Die „Trinität“ (Dreifaltigkeit Gottes) als Dogma abschaffen.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 26.6.2023

1.
Für die Frage nach Gott oder dem Göttlichen oder dem Ewigen oder dem „alles tragenden Lebenssinn“ interessieren sich noch viele Menschen.
Als zusätzliches Problem erscheint für die meisten die Frage nach der göttlichen Dreifaltigkeit, der Trinität. Dabei gilt dieses Dogma innerhalb der Kirchenleitungen als etwas „unterscheidend Christliches“, also in den herrschenden, sich „orthodox, rechtgläubig“ nennenden Kirchen, wie bei den Römischen Katholiken, den Orthodoxen, den Lutheranern, den Reformierten (Calvinisten etc.). Der folgende Beitrag zeigt, dass spirituelles Leben im Sinne Jesu von Nazareth selbstverständlich ohne das Trinitäts – Dogma sehr gut möglich ist.

2.
Der internationale geschätzte (Konzils-) Theologe Karl Rahner SJ schrieb 1973 in seinem Lexikonbeitrag „Trinitätstheologie (Herders Theologisches Taschenlexikon, Band 7, S. 353): „ Es muss noch darauf hingewiesen werden, dass die Lehre von der Trinität im konkreten Leben der Christen und in der Predigt, wenn überhaupt, dann nur eine sehr bescheidene Rolle spielt“.
Einen Grund für diese diese treffend beschriebene Tatsache nennt Rahner leider nicht. Die Wahrheit ist: Die Trinitätslehre, das Dogma, ist so „äußerst hochkomplex“, so sehr und so heftig eingebunden in eine metaphysische Sprachwelt des 4. Jahrhunderts n.Chr., dass sie, von wenigen Spezialisten abgesehen, heute niemand mehr versteht. In dem genannten Taschenlexikon – für weite Kreise bestimmt – braucht Rahner immerhin 13 Seiten, um das schwierigste aller theologischen Themen zu erklären. Wer diesen Rahner – Text verstanden hat, also in heute nachvollziehbaren Worten wiedergeben kann, möge sich bei mir melden.

3.
Wie unter Theologen üblich, wird von Rahner nicht erwähnt, wie stark die imperiale kaiserliche Macht damals interessiert war, Jesus von Nazareth als göttlichen Pantokrator auszugeben, und zwar aus dem einfachen Grund: Die Kaiser wollten sich als Nachfolger dieses göttlichen Christus – Pantokrator absolut aufwerten. Solches Ausblenden politisch – ideologischer Zusammenhänge beim Entstehen von Dogmen ist typisch für eine breite Tradition katholischer Theologie in Europa. Deswegen ist sie auch so irrelevant.

4.
Rahner selbst gibt zu, dass die Trinität, so wörtlich, „ein absolutes Geheimnis“ ist, das auch „nach seiner Offenbarung nicht rational durchschaubar ist“ (ebd. S. 342). Die Trinität ist also nicht nur nicht rational durchschaubar, das wäre schon viel verlangt, sie ist als solche nicht einmal als Faktum rational erreichbar. Also ein „absolutes Geheimnis“.
Wer also dem Trinitätsdogma glaubend folgt, verzichtet bewusst auf jegliche Relevanz seines eigenen Geistes, seiner eigenen Vernunft. Diese Haltung, die zu dummem Schweigen führt, kann kein vernünftiger Mensch noch menschlich nennen. Menschen auf rational total bzw. absolut (!) Geheimnisvolles festzulegen, ist einzig Sache der so genannten Sekten, nicht aber der Menschen, die irgendwie den Lebensweg Jesu von Nazareth noch inspirierend finden und die Gottesfrage gerade mit ihrer Vernunft „klären“ wollen.

5.
Nur eine „Kostprobe“ zu trinitarischen Formeln, sehr dicht an dem offiziellen, bis heute in Messen etc. gesprochenen Glaubensbekenntnis:
Es handelt sich demnach bei der Trinität um eine transzendente, himmlische real existierende Idee: Es ist der eine Gott mit einem Wesen und drei Hypotasen („Personen“) im „Himmel“. Gott selbst ist als erste „Person“ der Vater; die zweite Hypotase („Person“) trägt den Namen Christus. Er wurde „vor aller Zeit gezeugt“ (ohne Anwesenheit von Frauen, dann aber irgendwie auch himmlisch „geboren“). Dieser Christus hat zwei Naturen, eine göttliche und eine menschliche. Aber immerhin ist diese Hypotase so wirkungsvoll, dass aus ihm wie auch aus dem Vater der heilige Geist „ausgeht“ (im Sinne eines „Hervorgangs“, sagt die offizielle Deutung, was immer das bedeuten mag, CM). Die orthodoxen Kirchen des Osten behaupten nun, dass der heilige Geist nur aus dem Vater ausgeht! Wegen dieser „verknallten Spekulation“ kam es letztlich auch zum Bruch zwischen West – Kirche und Ost – Kirche … bis heute. Dieser heilige Geist wird in der christlichen Ikonographie als Taube dargestellt, (nebenbei: ob als „Ringeltaube“ ist umstritten, hübsch wäre auch die „Rotschwanz-Fruchttaube“, CM). Wer noch eine Nuance Rahners mag, etwa zur Zahl „drei“ innerhalb der Trinität: „Vater, Sohn und Geist können in Gott `drei` gezählt werden, wobei man sich allerdings dessen bewusst sein muss, dass man das zusammenzählt, was als reiner Unterschied im numerischen Einen der Wesenheit nicht unter einen Begriff einer Menge von Gleichartigem gebracht werden kann und darf“ ( ebd. S 351).

6.
Nun hat die zweite Person der himmlischen Trinität, der Sohn bzw. der Logos, einmal zu einem bestimmten Zeitpunkt die intern göttliche Welt verlassen und hat „Fleisch angenommen“, wie es offiziell heißt, in der Person Jesus von Nazareth, der von ca 1 nach unserer Zeitrechnung bis ca. 35 lebte. Zu dieser Zeit muss als in der himmlischen Trinität die zweite Person (der „Sohn“) gefehlt haben. Es gab also einmal – in diesem Denken – einmal einige nicht – trinitarische „Momente“ innerhalb der himmlischen Trinität: Dies nur als kleine Kostprobe zu den Fragen, die sich spekulativ ergeben… Und die ganze klassische Dreifaltigkeitstheologie fragwürdig erscheinen lassen.

7.
Die Trinitätslehre aus dem 4.Jh. (man hat darüber gerätselt und debattiert und publiziert mindestens bis zum Konzil von Florenz 1439) ist, vornehm ausgedrückt, heute eine überflüssige Alt-Last, weniger vornehm: ein störender Klumpen, ein Ballast, den es nun endlich beiseite zu legen gilt … als Akt der Befreiung.

8.
Die „Trinität“ ist für uns also nicht mehr als ein uraltes, jetzt nur noch für Historiker interessantes Bild, so, wie die religiöse Rede von Engeln im Christentum nichts als ein hübsches, aber letztlich überflüssiges Bild ist. Die außer – christliche Esoterik interessiert sich leidenschaftlich für die Engel, Pater Anselm Grün, der viel – schreibende Benediktiner, auch… Auch der Mythos von der Erbsünde ist nichts als ein Bild, aber kein Dogma mehr, sagen vernünftige Theologinnen heute. Dasselbe gilt für die Rede von der „unbefleckten Jungfrau Maria“.

9.
Dass damit ein Diskussionsfeld eröffnet wird, in dem die Konservativen, die Reaktionären und Traditionalisten alle ihre angeblich scharfen Argumente noch einmal gegen angeblich „böse Irrlehrer“ vorführen, ist klar. Die sich „rechtgläubig“ nennenden Kirchen (also römische Katholiken, Orthodoxe aller Couleur, Lutheraner, Calvinisten …) haben im Laufe ihrer Herrschaftsgeschichte bewiesen, wie sie mit dogmatischen Erneuern und Reformatoren gerade hinsichtlich der „Trinität“ umgehen: Der Theologe Michel Servet (bekannt und geschätzt durch sein Werk „De trinitatis erroribus“, 1531) wurde vom Reformator Calvin am 26. Oktober 1553 öffentlich in Genf (!) verbrannt. Die Theologen Sozzini (etwa Fausto Sozzini 1539-1604) als argumentierende und hoch gebildete Anti-Trinitarier und ihre kleine mutige Gemeinschaft der „Polnischen Brüder“ wurden verfolgt usw. An die Vorbehalte des großen Theologen Erasmus gegen die Trinitäts – Lehre müsste erinnert werden oder auch an die heute noch bestehende freisinnige christliche Kirche der Remonstranten. Ihr offenes Glaubensbekenntnis von 2006 versucht die göttliche Wirklichkeit jenseits trinitarischer Formeln auszusagen, ein einmaliger Vorgang in einer christlichen Kirche heute. LINK.

10.
Seit einigen Jahren haben sogar wenige katholische Theologen den Mut, ihre Zweifel an der offiziellen „Trinitätslehre“ öffentlich zu äußern. Ich denke da vor allem an Professor Edward Schillebeeckx, der lange Jahre als Theologe an der Universität Nijmegen lehrte. In dem Interview-Buch „Edward Schillebeeckx im Gespräch“ (Luzern 1994, Edition Exodus) sagt Schillebeeckx klar und deutlich: „Ich bin im Hinblick auf eine Trinitätstheologie fast ein Agnostiker“ (S. 107). Zuvor hat er in wenigen Sätzen erklärt, was ihn zu dieser Erkenntnis geführt hat: „Im Glaubensbekenntnis geht es nicht um die drei göttlichen Personen…Ich glaube an den heiligen Geist, der für mich allerdings ein großes Problem darstellt. In der Bibel ist der heilige Geist ein Geschenk, nicht eine dritte Person: Er ist die Seinsweise Gottes selbst, der sich den Menschen als Geschenk gibt“ (S. 106).

11.
Damit bietet Schlillebeeckx entscheidende Hinweise: Gott selbst ist, wenn man schon sprachlich sich auf ihn bezieht, nur als Geist denkbar, auch nicht als „Person“ im landläufigen Sinne, schon gar nicht als Materie, als Klotz, als Stein oder was… Sondern als ewiger Geist, und weil Geist, eben auch lebendig- tätig- schöpferisch. Auch Geist kann im populären Verständnis von „Geistern“ etc. falsche Assoziationen wecken… Auch „Geist“ als Beschreibung des Ewigen, Göttlichen, ist also sehr differenziert zu verstehen.

12.
Zunächst folgen wir der Spur, die zu einem neuem Verständnis des „heiligen Geistes“ führt, der nicht als göttliche „Person“ verstanden werden sollte.
Unser Ausgangspunkt ist die menschliche Selbsterfahrung des Geistes: Im menschlichen Geist als Vernunft, als Emotion, zusammengefasst als „Seele“, gestalten wir unser menschliches humanes Leben, mit allen seinen vielfältigen Produktionen des Geistes und der Vernunft, mit seinen ständigen Reflexionen und Entscheidungen, auch zwischen Böse und Gut, um es klassisch moral-philosophisch zu sagen.
Es unser Geist, der seine Lebendigkeit zeigt. Aber was soll dann noch ein heiliger Geist, offenbar ein zusätzlicher Geist in uns? Wann und wo und wie wirkt denn dieser zweite Geist in uns? Etwa nur, wenn es sich um explizit religiöse und spirituelle Fragen handelt?
Aber kann der allgemeine, der menschliche Geist nicht von sich aus auch in der Auseinandersetzung mit Lebensfragen, in der Begegnung mit Kunst usw. Spuren der Transzendenz und des Göttlichen entdecken? Lehrt nicht sogar die katholische Kirche im Ersten Vatikanischen Konzil schon, dass der „natürliche“, also der allgemeine menschliche Geist Gott erkennen kann? Wozu dann noch diese behauptete doppelte Geist – Struktur in der einen geistigen Selbsterfahrung des Menschen? Kann der menschliche Geist nicht von sich auch Erstaunliches, wunderbar Genanntes, erleben?

13.
Die Rede von einem zusätzlichen, zweiten Geist, einem heiligen Geist, im Menschen ist also überflüssig.
Aber was bedeutet dann die literarische Erzählung im Neuen Testament von der Begeisterung der ersten kleinen Gemeinde, die behauptet, zu „Pfingsten“ mit dem heiligen Geist beschenkt worden zu sein? Unsere Antwort: Diese ersten Christen fühlten sich durch ihren eigenen Geist ermutigt, als kleine Gemeinschaft weiter zu leben und ihren Glauben weiter zu gestalten: Diese allgemein menschliche Einsicht, Reflexion und Entscheidung, deuteten sie bei dem damals religiös-kulturell üblichen Enthusiasmus als besondere Gabe Gottes, als besonderen, gegenüber dem eigenen Geist noch zusätzlich gegeben göttlichen, heiligen Geist. Diese Deutung von „Pfingsten“ durch die ersten Christen ist also kulturell bedingte Deutung anzusehen.
Diese ersten Christen hatten wie alle anderen Menschen ihren Geist, ihre Vernunft, ihre Emotionen usw. Und dieser Geist der Menschen ist – theologisch gesehen – der Geist, den der unendliche „Schöpfer“ der Evolution der Welt und der Menschen den Menschen erschaffen hat. Es ist also der von Gott geschaffene Geist (Vernunft) im Menschen, der auch zu religiösen Erkenntnissen führt. Einen zweiten, im Menschen irgendwie und irgendwann wunderbar wirkenden zusätzlichen göttlichen Geist braucht die Menschheit nicht. Denn der menschliche Geist (Vernunft) als Gottes Schöpfung ist heilig.

