Warum brauchen wir eine vernünftige Religion? Zur Aktualität der „liberalen Theologie“ im Rahmen einer Sommerschule

Warum brauchen wir eine vernünftige Religion?
Zur Aktualität der „liberalen Theologie“

Die erste „Kleine theologische Sommerschule“ am 20. Juli 2013.

Von Christian Modehn

Eine „Sommerschule“ bei wahrlich sommerlicher Hitze: 23 TeilnehmerInnen waren dabei und folgten der Einladung des „Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin“ und des „Forum der Remonstranten Berlin, um entspannt nachzudenken, zu diskutieren über religionsphilosophische und theologische Themen. „Kleine theologische Sommerschule“ war der Titel, wir trafen uns in der „Kunstgalerie Fantom“ in der Hektorstr. 9, also gerade nicht in einem kirchlichen (Gemeinde-)Haus, sondern an einem der vielen Orte, wo kreatives Leben sich künstlerisch Ausdruck verschafft. Ein offener Raum für offene Diskussionen…
Als Referent und Gesprächspartner war Prof. Wilhelm Gräb, praktischer Theologe an der Humboldt Universität zu Berlin, dabei. Er vertritt explizit die „liberale Theologie“ und steht dadurch auch religionsphilosophischen Ansätzen und Interessen sehr nahe. Die TeilnehmerInnen waren sehr dankbar, dass Herr Gräb dabei war!

Warum brauchen wir eine vernünftige Religion? war das Thema. Leitend ist die Erkenntnis: Ohne vernünftige Argumente kann heute kein nachdenklicher Mensch mehr zu der Dimension geführt werden, die mit Gott bzw. dem göttlichen Geheimnis gemeint ist und dem Bezogensein auf dieses Geheimnis, eben dem Glauben. Religiöse Sprache und damit auch religiöse Texte (wie die Bibel) sind Ausdruck dieser Bezogenheit des Menschen auf das Göttliche IN ihm, dem Menschen selbst.

Es ist hier in der Kürze nicht möglich, sozusagen ein Resumée der vier Stunden unserer Sommerschule zu bieten. Wichtig war schon die Methode, die Gesprächsform: Prof. Gräb erläuterte in einem Interview von 15 Minuten seine Sicht zum jeweiligen Thema. Danach äußerten sich die TeilnehmerInnen mit Fragen und eigenen Beiträgen. „Auch ich habe dabei wie alle anderen gelernt“, sagte Wilhelm Gräb am Ende der Veranstaltung. Eine theologische Sommerschule als Ort des gemeinsamen Lernens, dieser Perspektive werden wir weiter folgen.
Wir können hier nur einige Einsichten mitteilen, sie können zur weiteren Reflexion und Forschung anregen.

Zum Thema der ersten Stunde: „Zur Frage nach dem Sinn des Lebens“: Wichtig ist die Erkenntnis, dass wir Menschen immer schon (meist unthematisch, ohne den Sinn schon benennen zu können) in einem Sinnzusammenhang leben. Jedes alltägliche Leben geschieht im Horizont eines Sinns, der, tief genug reflektiert, auf einen grundlegenden und umfassenden Lebenssinn für mich verweisen kann. Gerade in den sich immer wieder einstellenden Erfahrungen der Sinnlosigkeit, der tiefen existentiellen Irritation, spüren wir eigentlich einen Mangel des zuvor erlebten Sinnes. Und wir wollen über das Nachdenken und emotionale Spüren diesen Zustand wieder neu erlangen und beziehen uns so auf den eigentlich positiv erfahrenen Sinn. Die Bindung an einen positiven Sinn in meinem Leben kann ich eigentlich nicht „los werden“. Wir sind offenbar in den Sinnhorizont (unabwerfbar) hineingestellt.

Zum Thema der zweiten Stunde: „Was heißt religiös sein?“:
Wer im Denken und im intensiven Spüren und Erleben seines Lebens inmitten der Sinnbezüge das Geheimnis berührt, das „alles letztlich Gründende“, aber niemals Zudefinierende, kann erkennen: Dieses Geheimnis kann das alles Leben und alles Geistige Belebende sein. Ich kann mich frei darauf beziehen, etwa poetisch im Gedicht, nicht immer nur positiv gestimmt, oft eher fragend und zweifelnd. Ich kann diese Bezogenheit auch künstlerisch ausdrücken, in der Malerei, in der Musik. Ich kann vor diesem Geheimnis auch schweigend verweilen oder tanzend oder in der erotischen Ekstase. Wenn ich mich frei auf das „berührte Lebensgeheimnis“ beziehe, es bejahe und akzeptiere, dann beginnt mit dieser Entscheidung der Glaube.

Zum Thema der dritten Stunde: „Mein Glaube und die Lehren der Kirchen“. Für die liberale Theologie, als einer Theologie der Freiheit und Befreiung, wie der Name sagt, steht immer der individuell geprägte Glaube des einzelnen im Mittelpunkt. Nur das, was ich wirklich als meine religiöse Lebenshaltung gestalte und auslege, ist orientierend für mich. Anregungen können mir durchaus offizielle „kanonische“ Texte der Kirchen geben, aber sie sind eben auch Ausdruck der religiösen Überzeigungen früherer Glaubender, nicht Wort eines Gottes, der aus Himmelshöhen auf Menschen einredet. Inspirierend und „öffnend“ in der Selbstwahrnehmung und Selbstkritik ist das Gespräch in der Gemeinde /Gemeinschaft/ im “Salon“ über „je meinen“ Glauben, der vielleicht „unser gemeinsame Glaube“ wird, wenn er das nicht schon ist.
In jedem Fall wird in der liberalen Theologie die dogmatische Indoktrination oder die moralische Bestimmung von autoritären Strukturen zurückgewiesen bzw. im historischen Kontext gedeutet und relativiert. Das ist kein banaler „Relativismus“, sondern die Anerkennung des Umstandes, dass für mich eben nur das orientierend sein kann und hilfreich, das mit meiner eigenen Selbsterfahrung verbunden ist.

Zum Thema der vierten Stunde: „Was ist vernünftige Spiritualität?“ Jeder Mensch lebt als Mensch (als Leib – Seele – Geist (= spiritus!)- Einheit „immer schon“ seine je eigene Spiritualität. Dies ist eine Lebenshaltung, ein sich auf eine bestimmte Art im Leben „Halten“. Insofern leben wir in einer spirituellen Welt, weil jeder irgendwie immer schon spirituell ist und lebt. Auch der Fußball, der Sport usw. kann zum Mittelpunkt des Lebens werden. Jeder hat also immer schon irgendwo seinen „absoluten Mittelpunkt“ im Leben. Darüber könnten also alle spirituellen Menschen ins Gespräch kommen und sich dabei auch (selbst) kritisch austauschen.
Eine christliche Spiritualität in der Sicht liberaler Theologie ermuntert den oder die einzelne(n) den je eigenen spirituellen Weg zu gehen, die je eigene „religiöse Methode und Ausdrucksform“ zu finden, sich auf das göttliche Geheimnis zu beziehen: Z.B.: Für den einen sind Gottesdienste wichtig, für die andere musikalische Erfahrungen, für den anderen der diakonische ehrenamtliche Einsatz hier oder in der sogen. Dritten Welt oder die Zen-Meditation usw… Entscheidend ist nicht, ob meine Spiritualität in der Sicht irgendwelcher Kirchenoberer korrekt und richtig ist; entscheidend ist, ob es wirklich meine eigene Form des Lebens, des geistigen, d.h. spirituellen Lebens, ist.

