fern, der sich nicht definieren lässt und nur berühren lässt. Den Gott, der den Menschen in seine Freiheit ruft und alle Menschen nur als gleichwertig und gleich wichtig gelten lässt.

Den Gott, den wir, obwohl unfassbares Geheimnis, doch mit der Vernunft noch berühren. Der sich niemals als nebulöses, schwammiges Gefühlsobjekt nach unserer Laune und Emotion definieren lässt.

Und doch ist Gott sagbar, in Worten, die das Wohlwollen des Gründenden, des Sinnhorizontes, deutlich machen. Gott und Güte gehören zusammen. Ein Gott, der Mord und Totschlag als göttliche Moral den Menschen nahe legt, ist kein Gott.

Wenn man sich die Frage stellt: Was ist die Welt, was der Mensch, wenn an sie klassisch in der Weise der Schöpfung verstanden: Wie ist dann der Schöpfer in der Welt zugegen?

Er ist in der Seele des Menschen zugegen. Weil zur Annahme einer Schöpfung die geistige, seelische Anwesenheit des göttlichen Schöpfers in seinem geistigen (und natürlichen) Geschöpf anzunehmen ist.

10. Warum diese Frage: Warum denn überhaupt den ganzen Aufwand, von Gott zu sprechen?

Die Frage nach dem Letzten, ob nun theistisch oder atheistisch beantwortet, ist keine Laune einiger Leute. Diese Frage drängt sich von der Struktur des Geistes selbst auf.

Wer das Geheimnis des Göttlichen im Menschen zeigt, will vor allem den Menschen in seiner (göttlichen, also nicht manipulierbaren) Würde aufzeigen. Dass diese Würde meist ignoriert wird in de Politik und der Ökonomie, ist eine Tatsache, sie spricht aber nicht gegen diese Einsicht. Wo dieses Geheimnis ignoriert wird und zerstört wird, droht eine Begrenzung des Menschen auf etwas nur Endliches. Das muss man respektieren und argumentativ die Weite des Transzendenten ins Gespräch bringen.

Zum geistigen Selbstvollzug jedes einzelnen Menschen gehört es, konsequent zu fragen, auch nach dem alles und ihn selbst Gründenden. Also herauszutreten aus der Oberflächlichkeit des Umgangs mit dem gerade Sichtbaren und Greifbaren und auf den Grund gehend fragen: Wie kommt es, dass ich auf die Welt erkennend bezogen bin? Was ist eigentlich Welt im Ganzen und was ist mein Erkennen und das Erkennen aller anderer Menschen. Und dann bin ich schnell in der unausweichlichen Frage nach dem Göttlichen. Und in der „Konstruktion“ meines Gottes.

Bisher hatte man den Eindruck, als sei die Debatte über Gott sozusagen eine spekulative, theoretische. Wenn man den Spuren folgt, die ein vernünftiger, den Menschen zugewandter Gott bedeuten kann: Dann ist klar: Eine Verbundenheit mit Gott hat immer einen Ausdruck in einer bestimmten Lebenspraxis. Allein in der gelebten Liebe kann ein Mensch der Beziehung zu seinem menschlichen Gott entsprechen. Egoismus ist dann Ausdruck der Gottlosigkeit. Alle Formen des Egoismus, der Verschlossenheit in sich selbst, also etwa auch der Nationalismus, sind in dieser Hinsicht dann Gestalten des Atheismus. Insofern leben wir heute in einer atheistischen Welt. Atheistisch ist unsere Welt nicht zuerst dadurch, dass offenbar so wenige Menschen z.B. dem christlichen Glauben und seinen Dogmen anhängen, sondern weil der Egoismus, etwa auch in der Gestalt der Abweisung der Fremden, der Flüchtlinge, heute die politisch dominante Haltung ist. Allein eine Kultur der Liebe, der Nächstenliebe, des Respekts, der Bejahung des anderen als anderen, der Vielfalt also, ist eine Kultur, die dem Begriff des menschlichen, des vernünftigen Gottes entspricht. Von ihm sprechen auch viele Texte des Neuen Testaments und der prophetischen Tradition der hebräischen Bibel.

Von dieser Erkenntnis aus geht die Aufforderung, eine gerechte Welt zu gestalten, also politisch zu werden. Dies ist der wahre Gottesdienst! Die erfahrene göttliche Liebe muss sich Ausdruck schaffen in der Gesellschaft. Dies ist das Projekt des Reiches Gottes, das nie als solches zu schaffen ist, das aber ansatzweise gestaltet und erfahren werden kann, immer dann, wenn mehr Gerechtigkeit faktisch auch für die Armen Realität wird.

 

Copyright: Christian Modehn Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

Das Ende der Ökumene? Kardinal Woelki schlägt zu

Zum Ende der Reformationsdekade ein verstörender Text

Ein Hinweis von Christian Modehn veröffentlicht am 7.Oktober 2017, auch als Einstimmung zum Reformationstag.