14.
Mit dieser Skizze wird deutlich: Der so genannte heilige Geist ist eine vom Überschwang bestimmte Konstruktion. Der heilige Geist ist also keine Person einer göttlichen Trinität: Denn Gott selbst ist schöpferischer Geist, der seinen Geist der evolutiven Welt (und den Menschen) mit – teilt…Es gilt also „Gott als den Ewigen als absolute Einheit zu denken“ (vgl. Kurt Flasch, „Christentum und Aufklärung“, Frankfurt/Mn., 2020, S 354)

15.
Es bleibt die Frage, wie denn Jesus von Nazareth als Logos in die „Trinität“ als die „zweite Person“ hineingesetzt werden konnte. Dazu hat der katholische Theologe Prof. em. Hermann Häring (Tübingen) in PUBLIK-FORUM( Heft 10/2023, S. 36 f.) einige Hinweise gegeben unter dem Titel „Die kirchliche Trinitätslehre ist überholt“. Häring schreibt: „Jesus hat sich nie als Teil einer Trinität verstanden, der ihm zugeschriebene Titel Sohn Gottes ist meilenweit entfernt von der zweiten innergöttlichen Person… Unser Bruder Jesus ist zum Träger von Gott gegebener Weisheit geworden. Dazu braucht es keine Dreifaltigkeit“ (S. 36). Im leider ziemlich knappen Beitrag betont Häring treffend: „Man habe in der Kirche diesen Trinitätsglauben aus kindlichem Glaubensgehorsam bewahrt“ (S. 37). Und er schlägt wie auch der Autor dieses Hinweises „eine Generalrevision unserer Glaubenskonstrukte“ vor (ebd.)

16.
Man muss den genannten Spuren folgen und „Jesus von Nazareth“ endlich wieder als Menschen sehen, als „unseren Bruder“, bezeichnen und als solchen auch religiös respektieren. Jesus von Nazareth ist einer von uns Menschen. Er zeigt in seinem Leben, dass er wie die Menschen überhaupt mit kreativem menschlichen Geist, als der Gabe des schöpferischen Gottes, ausgestattet, „beschenkt“, ist. Mit anderen Worten: Jesus von Nazareth zeigt, dass alle Menschen als Geschöpfe Gottes gemeinsam gleichberechtigte Brüder und Schwestern sind, im Bild gesprochen des einen „schöpferischen Vaters“…Es ist also die eine geistvolle Menschheit gemeint, die sich auch in Kirchen sammeln kann, um diese Erinnerung an den einen „Vater“ aller aktuell, auch politisch, aber auch meditativ lebendig zu gestalten.

17.
Aus der „Trinität“ ist also nicht nur der „heilige Geist“ als Person bzw. als Taube befreit. Aus der Trinität ist auch Jesus von Nazareth befreit. Was bleibt? Der eine ewige Gott, den viele als den geistvollen Schöpfer der evolutiven Welt und der Menschen ansehen und verehren, mit religiösen Menschen anderer Religionen…

18.
Aber auch bei diesem Bild, das sinnvoller und geistvoller,„vernünftiger“ und biblischer ist als das Bild „Trinität“, bleiben Fragen: In der Mystik und bei wenigen zeitgenössischen Theologen wird das Bild Trinität oder das Bild des einen schöpferischen Gottes noch einmal weiterentwickelt bzw. überwunden. Denn das Bild des einen schöpferischen Gottes lässt viele Probleme offen: Der schöpferische Gott hat den Menschen als Freiheit geschaffen, aber: Diese von Gott geschaffene Freiheit kann der Mensch auch zum Bösen, Krieg etc. gestalten. Das heißt doch wohl: Dass damit auch Gott als der Schöpfer dieser menschlichen Freiheit ins Böse mit hineingezogen wird.

19.
Gibt es also noch einen größeren Gott als das Bild des schöpferischen Gottes (vielleicht auch klassisch noch als Trinität)?
Meister Eckart (1260-1328) dachte an die „Gottheit“, sozusagen an den „Gott über Gott“. In seiner „deutschen Predigt“ mit dem Titel „Selig die Armen“, bezogen auf Matthäus 5,3 heißt es: “Darum bitte ich Gott, dass er mich Gott-los (wörtlich Gottes quitt) mache. Denn mein wesentliches Sein ist oberhalb von `Gott`, sofern wir Gott als Ursprung der Welt fassen“(vgl. „Meister Eckart. Einheit mit Gott“, hg. von Dietmar Mieth, Düsseldorf 2002, S. 154). Es geht also bei diesem Gott über „Gott“ um eine Idee über allem Sein und über aller Unterschiedenheit…
Auch Paul Tillich dachte Gott jenseits eines Theismus, der sich auf drei göttliche Personen bezieht. Eine authentische religiöse Lebensform ist für Tillich „Der Mut zum Sein“, der seinen Halt findet in dem „Gott über Gott“ (GW XI. S. 138 f). Siehe auch: “Paul Tillich” von Werner Schüssler und Erdmann Sturm, Darmstadt, 2007, S. 163ff): “Die Idee von dem Gott über Gott, dem letzten Grund allen Seins,  der erschient, wenn der Gott , dem wir Namen geben, versunken ist – , mag mir in der unbewussten Erinnerung an Dionysios (Areeopagita) gekommen sein” (S. 166). “Gott über Gott” ist also ursprünglich ein neuplatonischer Gedanke….

20.
Was also ist erreicht in dem hier nur angedeuteten Versuch, das Dogma der Trinität beiseite zu legen und für eine „einfache“ Spiritualität zu plädieren?
Es wurde beispielhaft gezeigt, dass eine moderne Theologie und ihr folgend Kirchen, die den Begriff modern für angemessen und richtig finden, (denk-)möglich sind. Dieser Hinweis will von Begriffen und Lehren befreien, die nur noch wie altes, verstaubtes Mobiliar in den Kirchen herumstehen und nur Historiker noch interessieren dürfen.
Spirituelle Christen können sich also vom Ballast der Traditionen lossagen, befreien, wenn sie denn nicht von Angst vor dem Klerus bestimmt bleiben wollen.
Und wichtig ist, dass Theologie wieder sich eine sehr lebhafte, erneuerungsbereite kritische Forschung zeigt…

21.
Wie sich diese von der alten „Trinität“ befreite Theologie zu den vielfältigen Formen der Unitarier bzw. unitarischen Kirchen verhält, ist eine andere Frage. Sie kann hier nicht beantwortet werden, weil die unitarischen Glaubensformen selbst noch sehr bezogen sind auf die alte, „klassische“ Trinitätstheologie.
Unser Vorschlag geht ja dahin, den Gedanken Gott über „Gott“ im Sinne Meister Eckarts neu zu denken, von diesem „anderen“ Denken wären dann auch die unitarischen Glaubensformen betroffen.

22. Zusammenfassung:

Gott als der Ewige, der letzte Grund unseres Seins, ist Geist.

Jesus von Nazareth ist Vorbild und Inspiration für ein “menschliches Leben”, das diesen Namen verdient.

Der Geist ist heilig, weil er als Gottes Schöpfung im Menschen anwesend ist, als das Belebende, lebendig Machende.

Die Konsequenzen dieser Theologie sind deutlich:

Wir brauchen keine Ideologie der Erbsünde mehr, wir brauchen keine Klerus-Macht, sondern die Gemeinschaft der spirituell Suchenden, einander Ermunternden…

Selbstverständlich wird dann auch die so genannte Erlösungs-Lehre der Kirchen neu gesehen: Der “Logos”, der vom Himmel herabsteigt und “Fleisch annimmt”, (Weihnachten!!), wird durch das Bild ersetzt: Jesus von Nazareth ist ein Vorbild der Menschlichkeit. Ihm in seiner Menschenfreundlichkeit zu folgen, kann erlösend sein. Aber nicht die metaphysische Kraft eines vom Himmel herabgestiegenen Logos (also die 2. Person der Trinität).

Eine gewisse, ganz andere “Trinität”, also dann doch. Aber eine  nachvollziehbare, nicht als total “geheimnisvoll” behauptete…

Eine andere “Trinität”, die zu denken … und zu leben gibt – auch im Gespräch mit anderen Religionen und Konfessionen, mit den Kulturen und anderen “Darstellungen” des Geistes…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

Diktaturen – sozialistisch/kommunistisch und katholisch/vatikanisch: Hinweis auf einen Systemvergleich.

Von Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Dies könnte der Beginn eines Forschungs-Projektes, Juni 2023, sein. Damit ist gesagt: Es bedarf einer gewissen kritischen Begeisterung zu fragen, zu forschen, um den hier vorgestellten Systemvergleich mitzuvollziehen und weiter zu gestalten.

Mit diesem Systemvergleich steht der “Religionsphilosophische Salon Berlin” natürlich nicht allein da. Im DRITTEN KAPITEL (Nr. 19) wird gezeigt, dass Philosophen mit katholischem und/oder auch mit marxistisch-kommunistischem Hintergrund diesen Systemvergleich ebenfalls darstellen…Also: Leszek Kolakowski (Polen/England), Reymond Geuss (USA/England)….

ERSTES KAPITEL: Die sanften Modernisierungen und scheinbaren Demokratisierungen in beiden Systemen.

1.
Der System-Vergleich real-sozialistischer (kommunistischer) Herrschaftsformen, d.h. Diktaturen, mit der uneingeschränkten Klerusherrschaft in der Theokratie Vatikan, mit einem unfehlbaren Papst an der Spitze, war etliche Jahre üblich, und dieser Systemvergleich ist als Analyse immer noch treffend: Daran wird im folgenden noch einmal – weiter unten – erinnert.

Beide Herrschaftssysteme stehen einem Struktur – Vergleich zur Verfügung, weil beide aufgrund ihrer Ideologie überzeugt sind, “die”  Wahrheit für die ganze Menschheit zu besitzen. Und weil beide Herrschaftsysteme immer von Führern geleitet werden, die nicht aus demokratischen Wahlen der betroffenen Bevölkerung oder der Masse der Glaubenden zur Herrschaft gelangt sind. Sondern aus Kreisen gewählt wurden und werden, die diese Herrscher selbst im eigenen Interesse berufen haben (Zentralkomitee der Partei bzw. Kardinalskollegium, berufen durch den Papst). Mit diesem Vergleich der Strukturen wird nicht eine Vergleichbarkeit oder gar seelische “Identität” der realen Personen (Parteichef oder Papst etc.) unterstellt. Es geht um Strukturen, nicht um das je verschiedene persönliche Profil der Herrscher.

Dieser Vergleich der Strukturen hat einen aktuellen Bezug: Er kann etwa die Möglichkeiten und Grenzen von Reformen in beiden Systemen aufzeigen und Hoffnungen auf “Demokratiesierung” beider Systeme in den sehr begrenzten Rahmen setzen. Für manche LeserInnen aus katholischen Kreisen kann also dieser Beitrag hier zur Ernüchterung führen und die Frage drängend machen: Wie setze ich meine Lebenszeit am besten ein für das Überleben der Menschheit, für die Abwehr der weiteren Klimakatastrophen, für die Überwindung der Ungerechtigkeit der Reichen gegenüber den meisten Menschen im “globalen Süden” und so weiter. Wahrscheinlich entdeckt “man” dann im Engagement mit anderen seine eigene Spiritualität oder sucht sich in aller Freiheit seine eigene, seine “einfache”, jesuanische, in jedem Fall nicht-hierarchische  Spiritualität. Also außerhalb des römischen Systems.

2.
Aber schon an dieser Stelle wird auf eine weitere Aktualität des Thema hingewiesen: Denn dieser Systemvergleich (Kommunismus – katholische Kirche) hat seit etlichen Jahren eine neue Dimension erreicht: Bekanntlich gibt es kein kommunistisches Sowjet-Imperium mehr, das üblicherweise mit der vatikanischen Theokratie verglichen werden könnte.

3.
Sondern jetzt steht das Kommunistische China – Imperium mit seiner kapitalistischen (modernen) Ökonomie als Beispiel des Systemvergleichs im Mittelpunkt. Auch wenn der chinesische kommunistische Alleinherrscher Xi immer wieder betont: „Unsere Modernisierung bedeutet nicht Verwestlichung“, so gibt sich China im ganzen de facto (nur) nach außen hin (!) sehr westlich, denn es kann gar nicht auf die technischen und wissenschaftlichen Errungenschaften der europäischen-amerikanischen Moderne verzichten. Die Spionage Chinas u.a. in der Forschung des Westens ist bekannt…

4.
Und auch der Vatikan als Theokratie gibt sich unter Papst Franziskus nach außen hin seit einigen Jahren etwas moderner, d.h. demokratischer, man möchte sagen etwas sympathischer, dem Anschein nach: Denn nun heißt das vatikanische Leitwort „Synode”, also gemeinsames Beraten von Klerikern aber auch mit einigen vom Klerus ausgewählten Laien und Nonnen. Die Verlogenheit im Umgang mit dem „Synoden“ Begriff wird schnell deutlich: Diese Synodalen können zwar Mehrheits – Beschlüsse fassen, aber diese haben keine bedeutende Wirkung: Denn allein der Papst entscheidet, ob diese Beschlüsse auch „realisiert“ werden. Wer es noch nicht weißt: Auch Papst Franziskus ist der absolute Herrscher über die Kirche. (Siehe das “Kanonische Rexcht” von 1984, Kanon 331.