Sich darüber herrschaftsfrei und in gegenseitiger Wertschätzung auszutauschen, wäre eigentlich Sache der christlichen Gemeinden. In unserem Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon und dem Forum der Remonstranten Berlin versuchen wir das.

PS:
Die Sommerschule wurde durch die finanzielle Hilfe der RemonstrantenKirche (NL) mit ermöglicht. Dafür herzlichen Dank!

Luis Bunuel vor 30 Jahren gestorben: “Nur auf das Geheimnis kommt es an”

Luis Bunuel vor 30 Jahren gestorben: Nur auf das „Geheimnis“ kommt es an.
Ein Hinweis von Christian Modehn

Am 29. Juli 1983 ist der spanische Filmemacher Luis Bunuel in Mexiko – Stadt gestorben, geboren wurde er am 22. Februar 1900 in Calanda, Spanien.
Warum ist es heute wichtig, an Bunuel zu erinnern? Einige Hinweise:
Unvergessen bleibt in Bunuels Film „Die Milchstraße“ eine Szene, die wie ein Gemälde sich im Gedächtnis festsetzen kann, sie wird als eine Art Schlüssel verstanden fürs Begreifen einer dogmatisch erstarrten Religion: Die Kellner eines sehr feinen französischen Restaurants streiten sich beim Eindecken der Tische über die Zweinaturenlehre: Ist Christus wahrer Gott und wahrer Mensch in einer Person? Kann es Atheismus überhaupt geben? Der Oberkellner, bestens informiert über alle Dogmen der römischen Kirche, bestreitet das. Dann klopfen zwei Clochards an, sie sind auf dem Pilgerweg nach Santiago de Compostela, haben Hunger, bitten um Brot: Der dogmatisch versierte Oberkellner schickt sie wütend weg, natürlich finden die beiden Clochards keine Liebe, kein Erbarmen in ihrer Not. Dann geht der Streit um die Dogmen des 4. Jahrhunderts unter den Kellnern ungestört weiter.
Unvergessen in demselben Film auch die Szene bei einem Schulfest einer katholischen Privatschule, auch dort landen die beiden armen Pilger, werden allerdings freundlich bewirtet: Stolz führt die Direktorin auf einer Bühne ihre Schülerinnen vor, sie sind vielleicht 8 Jahre alt: Der Reihe nach zitieren sie absolut korrekt die amtlich formulierten Verfluchungen der römischen Kirche gegenüber den Irrlehrern und Abweichlern… Indoktrination statt Bildung: Wo passiert das heute? In konfessionellen Schulen aller Couleur, in Hochschule, in Medien usw.
Bunuel selbst hat ein Jesuitengymnasium besucht, als Jugendlicher fügte er sich den Normen der explizit leibfeindlichen Erziehung, sein Betragen dort wurde gelobt; er war auch Messdiener. Der Bruch mit der engen Welt des Katholizismus begann mit dem Umzug nach Madrid, seine entscheidende Prägung erlebte er in Paris.
Religionskritik, verstanden als Kritik am Katholizismus, ist eine entscheidende Dimension im Werk Luis Bunuels. Viele Aussagen erscheinen heute, 60 oder 50 Jahre später, als wenig provokativ, so sehr ist seine damalige Religionskritik heute Allgemeingut geworden: Aber wer würde leugnen, dass auch Bunuel mit seinen Arbeiten einen entscheidenden Anteil hat an der Bildung eines religionskritischen Bewusstseins so vieler Europäer? Dabei hat Bunuel keineswegs pauschal alle Repräsentanten der Kirche kritisiert und der Doppelmoral beschuldigt. Bei den Dreharbeiten seines Dokumentarfilmes „Las Hurdes“ (1932) zeigt er das miserable, menschenunwürdige Leben so vieler Bewohner einer entlegenen Region: Einige Pfarrer dort, so sieht es Bunuel, stehen aber aufseiten der Armen, Bunuel hat dies ausdrücklich geschätzt. Auch wenn er klarmacht: Die Kirchen verraten ihren Auftrag, wenn sie den Armen nicht den Weg zum sozialen Aufstand zeigen. „Befreiungstheologische Ansätze“ sind bei dem Katholiken Bunuel nicht zu übersehen.

Weitere Biographische Hinweise und detaillierte Würdigungen zu den zahlreichen großen Filmen Bunuels sind anderweitig verfügbar.
Unser Interesse im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin führt uns zu einigen Hinweisen zur spirituellen Dimension von Bunuels Arbeiten. Schon der „Andalusische Hund“ (1929), später „Nazarin“ (1959) oder Viridiana (1961) zeigen die Scheinheiligkeit der Kirche. Viridiana durfte viele Jahre in Spanien nicht aufgeführt werden, das sehr katholische Regime von General Franco folgte selbstverständlich den Weisungen der Bischöfe. Auch „Der Würgeengel“ (1962) ist ein Meisterwerk, selten wurde so bedrückend das Erleben des Eingeschlossenseins, des Nicht aus dem Raum Treten Könnens, gezeigt. Die Menschen haben nur eine sehr begrenzte Kapazität, human zu bleiben, zeigt Bunuel, die meisten werden Bestien in Extremsituationen.
Über die surrealistische Dimension seiner (vor allem früheren) Filme ist viel geschrieben worden, in „Die Milchstraße“ (1968/1969) (La voie lactée) wird diese Weise des Erzählens noch einmal in einem „Spätwerk“ deutlich.
Uns erscheint vor allem ein Aspekt wichtig und heute überaus aktuell:
Die menschliche Wirklichkeit in ihrer Tiefe wie in ihrer Unentwirrbarkeit deutet Bunuel wesentlich als „Geheimnis“, als das „Nicht – Auflösbare“, „Niemals Zu – Erklärende“. „Ich habe nicht die Gnade, die den Glauben ermöglicht, empfangen. Was mich interessiert, das ist das Leben mit seinen Unklarheiten und Widersprüchen. Dieses Geheimnis ist schön“, so in einem Interview in Toulouse im Jahr 1964.
Die katholische Welt als Atmosphäre und (Un) Kultur hat Bunuel sein ganzes Leben begleitet, manche Kritiker meinen, die katholische Religion sei gar eine Art „Obsession“ gewesen. Was er der Kirche als Institution vorwirft: Sie erklärt mit ihren Lehren und Dogmen viel zu viel (sie weiß zu viele „Theoretisches“). „Die Leute wollen immer eine Erklärung für alles. Das ist das Ergebnis einer Erziehung während vieler Jahrhunderte. Bei allem, was die Menschen nicht verstehen, laufen sie dann zu Gott“. (ebd).
Bunuel Haltung ist deutlich: Die Menschen sollten lieber staunen und fragen, sie sollten ihre Phantasie lebendig halten und in der Bewegung des Suchens bleiben und ahnen, dass das Leben eigentlich immer Geheimnis ist und bleiben muss.
Man sollte daher in der Religion, in den Kirchen, das Wunderbare, das Geheimnis des Lebens, nicht mit der banalen Griffigkeit historisch datierbarerer, einzelner Wunder verwechseln! Mit der Banalisierung und „Vermassung“ von Wunderorten und wundertätigen Heiligen wird das nie auslotbare, nie umfassbare Geheimnis geradewegs ins Endliche hineingezogen; das göttliche Geheimnis ist „ganz woanders“. Man darf (eher schaurig) „Mysteriöse“s nicht mit „dem Geheimnis“ (dem „Mysterium“) verwechseln.
Das Wunder als Mysterium ist ein Erlebnis, ein Widerfahrnis, im Alltäglichen,. Dort lebt es als solches ohne weitere Erklärungen und Auflösungen. Das Geheimnis macht das menschliche Dasein erst wertvoll. Die Filme Bunuels sind eine Art Einweisung, die Tiefe des Lebens wahrzunehmen, der Surrealismus kann die Realität in der Tiefe ahnbar machen.