Die Monatszeitschrift „Herder – Korrespondenz“ veröffentlicht in ihrer Oktober Ausgabe 2017 einen Beitrag des Kölner Kardinals Rainer Maria Woelki mit dem Titel „Das Verhältnis von Katholiken und Lutheranern im Reformationsjahr: EHRLICHKEIT in der Ökumene“. Dieser Text – in einer durchaus repräsentativen katholischen Publikation – kann großzügigerweise im Internet kostenfrei herunter geladen werden. Und dann, nach dem Studium, zu ebenso „ehrlichem“ Widerspruch auffordern. Falls man dazu nach all den dogmatischen Debatten über die angebliche rechte Lehre noch die Kraft und die intellektuelle Lust verspürt.

Kardinal Woelki (Köln) zeigt kurz vor Ende der Reformationsdekade 2017 das wahre Gesicht des offiziellen Katholizismus. Alle Hoffnungen auf einen möglichen Sprung nach vorn zugunsten der Einheit der Christen werden katholischerseits in Frage gestellt, wenn nicht vernichtet. Woelki ist in der römischen Kirchenführung insgesamt nicht irgendeiner: Er ist – tatsächlich – Mitglied des “Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen”, abgesehen von Mitgliedschaften in anderen päpstlichen Kommissionen, wie der für Gottesdienste und Sakramente. Diese Kommission leitet der bekanntlich erzreaktionäre Kardinal (und Papst Franziskus – Feind) Robert Sarah aus Guinea. Wenn Woelki also nun vor weiteren Hoffnungen auf Fortschritte in der evangelisch – katholischen Ökumene warnt und diese bisher errungene Ökumene eigentlich nicht mehr will, dann ist es förmlich der Vatikan selbst, der da spricht. Ob dieser unerwartete Querschuss dieses sehr Konservativen (Woelki hat seinen Dr. theol. bekanntlich an der römischen Opus-Dei-Universität erworben) mit Papst Franziskus abgesprochen ist, wird man wohl bei der üblichen Öffentlichkeitsarbeit im Vatikan niemals erfahren.

Was ist die Grundtendenz dieses Beitrags, auf den eigentlich nur bestimmte konservativ – reaktionäre katholische Kreise gewartet haben: Zunächst: Es gibt für Woelki einen Dissens zwischen Katholiken und Protestanten in sozialethischen Fragen, Beispiel Homoehe. Die evangelische Kirche verstehe sich zudem als „Konfession der Freiheit“, und deute dabei Freiheit als Autonomie und Emanzipation. Diese beiden Werte lehnt Woelki ab, für ihn gilt, angeblich darin ein treuer Schüler des ursprünglichen Luther, an erster Stelle der so genannte Gottesgehorsam. Und dieser schwammige Begriff wird selbstverständlich katholisch einzig gültig von den Herren der Kirche, den Bischöfen, interpretiert. Selbstverständlich auch für Woelki die alten konfessionellen Differenzen in der Dogmatik und Kirchenlehre weiter, etwa die von Gott selbst gewollte Vorrangstellung des Klerus gegenüber der Gemeinde oder etwa das Herausstreichen, dass sich diese ganze Schar der Bischöfe und Päpste über all die Jahrhunderte als Apostelnachfolger begreifen. Die anderen, etwa die obersten Leiter Reformierter Gemeinden, haben da ja katholischerseits nichts zu bieten. Ist so viel katholische Arroganz eigentlich heute noch denkbar? Nebenbei: Dass viele katholische Bischöfe und Päpste im Laufe der langen Geschichte de facto Verbrecher waren, wird im allgemeinen ja von Katholiken anerkannt, aber, so lautet die kluge Lösung, es waren die Menschen, die schlecht, also gar nicht so nett wie Petrus und Jacobus, waren. Schlecht war jedoch nicht das Amt, das sie als Bösewichter ausübten…Nur auf dieser Basis ist es möglich, dass der verbrecherische Ordensgründer der Legionäre Christi, Marcial Maciel, als Verbrecher (so genannte Pädophilie u.a.) von Papst Benedikt XVI. überführt ist, dieser Orden aber weiter besteht, als hätte ein Engel ihn begründet….

Zurück zu Woelki: Es wird von ihm ein neuer Stillstand im Miteinander von Katholiken und Lutheranern eingeläutet. Die Bindung an die alten Dogmen siegt wieder einmal. Die Glaubensformeln des 4. Jahrhunderts (die einige noch sprechen, aber fast keiner mehr versteht) sollen in der autoritären Glaubensinterpretation  Woelkis also weiterhin maßgeblich sein und so die alten konfessionellen Gräber erhalten. Manche der letzten wackeren Mohikaner im ökumenischen Leben werden sagen: „Es ist zum Heulen mit diesen katholischen Bischöfen“. Wie viele Katholiken haben für die Ökumene ihre wertvolle Lebenszeit eingesetzt, nun dieses Desaster. Woelki vertreibt so wahrscheinlich viele Katholiken weiter aus der Kirche. Und freut sich über die kleinen Schar der Aufrechten und Orthodoxen und Unkritischen…