Die Allmacht des Papstes im Umgang mit Synoden: Ein Beispiel: Die „Amazonas-Synode“ (2019) von Bischöfen und wenigen Laien in Rom forderte die Aufhebung des Zölibatsgesetzes für die dortigen Priester: Aber der Papst realisierte danach nicht diesen Mehrheitsbeschluss. Dazu hat der Bischof em. vom Amazonas, Erwin Kräutler, seine treffende Meinung im Juni 2023 veröffentlicht. LINK.

Zur Weltsynode in Rom (Oktober 2023) hat Papst Franziskus nun wie üblich eigenmächig bestimmte Kleriker als Mitglieder berufen,, etwa Kardinal Gerhard Ludwig Müller, einen der reaktionärsten Kirchen-Fürsten heute. Er ist in dieser Synode als Kleriker selbstverständlich stimmberechtigt… Er kann also reaktionäre Positionen unterstützen und mit seinen Freunden durchsetzen…

Auch in Deutschland hgab es eine gewisse Synoden-Begeisterung unter Katholiken: Aber die Engagierten wissen – oft uneingestanden – genau: Alle ihre demokratischen Mehrheits-Entscheidungen müssen vom Papst abgesegnet werden. Globale Reformen, wie in Deutschland gewünscht („Priestertum der Frauen“), sind nur eine Utopie, über die man Jahrzehnte lang reden kann. Offiziell heißt es vom „Synodalen Prozess“ in Deutschland im Jahr 2022: „Über die Umsetzung von Beschlüssen, die eine weltkirchliche Relevanz entfalten, entscheidet der Apostolische Stuhl, also der Papst…Entsprechende Beschlüsse der Synodalversammlung müssen als Votum der Kirche in Deutschland an Rom gerichtet werden.“

5.
Mit anderen Worten: Es gibt eine überraschende begrenzte Parallele zu Xi und seinem Modernisierungsprogramm: Nur nach außen hin gibt man sich in Peking westlich. So, wie die Theokratie Vatikan etwas moderner, etwas demokratisch nach außen hin tut. „Synode hurra“ möchte man sagen, ohne dass nun die Prinzipien der Moderne und der Demokratie von der Theokratie Vatikan respektiert werden. Ein frommer Schein wird von den Theokraten geweckt … und den Engagierten ihre Lebens-Zeit gestohlen…Wie sinnlos und ergebnislos war damals letztendlich die Würzburger Synode (1971-1975)? Wie sinnlos und frustrierend das „Niederländische Pastoralkonzil“ (1966-1970): Alle richtigen Reformvorschläge der Mehrheit dort wurden von den Herren der Theokratie im Vatikan zurückgewiesen… Und die katholische Kirche der Niederlande in den Niedergang geführt.

6.
Es könnte manche fromme Seele erstaunt sein, wenn der Vatikan hier eine Theokratie genannt wird: Aber diese Bezeichnung ist unter Politologen üblich, denn der Vatikan als Herrschaftsform ist allein religiös legitimiert, und zwar durch den einen Satz im Neuen Testament, in dem Jesus von Nazareth dem Fischer Petrus eine Sonderrolle als „Chef“ seiner imaginierten Kirche zuweist (siehe Matthäus-Evangelium 16,18). Unter Historikern und kritischen Bibelwissenschaftlern ist heute eindeutige Überzeugung: Jesus von Nazareth dachte nicht im entferntesten daran, eine Kirche zu gründen, dazu war seine Erwartung eines baldigen Endes des Welt viel zu dominant. Und einen Fischer Petrus (übrigens verheiratet! und sicher Analphabet) als Papst konnte sich der Wanderprediger Jesus nun auch nicht vorstellen.
Aber die Kleriker im Vatikan haben zur Rechtfertigung ihrer Macht die Interpretation dieser Bibelstelle absolut „gepachtet“. Sie sind die einzig gültigen Interpreten.
„Theokratie“ bezogen auf den Vatikan heißt ja nicht, dass Gott selbst unmittelbar vom Himmel aus rein regiert in die Welt. Theokratie bedeutet, dass es eine Gruppe von Klerikern gibt, die den heiligen Text der Bibel so deutet, dass nur sie die einzig gültigen Interpreten ist. Diese Herren Kleriker (es sind immer Männer) stehen also gleichsam auf Gottes Seite und sind, wie der Papst in entscheidenden Glaubens – und Moralfragen sogar unfehlbar. Das heißt nichts anderes: In ihnen und durch sie spricht dann Gott selbst… behaupten diese Leute, die noch von Laien und einfachen Pfarren und Ordensleuten als „Hochwürden“ oder „Heiliger Vater“ verehrt werden…

7.
Aber das vatikanische Imperium als Theokratie wird dann auch im weltweit verbreiteten „Katechismus der katholischen Kirche“ (1993) urbi et orbi gelehrt: „Christus selbst ist der Urheber des Amtes (also des Papst-Amtes) in der Kirche. Christus hat es eingesetzt, ihm Vollmacht und Sendung, Ausrichtung und Zielsetzung gegeben“ (§ 874 im „Katechismus der katholischen Kirche“, S. 259). Es wäre also eine Gotteslästerung, wenn der Papst dieser „Einsetzung des Amtes“ durch Christus persönlich widersprechen würde oder wenn er das Amt in der bestehenden Form grundlegend reformieren oder gar aufgeben würde. Die klerikale Theokratie ist also wie Gott selbst „ewig“, soll man denken.

8.
Um noch einen Moment beim Vergleich China von Xi und dem nun etwas demokratisch erscheinenden Vatikan zu bleiben:
Xi will eine weltpolitische Rolle spielen, als Vermittler auftreten, als Friedensstifter im Krieg Russlands gegen die Ukraine

Der Papst will auch weltpolitisch eine große Rolle spielen, deswegen die diplomatischen Bemühungen von Papst Franziskus etwa um Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine. Deswegen das starke Drängen des Papstes seit Monaten, mit Patriarch Kyrill von Moskau in gutem Einvernehmen zu sein.

Dabei spielt der Papst seine übliche Doppel-Rolle aus: Einerseits ist er Staatschef des Staates Vatikan-Stadt, andererseits auch spiritueller Führer der katholischen Kirche und ihrer Gläubigen. Der Papst ist spirituell der Inhaber des “Heiligen Stuhls”, ein Titel, bezogen auf einen imaginären Stuhl des heiligen Petrus, den angeblich Jesus von nazareth zum ersten Papst auserwählt hat… und diese Rolle als Inhaber des “Heiligen Stuhls” ist am wichtigsten. In der Herrschaft über den “Heiligen Stuhl” bündeln sich die Leitungsaufgaben der katholischen Kirche UND des Staates Vatikanstadt”, wie der italienische Kassationsgerichtshof 1979 die Sachlage klärte.(Siehe dazu: Corrado Augias, “Die Geheimnisses des Vatikan”, München 2011, S. 439). Die Botschafter des Papstes (Nuntien) in fast allen Ländern repräsentieren also den “Heiligen Stuhl”, also die umfassende religiöse wie politische Macht des Papstes….  so wie auch die ausländischen Botschafter  beim “Heiligen Stuhl” in Rom akkrediert sind … und nicht beim Staat Vatikanstadt. Noch einmal: Der “Heilige Stuhl” ist Völkerrechtssubjekt! Ein Völkerrechtssubjekt, das eine Theokratie oder anders gesagt eine Wahl-Monarchie ist, diese päpstliche Herrschaftsform kennt keine übliche Gewaltenteilung, keine durch eine Verfassung begrenzte Macht des Monarchen (des Papstes).

Welch ein intellektueller Tiefpunkt, welche Ideologie, wenn ein Theologieprofessor und Kardinal, Gerhard Ludwig Müller, lange Jahre Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre im Vatikan,  in seinem Buch “Der Papst” (Herder Verlag, 2017)  514 lapidar behauptet:” Der päpstliche Primat hat grundsätzloich nichts mit einer monarchischen und sonstigen Form von Machtausübung zu tun”.

Der Papst ist also absoluter geistlicher Führer für 1,3 Milliarden KatholiKinnen und  Staatschef des Minimal Staates Vatikanstadt (Größe 0,44 Quadratkilometer, 618 Staatsbürger).

ZWEITES Kapitel: Ein Systemvergleich: Real-Sozialistische /Kommunistische Diktaturen und die päpstliche Theokratie.

9. Zur Vertiefung:
Auf die Notwendigkeit einer Untersuchung einer Strukturanalogie von Religion (in unserem Fall Katholizismus) und sozialistischer Diktatur wird man immer wieder von verschiedener Seite aufmerksam gemacht. „Es gibt eine Strukturanalogie zwischen Religion und einer sozialistischen Diktatur… Wie der Papst beanspruchten auch die sozialistischen Parteiführer eine Generalkompetenz über alle Werte-Entscheidungen“, schreibt der Philosoph Harry Lehmann (Berlin) in der Kultur-Zeitschrift „Lettre International“, Winter 2021, Seite 26.
Auf eine „Strukturanalogie“ von Katholizismus und sozialistischen bzw. kommunistischen Diktaturen wurde schon mehrfach auch von großen katholischen Theologen hingewiesen, wie etwa von Hans Küng: „Die Kirche ist von einer Gemeinschaft der Gläubigen zu einer geistlichen Diktatur geworden“, schrieb Küng 2011 in seinem Buch „Ist die Kirche noch zu retten?“. Und: „Der biblische Jesus Christus hat die Päpste beim Ausbau ihrer Macht gestört und er ist durch ein selbstfabriziertes Kirchenrecht verdrängt worden“. Unter vielen Quellenverweisen nur diese: LINK  . Und noch einmal Küng: „Ohne ein Ende des römischen Hofstaats wird auch einem neuen Papst kein Durchbruch und Aufbruch gelingen“, sagte Küng. Quelle:LINK
Man erinnere sich auch an die heftige Kritik an der Bürokratie im „vatikanischen Hofstaat“ durch den international hoch geschätzten katholischen Theologen Karl Rahner SJ: Es gibt viele Stellungnahmen, Interviews, Zeitungsbeiträge Rahners, die seine Ablehnung des römischen Herrschaftssystems belegen: So nannte er vatikanische Theologen tatsächlich „Bonzen“, im Sinne von ideologisch verblendeten Partei-Bonzen oder Partei-Genossen in sozialistischen Diktaturen. (Quelle: Herbert Vorgrimler, „Karl Rahner verstehen“, Topos Taschenbücher 2002, S. 117.)

10.
Eine kurze Darstellung der Analogie der beiden Systeme:

Die sozialistischen (kommunistischen) Diktaturen (in Zukunft SD abgekürzt) beziehen sich auf eine Gründergestalt (bzw. mit Friedrich Engels auf eine zweite): Karl Marx. Beide dachten nicht im entferntesten an den Stalinismus.
Die katholische Theokratie (KT abgekürzt) bezieht sich auf die Gründergestalt Jesus von Nazareth bzw. „Jesus Christus“ oder nur „Christus“. Aber von der Bibelwissenschaft her ist eindeutig: Jesu hat gar kein Kirche begründen wollen und können…

Das grundlegende Buch in den SD ist „Das Kapital“.
Das grundlegende Buch in der KT ist die Bibel bzw. vor allem das „Neue Testament“. Das „Kapital“ ist keine Anleitung für den Stalinismus, das „Neue Testament ist keine Anleitung für die Hexenverfolgungen oder die Verbrennung von angeblichen Irrlehrern.

Die einzig zugelassene Interpretation des Gründungsbuches beansprucht die KP-Parteiführung bzw. die Führung der Sozialistischen Partei (etwa SED). Ihr Selbstverständnis drückt sich etwa in dem bekannten Kampf-Lied aus „Die Partei, die Partei, die hat immer recht…“ (Es ist raffinierterweise die anonyme „Partei“, nicht ein konkreter Parteiführer, der recht hat…

Die einzig zugelassene Interpretation des Gründungsbuches „Neues Testament“ beansprucht in der KT der Papst bzw. die von ihm eingesetzten Bischöfe und dann in der Hierarchie die von Bischöfen geweihten Kleriker. Ihr Selbstverständnis drückt sich in dem Lied „Fest soll mein Taufbund immer stehen“ aus, besonders in dem Vers „Ich will die Kirche hören, sie soll mich allzeit folgsam sehen und gehorsam ihren Lehren“… „Die Kirche“ hören, nicht einen konkreten Bischof…

Die Partei (d.i. das Zentralkomitee, ZK) beansprucht, „die” Wahrheit, die einzige wahre Wahrheit , zu „haben“, für alle Bereiche des Lebens. Sie will diese Wahrheit international ausbreiten (Beispiel: im Ostblock durch die KPDSU etc.).

Die Entwicklung des Ideologie in der UdSSR stagnierte: “Alle sowjetischen Führer bis 1984 haben von Ideen gelebt, die aus den 1920er- bis 1950er Jahren stammten. Als wäre die Welt aus Beton” (so der belarussische Schriftsteller und Oppositionelle Viktor Martinowitschin “Die Zeit”, 29.Juni 2023, S. 43).