Copyright: christian modehn, religionsphilosophischer-salon.de

Für eine vernünftige Religion: Kleine Theologische Sommerschule mit Prof. Wilhelm Gräb

Kleine Theologische Sommerschule
mit Prof. Wilhelm Gräb, Humboldt Universität …. ist AUSGEBUCHT (19.7.2013)

Am Samstag, 20.Juli 2013, von 14 Uhr bis ca. 18 Uhr in der Kunstgalerie „Fantom“ in der Hektorstr. 9 in Berlin – Wilmersdorf, nahe Kurfürsten Damm.
(auch S Bhf Charlottenburg)

Warum brauchen wir eine vernünftige Religion?
Die Aktualität der liberalen Theologie“

Die Themen: – Zur Frage nach dem Sinn des Lebens. – Was heißt religiös sein? – Mein Glaube und die Lehren der Kirche. – Was ist vernünftige christliche Spiritualität?

Anmeldung bitte an: christian.modehn@berlin.de

Der Beitrag: Für Studenten gratis, sonst 10 Euro. Wir freuen uns über das große Interesse und die Anmeldungen; nun ist die “Klasse” unserer “Sommerschule” vollzählig und die Veranstaltung ausgebucht (19.7.2013).

Die Kleine theologische Sommerschule ist eine Veranstaltung besonderer Art: Theologische, philosophische und spirituelle Reflexionen werden in Form von Gesprächen mit Prof. Gräb erschlossen. Sie will ein Impuls sein, selbständig –oder in kleinen Gruppen – weiter diese Fragen zu studieren. Für Getränke ist gesorgt.

In Holland wird auf unsere Veranstatung aufmerksam gemacht:

Remonstrantenforum in Berlijn organiseert zomerschool

Voor het eerst wordt door het ‘Remonstrantenforum’ in Berlijn op 20 juli van 14.00 uur 18.00 uur een kleine theologische zomerschool gehouden. Thema is: ‘Warum brauchen wir eine vernünftige Religion? Liberal – theologische Perspektiven’ met Prof. Wilhelm Gräb, als theoloog werkzaam bij de Humboldt Universität Berlin. Lokatie: Galerie Fantom, Hektor Str. 9, Berlin Wilmersdorf, nahe Kurfürsten Damm. Kosten 10 Euro. Na afloop is er mogelijkheid voor verder gesprek en een gemeenschappelijke maaltijd. Aanmelden bij Christian.Modehn@berlin.de

Kijk ook eens op www.remonstranten-berlin.de In Berlijn timmert Christian Modehn alweer enkele jaren aan de weg voor de Remonstranten en op deze website kun je er meer over lezen. Dit voorjaar was er onder andere een groep remonstranten uit Amsterdam bij hem te gast. In het juninummer 2013 van AdRem schreef Christian Modehm nog een uitgebreid artikel over het ‘Remonstrantenforum’ in Berlijn. En voor wie binnenkort naar Berlijn wil? De theologische zomerschool is het misschien het overwegen waard.

Homoehe ist selbstverständlich: Positionen der Kirche der Remonstranten

„Homoehe“ ist für Remonstranten selbstverständlich
Ein Hinweis zur aktuellen Diskussion, oder: Von der “Gnade der theologischen Neuinterpretation”
Von Christian Modehn

Eine aktuelle Meldung zuerst: Innerhalb der vielfältigen “Gay Pride 2013” Veranstaltungen in Amsterdam findet am Freitag, den 2. August 2013, um 19 Uhr auf dem Rembrandtsplein ein Konzert statt, “Strijders vorr liefde” ist der Titel. Bei diesem “event” stehen zwei Menschen im Mittelpunkt, die es gewagt haben, sich offen zu ihrer Homosexualität zu bekennen: Sam Opia, auch Leticia genannt, ist eine der ersten Personen im afrikanischen Uganda, die sich als “transgender Frau” bekennt, in dem christlich geprägten Uganda bedeutet diese “Untat”: lebenlänglich ins Gefängnis! Auch Robbie Rogers wird in Amsterdam dabei sein, der erfolgreiche Fußballer hat sich in einem noch immer homophoben Milieu (auch der Fans!) geoutet. Bei der Amsterdamer Gaypride 2013 wird an die Verletzung von Menschenrechten nachdrücklich erinnert; die Remonstranten – Kirche unterstützt dieses Projekt auch finanziell. (verfasst am 18.7.2013).