Das Skandalöse ist, dass Bischöfe wie Woelki, die ja auch als Theologen etwa in der Großstadt Köln an der Gegenwart und ihrer Zerrissenheit ein bisschen innerlich teilnehmen, nicht sehen: Dass sich durch den heute lebendigen Geist Gottes, würden weit blickende Theologen sagen, das religiöses Bewusstsein der Menschen grundlegend verändert hat: Menschen sind froh, wenn sie überhaupt noch an Gott/Göttliches als Geheimnis des Lebens glauben können. Jesus wollen sie nicht als eine Person mit zwei Naturen verehren, sondern als erlösendes, menschenfreundliches Vorbild. Gebete verstehen sie bei der berechtigten Zurückweisung des allmächtigen Wundergottes vernünftiger- und geistvoller weise als persönliche Poesie. Und Gemeinde – wie der große Schleiermachen – als Ort des Austauschs und der Feier von religiösen, vor allem menschlichen Fragen. Debatten über das richtige Verständnis der Transsubstantiation oder der apostolischen Sukzession usw. sind den Menschen in Europa (ist es in Zimbabwe oder in Uruguay anders?), mit Verlaub gesagt, völlig schnuppe. Die Menschen haben, wenn sie überhaupt noch religiös und christlich sein wollen, andere Sorgen in dieser zerrissenen Welt. Es geht um den Sinn des Lebens in einer verrückten Welt. Mehr nicht. Wenn da die Herren Erzbischöfe keine Antworten finden, können sie sich ohnehin in ihre Paläste definitiv zurückziehen und weiterhin Texte verfassen oder die immer noch reichlich sprudelnden Kirchensteuermillionen glücklich strahlend nach zählen.

Jedenfalls: Vor den globalen Problemen sind die Ausführungen von Kardinal Woelki geradezu lächerlich und kindisch. Sie sind regressiv. Weil nicht erkannt wird:  So viele Christen, Katholiken, haben genug von dem Ballast, den die Kirchen in ihrer Dogmenfixiertheit verbreiten. Sie nehmen sich zurecht die Freiheit, ihren eigenen Glauben selbst zusammenzustellen. Individuell und frei.

Dass die Menschen diesen Dogmen – Ballast nicht mehr akzeptieren wollen, zeigen die Kirchenaustritte und die leer werdenden Kirchen anlässlich der Sonntagsgottesdienste… Und bei jungen Leuten ist das Ausbleiben des Interesses am Pfarrerberuf, Ordensleben etc. ganz offensichtlich. Die Klöster machen zu. Ende. Die Letzten machen dort tatsächlich schon ständig das Licht aus, weil diese dogmatische fixierte Welt junge Menschen nicht mehr lebensmäßig bewegt und befreit. Warum denn werden in Köln und anderswo immer mehr katholische Gemeinden zusammengelegt? Weil sich kein Kölner mehr findet, der sich in die zölibatäre Lebensform einspannen lässt. Oder manche treue Seelen landen in sektiererischen Gemeinschaften strengster Lehre, wie bei den Neokatechumenalen oder den Legionären Christi. So geben Katholiken die Freiheit auf zu denken und autonom zu leben. Das wird ja von Woelki gewünscht, siehe oben. Autonomie ist sein großes Schreckgespenst, darin folgt er den (anderen) maßgeblichen Opus-Dei-Theologen.

Das heißt: Diese alte dogmatische Kirche ist de facto und geistig theologisch am Ende, das kann jeder sehen. Nur die alten Dogmatiker wie Woelki klammern sich noch an die alten Lehren und wollen diese den Menschen einpauken und dabei auch die Errungenschaften der Ökumene beschädigen: Warum wohl? Weil diese Herren der Kirche in diesem System der Dogmen und Herrschaft eben auch privilegiert gut leben und weiterhin leben wollen. Gut leben im materiellen Sinne verstanden. Aus diesem puren Egozentrismus heraus, als Liebe zur eigenen Herrschaft und Vorrangstellung („besonderes Priestertum“) machen diese Leute die Ökumene kaputt. Darum können sie nicht weit denken, nicht großzügig sein, nicht Wesentliches von historisch Gewachsenen unterscheiden.

All das interessiert uns, offen gesagt, als Religionsphilosophischer Salon Berlin nur am Rande. Wir sind philosophisch nur entsetzt, wenn Kardinal Woelki gleich im 4. Absatz seines Beitrags die Überzeugung verbreitet, es lasse sich aus dem Evangelium eine „verbindliche Ethik ableiten“. Mit Evangelium ist wohl auch der Text des Neuen Testaments gemeint. Denn nun kommt wieder einmal der absolute Wahrheitsanspruch der römischen Kirche nach vorn: „Denn aus katholischer Sicht ist die Wahrheit in Christus offenbar geworden“.