Die katholische Kirche lebte seit dem Trienter Konzil im 16. Jahrhundert bis zum 2. Vatikanischen Konzil 1962 ebenfalls in einer erstarrten Ideologie (Theologie) ohne jeglichen Wandel wie in einer Welt aus Beton…

Die Kirche (d.i. der Papst und die von ihm ernannten Bischöfe) beansprucht „die” Wahrheit, die einzige, für alle Bereiche des Lebens, auch der Politik und der Sexualität, zu „haben“ und allen Menschen mitzuteilen (darum weltweite Mission). Man denke an das Reinreden der Kirchenführer in die Sexualmoral der Katholiken…

Wer „die“ Wahrheit nicht annimmt und nach außen bekennt, möglichst wortwörtlich, wird vom ZK wie auch von der Glaubensbehörde (Heiliges Offizium) kritisiert, ausgegrenzt, verfolgt, vernichtet. Die Ketzerverfolgung in der katholischen Kirche hat natürlich eine viel umfassendere längere Tradition aufgrund des längeren Bestandes dieser Institution Kirche…

„Die Lehre“ wird vom ZK der SD bestimmt und bei Parteitagen manchmal geändert. Die kommunistischen Basis-Dogmen bleiben aber unberührt, etwa die führende Rolle der KP oder SED usw. Damit schützt sich die Parteiführung, wohlwissend, dass ihr totalitärer Anspruch der absoluten Führung von Marx gar nicht gefordert wird.

Die Kirchen-Lehre wird vom Papst und seinen Gremien, auch vom Konzil, das dem Papst untersteht, gelegentlich moderat verändert, etwa: „Landessprache in der Messe“ seit 1965, „Religionsfreiheit ist kein Verbrechen“ oder Möglichkeit der Feuerbestattung für Katholiken.
Die Basis-Dogmen hingegen bleiben aber unberührt, damit sichert sich der Klerus seine alleinige Interpretationsgewalt. Es gilt die totale – auch sprachlich fixierte – Unwandelbarkeit der vielen seit dem 3. Jahrhundert einmal formulierten Dogmen. Das in den katholischen Messen heute immer noch gesprochene „nizänokonstinopolitischen Glaubensbekenntnisse“ ist für heutige Menschen unverständliches Blabla. Wer versteht schon, dass „der Heilige Gest vom Vater ausgeht“…Wenn interessiert, das „der Logos gezeugt, aber nicht geschaffen ist“…Philosophen vielleicht.

Geschlossenheit und Einheitlichkeit wird von der Führung für die Funktionäre vorgeschrieben: Man denke an die Sitzordnung bei den Parteitagen. Parallel dazu: die absolut gleich gestalteten Gewänder und Mitren bei den Bischöfen bei größeren Zusammenkünften auch in Rom. Die Individuen „Bischöfe“ verschwinden unter der totalen Identität der Kostümierung. Das ist wohl so gewollt. Einstimmigkeit ist die Mitte der Diktaturen, Vielfalt die Mitte der Demokratien.

Die Zensur verbotener Bücher: Zensur im Verlagswesen in der SD, der Index verbotener Bücher im Katholizismus. Das „Imprimatur“ wird heute noch gewünscht.

Die Sonderstellung hoher und höchster Funktionäre in der SD, sie wohnen in separaten Siedlungen, haben Zugang zu westlichen (kapitalistischen) Konsumgütern, Leben im Luxus.
Und in der katholischen Kirche: Hohe Gehälter für Bischöfe, etwa in Deutschland, Luxuswohnungen für Kardinäle im Vatikan, Dienstautos usw.

Akzeptanz privater „Seitensprünge“ hoher Funktionäre (nur einzelne Funktionäre werden als Symbole des Kampfes gegen Korruption in Chinas KP verfolgt),
Akzeptanz der privat gehaltenen, verschwiegenen „Seitensprünge“ des Klerus (Heteros im Klerus haben ihre Freundinnen, Homos im Klerus ihre Liebhaber) , aber alles bitte nicht öffentlich machen. Man lese die instruktive Studie „Sodom“ von Frédéric Martel.

Zusammenfassung:

Die Entwicklung der Ideologie in der UdSSR stagnierte: “Alle sowjetischen Führer bis 1984 haben von Ideen gelebt, die aus den 1920er- bis 1950er Jahren stammten. Als wäre die Welt aus Beton” (so der belarussische Schriftsteller und Oppositionelle Viktor Martinowitsch in “Die Zeit”, 29. Juni 2023, S. 43).

Die katholische Kirche lebte seit dem Trienter Konzil im 16. Jahrhundert bis zum 2. Vatikanischen Konzil 1962 ebenfalls in einer erstarrten Ideologie (Theologie) ohne jeglichen Wandel “wie in einer Welt aus Beton”…

11.
Die Brutalität der Verfolgung von Abweichlern findet in den sozialistischen/kommunistischen Diktaturen (China, Vietnam, Kuba, Nord-Korea) bis heute statt.
Die Brutalität der Verfolgung von Ketzern und Abweichlern im Katholizismus findet jetzt keinen unmittelbaren materiellen, leibhaftigen Ausdruck mehr, diese Brutalität war aber bis ins 19. Jahrhundert üblich. Wie viele Tausend Ketzer wurden verbrannt, wie viele Tausend Irrlehrer verfolgt, wie viel Tausend Hexen verbrannt uns so weiter…
Aber die psychische Brutalität im Umgang mit Abweichlern und „Unbequemen“ im Katholizismus verursacht auch heute seelisches Leiden, Ausgrenzung, privates finanzielles Desaster usw.

12.
Viele sozialistische Regime im Osten Europas sind seit 1989 weithin überwunden worden. Der Zusammenbruch der Sowjetunion war sicher auch ökonomisch bedingt, Stichwort „Hochrüstung“. Aber der Zusammenbruch des Sowjetimperiums war dann doch möglich, weil es eine kleine Gruppe von Abweichlern innerhalb der KPDSU gab, vor alem einen Michael Gorbatschow. Einen solchen Zusammenbruch des Imperiums Papstkirche/Katholizismus ist trotz aller Reformgrüppchen und aller so genannter Synodaler Wege nicht möglich…Solange eben der Papst die Allmacht des Papsttums (Heiliger Stuhl, Unfehlbarkeit, Monarchie etc.) behält und beansprucht. Ein Machtverzicht des Papstes ist nicht in Sicht, trotz allen Schwadronierens von Synodalen Wegen und Synoden. Erst wenn ein Papst gewählt wird, der das papsttum beendet, ist eine Ende dieser Klerus – Diktatur in Sicht.

13.
Warum ist die Theokratische Diktatur des Vatikans, also die klerikale Führung der Katholischen Kirche, nicht zusammengebrochen? Weil so viele religiöse Menschen wider alle Vernunft auch heute noch an Wunder und Wunderbares glauben, weil sie meinen, Gott höchst persönlich will diese Katholische Kirche, inclusive Papsttum, so wie sie ist.

Solange es also ein “göttliches Erschauern und Bewundern der “Hochwürden und Eminenzen und Heiligen Väter gibt, wird sich im Katholizismus nichts grundlegendes, also Vernünftiges, Humanes, ändern. Erst wenn viele Millionen Menschen erkennen: Jede Kirche ist Menschenwerk und damit reformierbar, und die Bibel ist nur ein geistiges, poetisches Produkt frommer Menschen und nicht unmittelbar “Gottes Wort”, wird sich etwas grundlegend zum Guten, Humane, verändern.

In Westeuropa ist der Abschied, der Austritt aus der katholischen Kirche, zahlenmäßig faktisch erwiesen, jetzt immens. In Afrika und manchen Gegenden Asiens sind viele Millionen Menschen (noch) katholisch, bevor sie wahrscheinlich wie in Lateinamerika zu den Evangelikalen und Pfingstgemeinden „konvertieren“…
Vielleicht hängen sie noch am Katholizismus, weil der Vatikan für sie weit weg ist? Und ihre Gemeinden dort oft der einzige soziale und caritative (!) Zusammenhalt sind? Und junge Männer in Indien und auf den Philippinen machen als Kleriker eine schöne und sichere Karriere… Vielleicht später mit einer „Mission“ im reichen Europa? Um die Lücken in den europäischen priesterlosen Gemeinden zu stopfen?

14.
Warum hat der Katholizismus sein „1989“ bisher nicht erlebt? Dies liegt sicher auch an der Lehre, der Spiritualität, den Gottesdiensten, den Wallfahrten usw., so dass viele Katholiken eben trotz und gegen den Vatikan katholisch bleiben, um der Wunder (Lourdes, Fatima!) und der Mystik willen, was auch immer man unter Mystik versteht.
Katholische Religion ist eben immer auch Opium und Folklore (Spanien, Semana Santa) … Außerdem sind gotische Kathedralen schön anzusehen oder barocke Kirchengebäude auch. Es ist sozusagen diese wundervolle, ästhetisch als erhebend erlebte Welt der uralten Frömmigkeit, die letztlich dafür sorgt, dass diese theokratische Diktatur bis heute noch fortbesteht. Natürlich weiß niemand, wie die Taube neben dem Gott Vater mit Bart ins barocke Bild kommt,…“Aber warum soll die Tierwelt, etwa die Taube, nicht auch im Himmel eine Rolle spielen, sagte mir ein junger Mann einmal in einer bayerischen Barockkirche… Vom Symbol der Taube als Heiliger Geist hatte er wie die meisten Besucher dieser kirchlichen Museen genannt Barockkirchen keine Ahnung…

Die Kommunisten hatten ihre Kulte kurzfristig erfunden, wie die Feiern zum 1.Mai, aber sie haben keine innere Resonanz bei den Menschen gefunden. Der russische Historiker Michail Ryklin hat in seinem wertvollen Buch „Kommunismus als Religion“, Frankfurt am Main 2008, darauf sehr anschaulich hingewiesen.

15.
Papst Franziskus denkt gar nicht daran, eine explizit synodale, und das meint immer (!) eine demokratische Kirche zu gestalten. Er verändert mit vielen Worten sozusagen etwas die Farbtöne in der katholischen Bilderwelt, aber ein neues modernes Bild will er nicht entwerfen oder gestatten. Denn dann gäbe es bei einer solchen Reformation, die mehr ist als eine Reform, auch keinen Papst und kein Papsttum mehr. Dann gäbe es aber die Gemeinschaften der gleichberechtigt Glaubenden, dann gäbe es auch keine „Laien“ und auch „Kleriker“ mehr, sondern nur noch spirituell suchende „Brüder und Schwestern“.

16.
Aber diese neue Kirche ist genauso eine ferne, sicher nie erlebbare Utopie wie die klassenlose Gesellschaft im Kommunismus.

17.
Warum also dieser Systemvergleich von zwei Diktaturen?
Weil die eine, die real-sozialistische und kommunistische Diktatur, keine innere, seelische Verheißung bieten konnte, keine transzendierende Illusion. Sie musste ohne Gott auskommen, und das war ein Teil ihrer Katastrophe.
Die katholische Diktatur wurde und wird, wie erwähnt, für viele erträglich durch die von den Dogmen gelieferte Verzauberung der Welt und der Existenz. Aber diese Verzauberung hat auch vielerorts keine Macht mehr, und so ist die Frage offen: Was kommt nach dem Ende auch dieser katholischen antidemokratischen Welt (also der Theokratie)? Wird es eine humane, eine vernünftige, eine elementare christliche Religion der Nächstenliebe und der Gerechtigkeit geben? Oder wird der Konsumismus und der Neoliberalismus den endgültigen Sieg haben, falls denn die Welt nach all den Öko – und Umweltkatastrophen, den sinnlosen Kriegen und dem Gemetzel mit dem lukrativen Waffenexport etc. noch existiert.

18.
Mit einem Bedauern endet der Blick zurück, mit einem Bedauern darüber, dass sich so viele Menschen gern in der – dialektisch gesehen – behütend-zerstörerischen Macht von Diktaturen irgendwie dann doch einrichteten und gar wohlfühlten und immer noch wohlfühlen. Es ist die unreflektierte Bindung an angeblich allmächtige Autoritäten und der innere Zwang, gehorsam und angepasst zu leben, der diese Diktaturen und die Theokratie am Leben erhält und – wie im Falle des Vatikans – immer wieder mit Geld versorgt, obwohl diese Theokratie allein durch ihren Immobilienbesitz in Rom ein Milliardenvermögen hat. Aber die aufgeklärte, gebildete Jugend Westeuropas denkt anders. Welchem Gott wird sie folgen?

DRITTES KAPITEL als Ergänzung: I.: Der Beitrag des polnischen Philosophen Leszek Kolakowski.

Der polnische Philosoph Leszek Kolakowski hat 1977 einen Beitrag veröffentlicht mit dem Titel „Marxistische Wurzeln des Stalinismus“, dieser Text wurde in dem Buch „Leben trotz Geschichte“ (hg. Leonhard Reinisch), München 1977, S. 257-281, publiziert.

19.

Kolakowski, einer der bedeutenden europäischen Philosophen, war zunächst in Polen Marxist und Kommunist. Als Dissident wurde er 1966 aus der Partei ausgeschlossen und dann lehrte er seit 1969 als Philosoph an verschiedenen Universitäten in Kanada, den USA und vor allem in Oxford. Dort ist er (1927 im polnischen Radom geboren) im Jahr 2009 gestorben. …

Zu unserem Thema sind diese Hinweise Kolakowskis von Bedeutung: Die Bindung der Gläubigen an die katholische Kirchenführung, den Klerus, den Papst usw., ist in Westeuropa und Amerika mindestens bis 1968, strukturell verwandt mit der Bindung der Menschen an das totalitäre System des Kommunismus in Osteuropa bzw. der damaligen Sowjetunion.

20.