……

Welche Position hat die protestantische Kirche der Remonstranten zur sogen. „Homoehe“ ? Diese Frage wurde uns in den vergangenen Tagen häufig gestellt; offenbar hat die neueste „Orientierungshilfe“ des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland“ (EKD) breite Irritationen verursacht: Der Rat der EKD hat im Juni 2013 unter dem Titel “Zwischen Autonomie und Angewiesenheit. Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken“ Vorschläge unterbreitet, die Ehe neu zu verstehen, ohne dabei die umfassende und gerechte Gleichberechtigung homosexueller Menschen zu vernachlässigen. Diese Schrift hat nicht nur unter konservativen Kreisen innerhalb der EKD Widerspruch gefunden, vor allem in der römisch katholischen Kirche wird aufs heftigste gegen diese Orientierungshilfe polemisiert; es wird von bischöflicher Seite aus mit dem Abbruch der angeblich guten ökumenischen Beziehungen zwischen Protestanten und Katholiken gedroht. Auf diese Weise will man die freie theologische Debatte offenbar machtvoll unterbinden und den römischen Kurs für alle christlichen Kirchen durchsetzen. Interessante Perspektiven jedenfalls zum bevorstehenden Luther – Jubiläum… Selbst die sonst eher noch vernünftig erscheinende Wochenzeitschrift „Christ in der Gegenwart“ aus dem katholischen Herder Verlag redet jetzt, in der Ausgabe vom 7. Juli 2013, in wilder und unvernünftiger Wut, möchte man sagen. Das Blatt unterstellt der EKD, blind „Zeittrends“ hinterherzulaufen. Ein paar Zeilen vor dieser Anklage wurde den um volle Gleichberechtigung der Homosexuellen bemühten Organisationen gar „subtile, kollektive Gehirnwäsche“ unterstellt. Uns scheint, wieder einmal in religionskritischem Zusammenhang unseres Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salons: Diejenigen, die sich auf „das“ biblische Eheverständnis berufen, haben kein Verständnis für eine kritische –historische Lektüre der Bibel; sie klammern sich an die wenigen biblischen Verse in AT und NT, die sich mit der Verbindung von Mann und Frau befassen. Aus dem -sehr offen formulierenden – biblischen Spruch “Gott schuf die Menschen als Mann und Frau” leiten sie gar die Ausschließlichkeit der heterosexuellen Ehe ab. Diese Texte sind bekanntlich nicht nur vor mindestens 2000 Jahren geschrieben, in einer Welt, die noch keine Sexualwissenschaft und Psychologie usw. kannte. Darüber sind in diesen Erzählungen frommer Menschen vor 2000 Jahren und früher vor allem jedoch mit götttlicher Vollmacht ausgestattete Plädoyers enthalten, die Liebe als das Höchste hochzuschätzen…Die Bibel ist also kein Ehekompendium für heterosexuelle Eheleute, sondern eine Aufforderung zu Liebe und Gerechtigkeit. Das vergessen alle, die heute die Hetero Ehe für das höchste Gut halten.
Wir wollen uns auf diese Polemik konservativer und ach so biblischer Kreise nicht weiter einlassen, diese Polemik wirkt sehr parteiisch, wird wohl auch mit parteipolitischen Optionen etwa für die CDU (Wahl im September 2013!) gefüttert.
Die protestantische und freisinnige Kirche der Remonstranten hat im Jahr 1986 ihre Kirchenordnung nach einer etwa zehnjährigen Diskussion verändert, um dem gewandelten Verständnis von Homosexualität endlich auch theologisch – kirchlich Rechnung zutragen und um Gerechtigkeit für Menschen unterschiedlicher sexueller Orientierung zu realisieren: Seit 1986 also ist es für die Remonstranten selbstverständlich, dass homosexuelle Paare den kirchlichen Segen in den Remonstranten Kirchen erhalten können, auch in einem Sonntagsgottesdienst, ganz offiziell als normale Feier.Homopaare können also ihre „Ehe“ kirchlich feiern. Noch einmal: Diese kirchliche Feier ist selbstverständlich und wird als solche nicht in Frage gestellt. Die Homosexualität ist für Remonstranten normal, wie es auch Sexualwissenschaftler und Psychologen betonen, Homosexualität ist nur eine seltener vorkommende Form von Sexualität.
Die Remonstranten waren 1986 also die erste Kirche weltweit, die sich für diese offizielle Segnung entschieden hatte, sie bietet diese kirchliche Feier auch homosexuellen Paaren an, die nicht der Remonstranten Kirche angehören.
Entscheidend ist, dass die neue Kirchenordnung der Remonstranten jetzt alle Beziehungen zwischen Menschen, ob nun hetero – oder homosexuell, einfach nur „Levensverbintenis“ nennt, also, wörtlich übersetzt:„Lebenskontrakt“ bzw. „Lebensvertrag“ nennt. Auf den Begriff „Ehe“ wird verzichtet, weil er zu exklusiv noch an die Verbindung zwischen Heterosexuellen erinnert. „Der Grundgedanke dabei war, dass alle Theologie eben auch von der Gnade der Neuinterpretation (etwa der Bibel) lebt“, so in dem empfehlenswerten Buch „Coming Out Churches“, Meinema Verlag, 2011, Seite 68). “Gnade der Neuinterpretation” dieses Wort mögen sich etwa die Gegner der EKD Studie einmal “auf dem Mund zergehen lassen”.
Dieser Schritt der Remonstranten, homosexuelle Menschen als absolut gleichwertig in jeder Hinsicht zu sehen, wurde damals – wie nicht anders zu erwarten bei Christen, die Bibelsprüche immer dann wörtlich nehmen, wenn es ihnen ideologisch passt – heftig kritisiert. Aber es gab auch vereinzelte katholische Stimmen, die der Veränderung der Kirchenordnung der Remonstranten zustimmten, wie etwa vonseiten des damaligen Studentenpfarrers in Amsterdam, des Jesuiten Pater Jan van Kilsdonk. Er bezeichnete die Homosexualität ausdrücklich als „eine Erfindung des Schöpfers“,
Der niederländische Gesetzgeber hat dann im Jahr 2001 als erstes Land der Welt überhaupt die bürgerliche Ehe auch für homosexuelle Menschen geöffnet, das war 15 Jahre nach dem Beschluss der Remonstranten. Nebenbei: Die Remonstranten gehören selbstverständlich zum “Ökumenischen Rat der Kirchen in Holland”, sie sind Mitglied im “Weltrat der Kirchen in Genf”…
Inzwischen hat der Allgemeine Sekretär der Remonstranten, der Theologe Tom Mikkers, zusammen mit dem Reformierten Pastor Wiellie Elhorst, ein Buch publiziert, das einen landesweiten Überblick bietet zur Möglichkeit der Segnung von Lesben und Schwulen: „Coming out churches“ ist der Titel, (siehe oben). Denn inzwischen sind neben den Remonstranten auch etliche Gemeinden der offiziellen Protestantischen Kirche der Niederlande (PKN) „zum Segen bereit“, sowie grundsätzlich die Kirche der Mennoniten (Doopgezinde in NL), die „Apostolisch Genootschap“ und die „Vrijzinnige Geloofsgemeenscap NPB“. Hinzukommen auch die „Basisgemeiden“ wie „Dominikus“ , „de Duif“ oder die „Studentenecclesia“ (gegründet von Huub Oosterhuis) in Amsterdam.
Die Remonstranten haben sich jedenfalls gefreut, als sie im Jahr 2010 von dem landesweit hochgeschätzten (und gar nicht immer kirchlch gesinnten) Verein zur homosexuellen Emanzipation (COC) einen Preis der Anerkennung erhielten. Aber die Remonstranten wissen auch, dass sich die Verfolgung und Unterdrückung von Homosexuellen, etwa in christlich geprägten Staaten Afrikas, wie Uganda, Nigeria oder Simbabwe, auf offizielle Texte der Kirchen in Europa berufen kann. Denn in diesen Texten wird noch immer – direkt oder indirekt – ein minderer Status, eine größere Wertlosigkeit, homosexuellen Lebens hoch tönend fortgeschrieben. Diese verheerende, weil oft genug – indirekt -tödliche Wirkung angeblich so frommer und bibeltreuer Texte aus europäischen Kirchen, vor allem aus Rom, sollte man nicht vergessen.
In Holland waren es die Eltern homosexueller Kinder, die endlich kirchlichen Respekt für ihre Töchter und Söhne forderten. Bei den Remonstranten haben sie offene Ohren gefunden, eine Kirche, die zu tiefgreifenden Reformen in der Lage ist. Schließlich geht es ausschließlich darum, die Liebe zwischen zwei Menschen allseitig zu fördern und zu unterstützen.