„Die“ Wahrheit also ist in den Sätzen des Buches Neues Testament enthalten. Aus diesem Buch NT soll sich, so Woelki, eine „verbindliche Ethik ableiten“ lassen. Was sagte doch gleich Jesus zur Hospizbewegung und was zu Transplantationen usw? Mit dem Evangelium Buch in der Hand soll ins politische und allgemein ethische Alltagsgeschehen hinein agiert werden. Das sehen die evangelikalen Fundamentalisten in den USA und Europa genauso. Fördert Woelki wie viele seiner bischöflichen Kollegen in den USA eine rechts-fundamentalistische Ökumene von Katholiken und Evangelikalen? Man hat stark den Eindruck.

Aber was würde denn Woelki sagen, dass bekanntermaßen auch Muslime behaupten: Aus dem Koran lässt sich eine verbindliche Ethik für den Staat ableiten? Was, wenn orthodoxe Juden kämpferisch durchsetzen, aus der hebräischen Bibel lasse sich eine verbindliche Ethik (auch gegen die Palästinenser) ableiten? Was, wenn Buddhisten sagen, aus den Weisungen des Erleuchteten lasse sich eine verbindliche Ethik fürs heutige Japan ableiten? Was, wenn Atheisten sagen, aus den Werken Nietzsches lasse sich eine verbindliche Ethik ableiten? Und so weiter? Diese hundert religiösen und weltanschaulichen Ethiken würden die Welt noch weiter zerreißen. Oder denkt Woelki gar, die Wahrheit des Evangeliums sei DIE universale Wahrheit für alle, dieser Wahrheit Roms sollten alle folgen?

Wir fragen uns: Wie theologisch begrenzt darf eigentlich ein katholischer Bischof sein? Hat Woelki, der bekanntlich an der Opus Dei Universität in Rom zum Dr. theol. promoviert wurde, mit einer umstrittenen Fleiß-Arbeit über „Die Pfarrei“, hat also Woelki niemals etwas von den modernen katholischen Universitäts – Theologen Franz Böckle oder Alfons Auer gehört? Diese zeigten schon vor Jahren eindeutig: Die Ethik der Katholiken ist eine Vernunftethik, eine autonome Ethik! Katholische Ethik entstammt nicht unmittelbar dem Evangelium. Bestenfalls kann das Evangelium einzelne ethische Haltungen verstärken, wie die Nächstenliebe, aber dies geschieht nur, nachdem die Vernunft als Kriterium angesetzt wurde.

Aus religiösen Basis- Texten wie der Bibel oder dem Koran lässt sich keine allgemeine, begründete, für alle Menschen gültige Ethik ableiten. Man lese bitte wieder einmal Immanuel Kant!

Insofern ist dieser Woelki Text auch theologisch eine Blamage. Und ein Hinweis darauf, in welchen geistigen Höhen der oberste Klerus in Deutschland sich bewegt. Wenn schon Woelki für ein wortwörtliches Übernehmen der Evangeliums Sprüche eintritt, dann sollte er bestimmte, vom Klerus nie zitierte Worte Jesu auf sich selbst und seine Kollegen anwenden: Jesus sagte den Aposteln, den Jüngern: „Nennt euch nicht Meister“. Und er sagte: „Wer der Größte sein will, sei der Diener aller“. Und vor allem sagte er, so wird überliefert: „Eher gelangt ein Kamel durch ein Nadelöhr, als ein Reicher ins Himmelreich“. Kardinal Woelki erhält als Single vom Staat ein Monatsgehalt von ca. 12.000 Euro monatlich, von allen Vergünstigungen, Dienstwohnung, Dienstwagen etc. abgesehen.

Den Woelki Text werden die noch verbliebenen Christen voller Wut beiseite legen und dann hoffentlich den eigenen, vernünftigen und jesuanischen Weg weiter gehen. Eine Schande bleibt dieser Text am Ende der Reformationsdekade allemal.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

 

 

 

Für eine erste gesamtökumenische Enzyklika: Ein Plädoyer von Pfarrer Manfred Richter, Berlin.

Die Fragen stellte Christian Modehn. Veröffentlicht am 2. Oktober 2017

Ende Oktober 2017 geht die „Dekade“ zu Ende, in der die Menschen nicht nur in Deutschland eingeladen wurden, der Reformation zu gedenken. In den Zusammenhang passt als kritischer Impuls sehr gut Ihre neue, umfangreiche und gut von den Quellen her belegte Studie, die Sie im Untertitel zurückhaltend „“Essay zum Ökumenismus“ nennen. Darin fordern Sie eine „Erste Gesamtökumenische Enzyklika“, also ein Lehrschreiben, das von allen christlichen Kirchen verfasst und unterzeichnet wird und in den je eigenen Gemeinden verbreitet werden kann. Was sollte der wesentliche Inhalt einer solchen, geradezu sensationellen ökumenischen Enzyklika sein?