Kolakowski nennt ein politisches System totalitär, in dem „alle Gruppen und Individuen nur für Ziele handeln, die zugleich Ziele des Staates sind und als solche vom Staat festgelegt werden“ (S. 260).
Übertragen auf die Bindung der „engagierten Katholiken“ an die Kirchenführung heißt das: Auch diese Katholiken haben nur „für Ziele gehandelt, die zugleich Ziele der Kirchenführung sind und als solche von der Kirchenführung festgelegt werden“.
Also konkret gesagt: Die Kirchenführung bestimmt das Familienleben, die Gestaltung der Sexualität, sie schreibt vor, welche Bücher der Katholik ohne Strafe lesen darf, welche Partei er wählen darf, wie der Katholik mit Andersdenkenden umgeht usw..

21.

Weiter führt Leszek Kolakowski zum kommunistischen Totalitarismus aus: „Der Staat und seine organisatorischen Instrumente bilden die einzigen Formen des sozialen Lebens. Jede Art menschlicher Tätigkeit ist erlaubt, nur sofern sie im Dienst der staatlichen Ziele steht.“
Auf die Bindung der katholischen Gläubigen an die Kirchenführung bezogen heißt dies: Die einzige wertvolle und Gott – bzw. der Kirchenführung wohlgefällige Form des Lebens spielt sich für einen Katholiken nur in der Kirche ab, in der Pfarrgemeinde, in den Gemeindegruppen, den katholischen Verein und katholischen Schulen bis hin zu katholischen Friedhöfen… LINK.

22.

Leszek Kolakowski nennt weitere Elemente totaler Herrschaft in der Sowjetunion und in kommunistisch gelenkten Staaten:
Formen der repräsentativen Demokratie gibt es nicht….
Auf die katholische Kirche bezogen: Sie ist stolz darauf, nicht-demokratisch zu sein. Der Vatikan bzw. der “Heilige Stuhl” ist eine absolute “Wahl-Monarchie”.

Es gibt im Kommunismus keine wirklichen Wahlen. Es gibt keine freie Presse… und die gab es als katholische Kirchenpresse bis vor 20 Jahren gar nicht. Dann gab es Wahlen für den Pfarrgemeinderat, der nur beratende Funktion hat, die letzte Entscheidung trifft der Priester.
Ähnliches gilt für Synoden und synodale Prozesse… Alle Druckwerke hatten ein amtliches „Imprimatur“ …und in den katholischen Presserzeugnissen wachten strenge Priester über die Orthodoxie der Texte und der Autoren. Texte theologischer Dissidenten wurden nicht gedruckt. Man denke an das bischöflich verordnete Ende der kritischen katholischen Wochenzeitung PUBLIK.
Es gab keine Pluralität mit tatsächlicher Vielfalt. Alle Gruppen, ob kommunistisch oder katholisch, wurden von der Führung kontrolliert und in ihrer Entfaltung bestimmt.

23.

Kolakowski weist darauf hin, dass fast niemand die offizielle kommunistische Staatsideologie wirklich aus Überzeugung glaubte. Aber die kommunistische Staatsideologie musste nach außen aufrechterhalten bleiben, damit das ganze System des Staates nicht zusammenbricht. Dissidenten wurden bestraft.

Auf die katholische Kirche übertragen: Nur wenige glaubten das ganze fdogmatische System, das sich in dickleibigen Katechismen darstellte. Nur wenige glaubten etwa, dass sich Jesus von Nazareth den armen Fischer Petrus tatsächlich als den ersten Papst wünschte. Wobei doch fast jeder schon wusste, dass Jesus von Nazareth überhaupt nicht an eine Kirchengründung dachte, war er doch vom nahen Ende dieser Welt überzeugt. Aber bis heute glauben die klerikalen Beamten im Vatikan, dass die Form ihres Papsttums genau dem Willen Gottes und den Weisungen Jesu von Nazareth entspricht. Und sie hämmern diese Ideologie ihrer eigenen Herrschaft den Glaubenden ein. Vergeblich, auf lange Sicht…

24.

Im Katholizismus, seit etwa 1968, konnten sich die Gläubigen in nicht-kirchliche Organisationen flüchten, in feministische Gruppen, in Parteien, die nicht das „C“ als Aushängeschild hatten, in NGOs usw. Dieses Verbundensein mit säkularen Gruppen und Lebensformen schwächte entschieden die totalitäre Herrschaft der Kirchenführung. Bis heute versucht sie, ihre Allmacht zu festigen, im Bereich der Sexualmoral, der Abweisung der Gleichberechtigung von Frauen in den kirchlichen, priesterlichen Ämtern, die Abweisung der Homoehe usw.
Mit anderen Worten:
Die Katholiken konnten ihre menschliche Existenz auf eigene Art ohne kirchliche Vorschriften leben, weil sie sich in der freien, säkularen Gesellschaft entwickeln konnten. Die säkulare Welt, die Aufklärung, die Menschenrechte, haben die Gläubigen in ihrem Menschsein gerettet.

II: Die Hinweise des us-amerikanischen Philosophen Reymond Geuss. Er war Schüler eines katholischen Internats in den USA.

25.

Das neueste Buch von Reymond Geuss “Nicht wie ein Liberaler denken” (Suhrkamp 2023) ist auch eine Art philosophische Autiobiographie. Auf Seite 16 schreibt Geuss: “Lenin und Lukács haben beide von der Notwendigkeit einer Ideologie für das Proletariat gesprochen. Es war keine ausreichende Voraussetzung, unterdrückt zu sein oder gar zu wissen, dass man unterdrückt war; man musste auch Möglichkeiten haben, das empfundene Elend zu artikulieren, theoretisch zu verarbeiten…Man brauchte so etwas, wie das, was der Katholizismus zur Verfügung stellte”. Entscheidend die Erkenntnis: “Die Schwierigkeit ist natürlich, dass wir gegenüber allen totalisierenden ideologischen Konstruktionen wie dem Kommunismus und dem Katholizismus zu Recht misstrauisch geworden sind” (S. 17).

 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Siehe auch die Ra­dio­sen­dung von Christian Modehn, WDR, „Die Pyramide des lieben Gottes. Über die Macht und das System in der römischen Kirche“ (Erstsendung am 1.11.2009)   U.a mit O Tönen von Otto-Hermann Pesch, Josef Imbach, Hermann Häring, Friedrich Wilhelm Graf, aber auch Kardinal Joachim Meisner und Kardinal Joseph Ratzinger: Vor allem dessen Empfehlung beachten, dass Theologiestudenten bitte wie Spitzel ihre Professoren beobachten sollten, vgl. O TON 16.     LINK

 

 

 

Austritte aus der Katholischen Pfarrei St. Matthias in Berlin – Schöneberg: Ein Beispiel für religiösen Wandel in Deutschland.

Diese begrenzte, kleine Detailstudie ist wichtig zum Thema:
„Das – zahlenmäßige – Verschwinden der katholischen Kirche in Berlin”

Ein Hinweis von Christian Modehn.

Siehe auch den aktuellen Beitrag zum Thema, publiziert am 15.4.2024 LINK.

1. Das Gemeindeblatt dieser Pfarrei St. Matthias hat manchmal Statistiken veröffentlicht, auch zur Zahl der „Austritte“, wie es in den Heften im Amtsdeutsch heißt. „Austritte“ ist ein Begriff, der für Sachen gilt. Es wurden nicht Menschen befragt, warum sie denn austreten. Es wurde nicht mitgeteilt, wie es mit Altersstruktur der „Austritte“ bestellt ist.

2.  Ich wohne (mit meinem Freund und Partner) als Laien-Theologe der katholischen Theologie und theologisch – philosophischer Journalist seit 1989 im „Pfarrbezirk“. Im Jahr 2010 bin ich aus der katholischen Kirche ausgetreten und Mitglied einer protestantischen Kirche der Niederlande geworden.

3. In dieser seit langer Zeit von sehr konservativen Priestern geprägten Gemeinde sind seit vielen Jahren auch jüngere Priester des Neokatechumenats (aus Polen, Lateinametrika, Italien aber auch aus Deutschland) tätig. Sie haben in der Abgeschiedenheit des eigenen Priesterseminars „Redemptoris Mater“ in Berlin-Biesdorf studiert…Diese Neokatechumenalen gelten im theologischen Verständnis als Sondergruppe, manche sagen als machtvolle Sekte in der katholischen Kirche. Ohne neokatechumenale Priester gäbe es wohl kaum noch jüngere Priester im Erzbistum Berlin, und ohne indische und afrikanische Priester gäbe es sicher keine “klerikale Versorgung” der kleiner werdenden Gemeinden in Berlin wie überall in Westeuropa….LINK.

4. Ich vermute, dass viele Katholiken aus dieser Gemeinde ausgetreten sind, die der schwulen und lesbischen Community angehören. Sie haben in dem Kiez von Berlin-Schöneberg ihre Treffpunkte und wohnen auch oft in dieser Gegend. Eine besondere „pastorale Offenheit“ für Gays habe ich in der Pfarrei St. Matthias überhaupt niemals gesehen. “Sie lebt förmlich auf dem Mond”, sagte mir ein lateinamerikanischer Theologe einmal, was die völlig ignorierte „Inkulturation“ angeht. „Messe lesen“ ist die Hauptsache der drei jetzt verbliebenen Priester, sie müssen vier Schöneberger katholische Kirchen (einst „Pfarreien) mit ihren Messen versorgen. Im Eucharistiefeiern, im Messelesen, wertet sich der Klerus absolut auf … wird unersetzlich, weil ja die Messe als „das Höchste“ im Katholizismus von den Priestern propagiert wird.

5.
Die Statistik:
Die erste Statistik wurde im Gemeindeblatt im März 2013 veröffentlicht, auf S. 24:
Im Jahr 2009: 178 Austritte (bei 10.477 Gemeindemitgliedern)
Im Jahr 2010: 201 Austritte
Im Jahr 2011: 187 Austritte
Im Jahr 2012: 193 Austritte bei 9.704 Gemeindemitgliedern.
In dieser Zeit wurden insgesamt 26 „Wiederaufnahmen“ (einst „Ausgetretener“, die diese Wiederaufnahme oft aus beruflichen Gründen tun) registriert und 10 Konversionen zum Katholizismus.

Die zweite Statistik, mit einer gewissen zeitlichen Lücke, betrifft die Jahre 2017 bis 2022, veröffentlicht in “Pfarrnachrcihten” im Frühjahr 2023, S. 43.
Im Jahr 2017: 150 Austritte
Im Jahr 2018: 207 Austritte
Im Jahr 2019: 312 Austritte
Im Jahr 2020: 297 Austritte
Im Jahr 2021: 475 Austritte
Im Jahr 2022: 411 Austritte.

Ergänzt am 17.4. 2025:

Im Jahr 2024: 398 Austritte (Pfarrnachrichten 1/2025, S. 44).

Das sind, von 2017 bis 2022 zusammen: 1.852 Austritte aus der Pfarrgemeinde St. Matthias, Berlin-Schöneberg.
Die Anzahl der „Wiederaufnahmen“ in diesen Jahren: 28.
Die Anzahl der Konversionen: 17 in diesen Jahren.
Die vier Schöneberger Kirchen sind nun zu einer Gemeinde zusammengefügt worden, und diese hat 16.079 Mitglieder im Jahr 2022.
Von den Gemeindemitgliedern sind 2.090 über 70 Jahre alt.

6.
Es wäre eine wichtige Aufgabe für Religionssoziologen und Mathematiker zu berechnen, wie viele Mitglieder diese Gemeinde in 20 Jahren noch zählt, berücksichtigt man einen Mittelwert der „Austritte“ und die Altersstruktur. Dann käme man – sozusagen von einem Nicht- Mathematiker hochgerechnet – auf eine Zahl der Gemeindemitglieder von ca. 7.000 Gemeindemitgliedern im Jahr 2043. Für diese geringe Anzahl – immer noch (???) mit vier Kirchengebäuden etc. (St. Matthias, St. Konrad, St. Dominikus, St. Elisabeth) – könnte dann gut ein einziger neokatechumenaler Priester – aus Polen, Italien oder Mexiko – die Messen lesen. Das könnte bei guter Gesundheit des Priesters klappen…

7.
Aber: Diese präzisen Hochrechnungen macht niemand, jedenfalls werden sie nicht publiziert. Genauso wenig wie die Anzahl der Priester in 20 Jahren, die immer noch und wohl ad aeternum alles beherrschen als unersetzliche Messeleser, ermittelt wird.
Auch das Durchschnittsalter der jetzt noch tätigen Priester wird nicht bekannt gegeben.
Es ist die Angst vor der Wahrheit, die sich da ausdrückt. Diese Wahrheit könnten die Religionssoziologie und die Mathematik, also Wissenschaften, mitteilen. Das will die Hierarchie aber nicht wissen…. So lebt der Katholizismus weiter im Nebel, aber „selbstverständlich“ in „guter Hoffnung“, hießt es.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Karsamstag – Gedenken an den toten Gott?

Jesus von Nazareth, der „Sohn Gottes“:  Tot in seinem Grab. Und auch Gott ist tot?

Ein Hinweis von Christian Modehn

Es wird Zeit, der Gedankenlosigkeit oder Oberflächlichkeit zu widerstehen. Wir sollten vernünftig verstehen, was christliche Gedenk-Tage und Feier-Tage bedeuten können… etwa der „KARSAMSTAG“. Das ist, so wird hier gezeigt,  keine spekulative Spielerei. Wenn Gott wenigstens für kurze Zeit tot war, können sich doch Atheisten freuen. Und Christen mit ihnen.