Die Hetero (Ehe) Paare verlieren gar nichts, schon gar nicht werden sie diskriminiert oder gar verfolgt und ins Elend getrieben, wenn es auch Homo (Ehe) Paare gleichberechtigt gibt und diese heiraten und Kinder adoptieren und erziehen.

Copyright: Christian Modehn, religionsphilosophischer salon berlin.

Ja und Nein zu den Menschenrechten: Aktuelles zur katholischen Kirche in Brasilien

Ja und Nein zu den Menschenrechten: Ein aktuelles Lehrstück aus Brasilien

Unser Beitrag über die “Universalität der Menscherechte” hat viel Interesse gefunden. Aus aktuellem Anklass weisen wir nun auf die Kämpfe um die Geltung der Menschenrechte in Brasilien jetzt, am 24. Juni 2013, hin:

Es sind Millionen Menschen, die im Juni 2013 für einen grundlegenden Wandel in Brasilien eintreten, hin zu mehr Gerechtigkeit, mehr Respekt vor den Armen und sehr viel weniger Korrruption; diese Menschen fordern ein Ende der allseitigen Bevorzugung der Reichen: Ein Aufbruch, wenn nicht eine Revolution findet statt. Diese Menschen wollen nicht länger die fest etablierte Koalition aus Feudalherren im Nordosten (mit der Duldung sklavenähnlicher Zustände, der ökologischen Katastrophen usw.) und der Politiker, Medienbosse und Gewerkschaftsführer im reichen Süden hinnehmen. Diese Menschen können sich mit der Rücknahme der Preiserhöhungen im öffentlichen Nahverkehr, einer unbeholfenen Geste der Regierung, nicht begnügen.
Die überwiegende Mehrheit der Demonstranten sind friedliche Bürger, die nichts anderes fordern als Gerechtigkeit. Sie fühlen sich betrogen, als neuer Mittelstand in einen Konsumrausch getrieben worden zu sein, der ihnen nur hohe Verschuldung brachte…Die Schwäche der brasilianischen Gesellschaft und des Staates wird jetzt vor aller Augen offen gelegt und als ein überwindbarer (!) Fehler des Systems dargestellt. Bisher hatten sich alle Beobachter, auch die Brasilianer in ihrer grenzenlosen Geduld, damit abgefunden, in Brasilien eine der am wenigsten egalitären Gesellschaften der Welt sehen zu müssen. Nur ein Beispiel: Das Mindestgehalt beträgt etwa 240 Euro im Monat. „Die Preise für die Transportmittel sind denen in Frankreich ähnlich“, betont Jean – Jacques Kourliandsky, Forscher am geopolitischen Forschungs – Institut „Iris“ in Frankreich.
Nun erreicht uns ein Hinweis eines brasilianischen Freundes: Inzwischen hat die Brasilianische Bischofskonferenz CNBB am 21. Juni 2013 erklärt, dass sie „Solidarität und Unterstützung“ den Demonstrierenden gewährt, „damit das Land mit weniger Ungleichheit lebt“. Ausdrücklich wird die Gewalt auf der Straße angeklagt; ebenfalls wird ausdrücklich die Korruption und die Intoleranz kritisiert zurückgewiesen.
Diese Worte werden von vielen Beobachtern jedoch als unglaubwürdig betrachtet, pflegt doch die katholische Kirche entgegen ihrer großen Worte nach außen, in die Gesellschaft hinein, keine Toleranz nach Innen, also innerhalb der Kirche: “Die katholische Kirche “tut immer so als ob”, schreibt unser Freund aus Sao Salvador Bahia, der lieber ungenannt bleiben möchte, sie “tut so als ob” sie die Menschenrechte absolut und umfassend verteidigen würde. Unser Freund weist darauf hin: Ein bekannter brasilianischer Priester, der offen die Liebe homosexueller Menschen verteidigt und vernünftig und richtig findet, wurde noch am 29. April 2013 exkommunziert, also kurz vor den offiziellen Lobeshymnen der Bischöfe für die Menschenrechte. Nicht mehr katholisch sein soll also der Priester Roberto Francisco Daniel (48 Jahre) aus dem Bistum Bauru im Staat Sao Paulo. Für einen englischsprachigen background Artikel klicken Sie bitte hier. In vielen theologischen Zeitschriften der USA, Spaniens usw. wurde auf diese Exkommunikation hingewiesen, in Deutschland leider nur selten. Der Pfarrer hatte sich geweigert, seine theologische Position zurückzunehmen und öffentlich Abbitte zu leisten. Er hatte dringend gefordert, dass die Kirche ihre Haltung zur Homosexualität verändert. „Die Liebe kann in allen Formen aufbrechen“, betonte Pater Daniel, der in Bauru sehr beliebt ist und dort Padre Beto genannt wird. Seine Konsequenz: „Ich kann nicht mehr in einer Institution leben, die die Freiheit der Meinung nicht respektiert”. Der Bischof von Bauru sagte: “Pater Beto verstößt gegen die katholische Moral und die Dogmen“. Bischof Caetano Ferrari beruft sich dabei auf den § 1364 des Kirchenrechts.
Diese Entscheidung in Bauru gibt nun all denen Recht, die lesbische und schwule Menschen gern diskriminieren und verprügen und oft auch töten, gerade in der von Machismo geprägten Kultur Lateinanerikas: Das ist auch in Brasilien immer noch Realität. Die Feinde der Menschenrechte, also auch die verblendeten Feinde homosexuellen Lebens, können nun also auf ihre Art, darin den Bischöfen folgend, exkommunizieren, also wörtlich übersetzt, eben aus der Gemeinschaft, der Gesellschaft, ausstoßen.
Sind die brasilianischen Bischöfe wirklich so blind, dass sie diese Zusammenhänge nicht sehen? Die kirchliche Mitschuld an dem Verbrechen der gesellschaftlich hoch gepuschten Homophobie gilt keineswegs ja nur für Brasilien, sondern für Polen, Rußland, Griechenland, für die katholischen Diktatoren in Afrika (Der Diktator und bekennende Katholik Mugabe, Simbabwe, ist häufiger Gast im Vatikan) oder auf den “vorbildlich” katholischen Philippinen.
Die FAZ meldet am 24.6. 2013, dass es Gesetzesvorhaben in Brasilien gibt, Homosexualität als Krankheit zu definieren und – wie früher schon in den USA – “weg- zu therapieren”. Kranke werden abgeschoben, ausgegrenzt, “exkommuniziert”. Damit wird an die Macht der Medien erinnert, die zu einem großen Teil in den Händen pfingstlerischer Millionäre und fundamentalistischer Prediger sind. Die “Universale Kirche vom Reich Gottes” spielt da eine entscheidende Rolle. Manche naive Beobachter in Europa nennen diese Finanzunternehmern “Frei-Kirchen”. Sie haben einige Millionen Mitlieder, weil sie Reichtum als höchste Gnade verheißen und als erstrebensert darstellen. Und es wird berichtet, dass die katholische Kirche Brasiliens diese pfingstlerische Begeisterungsspiritualität mit den ewigen Alleluja Rufen in den katholischen Glauben integriert;die Katholiken sollen also auch jubeln und “lallen” (Glossolalie). Und diese sogen. pfingstlerische Begeisterung geht so weit, dass ein ursprpünglicher Befreiungstheologe, Leonardo Boff, diese Pfingstkirchen jetzt ausdrücklich lobt. So weit geht die Verzweiflung darüber, dass das ursprüngliche Projekt ganzheitlicher Befreiung vom Vatikan verboten wurde. Jetzt jubilieren und lallen enthusiastisch die Armen und der Mittelstand… und die Befreiungstheologie ist am Verschwinden…
Ob Papst Franziskus, der Freund “der” Armen, davon gehört hat? Wird er bei den katholischen Weltjugendtagen in Rio de Janeiro Mitte Juli 2013 davon sprechen? Wird er sich entschuldigen, für die vielen tödlichen Konsequenzen der Exkommunikationen von Minderheiten seiner Kirche?