   Das Faktum selbst sollte die erste Botschaft sein: Es gibt Aussagen unseres Glaubens, die wir von nun an gemeinsam aussprechen wollen, weil wir sie teilen. Diese „gesamtökumenische“ Enzyklika, also ein Lehr-Rundschreiben oberster kirchlicher Repräsentanten (etwa der konfessionellen Weltbünde, des ÖRK und des Vatikan) gemeinsam, sollte die Bereitschaft kundtun, das ernst zunehmen und umzusetzen, was bislang alle Kirchen als ihren Willen schon erklärt haben: vertiefte Gemeinschaft zu leben in Wort und Tat, soweit keine gewissensmäßigen Hindernisse mehr im Wege stehen. Das ist gerade bei den grundlegenden Fragen der Fall: Wir sprechen das gleiche Vaterunser, bekennen das gleiche Glaubensbekenntnis, haben die gleiche Heilige Schrift und wissen alle, was das höchste Gebot ist: die Gottes- und die Nächstenliebe.

Nun liegen seit vielen Jahren viele theologische Studien vor, die den tatsächlich schon gegebenen Konsens der bisher getrennten Kirchen beschreiben. Warum folgen die Kirchenleitungen, vor allem die römische Kirche, nicht diesen wissenschaftlichen Erkenntnissen? Ist es Ignoranz oder verbissener klerikaler Machterhalt?

   Der hier von Ihnen genannte Konsens, der in den strittigen Hauptfragen im Weltrat der Kirchen gemeinsam mit Rom weltweit und auch besonders in Deutschland gefunden wurde, besagt in der Tat, dass dieses Wort von einst: „Wir verwerfen die falsche Lehre …“, nämlich der jeweils anderen, so heute zwischen unseren Kirchen nicht mehr gilt. Überall hat sich das Bewusstsein verändert, durch Einsicht in eigene Versündigungen und unverantwortliche Verweigerungen untereinander; durch theologische Aufklärung und nicht zuletzt durch die Erfahrung der Herausforderungen der Zeit, besonders der verbrecherischen Regime der Nationalsozialisten und Bolschewiken – Hier entstand die Una-Sancta-Bewegung:„Wir glauben an die Eine Heilige Kirche“ in den Gefängnissen und Kriegsgefangenenlagern.. Sicher gibt es nicht wenig Mentalität „klerikaler Machterhaltung“, wie Sie sagen – das muss jede Kirche bei sich selber prüfen. Doch müssen auch die Gewissen geachtet werden, denen diese neueren Einsichten noch fremd sind, nachdem in den Kirchen fünf Jahrhunderte lang die gegenseitige Verurteilung gepredigt wurde. Und ängstlichere Gemüter, auch in Leitungsgremien, die sich an alte Auslegungen überlieferter Formeln gebunden sehen, statt sie geistbewegt neu zu denken, müssen gewonnen werden. Es soll nicht zu neuen Spaltungen kommen.

Was wäre der neue Aspekt und der neue Inhalt einer ersten gesamtökumenischen Enzyklika?

   Aufgrund des wechselseitigen Sich-Kennenlernens in nun mehr als hundert Jahren ökumenischer Bewegung zwischen den Kirchen der Protestanten und der Orthodoxen, und seit mehr als 50 Jahren auch mit der römisch-katholischen Kirche ist ein grundlegendes Vertrauen zwischen den einstigen Feinden gewachsen. Man versteht besser, wie und warum die anderen auf andere Weise glauben – und dass wir oft Gleiches oder Ähnliches meinen, wenn auch in anderen Worten oder Strukturen und Gebräuchen. Und man fängt an, zu erkennen, dass es dabei, wie schon im Neuen Testament selber und in der Kirchengeschichte immer, Unterschiede gab und geben darf, wie überall in menschlichen Kulturen. Daher kann jetzt, meine ich, ein gemeinsames Wort gewagt werden, welches das ausspricht: Tausend Jahre Feindschaft zwischen Christen im „Westen“ und „Osten“ der Christenheit ist genug, und 500 Jahre Feindschaft innerhalb der „lateinischen“ Kirche des „Westens“ sind genug: Alle einstigen Reformationsansätze blieben unvollendet. So müssen wir öffentlich bekennen, dass wir gemeinsam an das „aggiornamento“(die erneuernde Anpassung) des Christentums für sein drittes Jahrtausend herangehen müssen. Das muss eine Botschaft an die Gläubigen nach „Innen“ sein, um die Widerstände aus Gewohnheit zu überwinden. Sie muss aber ebenso nach „Aussen“gerichtet sein: wie soll sonst die christliche Versöhnungsbotschaft in einer Welt voller Machtkonflikte zwischen Religionen und Ideologien glaubwürdig sein? Daher sollte ein Schwerpunkt liegen bei der im Kern für Christen gemeinsamen sozialethischen Botschaft zu den so missachteten Menschenrechten und zur Bewahrung der bereits in hohem Masse bedrohten Schöpfung.