1.
Einige haben den Tag zwischen Karfreitag und Ostersonntag den Samstag des „toten Gottes“ genannt. Was für ein treffender Titel! Vielleicht zeigt sich da ein für Atheisten und Christen gemeinsamer Feiertag, ein gemeinsamer Gedenktag? Welch eine Herausforderung für eine wirklich umfassende Ökumene aller Menschen, also einer Gemeinschaft, die sich nicht durch enge konfessionelle Strukturen, sondern von der menschlichen Situation angesichts von Leben und Tod bestimmt. Eine Utopie? Vielleicht.

2.
Zu der Überzeugung, dass Gott selbst tot im Grab liegt, sind religiöse Menschen gekommen durch theologische Poesie, ein Lied des Mainzer Jesuiten Friedrich von Spee. Er, der Feind aller Hexenverfolgungen, hat seine Verse 1628 geschrieben, zu Beginn des allgemeinen Abschlachtens der Christen untereinander im „Dreißigjährigen Krieg“. Die Strophe des Jesuiten hat den theologisch wahrlich umwerfenden Text: „O Traurigkeit, o Herzeleid, ist das denn nicht zu klagen! Gottes Vaters einigs Kind wird zu Grab getragen.“
Gott des Vaters „einigs Kind“ – es ist jenes „Kind Gottes“, das ganz “EINS” ist mit Gott dem Vater im Himmel… dieses “Kind” ist in der klassischen Theologie Jesus von Nazareth. Mit dem sterbenden und toten Kind Gottes, Jesus, liegt also auch Gott selbst im Grab. Sind doch Christen wie auch der Jesuit von Spee vom Einssein Gottes mit Jesus überzeugt. So liegt also Gott selbst tot im Grab. Und noch zugespitzter gesagt im Denken der klassischen Theologie: Zwei „Personen“ der Trinität sind tot. Nur der Heilige Geist, in der klassischen Theologie die dritte „Person“ der Trinität, lebt weiter, der Geist ist ewig.

3.
Es ist die Mühe wert, sich auf ein Intermezzo einzulassen und die Rezeption dieser Strophe und des dann weiter gedichteten Liedes „O Traurigkeit, o Herzeleid“ zu bedenken. Der protestantische Theologe und Poet Johann Rist hat 1641 die Strophen 2 bis 6 hinzugefügt.

Christen, selbst die „rechtgläubigen“, die dogmatisch korrekten Protestanten und Katholiken, haben diese Strophe des Jesuiten Friedrich von Spee in ihre Gesangbücher aufgenommen. In dem katholischen Gesangbuch „Ehre sei Gott“, Berlin 1958, ist es unter der Nr. 58 mit diesem Text aufgeführt. Auch die späteren Neuauflagen (etwa „Gottlob 1975) haben den Text so, wie er ist, beibehalten, das gilt auch für die evangelischen Gesangbücher (1993), dort die Nr. 80.
Hingegen wurde die zweite Strophe dieses Liedes, geschrieben von dem protestantischen Pfarrer und Dichter Johann Rist, von Katholiken verändert. In der ursprünglichen Fassung von Johann Rist heißt es in der zweiten Strophe „ O große Not! Gottes Sohn liegt tot…“, so im „Evangelischen Kirchen-Gesangbuch von 1951 wie auch in der Neuausgabe des evangelischen Kirchengesangbuches von 1993.

Theologische Angst vor einem „toten Sohn Gottes“ bekamen hingegen die Katholiken. Und so folgen sie nicht dem Text des Protestanten Johann Rist. Und behaupten in ihrer katholischen Fassung der 2. Strophe: „O höchstes Gut, unschuldiges Blut. Wer hätt dies mögen denken, dass der Mensch seinen Schöpfer sollt an das Kreuz aufhenken“.
Diese katholische Formulierung „der Mensch hängt seinen Schöpfer ans Kreuz“ ist für fromme Gemüter auch sehr irritierend und äußerst gewagt: Nicht mehr nur Gottes Sohn (Jesus) ist tot, sondern nun auch sogar der Schöpfer selbst, also Gott Vater! Und zwar wurde Gott selbst von Menschen ans Kreuz gehängt, wie es in der zweiten Strophe heißt. Gott ist also durch die Tat der Menschen gestorben. Diese hier zitierte zweite Strophe von „ O Traurigkeit, o Herzeleid“ ist tatsächlich die Nr. 188 im offiziellen katholischen Gesangbuch für Deutschland, Österreich, Brixen und Lüttich enthalten!

4.
Dieser Hinweis war notwendig, um Probleme beim Verstehen des Karsamstag deutlich zu machen. Dieser Samstag heißt immer noch der Karsamstag, das Wort „Kar“ stammt vom althochdeutschen Kara und bedeutet: Kummer und Trauer. Der Karsamstag ist also der Kummer-Samstag, der Trauersamstag. Wenigstens für diesen einen Tag ruht tatsächlich auch heute noch der ganze übliche kirchliche Betrieb, also auch das Feiern von Messen und Gottesdiensten, wenigstens an diesem einen Tag, dem Karsamstag, so will die katholische Kirchenführung, soll in ihren Kirchengebäuden förmlich „toten Stille“ oder besser „Stille des Toten Christus oder des toten Gottes“ herrschen. In den katholischen Kirchen ist der Altar leer geräumt, es gibt keinen Blumenschmuck, in manchen Kirchen wurde früher sogar ein Sarg, als Symbol des Grabmals Jesu, aufgestellt.

5.
Der Karsamstag ist also eingefügt zwischen dem Kar-Freitag, dem Kreuzestod Jesu, und dem Sonntag, dem Tag der Auferstehung Jesu, dem Tag, an dem Jesus siegreich den Tod überwunden hat und mit verklärten Leib der Gemeinde erscheint. So formuliert die klassische Theologie der Rechtgläubigen, der Katholiken und Protestanten, das Oster-Geschehen – in dem eigenes konstruierten „Kirchenjahr“. In diesem kirchlichen Jahresablauf hat der tote Jesus von Nazareth als „Gottes eigenes Kind“ nur einen einzigen Tag der Toten-Ruhe, nach dem Tod am Kreuz geht es nach dem Intermezzo des Karsamstags gleich siegreich und erfreulich und voller Wunder mit Jesus weiter, wie es die vier Evangelisten sehr bildhaft und extrem, unkontrolliert enthusiastisch beschreiben.

6.
Der Karsamstag als Tag der Leere und des toten Jesus (bzw. des toten göttlichen Weltenschöpfers, wie es das Lied sagt) war und ist den Kirchen immer irgendwie peinlich. Ich kann mich nicht erinnern, dass dieses Lied in der Zeit vor Ostern in den Messen oft gesungen wurde. Es ist ein Fremdkörper. Der tote Jesus, oder kirchlich-dogmatisch, der tote Jesus Christus oder sogar der „ans Kreuz gehenkte Schöpfer“, stören den Betrieb einer runden, alles wissenden und immer positiv gestimmten Theologie. Es gibt fast keine theologischen Studien zum toten Jesus (Christus) im Grab als Leiche. Es gibt also keine ausgebreitete und aktuelle Theologie des Karsamstags, die doch inspirierend sein könnte angesichts der Erfahrung vieler Menschen vom toten Gott.

7.
Denn der Gedanke könnte doch sein: Die Menschen haben „Gottes eignes Kind“ getötet, sie haben sogar den Schöpfer der Welt ans Kreuz gehenkt, wie es im Lied heißt. Die Menschen als Mörder Gottes, oder allgemeiner gesagt: Die Menschen als Mörder des Göttlichen, des Ewigen, des Heiligen – welche Provokation. Die Menschen haben die Idee Gottes ausgelöscht. Ist dieser Gedanke heute so abwegig, wenn wir an die Allmacht der Menschen in anderen Bereichen denke, in der Technik, der atomaren Rüstung, der systematischen Zerstörung der Natur, des Klimas, der Umwelt. Drückt „die letzte Generation“ nicht genau diese Erfahrung aus?

8.
Könnte Karsamstag nicht ein Tag werden, an dem das Schweigen in den Kirchengebäuden für eine Stunde unterbrochen werden sollte, etwa durch Lesungen, etwa aus Nietzsches Rede des tollen Menschen in dem Buch „Also sprach Zarathustra“: Nur ein kurzer Auszug:

„Wohin ist Gott?” rief der tolle Mensch, “ich will es euch sagen! 
Wir haben ihn getötet – ihr und ich!  
Wir sind seine Mörder! Aber wie haben wir das gemacht?  
Wie vermochten wir das Meer auszutrinken?  
Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? 
Was taten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun?
Wohin bewegen wir uns? 
Fort von allen Sonnen? 
Stürzen wir nicht fortwährend?  
Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? 
Gibt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht durch ein unendliches Nichts?  
Haucht uns nicht der leere Raum an? 
Ist es nicht kälter geworden? 
Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht?…..

9.
Friedrich Nietzsche könnte also der Philosoph des Karsamstags sein. Und der katholische Schriftsteller Reinhold Schneider könnte mit seinen Notizen “Winter in Wien” ein Theologe des Karsamstags werden. LINK. Als musikalische Inspiration zu Veranstaltungen an Karsamstag könnte die “Liturgie pour un Dieu mort” (“Liturgie für einen toten Gott”) wichtig sein, siehe die CD unter diesem Titel, der Komponist ist Charles Rabvier (1934-1984).

Auch andere Philosophen haben von Karsamstag gesprochen, etwa der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Er spricht in seiner Frühschrift „Glauben und Wissen“ (1802) von Karfreitag, ausführlicher dann wieder in seinen „Vorlesungen zur Philosophie der Religion“, die er viermal in Berlin vorgetragen hat. Dort sagt Hegel: „Gott ist gestorben. Gott ist tot. Dieses ist der fürchterlichste Gedanke, dass alles Ewige, alles Wahre nicht ist, die Negation selbst in Gott ist; der höchste Schmerz, das Gefühl der vollkommenen Rettungslosigkeit, das Aufgeben alles Höheren ist damit verbunden“ (Suhrkamp, Theorie Werkausgabe, Band 17, S. 291). Man sollte diese Worte einmal mit Nietzsches “tollem Menschen” vergleichen….Aber für Hegel ist der Tod Gottes nur ein vorübergehendes Moment im Leben Gottes: Und dieses Leben des göttlichen Geistes ist von der Dialektik der Vernunft bestimmt: Das Negative (Tod) muss also sein, aber es wird überwunden, “aufgehoben”! Gott erhält sich selbst in seinem Tod, er ist stärker als der Tod, so dass der Tod Gottes förmlich nur ein kurzfristiger Irrtum des Betrachters ist. Hegel schreibt im Anschluss an das genannte Zitat: „Es findet eine Umkehrung statt: Gott nämlich erhält sich in diesem Prozess, und dieser ist nur der Tod des Todes. Gott steht wieder auf zum Leben!“ (ebd.) Und später sagt Hegel. „Es ist die unendliche Liebe, dass Gott sich mit dem Fremden (d.i. dem Tod) identisch gesetzt hat, um es, das Fremde, also den Tod, zu töten“ (S. 292).

10.
Der Philosoph Hegel denkt die Lehre des protestantischen Christentums seiner Zeit in philosophischen Begriffen, so hofft er, auch die unkirchlichen, die skeptischen Zeitgenossen für den zentralen Inhalt des christlichen Glaubens interessieren zu können. Einige Jahre vor Hegel hat der Dichter Jean Paul (1763-1825) eine „Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab“ formuliert (1797), aber Jean Paul hat den Toten Christus vorsichtshalber nur als Traumgestalt beschrieben. LINK

11.
Eine starke Bedeutung für aktuelle Reflexionen und Diskussionen haben freilich die oben genannten Ausführungen Nietzsches. Von ihm stammt auch die aktuelle Frage: „Wird die Kirche zum Grab Gottes?“ Auch diese Frage stammt aus der „Fröhlichen Wissenschaft“ (1887, III, Buch, Nr. 125: Dort heißt es: “Was sind denn diese Kirchen noch, wenn sie nicht die Grüfte und Grabmäler Gottes sind?“
Mit diesem Thema hat sich als einer der wenigen Theologen der niederländische Augustinerpater Robert Adolfs auseinandergesetzt: LINK  Robert Adolfs  Buch erschien 1966 unter dem Titel „Wird die Kirche zum Grab Gottes?“ (Styria Verlag auf Deutsch).
Robert Adolfs hat seinem Buch ein Zitat des Jesuiten Alfred Delp vorangestellt, der als Widerstandskämpfer gegen die Nazis am 2. 2. 1945 in Plötzensee hingerichtet wurde. Alfred Delp schrieb kurz vor seinem Tod: „Die Kirche steht durch die Art ihrer historisch gewordenen Daseinsweise sich selbst im Wege. Ich glaube, über all da, wo wir uns nicht freiwillig um des Lebens willen von dieser Daseinsweise trennen, wird die geschehende Geschichte uns als richtender und zerstörender Blitz treffen“.
Die katholische Kirche wird für viele spirituelle Menschen besonders heute zum Grab Gottes: Das ist eine empirisch belegbare Tatsache. Man denke an den sexuellen Missbrauch durch Priester und Ordensleute, an die vielfache Korruption in den so genannten „neuen geistlichen Gemeinschaften“, an den immer noch herrschenden Klerikalismus und die ungebremste unkontrollierbare Allmacht des Klerus: All das vertreibt die Gläubigen aus der Kirche, sie sehen in ihrer dogmatisch erstarrten Kirche „Das Grab Gottes“. Und wollen auferstehen…

12.