copyright: Christian Modehn

Menschenrechte gelten universal

Menschenrechte gelten universal

Ein Hinweis anlässlich eines Beitrags von Prof. Heinrich August Winkler, em. der Humboldt Universität Berlin, erschienen in „Die Zeit“ am 20.6.2013. Wie der katholische Bischof von Chur, Vitus Huonder, die Menschenrechte theologisch – “fundamentalistisch” relativiert, lesen Sie am Ende des Beitrags.

Von Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Vor 20 Jahren fand in Wien eine – von 171 Staaten mit Delegationen besuchte – Konferenz über die Menschenrechte statt, sie endete am 25. Juni 1993. Dabei handelt es sich um ein Ereignis, darin wurden die Menschenrechte zur Leitschnur staatlichen Handels offiziell erklärt. Das ist viel, auch wenn sich so wenige Politiker faktisch daran halten. Ohne solche Erklärungen („IDEALE“) wird Politik zum technokratischen Getue.
Ausnahmsweise sei der Kürze halber wikipedia zitiert werden: „Jeglichem Kulturrelativismus wird mit der Abschlusserklärung die Grundlage entzogen. Diese Weltmenschenrechtskonferenz brachte auch die erste internationale Erklärung hervor, die die Gewalt gegen Frauen thematisierte. Mehrere hundert Menschen- und Frauenrechtsorganisationen beobachteten diesen Menschenrechtsgipfel der UNO“.

Leider fand diese Konferenz – bei der Fülle so vieler Gedenktage – diesmal, 2013, nicht die dem Rang des Ereignisses entsprechende Aufmerksamkeit. Darum weisen wir auf einen Beitrag des Historikers Heinrich August Winkler hin, der zwar nicht aus Anlass dieses 20 jährigen Jubiläums geschrieben wurde. Aber er zeigt in aller Deutlichkeit, diesmal vonseiten eines Historikers, dass die Menschenrechte universale Gültigkeit beanspruchen müssen. Der Artikel erschien in „Die Zeit“ vom 20.6. 2013 mit dem Titel „Das Beste vom Westen“