Warum sind Ihrer Meinung nach immer noch theologische Dokumente, Papiere, Studien, Enzykliken überhaupt notwendig, um die Einheit der Christen zu fördern?

Der Streit der Konfessionen wurde durch Theologien und ihre Ausformulierungen in Recht setzenden Dokumenten ausgefochten, welche jeweils die „Anderen“ ausgrenzten, verurteilten oder gar der Hinrichtung preisgeben. Daher muss diesen Theologien und ihren Dokumenten, wenn sie sich absolut setzen, der Giftzahn gezogen werden. Sie müssen auf den Status von Teil-Ansichten zurückgeführt werden, die einer umfassenderen Wahrheit und einer tiefer gegründeten christlichen Praxis dienlich werden müssen.  

Was verstehen Sie unter der Einheit der Christen und der Kirchen?

   Eine bunte Vielfalt lebendig gelebter christlicher Traditionen, die sich wechselseitig bereichern und jeweils selbst relativieren im Blick auf die vielen anderen Möglichkeiten, die christliche Botschaft – das Evangelium – zu leben, und das heißt eben: „Katholisch“ im Ursprungssinne dieses Wortes zu denken und zu glauben, zu beten und zu handeln. Daher sollten unsere Kirchen zunächst eine gemeinsame Stimme finden und kundtun, verständnisvoll miteinander lernend weitergehen in dem, was wir den „konzilaren Prozess“ nennen, um eine neue Form zu finden. Damit ihre großartige universale, eben ihre „katholische“ Gemeinschaft als Kirche auch sichtbar werde – als die gemeinsame geistliche Heimat der Vielen Verschiedenen, die auf dem Wege sind.

 Nun ist die heutige konfessionelle “Landschaft” unter den Christen sehr vielfältig: Man denke etwa an die vielen auch unter sich sehr gegnerischen Pfingstkirchen und an die vielen evangelikalen Bewegungen: Hat dann die Arbeit an der Einheit der Christen noch einen realistischen Bezug?

   Es kostete seit je viel Mühe, den Starrsinn und die Machtanmaßungen geistlicher Führer zu bändigen, großer Theologen oder Päpste ebenso wie von Lokalheroen oder Gurus. Nur die konsequente Einforderung der Selbstrelativierung im Angesicht Gottes und des Nächsten und das unumgehbare Liebesgebot, also die ethische Verantwortlichkeit, werden helfen, Wege zum Miteinander ausfindig zu machen, bei Anerkennung legitimer Unterscheidungen oder Besonderheiten. Der „Weltrat der Kirchen“ (Genf) ist geradezu das Labor dazu. Die Forderung einer uniformen Rechtssetzung für eine künftige Gestalt der Weltchristenheit ist abzulösen zugunsten der Suche nach Formen einer Anerkennung bereits gelebter oder möglicher Gemeinschaft auch recht verschiedener Traditionen auf der Basis von Heiliger Schrift, Credo und Vaterunser – dies, so meine ich, durchaus in neuer Gestalt im Weltmassstab. Ein gesamtchristliches Weltforum ist überfällig.

Was treibt Sie seit Jahrzehnten so an, dass Sie immer leidenschaftlich die versöhnte Verschiedenheit der Christen, also die Versöhnung und die Einheit, fördern und fordern? Ist dieses Engagement auch auf die politische Zerrissenheit der Welt bezogen?

   Meine Taufe war römisch-katholisch. Christ wurde ich, nach gutem Religionsunterricht (einschließlich Augustinus!) lutherisch; meine Wendung zur Theologie verdanke ich Romano Guardini, dem römisch-katholischen Kulturwissenschaftler und Vorkämpfer der Ökumene in NS – Zeiten. Meine Ordination verpflichtete mich der Una Sancta, für die ich in Württemberg und dann in Berlin, hier in einer Kirche der (protestantischen) Union tätig wurde, wo wir bereits in einer einzigen großen und „vielfarbigen“ (Eph. 3, 10) christlichen Gemeinschaft jeglicher Couleur leben. Wie könnte es also anders sein, als für „eine“ Stimme und auch „eine Gestalt“ der Kirche zu kämpfen, damit sie endlich in ihrer welt – bewegenden Botschaft glaubwürdig würde? Erst so, meine ich, könnte sie selbsternannten Potentaten und hasswütigen Predigern zeigen, was Sache ist. „Warten wir nicht länger“, so könnte ich einen Wahlslogan zitieren. Ich sage: Ergreifen wir den „kairós“: Den 31. Oktober 2017 als gottgegebene Gelegenheit, über den Schatten zu springen !

Copyright: Pfarrer Manfred Richter, Berlin.

Die umfangreiche Studie Manfred Richters hat den Titel: „Oh sancta simplicitas. Über Wahrheit, die aus der Geschichte kommt. Ein Essay zum Ökumenismus“. 426 Seiten, 2017, Siedlce.