Und was ist mit dem Grab Jesu? Ist es leer seit dem Ostermorgen? Vernünftige und kritische Theologen sagen nein. Die Überzeugung, dass Jesus von Nazareth auferstanden ist und lebt, kommt ohne den “Glauben” an das leere Grab aus. Jesu Körper bleibt im Grab, so ist es bei allen anderen Menschen. Aber: Jesu Geist lebt, sein Geist hat den Tod überwunden, so wie der Geist eines jeden Menschen den Tod überwindet. Wie genau der Geist im Ewigen lebt, das wissen wir nicht. Aber es bleibt dabei: Der Geist ist das Ewige im Menschen. Auch im Menschen Jesus von Nazareth.  Siehe auch den Hinweis zur “Auferstehung Jesu – vernünftig verstehen”: LINK

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

Sexueller Missbrauch durch einen hochrangigen Priester im Spanien des 17. Jahrhunderts: „Der Prozess versandete“…

Eine historische Studie zum sexuellen Missbrauch.

Ein Hinweis von Christian Modehn, zuerst veröffentlicht 2021, aktualisiert am 23.7.2023

1. Zur Einführung:

Die Geschichte der Homosexuellen war und ist eine von der heterosexuellen Mehrheit ignorierte Leidensgeschichte. In 69 Staaten wird auch heute noch, 2023, Homosexualität strafrechtlich verfolgt, in 11 Staaten droht Homosexuellen die Todesstrafe. Quelle: LINK   
Ohne körperliches Leiden, ohne Verfolgung, ohne Scheiterhaufen konnten nur einige wenige prominente Homosexuelle, modern gesprochen ohne „Outing“, überleben, es waren Fürsten und Päpste, Bischöfe und Pfarrer und Ordensobere und „einfache Mitglieder“ von Ordensgemeinschaften.
Und wie bei der jeder Geschichte von unterdrückten Minderheiten gibt es, abgesehen vom Judentum, auch keine ausgebreitete, gründliche Forschung zur Geschichte der Verfolgung der Homosexuellen, obwohl etwa in Spanien und Italien viele Dokumente zur Verfolgung und Ausrottung der Homosexuellen durch die katholische Inquisition in den Archiven vorliegen.

2.

Es ist förmlich ein Glückstreffer, wenn man in Deutschland Beiträge kirchenunabhängiger Historiker findet zu dem Thema. Ich empfehle die Lektüre des Aufsatzes von Prof. Raphael Carrasco „Sodomiten und Inquisitoren im Spanien des 16. und 17. Jahrhunderts“. Die Studie ist erschienen in dem Sammelband „Die sexuelle Gewalt in der Geschichte“, hg. von dem Historiker Alain Corbin, Wagenbach Verlag, 1992, dort S. 45-58. Die französische Ausgabe erschien 1989. Das Buch ist auf Deutsch nur noch antiquarisch verfügbar…

3. Über den sexuellen Missbrauchs eines spanischen Priesters aus dem Merzedarier-Orden im 17. Jahrhundert , dargestellt von Raphael Carrasco, siehe die ausführliche Darstellung:  LINK.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

 

Papst Johannes Paul II.: In Krakau, schon als Erzbischof, ignorierte er den Missbrauch im Klerus. Als Papst war er mit dem Täter P. Maciel befreundet.

Es gibt keine (klerikalen) Vorbilder: Der 2. Teil.   Der 1. Teil weist auf Kardinal Karl Lehmann, Mainz, hin.

Von Christian Modehn am 10.3.2023

Die katholische Journalistin Christine Pedotti (Paris) schreibt in der Wochenzeitung “Témoignage Chrétien” (16.3.2023): “Man müsste nun im Kirchenrecht die Kategorie der Rückgängigmachung der Heilig-Sprechung festlegen”.  Konkret meint sie:  Johannes Paul II. dürfte eigentlich nicht länger als “Heiliger” verehrt werden.

Er wurde als Papst wie ein Heiliger verehrt: PAPST JOHANNES PAUL II. (geb. 1920, als Papst gestorben 2005). Sofort nach seinem Tod forderten sehr viele Fromme, “santo subito”, er sollte sofort heilig gesprochen werden. Und das taten seine Nachfolger dann auch: Seit 2013 dürfen alle Katholiken den heiligen Papst Johannes Paul II. im Himmel um Fürsprache bei Gott anflehen. Zahlreiche, zum Teil monumentale Statuen und Denkmäler wurden vor allem in Polen zu Ehren des polnischen heiligen Helden und Papstes errrichtet.

Aber auch gegen ihn werden nun begründete Vorwürfe laut: Karol Wojtyla soll als Erzbischof von Krakau sexuellen Missbrauch von Priestern in “seinem” Erzbistum vertuscht haben. Das Motto heißt also immer wieder: Der Klerus schützt zuallererst den Klerus. Nicht die Opfer.

In Polen, dem Land des in die Kritik geratenen Papstes, werden diese Erkenntnisse wie erwartet zurückgewiesen.

Einige Zitate aus einer aktuellen Meldung des Bayerischen Rundfunks vom 6.3.2023:

Johannes Paul II. soll Missbrauch vertuscht haben
Der spätere Papst Johannes Paul II. soll ihm unterstellte Missbrauchstäter in Polen gedeckt haben. Das berichtet ein polnischer Investigativjournalist. Bereits zuvor hatte es ähnliche Vorwürfe gegeben, die aber in Polen zurückgewiesen wurden.
Von der Redaktion des Bayer. Rundfunks „Religion und Orientierung“. Am 6.3.2023.

Der verstorbene Papst Johannes Paul II. soll einem polnischen Medienbericht zufolge vor seiner Papstwahl Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche Polens vertuscht haben. In seiner Zeit als Kardinal und Bischof von Krakau habe Karol Wojtyla von Pädophilie-Fällen gewusst, berichtete der Privatsender TVN am Sonntag unter Berufung auf Recherchen des Journalisten Marcin Gutowski.

Bericht: Karol Wojtyla war über Missbrauchstäter informiert
Dem Bericht zufolge soll Wojtyla Priester seiner Diözese, über deren Taten er informiert war, in andere Gemeinden versetzt haben, um Skandale zu vermeiden. Einer der Priester wurde demnach von dem späteren Papst nach Österreich geschickt. Kardinal Wojtyla habe für ihn ein Empfehlungsschreiben an den Wiener Kardinal Franz König geschrieben, ohne ihn über die Vorwürfe gegen den Priester zu informieren.
Bereits Anfang Dezember 2022 erhob der niederländische Journalist Ekke Overbeek in einem Enthüllungsbuch schwere Vorwürfe gegen den früheren Papst und Vorgänger von Benedikt XVI. In Dokumenten hätte Overbeek Informationen zu konkreten Fällen gefunden, in denen Wojtyla wissentlich Missbrauchspriester in andere Bistümer versetzt habe.
Polnische Medien wiesen Vorwürfe gegen Papst Johannes Paul II. 2022 zurück
Polnische Medien gelangten damals zu einer anderen Einschätzung über die Rolle des späteren Papstes in seiner Zeit als Erzbischof. Kardinal Wojtyla sei “nach Aktenlage entschieden gegen einen Priester vorgegangen, der mehrere Kinder sexuell missbraucht hat”, schrieb die Zeitung “Rzeczpospolita”. Als Beispiel wird ein Fall genannt, in dem Wojtyla schnell und wachsam reagiert habe.
Der polnische Investigativjournalist Gutowski sprach nun für seine Recherchen mit Opfern pädophiler Priester, deren Angehörigen und ehemaligen Angestellten der Diözese. Er stützte sich auch auf Dokumente der ehemaligen kommunistischen Geheimpolizei SB und Dokumente der Kirche. Bereits vor zwei Jahren habe er die ersten Hinweise bekommen, dass Wojtyla vom sexuellen Missbrauch der ihm unterstellten Pfarrer gewusst und sie gedeckt haben soll, sagte Gutowski gegenüber TVN24. Die Diözese Krakau habe ihm allerdings den Zugang zu ihren Archiven verweigert, sagte der Journalist.

Katholische Kirche verweigerte Herausgabe von Dokumenten
Die katholische Kirche in Polen hatte sich bereits in der Vergangenheit geweigert, Dokumente herauszugeben – selbst an die Justiz oder an eine öffentliche Kommission, die Missbrauchsfälle untersuchte. Ein Zeuge, der anonym bleiben wollte, bestätigte, er habe Kardinal Wojtyla persönlich von pädophilen Handlungen eines Priesters im Jahr 1973 berichtet. “Wojtyla wollte zuerst sichergehen, dass es sich nicht um Bluff handelt”, sagte der Zeuge. “Er sagte, er würde sich darum kümmern und bat, es nirgendwo zu melden.”

Thomas Doyle, ein ehemaliger katholischer Priester aus den USA, nannte die Enthüllungen des Journalisten “revolutionär” Sie zeigten, “was viele Menschen schon seit Jahren vermutet haben: Dass Johannes Paul II. von diesem Problem wusste, bevor er Papst wurde”, sagte der Experte für Kirchenrecht, der als einer der Ersten über Missbrauchsfälle durch katholische Geistliche in den USA berichtet hatte. (Quelle: Mit Informationen von AFP und KNA, BR)

Ergänzung am 16.3.2023 von Christian Modehn:

Wir werden zurecht von einigen LeserInnen daran erinnert: Auch als Papst hat Karol Wojtyla sexuellen Missbrauch durch Priester ignoriert. Mit dem bekannten Täter Pater Marcial Maciel , Gründer und Chef (“Generaldirektor”) des Ordens der Legionäre Christi, war Johannes Paul II. eng verbunden, wenn nicht befreundet.  Dieser  vielfache Täter sexuellen Missbrauchs, an Seminaristen, aber auch an den eigenen Söhnen, Pater Marcial Maciel, war den vatikanischen Behörden spätetstens seit 1970 “einschlägig” bekannt. Diese Tatsache war dem ja sonst sehr aufmerksamen Papst Johannes Paul II. sicher nicht unbekannt. Aber er ignorierte diese Tatsache, weil er diesen Orden und seine vielen jungen Priester angesichts des Priestermangels einfach für seine klerikalen Ambitionen (“Neuevangelisierung” etc.) “brauchte”.

“Der Klerus zuerst” war also offenbar das Leitprinzip des Papstes. Verheimlichen, vertuschen, mit den Tätern befreundet sein, das war päpstliches Prinzip.

Pater Marcial Maciel erläutert in seinem Buch, mit dem, auf seine Petson bezogen, geradezu skandalösen Titel, “Christus ist mein Leben”, 2005, Edizioni ART, Roma, etwa S.180, ausführlich die enge Vertrautheit zwischen ihm und  Papst Johannes Paul II… Den Chef der Legionäre Christi erlaubte sich dann Papst Benedikt XVI., nach dem Tod des polnischen Papstes, einen Verbrecher zu nennen.

Johannes Paul II. hatte den Chef der Legionäre Christi ausersehen, ihn auf den Papstreisen nach Mexiko zu begleiten, der Legionär war auf päpstlichen Wunsch hin Teilnehmer an lateinamerikanischen Bischofskonferenzen und an römischen Bischofssynoden. Der Generaldirektor der Legionäre Maciel schreibt in dem genannten Buch: “Bei anderen Gelegenheiten wurde mir die Gnade zuteil, mit dem Heiligen Vater im Apostolischen Palast zu Mittag oder zu Abend zu essen…Der Heilige Vater brachte den Legionären Christi und unserer Laienorganisation Regnum Christi stets vorbehaltlose Unterstützung (sic) entgegen” (S- 180). Und der Ober-Legionär erinnert sich an die vielen gemeinsamen Gottesdienste und Empfänge für ihn und die Seinen in wunderbarer Herzlichkeit und Vertrautheit mit dem “Heiligen” Vater… Infos zu den Legionären Christi und deren Generaldirektor Pater Marcial Maciel.

 

Copyright:BR und Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Es gibt keine Vorbilder mehr. Kardinal Karl Lehmann (Mainz) wird ein Heiligenschein genommen. 1. Teil.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 8.3.2023.  Siehe auch den Hinweis auf Papst Johannes Paul II. LINK

Der Anlass dieses philosophischen Hinweises zum Thema Vorbilder:

Nun distanzieren sie sich offiziell von ihrem zuvor hoch verehrten, vorbildlichen Mainzer Bischof (dort von 1983-2016) und Kardinal Prof.Dr. theol. und phil. Karl Lehmann: Der heutige Bischof von Mainz Peter Kohlgraf sagte am 8.3.2023:
Lehmanns fehlende Verantwortungsübernahme habe sexuellen Missbauch begünstigt. Lehmann, der “ein menschenfreundliches Gesicht gezeigt” habe, der habe in der Begegnung mit Betroffenen sexualisierter Gewalt “unglaubliche Härte und Abweisung” an den Tag gelegt. Zugleich kritisierte Kohlgraf Gemeinden, die bis heute Priester auf ein Podest gehoben haben, das sie unangreifbar macht“. (Quelle: https://www.domradio.de/artikel/mainz-waechst-die-distanz-zu-kardinal-lehmann)

1. Bischof und Kardinal Karl Lehmann – Lobeshymnen für einen “klaren Kopf”
Wer Verstand hatte, musste doch sehr schmunzeln, als am 16. Mai 2016 in der „Rheingold-Halle“ in Mainz (vom SWR übertragen) zu Ehren Kardinal Lehmanns eine pompöse Festveranstaltung stattfand. Es war wie ein Witz: Ein großer Chor auf der Bühne schmetterte ein selbst verfasstes Loblied auf seine Eminenz, es war fast zum Schunkeln: „Karl Kardinal Lehmann, wir danken dir“, und immer wieder: „Karl Kardinal Lehmann wir danken dir“. Und kaum jemand konnte sich sich vor Freude und Rührung bremsen bei dieser Fast-Heiligsprechung eines lebenden Klerikers. Das alles fand seinen festlichen Höhepunkt in dem genannten Lied, es wurde zu der populären Melodie Edward Elgars für den Song „Land of Hope and Glory“ gesungen. Die Lobeshymnen auf den Kardinal, auch von Politikern aller Couleur und einem katholischen Theologieprofessor, Thomas Söding (Bochum), waren fast ein kleiner Akt der Heiligsprechung. Söding sagte u.a.: „Erst lernen, dann lehren – das ist Ihre(Lehmanns) Devise: mit einem großen Herzen und einem klaren Kopf.“ (Quelle:https://bistummainz.de/organisation/ehemalige-mainzer-bischoefe/kardinal-lehmann/aktuell/nachrichten/nachricht/Unterwegs-auf-der-Suche-nach-Gott/)
Diese Huldigung Södings stimmt nicht mehr … spätestens seit März 2023.