Wir folgen den Inspirationen Prof. Winklers und entwickeln seine Vorschläge weiter:
Sind die Menschenrechte relativ, so könnte man fragen? Ja, heißt die Antwort, wenn man mit dieser Frage daran erinnern will, dass sie in historisch „relativen“, also kulturell durchaus bedingten Umständen entstanden sind, eben in Europa und den USA. Aber sie sind entscheidend gerade NICHT relativ, weil erstens jede Erkenntnis in einem kulturell relativen Umfeld entsteht; im „Allgemeinen und Universalen“ kann keine menschliche Erkennntnis entstehen, weil es diese allgemeinen Ausgangsbedingungen nicht gibt. Der Satz des Thales ist in Griechenland „gefunden“ worden, aber er gilt, wie alle wissen, nicht nur in Griechenland. Er ist universal. So sind auch Menschenrechte formuliert worden in einer bestimmten Zeit und unter bestimmten Bedingungen. Wie sollte es auch anders sein? Aber gerade bei dieser nun einmal notgedrungen „relativen“ Herkunft sind sie universal und gelten also für alle Menschen, alle Wesen, die menschliches Antlitz tragen. Relative Herkunft und universale Gültigkeit schließen einander absolut nicht aus.
Das gilt auch, wenn diese Menschenrechte in den ersten Fassungen von 1776 (Amerika) und 1789 (Frankreich) durchaus aus heutiger Sicht unvollkommene Formulierungen sind. Es fehlt etwa im 19. Jahrhundert noch – fast verständlicherweise möchte man sagen, wegen der kulturellen Begrenzungen – das Menschenrecht der Frauen. Aber unter dem Anspruch, Menschen – Rechte formuliert zu haben, konnte dann eine kontinuierliche Weiterentwicklung dieser Menschenrechte stattfinden; diese Entwicklung ist bis heute nicht an ein Ende gekommen, gerade wenn man an die sozialen oder ökologischen Dimensionen denkt. So geschieht nun einmal Erkenntnis in relativen Bedingungen, in denen allgemeine Aussagen zustande kommen.
Aber die Verteidiger, um nicht zu sagen, die „Erfinder“ der Menschenrechte, haben sich doch selbst so selten an die Menschenrechte gehalten, könnte man berechtigterweise einwenden, man denke an den Kolonialismus. Das stimmt absolut, trotzdem konnten die Verbrecher unter den Politikern der westlichen Welt diese Menschenrechte niemals abschaffen. Die miserable politische Praxis spricht nicht gegen den bleibenden Sinn von Gesetzen.
Aber viele Kulturen sprechen doch gar nicht in den Worten der Menschenrechte, vielleicht die Chinesen, vielleicht einige Inder, vielleicht einige Inouit Völker im hohen Norden Kanadas oder bestimmte Völker indianischer Prägung am Amazonas, könnte man beanstanden. Auch wenn sie die Worte und Begriffe der Menschenrechtserklärung (noch) nicht in ihrer Sprache sprechen, in der Alltagspraxis hingegen, vor allem in der Leid- und Schmerz – Erfahrung, also in dem Erleben, dass etwas (oft sehr vieles) im privaten oder sozialen Leben NICHT sein sollte und sein dürfte, in dieser oft auch unausgesprochenen, aber praktizierten Ablehnung von Missständen, wird die „Idee“ der Menschenrechte als gültig und richtig und unaufgebbar gesetzt. Eltern in Indien haben „Gewissensbisse“, wenn sie ihr jung geborenen Mädchen töten. Chinesen wollen sich frei und unkontrolliert äußern, das muss man heute nicht mehr belegen. Demokraten in arabischen Ländern wollen doch lieber nicht niedergeknüppelt werden, Homosexuelle im Iran nicht geköpft werden: In allen diesen Negativ- Erfahrungen bricht sich der SCHREI nach der Gültigkeit der Menschenrechte durch.
Wir sind Prof. Winkler dankbar, dass er auf den Skandal hinweist, der leider viel zu wenig Empörung hervorruft, wohl aus Ehrfurcht vor dem als fast allwissend geltenden Ex – Kanzler Helmut Schmidt, dass also Prof. Winkler im Blick auf Schmidt darauf hinweist: „Es verbietet sich, die universelle Geltung der Menschenrechte mit dem kultur – relativistischen, besonders engagiert von Helmut Schmidt vertretenen Argument zu bestreiten: Weil die Menschenrechte ein Produkt des Westens seien, so der Ex Kanzler, hätten nur diejenigen Menschen Anspruch auf deren Einhaltung, die in westlichen Demokratien leben. Während andere Kulturkreise, darunter die chinesischen, gewissermaßen strukturell nicht auf die Menschenrechte angelegt seien“. Hinter dieser Meinung, die ja nicht nur Helmut Schmidt vertritt, verbirgt sich wohl eine Ideologie der „Realpolitik“, kann man sagen: D. h. um des Ökonomischen guten Verhältnisses willen werden Menschenrechtsfragen nicht nur heruntergespielt. Sondern es wird – im Blick auf die vielen Menschenrechtsaktivisten ein Schlag ins Gesicht !! – behauptet: „Diese lieben Chinesen legen doch selbst gar keinen Wert auf die Menschenrechte; ihre Führer haben die Freundlichkeit anzuerkennen, dass Menschenrechte eigentlich liberaler Quatsch der Westeuopäer sind“. Mit einer solchen Haltung, von Europäern vertreten, wird sozusagen das Gewissen der Herrscher, oft sind es Diktaturen, beruhigt. Die Wirtschaftsbeziehungen blühen dann vielleicht kurzzeitig und die Aktivisten der Menschenrechte bleiben in den Kerkern.
Diese Politiker, wie Helmut Schmidt, haben einen sehr engen Wirklichkeitssinn, auch darauf weist Prof. Winkler erfreulicherweise hin: „Der Wirklichkeitssinn hat sein notwendiges Gegenstück im Möglichkeitssinn“. Westliche Politiker sollten auch sehr stark die Möglichkeiten abklopfen, die ein deutliches Engagement für die Menschenrechte bewirken könnte. An die Solidarnosc hat kaum jemand geglaubt, auch nicht bestimmte Kreise der SPD, betont Prof. Winkler. Diese kleine Schar der polnischen Verteidiger der Menschenrechte hat letztlich die europäische Geschichte seit 1989 mit verändert.
Von daher müssen wir uns von der tätigen Hoffnung leiten lassen, dass auch die Verteidiger der Menschenrechte heute in der Türkei und in anderen (arabischen) Staaten letztlich der guten Sache der Demokratie (die auch ihre Mängel hat, aber eine bessere Ordnung gibt es wohl nicht) zum dauerhaften Durchbruch verhelfen … und weltweit Tyrannei und Willkür ein definitives Ende hat.
Unsere Freunde im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin weisen gern darauf hin, dass die Stimme der römischen Kirche, immer auch eine Stimme des Vatikans („Wir verteidigen die Menschenrechte“) viel mehr Respekt fände, wenn diese Kirche und der mit ihr verbundene Vatikan – Staat in sich selbst und in der eigenen Gesetzgebung die Menschenrechte als solche anerkennen und gelten lassen würden … und zwar als Kriterium: Welche willkürlich gesetzten Kirchengebote und welche Gesetze innerhalb des päpstlichen Staates Vatikan können Geltung haben und welche nicht. Menschenrechte sind also wie in allen anderen Staaten grundsätzlich positives Recht, in dem Falle gilt das auch für das “Kirchenrecht”. Jesus selbst und sein Evangelium hat kein Kirchenrecht hinterlassen. Weiter wird darauf hingewiesen, dass die Rede von den Armen, die Papst Franziskus so gern als Motto immer wiederholt, nicht davon ablenken darf, Menschenrechte in der Kirche zu verwirklichen. Und: Die Armen, also etwa zwei Milliarden arm gemachter Menschen, freuen sich nicht, wenn sie päpstlich wieder und wieder gerühmt und gelobt werden, sondern wenn für sie (und noch wichtiger: mit ihnen) die Menschenrechte politisch durchgesetzt werden.

Wir weisen darauf hin, dass das Thema Menschenrechte schon oft den „religionsphilosophischen salon berlin“ beschäftigt hat. Der Theologe Prof. Wilhelm Gräb hat die Menschenrechte als Grundlage einer universalen Religion gedeutet, zur Lektüre klicken Sie hier.
Wir haben in dem Zusammenhang auf die Sakralität der Person verwiesen, zur Lektüre klicken Sie hier.
Wir haben im Rahmen unserer Studien zur Dominikanischen Republik darauf hingewiesen, wie unsäglich schwer es dort Haitianer haben, würdevoll zu leben, zur Lektüre klicken Sie hier.

Bischof Vitus Huonder, von Chur in der Schweiz, hat zum Tag der Menschenrechte eine Erklärung aus seiner theologischen Sicht veröffentlicht, der unseres Wissens kein anderer Bischof widersprochen hat. Huonders Beitrag ist ein Beispiel, wie in der katholischen Kirche die Gültigkeit der Menschenrechte gegenüber den religiös, dogmatischen Lehren der Kirche an die zweite, die untergeordnete Stelle rückt. “Religiöse Lehren, also etwa die sogenannten Gottesrechte, zuerst, dann folgen erst die Menschenrechte, also die aktuelle Vernunft”: Dies ist das Motto, dem diese Kirche immer noch folgt, sie beansprucht “die Gottesrechte” authentisch interpretieren zu dürfen. Solche Überzeugungen werden ja bekanntlich viel exzessiver und brutaler als im Katholizismus auch in anderen Religionen ausgelebt.

Hier die Stellungnahme Bischof Huonders:

Das Wort zum Tag der Menschenrechte (10. Dezember 2011) von Vitus Huonder, Bischof von Chur:
„Brüder und Schwestern im Herrn, die moderne Gesellschaft findet in der Erklärung der Vereinigten Nationen zu den Menschenrechten von 1948 eine Grundlage für ein geordnetes Zusammenleben der Völker und Nationen.1 Für viele staatliche Gemeinschaften ist sie sozusagen die Leitlinie für die eigene Gesetzgebung geworden. Auch in den vielfältigen Beziehungen auf nationaler und internationaler Ebene berufen sie sich darauf.

Die Kirche nimmt die Menschenrechtserklärung zur Kenntnis. Sie misst die Aussagen und Forderungen der Konvention an der Wahrheit der göttlichen Offenbarung. Sie hebt hervor, dass die Menschenrechte mit Blick auf die Würde anzuwenden und zu interpretieren sind, welche der Mensch als Gottes Schöpfung, aber ebenso als Gottes Ebenbild hat. Den Menschenrechten voraus geht daher immer das göttliche Recht. Die Menschenrechte stehen und fallen letztendlich mit dem Respekt vor dem Gottesrecht“. Quelle: kath.net

COPYRIGHT: Christian Modehn Berlin.