“Die wahren Künstler sind die religiösesten unter allen Sterblichen”: Zum 100. Todestag von Auguste Rodin

Vor 100 Jahren, am 17. November 1917 ist der Bildhauer Auguste Rodin gestorben (geboren am 12. Nov. 1840). Der Religionsphilosophische Salon hat immer Interesse, Spuren des Religiösen und des Christlichen zu entdecken, in welchen Formen und Artikulationen auch immer. August Rodin sagte: “Si la religion n’existait pas, j’aurais eu besoin de l’inventer. Les vrais artistes sont, en somme, les plus religieux des mortels”.

Weitere Hinweise folgen.

An welchen Gott können wir, sollten wir, heute glauben? Ein religionsphilosophischer Salon anlässlich des “The­sen­an­schlags” vor 500 Jahren.

Der The­sen­an­schlag Martin Luthers vor 500 Jahren kann naturgemäß vom Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin nicht einfach übersehen werden. Das weiß nun jede(r): Am 31.10.1517 wurde eine Wende in der Geschichte nicht nur der Religionen eingeleitet… Wir stellen uns also in unserer Sitzung am Freitag, den 20. Oktober 2017, um 19 Uhr, dieser aktuellen (!) Reformations – Frage, die ein heutiger Luther stellen müsste:

An welchen Gott (Göttin) können wir, sollten wir, wollen wir heute glauben und … diesen Gott (be)denken.

Dabei stellen wir uns auch philosophisch die Frage: Selbst wer sagt, an keinen Gott zu glauben, der also das Glaubens – Bekenntnis des Atheisten ausspricht, hat doch irgendeinen anderen Gott, verstanden als absoluten Mittelpunkt in seinem Leben? Der Salon am 20. Oktober könnte auch zu einem mehr persönlich “gefärbten” Gespräch werden, um einmal den üblichen, richtigen “Abstand” vom eigenen Meinen und Fühlen im philosophischen Reden ein wenig abzuschwächen.

Herzliche Einladung also zu einem Gespräch, das auch der Reformation eigenen Denkens und Handelns dienen kann.

Wir treffen uns in der Galerie Fantom, Hektorstr. 9 in Wilmersdorf. Zur Einstimmung gibt es viele Bücher und Texte. Eine Möglichkeit ist etwa: Die “neun komma fünf Thesen” (anstelle der 95 von Luther), die ich hoffentlich als  Provokation auf diese website vor längerer Zeit schon gestellt habe.

Anmeldung also wegen der begrenzten Anzahl der Plätze erbeten an: christian.modehn@berlin.de

Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach. ARTE zeigt einen Film von Roy Andersson.

Religionsphilosophische Hinweise zu Roy Anderssons neuestem Film

Von Christian Modehn

Der Film wird auf ARTE am Mittwoch, den 23. August 2017 um 20.15 gesendet.

Manchmal müssen religionsphilosophisch Interessierte auf ihrer Vermutung beharren und „Religiöses“, vielleicht Christliches, sicher aber allgemein Spirituelles auch in Filmen suchen, die in den Kritiken kaum mit diesem religiösen Hinblick gewürdigt werden.

Das bedeutet selbstverständlich nicht, aus Kunstwerken – und das sind oft Filme, selbstverständlich die von Roy Andersson – religiöse Kunstwerke zu „machen“ oder sie gar in einen christlichen Rahmen zu stellen. Es geht nur darum, dass, oft übersehen, tatsächlich religiöse Elemente im Kunstwerk Film anwesend sind, versteckt, indirekt, in Anspielungen.

Diese religiösen und sogar spezieller christlichen Strukturen sind auch in dem Film „ Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach“ sichtbar. Diesen Film „eine schwarzhumorige Komödie“ zu nennen, wie in der Werbung geschehen, ist eine schon fast freche Banalisierung des Films, auch das Klischee „Tragikomödie“ ist unzutreffend. Es ist ein ins Nachdenken führender Film über das existentielle Leiden des Menschen. Andersson ist ein philosophischer Filmemacher!

Es sind die apathischen Menschen, existentiell am Ende, die beim Zuschauer den Wunsch und die Hoffnung wecken, es sollte ihnen besser geht. Das gilt insbesondere für die beiden Protagonisten, die Scherzartikel verkaufen wollen, aber dabei keine Erfolg haben. Sie wollen den Menschen helfen, zu lachen und Spaß zu haben, aber das gelingt nicht. Sie sind ja selbst verzweifelt. Traurig die Leute, die immer anderen am Telefon zurufen: “Ich freue mich zu hören, dass es euch gut geht“. Ihnen selbst aber geht es schlecht. Christlich im ethischen Sinne ist auch die Hilfsbereitschaft, etwa in der Kneipe, wie einem uralten, aber fast tauben Stammgast von allen anderen Gästen umständlich geholfen wird. Man brüllt ihm nach „Gute Nacht“. Oder die Liebe der Mutter zu ihrem Baby. Oder die Großzügigkeit der Kneipenbesitzerin „Humpel Lotte“ in ihrem Lokal in Göteborg: Sie ist über die liebevolle Umarmung der Soldaten so sehr erfreut, dass sie alle mit einem Schnaps belohnt. Auch die Vorstellung von einem göttlichen Gericht nach dem Tod fehlt nicht: Jonathan, einer der Scherzartikel Verkäufer, freut sich beim Hören von Kirchenliedern gar nicht, seine Eltern dort im Himmel wieder zu sehen… Er erlebt später einen schrecklichen Traum: Wie Kolonialherren die schwarzen Einwohner Afrikas, Sklaven, aneinander ketten und dann in einer riesigen Trommel verbrennen. Eine Art KZ im 19. Jahrhundert. Jonathan stellt am Schluss die entscheidende Frage: „Ist es denn richtig, andere Menschen nur zum eigenen Vergnügen zu benutzen?“ Eine Frage, die treffend von Mitbewohnern als philosophische Frage bewertet wird… Aber für eine Debatte sei es am Abend doch zu spät. „Na dann gute Nacht“, sagt Jonathan.

Dieser Film ist eine wunderbar gelungene Sammlung von Tableaus, von Bildern, die man als Standbilder bezeichnen könnte. Walter Benjamin hat „Denkbilder“ verfasst. Der Film enthält auch Denk – Bilder, die ins Religiöse weisen. Zwei Zitate aus einem Interview mit Roy Andersson, das Susanne Burg von DeutschlandRadioKultur am 27.12.2015 führte, sind hier wichtig. Andersson bezieht sich dabei ausdrücklich auf die Bibel, er sagt: „Ich liebe diese Figuren in dem Film, auch wenn ich nicht immer verstehe, was sie tun. In der Bibel, im Neuen Testament, gibt es ja diesen interessanten Satz: Gott, vergib ihnen, auch wenn sie nicht wissen, was sie tun. Und Jesus liebt solche Menschen, und er versucht seinem Vater zu sagen, dass er ihnen vergeben solle“.

Seinen ethischen Anspruch als Künstler beschreibt Andersson in dem Interview so: „Wir leben zurzeit wirklich auf der Welt in schweren Zeiten, Apathie ist eine Konsequenz. „Ich würde ganz gerne das Gegenteil von Apathie verstärken, nämlich Empathie. Ich möchte mit dem Film helfen, dass man wieder mehr Empathie empfindet. Das halte ich für sehr, sehr wichtig in der Kunst, und ich finde, man hat als Künstler Dienst an der Menschheit zu leisten und vielleicht etwas zu tun, dass die Welt weniger apathisch wird“.

Aus der Bibel-Kenntnis von Roy Andersson sollte man nicht den Schluss ziehen, er sei ein hundertprozentig frommer Lutheraner, als der er geboren wurde. Er sieht die Kirche als Organisation und die offiziellen dogmatischen Titel für Jesus Christus als viel zu eng. In „Village Voice“ (New York) schrieb Jessica Winter am 2. Juli 2002: „Born in Gothenburg (Göteborg) to a Lutheran family in 1943, Andersson never found much use for organized religion: “All the church ever told us was to obey, work hard, be loyal to the king, and don’t enjoy anything too much.” More than once in Songs, a character remarks that Christ “wasn’t the son of God—he was just a nice guy,” while an overstock of hideous plastic crucifixes provides a recurring sight gag. “Jesus represents love and generosity, but we use him as a materialistic symbol—the church is a business like any other,” Andersson maintains. “So I’m teasing a little.”

Der Film von Roy Andresson „Das jüngste Gewitter“ (2008) sollte auch auf ARTE oder im Ersten gezeigt werden. Auch dieser Film enthält viele religionsphilosophische und ethische Aspekte: Der Verfall der Menschlichkeit, die Gehässigkeit in den Beziehungen der Menschen untereinander, auch der oberflächliche Umgang mit dem Tod sind dort Themen, die angstvolle Bedrohung durch Bomber, die kein jüngstes Gericht, sondern (bloß?) ein “jüngstes Gewitter” ankündigen. Traurig die Szene, wie aus einer Kirche eine leidenschaftlich betende und bittende Frau vertrieben wird: Sie bittet als einzige lautstark Gott um Verzeihung für all die Sünden der kapitalistischen Gesellschaft, Gier, Geiz, Brutalität usw…Aber der Pfarrer will die berechtigte Klage nicht länger hören, er muss die Kirche schließen und, so wörtlich, “das Licht ausmachen”.

Roy Anderssons erster, schon damals preisgekrönter Film war „A swedish love story“ 1970. Einzigartig ist der Raum, in dem Andersson seine Filme schafft: In seinem „Studio 24“ im Zentrum von Stockholm wird alles gedreht, 200 Meter vom Königlichen Theater entfernt.

Eine Buchempfehlung: Culture, Health and Religion in the Millenium: Sweden Unparadised. Hg. von M. Demker, Y. Leffler und O. Sigurdson, Palgrave. 2014-

copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.