Auf You tube ist der Song “Karl Kardinal Lehmann wir danken dir” (ab 1.2.00 49″ ) unter dem Titel “Geburtstagsfeier Kardinal Karl Lehmann”  noch zu “bewundern”, siehe: https://www.youtube.com/watch?v=ONdOT3RSo44   (gesehen am 8.3.2023)

Vom “Vorbild Kardinal Lehmann” sprach auch Bischof Fürst von Rottenburg-Stuttgart anläßlich des Todes von Karl Lehmann:  Als “glaubwürdiges Vorbild in Glauben und Leben” hat Bischof Gebhard Fürst den am Sonntag verstorbenen Mainzer Alt-Bischof, Kardinal Karl Lehmann, gewürdigt. Lehmann habe als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz unermüdlich unterschiedliche Positionen zusammengeführt und damit unschätzbare Beiträge zur Einheit der katholischen Kirche in Deutschland geleistet, erklärte der Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart. (11. März 2018, 10:13 Uhr. Süddeutsche Zeitung.

5 Jahre später musste die Süddeutsche Zeitung  (Seite 7, am 4/5. März 2023) diesen Titel zu Kardinal Lehmann durcken:” Abwehren, vortäuschen, rausreden”. “Die Missbrauchsstudie bescheinigt Kardinal Lehmann nun schwere Fehler.”

2. Bischof Lehmann schützte die Täter
Das Bistum Mainz ist nämlich jetzt alles andere als ein Land von „Hope and Glory“. Denn nicht nur Kardinal Lehmann, auch seine Vorgänger in Mainz, die Bischöfe Stöhr und Volk, sind nun des heftigen Versagens in der Aufklärung von sexuellem Missbrauch durch Priester im Erzbistum Mainz überführt worden, durch Rechtsanwalt Ulrich Weber in Mainz. „Laut Gutachten hätten bei Kardinal Karl Lehmann die Betroffenen von Missbrauch fast nie eine Rolle gespielt,“ heißt es in der wissenschaftlichen Studie zum sexuellen Missbrauch im Bistum Mainz, „und Kardinal Karl Lehmann wird ein Gegensatz zwischen seinem öffentlich-medialen Auftreten und seinem persönlichen Handeln attestiert. Betroffene spielten fast nie eine Rolle, vielmehr wurde darauf geachtet, das System katholische Kirche zu schützen.“ Dies berichtet übereinstimmend die Presse, unser Zitat: https://www.kirche-und-leben.de/artikel/missbrauch-im-bistum-mainz-studie-wirft-bischoefen-schweres-versagen-vor.
„Die Mitarbeiter der Missbrauchs – Studie untersuchten 25.000 Seiten an Akten – und Archivmaterial und führten 246 persönliche, schriftliche oder telefonische Gespräche. Nach einer statistischen Analyse waren für den Zeitraum von 1945 bis 2019 zunächst 657 Betroffene und 392 Beschuldigte ausgemacht worden. Dann wurde genauer geprüft, wie sich der jeweilige Tatbestand genau darstellt und wie plausibel der Fall erscheint. Letztlich blieben für die weitere Untersuchung 401 Betroffene und 181 Beschuldigte übrig“. (Zeit-Online)

3.“Karl Kardinal Lehmann wir danken” – ein insgesamt peinlicher Song
Den Sängerinnen und Sängern der fast ins Blasphemische abrutschenden Hymne „Karl Kardinal Lehmann, wir danken dir“ haben sich gewaltig geirrt, wie so viele treue KatholikInnen waren sie zu sehr Klerus-ergeben und Klerus-treu, es waren doch die Hochwürden, die Herren Pfarrer, die Herren aus dem geistlichen Stand… Sie freuten sich über jedes progressiv erscheinende Wort ihres Kardinals Lehmann, das im Vatikan allerdings nie langfristig erfolgreich war. Aber allein die Tatsache des maßvollen und letztlich devoten Widerspruchs machte den Herrn Bischof und sehr späten Kardinal beliebt. Sie feierten ihn als Vorbild, denn sie brauchten vielleicht ein klerikales Vorbild: Aber das haben sie nun nicht mehr. Sie müssen nun selber denken.

4. Vorbilder und der Kult um Vorbilder
Uns interessiert hier vor allem die große Problematik des „Vorbildes“: In Zeiten, in denen sich die Menschen, auch die Gläubigen, nicht selbst durch eigene Vernunft und Überlegung orientieren können oder wollen, klammern sie sich an Autoritäten, etwa an einen Bischof, der ja wie im Falle Karl Lehmanns tatsächlich intellektuell so klug und gebildet war. Die Fußnoten zu seinen vielen Vorträgen waren kaum zu zählen. So konnte er auch mit seiner Belesenheit (Heideger, Rahner…) bei den anderen Bischöfen glänzen, deswegen war er ja viele Jahre Vorsitzender der deutschen Bischofskonferenz.
Es ist schon traurig, wie Menschen sich begeistern und irreführen lassen, und sich die Zeit noch nehmen, so dumme Songs wie „Karl Kardinal Lehmann, wir danken dir“ zu ersinnen. Wenn schon etliche Menschen„Objekte“ ihrer Verehrung brauchen, dann sollten diese nie offiziellen Autoritäten, nie Stars und Berühmtheiten sein, schon gar nicht katholische Kleriker. Bestenfalls kann eine Person in einer sehr begrenzten, bestimmten Hinsicht Vorbild sein. Kinder brauchen vielleicht Vorbilder, aber alle Erziehung legt wert darauf, dass älter werdende Kinder, Jugendliche, sich von der Bindung an die Vorbilder wieder lösen. Schrecklich für mich, wenn erwachsene Männer, wie Kinder, Fussball Stars „ihrer“ vergötterten Mannschaft, etwa Hertha BSC, verehren und jedes Tor jedes ihres Star noch herbeizitieren können. Eine geistig arme Fussball-Welt, würde ich sagen.
Vorbilder können, ethisch gesehen, immer nur vernünftige humane Werte sein, Freundschaft, Solidarität, Gerechtigkeit, denen es auf je eigene Art nachzustreben gilt. Und das ist mühevoller und verlangt mehr Nachdenken als die Verehrung eines Fussball-Clubs oder eines Bischofs.

5. Ein Hinweis auf Erich Fromm

Der Psychoanalytiker und Philosoph Erich Fromm (1900 – 1980) hat sich mit der Bindung an Vorbilder in seinen Studien zur „analytischen Sozialphilosophie“ auseinandergesetzt. Erich Fromms Erkenntnisse gelten auch für die „Vorbild-Bindungen“ frommer katholischer Laien an „ihre Pfarrer“, die sie oft noch „Hochwürden“ nennen oder Exzellenzen und Eminenzen oder, auch das noch,„heiligen Vater“: Tatsächlich werden prinzipiell alle Priester, vor allem in der romanischen Sprachwelt, mit dem problematischen Titel „Pater“, Père, Padre, in England auch Father genannt. Zölibatäre Kleriker sollen also als die „wahren Väter“ gelten, so väterlich, zuverlässig, ohne Interesse an sexuellen Übergriffen usw…Allerdings waren und sind diese „Patres“, trotz des Zölibatsgesetzes, oft, sozusagen leiblich gesehen, Väter von eigenen Kinder. Diese Tendenz kindlicher Aussagen „Mein Vater ist Pater“ nimmt allerdings ab, weil immer mehr Homosexuelle Priester sind. Dadurch sparen sich die Bischöfe die Zahlung von Alimenten an die allein gelassenen Mütter mit Kind. Schlimmer ist jetzt der in allen Ländern geradezu massenhaft aufgedeckte sexuelle Missbrauch durch diese vorbildlichen Patres, Fathers, Exzellenzen, Eminenzen usw.

Schon in seinen Studien über Autorität und Familie (1936) hat sich Erich Fromm mit der Bindung an Vorbilder kritisch auseinandergesetzt.
Hier nur diese seine Hinweise zum weiteren Studium, etwa in der „Gesamtausgabe“ der Werke Erich Fromm Band I. (Stuttgart, 1980).

„Es gehört zu den schwersten Erschütterungen im kindlichen Leben, wenn das Kind allmählich sieht, dass die Eltern in Wirklichkeit den eigenen Anforderungen (als Vorbild) nur wenig entsprechen. Aber indem das Kind später durch die Schule, durch die Presse etc. neue Autoritäten an die Stelle der Alten setzt, und zwar solche, die es nicht durchschaut, bleibt die ursprünglich erzeugte Illusion von der Moralität der Autorität bestehen. Dieser Glaube an die moralische Qualität der Macht wird wirkungsvoll durch die ständige Erziehung zum Gefühl der eigenen Sündhaftigkeit und moralischen Unwürdigkeit ergänzt. Je stärker das Schuldgefühl und die Überzeugung der eigenen Nichtigkeit ist, desto heller strahlt die Tugend der Oberen! Der Religion und der strengen Sexualmoral kommt die Hauptrolle bei der Erzeugung der für das Autoritätsverhältnis so wichtigen Schuldgefühle zu“ (S. 184).

6. Klerikale Vorbilder verlieren ihren “Heiligenschein” – zum Beispiel in Frankreich
Der katholischen Kirche gehen jedenfalls jetzt die Vorbilder absolut verloren. Und damit sicher auch die Heiligen. Wie viele angeblich heilig mäßige, „ganz großartige“ Kleriker und Laien wurden in den letzten Monaten vom Thron der Vorbildlichkeit gestürzt….Beispiele aus Frankreich: Da hat der Sturz der vielen angeblichen Vorbilder in den letzten Monaten, 2022, 2023, die Kirche um ganzen selbst erschüttert. Ich nenne nur das bis vor kurzem von vielen hoch verehrte Brüderpaar Philippe, beide waren Priester im Dominikanerorden, sie wurden der „heftigen Pflege von sexueller Abhängigkeit“ gegenüber Laien und Priestern überführt. Oder man denke an den zu Lebzeiten fast heilig gesprochenen Freund der geistig Behinderten (in seinen ARCHE-Gemeinschaften), den Laien Jean Vanier, der seine Mitarbeiterinnen heftigst sexuell belästigte. Ich denke an die hoch verehrte Mystikerin Marthe Robin mit ihren angeblichen Wundmalen Christi, ich denke an den allgemein noch hoch geschätzten Gründer der neuen, jetzt international agierenden Mönchsgemeinschaft „Jerusalem“ in Paris, Père Pierre Marie Delfieux, oder man denke an den in ganz Frankreich bekannten Pater und Buchautor JeanFrancois Six, den Spezialisten für Mystikerinnen (Theresia von Lisieux!), der etliche seiner ihm treu ergebenen Anhängerinnen missbrauchte.
Sie alle, die Hochverehrten, hatten eines gemeinsam: Sie lebten angeblich zölibatär, waren also offiziell weder mit einer Frau noch einem Mann verheiratet. Und bedienten sich des klerikalen Schutzschirms.
Von dem berühmten Priester-Künstler, dem Jesuiten Marko Ivan Rupnik in Slowenien wäre zu sprechen oder dem engsten Freund der Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI., dem Kölner Kardinal Joachim Meisner. Er führte einen eigenen Aktenordner mit dem Titel „Brüder im Nebel“, darin sammelte er Papiere zu seinen Priestern, die mit sexuellem Missbrauch zu tun hatten. Den Gerichten übergab er seine „Brüder im Nebel“ nicht, es waren ja seine MITbrüder!
In Berlin wurde der Name eines Pfarrers der St. Ludwig Gemeinde aus einer Gedenkplakette an seiner Kirche ausgelöscht, weil er, der berühmte Stadtpfarrer Benno F., des sexuellen Missbrauchs überführt wurde…

7. “Bediene dich deines eigenen Verstandes, dann brauchst du keine Vorbilder, schon gar nicht klerikale Vorbilder”
Die Liste der nicht-vorbildlichen „Vorbilder“ ließe sich endlos fortsetzen, sie muss hier beendet werden. Unsere Hinweise dienten dem Zweck, ein für alle mal einzuschärfen: Nehmt bloß niemanden zum „totalen“ Vorbild, schon gar nicht zölibatäre Kleriker, ihr irrt euch gewaltig. Denkt lieber selber nach, wie ihr euer Leben menschlich mit anderen gestalten könnt. „Bediene dich deines Verstandes“, ein nahezu heiliges Wort des Philosophen Immanuel Kant.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.