Ein katholischer Bischof für Homoehe und Adoption: Bischof Jacques Gaillot, Paris

Für die Homoehe und die Adoption
Stellungnahme des katholischen Bischofs Jacques Gaillot, Paris
Von Christian Modehn

Der Religionsphilosophische Salon hat schon mehrfach auf den französischen Bischof Jacques Gaillot hingewiesen, auch auf Buchpublikationen, wie den – relativ – neuen Titel: “Die Freiheit wird euch wahr machen“, Reimund Meier Verlag 2010. Diese Aufmerksamkeit für Bischof Jacques Gaillot geschieht nicht nur aus theologischen Gründen, weil er als eine absolute Ausnahmegestalt unter katholischen Bischöfen ungeschützt und öffentlich (!) vernünftige und moderne Positionen vertritt. Vor allem auch, weil er im Rahmen unseres Interesses an Religionskritik deutlich macht, wie sich etwa die römische Kirche von der Last uralter, vernünftig nicht mehr nachvollziehbarer Lehren und Vorurteilen befreien könnte. Die Betonung liegt auf dem „Konditionalen“…
Bischof Jacques Gaillot, geboren am 11. 9. 1935, war von 1982 bis 1995 Bischof von Evreux in der Normandie. Dann wurde er auf Druck (ultra-) konservativer Kreise in Politik und Kirche vom Papst abgesetzt; er wurde mit dem Titel des imaginären Wüstenbistums Partenia ausgestattet. Seit 1995 lebt Bischof Jacques Gaillot in einem Zimmer des Hauses der Ordensleute „Väter vom Heiligen Geist“, auch „Spiritaner“ genannt, in Paris, 5. Arrondissement. Er ist immer noch aktiv, vor allem als Referent bei internationalen Konferenzen und als engagiertes Mitglied von Vereinen, die Obdachlose und Flüchtlinge („Les Sans-Papiers”) unterstützen.
Wir haben auf unserer website mehrfach darauf hingewiesen, dass Bischof Gaillot öffentlich und angstfrei als katholischer Bischof für den Respekt gegenüber homosexuellen Menschen eintritt. So hat er als Bischof von Evreux der damals viel gelesenen Schwulen Zeitung „gai pied“ im Jahr 1989 ein Interview gegeben und die völlige Gleichberechtigung der Schwulen und Lesben auch in der Kirche eingefordert. Neben vielen entsprechenden Äußerungen in seinen zahlreichen Büchern hat Bischof Gaillot auf seiner website www.partenia.org auf die Dringlichkeit des Welttages gegen die Homophobie hingewiesen: Er schrieb am 17. Mai 2009: „In mehr als 80 Ländern (oft in solchen, wo der Islam die offizielle Religion ist) geht die Repression gegen Homosexuelle weiter. Auf Homosexualität steht die Todesstrafe in Saudi Arabien, im Iran, in Mauretanien, Nigeria…In dieser Beziehung ist auch die abendländische Geschichte nicht minder niederschmetternd. Homosexuelle wurden als Sünder betrachtet, als Kranke, als Verbrecher. Während der Inquisition mussten sie einen hohen Tribut zahlen. Unter dem nationalsozialistischen Regime wurden Zehntausende von Homosexuellen deportiert. In der heutigen französischen Gesetzgebung bleibt vor allem noch die Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Eltern und die Nichtzulassung der Ehe unter Personen desselben Geschlechtes bestehen.
Der Kampf um Freiheit und Gleichheit wird noch lange dauern“.
Inzwischen hat Bischof Gaillot erneut eindeutig Stellung bezogen in dem „Kampf um Freiheit und Gleichheit“: Am 18. April 2013, also in der Zeit, als es in ganz Frankreich Massen – Proteste und Randale gegen die gesetztliche Einführung der Homoehe gab und katholische Kreise an vorderster Front für die ausschließliche Ehe von Heterosexuellen kämpften, genau in diesen Tagen erklärte Bischof Jacques Gaillot: „Die französische Gesellschaft bereitet sich darauf vor, mit der Annahme des Gesetzes über die Ehe von Homosexuellen eine Schwelle zu überschreiten. Wenn das der Fall wird (inzwischen ist es der „Fall“, CM), wird es ein Ereignis sein, das eine große Rolle spielt in der Geschichte unseres Landes, es handelt sich um einen beträchtlichen demokratischen Fortschritt, und der ist vergleichbar mit der Abschaffung der Todesstrafe im vergangenen Jahrhundert. Die Anerkennung der Ehe zwischen Personen des gleichen Geschlechts sowie auch ihr Recht, eine Familie mit Kindern zu gründen, wird immer mehr in Frankreich wie anderswo eine Realität. Man wird erleben: Diese Ehe, sooft diffamiert, lässt niemand (also die Heterosexuellen, CM) sein Recht verlieren; diese Ehe ist in keiner Weise eine Bedrohung für die so genannten normalen Familien; sie ist auch kein Rückschritt für die Gesellschaft und noch viel weniger stellt diese Ehe das Ende der Kultur und Zivilisation dar“.
Damit nimmt Bischof Gaillot Bezug auf die heftige verbale Unterstützung der oppositionellen, konservativen Kreise durch die katholischen Bischöfe Frankreichs. Gaillot ist wieder einmal der einzige katholische Bischof, der öffentlich den Mut hat, für die Sache der Vernunft und das ist die Sache des Respektes einzutreten. Angesichts der heftigen, von offizieller katholischer Seite sicher indirekt mit befeuerten Auseinandersetzungen, die zu Gewalttätigkeiten gegenüber Schwulen führten, erklärt Bischof Gaillot: „Aber man kann diese Entwicklung nicht mehr stoppen. Die Anerkennung der Homo – Ehe gehört fest zu einer mächtigen Bewegung der Moderne, die im Laufe der Jahre, die unantastbaren Rechte des Individuums und seiner Autonomie für wertvoll und wichtig erachtet. Das Individuum steht für uns im Mittelpunkt. Von daher auch die Bedeutung, die den Liebes – Beziehungen zwischen Individuen zuerkannt werden. Das Recht des Staates folgt endlich der Entwicklung unserer moralischen Vorstellungen. Die Liebe zwischen zwei Personen des gleichen Geschlechts ist ein fundamentales Menschenrecht!… Was die Adoption von Kindern angeht: Das neue Recht öffnet sicher einen Weg in die Zukunft. Denn die Adoption von Kindern ist eine freie Wahl, sie geschieht aus Liebe. Endlich kommen wir raus aus bloß biologischen Vorstellungen der Ehe… Wir alle sind von diesen positiven Entwicklungen betroffen. Besteht unsere Verantwortung (als Bischöfe) nicht darin, die Freiheit wieder zum Leben zu erwecken? Dies ist die Freiheit zu lieben“.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon.